Wasservolk - Der Bastard Prinz - Blieberger Renate - E-Book

Wasservolk - Der Bastard Prinz E-Book

Blieberger Renate

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Beschreibung

Ein romantischer Fantasy-Roman für Erwachsene Ihr Umzug nach Port Hope ist für Lexa vor allem eine Flucht vor ihrer kaputten Beziehung. Aus diesem Grund Männern gegenüber misstrauisch will sie deshalb von der Liebe erst mal nichts wissen. Als jedoch der rätselhafte Nikos sie vor dem Ertrinken rettet, bringt er ihre Gefühle mehr durcheinander, als ihr lieb ist. Aus einem verborgenen Wasservolk stammend, führt der von seinen Leuten zu Unrecht verbannte Nikos eine einsame Existenz am Rande der menschlichen Gesellschaft. Als er sich in Lexa verliebt, beschließt er um eine gemeinsame Zukunft zu kämpfen. Dabei bereits von dem Geheimnis seiner wahren Natur und dem Misstrauen ihrer Freunde in Bedrängnis gebracht, holt ihn auch noch seine Vergangenheit in Form eines Attentäters ein.

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WASSERVOLK

Der Bastard

Prinz

von

Renate Blieberger

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

Epilog 

 

1. Kapitel

Lexa schlenderte gemütlich den Kiesstrand entlang und sog genussvoll die frische Meeresluft in ihre Lungen, während das Rauschen der Brandung wie eine beruhigende Melodie ihre Seele streichelte. Lediglich das Kreischen der Möwen und das laute Bellen ihres Hundes störten die Harmonie aber diese Geräusche fügten sich nahtlos in die unberührte Natur ein.

Das Angebot ihrer Schulfreundin Tina anzunehmen und nach Port Hope zu ziehen war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Ihr Umzug hatte sie nicht nur aus einer mehr als üblen Lage befreit, sondern sie auch an eines der schönsten Fleckchen auf diesem Planeten geführt. Der kleine Ort Port Hope lag an der schottischen Westküste weit oben in den Highlands. Es gab keinen Smog, die Landschaft war traumhaft und als Krönung war ihr hier auch noch ihr Hund zugelaufen. Sie hatte den armen Kerl kurz nach ihrer Ankunft mit mehreren blutenden Wunden und halb verhungert auf einem ihrer Spaziergänge gefunden. Sie hatte ihn versorgt, aufgepäppelt und auf den Namen Streuner getauft. Der belgische Schäfer dankte es ihr mit einer unglaublichen Anhänglichkeit, die man bei den meisten Menschen vergeblich suchte. Der einzige Wehmutstropfen waren die Einwohner des verschlafenen Nests. Bei ihrer Ankunft hatten die seit Generationen ansässigen Einwohner von der Lowländerin absolut nichts wissen wollen. Zum Glück wurde es langsam besser, aber es würde vermutlich noch Jahre dauern, ehe man sie völlig akzeptiert hatte. So lange würde sie eben mit dem Zauber der Landschaft, der Freundschaft von Tina und ihrem Mann Stephen und der Liebe von Streuner vorlieb nehmen. Was eigentlich gar nicht so übel war, weil sie nach dem Desaster mit ihrem Ex ohnehin von Männern die Nase voll hatte.

Streuner lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich, indem er ein bedrohliches Knurren ausstieß und dann laut zu kläffen begann. Die Möwe, der sein Unmut galt, war davon offensichtlich nicht beeindruckt und zog weiter ihre Kreise über ihm. Lexa lachte: „Ach Streuner, die erwischt du doch nicht.“ Der Schäfer stieß ein jammervolles Winseln aus und sah sie treuherzig an. Sie schmunzelte: „Na schön, wir bleiben ein wenig, bis du es selbst einsiehst.“ Sie ließ sich auf dem Kies nieder und sah zu, wie Streuner laut bellend hinter der Möwe her rannte.

Nikos ertappte sich dabei, wie er den Atem anhielt, als der Wind in die langen kastanienroten Locken der Frau fuhr und sie wie eine Wolke aus roter Seide um ihr Gesicht wirbelte. Er hatte sie vor sechs Monaten zum ersten Mal gesehen und inzwischen war sie zu seiner Obsession geworden, oder besser gesagt zu einem schalen Ersatz für echte Gesellschaft. Aber selbst das war für einen Verbannten wie ihn ein kostbarer Schatz.

Seine Art lebte für gewöhnlich tief unter der Oberfläche am Meeresgrund und verbarg sich vor den Menschen. Seit man ihn verstoßen hatte, waren sie jedoch seine einzige Zuflucht, allerdings nur solange sie nichts von seinem Geheimnis ahnten. An Land wirkte er völlig menschlich, aber das Wasser enthüllte seine wahre Natur. Von den Menschen war seine Rasse längst ins Reich der Mythen und Legenden verbannt worden und sie hatten die Wahrheit immer mehr verdreht, bis die Geschichten kaum noch etwas mit der Realität zu tun hatten. Sobald sein Körper mit genügend Wasser in Berührung kam, entwickelte er Kiemen, bekam Schwimmhäute zwischen den Fingern und die Haut an seinen Beinen verwandelte sich in Schuppen, allerdings blieben es Beine, anstatt des Fischschwanzes, den man ihnen andichtete.

Mangels der Papiere, die er natürlich nicht hatte, spielte er den Menschen eine Amnesie vor und tat so, als ob er seine Vergangenheit nicht kennen würde. Die Leute hatten ihn widerwillig bleiben lassen und waren froh, dass er ihnen meist fernblieb. Er hatte sich in einer halb verfallenen Fischerhütte am Strand einquartiert, die er inzwischen gekauft hatte. Das nötige Geld dafür und für alles, was er sich selbst nicht besorgen konnte, verdiente er, indem er ins Meer tauchte und dort vom Grund für die Menschen wertvolle Dinge holte, die man ihm dann abkaufte. Sie mochten ihn nicht, aber sie duldeten ihn und damit hatte er gut leben können, bis diese unbekannte Schöne aufgetaucht war. Die meisten Leute hier waren Fischer oder Handwerker, die ihr Leben führten, ohne sich der Schönheit um sich herum bewusst zu sein, aber sie war anders. Jedes Mal wenn sie an den Strand kam, schien sie die Natur förmlich in sich aufzusaugen und behandelte sie mit Respekt. Das hatte ihn fasziniert, weil es ihn an die Ehrfurcht vor der Natur seines eigenen Volkes erinnerte. Er war ihr aus Neugier gefolgt und inzwischen waren ihre regelmäßigen Besuche für ihn wie warme Berührungen, die seine Einsamkeit linderten und ihn aus der emotionalen Starre weckten, in die er fern seiner Heimat verfallen war. Er kannte die Plätze, an denen sie immer Rast machte, die Stelle im Meer, wo sie an warmen Tagen bis zu den Knöcheln hinein watete und ihr warmes Lachen, mit dem sie ihren Hund bedachte, ebenso wie die Art, wie sie sanft durch sein Fell streichelte.

Nikos ertappte sich dabei, wie er sich an die Stelle des Tieres wünschte. Aber das war reines Wunschdenken. Egal wie sehr sie die Natur lieben mochte, ein Wesen wie ihn würde sie als Monster verabscheuen. So waren die Menschen eben. Es war besser, sie aus der Ferne zu bewundern und sich an seine Träume zu klammern, als wieder zurückgewiesen zu werden. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie ihre Hand sich auf seiner Haut anfühlen würde, als er plötzlich ein qualvolles Jaulen hörte. Er riss die Augen auf und sah gerade noch die Frau ins Wasser rennen, und zwar genau an der Stelle, wo unter der scheinbar ruhigen Oberfläche eine heimtückische Strömung lauerte, die einen Schwimmer unerbittlich zu den Felsen zog. Er sprang mit einem Fluch auf und rannte ihr hinterher.

Streuners qualvolles Winseln im Ohr rannte Lexa ins Meer. Das Wasser war kalt und ihre Stoffturnschuhe sogen sich voll, aber sie fühlte es kaum, weil die grauenvolle Angst in ihr sie für alles andere taub machte. Streuner war ihr ein und alles. Sie würde es nicht ertragen, ihn zu verlieren. Sie schrie: „Ich komme Streuner, halte durch.“ Der Schäfer antwortete mit einem kläglichen Jaulen und versuchte zu ihr zu paddeln, schaffte es aber nicht. War er so schwer verletzt? Der Gedanke krampfte ihr Herz zusammen. Sie warf sich nach vorne ins Wasser und schwamm mit aller Kraft auf ihn zu, bis sie plötzlich von einem starken Sog erfasst und direkt auf Streuner zugetrieben wurde. Sie versuchte aus dem Sog auszubrechen, hatte aber genauso wenig Erfolg wie ihr Hund, der einige Meter vor ihr von der Strömung auf die Felsen zugetrieben wurde. Instinktiv brüllte sie: „Hilfe“, wusste aber zugleich, dass es vergeblich war. Niemand würde sie hören, weil die Fischer um diese Tageszeit bereits viel zu weit vom Strand entfernt waren. Sie sah einige aus dem Wasser ragende Felsen auf sich zukommen und griff danach, um sich festzuhalten. Wie um sie zu verhöhnen, wurde sie in genau diesem Moment von einer Welle hochgehoben und hart gegen den Stein geschleudert. Ein scharfer Schmerz schoss durch ihre Schulter. Sie keuchte auf und bekam sofort einen Schwall Salzwasser in den Mund. Während sie es hustend wieder ausspuckte, wurde sie plötzlich von hinten gepackt. Sie schrie vor Panik auf und riss sich los, jedoch nur um diesmal mit dem Kopf gegen den Stein zu prallen. Der Schmerz explodierte an ihrer Stirn und im nächsten Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen.

Ihr Manöver hatte ihn überrascht. Er griff hastig nach ihr und erwischte sie gerade noch, ehe sie untergehen konnte. Als er sie packte, knurrte der Hund trotz seiner eigenen Notlage. Was für ein treues Tier. Nikos Volk achtete die Natur nicht nur, sie waren auch enger mit ihr verbunden als die Menschen. So vermochten sie sich unter anderem mit den Tieren zu unterhalten, wenn sie ihren Geist mit ihnen verbanden. Er griff nach dem Geist des Hundes und versuchte ihn zu beruhigen: „Ganz ruhig, ich will ihr nur helfen und dir auch.“ Er hob die Frau auf den Felsen und glitt in der Strömung auf den Hund zu. Wenn er seine geschuppten Beine zusammenlegte, wirkten sie tatsächlich fast wie ein Fischschwanz und so erreichte er das strampelnde Tier, ehe es gegen die Klippen prallte. Er redete in Gedanken sanft auf das Tier ein: „Ich werde dich jetzt packen, erschrecke nicht.“ Das Tier ließ sich ohne Probleme abfangen und an Land tragen. Er sprang wieder ins Wasser und holte nun auch die Frau.

Er legte sie vorsichtig im Kies des Strandes ab und untersuchte sie behutsam. Sie atmete und ihr Herz schlug, aber ihre Stirn blutete und sie war totenblass. Er zog sein Shirt über den Kopf und drückte es gegen die Wunde. Der Hund hatte sich neben sie gelegt und beobachtete die Frau ängstlich. Nikos rang mit sich. Würde er mehr Schaden anrichten, wenn er sie bis in die Stadt trug, oder wenn er sie hier eine halbe Stunde allein liegen ließ? Was wenn sie sterben sollte? Der Gedanke drückte ihm die Luft ab. Sie ahnte nichts von ihm, aber für ihn war sie so etwas wie eine Rettungsleine geworden, die ihn davor bewahrte vor Einsamkeit in den Wahnsinn abzugleiten. Er wollte nicht wieder ohne sie vor sich hin vegetieren. Er flehte: „Lass mich nicht allein.“

Lexa hatte das Gefühl durch eine schwarze zähe Masse zu treiben, als plötzlich eine heisere Männerstimme an ihr Ohr drang: „Lass mich nicht allein.“ Träumte sie? Sie quälte ihre Lider nach oben und sah in die unglaublichsten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Sie waren von einem intensiven Türkis und schienen vor Qual zu flackern. Sie blinzelte, weil sie ihren Sinnen nicht traute. Der Mann kommandierte: „Bleib wach.“ Bei den lauten Worten explodierte der Schmerz in ihrem Kopf und die Erinnerung kam zurück. Sie war mit der Stirn gegen den Stein geprallt, ehe sie Streuner erreicht hatte. Sie keuchte: „Oh Gott Streuner“, und fuhr hoch, wurde jedoch sofort wieder energisch nach unten gedrückt.

Der Mann tadelte sie: „Bleib liegen, du hast einiges abbekommen.“

Sie versuchte seinen Griff abzuschütteln und protestierte: „Mein Hund war auch im Wasser. Ich muss ihn suchen.“

„Ich habe deinen Hund auch rausgeholt, er liegt links von dir und jetzt hör auf zu zappeln“, beruhigte er sie. Lexa drehte ihren Kopf und sah einen sichtlich erschöpften und klatschnassen Streuner einen Meter neben sich am Boden liegen, seinen Blick ängstlich auf sie gerichtet.

Sie streckte zitternd eine Hand nach ihm aus und bemühte sich, ihn zu beruhigen: „Ist ja gut Streuner, wir hatten noch mal Glück.“ Der Hund stieß ein klägliches Winseln aus, robbte zu ihr und leckte ihr zärtlich über die Hand. Sie wandte sich wieder ihrem Retter zu und musterte ihn nun genauer. Seine Augen blieben türkis, wirkten jetzt aber viel gefasster. Sie saßen in einem kantigen, aber gut geschnittenen Männergesicht, das von schulterlangem tiefschwarzen Haar eingerahmt wurde und dessen Haut einen warmen Bronzeton hatte, der sich auch über die kräftigen Arme und den nackten gut modellierten Oberkörper zog. Das war ungewöhnlich für Schottland. War er ein Tourist? Sie krächzte: „Vielen Dank. Wir hatten wohl Glück, dass Sie außerhalb der Touristensaison hier sind.“

„Ich bin kein Tourist“, erwiderte er knapp. „Komm ich helfe dir hoch“, verbesserte sich dann aber rasch: „Verzeihung, ich helfe Ihnen hoch.“

Sie erwiderte zittrig: „In Anbetracht der Tatsache, dass Sie eben mein Leben gerettet haben, ist du völlig in Ordnung. Falls es recht ist?“

Nikos zog sie vorsichtig auf die Beine. Sie zitterte am ganzen Körper und schwankte ein wenig. Sie war fast einen Kopf kleiner als er und sehr schlank, wenn auch an den richtigen Stellen sehr verführerisch gerundet, wie ihm die nass an ihrem Körper klebende Kleidung nur allzu deutlich zeigte. Er schalt sich selbst, weil ihm das in dieser Situation überhaupt auffiel, und lenkte seine Gedanken auf ihre Notlage zurück. Sie wog sicherlich nicht viel. Er erwog sie hochzuheben und zum Arzt zu tragen, hatte aber Angst, sie damit zu ängstigen. Ehe er zu einem Entschluss gelangt war, sagte sie verlegen: „Ich bitte Sie nicht gerne darum, aber ich fürchte ich schaffe es nicht allein bis nach Hause.“

Er korrigierte sie: „Wenn ich dich duze, tust du das gefälligst auch, außerdem solltest du nicht nach Hause, sondern zu einem Arzt.“

Die Frau antwortete mit klappernden Zähnen: „Der Arzt ist bei mir zu Hause. Ich wohne bei Doktor MacTheron. Ich bin die neue Ärztin in seiner Praxis. Ich heiße Lexa Ellings. Wie heißt du?“

„Nikos“, antwortete er nur gespielt ruhig. Jetzt hatte seine Obsession einen Namen. Würde er noch mehr von ihr erfahren, aber vor allem würde es ihm gefallen oder würde seine Illusion von ihr platzen?

„Nikos und wie weiter?, hakte sie nach. Obwohl ihre Hand sich an ihn klammerte und ihre Beine immer noch zitterten, hatte ihre Stimme einen resoluten Klang angenommen. Hatte ihr niemand von ihm erzählt?

Er erwiderte herausfordernd: „Doe, mein Name ist Nikos Doe.“

Sie schien kurz zu überlegen, antwortete dann aber nur ernst: „Nun Nikos Doe, ich schulde dir Dank.“

„Keine Ursache“, wehrte er ab. „Bringen wir dich lieber zum Arzt und vor allem zu trockener Kleidung, ehe du dir noch den Tod holst.“

„Du bist auch nass“, merkte sie an.

„Ich bin da nicht so heikel“, erwiderte er schulterzuckend und drängte sie zurück zur Stadt. Die Art wie ihre lebhaften grünen Augen versuchten, in ihm zu lesen, beunruhigte ihn nämlich. So aufregend es auch war, ihr endlich wirklich nahe zu sein, musste er dennoch sein Geheimnis bewahren.

2. Kapitel

Am nächsten Morgen

„Geht es wieder?“, fragte Tina, während sie Lexa über den Tisch hinweg besorgt musterte. Die Arme hatte einen riesigen Schreck bekommen, als Lexa am Vortag klatschnass und mit blutiger Stirn ins Haus getaumelt war. Die resolute Arztfrau hatte Lexa sofort ins Bett verfrachtet und ihren Mann von seinem Pubbesuch nach Hause beordert. Der hatte Lexa untersucht und festgestellt, dass sie außer einer dicken Beule und der Platzwunde keine Schäden davongetragen hatte. Allerdings hatte ihn das nicht davon abgehalten, ihr ein paar Tage Zwangsurlaub zu verordnen.

Lexa seufzte: „Geht schon wieder. Tut mir leid, euch solchen Ärger zu machen. Vor allem nach allem, was ihr für mich getan habt.“ Tina hatte ihr nicht nur die Stelle in der Praxis ihres Mannes vermittelt, sondern sie gleich auch noch bei sich zu Hause einquartiert.

Tina winkte ab: „Ach was. So hatte Stephen wenigstens eine gute Ausrede sich vor der politischen Diskussion zu drücken. Du weißt doch, wie sehr er Politik hasst.“ Lexa rührte gedankenverloren in ihrem Porridge, während ihre Gedanken den vergangenen Tag Revue passieren ließen. Streuner war mit einer Schnittwunde an der rechten Hinterpfote und einem gehörigen Schreck davongekommen und sie selbst würde auch bald nichts mehr von der Beinahekatastrophe spüren. Das hatten sie ganz allein dem geheimnisvollen Nikos zu verdanken. Aber so dankbar sie ihm auch war, der Mann war ihr ein Rätsel. Sie hatte ihn im vergangenen halben Jahr noch nie im Ort gesehen und auch gestern war er blitzartig verschwunden, sobald Tina die Tür geöffnet hatte. Lexa hatte nicht mal die Gelegenheit gefunden, sich noch mal zu bedanken.

Sie fragte: „Was weißt du eigentlich über diesen Nikos Doe?“

Ein Grinsen erschien auf Tinas Lippen. „Wenn es einen Schlag auf den Kopf gebraucht hat, um dich endlich wieder auf einen Mann aufmerksam zu machen, hätte das besser schon vor Monaten passieren sollen.“

Lexa hob abwehrend die Hände. „Darum geht es nicht. Ich bin nur neugierig. Wieso habe ich ihn noch nie in der Stadt gesehen oder überhaupt von ihm gehört und was soll dieser merkwürdige Name?“

Ihre Freundin lehnte sich gegen die Küchentheke, verschränkte die Arme vor der Brust und tadelte sie: „Lenk nicht ab. Dir ist sicher aufgefallen, wie gut er aussieht. Er ...“

Lexa unterbrach sie hastig: „Ich habe im Moment wirklich kein Interesse an Männern.“

Tina seufzte: „Ach Süße, nicht alle Männer sind solche Schweine wie dein Ex. Du kannst doch nicht den Rest deines Lebens nur mit einem Hund verbringen.“ Lexa biss hart die Zähne aufeinander, als Tinas Worte wieder mal die Erinnerungen an die unglaubliche Demütigung zurückbrachten, die der besagte Ex ihr zugefügt hatte. Sie war mit einem ihrer Kollegen aus dem städtischen Krankenhaus in Glasgow verlobt gewesen. Mit seinem guten Aussehen, der charmanten Art und der vielversprechenden Karriere war er ihr wie ein echter Traumprinz erschienen. Aber der Traum hatte sich in einen Albtraum verwandelt, als sie ihn in einem der Bereitschaftszimmer mit einer der Krankenschwestern im Bett erwischt hatte. Als ob das nicht übel genug gewesen wäre, hatte sich danach binnen kürzester Zeit das gesamte Krankenhaus hinter ihrem Rücken das Maul zerrissen. Schlussendlich war sie nervlich so am Ende gewesen, dass sie es nicht mehr geschafft hatte, zur Arbeit zu gehen.

Sie knurrte: „Im Moment ist die Vorstellung unglaublich verlockend.“

Tina widersprach: „Aber es ist nicht gut für dich. Außerdem sollst du ihn ja nicht gleich heiraten. Dazu ist der Gute entschieden zu merkwürdig. Aber so als Probelauf, um wieder in den Sattel zu kommen, ist er perfekt geeignet. Lade ihn doch als Dank für deine Rettung zum Essen ein und schau, was passiert. Wenn du erst mal diesen Komplex los bist, den dir dieser Kotzbrocken von einem Ex verpasst hat, kannst du dir ja einen geeigneteren Kandidaten suchen.“

Lexa schnaubte: „Weil ich hier als Fremde ja so beliebt bin.“

Tina winkte ab. „Das war doch nur am Anfang. Mich haben sie in den ersten Monaten doch auch wie ein Alien behandelt.“

Lexa erwiderte ironisch: „Mich nicht nur in den ersten Monaten.“

Tina belehrte sie: „Das liegt jetzt aber nur mehr an dir, weil du niemand an dich heran lässt. Die Typen haben längst entdeckt, was für ein toller Fang du wärst. Oder glaubst du, wir haben in den vergangenen Wochen so viele Männer im besten Alter mit irgendwelchen kleinen Wehwehchen in der Sprechstunde, weil die plötzlich alle so zimperlich sind?“

Lexa kapitulierte: „Schon gut. Ich will mich sowieso bei dem Mann bedanken. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Aber jetzt sag schon, was du über ihn weißt.“

Tina erzählte: „Er ist vor zwei Jahren eines Tages am Strand aufgetaucht. Er hatte keine Papiere und konnte sich an nichts außer seinem Vornamen erinnern. Die Fischer haben ihn zur Polizei gebracht. Man hat sein Bild durchs Internet gejagt, seine Fingerabdrücke genommen und sogar eine Sondersendung im Fernsehen gebracht, aber niemand kennt ihn. Es ist, als ob er aus dem Nichts aufgetaucht wäre. Schlussendlich hat der Bürgermeister ihm die alte halb verfallene Fischerhütte am Strand überlassen, weil er vor den Wahlen nicht wie ein Scheusal dastehen wollte. Doe haben sie seinem Namen angefügt, damit man ihm wenigstens irgendwelche Papiere ausstellen konnte. Er kommt nur selten in die Stadt, vermutlich, weil er spürt, dass er den Leuten unheimlich ist.“

Lexa spottete: „Wie war das mit den Leuten, die sich nach kurzer Zeit an Fremde gewöhnen?“

Tina verteidigte die Leute: „Das kannst du mit deinem Fall gar nicht vergleichen. Abgesehen von deiner Unart, jeden Mann zu ignorieren, versuchst du, dich zu integrieren. Von ihm kann man das nicht behaupten. Er ist ein richtiger Einsiedler.“

„Bist du dir sicher, dass ich mich allein mit ihm treffen soll?“, fragte Lexa schnippisch.

Tina drohte ihr spielerisch mit dem Finger. „Keine Ausreden, sonst verkupple ich dich mit einem der schmachtenden Patienten.“ Lexa stöhnte innerlich auf, weil so etwas Tina nämlich absolut zuzutrauen war.

„Dann lieber der Einsiedler. Sollte ich bis heute Abend nicht mehr auftauchen, schickst du aber einen Suchtrupp los“, scherzte sie.

Tina lachte: „Mach dir keine Sorgen Süße. Er ist merkwürdig, aber nicht kriminell. Zumindest hat er in den vergangenen zwei Jahren keinen Ärger mit der Polizei bekommen.“

„Wie beruhigend“, schnaubte Lexa und zog es vor, sich einen Löffel Porridge in den Mund zu schieben, ehe Tina sie noch zu weiteren Dummheiten erpressen konnte.

Für gewöhnlich schwamm und tauchte Nikos am späten Vormittag im Meer, weil dann niemand an den Strand kam, aber heute war er in seiner Hütte geblieben. Er hätte sich selbst belügen können, indem er allerlei Ausreden dafür erfunden hätte, aber das lag ihm nicht. Der einzige Grund, warum er wie ein Idiot in seiner Hütte hockte, war der Gedanke an Lexa. Er hatte sie am Vortag so schnell wie möglich verlassen, weil er den Menschen nicht zu nahe kommen durfte, aber sie war ihm einfach nicht aus dem Kopf gegangen. Es hatte sich so gut angefühlt mit ihr sprechen und sie zu berühren, selbst wenn es nur eine helfende Geste gewesen war. Ein kleiner unverbesserlicher Teil von ihm hoffte, dass sie ihn aufsuchen würde, um ihn besser kennenzulernen. Aber die verstrichenen Stunden hatten ihn inzwischen ernüchtert. Vermutlich würde sie ihm nur ein Dankschreiben schicken und sich wie alle anderen von dem Sonderling fernhalten. Der Gedanke schmerze mehr, als er zugeben wollte. Plötzlich klopfte es an die alte Holztür und er hörte ihre Stimme: „Nikos, bist du da? Hier ist Lexa.“ Er hatte Mühe, nicht zur Tür zu rennen.

Gespielt gelassen öffnete er und begrüßte sie: „Hallo. Was führt dich denn zu mir?“

Sie räusperte sich verlegen, hielt den Korb an ihrem Arm hoch und erklärte: „Ich dachte mir, ich bedanke mich mit einem Essen für meine Rettung.“ Seine Freude zerfiel zu einem Haufen Asche. Natürlich, sie wollte ihre Verpflichtung abzahlen, damit sie ihn ohne schlechtes Gewissen loswerden konnte.

Er schnappte: „Danke, aber ich kann mir den Inhalt meines Kühlschranks selbst leisten.“

Sie riss erschrocken die Augen auf, wich einen Schritt zurück und stotterte: „So hatte ich das nicht … so wollte ich nicht … ich ähm … ich hatte gedacht wir könnten … das Picknick war für uns beide gedacht.“ Sie brach ab und starrte ihn verunsichert an.

Er hakte nach: „Du willst den Inhalt dieses Korbes mit mir gemeinsam essen?“

Röte schoss in ihre Wangen. „Ich habe es für eine nette Idee gehalten, aber wenn du nicht … ich meine du musst nicht wenn du ….“ Jetzt kam er sich erst recht wie ein Trottel vor.

Er unterbrach sie verlegen: „Es tut mir leid. Ich hatte gedacht … vergiss es. Es wäre sehr nett mit dir zu essen. Falls du jetzt noch Lust dazu hast?“, fügte er fragend hinzu. Erleichtert sah er, wie sie sich entspannte.

Sogar ein kleines Lächeln erschien auf ihren rosigen Lippen. „Deshalb bin ich ja hier.“ Ein Knoten löste sich in ihm.

Er nahm ihr sanft den Korb aus der Hand und bot an: „Ich kenne ein traumhaftes Plätzchen am Strand.“

Eine Stunde später saßen sie auf einer Decke am Strand und sahen auf das Meer hinaus. Lexa durchbrach die Stille: „Falls das jetzt zu aufdringlich sein sollte, sag es einfach, aber ich bin neugierig. Warum habe ich dich noch nie in der Stadt gesehen?“

„Die Leute mögen mich nicht besonders“, erwiderte er neutral.

„Sie können ziemlich frostig sein“, stimmte sie zu. Waren diese Idioten denn alle blind? Welcher Mann hätte sich nicht in sie verliebt? Er war auf jeden Fall gerade dabei, es zu tun, so dämlich das in seiner Lage auch war. Er hätte sie schleunigst aus seinem Leben ekeln sollen, aber allein die Vorstellung fuhr wie ein Dolch durch sein Herz.

„Doch hoffentlich nicht zu dir?“, fragte er eisiger als ihm lieb war. Aber der Gedanke, dass man sie schlecht behandeln könnte, weckte das Bedürfnis in ihm, jemand dafür zu verprügeln.

Sie winkte ab: „Inzwischen geht es und ich habe ja Tina und Stephen. Tina kenne ich noch aus meiner Schulzeit. Sie ist wie ich aus Glasgow und hat bei ihrer Ankunft auch ihren Anteil vom Highlandermisstrauen abbekommen und das, obwohl sie sogar mit einem Highlander verheiratet ist. Sie hat mir den Job bei ihrem Mann vermittelt und sie haben mich in ihr Haus aufgenommen.“

„Wolltest du nichts Eigenes?“, hakte er nach.

Ihre Miene wurde düster. „Mein Aufbruch aus Glasgow war etwas überhastet, also fehlen mir die nötigen Ersparnisse dafür. Vielleicht in einem Jahr. Aber eigentlich hatte ich Fragen an dich. Tina hat mir erzählt du hättest dein Gedächtnis verloren. Kannst du dich denn an gar nichts erinnern?“ Wenn es nur so gewesen wäre. In Wahrheit brannte die Erinnerung an den Verrat seines Volkes wie Säure in seinem Inneren. Bis vor zwei Jahren hatte er als geachtetes Mitglied seiner Stadt in der Königswache gedient, aber dann war der König gestorben und dessen Witwe hatte ihn durch eine Intrige ins Exil getrieben. Es war weniger ihr Verrat, der ihn getroffen hatte, denn als Bastard ihres Gatten war er ihr schon jahrelang ein Dorn im Auge gewesen, sondern die Reaktion der Anderen. Trotz all seiner Verdienste an der Gemeinschaft hatten ihr, abgesehen von ein paar engen Freunden, alle einfach geglaubt und ihn davongejagt.

Aber all das konnte er ihr nicht erzählen, also log er: „Nur an meinen Vornamen.“

Ihre hübschen Züge verzogen sich mitfühlend. „Das muss schlimm sein. Sicher fragst du dich ständig, ob nicht irgendwo eine Familie auf dich wartet.“

Er zwang ein warmes Lächeln auf seine Lippen und widersprach: „Nein. Mein Leben ist jetzt hier und gerade eben habe ich das Glück die Gesellschaft einer wunderbaren Frau zu genießen. Aber was hat dich denn überhaupt dazu gebracht, von einer Großstadt in dieses verschlafene Nest zu ziehen? Ich nehme an, es war nicht die großzügige Bezahlung des guten Doktors.“ Plötzlich legte sich ein Schatten auf ihr Gesicht. Er versicherte hastig: „Das sollte nicht abwertend klingen.“

Sie erwiderte zögernd: „Die Bezahlung ist tatsächlich nicht besonders hoch, vor allem weil Stephen ja selbst nicht eben im Geld schwimmt. Es ist nur … ich habe außer mit Tina noch nie mit jemand darüber gesprochen.“ Der Schmerz in ihren Augen rief abermals seinen Beschützerinstinkt wach.

„Dann vergiss die Frage“, bot er sanft an.

Sie zögerte, antwortete dann aber leise: „Ich war nicht nur in Glasgow angestellt, sondern auch verlobt. Er hat mich betrogen, und zwar in dem Krankenhaus, in dem wir beide gearbeitet haben.“

„Mistkerl“, stieß Nikos wütend hervor.

„Danke“, schniefte sie, während sie sichtlich gegen die Tränen ankämpfte. „Ich habe es dann dort nicht mehr ausgehalten. Tinas Angebot war in dem Moment wie eine Rettungsleine. Deshalb bin ich hier.“

„Wirst du bleiben?“, fragte er ernst.

„Vermutlich schon. Warum fragst du?“ Es war verrückt und gefährlich, aber er konnte einfach nicht anders. Allein der Gedanke, sie nicht nur heimlich in seinem Leben zu haben, war unwiderstehlich. Er musste natürlich wegen seines Geheimnisses vorsichtig sein, aber das würde er schon irgendwie schaffen.

Er erwiderte fest: „Weil ich dich gerne wiedersehen würde.“

Lexa schluckte, um Zeit zu gewinnen. Wegen seines Schicksals hatte sie das Gefühl gehabt, dass er ihren Schmerz verstehen könnte und ihm von ihrem Elend zu erzählen hatte sich gut angefühlt, vor allem seine Bemerkung über ihren Ex. Aber sich kopfüber wieder in eine Beziehung zu stürzen wäre Wahnsinn.

Sie räusperte sich und antwortete zögernd: „Ich würde dich schon gerne wiedersehen, aber ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung“, sie verstummte und sah ihn fragend an. Aber diesmal gaben seine seltsamen Augen kein Gefühl preis.

Er lächelte nur: „Gut, ich könnte etwas Gesellschaft gebrauchen. Treffen wir uns morgen bei deinem Strandspaziergang?“

Sie versteifte sich und fragte misstrauisch: „Woher weißt du, dass ich morgen an den Strand will?“

Er wich verlegen ihrem Blick aus und gab dann zu: „Ich habe dich schon öfter am Strand gesehen. Wie geht es eigentlich deinem Hund?“, wechselte er das Thema. Lexa musterte ihn scharf. Hatte er sie beobachtet? Gleich darauf schimpfte sie sich selbst eine paranoide Idiotin. Immerhin lebte er am Strand. Warum hätte er ihre Spaziergänge nicht bemerken sollen? Tina hatte recht, sie brauchte wirklich dringend mehr menschliche Gesellschaft, ehe sie sich noch zu einem verschrobenen Sonderling entwickelte.

Sie zauberte ein nettes Lächeln auf ihre Lippen. „Streuner hat einen Schnitt in der Pfote und deswegen für ein paar Tage Hausarrest. Aber ich würde mich morgen gerne mit dir zu einem Spaziergang treffen. Wann wäre es dir recht?“

„Wann möchtest du denn?“, antwortete er mit einer Gegenfrage.

„Um neun, vor deiner Hütte?“, schlug sie vor.

„Ich werde da sein“, versprach er und schenkte ihr ein Lächeln, das ihren Entschluss, ihn nicht als Mann zu betrachten, ins Wanken brachte.

3. Kapitel

 

Lexa hatte Nikos nach dem Frühstück bei seiner Hütte abgeholt und mit ihm eine ausgedehnte Wanderung über den Strand unternommen. Er hatte ab und zu eine Erklärung zu einem Felsen, der Tiefe des Wassers oder einem der Meeresbewohner abgegeben, aber die meiste Zeit waren sie schweigend nebeneinander her geschlendert. Aber es war kein peinliches Schweigen gewesen, das man mit sinnlosem Geplapper füllte, um ihm zu entgehen, sondern eine Art seelischer Einklang. Wenn sie ihm einen Seitenblick zugeworfen hatte, war auf seinen Zügen dieselbe innere Ruhe zu sehen gewesen, die sie selbst immer beim Klang der Brandung verspürte. Sie hatte einfach das Gefühl, dass er sie ohne Worte verstand.

Ohne Vorwarnung blieb er plötzlich stehen und murmelte: „Ich möchte mich entschuldigen.“

„Wofür denn?“, fragte sie irritiert.

Er erklärte nur unwesentlich lauter: „Für mein Benehmen, als du gestern mit dem Korb bei meiner Hütte aufgetaucht bist. Ich habe mich wie ein Idiot aufgeführt. Aber nur weil ich dachte, dass du mich loswerden willst.“ Seine Stimme hatte gepresst geklungen, seine Hände waren tief in den Taschen seiner Jeans vergraben und er wich ihrem Blick aus, indem er scheinbar fasziniert auf den kiesigen Boden starrte. Seine attraktiven Züge waren angespannt und seine Schultern hatten sich abwehrend versteift, als ob er auf einen Schlag warten würde. Mitgefühl stieg in Lexa hoch, als sie begriff, warum er sich so benahm.

„Die Leute machen es dir wohl noch schwerer als mir und du hattest keine Rettungsleine, an der du dich festhalten konntest, nicht wahr?“, fragte sie sanft.

 

 

Zumindest in den letzten sechs Monaten hatte er eine gehabt, nämlich sie. Aber das konnte er ihr genauso wenig sagen wie die Wahrheit über seine Amnesie. Mit ihr über den Strand zu wandern und in vertrauter Zweisamkeit die Natur zu genießen fühlte sich so verflucht gut an, besser als alles in den vergangenen zwei Jahren, aber es verstärkte auch die Angst, sie wieder zu verlieren. Nikos hatte sich noch nie entschuldigt, von einem Krieger erwartete das in seiner alten Heimat niemand. Aber sie zu verlieren wäre schlimmer, als seinen Stolz anzukratzen, also hatte er sich zu dieser Entschuldigung durchgerungen. Er wich weiterhin ihrem Blick aus, weil er befürchtete, zu viel zu offenbaren und murmelte: „Stimmt. Deshalb befürchte ich auch, dass du jeden Moment zu Verstand kommen und wieder aus meinem Leben verschwinden wirst.“ Wenigstens das entsprach der Wahrheit.

„Weißt du, was du jetzt ganz dringend brauchst?“, fragte sie, plötzlich verdächtig fröhlich. Ein verdammtes Wunder lag ihm auf der Zunge, aber er unterdrückte den Impuls. „Du musst die Leute in der Stadt besser kennenlernen“, beantwortete sie ihre Frage selbst.

Sein Kopf fuhr hoch und er keuchte: „Nein.“

Sie widersprach: „Man hat mir vor Kurzem gesagt, dass ich die Leute von mir wegschiebe und darum Probleme habe, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Auf dich trifft das ohne Zweifel noch mehr zu. Du musst den Leuten die Gelegenheit geben, sich an dich zu gewöhnen.“ Er wollte gar nicht, dass sie sich an ihn gewöhnten. Im Gegensatz zu Lexa behandelten sie die Natur wie einen verdammen Selbstbedienungsladen und verdreckten sie auch noch, mal ganz davon abgesehen, dass sie ihn wie einen Aussätzigen behandelten, seit er hier angekommen war. Sie musste ihm seinen Abscheu wohl angesehen haben, denn sie fügte resolut hinzu: „Ach komm schon. So schlimm sind sie auch wieder nicht. Wir machen einen kleinen Bummel durch die Stadt. Ich bin auch die ganze Zeit über bei dir.“ Wunderbar, offenbar hielt sie ihn nun für einen Feigling.

Er knurrte: „Ich habe keine Angst, aber ich sehe nicht ein, warum ich ihnen hinterher kriechen soll.“

Sie seufzte: „Weil dir mehr Gesellschaft gut tun würde.“ Mehr von Lexas Gesellschaft würde ihm eindeutig sehr gut tun, aber das meinte sie ganz offensichtlich nicht, also presste er nur hart die Lippen aufeinander.

Sie stöhnte auf und schlug dann vor: „Also schön, kein Stadtbummel. Aber dafür kommst du heute Abend zum Abendessen bei Tina und ihrem Mann.“ Er hatte auch keine Lust, Tina und ihren Mann kennenzulernen, aber Lexas Blick sagte mehr als deutlich, wie wichtig es ihr war.

Er versuchte sich aus der Affaire zu ziehen: „Du kannst doch nicht einfach einen Gast einladen, den die Beiden sicher nicht in ihrem Haus haben wollen.“

Sie wischte seinen Einwand beiseite: „Glaub mir, zumindest Tina wird einen Freudensprung machen, wenn ich einen Mann zum Essen mitbringe. Also kommst du oder nicht?“ Er ballte seine Hände durch die Hosentaschen verborgen zu Fäusten.

Am liebsten hätte er nein gebrüllt, aber damit hätte er ohne Zweifel seine ohnehin geringen Chancen bei Lexa völlig verspielt, also erwiderte er mühsam ruhig: „Ich werde kommen.“

Sie strahlte: „Sehr schön. Ich werde ihr die freudige Nachricht gleich mitteilen. Wir essen immer um neunzehn Uhr, legere Kleidung reicht.“ Ein verdammter Smoking würde nicht reichen, um ihn in den Augen ihrer Freunde als geeigneten Mann für Lexa erscheinen zu lassen. Aber er würde mit Zähnen und Klauen darum kämpfen, seine Chancen bei ihr zu verbessern, egal wie viel Überwindung es ihn kosten mochte.

 

 

Wie erwartet hatte Tina begeistert auf Lexas Initiative reagiert und sich sofort in die Küche gestürzt. Lexa hatte ihr so gut wie möglich geholfen, und sich deshalb erst kurz vor dem Essen umgezogen. Sie kam gerade die Treppe aus dem ersten Stock nach unten, als es schon an der Tür läutete. Sie rief zu Tina in die Küche: „Ich mache auf“, und eilte zur Tür.

Wie erwartet stand Nikos vor der Tür, aber sie musste zwei Mal hinsehen, weil sie ihren Augen nicht traute. Bei ihren beiden vorhergegangenen Begegnungen hatte er eine alte ausgeblichene Jeans und ein schlichtes Shirt oder gar kein Oberteil getragen, jetzt stand er in einer ohne Zweifel teuren Wildlederhose und einem schneeweißen Hemd vor ihr. Sein Haar hatte er mit einem Band im Nacken zusammengefasst und an den Füßen, die sonst in billigen Turnschuhen gesteckt hatten, trug er teure Markenschuhe. Er hatte schon in den abgetragenen Sachen gut ausgesehen, aber jetzt raubte sein Anblick ihr schier den Atem.

„Gefällt es dir nicht?“, fragte er besorgt.

Ihr wurde bewusst, dass sie ihn wie eine Idiotin anstarrte, und erwiderte hastig: „Du siehst toll aus. Ich hatte nur nicht damit gerechnet. Ich komme mir ja richtig underdressed vor“, stellte sie dann mit einem Blick an sich hinab fest. Im Haus MacTheron gab man sich ohnehin immer leger, aber im Hinblick auf Nikos bisheriges Erscheinungsbild hatte sie extra eine normale blaue Jean und lediglich einen hübschen Pulli gewählt.

Ein warmes Lächeln erschien auf seinen eben noch so angespannten Zügen. „Du bist wunderschön Lexa.“ Bei diesen Worten streichelte sein Blick sie förmlich und sie spürte, ihre Wangen heiß werden.

Sie murmelte: „Nett von dir, komm rein.“ Als sie zurücktrat, um ihn hereinzulassen, stieß sie fast gegen Tina. Ihre Freundin hatte wohl nachsehen wollen, wo ihr Gast so lange blieb, aber zu Lexas Erstaunen wirkte sie besorgt. Um das Schweigen zu brechen, stellte Lexa die Beiden vor: „Nikos das ist meine Freundin Tina. Tina das ist Nikos, der Mann der mir und Streuner das Leben gerettet hat.“

„Dann schulden wir Ihnen Dank, sie ist eine sehr teure Freundin“, sagte Tina eine Spur zu ernst für Lexas Geschmack. Was war los mit ihr?

Nikos erwiderte höflich: „Es war mein Gewinn. Also kein Grund mir zu danken.“

 

 

Das Essen verlief ohne Zwischenfälle, aber die Spannung hing wie ein unsichtbares Schwert über dem Tisch. Als Tina jetzt als Nachtisch vor jeden ein Glas mit Cranachan hinstellte, griff Stephen nicht zum Löffel, sondern wandte sich an Nikos: „Ich muss zugeben ich bin neugierig. Es gibt ja jede Menge Gerüchte über Sie. Erinnern Sie sich noch immer an nichts als Ihren Vornamen?“

„Leider nicht“, erwiderte Nikos höflich.

Tina schaltete sich ein: „Das muss schlimm sein. Wie kommen Sie denn damit klar?“

Nikos zuckte die Schultern. „Ich musste eben von null anfangen, aber es geht schon.“

Stephen hakte nach: „Ich hörte Sie verdienen Ihr Geld mit seltenen Muschelschalen oder schönen Korallenstücken und Sie sollen sogar alte Statuen in den Laden gebracht haben. Wo finden Sie diese Dinge eigentlich?“

„Ich tauche ganz gut“, erklärte Nikos immer noch freundlich, aber inzwischen hatte seine Kieferpartie sich angespannt.

„Ich stelle es mir aufregend vor, den Meeresboden zu erforschen. Aber ich bin leider keine gute Taucherin. Ich kriege immer Panik, wenn mein Kopf unter Wasser ist“, warf Lexa ein, um das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken.

Nikos Blick war sofort bei ihr und er antwortete mit einem warmen Lächeln: „Das macht doch nichts. Ich finde es sehr friedlich da unten. Du findest dieses Gefühl sicher an einem anderen Ort.“

Tina warf bissig ein: „Reden Sie ihr bloß keinen Unsinn ein, sonst kommt Sie noch auf die Idee, auch tauchen zu gehen. Dort unten ist es mit all den Strömungen und Klippen sehr gefährlich.“

Lexa sah Wut in Nikos Augen aufblitzen, dennoch antwortete er höflich: „Nicht, wenn man weiß, wo man tauchen muss. Es gibt auch sichere Orte unter Wasser.“

Stephen mischte sich ein: „Dann tauchen Sie wohl an den ungefährlichen Stellen nach Ihren Schätzen?“

„Ja“, antwortete Nikos knapp.

Lexa mahnte: „Ich glaube wir müssen dieses Thema jetzt wirklich nicht noch mehr vertiefen.“

Stephen widersprach: „Doch das müssen wir. Manche Leute sagen nämlich, dass es solche Schätze vor unserer Küste gar nicht geben kann und sie sagen, dass es sich um Hehlerware handeln würde.“

Lexa keuchte: „Stephen.“

Der Arzt warf ihr einen um Entschuldigung bittenden Blick zu, fuhr aber fort: „Tut mir leid Lexa, aber du solltest das wissen.“

Ehe Lexa reagieren konnte, stand Nikos auf und sagte gepresst: „Danke für die Einladung Lexa, aber ich sollte jetzt gehen.“