Was vorhaben muß man - Rolf Hochhuth - E-Book

Was vorhaben muß man E-Book

Rolf Hochhuth

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Beschreibung

«Umweltkritik», sagt Hochhuth, «hat in Deutschland nach dem Krieg, schon vor über sechzig Jahren, zuerst Adorno durch die ‹Minima Moralia› wieder aufleben lassen.» Doch Hochhuths Aphorismen gründen, anders als die Adornos, nicht auf Ethik – sie sind notwendigerweise eher amoralisch-erotisch, da sie Verhaltensforschung in den drei Lebensbereichen versuchen, die jeden Menschen formen: das Private, das Politisch-Historische und das Künstlerisch-Kulturelle. Tatsächlich hat Hochhuth, seit mit dem «Stellvertreter» die Frage in die Welt kam: Warum schwieg der Papst zum Holocaust?, und seit seine «Soldaten» die Frage umkreisten: Ermordete Churchill den polnischen Ministerpräsidenten Sikorski?, in allen weiteren Dramen und Komödien, auch oft in Essays und Gedichten sich diesen drei Themengruppen besonders verschrieben: Seine Aphorismen sind komprimierte, pointierte, doch auch ebenso detaillierte Skizzen zum Studium von menschlichen Beziehungen wie von Geschichte und Kunst. Sie sind eine Art Fazit seines Denkens, reine Essenz.

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Rolf Hochhuth

Was vorhaben muß man

Aphorismen

Mit einem Nachwort von Uta Ranke-Heinemann

Über dieses Buch

«Umweltkritik», sagt Hochhuth, «hat in Deutschland nach dem Krieg, schon vor über sechzig Jahren, zuerst Adorno durch die ‹Minima Moralia› wieder aufleben lassen.» Doch Hochhuths Aphorismen gründen, anders als die Adornos, nicht auf Ethik – sie sind notwendigerweise eher amoralisch-erotisch, da sie Verhaltensforschung in den drei Lebensbereichen versuchen, die jeden Menschen formen: das Private, das Politisch-Historische und das Künstlerisch-Kulturelle.

Tatsächlich hat Hochhuth, seit mit dem «Stellvertreter» die Frage in die Welt kam: Warum schwieg der Papst zum Holocaust?, und seit seine «Soldaten» die Frage umkreisten: Ermordete Churchill den polnischen Ministerpräsidenten Sikorski?, in allen weiteren Dramen und Komödien, auch oft in Essays und Gedichten sich diesen drei Themengruppen besonders verschrieben: Seine Aphorismen sind komprimierte, pointierte, doch auch ebenso detaillierte Skizzen zum Studium von menschlichen Beziehungen wie von Geschichte und Kunst. Sie sind eine Art Fazit seines Denkens, reine Essenz.

Vita

Rolf Hochhuth, geboren am 1. April 1933 in Eschwege, war Verlagslektor, als er 1959 während eines Rom-Aufenthalts sein erstes Drama «Der Stellvertreter» konzipierte, das, 1963 in Berlin von Erwin Piscator uraufgeführt, weltweites Aufsehen erregte. Hochhuth blickt auf ein umfangreiches dramatisches, essayistisches und lyrisches Werk zurück und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. Er lebt in Berlin.

«Was vorhaben muß man.»

Dieses Stimulans erhält mehr Gewicht, wenn seine praktische Nützlichkeit bewiesen wird; Fontane war schon sechzig, als er seinem Verleger schrieb: «Ich fange erst an. Nichts liegt hinter mir, alles vor mir.» Ob sein Vorsatz, mit sechzig das Wesentliche erst noch zu leisten, ihm geholfen hat, dazu tatsächlich alt genug zu werden? Und produktiv zu bleiben? Ich bin geneigt, das zu bejahen. Sein international Bekanntes: Effi Briest, schrieb er mit fünfundsiebzig …

Rolf Hochhuth

Privat

Adolph von Menzel, Verlassener Pflug

Wer nur normal, ist schon genormt.

 

Mit vierzehn konfirmiert, mit dreißig konformiert.

 

Der Mensch – der Irrationale: Seit wie vielen Jahrtausenden gibt es Gepäck, seit wie vielen Räder? Doch warum kam er erst 1970 Jahre nach Christus auf den banalsten aller Einfälle – zehn Jahre zuvor hatte ein Amerikaner bereits den Mond betreten! –, Gepäck und Räder zusammenzuspannen zum Ziehkoffer? Rätselhaft, das Simpelste, das Genialste – gleichzeitig!

Der Stänkerer am Tisch, der nie fehlt, widerspricht: «Gab doch Gepäckträger!» Da schon als Hausbesitzer geboren, kam ihm nie der Gedanke, daß höchstens 0,01 Promille sich je Gepäckträger leisten konnten. Was abermals die Einsicht von Marx belegt: «Unser gesellschaftliches Sein bestimmt unser Bewußtsein.» Der Schlüssel zu den Menschen!

 

Das elfte Gebot: Du sollst nicht schweigen!

 

Nur zwei Menschenarten: Die eine achtet Gesetze – die andre macht sie. Doch souverän sind nur jene Einzelgänger, die sich sagen: Würde man die Gesetze achten, bliebe einem keine Zeit, sie zu ignorieren. Und nicht darüber reden, sondern das stillschweigend tun.

 

Gerichte sind nicht sehr teuer – doch ruinös die Rechnungen der eigenen Anwälte.

 

Systematisiertes langweilt wie Lehrbücher. Leben, das mir diese Erfahrungen zutrug, hat auch kein System.

 

Um wie vieles erleichterter sind Freunde und Verwandte, müssen wir ihnen von unseren Mißerfolgen (oder denen unserer Kinder) berichten, als wenn sie sehen, wir sind vorübergehend im Glück.

 

Wo man sich am sichersten fühlt, ist man am verletzlichsten.

 

Frauen wollen alles! Sind sie auch meist gescheiter als Partner, in der Liebe sind sie absolutistisch. Da bekam er sie zwar im Handumdrehn, trotzdem redet sie sich ein, es sei denkbar, daß er ihretwegen sich von Frau und drei Kindern scheiden läßt … Während er sich natürlich längst im Illegalen behaglich eingerichtet hat. Wie möglich, daß gerade gescheite Frauen aberwitzig glauben können, was sie nur hoffen? Hundertmal haben sie beobachtet, daß ein Mann sich entweder sofort von seiner Familie trennt oder nie.

 

Das bißchen Selbstdisziplin, ab 23 Uhr zu schlafen und niemals solche Lektüre, die an die Tagesarbeit erinnert, mitzunehmen ins Bett, ist die Voraussetzung, daß sich das intelligente russische Sprichwort auch an uns als wahr erweist: «Der Morgen ist klüger als der Abend.» Thomas Mann sagte: «Vormittags, wenn ich meine Einfälle habe!»

 

Schade, daß man von den Müttern der Titanen – außer vom größten: Churchill – so wenig weiß. Es gab keinen extraordinären Mann ohne extraordinäre Mutter. Wie aufschlußreich, kennte man die Michelangelos! Schopenhauer, dank seiner bedeutenden Mutter, die er gehaßt hat, weil sie im Gegensatz zu ihm viele Leser fand, geht bis zur Vermutung, die Mutter vererbe den Intellekt, der Vater nur «den Willen», also den Trieb.

 

Sich in Häusliches einmischen gehört nicht zum Gastrecht.

 

Zufall – gibt es den? Benn hat mehrmals Balzac zitiert: «Es gibt Existenzen, in die greift der Zufall nicht ein.»

Aus seiner Sommerfrische schrieb am 16.9.1885 Fontane seiner Frau: «Anno 72 war das mein Hauptspaziergang und … die Stelle, wo ich das Einleitungsgedicht zu Havelland schrieb … Ja, das sind nun 13 Jahre. Was ist nach abermals 13 Jahren?» Dreizehn Jahre später starb Fontane: am 20.9.1898. Er hatte einen Brief an seine Frau geschrieben, sagte seiner Tochter, er bringe ihn zur Post, ging ins Schlafzimmer, seinen Mantel holen – kam nicht wieder; als die Tochter eintrat, lag Fontane, den Brief in der Hand, auf dem Bett, Mantel an, tot. Und wie beginnt der Brief? «Meine liebe Frau. Dies sind nun also die letzten Zeilen. Übermorgen kommst Du ja.» Ja, zu seiner Beerdigung.

 

Spätere Formulierungen desselben Tatbestands sind meist schwächer als die frühen. Wissen, das man jahrelang mit sich trägt, wird zu versöhnlich, zu beschwichtigend. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, im Nebenmann einen Schurken zu sehen, daß man’s ihm nicht mehr sagt; ja, es selbst verdrängt hat.

 

Nicht nur der Volksmund weiß: Inzucht – üblich bei allen Kleinstädtern, solange es keine Autos gab und ein Göttinger keinem Mädchen aus Kassel den Hof machen konnte, besaß er nicht ein Pferd – lasse die Töchter aus solchen Verbindungen ungeschädigt; die Söhne dagegen seien allemal vor Frauen willenlose Flaschen.

Muß ich leider bestätigen, da es auch mich betrifft. Väterlicherseits Großeltern: Vetter und Cousine 1. Grades. Mütterlicherseits: ein Urgroßvater Vetter der Urgroßmutter ersten Grades. Schon auf der ersten Seite seiner Erinnerungen, Geschichten eines alten Österreichers, bestätigt Fürst Clary-Aldringen, Hochzeiten unter nahen Verwandten hätten auch in seiner Familie alle Männer so untüchtig gemacht, daß kein Gatte, kein Sohn, kein Bruder nicht von Frau oder Mutter absolut beherrscht worden sei, lebenslänglich.

 

Oft sehen wir in Personen, in Dingen weniger sie als uns.

 

«Vergessen» Frauen etwas in unserem Bad? Oder wollen sie anderen signalisieren: Hier bade auch ich!

 

Geizige fragen den Gast, ob sie ihm was zu essen machen sollen.

 

Tennisspieler wissen, sie verderben den nächsten Schlag, wenn sie noch an den soeben mißlungenen denken. Mentales bringt nur Vorteile, wenn es nicht verunsichert, weil ablenkt.

 

Sich selbst und seine Nächsten kennt keiner, bevor er mit ihnen gemeinsam geerbt hat.

 

Wer den eigenen Weg geht, den kann niemand überholen.

 

Frauen sind instinktsicherer, intelligenter, die Arbeit ihrer Männer zu vermarkten, als die selbst; auch ehrgeiziger.

 

Verleihe nur so viel Geld, wie du verschenken willst.

 

Das Unmögliche angehn – um das Mögliche zu erreichen.

 

Existentiell, aufregen kann allein, was der Spiegel einer Bedrohung ist, die auch uns droht.

 

Wer noch Pläne hat, wohnt nicht mehr unter den Verlorenen.

 

Psychologen sind Menschen, die dank ihres Studiums und ihrer Praxis sich total dagegen immunisiert haben, sich selbst fragwürdig zu finden.

 

Wer auf die Knie fällt, fällt auch auf die Stirn.

 

Warum Reiseberichte ermüden, bald langweilen: Wir erfahren zu wenig über die Menschen, die dort «eingeborenen», die uns doch fast allein auch im Ausland interessieren, nicht aber welche Kirche oder Fabrik dort liegt, gemäß dem Goethe-Satz: «Das eigentliche Studium des Menschen ist der Mensch.»

 

Leopardinnen, belehrt mich einer der höchst eindrucksvollen Tierfilme, die sogar das Fernsehen rechtfertigen, verstoßen nach zwanzig Monaten ihre weiblichen Jungen, auch aus erotischer Rivalität: Was für ein lustiger Beleg für die längst fällige Komödie: Mütter und Töchter! Dazu auch Flake: «Um die Frauen zu kennen, muß man sie als Schwiegermütter erlebt haben.»

 

Die lohnendste Korruption ist die legalisierte, die man zum Beispiel Beratervertrag oder Prokura nennt. Auch die risikofreie.

 

In Familien geht alles verloren, nicht weil ein Erbe andere beklaut, sondern weil keiner interessiert ist an dem, was Vorhergehende hinterlassen haben: an Notizen, Fotos und allem Sonstigen, das nicht – wie wenigstens Antiquitäten – zu Geld zu machen ist.

 

Für Liebende gilt, was Karl Kraus den Journalisten nachsagt: Sie machen’s besser, wenn sie keine Zeit haben. Und wenn sie mit schlechtem Gewissen lieben.

 

Bachofens Essay, wonach die stärkste aller menschlichen Bindungen die – nicht erotisch ausgelebte – Geschwisterliebe bei den Serben sei, erweist sich dem als wahr, der mit Serben über Jahrzehnte gelebt hat; so ich mit meiner zweiten Frau und ihrem Bruder, dem Gynäkologen.

 

Nur der Dumme lernt aus Erfahrung; der Schlaue aus der Erfahrung anderer.

 

Kauf beim Erben, der weiß nie, was es gekostet hat – es interessiert ihn nämlich schon deshalb nicht, weil er sich befreien muß von dem, was seine Eltern ihm hinterlassen haben. Denn Dankesschuld ist – besonders dann, wenn sie sehr groß ist – die am eifrigsten verdrängte.

 

Nicht eine Geschichte, zum Beispiel eines Ehebruchs – sondern die Quintessenz vieler erzählen! So das Testergebnis italienischer Psychologen, die 400 untreue Männer interviewt haben: Jeder zweite hat eine Geliebte, um sich jünger zu fühlen. Vier von zehn haben «einfach» keine Freude mehr im Bett der eigenen Frau. Sechsunddreißig Prozent lassen sich von der Freundin lieber bekochen als daheim; Spaghetti alle vongole, also Venusmuscheln, ist das beliebteste Sex-Essen. Jeder zweite hat Schuldgefühle, die er abbaut, indem er als jetzt besonders zuvorkommender Ehegatte öfter zu Hause ist, um in der Küche zu helfen und mit Kindern und Frau etwa Ausflüge häufiger zu machen als früher; Ehen mit freiem, wenn auch geheimgehaltenem Ausgang werden viel seltener geschieden als andere. Wann testet jemand 400 untreue Frauen?

 

Nützlich, beschimpft zu werden: Nur so finden wir heraus, was der andere noch nicht von uns weiß.

 

Interessant wird das Leben, sobald der Mensch denkt oder tut, was, wie Spießer sagen, «sich nicht gehört».

 

Psychotherapeuten sind Menschen ohne Selbstironie. Wie gut begreift man Canetti: «Wäre ich Freud, ich liefe mir davon!»

 

Das Sprichwort der Chinesen: «Ist das Haus fertig, kommt der Tod», ergänzen Deutsche durch die ebenso häufige Lebenserfahrung: Nach jedem Umzug kommt einer oder – geht.

 

Warum gehen in Restaurants Frauen meist zu zweit aufs Klo? Um drei Klagen über ihre Männer loszuwerden?

 

Das Amt macht den Menschen – daher der Unterschied zwischen Weibchen und Männchen bei weitem nicht so bedeutungsvoll ist wie die Tatsache, ob man ein Amt hat oder keines.

 

Wer mit der Stirn arbeitet, entspannt nicht in Einsamkeit, sondern mit Gästen von weither, auf Reisen, mit neuen Leuten, in fremden Städten und Freunden aus ganz anderen Berufen.

 

Frauen, die Bier mit uns trinken, sind die wahren Kumpel.

 

Als ich einen Freund fragte, wie’s dem pensionierten Soundso gehe, antwortete er: «Nun ist er wirklich alt, als ich ihn neulich traf, sprach er nur noch von seinen Ärzten.»

 

Kommen Damen zu Jahren, werden sie Diakonissinnen ihrer Männchen: Mann ist ohnehin ein Synonym für Pflegefall, einer der zwei Gründe, warum immerhin fünf (!) von zehn Ehen halten. Der zweite Grund: Weil nicht der Geschlechts-, sondern der Fürsorgetrieb der stärkste ist, wenigstens bei allen über vierzig, übrigens gleich stark in Frauen wie Männern. Für andere zu sorgen gibt wie nichts anderes dem Leben Sinn – dieser Trieb ist also auch egoistisch, was aber sein Ethos nicht herabsetzt. Das Defizit Freuds, den Geschlechtstrieb als den angeblich stärksten verkannt zu haben! Der Fürsorgetrieb ist der stärkere, weil er auf Dauer – nicht nur auf begrenzte Zeit – Macht gibt: Wen ich bemuttere, bevatere, den beherrsche ich auch. Natürlich ist die Angst, allein zu sein, der haltbarste Eheleim. Sehr Alte verlieren sogar den Selbsterhaltungstrieb, wenn gestorben ist, für wen sie sorgten, ob Mensch oder Katze.

 

Ekel schüttelt Frauen, erwähnen sie Frauen, in denen sie auch nur potentiell Rivalinnen sehen: Klassische Komödien-Monologe, vor allem, weil die Rivalität meist eine nur eingebildete ist. Männer reden genauso mörderisch dumm über Berufsrivalen.

 

Arme Ausländer, die Deutsch lernen müssen, das heißt begreifen sollen, daß wir Kosten Unkosten nennen! Und aus Wohnung und Haft ein Wort machen: «wohnhaft». Was hat denn Haft mit Wohnen zu tun?

 

Brauchen Söhne Geld, erinnern sie sich der Telefonnummer sogar ihres Vaters.

 

Was ist das Leben, wenn bei der Nachricht vom so überraschenden wie schmerzlosen Tod eines Menschen zuerst nicht Trauer vorherrscht, auch nicht das Bedauern: Ach, und noch so jung!, sondern Erleichterung, daß es für ihn unmerklich zu Ende ging?

 

Wir überschätzen als zeitlos, was um so rascher kein Thema mehr ist, je ernsthafter wir Mitläufer des Zeitgeistes waren! Nietzsche glaubte, er beschreibe ewig Gültiges, wenn er, nur ein Beispiel, «weibliche Keuschheit» als eine generelle mißverstand, da sie doch in seinem Viktorianischen Zeitalter und dessen terroristischem Puritanismus – als Reaktion auf das sittlich freie 18. Jahrhundert – nur eine den Frauen aufgezwungene war! Doch schon 70 Jahre nach Nietzsches Tod schlug für alle Frauen die Stunde ihrer erotischen Freiheit durch die Pille. Das nur gesellschaftlich statt generell Bedingte wechselt meist nach einer Generation; so wurden die Emanzipationsdramen Ibsens überflüssig!

 

Vorsicht: Größe und Böse sind «reine» Reime! Logischerweise auch: Geburt – absurd.

 

Die Fahrten bejahen, die man fahren muß. Im Sinne der Maxime Churchills, nicht zu tun, was man liebt, sondern zu lieben, was zu tun ist. Es bringt keine Einsicht, es lähmt und verlangsamt, sich zu sträuben oder auch nur innerlich aufzulehnen gegen das uns Auferlegte.

 

Ungestraft wird keiner alt.

 

Warum sind Menschen enttäuscht, wenn niemand ihnen zutraut, verbotene Wege zu gehen, obgleich sie mit großer Umsicht geheimhalten, daß sie die gehen?

 

Wenn der Geist nicht mehr nur das ist, was er tut, wie Hegel fordert, dann denaturiert er zum Stänkerer.

 

Mindestens den Männern erspart ja das Alter nie die Beschämung – und die damit verbundene Komik. Warum sonst macht die Bibel aktenkundig, daß König David, als ihm ein Teenager ins Bett gelegt wurde, damit er warm werde, die Sechzehnjährige nicht mehr «erkennen» konnte?

 

Sie benutzt seine Dienstreise, die hundertjährige Tanne vor dem Haus, den einzigen Schmuck des Grundstücks, abhacken zu lassen. Sie bereut es, sobald sie den leer-verwaisten Vorgarten und die nun bei Sonnenhitze geradezu unbrauchbaren Fenster seines Arbeitszimmers sieht. Vorsichtshalber beichtet sie ihm schon am Telefon, denn sie weiß jetzt, was sie ihm antat – sofern sie nicht sogar die Tanne weghacken ließ, weil sie das wußte! Er schreit in den Hörer: «Ja, die Tanne war krank und machte Schmutz! Ich etwa nicht?»

Als er’s in rabiater Wut fassungslos einer Freundin erzählt, sagt die mit Genugtuung lakonisch: «Und mit der willst du alt werden?»

 

Viel und gut – nie unterm gleichen Hut!

 

«Um zu …» Neulich in der Erzählung eines sonst gescheiten Stilisten der absurde Satz: «Er wurde nicht von den Nazis hingerichtet, dafür von den Amerikanern verhaftet!» Dieses «dafür», das Unzusammenhängendes ohne jeden Sinn miteinander verkoppelt, ist eine Sprachfalle, in die viele hineintappen. Ebenso die zweimal zwei Buchstaben: «um zu». Deutsche schreiben: Er überlebte die Entgleisung des Zuges, um zwei Jahre später an Aids zu erkranken. Nein, er überlebte das Zugunglück, um weiterzuleben. Doch machen wir diese zwei Sprachfehler deshalb so häufig, weil wir im geheimen wünschen, eines habe doch mit dem anderen zu tun! Denn wir sehnen uns nach Kausalität, weil wir unwürdig finden, daß nur Zufälligkeiten unser Leben bestimmen. Wir möchten, jeder einzelne von uns, ein Schicksal haben, eine Vorbestimmung. Je gefährdeter der Mensch, je drängender seine Sehnsucht nach Kausalität. Eine alte Ärztin erzählte, je schlimmer die diagnostizierte Krankheit, je häufiger die meist gänzlich unbeantwortbare Frage des Patienten: «Wieso, Frau Doktor, kriege ausgerechnet ich dies?»

 

Meinen Söhnen ins Stammbuch, aus dem klügsten Buch, das ich kenne, aus Gracians Handorakel: «Wissen ohne Mut ist unfruchtbar.» Schopenhauer hat diesen spanischen Mönch übersetzt. Auch dies können die Söhne hier lernen, die das ja niemals glauben würden, sagte ihnen das nur ihr Vater: daß Hartnäckigkeit nach Mut die zweithöchste aller Tugenden ist! Schopenhauers Meisterübersetzung lag 33 (!) Jahre bei seinem Verleger Brockhaus, ohne daß sie gedruckt wurde … Resigniert hatte Schopenhauer sie dort liegen lassen: Resignieren darf man aber erst in der Sterbestunde. Schopenhauer hätte sie weiterhin anbieten müssen; denn es war nur Zufall, daß sein getreuer Apostel Frauenstädt zwei Jahre nach Schopenhauers Tod sie wieder auffinden und sie endlich ans Licht und zum Druck bringen konnte.

 

Fraglich, ob es hemmt oder beflügelt, von seinen Vorfahren viel zu wissen. Es kann keine Familie geben, die nicht auch Gescheiterte zu verzeichnen hat. Interessant ist Goethes Resümee: «Wenn Familien sich lange erhalten, so kann man bemerken, daß die Natur endlich ein Individuum hervorbringt, das die Eigenschaften seiner sämtlichen Ahnherren in sich begreift und alle bisher vereinzelten und angedeuteten Anlagen vereinigt und vollkommen ausspricht.» Goethe hat vergessen hinzuzusetzen: manchmal.

 

Macht und Wissen lähmen speziell den Verstand gerade der gerühmtesten Repräsentanten jeder Epoche. Je exemplarischer einer dem Zeitgefühl entsprach und sich auch deshalb so lange an der Macht hielt, weil er als solcher Repräsentant war, desto umgebungsblinder war er auch die Kreatur dieser Zeit. Viel Geist ist nur zu haben um den Preis, auch von der Geisteskrankheit seiner Epoche befallen zu sein; jede Epoche hat ihre spezifisch geistlähmenden Epidemien, im Sinne der erschreckendsten aller Einsichten Nietzsches: «Der Irrsinn ist bei Einzelnen selten, doch in Völkern und Zeitaltern die Regel!»

 

«Meine Großmutter kam (aber!) noch nach Theresienstadt», reden sich selbst sehr kluge Juden ein, wie die Autorin Hilde Spiel, weil sie die Wahrheit, die sie natürlich seit Jahrzehnten wissen, nicht aushalten: daß Theresienstadt nur eine Durchgangsstation nach Auschwitz war. Sein Tarnwort.

 

Der erste Blick der richtige: Ein dir nicht sofort Sympathischer wird nie dein Freund; oft geheim dein Widersacher.

 

Die Natur, gänzlich unbesorgt ums Wohl des Individuums, arbeitet zynisch auf Ausgleich: Schöne lassen sich von Unschönen heiraten, Untüchtige finden Tüchtige, die sie lebensmöglich machen. Ich traf nie einen Versager, der so blöd gewesen wäre, nicht wenigstens die Frau zu finden, die ihn anständig ernährte. Untüchtige sagen sich: Für einen armen Vater kann niemand etwas; doch einen armen Schwiegervater lädt nur ein Esel sich auf! Und ist dann auch so «tüchtig», reich zu heiraten; nimmt sogar zu einem guten Stück Brot ein schlechtes Stück Fleisch in Kauf.

 

Ich beschwere mich sagt, wer sich erleichtern will. Statistiker-Unfug: «Erheblich gesenkt»!

 

Gattenwahl – das Grundgeheimnis: Gemeint ist nicht der Zugriff auf Partner, mit denen jemand eine Weile schlafen will, sondern der Vorsatz der Fortpflanzung. Nichts bleibt so unergründlich wie die Frage, warum dieser Mensch der unsrer Wahl ist. Wovon am meisten abhängt, davon wissen wir am wenigsten! Ja, hinsichtlich des Elementarsten ist unser Urteil das getrübteste: durch Liebe.

 

Viele Frauen weinten, sooft in der Kirche eine Priesterweihe stattfand. War ein Junge aus dem Städtchen Priester geworden, so wurde das eigens in der einzigen katholischen Kirche gefeiert. Daß auch Männer weinten, hörte ich nie; vielleicht beneideten sie den, der auch fortan vögeln konnte, ohne daß eine Frau ihn mit der Ehe bedrohte.

Es kann nicht überraschen, in der Süddeutschen zu lesen: «St. Gallen. Bereits 45000 Unterschriften hat eine Aktionsgruppe für ihren ‹Herdenbrief der Katholiken an ihren Hirten› gesammelt, in dem die Abschaffung des Pflichtzölibats ebenso gefordert wird wie, Frauen endlich zum Priesteramt zuzulassen …»

Ein weiterer Aspekt spricht gegen das Zölibat: Die Genie-Forscher Lange-Eichbaum und Kretschmer führten den Nachweis, daß weitaus die meisten deutschen Genies Pfarrerfamilien entstammen. Gottfried Benn hat das als Nachkomme dreier und Bruder eines Pfarrers oft stolz zitiert: Hausmusik, alte Sprachen, Predigen lernen, diese Disziplinen, generationenlang eingedrillt, sind offenbar ein besonders günstiger Nährboden. Und wären das in katholischen Pfarrhäusern natürlich ebenso … Aber da nur ein Papst den naturwidrigen Terror des Zölibats abschaffen könnte – doch Papst wird einer erst dann, ist er schon so alt, daß ihm selber das Menschlichste zeitlebens «untersagt» war –, erlaubt keiner die Abschaffung des Zölibats; denn es hat ja auch ihm das Leben versaut.

 

Menschen können leichter mehreren als nur einem erotisch treu sein. Treue zu mehreren ist dem schmerzlich, der sie nicht praktiziert; doch haltbarer: ein Sicherheitsventil.

 

Alle in Zweigespannen freuen sich, behaupten aber pflichtgemäß das Gegenteil, wenn die/der andere mal verreist.

 

Was einer wegläßt – aufschlußreicher, als was er erwähnt.

 

Der Spießer ist wie mein Computer: Schreibe ich statt «ss» als altmodischer Mensch noch «ß», korrigiert er das.

 

Treu wie nur Tote.

 

Regelmäßig: Niemand geht diesem Wort auf den Grund, das eine Warnung ist, nur zu tun, zu denken, zu machen, was der Regel entspricht, da das immer nur mäßig