Weiße Weihnacht - Ruth Gogoll - E-Book

Weiße Weihnacht E-Book

Ruth Gogoll

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Beschreibung

Zwei Geschichten werden Ihr Weihnachtsfest verzaubern: In "Advent" lesen Sie, dass die Suche nach Liebe nie wirklich vergebens ist; "Weiße Weihnacht" entführt Sie in ein geheimnisvolles Haus, dessen Bewohnerin auf den Besuch einer Fremden schon sehr, sehr lange gewartet zu haben scheint ... 'Eine wunderbar geschriebene, schaurig-schöne Geschichte mit unerwartetem Ausgang.' (Affinity eBooks)

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Ruth Gogoll

WEISSE WEIHNACHT

Zwei zauberhafte Weihnachtsgeschichten

Originalausgabe: © 2003 ePUB-Edition: © 2013édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-061-5

Coverfoto:

Advent

»Advent, Advent, ein Lichtlein brennt . . . Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür.«

Ein Lichtlein brannte auch auf meinem Adventskranz, soweit stimmte das Lied, aber dass das dazu führen würde, dass bald das Christkind vor meiner Tür stand – das bezweifelte ich. Denn das ›Christkind‹, das ich mir gewünscht hätte, wäre ein ganz besonderes gewesen. Eine Frau – nicht nur für eine Nacht. Eine Frau fürs Leben. Ein Weihnachtsgeschenk, das ich mir seit Jahren wünschte und nie bekam. Ich war allein.

Manchmal fühlte ich mich auch einsam, aber durchaus nicht immer. Ich hatte einen Beruf, der mich ausfüllte. Ich hatte Freundinnen und Freunde. Ich konnte mich eigentlich nicht beklagen. Und dennoch: Es war klar, dass mir etwas fehlte.

Alle anderen sahen das wahrscheinlich nicht so dramatisch wie ich. Aber sie hatten leicht reden. Wenn sie mit ihrer Liebsten am Tisch in der Pizzeria herumturtelten, konnte ich nur gequält zuschauen. Man ist ja nicht neidisch . . . man ist überhaupt nicht neidisch . . . Natürlich wollte ich das auch gar nicht sein: neidisch. Ich gönnte ihnen ihr Glück ja. Aber wie konnten sie da nachempfinden, wie es mir ging, so ganz einsam und allein? Sie konnten es nicht.

Ich schlenderte durch die Stadt und betrachtete die weihnachtlich geschmückten Schaufenster. Überall lachende Gesichter. Engel, Weihnachtsmänner, Kinder, die mit bunten Sachen spielten, sogar den Stofftieren schien ein Grinsen aufs Gesicht gesteppt zu sein.

Mir wurde kalt. In der Nähe war ein Café. Mir die Hände reibend ging ich auf den Eingang zu. Warum hatte ich bloß keine Handschuhe mitgenommen? Ich trat hinein in die stickige, warme Luft des Gastraumes. Laute Musik empfing mich. Erstaunt sah ich mich um. Was war denn heute los? Normalerweise spielte in solchen Cafés die Musik doch nur dezent im Hintergrund.

Hier jedoch war in der Mitte des Cafés eine Tanzfläche freigeräumt worden, auf der sich sogar ein Paar drehte. Nun sah ich auch den Anschlag an der Tür. »Heute Tanzcafé!« Na, das sah ja aus wie zu Ur-Omas Zeiten! Die Anwesenden wirkten wie zwischen siebzig und scheintot. Das Paar, das sich auf der Tanzfläche drehte, bewegte sich auch nur sehr gemessen. Nun ja, für einen langsamen Walzer wahrscheinlich an-gemessen.

Ich lachte ein wenig über meinen eigenen Witz. Sollte ich wieder gehen? Das war offensichtlich nicht das richtige Ambiente hier für mich, weder vom Alter her noch von der sexuellen Ausrichtung. Obwohl – nun betrat ein reines Frauenpaar die Tanzfläche, beide weißhaarig. In dieser Generation waren ja noch viele der Männer im Krieg gefallen, da blieb den Frauen nichts anderes übrig als miteinander zu tanzen, weil es nicht genügend männliche Tanzpartner gab. Die beiden schienen auch sehr viel Spaß aneinander zu haben. Sie lachten und tanzten recht flott im Vergleich zu dem, was ich vorher beobachtet hatte.

Ach, warum eigentlich nicht? Hier konnte ich mich aufwärmen, und allzulange brauchte ich ja nicht zu bleiben. Die alten Herrschaften zu beobachten war vielleicht auch ganz lustig. Einen Tisch zu finden war nicht einfach. Es gab nur noch einen Platz ganz hinten in der Ecke, von wo aus man die Tanzfläche kaum sah. Die günstigeren Tische hatten alle die tanzwütigen Senioren belegt. Aber das machte mir ja nichts aus.

Ich fragte, ob ich mich dazusetzen könnte, und die ältere Dame am Tisch nickte freundlich und sagte: »Ja, bitte.«

Nachdem ich meine heiße Schokolade mit Sahne bestellt hatte, begann ich ein höfliches Gespräch mit ihr. Schließlich waren wir Tischnachbarinnen. »Kommen Sie öfter hierher?« fragte ich.

»Eigentlich nur zum Tanztee einmal im Monat«, antwortete sie lächelnd. Ihr Lächeln verstärkte sich. »Ach nein, heute ist ja Tanzcafé!« Sie beugte sich verschwörerisch zu mir. »Aber man kann auch Tee trinken, glaube ich.«

Ich sah sie etwas überrascht an und bemerkte das Blitzen in ihren Augen, geradezu wie bei einem jungen Mädchen. Innerlich schien sie jung geblieben zu sein. Sie wirkte kaum älter als ich in diesem Moment, da sie mich ein wenig auf den Arm nahm. »Und Kakao!« sagte ich, weil gerade die Bedienung mit einer großen Tasse kam, die sie vor mich hinstellte. Die Sahne lief trotz des Umfanges des Gefäßes über den Rand. Ich hob die Tasse schnell an und leckte sie ab. Dann behielt ich die Tasse in der Hand und wärmte meine Finger daran. Ich lachte die Frau mir gegenüber an. »Sie haben Humor«, sagte ich.

»Och, in meinem Alter ist das kein Verdienst«, sagte sie. »Die Welt kommt einem so lächerlich und unbedeutend vor, wissen Sie, wenn man so viel hinter sich gebracht hat wie ich. Da regt man sich über nichts mehr auf.« Ihr Blick schweifte an mir vorbei zur Tür, als ob sie jemand suchte. Dann leuchteten ihre Augen auf. »Da kommt meine Enkelin«, sagte sie. »Sie holt mich immer ab. Ich wohne doch ein ganzes Stück entfernt.«

Gleich darauf nahm ich hinter mir eine junge Stimme wahr. »Na, Oma, amüsierst du dich?« fragte sie. Sie hatte den gleichen freundlichen Klang wie die Stimme ihrer Großmutter. Musste in der Familie liegen.

Einen Augenblick später beugte sich ein Rücken über die alte Frau mir gegenüber. Die Enkelin gab ihrer Großmutter einen Begrüßungskuss. »Ich wollte nur mal schauen, was du so machst«, sagte sie und zog sich einen Stuhl heran, um sich zu setzen. »Ob du schon nach Hause willst oder lieber noch länger bleiben.«

Nachdem die junge Frau sich gesetzt hatte, konnte ich die ältere, mein Gegenüber, wieder sehen. Sie lächelte ihre Enkelin liebevoll an. »Das ist nett von dir«, sagte sie. »Ich würde gern noch etwas bleiben. Falls du Zeit hast.«

»Aber natürlich, Omi«, erwiderte die junge Frau. Sie schien ihre Oma genauso zu mögen wie die umgekehrt sie.

Ein sehr inniges Verhältnis. Ich hätte fast geseufzt. Man konnte die Zärtlichkeit, die in den Stimmen der beiden mitschwang, beinahe körperlich spüren. Wie gern hätte ich das auch einmal gehabt.

»Darf ich Ihnen meine Enkelin vorstellen?« wandte sich die ältere Dame nun immer noch freundlich lächelnd an mich. »Alina. Und unser beider Nachname ist Schweitzer. Sie ist die Tochter meines Sohnes.«

»Saskia Fey«, stellte ich mich selbst vor. »Sehr erfreut, Frau Schweitzer.«

Frau Schweitzer nickte. »Frau Fey und ich kennen uns erst seit fünf Minuten«, erklärte sie ihrer Enkelin. »Sie hat sich nur zu mir an den Tisch gesetzt, weil sonst kein Platz mehr frei war.«

»Ach so«, entgegnete ihre Enkelin, und ihr Interesse schien zu erlöschen.

Meins jedoch erwachte. Alina Schweitzer war eine sehr attraktive junge Frau. Lange, dunkle Haare, die anscheinend von einer Naturkrause gewellt wurden, und ein äußerst anziehendes Gesicht. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem ihrer Großmutter. Auch sie musste in ihrer Jugend eine sehr hübsche Frau gewesen sein. »Sie sehen sich sehr ähnlich«, sagte ich. »Es ist wirklich nicht zu übersehen, dass sie verwandt sind. Eine gutaussehende Verwandtschaft.«

»Oh, vielen Dank«, sagte Frau Schweitzer senior, und wenn ich ein Mann gewesen wäre, wäre sie vielleicht zart errötet wie ein junges Mädchen. Sie war wirklich reizend.

Alina Schweitzer wandte sich mir ein wenig überrascht zu. »Was für ein ungewöhnliches Kompliment«, sagte sie, »von einer Frau.«

»Ach, wissen Sie«, ich nippte an meinem Kakao. Die Sahne hatte sich schon fast aufgelöst, »ich trage meine Gedanken immer auf der Zunge. Manchmal hat mir das auch schon Ärger eingebracht.« Ich lachte und versuchte, in ihren Augen zu lesen, die mich immer noch interessiert musterten. »Aber heute nicht, hoffe ich.«

»Nein, sicherlich nicht.« Alina Schweitzer lächelte. Es war grausam. Grausam für mich, die ich sie nicht einfach in meine Arme reißen und küssen konnte. Ihr Lächeln war ungekünstelt und bezaubernd. Es löste ein warmes Kribbeln in mir aus.

Alina wandte sich wieder ihrer Großmutter zu. »Willst du heute nicht tanzen?« fragte sie.

»Ach, es sind so wenig Herren da«, erwiderte ihre Großmutter, »und die sind alle schon belegt. Die Damen kenne ich auch kaum. Ich schaue einfach nur zu.«

»Aber du tanzt doch so gerne!« Alina horchte. »Hör mal, ein Walzer. Das ist doch dein Lieblingstanz.« Sie stand auf und sah ihre Großmutter schelmisch lächelnd an. »Darf ich bitten?« fragte sie.

Ihre Großmutter wirkte etwas unentschlossen. »Du musst das nicht nur meinetwegen tun, Kind, ist schon gut.«

»Aber ich tue es ja in erster Linie meinetwegen«, protestierte Alina und bot ihrer Großmutter ihren Arm. »Ich komme fast nie dazu, einen Walzer zu tanzen.« Sie lachte noch spitzbübischer. »Und dann noch mit einer so reizenden Dame.«

Ihre Großmutter lachte und stand auf. »Du hast mich überzeugt!« sagte sie.

Ich blickte den beiden hinterher, wie sie auf die Tanzfläche gingen. Sie waren tatsächlich ein schönes Paar. Alina nahm ihre Großmutter in den Arm und führte. Es schien ganz selbstverständlich. Was hatten Alinas Bemerkungen zu bedeuten? Eben noch hatte sie sich darüber gewundert, dass eine Frau einer anderen ein Kompliment über ihr Aussehen machte, und nun schien es fast, als wäre das Tanzen mit einer Frau, sogar das Führen, gar nicht so ungewohnt für sie. Was sollte mir das sagen?

Als der Walzer zu Ende war, folgte noch ein Slow-Fox, und auch den tanzte Alina mit ihrer Großmutter. Danach kehrten sie an den Tisch zurück. Frau Schweitzer senior schien etwas erhitzt. »Jetzt muss ich mich aber ausruhen!« sagte sie lachend und ein wenig außer Atem, »Meine Beine sind nicht mehr so jung wie deine!«

»Och . . .«, machte Alina in wahrscheinlich gespieltem Bedauern. »Und ich hätte so gern noch weitergetanzt.«

»Frag doch Frau Fey. Vielleicht hat sie ja Lust«, schlug Frau Schweitzer senior vor, und ich meinte, erneut das jugendliche Aufblitzen in ihren Augen zu erkennen, das ich schon zu Anfang bemerkt hatte.

Ich hob lachend die Hände. Sie machte wohl einen Scherz! Wenn diese Frau, Alina, mich berührte, würde ich in die Luft gehen! »Ich bin ja gar nicht zum Tanzen hergekommen«, sagte ich. »Ich wusste nichts davon, bis ich die Musik hörte.«

»Das ist doch kein Grund«, erstickte Frau Schweitzer senior all meine Einwände schon im Keim. »Wenn ich jünger wäre, würde ich ununterbrochen tanzen. Das habe ich früher immer getan. Und ihr beide seid doch jung. Also tanzt.« Es klang fast wie ein Befehl, wenn auch sehr freundlich und mit lächelndem Gesicht vorgetragen.

Alina Schweitzer zuckte die Schultern und blickte mit komisch verzogenem Gesicht zu mir hinunter, die ich immer noch am Tisch saß. »Ich fürchte, wir müssen gehorchen«, sagte sie. »Sie kennen meine Großmutter nicht. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat –« Sie hielt mir die Hand hin. »Wollen wir?«

Ich war mir ziemlich sicher, was ich wollte. Aber mit Tanzen hatte das eher weniger zu tun . . . Ich stand auf. »Wenn Sie meinen. Ich beuge mich der Weisheit des Alters.« Ich blickte lächelnd zu Frau Schweitzer hin.

»Sagen Sie ruhig, was Sie denken: der Sturheit!« lachte sie.

Alina lachte auch. »Kommen Sie. Ich kenne keine Frau, die so viel Charme hat wie meine Großmutter. Die macht mir jeden Verehrer abspenstig mit ihren heißen Flirts, sogar noch eine Frau!« Sie lachte noch mehr, als ob das besonders absurd wäre.

Was es vermutlich auch war. Nur ich empfand es nicht so. Als ich Alina Schweitzer auf die Tanzfläche folgte, war das für mich ja eine durchaus vertraute Situation, nur nicht in einem solchen Café. Normalerweise tat ich das auf der Lesbendisco.

Alina wollte schon in Position gehen, da zögerte sie. »Entschuldigung, ich sollte vielleicht fragen. Wer soll führen?« Sie lachte kurz. »Mit meiner Großmutter bin das immer ich. Sie ist ja von Männern nichts anderes gewöhnt. Aber wenn Sie lieber wollen . . .?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich lasse mich auch ganz gern führen.«

Alina nickte. »Na dann . . .«, sagte sie lächelnd. »So brauchen Sie sich beim nächsten Mann nicht umzustellen.«

Sie legte ihre Hand auf meine Taille und zog mich ein wenig zu sich heran. Mehr, mehr! wünschte ich mir innerlich. Näher!