Weihnachtselfen zum Verlieben - Axel Adamitzki - E-Book
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Weihnachtselfen zum Verlieben E-Book

Axel Adamitzki

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Beschreibung

Alena und Rebecca, zwei befreundete Studentinnen, die unterschiedlicher kaum sein können, nehmen auf einem Weihnachtsmarkt einen Job als Weihnachtselfen an. Hier sollen sie Kinder bespaßen, was sie auch mit viel Liebe tun. Doch bei dieser Liebe allein bleibt es nicht. Nun, es ist die Weihnachtszeit – und in dieser Zeit passieren schon mal die erstaunlichsten (wunderlichsten?) Dinge

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Weihnachtselfen zum Verlieben
Beschreibung
1 - Tatsächlich Weihnachtselfe?
2 - Bernhard ... der Skeptiker
3 - Gedanken an die Mama
4 - Gedanken an die Tochter
5 - Was für ein Schietwetter
6 - Bernhard ... der Feigling
7 - Zerbricht da eine Freundschaft?
8 - Die dumme Kuh
9 - Der schüchterne Olav
10 . Hedda ... in voller Pracht
11 - Beängstigende Wahrheiten ... trunkene Luftschlösser
12 - Nie wieder ...
13 - Kleine und größere Weihnachtswünsche
14 - Die Weihnachtsfalle
15 - Bernhard ... selbstvergessen und traurig
16 - Meine Tage in Rom
17 - Ihre Stimme am Telefon
18 - Heute keine traurige Geschichte
19 - Eisglätte ... und nun?
20 - Waffelessen mit Überraschungen
21 - Großer gequirlter Bockmist?
22 - Ausreden. Ausreden. Ausreden.
23 - Ein Engel kommt geflogen
24 - Heddas »netter« Nikolausgruß
25 - Heddas unausweichliche Weihnachtsüberraschung
26 - Die verzweifelte Sonja
27 - Was ist schlimmer als die Hölle?
28 - Beredte Sprachlosigkeit?
29 - Eine Portion Spaghetti
30 - Eine ehrliche SMS
31 - Hedda ... Tausend und eine Nacht
32 - Mama und die SMS
33 - Nervöse Gedanken
34 - Ein merkwürdig verrücktes Essen
35 - Kein Detail ließ sie aus
36 - Es muss etwas geschehen
37 - Endlich ein Pieps von Rebecca
38 - Ein normales Weihnachtsmarktwochenende
39 - Eine Bombe platzt
40 - Vertreibung aus dem Paradies
41 - Der Zusammenbruch
42 - Die Überraschung
43 - Stunden blicklos runteratmen
44 - Wieder Paolo?
45 - Am Ende doch nicht Istanbul?
46 - Was für ein Betrug
47 - Wenn Wahrheit schmerzt
48 - Erfüllte Hoffnungen?
49 - Marleen
50 - Endlich Mama
51 - Wie ein feuriges Eisen auf der Haut
52 - Blitz und Donner
53 - Was für ein Brief
54 - Alles anders
55 - Was für ein Biest
56 - Unendliches Selbstmitleid
57 - Endlich Heiligabend
58 - Marleen und endlich Bernhard
59 - Ende und Anfang
Impressum

Weihnachtselfen zum Verlieben

 

Wohlfühlroman

 

 

Beschreibung

 

Alena und Rebecca, zwei befreundete Studentinnen, die unterschiedlicher kaum sein können, nehmen auf einem Weihnachtsmarkt einen Job als Weihnachtselfen an. Hier sollen sie Kinder bespaßen, was sie auch mit viel Liebe tun. Doch bei dieser Liebe allein bleibt es nicht.

Nun, es ist die Weihnachtszeit – und in dieser Zeit passieren schon mal die erstaunlichsten (wunderlichsten?) Dinge.

1 - Tatsächlich Weihnachtselfe?

 

Alena hatte unruhig geschlafen und schlecht geträumt.

Nur was?

Leider, das wusste sie nicht mehr. Das zu wissen, hätte vielleicht geholfen.

 

Alena stand unter der Dusche. Sie hielt das Gesicht in den Wasserstrahl und war wieder einmal ihrem »Ertrinken« nahe.

»Erhofftes Ertrinken« nannte sie es, wenn sie gern ertrunken wäre. So für ein oder zwei Stunden. Wenn das Leben mal wieder so richtig bescheiden war. Ab und an neigte sie zu theatralischen Gesten. Doch hier und jetzt eher weniger, auch wenn das an dieser Stelle widersprüchlich klingen mag. Aber hier und jetzt gab es da tatsächlich etwas, das selbst bei Sonnenschein betrachtet diesen Tag eingetrübt hätte: Heute war der Geburtstag ihrer Mutter. Ihrer Mama.

Alena atmete tief ein, nicht zu tief, am Ende bekam sie tatsächlich noch Wasser in die Lunge. Was für eine schreckliche Vorstellung.

 

Gratulieren würde und konnte Alena ihrer Mutter nicht. Leider nicht. Vor mehr als zwei Jahren hatte sie den Kontakt zu ihren Eltern endgültig eingestellt. Anders wollte und konnte sie das nicht benennen. Dass ihre Mama entsetzlich unter dieser Funkstille litt, war unbestritten. Es ging ihr da nicht anders als Alena selbst. Aber solange ihr Vater nicht ...

Nein, solange ging es leider nicht.

 

Alena drehte das warme Wasser ab und hastig den Hahn für das kalte Wasser ganz weit auf. Ein eiskalter Strahl traf sie mitten ins Gesicht und ließ jeden weiteren Gedanken schockartig (!) »erfrieren«. Wie jedes Mal.

»Puhhuhh!«, schrie sie panisch. Auch wie jedes Mal.

Ja, Puhhuhh. Strafe musste sein.

Rasch stellte sie das Wasser ab, trat aus der Duschkabine und griff nach dem großen roten Badetuch. Und ebenso rasch rieb sie sich die kalten Wassertropfen von Brüsten, Bauch, Rücken und Beinen und kuschelte sich in ihren flauschigen Bademantel. Am Ende schlüpfte sie in ihre bequemen Badelatschen, die neben der Duschkabine bereitstanden.

Während sie sich die blonden Locken trockenrubbelte ging sie durch den Flur in die Küche. Sie brauchte jetzt einen Kaffee. Einen starken Kaffee.

Sie warf die Kaffeemaschine an, öffnete die Kaffeedose und ...!

»Manno, Rebecca! Kannst du nicht mal für Ersatz sorgen, wenn du schon ...«, rief sie voller Verärgerung der Kaffeedose entgegen. Die Dose war leer. Und das nicht zum ersten Mal. Alena verstand nicht, warum Rebecca, ihre Mitbewohnerin, sich immer diese Kaffeepads »mild« kaufte und dann doch ihre (»strong«) bevorzugte. Mild war für Alena wie ein dünner Tee - nicht trinkbar.

Missmutig stellte sie die Kaffeedose zurück.

Heute würde Alena ihrer Mitbewohnerin mal so richtig auf die Finger klopfen.

So geht das nicht weiter.

 

Und im Moment, als sie die Kaffeemaschine auf »Off« stellte, klapperte es an der Wohnungstür. Die Tür wurde geöffnet und schwungvoll zugeschlagen. Rebecca! Sie war zurück (unüberhörbar). Von wer-weiß-woher-auch-immer. Sie kam Alena gerade recht.

»Schon wieder hast du meine Pads -«

»Entschuldige, Alena«, unterbrach Rebecca ihre Freundin. »Daniel mag halt deinen Kaffee lieber als meinen. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich habe tolle Neuigkeiten.«

Nicht wichtig? Alena wollte, nein, sie brauchte jetzt einen Kaffee, einen starken Kaffee. Und das war wichtig! Und sie hatte im Moment ganz sicher kein Interesse an Rebeccas Neuigkeiten. Haare trocknen, anziehen, zum Supermarkt und zurück, ging es ihr durch den Kopf. Und erst dann würde sie zu ihrem Kaffee kommen. Wie sie das ankotzte. Rebecca würde ganz sicher nicht noch mal runter ... Ganz sicher nicht.

 

»Ich bin ab morgen eine Weihnachtselfe«, durchschnitt Rebecca die Gedanken ihrer Mitbewohnerin.

»Weihnachtselfe? Aha. Ja, das passt zu dir«, sagte Alena angesickt.

»Ach komm, Alena, sei nicht so. Zieh dich lieber schnell an. Ich lade dich ins Black-Coffee zu einem Cappuccino ein. Du kannst auch zwei trinken. Denn das ist ja noch nicht alles an Neuigkeiten.«

Alena stutzte. Zwei Cappuccini? Rebecca war keineswegs geizig, aber zwei ...?

Sie hatten es nicht dicke – finanziell. Sie studierten. Beide. Medizin.

Rebecca bekam BAföG – Höchstsatz. Alena ebenso, obwohl ihr im Grunde diese staatliche Zuwendung nicht zustand. Aber sie war ein Härtefall. Sie hatte es abgelehnt, ihre Eltern, die genug Geld hatten, ihr aber das Studium nicht finanzieren wollten, zu verklagen. Alena hatte dabei mehr an ihre Mama als an ihren Vater gedacht. Eine Klage hätte den Schnitt endgültig gemacht. »Für immer, Sie verstehen?«, hatte Alena argumentiert. Und das wollte sie hauptsächlich ihrer Mama nicht antun – dieses »Für immer«. Da hatte selbst der Gesetzgeber ein Einsehen. Doch so weit wäre sie auch nie gegangen. Und letztlich hätte ihre Mama ihr monatlich sicherlich Geld zum Leben überwiesen (heimlich, am Vater vorbei). Alenas Mama wusste, dass ihrer Tochter das mit dem Medizinstudium ernst war. Todernst. Aber Alena wollte nichts von ihnen, nicht einen Cent. Das hatte sie ihnen, besonders ihrem Vater, geschworen. Und auch sich selbst. Was sie ohne den staatlichen Obolus (monatlich) gemacht hätte, wusste sie nicht. Eine Antwort wäre ja letztlich auch eher hypothetisch.

Aber BAföG allein reichte natürlich nicht. Zu sehr unchristlichen Zeiten trugen die beiden jungen Frauen zusätzlich morgens Zeitungen aus. Ab und an, meistens freitags oder samstags, kellnerte Rebecca. Alena gab Nachhilfeunterricht, wenig aber regelmäßig. So kamen sie über die Runden.

Trotzdem. Wenigstens ein Mal in der Woche gab es in ihrer Zweier-WG Nudeln mit Tomatensoße (wenn der Wochenetat aufgebraucht war – über den Alena akribisch Buch führte). Und wenn sie Daniel, Rebeccas derzeitigem Freund, der oft mitaß, nicht dazu verdonnert hätten, mindestens einen Einkauf im Monat zu übernehmen, vor dem er jedes Mal spätestens vor der Kasse gewaltigen Schiss bekam (der Inhalt eines Einkaufswagens reichte da meistens gerade mal so), hätte es die Nudeln mit Tomatensoße dann oft eher zwei Mal in der Woche gegeben.

 

»Ich spendiere dir auch ein Croissant dazu, wenn du willst«, sagte Rebecca überschwänglich.

Alarmiert sah Alena ihre Freundin an. Hier stimmte doch was nicht. Nur was? Ihr Job?

»Zwei Cappuccini und ein Croissant? Weihnachtselfe, ja? Und wo? In einem Nachtclub?«

»Unsinn. Auf dem Weihnachtsmarkt.«

»In Koblenz?«

»Quatsch. Hier in Lahnstein.«

»Bei uns? Seit wann gibt es hier auf unserem Weihnachtsmarkt Elfen?«

»Nicht hier unten. Aber oben. Vor Schloss Martinshöhe.«

»Vor Schloss Martinshöhe? Bei diesem Baron? Wie ... wie heißt der noch gleich?«

»Stolzenrain.«

»Baron Stolzenrain?«

»Genau. Ein freundlicher Mann, hat man mir eben erzählt.«

Ungläubig sah Alena ihre Mitbewohnerin an.

»Aber da hat es doch noch nie einen Weihnachtsmarkt gegeben, geschweige denn ... Weihnachtselfen.«

»Eben.«

»Wie eben?«

»Erst vor fünf Wochen hat der Baron zugestimmt, wollte wohl endlich seine Ruhe haben. Nach jahrelangen Belästigungen. Und dann musste alles sauschnell gehen. Eigentlich zu schnell, aber man wollte zeigen, dass es möglich ist. Und zusätzlich hat dieser Baron der Gemeinde dann noch heftige Bedingungen mit auf den Weg gegeben. Ganz besonders wollte er wohl, wenn er schon zusagt, dass das Vergnügen für die Kinder im Mittelpunkt stehen soll. Also nicht nur Bier, Glühwein und Kartoffelpuffer, auch Fahrgeschäfte für die Kleinen, einen Wunschzettelbaum und und und ... All das wollte er haben. Und irgendjemand hatte dann wohl noch die Idee mit den Weihnachtselfen, als Weihnachtsbonbon sozusagen. Und diese Idee ist offensichtlich richtig gut bei ihm angekommen. So erzählt man sich.«

»Aha. Und du bist eine von diesen Elfen? Rebecca unsere Weihnachtselfe.«

Alena wollte es kaum glauben. Nun gut, ganz so abwegig war der Gedanke nicht. Rebecca Steiger, zweiundzwanzig Jahre alt, einen Finger breit unter einen Meter fünfundsiebzig. Roter Lockenkopf - oft trug sie die Locken hochgebunden (so als ausgefransten Dutt). Ein Mund, der begehrliche Blicke weckte, dazu grüne Augen, die, wenn Rebecca es wollte, alles um sie herum einsaugen konnten – Gedanken, Gefühle und auch Widersprüche, die sich dann irgendwo im Nichts verloren. Eine wunderschöne Frau, verführerische Figur, schmale Taille, runde Hüften, ziemlich große Oberweite und mit einem runden Po gesegnet. »Schön wie Aphrodite«, wie sie gern von sich behauptete – gewiss nicht grundlos. Und als Weihnachtselfe würde sie sicherlich großen Anklang finden. Davon war Alena überzeugt.

Aber interessierte es sie jetzt? Im Augenblick?

Nein. Ganz bestimmt nicht. Alena brauchte jetzt endlich einen Kaffee. Wenn es sein musste auch im Black-Coffee. Dann aber rasch.

Doch dann kam er, völlig unvermittelt, der noch fehlende Rest der Neuigkeiten.

»Ja. Und du auch, Alena. Wir beide. Als zwei von acht Elfen auf dem Weihnachtsmarkt. Ist das nicht toll?«

»Ich ... auch?«, hustete Alena. Sie hatte empört Widerspruch einlegen wollen, was aber nicht ging, denn sie hatte sich ob dieser Absurdität an ihrer Spucke verschluckt und die beiden Worte nur krächzend und hustend rausgebracht. Aber zumindest zeigten ihre weit aufgerissenen Augen an, dass sie mit dieser Neuigkeit keineswegs einverstanden war.

»Du spinnst doch! Ich, nein, ... ich nicht. Niemals«, sagte sie schließlich (wieder Herrin ihres Speichels und ihrer Stimmbänder).

Nein, das wollte sie nicht. Eine Elfe? Neben Rebecca? Neben dieser Aphrodite?

Unmöglich.

Auch Alena war zweiundzwanzig Jahre alt. Und ganz sicher keine Aphrodite. Dennoch war sie keineswegs hässlich. Sie war ebenso groß wie ihre Freundin. Blondgelockt - wild blondgelockt! Die großen blauen Augen waren ganz gewiss noch vor dem Lockenkopf ihr unübersehbarer Pluspunkt. Und an ihrem Gesicht war auch nichts auszusetzen. Gut, nicht unbedingt ein Eyecatcher doch auch kein Weggucker. Aber ihre Figur, die Proportionen, ihre Proportionen waren das Problem, besser gesagt: waren ihr Problem. Schmale Schultern und eine schlanke Taille waren ja noch einigermaßen akzeptabel, aber zu ihrem Unglück gab es da noch ziemlich gewaltige Hüften und wuchtige Oberschenkel (nett gesagt). Nun ja, kein Mensch ist vollkommen, sagt man. Doch hatte ihr dieser dumme Spruch je geholfen? Kein Stück. Im Sommer, leichtbekleidet, oder gar im Badeanzug, hatte sie permanent das Gefühl, alle Welt glotzte ihr auf ihre Hüften. Und auf die Oberschenkel. Ihr Alptraum. Ihr Komplex. Ein neurotischer Komplex, ganz ohne Frage – aber so war es nun mal. So war sie nun mal. Und das nicht nur im Sommer, nein, das zu allen Jahreszeiten. Gut, jetzt im Winter unter einem Elfenkostüm wäre der Alptraum sicherlich nicht sooo deutlich erkennbar – aber wer wusste schon, wie das Kostüm geschnitten war.

Nein, nein, nein, ihre »Proportionen« sprachen entschieden gegen ein Engagement als Elfe. Ganz sicher würde sie sich nicht zum Hampelmann machen. Und das vielleicht noch freiwillig? So weit kommt´s noch, ging ihr all das durch den Kopf.

Und in diesem Zusammenhang fielen ihr auch, warum auch immer, noch die zwei längeren Beziehungen ein, die es bislang in ihrem Leben gegeben hatte (fünf und sieben Monate – immerhin). Und beide waren an diesen »Proportionen« gescheitert – davon war sie überzeugt (heute noch). Gut, Rebecca war da gänzlich anderer Meinung.

»Daran gescheitert, Alena? Sicher, gescheitert sind sie schon. Ja, aber nicht, weil du den Typen nicht gefallen hast, nein, weil du dir selbst nicht gefällst und dich ständig als ausgemacht entstellt beschimpft hast, bis die Typen dir letztlich recht gaben. Und dann selbstverständlich abgehauen sind. Wer hat mit zwanzig oder fünfundzwanzig schon Lust auf eine Verrückte, die sich selbst nicht mag?«, hatte Rebecca im letzten Jahr – nach dem Ende der zweiten Beziehung - gnadenlos analysiert.

Mit Recht?

Vielleicht.

Aber es hatte wehgetan. Und rasch hatte Rebecca dann nachgeschoben, dass sie, Alena, sehr sinnliche Lippen, im Grunde, eine ziemlich sinnliche Ausstrahlung habe, was Alena aber keineswegs hatte streicheln oder gar beruhigen können.

 

Sinnliche Lippen? Sinnliche Ausstrahlung? Ganz sicher erwartet man auf einem Weihnachtsmarkt von einer Weihnachtselfe keine Sinnlichkeit. Elfen sollen dort wohl eher die kleinsten Besucher bespaßen, oder?

Und auch das sprach gegen ein Engagement, denn fremde Menschen bespaßen (ob klein oder groß) war Alena so fremd wie ein Sonntagsspaziergang im Bikini – egal an welchem Strand auf dieser Welt, selbst am leersten. Nein, eine Weihnachtselfe Alena würde es ganz sicher nicht geben. Punkt.

 

»Nein, ich spinne nicht«, sagte Rebecca. »Mit dir sind wir acht Elfen. Vier blondgelockte, zwei rotgelockte und zwei schwarzgelockte. Alles muss echt sein. Naturlocken und Naturfarbe.«

»Tatsächlich. Mein Gott, was für ein merkwürdig ... ich sag es lieber nicht.« ... oberflächlich sexistischer Bockmist, wollte Alena sagen.

»Du hast ja recht. Aber die Verantwortlichen hoffen, wenn sie in diesem Jahr richtig reinklotzen, könnte es im nächsten Jahr auch wieder einen Zuschlag geben. Ein Weihnachtsmarkt vor einem Schloss. Wo gibt´s das sonst schon?«

»In Berlin. Zum Beispiel.«

»Berlin? Komm, jetzt bleib mal ernst. Was interessiert uns Berlin. Denn jetzt kommt, was uns wirklich interessieren sollte, was für uns wichtig ist: Die Bezahlung. Die Kohle. Der Schotter.«

Rebecca machte eine kurze Pause. Ein Trommelwirbel hätte ihr jetzt sicherlich gefallen. Und sie sagte - deutlich bekundend:

»Wir werden in Geld schwimmen. Verstehst du, Alena? Schwimmen und abtauchen, wieder auftauchen und schwimmen, schwimmen und schwimmen. Wie Dagobert Duck.«

Alena schüttelte den Kopf. Doch ihre Freundin war nicht zu stoppen:

»Ich hab mir das mal ausgerechnet. Wenn du mitmachst, ist die Miete für unsere Wohnung in den nächsten vier Monaten allein durch diesen Schotter gesichert. Und nicht nur das. Weihnachten leisten wir uns endlich Champagner, Austern und Kaviar. Alles, was du willst. Hört sich das nicht toll an?«

Das mit der Miete hörte sich wirklich toll an.

Aber Elfe?

Weihnachtselfe?

Eine Weihnachtselfe mit fetten Oberschenkeln?

Ein No-Go.

»Ich weiß nicht«, sagte sie und ergänzte: »Und seit wann bist du so genusssüchtig?«

»Ach was, genusssüchtig. Das mit dem Champagner meine ich doch nur so. Bildlich. Aber sechs oder sieben oder gar acht Wochen mal keine Nudeln mit Tomatensoße. Oder nur dann, wenn uns danach ist, das wär doch schon was, oder?«

Alena nickte. Ja, sicher. Endlich mal einen Euro übrig haben. Ein neues Top oder ein neues Kleid, weit und luftig, sehr weit, sehr luftig, für den Sommer, für die warmen Sonnentage, die kommen werden, ja, das wär schon toll.

Aber trotzdem. Nein, nein, nein. Und außerdem ... irgendwo gab es da doch ganz sicher einen Haken, musste es einen Haken geben. Den Hauptgewinn ziehen doch immer die anderen.

Und ja, den Haken gab es dann auch: die Arbeitszeiten.

»Von vierzehn bis zwanzig Uhr. Jeden Tag. Bis zum 23. Dezember. Und das Geld gibt es erst am Ende.«

»Am Ende?« Gut, wenn die Gemeinde dahintersteckte, hatte Alena da keine Bedenken, aber ... »Auch jeden Samstag und Sonntag?«

»Ja. Leider. Doch an diesen Tagen gibt es doppelte Kohle. Verstehst du: doppelte Kohle.«

»Also Freizeit gleich null.«

»Nun ja, fast null. Nach acht kann man ja noch was unternehmen.«

»Und was ist mit den anderen Jobs?«

»Machen wir auch. So weit wie uns das möglich ist. Ein paar Wochen wäre das sicherlich aushaltbar, oder? Wo wir dann ab Weihnachten doch im Geld schwimmen werden. Ist das nicht ein lohnendes Ziel?«

Sicherlich.

Doch halt, ja, halt! (Denn beinahe hätte Rebecca ihre Freundin gehabt.) Etwas gab es dann doch noch, etwas sehr, sehr Ausschlaggebendes, das dem Projekt »Weihnachtselfe« absolut im Weg stehen würde:

»Und was ist mit den Seminaren?«

»Mein Gott. In zwei Wochen ist sowieso Schluss für dieses Jahr. Wir nehmen mit, was geht, den Rest gibt´s dann halt später. Wir schlampen sehr, sehr wenig, Alena. Das weißt du genau.«

Nun ja, sie waren beide tatsächlich ziemlich »fleißig«. Darin waren sie sich sehr ähnlich. Glücklicherweise.

Also hat ihre Freundin wohl an alles gedacht, ging es Alena anerkennend durch den Kopf.

Ja, so war sie, Rebecca, ihre Rebecca, hatte sie erst einmal ein Ziel vor Augen, gab es für alle Steine (auch für Felsbrocken), die im Weg lagen, Lösungen. Nichts konnte sie dann noch aufhalten. Das ließ sie einfach nicht zu. Und wenn es doch mal passierte, kämpfte sie mit allen Mitteln dagegen an. Dann wurde sie zu der »Straßenkämpferin«, als die sie sich ein Mal (ganz im Vertrauen) beschrieben hatte. »Aufgeben gilt nicht. Hinfallen? Okay, kommt vor! Dann aber rasch wieder aufstehen, abwischen und weitermachen.« Ja, so war sie. Liegenbleiben gab es für Rebecca nicht.

Und dafür bewunderte Alena sie – aus tiefster Seele.

 

»Was ist jetzt, bist du dabei? Oder bist du dabei?«

Alena lächelte, schüttelte den Kopf. Meine verrückte Rebecca. Wie würde mein Leben wohl ohne dich aussehen? Das wusste sie nicht, wollte sie im Moment auch gar nicht wissen.

Schließlich nickte sie. Vorsichtig, sehr vorsichtig. Die »Proportionen« und das »Bespaßen« waren noch nicht gänzlich verstummt. Aber sie war angefixt. Hingerissen. Und das Geld konnten sie tatsächlich gut gebrauchen und die Zeit bis zum 23. Dezember war ja letztlich tatsächlich überschaubar. Und auch der Depri-Gedanke (der Geburtstag ihrer Mama), eben noch unter der Dusche kaum aushaltbar, war zumindest für einige Stunden aus ihrem Kopf verschwunden.

»Na klar, meine geliebte Lieblingsfreundin«, sagte sie beinahe etwas zu pathetisch (Die Begeisterung ihrer Freundin hatte Alena nun vollends mitgerissen) und gab Rebecca einen Kuss auf die Wange.

Sie durfte das. »Der Rest meines aphroditischen Körpers gehört aber mir. Und nur mir! Ab und an darf sich Daniel zu meinem und ein wenig auch zu seinem Vergnügen daran erfreuen. Aber nur ab und an. Und nur wenn ich es will. Und nur wo ich es will«, hatte sie einmal gesagt. Was für merkwürdige Worte, aber Alena war sich sicher, sie hatte es genau so gemeint. Rebecca gehörte sich selbst. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Und auch diese Gewissheit, eine Freundin neben sich zu haben, die sich selbst gehörte - meistens jedenfalls -, gab Alena Kraft, half ihr immer dann, wenn Gedanken sie überfielen, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten und ungelöste Probleme offenbarten und eine kalte Dusche nicht greifbar war.

Ihre Rebecca.

2 - Bernhard ... der Skeptiker

 

»Was für ein Fehler.«

»Warum?«

»Warum? Weil wir ab morgen regelrecht belagert werden. Unser Schloss gehört dann eine lange, lange Zeit nicht mehr uns.«

»Ach komm, Bernhard. Du dramatisierst jetzt aber. Weihnachtliche Klänge, lachende Kinder und der Duft von karamellisierten Äpfeln haben doch nun wirklich nicht viel mit belagern zu tun.«

Vom Obergeschoss des Schlosses hatte Bernhard Baron zu Stolzenrain einen ausgezeichneten Blick auf das Treiben, das da unten gerade vor sich ging. Heute waren es lediglich die Marktbudeninhaber, die »letzte Hand« anlegten. Und das reichte ihm schon. Wie wird es wohl ab morgen da unten aussehen?

»Was für ein Fehler«, wiederholte er mit bekümmerter Stimme.

Marleen, seine Schwester, stand jetzt neben ihm am Fenster. Sie sah das alles ganz anders, sie freute sich auf morgen, auf übermorgen, auf all die Tage, die voller Vorfreude auf Weihnachten vor ihr lagen – und das sehr bildhaft.

 

Bernhard wendete sich ab und ging zu seinem Schreibtisch. Bevor er sich setzte, warf er einen Blick auf die vier Monitore, die rechts, drei Schritte entfernt von seinem Schreibtisch, an der Wand angebracht waren. Der direkte Bereich um sein Schloss war darauf erkennbar. Live. Schon vor Jahren hatte er die vier Kameras installieren lassen. Heute war er froh, dass er sie hatte. Letzte Woche noch hatte er überlegt, vier weitere Kameras (versteckt) installieren zu lassen. Doch Marleen hatte ihn dafür nur ausgelacht.

 

Bernhard Baron zu Stolzenrain hatte sich von seiner Schwester beschwatzen lassen. »Weihnachtsmarkt vor einem Schloss, vor unserem Schloss. Das ist unvergleichlich.«

Bernhard war ohne Antwort geblieben. Marleen hatte dann für ihn entschieden. Und das zusammen mit Ylenia Gözlüm, der Oberbürgermeisterin von Lahnstein, die ihn in der und in einer anderen Sache, die jetzt für den Weihnachtsmarkt keine Rolle spielte, vor Wochen bekniet hatte.

Er bereute »seine« Entscheidung bitterlich. Denn wie sollte er nur die nächsten Tage und Wochen überstehen.

Glücklicherweise hatte er im Vertrag mit der Kommune festlegen lassen, dass ihm, sollte der »Rummel« zu heftig für ihn werden, eine Suite in einem Vier- oder Fünfsternehotel zur Verfügung stehen würde. Das klang erst einmal beruhigend, hatte aber einen erschreckenden Nachteil - er müsste dafür seine vertraute Umgebung verlassen. Ein unmögliches Unterfangen. Somit war all das, was hier gerade passierte mehr so eine Zwickmühle, in der er gefangen war.

»Was für ein Fehler«, wiederholte er leidgeplagt.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch, fuhr seinen Laptop hoch und blickte währenddessen auf die vier Monitore an der Wand. Alles war ruhig. Kein Mensch war zu sehen.

Noch nicht.

3 - Gedanken an die Mama

 

Am Nachmittag klärten die beiden Freundinnen die wenigen administrativen Notwendigkeiten, die unerlässlich waren: Steuerkarte, Krankenkassennachweis und und und.

Und morgen schon würde es tatsächlich losgehen. Für sie. Für beide. Um dreizehn Uhr. Um vierzehn Uhr war die offizielle Weihnachtsmarkteröffnung, vorab gab es eine Stunde Einweisung für alle.

Alles war geregelt.

Was für ein Tag.

 

Bereits am frühen Abend hüpfte Alena mit einem Buch in Händen in ihr Bettchen – ihr Lieblingsplatz zum Lesen. Aber lesen wollte sie dann doch nicht. Gedanken kamen hoch, und mit offenen Augen lag sie da. Dunkelheit umgab sie, lediglich die Straßenbeleuchtung warf helle Flecken an die Zimmerdecke. Regen klopfte an die Fensterscheibe. Wieder und wieder fuhr ihr Blick die helllichten Ränder an der Zimmerdecke entlang. Vom Straßenlärm, der weniger und weniger wurde, und auch vom anklopfenden Regen bekam sie nichts mit, sie hatte Kopfhörer auf. Chris Rea, Elton John, Dido und Tanita Tikaram.

Nebenan war Daniel. Rebecca und er feierten. Auf ihre Art.

 

Alena dachte an ihre Mutter. An ihre Mama. Zu Hause. In Bremen. An den Geburtstag.

Gewiss waren sie bereits nach dem Essen. Gedünsteter Lachs, Brokkoli und Salzkartoffeln, alles liebevoll abgerundet mit einer hellen Dillsoße - das Lieblingsgericht ihrer Mama. Danach frischer Obstsalat mit Vanilleeis. Was das betraf, war ihre Mama sehr bodenständig und sehr traditionell.

Vielleicht hatten sie Besuch. Die Nachbarn und/oder andere Freunde aus der Nachbarschaft. Auf der Terrasse gönnte man sich zwischendurch eine Zigarette. Ihre Mama nicht. Sie stand dann vielleicht im Wohnzimmer am Panoramafenster und blickte hinunter auf die Lesum – mit Tränen in den Augen. Auch Alena standen Tränen in den Augen und tropften schließlich seitlich auf das Kissen.

»Alles Liebe zum Geburtstag, Mama. Ich denke an dich«, murmelte sie, nahm die Kopfhörer ab und drehte sich heulend zur Seite. Sie zog sich die Bettdecke über den Kopf und versteckte sich in ihrer einsamen Dunkelheit.

Morgen, dachte sie, morgen wird ein schöner Tag.

4 - Gedanken an die Tochter

 

Anna stand am Panoramafenster und blickte hinunter auf die Lesum, die im Mondlicht silbern schimmerte. Sie hatte Tränen in den Augen.

»Ich soll dich noch mal grüßen«, sagte Gregor, ihr Gatte. Er stand weit entfernt, am anderen Ende des Wohnraums, in der Tür zum Flur. Er wagte nicht, näherzutreten. »Es war ein schöner Abend, soll ich dir von allen ausrichten.«

»Hmm.«

Er wartete. Schließlich sagte er:

»Ich geh dann jetzt schlafen.«

»Hmm.«

»Kommst du auch?«

»Hmm.«

»Gut, dann bis gleich.«

Er wendete sich ab.

Ohne den Blick von der silbern schimmernden Lesum zu nehmen, sagte Anna:

»Gregor?!«

Er verharrte, schien zu ahnen, was kommen würde.

»Sie fehlt mir, Gregor«, sagte sie mit kaum vernehmbarer und zittrig verweinter Stimme. »Unsere Tochter fehlt mir entsetzlich.«

»Hmm.«

»Das geht so nicht weiter.«

Verzagt drehte er sich noch einmal um und blickte ihr auf den Rücken. Er hoffte, sie würde sich ihm zuwenden. Doch das tat sie nicht.

»Mir fehlt sie doch auch.«

»Wir müssen etwas tun, Gregor.«

»Hmm.«

5 - Was für ein Schietwetter

 

Gestern war ein wirklich schöner Tag gewesen, zwar trübe aber wenigstens trocken. Einem Weihnachtsmarkteröffnungstag durchaus angemessen.

Die Stunden waren wie im Flug vergangen. Alena war von sich überrascht. Auch von den unglaublich aufmerksamen und glühenden Kinderaugen, wenn man mit ihnen, in ihre Fantasiewelt eintauchte.

 

Und heute?

Es regnete. Unablässig. Schon seit Stunden. Und das am ersten Weihnachtsmarktsamstag. Kaum ein Besucher war unterwegs, von Kindern keine Spur.

Es war jetzt kurz vor drei Uhr. Noch keine Stunde war vorüber. Die acht Weihnachtselfen waren anfänglich von Unterstand zu Unterstand gehuscht, wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Weit und breit gab es niemanden, den sie hätten bespaßen können.

»Verteilen Sie sich, auch wenn nichts los ist. Stehen Sie nicht auf einem Haufen herum«, bemerkte Georg Helmstatt - der Marktleiter - höchstpersönlich auf seinem Rundgang. Er schien auch ratlos, wollte aber den Anschein wahren, alles im Griff zu haben.

Die rot-grün-weißen Elfenkostüme waren wirklich nett anzusehen und reichten den Weihnachtselfen bis eben zum Knie, was Alena schon bei der ersten Anprobe außerordentlich beruhigt hatte. Auch waren sie für Temperaturen unter null Grad ganz brauchbar. Aber für Dauerregen waren sie völlig ungeeignet. Man hatte den acht Weihnachtselfen durchsichtige Regenpochos zugestanden. Doch die Feuchtigkeit arbeitete sich langsam von unten hoch – sie kannte da kein Pardon. Und die grün-rot-geringelte Strumpfhose, die zum »Gesamtpaket Weihnachtselfe« gehörte, zog die Feuchtigkeit regelrecht an – so schien es ihnen.

Und »Nicht-auf-einem-Haufen-stehen«, hieß dann auch, der freie Platz neben Rebecca, der trocken erschien, war für Alena tabu.

Tabu!

Untersagt war es auch, sich dem Schloss auf zwanzig Schritte zu nähern. Mit Absperrbändern war die No-Go-Area gekennzeichnet worden. Für alle! Und im Abstand von wenigen Metern waren an den Flatterbändern Hinweisschildchen auf das nächste WC angehängt worden. Unzählige WC-Häuschen standen bereit. Auch das hatte der Baron so gewünscht. »Der Baron möchte nicht, dass die Leute auf die Idee kommen, sich in den Ecken der Fassade seines Schlosses zu erleichtern, auch möchte er nicht, dass die Kinder, obwohl er Kinder sehr mag, dass die Kinder mit ihren Schokofingern die Fassade beschmutzen«, hatte Georg Helmstatt gestern vor der Eröffnung in dieser einstündigen Unterweisung allen, die hier tagtäglich arbeiten würden, unter anderem mit auf den Weg gegeben.

Und ehrlich? Allein die Hinweisschilder und die möglichen Schokofinger machten Alena diesen Baron sogleich ziemlich unsympathisch. Unbekannterweise. Was für ein Snob mochte der wohl sein? Und der wollte mehr Angebote und mehr Platz für die Kinder auf dem Weihnachtsmarkt? Kaum zu glauben!

Aber egal jetzt.

 

Alena hatte gerade ein ganz anderes Problem: Alle halbwegs trockenen Plätze waren in der Zwischenzeit von den anderen Weihnachtselfen belegt. Kurz nach dieser »Nicht-auf-einem-Haufen-stehen«-Botschaft, sprangen sie auseinander. Acht junge Frauen. Wie zur Reise nach Jerusalem rannten sie herum. Und Alena hatte verloren, so kam es ihr vor. Alle trockenen Plätze waren rasch belegt. Und wie es schien, machte keine ihrer Leidensgenossinnen Anstalten, ihren Platz vor dem Ende des Regens aufzugeben. Das wäre Alena selbst wohl auch nicht eingefallen.

Und so irrte sie umher. Von Bude zu Bude. Und hielt nach einem halbwegs trockenen Unterstand Ausschau. Vergeblich. Absolut vergeblich! Überall tropfte, regnete oder zog es wie Hechtsuppe. Sich als Weihnachtselfe irgendwo reinsetzen, gar eine heiße Schokolade trinken, war ihnen nicht erlaubt, nein, mehr noch, es war ihnen buchstäblich verboten. »Wer sich nicht daran hält, bekommt die Rote Karte«, hatte der Marktleiter gestern deutlich verkündet. Und er hatte keinen Zweifel daran gelassen, die Rote Karte griffbereit zu haben.

 

Resigniert wollte Alena schon aufgeben und sich den angenehmsten dieser unangenehmen Plätze schönreden, da fiel ihr Blick unvermittelt auf das Schloss.

Das Schloss!

Martinshöhe ist ein kleines Schloss. An der Vorderseite gibt es rechts und links neben dem Haupteingang jeweils fünf Fenster, wobei die zwei äußeren bis zum Boden reichen. Es ist zweigeschossig wie die meisten Schlösser (auch viele größere). Oberhalb des repräsentativen Obergeschosses gibt es noch ein Dachgeschoss, das wohl früher für das örtliche Personal vorgesehen war, zumindest hatte Alena das mal bei der Besichtigung eines ähnlichen Schlosses während einer Führung so vernommen.

 

Ihr Blick tastete die Fassade nun etwas genauer ab. Eierschalfarben und Barock, uralt Barock. Von oben bis unten.

Aber da! Ihr Blick blieb hängen. Was war das denn?

Über dem Haupteingang gab es einen ziemlich großen Balkon. Früher grüßte wohl der herrschende Baron von da oben, von der Beletage, seine Untertanen. Heute war der Balkon eher Deko.

Aber ...

... darunter?

Genau. Darunter war es ganz sicher trocken, so sah es zumindest aus. Und Licht brannte auch nirgends im Untergeschoss. Rechts oben, weit entfernt, brannte Licht in zwei Fenster – sehr, sehr weit entfernt.

Alenas Blick fiel zurück auf diesen dunklen trocknen Platz unter dem Balkon. Vielleicht zwanzig Schritte entfernt. Ideal.

Sie sah sich um.

Hier auf dem Weihnachtsmarkt war wirklich nichts los, niemand würde sie vermissen, zumindest nicht in der nächsten halben Stunde. Und da sie nicht vorhatte, sich zu erleichtern, und auch keine Schokofinger hatte, schien ihr dieser Platz für die nächsten Minuten ideal. Komm her und atme wenigstens ein paar Minuten ohne Rastlosigkeit durch, hatte dieses Plätzchen, da unter dem Balkon, ihrer ach so strapazierten Seele zugerufen.

Gehört, getan.

 

Nun stand sie hier. In der Verbotszone. Es war zwar trocken, doch wohl fühlte sie sich nicht.

Alena blickte auf den Regen, sah hinüber zu den beleuchteten Buden und spürte nun, wie sich eine andere Feuchtigkeit auf ihrer Haut ausbreitete. Angstschweiß.

»Mein Gott, was bist du nur für eine Schisserin«, grollte sie leise mit sich - sehr leise natürlich. Sie wollte ja niemanden stören.

Was für eine Fehleinschätzung.

»Hallo«, hörte sie plötzlich eine Stimme links neben sich. Entsetzt schrak Alena zusammen.

Eine Stimme?

Eine Frauenstimme.

Eine Dienstmagd?

Alena riss den Kopf herum. In einer kleinen Tür, die halb geöffnet war, unmittelbar neben der großen Schlosstür, stand tatsächlich eine Frau und blickte sie an. Ihr Alter und ihr Äußeres waren in der Dunkelheit kaum wahrnehmbar, was auch gänzlich unwichtig war, sie war nachweislich Teil der No-Go-Area, und sie hatte die Weihnachtselfe erwischt.

»Entschuldigung«, sagte Alena, zog sich die durchsichtige Kapuze über ihren Lockenkopf und machte einen ersten Schritt zurück in den Regen. »Ich weiß, ich darf hier nicht stehen. Ich bin ja auch schon wieder weg. Bitte entschuldigen Sie nochmals. Ich hab nichts berührt, ich hab mich auch nicht ... nein, ganz sicher nicht.«

Alena war völlig verwirrt. Sie wollte weg, einfach weg. Rasch zurück in das sichere und beleuchtete Areal der Buden und Fahrgeschäfte – zurück in den Regen.

»Halt. So warten Sie doch.«

Warten?

Sicherlich wollte diese Frau Alenas Namen wissen. Damit man ihr die Rote Karte zeigen konnte. Und das bereits am zweiten Tag. Oh, mein Gott. Nein, rasch weg hier. Und unter ihrem Regenponcho ...? So richtig zu erkennen war sie ja nicht. Und ich bestreite ganz einfach, je hier gewesen zu sein. Obwohl, einem intensiven Verhör würde sie ganz sicher nicht standhalten.

Verhör? Nicht standhalten?

Mein Gott, du bist wirklich eine Schisserin.

Nein! Nein! Nein!

 

Alena blieb stehen und drehte mich um – stellte sich ihrer »Untat«.

Doch die Tür wurde langsam wieder geschlossen.

Puh. Glück gehabt.

Aber nein, sieht nur, wie schrecklich.

Die Tür wurde wieder geöffnet. Und eine Frau setzte einen Schritt ins Freie, ins Regendunkel.

»Hallo. Ich wollte Sie nur fragen, ob ich Ihnen vielleicht einen Kaffee anbieten könnte. Bei diesem Schietwetter?«

Was? Einen Kaffee?

Ungläubig schüttelte Alena den Kopf.

»Danke, das ist sehr nett von Ihnen. Aber wie Sie sicherlich wissen, darf ich hier gar nicht sein. Bitte, wenn Sie einfach vergessen, dass ich hier gestanden hab.«

Die Frau sah die Weihnachtselfe fragend an. Und dann lachte sie. Lauthals.

Was gibt es da zu lachen?

»Sie gefallen mir. Mein Bruder hat da wohl ganze Arbeit geleistet.«

Ihr Bruder? Der Leiter des Weihnachtsmarktes war ihr Bruder? Alena verstand das nicht, sah diese Frau nur nervös an.

»Also, wie wär´s? Heißen Kaffee? Ja oder nein? Bitte entscheiden Sie sich rasch, mir wird es langsam ziemlich kalt hier draußen.«

Und Alena wusste nicht warum, sie nahm die Einladung einfach an. Vielleicht war es die Stimme, die den Ausschlag dafür gab. Sie klang freundlich und irgendwie auch mitfühlend und außerdem war es wirklich wirklich kalt, nasskalt und unangenehm hier draußen. Mit Schietwetter hatte die fremde Frau den Nagel auf den Kopf getroffen. Und der Gedanke an einen heißen starken Kaffee im Trocknen war sicherlich auch ein Grund, der freundlichen Aufforderung zu folgen.

Der Gedanke, dass diese Frau Alena für ihren Bruder als Sexsklavin in einem dunklen Kellerraum wegsperren könnte, kam ihr erst viel später. Aber bei ihren fetten Oberschenkeln hätten sie sie sicherlich als ungeeignet irgendwo hinter Koblenz unter schallendem Gelächter wieder ausgesetzt. Selbstverständlich unberührt.

Mein Gott, was für eine neurotische Fantasie. (Musste jetzt sein).

 

»Aber nur, wenn es keine Umstände macht«, sagte Alena und betrat das Schloss.

»Bitte, hier entlang«, sagte die Frau. Ein langer dunkler Flur lag vor ihnen. »Aber warten Sie, ich mache uns erst einmal Licht.«

Fragend sah Alena die Frau an. War sie den langen Flur bis zur Eingangstür absichtlich im Dunkeln gegangen?

Die fremde Frau schien ihre Gedanken zu erraten, und sie sagte:

»Ich wollte Sie eben nicht verschrecken.«

»Aha. Und woher wussten Sie, dass ich ...?«

»Mein Bruder hat im Außenbereich Kameras installieren lassen. Versteckt. Zu seiner Sicherheit. Er lebt hier allein. Sie verstehen?«

Ja, Alena verstand. Und sie verstand auch nicht. War ihr Bruder am Ende ... der Baron?

Stumm gingen sie den Gang entlang.

»Ich heiße übrigens Marleen«, sagte die Frau unvermittelt.

»Alena.«

»Schöner Name.«

»Ja, er bedeutet Fackel oder Licht.«

»Na, wenn das jetzt kein erfreuliches Omen ist«, sagte Marleen und blieb stehen. Die beiden Frauen sahen sich an und begannen herzhaft zu lachen.

Was für eine merkwürdige Situation.

Langsam gingen sie weiter. Aus dem Augenwinkel warf Alena einen Blick auf das Äußere dieser Frau ... Baronin?

Sie war sicherlich zehn Jahre älter als sie. Ihre schwarzen Haare waren kurz geschnitten, nicht zu kurz. Etonschnitt hätte die Friseurin ihrer Mutter gesagt. Alenas Mutter trug den gleichen Haarschnitt – schon seit immer. Der Rock ihres beigen Businesskostüms reichte ihr bis eben unter die Knie. Auch das kannte Alena von ihrer Mutter – auch schon seit immer. Und sie war sich sicher, ihr Kostüm war nicht »von der Stange«. Auch wie bei ihrer Mutter – schon seit immer.

 

»Hier, gleich links, ist die Küche.«

Alena folgte ihr. Sie betraten einen Raum, eher einen Saal, der sicherlich größer war als die komplette Wohnung, die Rebecca und sie hier in Lahnstein bewohnten. Und ganz sicher bald dreimal so hoch. Das war keine Küche, das war ein Kochsaal. Hier konnten zweifelsfrei mindestens fünf Köche und weiteres Personal für dreißig oder vierzig Personen ein Mehrgangmenü zubereiten, ohne dass sie sich im Weg stehen würden. Gewaltig.

Die abgehängten Leuchtkörper über einer imposanten Arbeitsfläche mitten im Raum und über einem großen Holztisch, hinten links, ließen die Saaldecke, irgendwo hoch oben im dunklen Nichts, nur erahnen. Auf dem Tisch stand ein Laptop, Papiere lagen ungeordnet daneben, zumindest erkannte Alena keine Ordnung. Es ging sie ja auch nichts an.

Sie sah sich weiter um. Wie gesagt, alles war gewaltig. Die Schränke, sicherlich mit Porzellan gefüllt – gewaltig; drei Kühlschränke – gewaltig; der Herd, Gas, mindestens acht Flammen – gewaltig. Und da gab es weitere Geräte, eingebaut und freistehend, deren Funktion Alena gänzlich unbekannt waren. Hatte sie jemals in einer solchen Küche gestanden?

Eher nicht.

 

»Was darf ich Ihnen anbieten, Alena? Kaffee, Espresso, Cappuccino?«

»Cappuccino, bitte.«

Die Frau (nicht einmal in Gedanken wagte Alena, sie mit Marleen anzusprechen) ging zu einer Kaffeemaschine, die auf einer kleinen Arbeitsplatte rechts an der Wand stand und stellte einen Becher unter den Auslauf.

»Stark oder nicht so stark?«

»Sehr stark, wenn es möglich ist.«

»Natürlich. Ich trinke meinen Cappuccino auch immer sehr stark«, sagte sie und drückte auf ein paar Knöpfe.

Während Kaffeebohnen laut gemahlen wurden, sah sie Alena an, blickte auf das Elfenkostüm, das unter dem Regenponcho gut zu erkennen war.

»Und Sie sind also eine dieser Weihnachtselfen. Das ist heute sicherlich kein Vergnügen da draußen, oder?«

»Nein, da haben Sie recht. Bitte, erlauben Sie mir eine Frage?«

»Auch zwei, wenn Sie möchten«, sagte sie lächelnd.

»Warum tun Sie das hier?«

Wieder lachte diese Marleen aus tiefster Seele. Es war ein freundliches, ein mitreißendes Lachen.

»Mein Bruder hat Sie gesehen. Auf einem seiner Bildschirme. Und er hat mich gebeten ... ich möchte es mal freundlich sagen, er hat mich gebeten, Sie zum Gehen zu bewegen.«

»Aha. Sie sollten mich verscheuchen, oder?«

»Genau. Das waren seine Worte: ›Verscheuch die fremde Person‹.« Wieder lachte sie und sah Alena dabei voller Herzlichkeit an.

»Mein Bruder ist manchmal ... wie soll ich es sagen ... Er ist sehr speziell. Er hat es nicht so mit Fremden.«

»Und er ist der Baron, stimmt´s?«

»Genau.«

»Dann sind Sie eine Baronin?«

»Baronesse, um genau zu sein. Marleen Baronesse zu Stolzenrain. Aber privat bevorzuge ich Marleen. Und wir sind hier ja jetzt privat, oder?«

Alena lachte. War ihr je eine solche Frau untergekommen?

»Wollen wir uns nicht setzen?«

»Aber nur ganz kurz.«

»Sicher, Alena, nur ganz kurz.«

Sie setzten sich. Und irgendwie gab es da etwas zwischen ihnen, es war beinahe so ähnlich wie mit Rebecca. Blicke, die keine Worte brauchten.

Alena trank einen Schluck Cappuccino, der wirklich stark und auch sehr warm war.

Sie lächelte die Frau unsicher an.

»Und warum haben Sie mich dann nicht verscheucht?«

»Nun ja, mein Bruder, wenn er denn von oben heruntergekommen wäre, hätte Sie auch nicht verscheucht. Er benutzt immer andere für die unangenehmen Dinge.«

»Dann hat er nichts dagegen, dass ich jetzt hier sitze und einen leckeren Cappuccino trinke?«

»Ganz sicher nicht.«

»Und er lebt hier allein?«

Die Baronesse drehte den Kopf ein wenig zur Seite und sah Alena argwöhnisch an.

»Wollen Sie ihn überfallen?«

Alena stutzte. Wie meint sie das denn?

»War ein Scherz. Aber nun erzählen Sie mal: Was machen Sie, wenn Sie nicht als Weihnachtselfe unterwegs sind?«

»Ich studiere.«

»Und was?«

»Medizin.«

»Na, da haben Sie sich ja ordentlich was vorgenommen. Und es macht noch immer Spaß?«

»Ja, sicher.«

So plauderten sie weitere Minuten. Alena erzählte noch von Rebecca. »Auch eine Weihnachtselfe, auch eine Medizinstudentin. Wir teilen uns eine Wohnung«, sagte sie und trank einen letzten Schluck. »Aber jetzt muss ich wieder. Sonst bekomme ich die Rote Karte.«

»Natürlich. Ich verstehe.«

 

Sie verließen die Küche, gingen den langen Flur entlang und strebten der Haustür entgegen.

»Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben. Wenn Sie Lust haben, könnten wir das morgen ...« Die Baronesse blickte durch eine Glasscheibe in der Tür nach draußen. Es regnete nicht mehr. »... oder später wiederholen.«

»Später wird kaum gehen. Die Kinder haben sicher schon sehnsüchtig auf das Ende des Regens gewartet. Es ist übrigens ein sehr schöner Weihnachtsmarkt, wenn es nicht gerade regnet. Haben Sie ihn sich schon angesehen?«

»Ja, gestern. Er ist wirklich schön.«

Die Baronesse öffnete die Tür.

»Dann bis morgen?«

»Sehr gern.«

Sie griff in ihre Kostümjacke und reichte Alena ein Kärtchen.

»Wenn Ihnen nach einem Cappuccino ist, schicken Sie mir eine kurze SMS. Und morgen werde ich dann gleich Licht im Flur machen, falls es erforderlich sein sollte.«

Sie lachten und reichten sich die Hand.

»Danke. Nochmals. Sie haben mir das Leben gerettet.« Alena redete Unsinn, egal, ihr war einfach danach.

»Immer wieder gern.«

 

* * *

 

Was für eine Frau, dachte Alena, als sie zurück war. Diese Herzlichkeit.

Hab ich so etwas je erlebt?

Eher nicht.

Und was macht sie da, in dieser riesigen Küche? An diesem Tisch? Und allein?

Und ihr Bruder wohnt tatsächlich auch irgendwo ganz allein in diesem Schloss?

Alenas Gedanken kreisten plötzlich um zwei Menschen, die vor einer Stunde kaum mehr als Namen für sie waren, zumindest was den Baron betraf.

Und obwohl ihr der Baron noch immer unbekannt war, sah sie ihn plötzlich in einem ganz anderen Licht. Er ist speziell, aber im Grunde wohl ebenso herzlich wie seine Schwester. Und menschenscheu?

Gedankenversunken trat Alena zwischen zwei Buden zurück in die vorweihnachtliche Umgebung.

 

»Wo warst du denn?«, riss Rebecca sie aus ihren Gedanken.

»Einen heißen Cappuccino trinken.«

»Wo denn? Ich hab dich überall gesucht.«

»Im Schloss.«

»Ja, ganz sicher. Du warst im Schloss und hast mit dem Baron Cappuccino getrunken. Du spinnst doch. Also, wo warst du? Du weißt, wir dürfen das Gelände nicht verlassen.«

»Nein, natürlich nicht mit dem Baron. Seine Schwester, Baronesse Marleen, hat mir einen Cappuccino angeboten. Eine wirklich nette Frau.«

Rebecca stockte, wich zurück und sah ihre Freundin mit zusammengezogen Augenbrauen skeptisch an.

»Hast du getrunken? Hauch mich mal an.«

»Wie gesagt: einen Cappuccino. Aber komm, wir wollen uns jetzt um die Kinder kümmern.«

Alena ließ ihre Freundin stehen und stürzte sich in die stetig wachsende Anzahl Besucher. Und da war auch schon das erste kleine Mädchen, das angelaufen kam.

»Bist du ein Engel?«

»Eine Weihnachtselfe.«

»Was ist eine Weihnachtselfe?«

Alena beugte sich zu dem kleinen Mädchen hinunter und beide begannen zu schwätzen, über den Weihnachtsmann, über den Wunschzettel der Kleinen und allerlei Dinge, die eine Weihnachtselfe dem Weihnachtsmann vertraulich erzählen könnte. Immer wieder blickte Alena in die großen staunenden Augen, die jedes ihrer Worte regelrecht aufsaugten – was für ein Geschenk.

Und die restlichen Stunden vergingen dann auch wie im Flug.

6 - Bernhard ... der Feigling

 

»Ich habe einen Cappuccino mit ihr getrunken.«

Bernhard Baron zu Stolzenrain blickte konzentriert und nachdenklich auf einen Text. Scrollte hoch. Scrollte runter. Und er sagte:

»Hmm.«

Marleen trat näher und blickte ihrem Bruder über die Schulter.

»Wir haben uns nett unterhalten.«

»Hmm.«

»Sie kommt morgen wieder.«

»Hmm.«

»Sie ist nett. Wirklich nett.«

»Hmm.«

Marleen blickte nun auch konzentriert auf den Text, tat zumindest so.

»Sie ist so ganz anders als Hedda.«

Bernhard stockte, hob den Kopf und sah seine Schwester an.

»Du kannst es nicht lassen, oder?«

»Hedda passt nicht zu dir.«

»Ich weiß.«

»Dann tu etwas.«

»Ich warte auf den richtigen Moment.«

»Der richtige Moment. Der richtige Moment. Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Es gibt ihn nicht, diesen ominös richtigen Moment.«

»Dann sag du es ihr.«

»Ich? Wie komme ich dazu. Sie ist deine ... Das musst du schon selber tun, du Feigling.«

»Aha. Und was hat das alles mit deiner Cappuccino-Bekanntschaft zu tun?«

»Das eben, das war kein Zufall.«

»Du spinnst.«

Marleen schüttelte den Kopf.

»Nein. Zur Weihnachtszeit passieren solche Dinge.«

»Lass das bloß niemanden hören.«

»Ich weiß. Ich sage es ja auch nur dir.«

7 - Zerbricht da eine Freundschaft?

 

Am Abend ereignete sich in der Zweier-WG etwas. Etwas Merkwürdiges, etwas Unschönes, etwas sehr Verstörendes, das Alena eine lange Zeit unerklärlich blieb.

 

»Daniel, soll ich dir mal was ziemlich Verrücktes erzählen?«, sagte Rebecca, eingekuschelt in den Armen ihres Freundes und zwischen zwei Küssen, die er ihr gab. Sie hatten sich jetzt einen Tag nicht gesehen. Daniel war verrückt nach Rebecca. Doch die hatte jetzt erst mal anderes im Kopf.

Ohne zu antworten, wollte Daniel sie einfach nur wieder küssen. Er hatte offensichtlich kein Interesse an verrückten Infos, ihm war jetzt nach verrückten Dingen, die er mit Rebecca in ihrem Zimmer gern machen wollte, gegebenenfalls auch schon hier im Flur. Doch das ging nicht, denn Rebecca drehte den Kopf erst einmal ein Stück zur Seite.

»Nun warte doch mal«, sagte sie genervt und schlüpfte aus seinen Armen. Er wich einen Schritt zurück.

»Na, dann erzähl schon.«

»Nee, jetzt will ich nicht mehr.«

Daniel verdrehte die Augen.

All das sah Alena nicht, es spielte sich hinter ihrem Rücken ab. Aber sie wusste es. So war es immer zwischen den beiden. Daniel kam zu ihnen, um zu essen und Rebecca anschließend flachzulegen (oder auch gern vor dem Essen – so wie heute). Durfte er Letzteres nicht gleich, weil Rebecca erst noch anderes tun oder sagen wollte, verdrehte er die Augen und wartete – bis er endlich ran durfte, zumindest so, wie und wo sie es ihm erlaubte. Die Blaupause ihrer Beziehung. Obwohl ... Beziehung? Nein, eine wirkliche Beziehung war das nicht, was es da zwischen den beiden gab.

 

Alena hielt sich da auch heute raus, wie jedes Mal. Es ging sie nichts an. Sicherlich, sie hatte im Moment niemanden, der ihr morgens, während sie die Zeitungen austrug, das Bettchen warmhielt. Aber auf solch einen Typen hätte sie sowieso liebend gerne verzichtet. Für Rebecca schien es nur Spaß zu sein, was Alena merkwürdig fand. Nun gut, warum sollte sie nicht auch die eine oder andere Macke haben, die sie widersprüchlich durchs Leben gehen ließ. Am Ende war sie auch nur ein Mensch, eine Frau, (k)eine .

---ENDE DER LESEPROBE---