LiebesBlicke - Axel Adamitzki - E-Book
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Axel Adamitzki

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Beschreibung

Sabrina Harmsdorf kehrt nach dem Tod ihrer Eltern nach Lahnstein zurück. Unter neuem Namen - Dolce - führt Sabrina das Café ihrer Eltern weiter. Liebe steht für Sabrina dort nicht auf der Karte. Das will Clara Kersten, Sabrinas beste Freundin, ändern. Julian Steinheim, Assistenzarzt in einem nahegelegenen Krankenhaus, verbringt bald täglich seine Mittagspause in dem Café. Er ist in Sabrina verliebt. Doch seine zurückhaltende Art verhindert, dass es mehr als belanglose Worte zwischen ihnen gibt. Durch Leon, Julians Freund, einem Womanizer, der von seiner Verlobten betrogen wurde, wofür er sich rächen will, egal wo, egal mit wem, gerät alles durcheinander. Und zu guter Letzt gibt es da noch Lotte Stegert, ebenfalls Assistenzärztin in dem nahegelegenen Krankenhaus, die sich nichts Schöneres vorstellen kann, als ihr Leben an der Seite von Julian zu verbringen. Das normale Leben. Mit einem normalen Ende? Vielleicht.

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LiebesBlicke
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19

LiebesBlicke

 

 

 

 

Impressum

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Das nachfolgende Werk ist frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt, auch stimmen Orte und ihre Beschreibungen nicht mit der Wirklichkeit überein. Markennamen sowie Warenzeichen, die im vorliegenden Werk Verwendung finden, sind Eigentum ihres rechtmäßigen Eigentümers.

 

Axel Adamitzki

Scheiblerstraße 81

47800 Krefeld

www.axel-adamitzki.de

 

Bildnachweis: www.depositphotos.com

 

Seitenzahl: 110 Seiten

 

 

 

Kapitel 1

 

Ihr Name war Sabrina Harmsdorf. Sabrina war fünfundzwanzig Jahre alt, und sie war sich sicher, dass ihr Leben - jetzt und immer - weder durch Glück noch durch Liebe bestimmt sein würde. Unglück und Schmerz hatte das Schicksal für sie vorgesehen, davon war sie überzeugt. Unglück und Schmerz! Was für eine unheilvolle Einschätzung.

Aber war die angemessen?

Vielleicht. Denn besah man sich die letzten Monate genauer, schien man geneigt, Sabrina recht zu geben.

Der schreckliche und dabei so tragische Tod ihrer Mutter war nur ein bitterlicher Anfang. Bald darauf betrauerte Sabrina auch noch den plötzlichen Tod ihres Vaters. Was für Tragödien, was für Schmerzen. Und schließlich – vielleicht unabänderlich – gab es da noch das Ende der Beziehung mit Bernd. Die Liebe war ihren schmerzhaften Schicksalsschlägen einfach nicht gewachsen gewesen. Leider! Sabrina hatte es gehofft, schien Bernd doch endlich der Richtige zu sein.

Unglück und Schmerz. Schicksalsschläge und Seelenqualen - Sabrinas Leben. Hatten Glück und Liebe da überhaupt eine Chance?

Wohl kaum.

Oder doch?

Manchmal bekommt man einen Blick, ein Lächeln geschenkt. Manchmal. Es annehmen, zulassen und erwidern ist in Momenten der Trauer, der schicksalhaften Ungerechtigkeit, die einem widerfahren ist, die sich einem tief in die Seele eingebrannt hat, oft sehr schwer. Aber wenn man es tut ...

 

Heute war der zweite Dienstag im Mai. Ein unbedeutender Maitag. Aber gibt es überhaupt unbedeutende Tage? Ist nicht jeder Tag, den man erlebt, bedeutend?

Sabrina hob den Kopf, sah zur Uhr. Ihre Lippen formten sich zu einem Lächeln, das die Augen - wie so oft in den letzten Wochen und Monaten - nicht erreichte.

Es war kurz vor zehn. Einen Moment hielt sie gespannt inne. Gleich, dachte sie, gleich.

Und schließlich klopfte es - wie bald jeden Morgen um diese Zeit. Während Sabrina noch rasch die letzte Cappuccinotasse aus dem Geschirrspüler nahm, huschte ihr ein weiteres wehmütig süßes Lächeln über die Lippen. Und wieder kam es über bittertraurige Mundwinkel nicht hinaus.

Sabrina Harmsdorf ging durch ihr noch geschlossenes Café zur Eingangstür. Da standen sie, Clara Kersten, ihre beste und älteste Freundin, und vor ihr Alina, Claras dreijährige Tochter. Und wieder klopfte Alina an die Glastür. Es war ein zartes, dennoch begieriges Anklopfen.

Als Alina Sabrina endlich sah, breitete sich auf ihrem Gesicht ein unglaublich hinreißendes Lächeln aus. Oh, wie Sabrina dieses Lächeln liebte ... und wie sie es brauchte. Und augenblicklich gab sie es sanft zurück.

Der Tag konnte beginnen.

Rasch schloss Sabrina die Tür auf, ging in die Hocke und breitete die Arme aus.

»Komm her, mein Goldstück.«

Alina fiel ihr geradewegs und mit einem Juchzer in die Arme, mehr noch, ... sie fiel ihr um den Hals.

Sabrina liebte die Kleine. Wie sehr? Nun ja, darüber dachte sie lieber nicht nach. Beziehungsmäßig war in ihrem Leben bislang so gut wie alles schief gegangen. Und ohne Beziehung? Und ohne Liebe? Nein, ein eigenes Kind kam da für sie nicht infrage. Leider. Doch glücklicherweise gab es ja die kleine Alina. So einfach war das für Sabrina. Zumindest sah es einfach aus.

Ihr Goldstück noch immer auf dem Arm, begrüßte Sabrina ihre Freundin - Küsschen links und Küsschen recht - und ging zur Kaffeetheke. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und ließ der Kleinen das Licht und die Musik »annipsen«, wie Alina sagte. Beinahe jeden Morgen war das ihr vergnügliches Ritual.

Leise Klänge erfüllten alsbald den Raum.

»Horch! Eros Ramazzotti«, sagte Sabrina mit gespanntem Blick und hob dabei andächtig den Zeigefinger. Natürlich konnte Alina mit dem Namen Eros Ramazzotti nichts anfangen, stieß aber ebenfalls ihren Zeigefinger begierig in Luft, den Klängen entgegen, und lachte.

Clara hatte derweil die Eingangstür einladend weit geöffnet, zog draußen die grauen Stapelstühle auseinander, stellte sie ordentlich vor die drei Metalltische, die zum Café gehörten, und öffnete die hellgrünen Sonnenschirme. Die ersten Gäste würden dort sicherlich gleich Platz nehmen.

Das Café Dolce lag am Ende einer kleinen Fußgängerzone auf einem beschaulichen Platz in Lahnstein. Der hintere Teil des Platzes war mit vier Kastanien bewachsen. Drei Parkbänke luden zwischen den Bäumen zum Verweilen ein. Im vorderen Teil gab es zwei Boutiquen, eine Apotheke und Sabrinas Café. Bewohner und Touristen schlenderten gern hier vorbei und betraten ebenso gern die eine oder andere Boutique, am Ende oft genug auch ihr Café.

Heute würde es wieder einen sonnendurchfluteten und behaglich warmen Maitag geben. Man konnte kurzärmlig unter den Sonnenschirmen sitzen, was sicher ein Stück weit zum entspannten Wohlbefinden und zu angeregten Gesprächen beitrug.

Clara kam herein, trat hinter den Tresen und machte sich einen Latte macchiato. Ihr Lohn. Bea, die montags bis donnerstags bediente, kam erst kurz vor zwölf und blieb dann bis gegen vier Uhr.

Sabrina war ihrer Freundin für die morgendliche Unterstützung dankbar. Selbstverständlich war das nicht.

Clara und Sabrina kannten sich beinahe ein Leben lang, sie hatten bereits im Kindergarten miteinander gespielt. Clara war da schon die Frechere von beiden gewesen, was sich bis heute kaum geändert hat. Gern hatte sich Sabrina damals hinter ihrer Freundin versteckt. Das hat sich mit den Jahren zwar gewandelt, hin zu eigenen Interessen, zum eigenen Leben, zum eigenen Charakter, aber gänzlich verschwunden war es bis heute nicht.

Nach dem Abitur hatten sich die beiden Freundinnen etwa fünf Jahre aus den Augen verloren – wobei der Kontakt nie gänzlich abgebrochen war. Sabrina war nach Berlin gegangen. Leben erproben. Sich ausprobieren. Überschwänglich, oft rücksichtslos ihrem alten Leben gegenüber.

Doch seit sie zurück war, schien es, als hätte es die Zeit der Abwesenheit nicht gegeben. Clara war auch die Einzige, mit der Sabrina über alles, was die Herausforderung Café Dolce mit sich brachte, reden konnte. Und fürwahr, eine Herausforderung war dieses Café für Sabrina - zumindest heute noch.

 

Eine ältere Frau trat ein und sah sich achtsam um.

»Darf man schon?«, fragte sie vorsichtig.

»Selbstverständlich. Suchen Sie sich in Ruhe einen Platz aus, ich bin dann gleich bei Ihnen.«

Die Frau setzte sich an den kleinen Tisch neben der Kuchentheke und sah sich weiter um.

Sabrina stellte die vier halben Torten, die vor Minuten angeliefert worden waren, in die gekühlte Auslage und ging zu der Frau.

»Darf es schon etwas sein? Oder schauen Sie noch?«

Die ältere Frau ließ weiterhin den Blick durch das Café schweifen, schien ein wenig irritiert, schließlich fragte sie:

»Ist Gisela nicht da?«

Sabrina zuckte unmerklich. Die Frau war ihr fremd.

»Sie kannten meine Mutter?«

»Kannte? Wie meinen Sie das?« Aus unsanft geweckten Augen sah die ältere Frau Sabrina an.

Ein Unwohlsein stieg in Sabrina auf, ihre Lippen begannen kaum erkennbar zu zittern. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Wie auch? Es würde schlimmer werden ... Nein, ich will das nicht. Und überhaupt ... wo anfangen, wo aufhören?, ging es ihr wirr durch den Kopf. Alles? Nein, natürlich nicht. Sie ist eine Fremde.

Und Sabrina sagte:

»Meine Mutter ... sie ist unlängst verstorben. Ziemlich plötzlich.« Mehr nicht, nein, mehr nicht. Und bleib ruhig. Sie ist eine Fremde, nur eine Fremde.

»Was? Aber ... aber das kann doch gar nicht sein. Letztes Jahr war sie doch noch ... Was ist geschehen? Entschuldigen Sie mein Entsetzen und meine Aufdringlichkeit, aber Sie müssen wissen, seit beinahe dreißig Jahren mache ich um diese Zeit eine Woche Kurzurlaub am Mittelrhein. Und in den letzten Jahren war ich stets wenigstens ein Mal hier in diesem Café. Ihre Mutter, ihr Vater und ich ... wir unterhielten uns gern und schon lange nicht nur über das Wetter ... Ich kann es noch gar nicht fassen. Verstorben?«

»Ja. Leider. Und dabei fühlte sie sich nur ein wenig unwohl«, erzählte Sabrina. Sie wusste nicht warum sie es nicht bei dem »Ja. Leider« beließ. War es die Fassungslosigkeit dieser fremden Frau? War es dieses Mitgefühl? Hör auf! Du weißt, ansonsten ... Aber sie konnte nicht aufhören.

»Mein Vater und ich haben sie gedrängt, zum Arzt zu gehen. Und da hat sich dann herausgestellt, dass es mehr als nur ein Unwohlsein war.«

Sabrina brach ab. Schluckte. Aber die Worte ließen sich nicht mehr aufhalten, und mit hilflos anklagender Stimme sagte sie:

»Bauchspeicheldrüsenkrebs war die Diagnose. Es ist dann sehr rasch gegangen. Keine drei Monate hatte sie mehr.«

»Das ist ja schrecklich.« Die ältere Frau schien tief betroffen.

»Und wann ...«, fragte sie, wobei ihr Blick irritiert einen Fixpunkt suchte, irgendetwas, woran sich ihre Gedanken und ihr Entsetzen klammern konnten. Doch da gab es nichts. »Wann ist sie verstorben?«

»Ziemlich genau sieben Monate ist das jetzt her.«

Die Unbekannte schüttelte entsetzt den Kopf.

»Mein aufrichtiges Beileid. Nachträglich.«

Mitfühlend sah sie die junge Frau an, und sie fragte:

»Und Bernhard, Ihr Vater ...? Für ihn ist sicherlich eine Welt zusammengebrochen. Die beiden waren so voller Liebe fürein...« Die ältere Frau brach ab und blickte entsetzt auf Sabrina. Der liefen augenblicklich Tränen über das Gesicht. Sie konnte und wollte sie nicht aufhalten. Ihre Lippen zittern nun entsetzlich.

Und Schreckliches argwöhnen, fragte die ältere Frau:

»Was ... Was ist mit Ihnen? Ihr Vater ...?«

Sabrina wehrte sich. Ich will das nicht. Nicht jetzt, nicht hier, ... nicht heute. Doch sie wusste, das würde nie ein Ende haben. Diese Trauer, diese ohnmächtige Trauer. Unruhig verhakte sie die Finger ineinander. Angst! Angst vor Erinnerungen, Angst vor der Schuld.

Und sie sagte ... leise, sehr leise:

»Mein Vater ... er ist ... er ist zwei Monate nach meiner Mutter auch gestorben.«

Die ältere Frau hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Sie wollte nicht glauben, was sie da vernommen hatte.

»Nein ... das ... das kann nicht sein.« Und sie hatte nun auch Tränen in den Augen.

Einen langen Moment schwiegen sie. Vom Platz vor dem Café drang Kinderlachen an den Tisch. Es verhallt ungehört.

»Und wie ...? Wie ist er gestorben? Auch ein ... Krebs?«

Sabrina senkte den Kopf. Der innere Widerstand war nun gänzlich gebrochen. Sag es, sag auch das noch. Und mit verlorener Stimme sprach sie – wobei sie ihre Worte, ihre Erklärung, ihre Beteuerung selbst noch immer nicht ganz und gar verstand:

»Er ist ... er ist einfach gestorben, verstehen Sie ... Er ... er hat einfach aufgehört zu leben.«

Und ich war nicht da. Ich war nicht bei ihm, kam wieder dieser unverzeihliche Gedanke leise und unausgesprochen in ihr hoch, der Gedanke, den Sabrina wohl den Rest ihres Lebens in sich tragen würde. Ich habe seine Trauer nicht gesehen, seine Ohnmacht, seine Hoffnungslosigkeit. Seine Einsamkeit. Gedanken, die sie wohl ewig anklagen würden.

»Das passiert schon mal«, hatte Dr. Schwarzer, ihr Hausarzt, gesagt. »Menschen, die bald ihr ganzes Leben miteinander verbracht haben, ... und deine Eltern waren bald vierzig Jahre ein Paar gewesen ... die sich bis zum letzten Tag geliebt haben, funktionieren oft allein nicht mehr. Leider ist das so. Oft träumen sie sogar davon, auch tot sein zu dürfen. Tatsächlich ... tot sein zu dürfen. Sie wollen ihren Partner nicht allein lassen. Egal wo auch immer das sein mag. Und dann hören sie einfach auf zu leben.«

»Aber hätte ich es nicht sehen müssen? Spüren müssen? Ich hab meinen Vater doch geliebt?«, hatte Sabrina verzweifelt gefragt.

»Das ist schwer, sehr schwer. Aber nein, machen Sie sich da keine Vorwürfe, Sabrina«, hatte Dr. Schwarzer noch ergänzt.

Sabrina machte sich Vorwürfe, auch heute noch. Und schlimmer noch, sie zweifelte an ihrer Fähigkeit zu lieben. Ich kann nicht lieben, ich kann nicht wirklich lieben.

Was für eine Selbstanklage.

Denn könnte ich lieben, hätte meine Liebe Papa halten können, und er würde heute noch leben.

Was für ein Bedauern.

All das behielt sie für sich. Ihr Geheimnis, das sie noch mit keinem Menschen geteilt hat.

 

Sabrina sah die ältere Frau entmutigt an und zuckte nur die Achseln. Und nun weinte sie bitterlich.

Alina, die all das sah, aber nicht verstand, hatte aufgehört, das Café zu erkunden, war rasch zu ihrer Mutter gelaufen, hielt sich an ihrem Hosenbein fest und starrte ängstlich auf Sabrina. Schließlich begann auch sie zu weinen.

Es war schrecklich.

Die ältere Frau nahm vorsichtig Sabrinas Hand, und sie sagte:

»Das tut mir leid. Das ... das tut mir entsetzlich leid. Ich wollte nichts aufwühlen. Sie sind Sabrina. Richtig?«

Sabrina nickte stumm.

»Leider sind wir uns hier nie begegnet. Aber ihre Eltern haben mir viel von Ihnen erzählt. Sie waren sehr stolz auf Sie.«

Ja, das waren sie, Sabrina wusste es. Doch seit dem Tod ihres Vaters war Sabrina nicht mehr stolz auf sich.

Wäre sie nach dem Tod ihrer Mutter hier in Lahnstein geblieben, würde ihr Vater sicherlich noch leben. Davon war sie überzeugt. Und diese Schuld ... nie würde die getilgt werden.

Einen langen Moment schwiegen sie erneut.

Und langsam beruhigte sich Sabrina wieder, kam sie wieder zu sich, nahm sie den heutigen Tag wieder wahr, und sie fragte, auch um sich abzulenken:

»Darf ich Ihnen etwas bringen?«

Die ältere Frau verstand. Sie wischte sich eine letzte, verlorene Träne aus den Augen, und sie sagte:

»Einen ganz normalen Kaffee ... vielleicht. Oder bieten sie so etwas hier nicht mehr an?«

»Doch, natürlich.«

Sabrina wischte sich mit dem Ärmel ihrer weißen Bluse die letzte Träne von der Wange und wollte aufstehen, da sagte Clara:

»Bleib sitzen, Sabrina, ich mach den Kaffee.«

»Danke, Clara.«

Die ältere Frau blickte fragend zu Clara und schließlich zu Sabrina.

»Sie ist meine älteste Freundin. Sie hilft mir sehr«, erklärte Sabrina. »Und Alina, ihre Tochter, mein Goldschatz, streichelt mir meine Wunden.

Aber Schluss jetzt. Sonst werde ich noch völlig rührselig. Und ganz sicher ist das nichts, was meine Eltern gewollt hätten und was die Gäste hier sehen möchten.«

Die ältere Frau lächelte milde, und sie sagte:

»Dann führen Sie jetzt das Café?«

»Ja. Es war immer der Wunsch meiner Eltern gewesen. Obwohl ... gedrängt haben sie mich nicht dazu. Sie haben mein Leben in Berlin akzeptiert. Aber nun ...«

Nun hab ich durch den Tod meines Vaters so viel Schuld auf mich geladen, dass ich gar nicht anders konnte, stieg es in Sabrina hoch.

»Beinahe wäre ich nicht hereingekommen«, sagte die ältere Frau, für die Sabrinas stumme Selbstzweifel ungehört blieben, aber nicht unbemerkt. Und wohl um weiter abzulenken, ergänzte sie:

»Der Name hat sich geändert. Dolce klingt sicherlich zeitgemäßer als Kaffeehaus Sonnenschein. Und die Musik ist auch anders. Und die Wände, der warme Gelbton und die aufgemalten Bilder ... schön und anders ... aber irgendwie auch abgerissen?«

Sabrina lächelte endlich wieder. Abgerissen hatte sie schon oft gehört. Auf der Wand hinter dem Tresen ›lag‹ der Stiefel Italiens, doch links oben fehlte ein Stück Friaul, Venetien und Trentino ... das aufgemalte Bild schien an der Ecke tatsächlich wie abgerissen. Auch von den weichen Hängen der Toskana und von dem Kolosseum, auf den anderen Wänden, fehlten links oben die Ecken des Bildes.

»Die Künstlerin fand, das sei ›ein krasser Eyecatcher‹, wie sie sagte.«

»Krasser ...«, wiederholte die ältere Frau, nickte und ließ den Blick weiter durch den Raum schweifen.

»Alles ist ein wenig ... italienisch und doch ... das Interieur, diese Wiener Kaffeehausgemütlichkeit, haben Sie beibehalten. Die Mischung gefällt mir.«

»Danke. Ja, meine Eltern sollen erkennbar bleiben. Das war mir wichtig.«

Beide sahen sich um. Die Einrichtung, das Café gemeinsam mit dieser fremden Frau anzusehen, brachten Sabrina die Eltern für einen Augenblick angenehm zurück.

Nackte braune Holztische, auf denen kleine weiße Deckchen lagen; an jedem Tisch zwei, vier oder gar sechs dieser wundervoll geschwungenen Kaffeehausstühle von Thonet; selbstverständlich gab es auch einen hölzernen Garderobenständer, in dem unten ganz sicher sechs oder acht Schirme abgestellt werden konnten; und die tägliche Presse, zwei regionale und drei überregionale Zeitungen, fehlte auch nicht.

Und die Gäste dankten es Sabrina bald täglich. Sabrina gab diesen Dank stets weiter, an ... an Mama und Papa.

 

Clara brachte die Tasse Kaffee, streichelte ihrer Freundin sanft über die Schulter und ging zurück zum Tresen, wo Alina darauf wartete, von ihr auf den Arm genommen zu werden, um sich rasch anzukuscheln.

Nachdenklich lächelnd beobachtete Sabrina die Kleine, wendete sich schließlich wieder der fremden Frau zu, und sie sagte:

»Vor zwei Wochen hab ich eröffnet. Und ehrlich gesagt, es fühlt sich noch immer wie eine für mich kaum zu stemmende Herausforderung an.

Sicherlich, es ist nur ein Café, aber die Fußstapfen meiner Eltern sind schon gewaltig.«

Ehrliche Worte. Die ältere Frau würde sie verstehen.

»Das glaube ich Ihnen, Sabrina. Aber es ist eine Herausforderung, die sie ganz sicher meistern werden.«

»Vielleicht. Zumindest hoffe ich das. Ich habe meinen Beruf dafür aufgegeben. Ich bin EDV-Kauffrau und habe in Berlin gelebt und gearbeitet. Als ich ...«

Wieder schossen Sabrina Tränen in den Augen. Sie drehte sich ab, tat so, als würde sie die Torten in der Auslage begutachten, wollte die Tränen nicht zeigen ... auch sich selbst nicht.

Mitfühlend sah die ältere Frau Sabrina an, legte ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm und sagte:

»Leicht meint das Schicksal es wirklich nicht mit Ihnen, Sabrina. Dann hoffe ich für Sie, dass es da neben ihrer liebsten Freundin einen Partner gibt, der Sie aufrichtig liebt und Ihnen zur Seite steht. Sie hätten es verdient.«

Sabrina zuckte nur die Achseln. Die ältere Frau verstand.

»Aber das kommt. Ich bin mir da sehr sicher.«

Ihre Worte taten Sabrina gut.

Am Ende beschrieb sie der älteren Frau noch den Weg zum Friedhof - sie wollte unbedingt das Grab ihrer Eltern aufsuchen. Und in den nächsten Tagen wollte sie dann eventuell noch einmal vorbeischauen. Für heute verabschiedeten sich die beiden Frauen sehr herzlich voneinander.

 

*

 

Clara hatte alles mitangehört. Und das mit dem Partner, mit der Liebe, das war ihr Thema. Es lenkte ab. Auch hatte Sabrina für heute genug geheult. Clara gab sich oft sehr pragmatisch, konnte sie dahinter doch vortrefflich ihre wahren und tiefen Gefühle verstecken. Und ... heulen? In ihrem Leben kam das nur selten vor.

»Sabrina, die Frau hat recht«, sagte sie mit fester Stimme.

---ENDE DER LESEPROBE---