Was man im Himmel nicht brauchen kann - Franziska König - E-Book

Was man im Himmel nicht brauchen kann E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Zwei Monate aus dem Leben einer Geigerin. Eine Realdoku

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Erinnerungen

Zum Gedenken an meinen viel zu früh verstorbenen lieben Vetter Gerhard(1978 – 2021)

Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.

„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ sagt sie.

Und drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.

Erzählt werden Geschichten aus ihrem Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.

Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.

Die meisten Vorkömmlinge finden sich im

Personenverzeichnis

Hier die engste Familie vorweg:

Opa, (*1909) Opa mütterlicherseits in Österreich

Oma Ella, (*1913) Omi väterlicherseits in Hessen

Buz (Wolfram), mein Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in Trossingen

Rehlein (Erika), meine Mutter (*1939)

Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)

Orte der Handlung:

Ofenbach, unscheinbares Dorf in Niederösterreich

Grebenstein, bezaubernde Kleinstadt in Nordhessen

Aurich, Hauptstadt von Ostfriesland

Inhaltsverzeichnis

April 2002

Montag, 1. April

Dienstag, 2. April

Mittwoch, 3. April

Donnerstag, 4. April

Freitag, 5. April

Samstag, 6. April

Sonntag, 7. April

Montag, 8. April

Dienstag, 9. April

Mittwoch, 10. April

Donnerstag, 11. April

Freitag, 12. April

Samstag, 13. April

Sonntag, 14. April

Montag, 15. April

Dienstag, 16. April

Mittwoch 17. April

Donnerstag, 18. April

Freitag, 19. April

Samstag, 20. April

Sonntag, 21. April

Montag, 22. April

Dienstag, 23. April

Mittwoch, 24. April

Donnerstag, 25. April

Freitag, 26. April

Samstag, 27. April

Sonntag, 28. April

Montag, 29. April

Dienstag, 30. April

Mai 2002

Mittwoch, 1. Mai

Donnerstag, 2. Mai

Freitag, 3. Mai

Samstag, 4. Mai

Sonntag, 5. Mai

Montag, 6. Mai

Dienstag, 7. Mai

Mittwoch, 8. Mai

Donnerstag, 9. Mai

Freitag, 10. Mai

Samstag, 11. Mai

Sonntag, 12. Mai

Montag, 13. Mai

Dienstag, 14. Mai

Mittwoch, 15. Mai

Donnerstag, 16. Mai

Freitag, 17. Mai

Samstag, 18. Mai

Sonntag, 19. Mai

Montag, 20. Mai

Dienstag, 21. Mai

Mittwoch, 22. Mai

Donnerstag, 23. Mai

Freitag, 24. Mai

Samstag, 25. Mai

Sonntag, 26. Mai

Montag, 27. Mai

Dienstag, 28. Mai

Mittwoch, 29. Mai

Donnerstag, 30. Mai

Freitag, 31. Mai

April 2002

Montag, 1. April

Aurich

Dunstig

Von Dunkelheit umhüllt und zu einer schwindenden Erinnerung verunschärft trat Buz die lange Reise nach Taiwan an.

Er entwand sich meinen Blicken am Fenster, stieg in seine Limousine, und fuhr in die weite Welt hinaus.

Am Abend zuvor hatte ich das taiwanesische Hilfsrädchen-Alphabeth* in ein Schulheft hineingeschrieben, und einen Lehrer mit erhobenem Zeigefinger dazu gezeichnet. So wie sich ein guter Muslim fünfmal täglich zum Gebet aufzuraffen hat, müsse Buz nun fünf Buchstaben pro Tag lernen.

*Ein Alphabet für Kinder, das neben den komplizierten chinesischen Zeichen angebracht, ein frühzeitiges Lesevergnügen ermöglichen soll

„Hurra, ich kann´s!“ hatte ich mit frohem Blick auf das kleine Wissenssäckchen, das Buz sich bis dahin ins Hirn geschaufelt haben müsste, jubilierend unter den letzten Buchstaben geschrieben.

Buz hatte das Heft in seine Reisetasche geschoben, wirkte zu meinen Erläuterungen und Ermahnungen jedoch fahrig und einkanalig, da es für einen fast 64-jährigen Herrn ein nervös stimmendes Abenteuer sein dürfte, eine so weite Reise anzutreten.

*****

Fahrt zu einer Probe mit anschließendem Gottesdienst in der ostfriesischen Kreisstadt Norden:

Neben den Fahrer, einen stillen, bleichen Herrn, setzte sich ein quirliger Herr, dessen Hinterkopf sich nun vor meine Blicke schob. Sein verbliebener Frisurensaum verwandelte sich in ein Osternest, aus dem sein Haupt nach Art eines blankpolierten Ostereies in die Höhe ragte.

Alsbald begann er von seinem gestern verlebten Ostertag zu erzählen. Er wurde übermütig und lustig und sagte Dinge wie: „Wir besuchten die Schwiegereltern meiner Frau!“

Dazu lachte er schelmisch, um den gut verpackten kleinen Spaß, der womöglich unbemerkt geblieben war, im Nachhinein etwas besser in Szene zu setzen, und fuhr mit der Geschichte fort, indem er bildhaft schilderte, wie man Würstel gegessen und abends Wein getrunken habe. Gebannt heftete ich meine Ohren an die plastische Erzählung, und sah es nicht nur vor mir - ich schmeckte das senfverzierte knackige Würstl, und labte mich am edlen Weine, der mir alsbald zu Kopfe stieg.

Vor der Kirche wünschten wir Musikanten einander in gewärmten Worten schöne Ostern, und Konzertmeisterin Frauke F. busselte mich und duftete so schön nach Puder, daß ich ihr einen Platz in meinem Herzen einräumte.

Der romantische Pfarrer B., der nebenher auch als Geiger im Ostfriesischen Kammerorchester tätig ist, bot mir das „Du“ an.

„Ich heiße Henning!“ stellte er sich feierlich vor, und ich lachte warmherzig und sagte wie alle Tage verbindend: „Dann sind wir jetzt per Du!“

Bald schon wurde losgeprobt.

Rolf Fischer, jener etwas verschlagen aussehende Flötist, der immer so versunken und verträumt ganz für sich alleine bläst, war viel zu spät zur Probe erschienen, und Kantor Thiemo J. hätte gern eine Entschuldigung gehört, weil er der Meinung ist, daß einem Kantoren mehr Respekt entgegengebracht werden sollte.

„Guten Morgen!“ sagte er freundlich, so doch nicht ohne Unterton, „haben Sie den Weg nicht gefunden?“

„Doch“, sagte Rolf Fischer schlicht und ging nicht weiter auf diesen angebotenen Rechtfertigungswink ein.

Wenig später sagte der Kantor vorwurfsvoll zu einer Chordame, die sich verspätet hatte: „Wo kommst du jetzt her??“

„Aus dem Bett!“

„Na, herzlichen Glückwunsch!“ sagte der gebürtige Schwabe in verhaltener Sauertöpfischkeit.

(Dies allerdings war seine Frau, mit der man sich ja zuweilen eine lose Zunge erlauben darf?)

Unglaublich, wie viel Zeit dieser seltsame Gottesdienst hinwegfraß:

Von elf Uhr bis viertel nach zwölf saßen wir einfach nur so herum.

Ich schaute auf einen geigenden Herrn in seinen geschnürten Entenschuhen und überlegte, wie er wohl direkt nach seiner Geburt ausgesehen haben mag?

Pfarrer Heino D., ein leicht übergewichtiger Herr mit gelbem Haar, der immer so gekonnt „Die Stimme des kleinen Mannes“ einzufangen versteht, hielt die Predigt und stand dazu pilzförmig unter dem Kanzeldach, das ihm abzugshaubenartig die Frisur zu überstülpen schien.

„Der große Knüller kam ja erst – die Auferstehung!“ hörte man ihn volksnah predigen.

Ich vertrieb mir die Zeit damit, an Buz über den Wolken zu denken.

In der Pause begrüßte ich den milden Konzertmeisterinnengatten Herrn F., dessen Gedächtnis tatsächlich eine Laufmasche bekommen zu haben scheint? Er frug: „Woher kennen wir uns?“

„Ich bin doch die Franziska. Hab ich mich so verändert?“

Jemand berichtete mir, daß der Vater einer Dame aus dem Chor, ein emeritierter Professor aus Detmold, der sich interessiert meine CD angehört habe, sich gerne mit mir über die Bachsche Aufführungspraxis zoffen würde…es sei ein Hobby von ihm, herumzurechten, Gegengeschosse aufzufahren und rumzuargumentieren.

Da ich jedoch stets dem glaube, der zuletzt spricht, bin ich zum Diskutieren eher ungeeignet.

Dienstag, 2. April

Warm und frühlingshaft

Im Gemüseeck bei Combi sah ich Frau Hannelore Wader schimmern.

Frau Wader, eine gepflegte 54-jährige Dame mit gebleicht wirkender gebauschter Rundkopffrisur gab mir gar ein Bussi, doch unter der Oberfläche ihrer Nettigkeit glaubte ich zu erfühlen, daß sie sich unbefriedigt und vielleicht sogar ein bißchen verdrossen fühlte.

Dies bemerkte ich daran, daß sie über den Paris-Aufenthalt, der sich nun prächtig als Konversationseinfädelung nutzen ließ, fast schroff sagte:

„Zu kurz!“

Das ewig kränkelnde Fräulein Tochter hatte es mal wieder für nötig erachtet, ausgerechnet da von einer Kehlkopfentzündung heimgesucht zu werden.

Was die Waders mit ihrer Tochter schon durchgemacht haben – einfach unerträglich!

Keine Krankheit, die die knapp 24-jährige, moralisch unbeugsame und äußert strenge, fast furchteinflößende und an die Gräfin Dönhoff erinnernde junge Frau nicht schon befallen hätte…

Zunächst empfand ich unsere Konversation als quälend zugeknöpft und banal – doch dann schilderte ich plastisch, wie Buz in tiefster Nacht nach Taiwan aufgebrochen war:

Zuerst entwand er sich meinen Blicken und dann der ganzen Stadt Aurich, und jetzt weiß man nicht was aus ihm geworden ist, benützte ich Versatzstücke aus meinem eigenen Tagebuch.

Nun hatten wir uns warmgeplaudert!

„Wir müssen uns mal wieder länger sehen!“ rief ich aus, denn was soll man zwischen all dem Gemüse schon anderes sagen?

„Im Mai bin ich wieder da. Da sehen wir uns dann wieder!“

„Da sind wir aber wiederum in Österreich!“

Das Leben führt Regie, und am Ende sieht man sich vielleicht nie wieder?

Direkt neben dem Kochlöffel-Grill hatte ich eine Begegnung der dritten Art ←(hahaha, ein Passus wie aus dem Tagebuch eines humorvollen jungen Mädchens): Ein Dreigenerationengespann, bestehend aus drei Damen: Edelgart, Roswitha und Laura S. (Letztere ofenfrisch im Kinderwagen)

„Darf ich´s anschauen?“ frug ich Omi Edelgart, und die zum Witzeln neigende Dame meinte auf ihre schlagfertige Art:

„Es ist zur Besichtigung freigegeben!“

Ich betrachtete das appetitliche, ofenfrische Bündel und nahm das liebliche Bildnis mit in den Schreibwarenshop und zu Brillen Fielmann.

Nachtrag:

Etwa ein halbes Jahr später im Alter von nur sieben Monaten vorzeitig verstorben.

(Vermutlich ermordet)

Die plonnerhafte und leicht schwangerschaftsverbeulte Roswitha in ihrer sommerlichen Latzhose und dem Zwicker auf der Nase, ging mir die ganze Zeit nicht mehr so recht aus dem Sinn.

Sogar beim Üben später mußte ich über sie nachdenken und sandte meine Gedanken mitten in ihr Leben, über das ich ja auf Vermutungen angewiesen bin:

Vor meinem geistigen Auge tauchte ein Sonnenschirm auf einem gemähten grünen Rasen auf. Drumherum eine dröge stimmende Neureichenatmosphäre. Dort lebt sie mit ihrer kleinen Familie – doch die Atmosphäre ist eher unheilvoll.

Mittwoch, 3. April

Aurich - Grebenstein

Schön und sommerlich

War es Buzens Stringenz in mir, die mich vorwärts peitschte? Man hat geplant, nach Grebenstein zu fahren und möchte nun rasch wie der Wind dort hingelangen.

Besser wäre es natürlich gewesen, ich hätte bereits gestern alles gepackt, und wäre um vier Uhr morgens losgefahren, um meine Omi zum Frühstück zu überraschen.

In einer Raststätte erlebte ich eine Überraschung: Als Klogangsuntermalungsmusik lief das vierte Klavierkonzert von Beethoven, und am liebsten hätte ich den Klotaliban gefragt:

„Stammt dieser Hit von Ihnen?? …oder haben Sie eine Ahnung wer diese Nummer komponiert hat? Das klingt echt gut. So etwas sollten Sie öfters senden. Ein Riesenkompliment an die Klogangsintendanz!“

In Grebenstein:

Die Omi nimmt jetzt ein Wundermittel namens „Aloe Vera“, das dem Altern entgegenwirken soll.

Der Onkel Eberhard hatte uns auf rührendste Weise ein Gulaschsüppchen vorgekocht, und ich liebte ihn unglaublich dafür.

Wir schauten „Zwei bei Kalwass“:

Ein junger Mann hatte seine Freundin vor den Psychokadi geschleift, da er es ihr nie recht machen konnte.

Ständig war sie unzufrieden, und meckerte nach Art einer Ziege von früh bis spät.

Frau Kalwass bewunderte den Langmut des jungen Mannes, denn als er vorschlug ein paar Tage nach Lissabon zu fahren, verdüsterte sich das Gesicht der ewig Unzufriedenen auch augenblicklich.

„Lissabon??!“ sagte sie nach Art vom bösen Uschilein (Eberhards Exe) bedrohlich. „Kannst du mir mal verraten, was ich in Lissabon soll?“

Frau Kalwass erriet schon richtig, daß der junge Mann praktisch machen könne, was er wolle:

Seine Freundin würde nie zufrieden sein.

Die beliebte Psychologin schlug dem jungen Herrn vor, sich aufrecht vor seiner Freundin aufzubauen, sie anzufassen, ihr in die Augen zu blicken und genau DAS zu sagen, was er wirklich denkt, und selbst wir Zuschauer fühlten ein bißchen eine Unruhe solcherart, als wolle man beispielsweise an der Tür zum Rektoramt pochen, um sich dem Unmut des Direktors auszusetzen.

Frau Kalwass riet, das Spielchen, immer den Milden, Nachgiebigen zu spielen, zu durchbrechen.

Dies jedoch war gar nicht so einfach, da die Zankeslüsterne von ihrer Zankeslüsternheit nicht weichen wollte, und sich in der Rolle der Geifersüchtigen zu gefallen schien?

Auf dieser verdrießlichen Geschichte fußend, erzählte die Omi, wie der arme Onkel Eberhard einst in die Fänge vom bösen Uschilein geriet.

(„Das böse Uschilein“←Ein Buchtitel, der mir in naher Zukunft auch noch vorschwebt.)

Der Onkel war immer so fleißig und gab sich die größte Mühe, seine Ehe in ein Schmuckstück zu verwandeln. Er kochte, putzte und bügelte, und hörte zum Dank doch nur Sätze wie: „Daaas soll gebüüügelt sein??!“ grämlich, zänkisch und unzufrieden eingefärbt.

Da liebte ich den Onkel unglaublich, und weinte fast.

Donnerstag, 4. April

Schön sonnig. Nur Mittags kurz ein weißer Überzug

Geschlagene 56 Minuten dauerte das Aufstehzeremoniell mit der Omi, und hernach mußte sie 21 mal um den Tisch wackeln, denn so wünscht es der Onkel Hartmut, der seine Mutti, so wie ich die Meine, über alles liebt und ohne sie nicht weiterleben könnte…

Um mich von anderen, in ihren Augen überflüssigen Tätigkeiten abzuhalten, scheuchte mich die Omi beständig herum. Ich verwandelte mich in ein törichtes Hausmädchen, dem man etwas Dampf unter dem Po schüren mußte.

Schließlich saßen wir in senioriler Endzeitsuntätigkeit gefangen nebeneinander, und auch als meine beiden Brötchen viel zu rasch hinweggegessen waren, blieb ich in Omis Aura sitzen, und versuchte das verdörrte Bündel zu unterhalten.

Mich freut es immer, wenn durch ein Stichwort ein Erzähldoc in mir angeklickt wird: In diesem Fall war es jedoch kein Stichwort, sondern ein Stichname, der einst auch in Omi Mobbl zu brodeln pflegte: „Die Dame Gerswind“, Mings Exe, und ich berichtete farbig und plastisch, daß die Gerswind zur Zeit ein drittes Kind ausbrütet, um das große Haus mit Leben zu füllen, da ihre Töchter Daaje und Gesine bereits in jenem Alter angelangt sind, wo sie sich allmählich unabhängig zu machen suchen.

Und mit ein bißchen Glück wird´s diesmal ein Junge – etwas, was sich der Opa Bodo doch so sehnlich wünscht: Einen Enkel!

Nach dem Frühstück wollte ich Briefe schreiben, doch die Oma versuchte es mir auszureden, und mich dazu zu animieren, erst einmal die Stube gescheit in Ordnung zu bringen.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, und frug die Omi, ob ich „Vera“ schauen dürfe? Ja, ich durfte, - und am ehesten, so dachte ich, lassen sich diese Tage hier, die gar keine sind, wohl doch mit den SAT 1-Krawallo-Sendungen herumbringen?

Zuerst kam der Fall der 46-jährigen grenzdebilen „Petra“, die den Bruder ihres Freundes „Fred“ liebte. Der Fred konnte ihre Liebe allerdings nicht erwidern, da er selber im Juni 2000 die Liebe seines Lebens gefunden hatte: Die 22-jährige Melanie.

Drum begann die Petra die Melanie auf´s Übelste zu bepöbeln. Sie bezichtete sie einfach, wilde Sexorgien veranstaltet zu haben, und sagte über und über hocherbost: „Eine von der Straße!“ so daß die Vera als Moderatorin nach einiger Zeit echt sauer wurde. Etwas, das sie sogar ungeschminkt vor millionen Zuschauern zugab: „Ich bin jetzt echt sauer!“

Zur Mittagszeit telefonierte ich mit einem gewissen „Herrn Schrumpf“ in Kassel, der das Wundermittel „Aloe Vera“ vertreibt, in das die Omi ihre ganze Hoffnung gesetzt hat. Die eine Flasche im Kühlschrank ist fast leer, und die Omi legt so viel Wert darauf, die Einnahme nahtlos weiterzuführen.

Als ich dem Wundermittel hinterhertelefonierte, fiel mir das Telefonbuch so schmerzhaft auf den Zeh, daß ich am liebsten in lautes Wehklagen ausgebrochen wäre.

Grad wie die Vera auf die Petra war ich so sauer auf den Pfarrer Fliege, weil ich wegen seinem Wundermittel, das wahrscheinlich ein Riesenbetrug ist, extra nach Kassel fahren sollte.

Einen großen Bammel verspürte ich auch davor, Frau Wyss anzurufen, um womöglich zu erfahren, daß es mit ihrer Krankheit übel aussähe?

Das Telefon war sehr lange besetzt, und ich empfand´s jedesmal als Gnadenaufschub vor der Wahrheit.

(Später hat´s dann gottlob geheißen, die Wyss´sche Gesundheit habe sich leicht verbessert.)

Freitag, 5. April

Schön sonnig – aber etwas frisch

Gerda Olthoff – seit heute 60 Jahre alt!

Falsch! Gerda „Uszkureitis“ muß es ja jetzt heißen. Eine „Gerda Olthoff“ gibt es nicht mehr.

*Mings ehemalige uneheliche Schwiegermutter, die ihren Mann verließ, um einen baltischen Nachbarn zu heiraten, der ihr deutlich interessanter schien als ihr Bodo?

Zu Tagesbeginn war die Omi (leider auch geistig) schrecklich moribund, solcherart als müsse sie erst aufgetaut werden.

Ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn die Omi genau heut vor zehn Jahren am 5.4.1992 im semigesegneten Alter von nur 79 Jahren gestorben wäre – bloß, daß man jetzt sehen konnte, wie sie denn heut aussähe, wenn sie nicht gestorben wäre.

Das eine Bein von der Omi war ganz starr und krumm, als ich sie aufsetzen wollte.

Die Omi sagt ständig: „Warte mal! Warte mal!“ und alles ist so sperrig.

Einmal entzündete ich in der guten Stube ein Teelicht, und wenig später stand im Zimmer eine schlanke Rauchsäule.

Das Teelicht war ausgegangen, und die geheimnisvolle Rauchsäule wirkte auf mich wie der Geist eines Verstorbenen.

Ich dachte noch: „Warum muß jetzt ausgerechnet dieses Licht verlöschen?“

Nach zwei Tagen, und nachdem sich die Fröhe über mich in Gewohnheit verwandelt hatte, war die Omi in einen seniorilen Stumpf- und Trübsinn verfallen. Zum Geplärre des Televisors saß sie mit geschlossenen Augen im Rollstuhl, und bewegte sich wie eine verdörrte Pflanze, die von einem lauen Wind bepustet wird.

Einmal entrüstete sie sich jedoch fast temperamentvoll um das Getue, das um die verstorbene Queen Mum gemacht wird: Den ganzen Vormittag lang lief eine Sendung über das Unfaßbare:

Den Heimgang der alten Dame mit dem malerischen Hut nach sooooo langer Zeit auf Erden.

So schalteten wir um, und schauten die Hessenschau an.

Gesendet wurde eine Reportage über ältere Häftlinge. Ein Häftling war bereits 65 Jahre alt, und muß noch 6 Jahre abstottern. Man sah ihn bei der Gartenarbeit, und die Zimmer für die Senioren unter den Kriminellen sind alle hell und freundlich, und werden nicht abgeschlossen.

Man schenkt ihnen das Vertrauen, das sie verdienen, wie die Statistik beweist, denn noch kein einziger Ü60-jähriger sei bislang getürmt.

Man bemüht sich, die Senioren artgerecht zu halten, und wenn man´s recht bedenkt, tun die im Gefängnis im Grunde auch nichts anderes, als das was sie daheim auch gemacht hätten.

Bloß, daß sie im wahren Leben einkaufen und kochen müßten – zwei Arbeiten, die ihnen hier erspart werden, und das Essen im Gefängnis sei in jeder Hinsicht OK, erfuhren wir. (Drei Mahlzeiten pro Tag, und an Weihnachten, Ostern, Sonntagen, Geburtstagen u.a. gibt´s Nachmittags Kaffee und Kuchen)←wenn auch leider meist nur mittelmäßigen Aldi-Stollen oder eine Prinzenrolle.

Danach schrieb ich in Omis Aura auf dem Sofa sitzend zwei Briefe: Verspätete Geburtstagsbriefe an Herrn Vitzthum und den kleinen Matthias.

Autobiografisch schimmerte, natürlich humorvoll verpackt, meine Furcht durch, ich könne jetzt zwölf Jahre hier kleben bleiben müssen.

Ich schilderte, wenn auch überzogen, meinen Tagesablauf:

Manches stimmte, manches nicht und manches nur bedingt:

Die Omi würde so laut schnarchen (stimmt ein kleines bißchen), würde ganz früh morgens das Radio einschalten, so daß man sich gezwungenermaßen erheben muß – und das sperrige Aufsteh- und Aufsattelungszeremoniell dauere 56 Minuten. (Stimmt ganz genau). Und jener Moment, kurz bevor man in sein Hochglanznutella-Brötchen beißt, sei so unerhört kostbar! (Das stimmte wiederum nicht, da ich mir das Nutella-Brötchen nur ausgemalt hab. In Wirklichkeit gibt´s bislang nur Honig und Marmelade.)

Ich kochte uns ein köstliches Nasi-Goreng.

Leider schaltete die Omi zum Mittagessen die „Vera“ ab, so daß man dieses Genußes beraubt dasitzen und löffeln mußte.

Erst als ich die Omi ins Bett gebracht hatte, konnte ich meine Sendung „Zwei bei Kalwass“ genießen:

Heute hatte eine Mutti ihre widerborstige Tochter vor den Psychokadi geschleift, da das unreife, dumme Ding unbedingt Moddl von Beruf werden wollte.

Die Tochter sagte: „Ich werde Moddl!“ und die Mutter sagte genau so unumstößlich: „Kommt nicht in die Tüte!“

Die Mutter war häßlich, und die Tochter war es ebenso, wenn auch mit gepirctem Bauchnabel verziert.

Ich würd ja lachen, wenn das tatsächlich mal ein weltberühmtes Moddl werden sollte.

Samstag, 6. April

Intensiv sonnig aber etwas kühl

Dadurch, daß der Bettbrung gestern Abend so nett war, wirkte die Omi viel frischer und fröher, als sie sich am Morgen anschickte, die mühsame Aufsattelung für den schönen Frühlingstag auf sich zu nehmen, zumal man es auch als alter Mensch spürt, ob man gern gepflegt wird, oder ob man der Schwiegertochter oder Enkelin nur mehr eine Last ist?

Bei Tisch meinte ich, daß ich wahrscheinlich eine schrecklich komplizierte Ehefrau würde.

„Das glaube ich auch!“ sagte die Omi, und diese Äußerung gefiel mir, weil sie stimmt.

In der Zeitung konnte man lesen, daß der eine Geiselgangster von Wrestedt erst vor vier Monaten geheiratet hat.

Ich fand es so überaus amüsierlich, daß man heiratet und bald darauf versucht, ein krummes Ding zu drehen, weil mich dieser Unternehmensgeist in variierter Form leicht an Buz erinnerte.

Ich knisterte mit der Zeitung herum.

Eine Überschrift war „Dieter & Verona“ gewidmet.

„Der Bohlen taugt nichts, und das Mädchen auch nicht“, sagte die Omi altersarrogant.

Am Nachmittag rang die Omi ihre gute Fee, die Frau Wyss an.

Bang wollte die Omi sich vergewissern, ob Frau Wyss nach der überstandenen Gallenoperation wohl noch für sie da sein würde, da sie keinen Bock verspürte, zum Onkel Hartmut nach Potsdam zu ziehen, und sich dort von einem unbekannten Altenpfleger umsorgen zu lassen, während der Onkel tagsüber auf der Arbeit wäre, und abends in der Oper säße.

Außerdem muß man natürlich davon ausgehen, daß dies der Onkel gestern nur aus einer sentimentalen Laune heraus angeboten hatte, weil er vielleicht ein paar Biere gekippt hat?

Über und über hörte man die Omi nun durch den Hörer sagen, wie froh sie sei, und die Freudengesänge schienen kein Ende mehr nehmen zu wollen, weil sie als langjährige Rentnerin vergessen hatte, daß andere in zwickendem Zeitkorsette zu stecken pflegen.

Sie dürfe den lieben Gott nun um nichts mehr bitten, weil er ihr schon so viel geschenkt habe, und doch hatte der liebe Gott noch eine weitere Freude für das kleine Großmütterchen parat: Wir erfuhren, daß eine „Frau Balling“ in Grebenstein ebenfalls die „Long-laif-prodakschns“ von Aloe vertreibt, weswegen ich doch vorgestern fast nach Kassel gefahren wäre.

(Damals war der Navigator noch nicht erfunden, so daß eine Reise zu einer unbekannten Adresse in der Großstadt eine Qual war)

Die zirka 33-jährige Frau Balling verspürte das regelrechte Bedürfnis mich zur Türe zu begleiten, und mir noch einige Freundlichkeiten mit auf den Weg zu geben, weil sie mir so dankbar war, daß ich ihr etwas abgekauft hatte.

Ihr zehnjähriger, leicht übergewichtiger Sohn Max sagte auf Art eines losen hessischen Biertischtypen: „Empfehlense uns weiter!“

„Ich erzähle reihum, daß die Queen Mum dieses Mittel immer genommen habe!“ versprach ich feierlich, „doch als der Vertreiber 14 Tage lang auf der Messe in Luxembourg war, und sie nicht mehr beliefern konnte, ist sie gestorben, und zerfiel auch augenblicklich zu Staub.“

Abends versuchten wir Rehlein in Ofenbach zur Rubinenen Hochzeit zu gratulieren, und die süße Omi sagte zu dem Computerfräulein, das immer sagt: „Nur acht Cent pro Minute!“ „Biddö??“

Leider war Rehlein nicht daheim. Die nächste runde Hochzeit, zu der man gratulieren könnte, wäre somit die Goldene am 6. 4. 2012 und vielleicht gibt´s ja auch dann ein Glückwunschtelefonat vom mittlerweile 99-jährigen Ömchen?

Sonntag, 7. April

Grebenstein – Wörth an der Donau

Wunderschön

Leider war uns das Klopapier ausgegangen. Eine Kleinigkeit zwar, doch die Omi wird durch dererlei immer ganz rappelig gestimmt, denn was, wenn Besuch käme? Da helfen im Grunde auch keine beschwichtigenden Gedanken solcherart, daß die Omi Mobbl in ihrem Alter schon seit drei Monaten unter der Erde lag.

So schrieb ich ein kleines Zettelchen für die Frau Wyss.