Weltenverschlinger - Jo Zybell - E-Book

Weltenverschlinger E-Book

Jo Zybell

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Beschreibung

Gefangen hinter der 'Horizontverschiebung' im Herzen Andromedas sucht die Besatzung der POINT OF verzweifelt nach einem Ausweg aus der schier unüberwindbaren Falle. Doch statt Rettung finden sie den Weltenverschlinger.

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 19

Weltenverschlinger

 

von

 

Jan Gardemann

(Kapitel 1 bis 5)

 

Jo Zybell

(Kapitel 6 bis 10)

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 11 bis 16)

 

Achim Mehnert

(Kapitel 16 bis 21)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

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Impressum

Prolog

Ende des Jahres 2065 steht die Menschheit am Scheideweg: Auf der nach dem Krieg gegen die Roboter des »Volkes« zu einem Eisklumpen gewordenen Erde leben nur noch 20 Millionen Menschen. Relativ gut aushalten läßt es sich nur in der Hauptstadt Alamo Gordo, deren neuartiger Schutzschirm ihr nicht nur Sicherheit gibt, sondern auch für angenehm hohe Temperaturen sorgt.

Die restlichen 36 Milliarden Menschen wurden nach Babylon umgesiedelt und richten sich dort unter der Regierung Henner Trawisheims neu ein. So wäre auf der Erde eigentlich viel Platz – hätten nicht die Riiin oder Eisläufer ihren Lebensmittelpunkt nach Terra verlegt. Dieses Volk kann nur bei extrem niedrigen Temperaturen überleben – und ist so naturgemäß gegen jeden Versuch, der irdischen Sonne zu ihrer alten Kraft und dem Eisplaneten Terra zu neuer Wärme zu verhelfen.

Genau diesen Versuch aber hat Ren Dhark mit seiner Expedition in die Nachbargalaxis Andromeda unternommen. Denn es gibt nur einen Weg, um die Sonne wieder stark zu machen: Die Synties, tropfenförmige Energiewesen, die im freien All leben und seit vielen Jahren gute Freunde der Terraner sind, könnten interstellares Wasserstoffgas einfangen und in die Sonne stürzen lassen – so lange, bis sie ihre alte Masse und damit ihre alte Kraft zurückgewonnen hat.

Doch die Synties sind von den gefühllosen, eiskalten Echsenwesen des Glandarenvolks entführt und als Energiequelle mißbraucht worden. Zwar gelingt es Dhark, die Synties zu befreien, aber gewaltige Ringraumer des Geheimen Imperiums, einer noch skrupelloseren Macht, die schon vor mehr als tausend Jahren Krieg gegen die Worgun in Andromeda führte, löschen das Volk der Glandaren gnadenlos aus. Beim Versuch, wenigstens einige von ihnen zu retten, geraten die Flashpiloten Pjetr Wonzeff und Harold Kucks in die Hände des Geheimen Imperiums.

Es gelingt den beiden Männern unerwartet rasch, aus der Gefangenschaft zu fliehen, doch Dhark und die POINT OF sind verschwunden. Eine gefährliche Odyssee durch das unbekannte Sternenmeer führt die beiden schließlich zu einer ehemaligen Stützpunktwelt der Worgun, auf der es nichts gibt außer einer goldenen Gigantstatue. Mit ihrer Hilfe gelingt es, einen Notruf nach Babylon in der Milchstraße abzuschicken. Doch kaum ist dieser Notruf draußen, greifen dreihundert überschwere Ringraumer des Geheimen Imperiums an. Auf der Flucht gelangen die beiden Terraner auf eine ehemalige Welt der Salter – und Harold Kucks trifft mit der Faskia Ssirkssrii seine Seelenpartnerin. Die Echse verleiht ihm unglaubliche Kräfte…

Dhark empfängt den Notruf und bricht erneut nach Andromeda auf, um die verschollenen Gefährten zu suchen. Die werden tatsächlich gefunden, und man könnte sich auf den Heimweg zur Erde machen – wäre da nicht plötzlich die Horizontverschiebung aufgetreten, ein Phänomen, dem nicht einmal die POINT OF entkommen kann. Wenigstens gelingt es, eine Bresche ins bisher unüberwindbare Verteidigungssystem des Geheimen Imperiums zu schlagen. Doch das können auch noch andere, die gleich mit kompletten Sonnensystemen transitieren…

Auf der Erde rekrutiert der Wächter Simon drei Menschen für das neue Wächterprogramm: Svante Steinsvig, Arlo Guthrie und – Doris Doorn! Die INSTANZ von ARKAN-12 schickt sie nach erfolgter Umwandlung auf einen Werftasteroiden in die Milchstraße, wo ein Ringraumer auf sie warten soll.

Doch statt auf das Raumfahrzeug stoßen sie auf einen ebenso mächtigen wie geheimnisvollen Feind, den sie erst im allerletzten Augenblick besiegen können. Rettung kommt vom Planeten Eden: Terence Wallis rüstet die Wächter mit einem brandneuen Ovoid-Ringraumer aus und verlangt dafür nichts außer einem »Gefallen« – bei Gelegenheit. Doch ihre Jagd nach dem geheimnisvollen Feind wird viel gefährlicher, als sie ahnen, denn er kann aus Raum und Zeit heraus angreifen…

1.

Leon Bebir fuhr sich mit den Fingern durch das dichte rote Haar. Mit einer fahrig wirkenden Bewegung griff er dann nach der Zigarettenpackung in der Tasche seiner Uniformjacke. Während er gebannt über die Schulter von Tino Grappa hinweg auf die Anzeigen der Ortungsanlage starrte, fingerte er ein Stäbchen aus der Terrax-Schachtel, die er aus einem Automaten in der Kantine gezogen hatte. Er schob sich einen Glimmstengel zwischen die Lippen und zündete ihn an. Tief inhalierte er den Rauch und stieß ihn durch die Nase wieder aus.

Bevor der bläuliche Qualm dem mailändischen Ortungsoffizier lästig werden konnte, hinter dem Bebir stand, wurde der Qualm von der Klimaanlage angesaugt und neutralisiert.

Bebir war ein begeisterter Raumfahrer und hatte die meisten Prüfungsfächer in der Raumakademie mit »ausgezeichnet« abgeschlossen; die meisten, bis auf die Sachgebiete Astronomie und Astrophysik. Hier waren seine Leistungen sogar unterdurchschnittlich ausgefallen. Trotzdem hatte Bebir vor vierzehn Jahren seine Chance erhalten, sich als Besatzungsmitglied der POINT OF zu bewähren. Inzwischen war er zum Zweiten Offizier im Rang eines Leutnants aufgestiegen – und er ließ keine Gelegenheit aus, sich in den Wissensgebieten fortzubilden, in denen er damals auf der Akademie so kläglich versagt hatte.

Aus diesem Grund hatte Bebir sich hinter Grappa postiert und beobachtete die in das Steuerpult eingelassenen Bildschirme, auf denen astronomische Meßdaten abgebildet wurden.

Die Transitionsimpulse, die die Ortungsanlage der POINT OF vor kurzem aufgespürt hatte, waren jedoch so ungeheuerlich stark und ungewöhnlich, daß Bebir starke Zweifel gekommen waren, ob die Stunden, die er in Grappas Nähe verbracht hatte, sein Wissen auf dem Gebiet der Astrophysik tatsächlich bereichert hatten. Doch die Worte des Ortungsoffiziers hatten ihm bestätigt, daß seine Interpretation der Daten korrekt war:

»Es gibt keinen Zweifel«, bekräftigte Grappa seine zuvor geäußerte Behauptung noch einmal, denn die meisten Besatzungsmitglieder in der Zentrale glotzten ihn ungläubig von ihren Arbeitsstationen aus an. Selbst auf dem markanten Gesicht Ren Dharks, der den Raum erst vor wenigen Augenblicken zusammen mit Artus betreten hatte, zeichnete sich Unglaube ab. »Im Randbezirk des Geheimen Imperiums ist soeben ein komplettes Sonnensystem transitiert!«

»Sie müssen sich irren, Grappa!« rief Hen Falluta in die erwartungsvolle Stille hinein. Der Erste Offizier erhob sich aus dem Sessel vor dem zentralen Kommandostand, und weil ihm im selben Moment, da er den Satz ausgesprochen hatte, klargeworden war, wie ehrabschneidend seine Worte waren, setzte er rasch hinzu: »Vielleicht liegt eine Fehlfunktion der Ortungsanlage vor?«

»Die Spürsysteme des Schiffes arbeiten einwandfrei«, informierte der Checkmaster ungefragt. Das Bordgehirn hatte die akustische Übermittlung des Ergebnisses seiner rasch durchgeführten Analyse gewählt, damit jeder in der Zentrale informiert war. »Sowohl die Meßergebnisse als auch die logische Schlußfolgerung des Ortungsoffiziers sind zutreffend.«

»Wie kann so etwas denn möglich sein?« rief Falluta, der für gewöhnlich nur äußerst selten die Ruhe verlor. In Anbetracht der jüngsten Entdeckungen und Entwicklungen, die das Geheime Imperium betrafen, brachte ihn die ungeheuerliche Meldung eines angeblich komplett und auch noch in ihrer Nähe transitierten Sonnensystems aber doch aus der Fassung.

Dem Mailänder reichte es; er leitete die Meßergebnisse seiner Station in die Bildkugel in der Mitte der Zentrale. In einem separaten Fenster erschien daraufhin eine Auswahl der wichtigsten Ortungsdaten.

Die Zahlenwerte waren enorm.

Jeder, der die Ziffernreihen betrachtete, konnte augenblicklich erkennen, daß der aufgefangene Transitionsimpuls um ein Vielfaches stärker war, als es sogar bei dem Raumsprung einer ganzen Flotte der Fall gewesen wäre.

»Der Transitionsimpuls ist mächtiger als alles, was wir bisher gemessen haben«, informierte Grappa. »In unseren Datenbanken gibt es nichts Vergleichbares.«

Ren Dhark war vor die Bildkugel getreten und betrachtete die Zahlenkolonnen mit düsterem Blick. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich muß Ihnen recht geben, Tino: Die Meßwerte lassen tatsächlich keine andere Interpretation zu. Es muß sich tatsächlich um ein vollständiges Sonnensystem handeln, das da urplötzlich am Rand des Geheimen Imperiums aufgetaucht ist.«

Der Kommandant wandte sich an den Ortungsoffizier. »Wie verhalten sich die Schiffe der Imperialen?«

Grappa zuckte mit den Schultern und vergewisserte sich mit einem raschen Blick auf die Anzeige, daß sich die Situation über Padowan nicht maßgeblich verändert hatte.

»Entweder haben die Andromeda-Utaren und ihre Roboter von dem außergewöhnlichen Phänomen nichts mitbekommen. Oder sie erachten ihre Aufgabe in der Nähe des Sklavenplaneten als weitaus wichtiger, als dieser Supertransition auf den Grund zu gehen. Jedenfalls ist kein einziger ihrer Ringraumer von seiner Umlaufbahn um Padowan abgezogen, seit wir den Transitionsimpuls angemessen haben. Im Gegenteil, es sind sogar noch einige Schiffe zu der Flotte hinzugestoßen.«

Dhark zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute überlegend darauf herum. Die Nervosität unter den Besatzungsmitgliedern hatte zugenommen, was sich nicht nur in dem gesteigerten Zigarettenkonsum bemerkbar machte. Die Luftfiltersysteme arbeiteten auf Hochtouren, damit die Nichtraucher von dem aromatischen Qualm nicht belästigt wurden.

»Wie sollen wir vorgehen, Commander?« fragte Falluta.

Dhark seufzte kaum merklich. »Wenn ich das nur wüßte«, murmelte er gedankenverloren.

Schon vor dem Auftauchen des mysteriösen Sonnensystems aus dem Hyperraum war die Situation kompliziert und verfahren genug gewesen:

Die POINT OF und ihre Besatzung waren im Innern einer tropfenförmigen sogenannten Horizontverschiebung gefangen, die ihren Namen aufgrund der unerklärbaren verschobenen Bilder und Daten erhalten hatte, die die Meßgeräte und Spürer zeigten, die auf dieses Phänomen gerichtet waren.

Die rätselhafte Energiefront dehnte sich mit dem Überlichtfaktor 10,3 nach allen Seiten hin gleichmäßig aus und umschloß sämtliche Bereiche im Zentrum Andromedas, zu denen unter anderem auch das Gebiet des Geheimen Imperiums und das ehemalige Reich der Glandaren zählte. Noch lag das Gebiet der Salter außerhalb der Energiefront; Grappa hatte jedoch errechnet, daß deren Welten in etwa eintausend Jahren von der Horizontverschiebung erreicht würden. Sollte sich die Ausdehnung bis in unbestimmte Zeit unverändert fortsetzen, wäre auch die Erde in rund 300 000 Jahren betroffen.

Nicht nur aus diesem Grund war es erforderlich, das mysteriöse Weltraumphänomen zu untersuchen und zu ergründen. Diese Arbeit hätte man in Anbetracht der großen Zeitspanne eventuell einem herbeorderten Forschungsschiff überlassen können. Da die Energiefront sich jedoch nicht nur für Ortungsstrahlen und andere Energieformen, sondern auch für Raumschiffe als undurchlässig erwiesen hatte, drängte die Zeit trotzdem. Wenn die Besatzung der POINT OF nicht herausfand, was es mit dem Phänomen der Horizontverschiebung auf sich hatte, würde sie nie mehr nach Hause kommen.

Da einige der Meßergebnisse, die die Untersuchung der Barriere bisher erbracht hatte, vage Ähnlichkeit mit den Eigenschaften der glandarischen Quantentechnik aufwies, hatte Dhark beschlossen, diesem Anhaltspunkt auf den Grund zu gehen und die letzten noch lebenden Glandaren aufzusuchen.

Dies hatte jedoch ebensowenig zu einem befriedigenden Ergebnis geführt wie die Untersuchung eines anderen künstlich hervorgerufenen Phänomens, das die Butwums mit ihren Wurmlochportalen erzeugt hatten. Keines der beiden echsenartigen Sternenvölker schien die Horizontverschiebung verursacht zu haben – ob nun absichtlich oder aus Versehen.

Die Nachforschungen der Terraner hatten als einen nicht einkalkulierten Nebeneffekt allerdings eines der zentralen Geheimnisse des Geheimen Imperiums gelüftet: Man wußte nun, daß die blauen, zwergenhaften Utaren die wahren Herren des Imperiums waren und nicht Roboter und Maschinen, wie erst angenommen worden war. Außerdem hatten Artus und Arc Doorn während einer kürzlich unternommenen Expedition auf den Planeten Padowan erfahren, daß die Andromeda-Utaren an einer rätselhaften Allergie mit verheerenden Folgen litten. Das Geheime Imperium hatte Glandaren unter unwürdigen Verhältnissen auf Padowan angesiedelt und mißbrauchte sie für zum Teil sehr grausame Experimente, die in einem engen Zusammenhang mit der Anfälligkeit der blauen Zwerge standen…

Unschlüssig blickte Dhark in die Runde. Erwartungsvoll sahen die Männer ihn an. Doch er hätte beim besten Willen nicht eindeutig zu sagen vermocht, welcher Schritt als nächstes erforderlich war, um an das gewünschte Ziel zu gelangen: nämlich die Horizontverschiebung zu überwinden, um endlich die Heimreise anzutreten!

Der Commander rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Um all die Rätsel zu lüften, mit denen wir hier in Andromeda konfrontiert werden, wären wir eigentlich auf Verstärkung angewiesen. Aber eine solche können wir nicht herbeirufen, geschweige denn, daß sie die Horizontverschiebung von der anderen Seite durchfliegen und uns im Innern des Phänomens unterstützen könnte. Wir sind auf uns allein gestellt!«

Dhark hielt kurz inne, um seine Worte wirken zu lassen. Es hatte keinen Sinn, der tapferen Besatzung etwas vorzumachen und den entschlußkräftigen Kommandanten zu mimen. Jeder in der POINT OF sollte wissen, daß es jetzt auf die Ideen und das Wissen jedes einzelnen ankam.

»Uns stehen verschiedene Optionen offen, von denen wir nicht genau wissen, ob sie uns den erhofften Erfolg bringen werden oder bloß in eine weitere Sackgasse münden«, fuhr er schließlich fort. »Sollen wir zu dem wenige hundert Lichtjahre entfernten geheimnisvollen Sonnensystem fliegen? Es könnte durchaus sein, daß diese Supertransition mit der Horizontverschiebung zusammenhängt. Oder sollen wir unsere Nachforschungen über das Geheime Imperium fortführen, in der Hoffnung, dort eine Antwort auf die Herkunft der undurchdringlichen Energiefront zu finden? Eine dritte Möglichkeit wäre, das ehemalige Herrschaftsgebiet der Glandaren aufzusuchen, um dort nach Spuren von Quantenphänomenen zu suchen, die als Folge der Zerstörung der Glandarenwelten durch das Geheime Imperium die Horizontverschiebung eventuell haben entstehen lassen.«

»Commander!« rief Grappa plötzlich aufgeregt. »Soeben empfangen wir aus der Richtung des transitierten Sonnensystems starke Quantenimpulse!«

Falluta furchte die Stirn. »Das könnte auf Glandaren hinweisen, da sie diese Technik nahezu perfekt beherrschen!«

»Die Glandaren sind bis auf die wenigen, die von den Utaren auf Padowan versklavt wurden und den paar, die wir nach Neu-Glandar brachten, aber doch alle vom Geheimen Imperium umgebracht worden«, wandte Bebir ein, der soeben seine Kippe in einem Aschenbecher ausdrückte.

»Wir müssen uns die Sache genauer ansehen!« drängte Falluta.

»Das sehe ich genauso«, warf Artus ein. Der Roboter hatte die Lautstärke der Sprechwiedergabe leicht erhöht, um sich in der ganzen Zentrale Gehör zu verschaffen. »Bevor wir in das ehemalige Glandarengebiet fliegen, um dort die Quelle der Horizontverschiebung aufzuspüren, sollten wir das Phänomen der Supertransition unbedingt klären.«

Artus drehte seinen Metallschädel in Dharks Richtung. »Es könnte sich allerdings auch als lebenswichtig erweisen, weitere Informationen über die Utaren und ihre rätselhafte Abhängigkeit von den versklavten Glandaren zu sammeln.«

Der Commander seufzte erneut. »Damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt meiner Ansprache«, merkte er ernüchtert an. »Da wir nur über dieses eine Raumschiff verfügen, müssen wir uns nun einmal entscheiden, welches Rätsel wir zuerst in Angriff nehmen sollen. Es nützt uns also wenig, hervorzuheben, daß alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten im Grunde gleichwertig sind und es sich für uns rächen könnte, wenn wir einer davon den Vorzug geben.«

Artus nahm Dhark mit seiner hochleistungsfähigen Optik ins Visier. »Ich habe einen Vorschlag zu unterbreiten, der dein Entscheidungsproblem zumindest teilweise beseitigen könnte«, verkündete er beinahe feierlich.

*

Die Menschen sind für mich in vielerlei Hinsicht rätselhaft und werden es wohl auch immer bleiben. Wie zum Beispiel kann es sein, daß intelligente Geschöpfe in einer Situation höchster Anspannung und Konzentration auf die Idee verfallen, zu einem Genußmittel zu greifen, dessen Konsum nur in einer Phase der Entspannung und Gelassenheit den erhofften Wohlgeschmack bescherte?

Doch genau dies tat ein Teil der Besatzung der POINT OF in diesem Moment: Anstatt ihre Konzentration auf die Meßergebnisse der Ortungsstation zu richten und den Worten des Commanders aufmerksam zu lauschen, um ihm zu helfen, die richtige Entscheidung herbeizuführen, stand die Hälfte der Menschen herum und inhalierte das Rauchaerosol, das sie mit einer seltsamen Mischung aus Gier und Gleichgültigkeit aus ihren Zigaretten saugten.

Wenn ich zur Zigarre griff, dann nur, um dem erstaunlichen Geschmackserlebnis nachzuspüren, das der warme Rauch, von meinen Gasanalysator untersucht, in meinen Cyborg-Programmgehirnen hervorrief. Diese sinnliche Empfindung würde in Anbetracht der wichtigen Prozesse, die in diesem Moment in meinem Rechnernexus abliefen, total untergehen. Es wäre sinnlos und verschwenderisch gewesen, zu einer Zigarre zu greifen, während meine vierundzwanzig Programmgehirne Alternativen erwogen und versuchten, die Situation in der Zentrale zu erfassen und zu analysieren.

So konnte ich zum Beispiel feststellen, daß der gesteigerte Nikotinkonsum bei den Menschen in gewissen Situationen mitnichten auf extreme Entspanntheit und Genußfreude hindeutete, sondern im Gegenteil verriet, daß sie nervlich aufs äußerste angespannt waren.

Offenbar erwarteten die Menschen, daß der Zigarettenrauch ihre innere Anspannung kompensierte.

Ich bezweifelte jedoch, daß dieser Effekt tatsächlich eintrat. Die körperlichen Reaktionen auf das Nikotin und die anderen Stoffe des Rauchaerosols wirkten einer Entspannung eher entgegen und erhöhten die Belastung noch zusätzlich, der ein biologischer Körper ausgesetzt war.

Das Seltsame jedoch war, daß die Menschen in der Zentrale trotz dieser Beeinträchtigung hervorragende Arbeit leisteten. So war zum Beispiel den wenigsten entgangen, wie es um ihren Kommandanten bestellt war. Dhark war nicht nur nervös wie die anderen auch; auf seinen Schultern lastete noch zusätzlich die Verantwortung für die Mannschaft und das Schiff. Die Situation hätte es eigentlich erforderlich gemacht, Hilfe herbeizuholen. Doch dies war aufgrund der Horizontverschiebung unmöglich. Die Besatzung der POINT OF war ganz auf sich allein gestellt, und die Entscheidung, was als nächstes zu tun war, blieb an dem Commander hängen. Sollte Dhark etwas beschließen, das sich im nachhinein als falsch herausstellte, könnte dies den Tod der Mannschaft und den Untergang des Ringraumers bedeuten!

Im Gegensatz zu den Menschen in der Zentrale hatte ich in meinen Programmgehirnen jedoch bereits eine Möglichkeit ersonnen, wie ich Dhark unterstützen konnte, so daß ihm die Entscheidungsfindung etwas leichter fiel.

Auf meine Ankündigung hin, daß ich ihm einen Vorschlag zu unterbreiten hätte, blickte er mich aus seinen braunen Augen auch sogleich erwartungsvoll an.

»In Anbetracht der neuen Entwicklung durch das herbeitransitierte Sonnensystem erscheint es mir dringend erforderlich, unsere Hauptkapazität darauf zu verwenden, die rätselhaften Quantenimpulse zu ergründen, die von diesem System ausgingen«, erläuterte ich einleitend. »Dennoch dürfen wir es uns nicht erlauben, unsere Nachforschungen das Geheime Imperium betreffend zu vernachlässigen.«

Ein unwilliger Ausdruck trat auf Dharks Gesicht. Offenbar dauerte ihm meine Einleitung zu lange.

»Ich schlage daher vor, daß du mich nach Padowan zurückschickst, damit ich dort unabhängige Nachforschungen anstellen kann, während ihr euch um das mysteriöse Sonnensystem kümmert.«

Dharks Miene verdüsterte sich. »Die Vorstellung, daß du allein auf dieser Sklavenwelt agierst, gefällt mir nicht. Wer soll dir zur Hilfe eilen, wenn du in Schwierigkeiten gerätst?«

»Ich werde drei äußerlich baugleiche Roboter mitnehmen und mit zwei Flash nach Padowan aufbrechen«, erläuterte ich, wie ich mir die Angelegenheit gedacht hatte. »Wenn die Maschinen und ich gründlich sterilisiert werden, kann ich mit den Utaren in Kontakt treten, ohne dabei Gefahr zu laufen, sie durch Allergene umzubringen.«

»Sie sollten Artus’ Plan akzeptieren, Commander«, ließ der Checkmaster sich über Lautsprecher vernehmen. »Von allen Besatzungsmitgliedern ist er der einzige, der gefahrlos mit den Utaren kommunizieren könnte.«

Daß das Bordgehirn mich zur Besatzung der POINT OF zählte, war schmeichelhaft. Wie ich den Checkmaster kannte, war das von ihm verwendete Wort »gefahrlos« jedoch durchaus mehrdeutig zu verstehen:

Zwar ging von einem biologischen Lebewesen wie dem Menschen, der naturgemäß eine Vielzahl von Krankheitserregern in sich trug, eine viel größere Gefahr für die allergieanfälligen Utaren aus als von einer vergleichsweise leicht zu sterilisierenden Maschine. Ohne W-Anzug durfte ein Terraner den blauen Zwergen gar nicht entgegentreten, es sei denn, er legte es darauf an, diese umzubringen. Roboter stellten für die Utaren also tatsächlich eine geringere Gefahr dar als Menschen.

Auf der anderen Seite aber waren die Utaren und insbesondere ihre Kampfroboter auch nicht gerade harmlos. Daß ich auf Padowan zu Schaden kam, war nicht ganz auszuschließen. Offenbar hielt der rein logisch kalkulierende Checkmaster in der gegebenen Situation einen Verlust meinerseits für insgesamt nicht so wahrscheinlich und gravierend, als wenn die von mir vorgeschlagene Mission von einem menschlichen Besatzungsmitglied durchgeführt würde.

Vielleicht täuschte ich mich in diesem Punkt aber auch. Das Bordgehirn der POINT OF war für mich bisweilen genauso undurchschaubar wie für den Rest der Besatzung. Trotzdem ließ seine Empfehlung einen leicht bitteren Nachgeschmack in mir zurück.

Dhark schien den Kommentar des Checkmasters ähnlich zwiespältig zu bewerten, denn er zögerte noch, meinem Plan zuzustimmen.

Da bemerkte ich zu meinen Füßen plötzlich eine huschende Bewegung. Es war Jimmy, der von Chris Shanton konstruierte Roboterhund. Sein nachtschwarzes synthetisches Fell machte ihn in der Dunkelheit zuweilen fast unsichtbar und hatte der einem Scotchterrier nachempfundenen Maschine den Beinamen »Brikett auf Beinen« eingetragen.

Jimmy war mit zahlreichen Zusatzgeräten ausgestattet, unter anderem auch einem Sprechmechanismus. »Ich werde dich begleiten, Artus«, verkündete er – den Blick seiner Optik, dem er einen erstaunlich treuherzigen Ausdruck verleihen konnte, auf mich gerichtet.

Noch während ich das Für und Wider dieser Vorbringung erwog, setzte Jimmy nach: »Ich bestehe darauf, daß du mich mitnimmst, Artus. Dhark hat recht: Allein ist es dort unten für dich zu gefährlich. Die drei Roboter, die du mitnehmen willst, fungieren doch lediglich als maschinelle Erweiterung deines Willens und deiner Intelligenz. Es sind keine eigenständig handelnden Personen, die dir in einer Notsituation mit ihrem kreativen Geist tatkräftig zur Seite stehen könnten.«

Sogar Shanton war sich zuweilen nicht sicher, ob Jimmy wirklich intelligent war, oder ob es sich bei ihm lediglich um ein Robotertier mit eingeschränkter rudimentärer Klugheit handelte.

»Einverstanden«, sagte Dhark spontan und grinste breit. Jimmys Bemerkung schien seine Entschlußkraft enorm gestärkt zu haben. »Ihr beide zusammen ergebt ein effektives Team, das von den Utaren sicherlich nicht so einfach ausgeschaltet werden kann.«

Tatsächlich konnten Jimmy und ich recht gut miteinander; wir hatten schon etliche Abenteuer Seite an Seite bestanden. Ob er mir in diesem Fall aber eine große Hilfe sein würde, vermochte ich beim besten Willen nicht zu beurteilen.

»Ich werde dich als mein Schoßtier mitnehmen, Jimmy«, konnte ich es mir nicht verkneifen, meinen kleinen Freund aufzuziehen. Sein frecher Vorstoß hatte mich verblüfft.

»Ich werde dir schon nicht im Wege stehen, Plattnase«, erwiderte Jimmy.

»Plattnase?« echote ich empört und faßte mir an die metallene Ausstülpung, in der unten die Schlitze für die Aufnahme von Geruchsstoffen eingelassen waren. »Meine Nase ist sowohl funktional als auch optisch ansprechend. Daß sie im Vergleich zu anderen Roboternasen zu platt sein könnte, ist eine Unterstellung, du wandelndes Brikett.«

Bevor unser kleiner Disput ausarten konnte, brachte Dhark ihn mit einem vernehmlichen Räuspern abrupt zu einem Ende.

»Macht euch bereit!« befahl er. »Eure Sterilisierung und die der beiden Flash wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich möchte jedoch so schnell wie möglich zu diesem rätselhaften Sonnensystem aufbrechen!«

»Wir sind schon unterwegs«, erwiderte ich und nahm Haltung an. Dann blickte ich auf Jimmy hinab. »Folge mir, Schoßtier. Eine wichtige Mission wartet auf uns!«

*

Das Depot der Flash 027 und 028 war zu einer Art Quarantänestation umgerüstet worden. Die Atmosphäre in dieser Depotkammer, die von transparenten Kunststoffwänden gebildet wurde, war absolut steril. Die beiden Flash waren von Mitarbeitern und Robotern aus der medizinischen Abteilung bis in den letzten Winkel hinein mit Desinfektionsstoffen behandelt worden. In den Booten gab es kein einziges Staubkorn mehr, und auch auf der Außenhülle klebte keine einzige Mikrobe.

Das Depot konnte nur durch eine Desinfektionsschleuse betreten werden. Bevor ich mich in die Schleuse begab, legte ich mein Stirnband ab und gab es in die Obhut von Chris Shanton, der uns begleitet hatte. Sicher waren die Utaren auch gegen die Wolle allergisch, aus der das Stirnband gestrickt worden war. Eine Sterilisation hätte in diesem Fall wenig genützt, da das Material organisch war.

Mit stoischer Ruhe ließ ich die Prozedur der Desinfektion über mich ergehen. Es dauerte nicht lange, und der Bordrechner, der den Vorgang überwachte, meldete, daß ich absolut keimfrei war.

Als nächstes war Jimmy an der Reihe. Sein synthetisches Fell mußte besonders gründlich desinfiziert werden. Anschließend föhnte der Reinigungsroboter die schwarzen Fasern wieder trocken. Als Jimmy zu mir in die Quarantänezone kam, sah er aus, als hätte er einen Stromstoß erhalten, denn sein Fell stand wie elektrisiert nach allen Seiten von seinem Körper ab, was besonders um seine Schnauze herum putzig aussah.

»Eine dumme Bemerkung, und ich beiße ein Loch in die Plastikwand«, warnte Jimmy.

»Das würdest du nicht wagen, Drahtbürste«, gab ich gelassen zurück. »Ein so verantwortungsloses Vorgehen würde uns um Stunden zurückwerfen und deine Anwesenheit während meiner Mission in Frage stellen.«

»Seid ihr endlich soweit?« schallte Shantons rauhe Stimme aus dem Lautsprecher neben der Schleuse. Es war nicht zu übersehen, daß er sich bemühte, ein Grinsen zu unterdrücken. Jimmy sah aber auch zu ulkig aus.

»Wir sind so gut wie fort«, gab ich zurück und wies die drei bereitstehenden Roboter mit einem Funkbefehl an, in die Flash zu steigen.

»Diese seelenlosen Maschinen sehen dir verblüffend ähnlich, seit du dein Stirnband abgenommen hast«, spottete Jimmy, während er an meiner Seite auf Flash Nummer 027 zustrebte.

»Die drei Roboter und ich sind nur vom äußeren Augenschein her baugleich«, gab ich reserviert zurück. Ich nahm Jimmy auf, klemmte ihn mir unter den Arm und stieg durch die Luke in den Flash. »Meine Optik ist zum Beispiel wesentlich besser. Wenn du genau hinschaust, siehst du, daß meine Okulare deutlich von denen der Großserienroboter abweichen.«

Ich nahm auf dem freien der beiden Sessel Platz, die Rückenlehne an Rückenlehne in der Mitte der engen Kabine standen, und schloß die Luke mit einem Funkbefehl. Jimmy plazierte ich kurzerhand auf meinem Schoß. Eine bessere Sitzgelegenheit gab es für ihn in dieser engen Kammer nicht.

Da ich die Steuerung der beiden Flash komplett übernehmen konnte, ohne dabei auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, schaltete ich die drei Roboter in den Ruhezustand. Der Kamerad, der hinter mir auf dem zweiten Sessel saß, starrte nun mit blickloser Optik auf die erloschenen Armaturen vor ihm. Sämtliche Daten des Flash liefen auf meiner Konsole zusammen oder wurden mir per Gedankensteuerung von dem Bordrechner mitgeteilt. Meine körpereigene Funkanlage hatte ich schon vor langer Zeit für Zwecke wie diesen umgebaut. Ich befahl der Steuereinheit von Flash 028, der 027 dicht zu folgen und deren Manöver exakt nachzuvollziehen. Auf diese Weise konnte ich auf eine Befehlsübermittlung per Funk während des Fluges verzichten. Dies erschien mir in Anbetracht der zahlreichen Kampfraumer des Geheimen Imperiums, die über Padowan schwebten, am sichersten. Die GI-Schiffe vermochten die Flash in voller Tarnung zwar nicht zu orten, die Funkimpulse würden die Kommandanten und die Bordrechner jedoch sicherlich mißtrauisch machen und es mir erschweren, unbemerkt zu dem Planeten vorzustoßen.

Doch genau dies mußte mir gelingen, damit meine Mission nicht scheiterte. Mein Plan war, in die unterirdische Station vorzudringen und erneut mit Epoydos-12/738 in Kontakt zu treten. Eine bessere Operationsbasis als die unterirdische Station, die hauptsächlich dafür vorgesehen gewesen war, in Intervallfelder gehüllte Raumschiffe aufzuspüren, konnte ich mir nicht vorstellen.

Mit einem Gedankenbefehl schaltete ich das Intervallfeld des Flash ein. 028 tat es mir augenblicklich gleich. Wenige Sekunden später glitten die Raumboote durch die Außenhülle der POINT OF in den offenen Weltraum hinaus und unserer Mission entgegen.

*

Diesmal war es nicht nötig, mit dem Flash ein ausgeklügeltes Manöver zu fliegen, um unbemerkt in die Station unter der Planetenoberfläche zu gelangen. Bei meinem ersten Besuch zusammen mit Arc Doorn war eine ziemlich rasante Anfluggeschwindigkeit, gepaart mit einem waghalsigen Abbremsmanöver nötig gewesen, damit das Warnsystem der Station ausgetrickst werden konnte. Inzwischen hatte der Checkmaster die von den Utaren installierten Intervallfeldorter so manipuliert, daß sie die POINT OF und ihre Beiboote nicht mehr meldeten, und das auf Worguntechnik basierende Stationsgehirn Epoydos-12/738 dazu veranlaßt, die Deaktivierung auch für die anderen Planetenanlagen des Geheimen Imperiums zu befehlen.

Bis die Anweisung alle Stationen erreicht hatte und von diesen umgesetzt wurde, würde einige Zeit vergehen.

Gelassen steuerte ich den Flashverbund zwischen den großen gelben Ringraumern des Geheimen Imperiums hindurch. Es mußten weit mehr als tausend dieser zweihundertfünfzig Meter durchmessenden Schiffe um den Planeten kreisen. Doch keines von ihnen bemerkte die beiden vollgetarnten tankförmigen Boote, die so unverfroren an ihrer Nase vorbeiflogen.

Ich hatte die Planetenhemisphäre angesteuert, die von der Sonne abgekehrt war. Auf diese Weise wurde nahezu ausgeschlossen, daß die Flash beim Anflug der Oberfläche zufällig optisch wahrgenommen wurden.

Wie unsichtbare Geister glitten wir auf der Nachtseite vom Himmel herab und tauchten in einem einsamen Waldgebiet in die Planetenoberfläche ab. Unterirdisch flog ich die Station an, eine quadratische Anlage aus Unitall mit einer Kantenlänge von exakt einem Kilometer.

Da ich mich in dem Kubus inzwischen recht gut auskannte, dauerte es nicht lange, bis wir die Haupthalle erreichten, in der der Hyperkalkulator stand. Da die autark arbeitende Anlage nur äußerst selten von einem Utaren besucht wurde, war nicht damit zu rechnen, daß wir hier auf einen Bewohner des Geheimen Imperiums trafen.

Nicht weit von der Rechnerwand entfernt befanden sich die zu einem häßlichen Klumpen zusammengeschmolzenen Überreste des Maschinenblocks, der nicht nur einen externen Speicher des Stationsgehirns beinhaltet hatte, sondern auch die sogenannte Datei des Wahnsinns. Um diese Datei, die sowohl auf Maschinen, in denen sie ausgeführt wurde, als auch auf biologische Gehirne absolut zerstörerisch wirkte, ein für allemal unschädlich zu machen, hatte Doorn den Speicher mit einer Ladung Thermit zerschmolzen, so daß jetzt nur noch ein unansehnlicher Klumpen Metall von der einstigen Anlage übrig war.

»Worauf wartest du?« fing Jimmy auf meinem Schoß an zu nörgeln. »Wann dürfen wir endlich aussteigen?«

»Vorerst überhaupt nicht«, gab ich zurück. »Die Intervallfelder müssen eingeschaltet bleiben, um die Flash nicht zu kontaminieren. Es haben sich in dieser Station eine Menge Menschen und Roboter aus der POINT OF herumgetrieben. Durchaus möglich, daß die Atmosphäre verkeimt ist. Da ich im Laufe der Mission jedoch mit Utaren in Kontakt treten will, ohne sie der Gefahr eines tödlichen Allergieschocks auszusetzen, müssen wir in unserem Flash bleiben und die schützenden Intervallfelder eingeschaltet lassen.«

»Warum sind wir überhaupt zur Station geflogen und nicht sofort in eine der Kuppelstädte, wo die Utaren leben?« wollte Jimmy wissen.

»Weil ich mir mit Hilfe von Epoydos-12/738 zuerst einen Überblick über die Lage auf Padowan verschaffen will.«

Jimmy wackelte entnervt mit seinen spitzen Ohren. »Und wie willst du mit dem Hyperkalkulator von dem Flash aus in Verbindung treten, ohne daß die Funkwellen den Utaren unsere Anwesenheit verraten?«

»Ganz einfach: Ich verwende eine leistungsschwache UKW-Frequenz, deren Wellen die massiven Unitallwände der Station nicht durchdringen können. Auf diese Idee hättest du doch eigentlich selber kommen müssen!«

Jimmy machte Platz. »Beeil dich«, murrte er und drehte beleidigt den Kopf weg. »Ich möchte gerne frische Luft schnappen. Immer in diese Blechkisten eingesperrt zu sein ist fast so schlimm wie in einem stinkenden römischen Kerker zu sitzen.«

Verblüfft starrte ich auf den vermeintlichen Scotchterrier hinab. »Woher willst du wissen, wie es in einem römischen Kerker zugeht?«

»In den Archiven des Checkmasters gibt es für den Interessierten ja wohl genügend Anschauungsmaterial«, antwortete Jimmy. Irgendwie wurde ich jedoch den Eindruck nicht los, daß er meiner Frage im Grunde ausweichen wollte.

»Die Luft in diesem Flash und auch in der POINT OFist frisch«, kam ich nicht umhin anzumerken. »Deine Bemerkung erscheint mir irgendwie unlogisch.«

»Du verstehst mich eben nicht, Plattnase.«

Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Sich von einem Robotertier, von dem niemand mit Bestimmtheit behaupten konnte, ob es tatsächlich über eine künstliche Intelligenz verfügte, sagen zu lassen, man würde seine Äußerung nicht verstehen, war nicht hinnehmbar.

»Ich weiß, was du andeuten wolltest«, versuchte ich klarzustellen. »Du wolltest darauf anspielen, daß du dir gerne Luft um deine Terriernase wehen lassen möchtest, die nicht von einem Filtersystem gereinigt und von Atemluftapparaten aufbereitet wurde.«

Ich tätschelte Jimmys Kopf begütigend, eine Geste, die ich von Shanton abgeschaut hatte. »Ob du während unserer Mission tatsächlich die Gelegenheit erhalten wirst, planetare Atmosphäre zu schnuppern, wage ich zu bezweifeln, denn in diesem Fall wären wir unsteril und müßten das Unternehmen abbrechen. Die künstlich entkeimte Atemluft der Utaren dürfte dir noch viel weniger schmecken als die in der POINT OF, wo das Atemluftgemisch immerhin nahezu identisch mit der Erdatmosphäre ist.«

Jimmy gab ein entnervtes Kläffen von sich. »Du mußt meine Worte als Gleichnis betrachten, Plattnase«, ließ er sich zu einer Erklärung herab.

»Als Gleichnis? Wie meinst du das denn nun schon wieder?«

Jimmy richtete seine Hundeaugen nachempfundenen Optiken auf mich. »Ich wollte mit diesem Ausspruch lediglich meiner Sehnsucht nach Freiheit Ausdruck verleihen.«

Nun war ich erst recht geplättet. Irgendwie schienen Jimmys flapsige Bemerkungen eine andere Dimension angenommen zu haben. Ich mußte gestehen, daß ich seinen künstlichen Gedankenprozessen nicht mehr recht folgen konnte.

Ich beschloß mich nicht länger von meinem Vorhaben abbringen zu lassen und rief Epoydos-12/738 über einen entsprechend modulierten UKW-Kanal.

»Artus, Jimmy«, antwortete der Hyperkalkulator auf derselben Frequenz prompt. Das Stationsgehirn klang auf seine ganz eigene Art erfreut. Daß Epoydos-12/738 von Jimmys Anwesenheit wußte, obwohl ich es nicht erwähnt hatte, verriet mir, daß der Pseudo-Scotchterrier es mir gleichgetan und den Hyperkalkulator mit seiner eingebauten Sendeanlage angefunkt hatte. »Was verschafft mir die Ehre eures neuerlichen Besuchs?«

»Ich möchte mich über die Zustände auf Padowan informieren«, erklärte ich.

»Da bist du bei mir genau richtig«, erwiderte das Stationsgehirn. »Schon vor langer Zeit habe ich unter Zuhilfenahme der Datenströme aus dem Planetennetz und den Überwachungsanlagen einen Weg gefunden, wie ich beobachtend an dem Geschehen auf Padowan teilhaben kann. Was genau willst du denn wissen?«

Seit wir den auf W-Technik basierenden Hyperkalkulator von den Zwängen des utarischen »Über-Programms« befreit hatten und er den Worgunmutanten Arc Doorn als eine Autoritätsperson anerkannt hatte, war es angenehm, mit dem Stationsrechner zu kommunizieren.

Unwillkürlich mußte ich an die versklavten Glandaren denken, die auf dieser Welt lebten und von den blauen Zwergen mißbraucht wurden, indem sie den Frauen nach der Geburt des zweiten Kindes alle weiteren befruchteten Eier aus dem Körper entfernten.

Diese Eier stellten eine wichtige Komponente für die Herstellung der gelben Schutzfarbe dar, mit denen die Raumschiffe des Geheimen Imperiums beschichtet waren, wie wir herausgefunden hatten.

»Berichte mir, wie es den Glandaren auf Padowan ergeht«, bat ich.

Plötzlich verschwand die Darstellung des zweiten, neben meinem Raumboot schwebenden Flash auf dem Bildschirm über meinem Kopf. Statt dessen war eines der mittelalterlichen Dörfer zu sehen, in denen die Glandaren mehr schlecht als recht lebten.

Epoydos-12/738 hatte ein Dorf auf der Tagseite des Planeten ausgewählt. Die dünnen Echsengestalten, die die Felder ringsum bestellten, waren in derbe Hosen und Hemden gekleidet. Ihre blaue Lederhaut schimmerte unter den Löchern der verschlissenen Kleidung hervor; auf den im Vergleich zum schneidigen Körper klobig wirkenden Echsenköpfen trugen sie faserige Strohhüte, um die Gesichter mit den kurzen Schnauzen, die den Kopf fast vollständig einzunehmen schienen, vor der Sonne zu schützen. In den gelben Augen lag ein müder, abgestumpfter Ausdruck, der vermuten ließ, daß diese Glandaren wegen der harten körperlichen Arbeit kaum dazu kamen, sich mit schöngeistigen Dingen zu befassen. Sie gruben die Äcker mit ihren primitiven, hölzernen Bearbeitungsgeräten um, schleppten Feldsteine an den Rand ihrer Schollen und brachten die Saat in die vorbereitete Erde.

In einem nahen Wald konnten wir ein Gruppe Jäger beobachten, die sich an ein großes graufelliges Tier anpirschte, das von den Blättern fraß, die es mit seiner langen Zunge zu sich herabzog. Die Glandaren waren mit Speeren bewaffnet, deren Spitzen aus gehärtetem Holz oder zugespitzten Feuersteinen bestanden.

Epoydos-12/738 richtete die Optik des Satelliten, den er angezapft hatte, auf das Geschehen im Dorf.

Das Geschlecht war den Glandaren von ihrem äußeren Erscheinungsbild her nicht anzusehen. Aber es mußten wohl vornehmlich Frauen sein, die in dem Dorf aus Holzhütten und Feldsteinhäusern ihrer täglichen Arbeit nachgingen. Diese Schlußfolgerung war nicht nur deshalb zulässig, weil die Glandaren in dem Dorf größtenteils in ärmellose Kutten gekleidet waren, eine Garderobe, die von den Weibchen bevorzugt wurde. Vielmehr war es die Art der verrichteten Tätigkeit, die auf Frauen hindeutete: Die Glandaren in dem Dorf waren nämlich damit beschäftigt, Wäsche am Flußufer zu waschen, in über dem Feuer hängenden Steinkrügen Essen zu kochen oder auf die Kleinkinder aufzupassen.

Wie in jedem anderen Glandarendorf auf Padowan, so suchte man auch in dieser Siedlung vergeblich nach Metallen. Indem die Utaren den Echsenwesen Eisen vorenthielten, gewährleisteten sie, daß diese sich nicht über die gesellschaftliche Stufe einer ans Mittelalter erinnernden Lebensweise hinaus entwickelten.

»Stinknormales Dasein«, stellte Jimmy trocken fest, der den Bildschirm an der Decke des Flash genauso interessiert betrachtete wie ich. »So ähnlich müssen auch die Menschen vor zweitausendsechsundsechzig Jahren in Judäa gehaust haben – nur daß sie schon über Metall verfügten.«

»Das Leben der Glandaren geht weltweit tatsächlich seinen gewohnten Gang«, berichtete der Hyperkalkulator. »Von den Vorkommnissen in der Kuppelstadt haben die meisten Echsenwesen nichts mitbekommen.«

Jimmys neuerliche Äußerung hatte mich so sehr verwirrt, daß ich die Worte des Stationsrechners nur mit halber Aufmerksamkeit aufnehmen konnte.

»Wie sieht es in der unterirdischen Fabrik aus, in der aus den Glandareneiern die gelbe Schutzfarbe hergestellt wird, Epoydos?« wollte ich wissen.

Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, da leitete der Hyperkalkulator auch schon die Datenströme aus der Videoüberwachungsanlage der Fabrikationsräume in das Bildübertragungsprogramm des Flash.

Auf dem Bildschirm über meinem Kopf war jetzt eine Halle zu sehen, die wie ein Großlabor eingerichtet war. Die Anlage war voll automatisiert, zur Zeit aber nicht funktionstüchtig, da sie beschädigt war. Am auffälligsten war das Fließband mit den Aufnahmevorrichtungen für die Glandareneier.

Wie wir aufgrund der Tagebuchaufzeichnungen des leitenden Wissenschaftlers Lek Remaleg wußten, hatte sein Freund Lip Lipozig während der Ausrottungsaktion aller außerhalb von Padowan lebenden Glandaren einige der Echsenwesen gerettet, um sie unbemerkt in Remalegs Geheimlabor zu schaffen. Diese Glandaren hatten nach unserem Auftauchen in der Fabrikationsanlage großen Schaden angerichtet. Sie waren wahnsinnig geworden, als Remaleg ihnen die Implantate, die sie zur Erschaffung der Fraßschlünde benötigten, bei lebendigem Leibe aus den Körpern entfernen ließ. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände waren diese Glandaren während unseres Eindringens in die Fertigungsanlagen befreit worden. In ihrer Raserei hatten sie anschließend großes Chaos angerichtet und eine Katastrophe herbeigeführt, die darin endete, daß die Kuppelstadt über dem Labor kontaminiert wurde und viele Utaren den Tod fanden.

Die schrecklichen Bilder der verstümmelten, Amok laufenden Glandaren, in deren gelben Augen der Wahnsinn blitzte, stiegen wieder in mir auf, während ich die Aufräumarbeiten in dem Labor auf dem Bildschirm verfolgte.

Roboter waren damit beschäftigt, die zerschlagenen Überreste der Glandareneier in Rollbehälter zu werfen. Andere Maschinen montierten demolierte Apparaturen aus der Fertigungsstraße oder ersetzten diese durch neue Module. Überwacht wurde die Arbeit der Roboter von einigen wenigen Utaren in Schutzanzügen.

»Anscheinend soll die Produktion der gelben Schutzfarbe für die Raumschiffe so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden«, überlegte ich laut.

Als hätte Epoydos-12/738 meine Bemerkung als Schlußbemerkung aufgefaßt, wechselte die Szene auf dem Bildschirm. Jetzt war ein großer Ausschnitt der kontaminierten Stadt unter der Energiekuppel zu sehen, die sich über dem unterirdischen Labor befand.

Ich fühlte mich, als hätte eine Eisschicht meinen Metallkörper überzogen. Die Erinnerung an die schrecklichen Szenen, die sich während des Vorfalls in Padowan-Stadt abgespielt hatten, hätte ich gerne aus meinem Erinnerungsspeicher gelöscht. Reihenweise waren die Geheimen Utaren, die keinen Schutzanzug getragen hatten, umgekippt – die blaue Haut von gelben und grünen Flecken übersät, das Gesicht im kurzen Todeskampf zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt.

Die Utaren, die zum Zeitpunkt der Katastrophe das Glück gehabt hatten, in einem Schutzanzug zu stecken, waren zum Raumhafen geflohen, um sich in die gelben Ringraumer zu retten, die dort standen. Der Weg dorthin blieb den Fliehenden jedoch nicht lange offen, denn eine Notschaltung bewirkte, daß sich ein weiteres Energiefeld um den Raumhafen legte und ihn abschottete.

Derweil wurden die aus Remalegs Geheimlabor entkommenen wahnsinnigen Glandaren von den Robotern des Geheimen Imperiums gnadenlos niedergemetzelt. Chaos und Zerstörung hatten Einzug gehalten in Padowan-Stadt.

Wie es aussah, würde es aber nicht mehr lange dauern, und die Spuren der schlimmen Vorkommnisse wären alle beseitigt. Die Stadt machte zur Zeit einen ausgestorbenen Eindruck, da die Wohnhäuser und die öffentlichen Gebäude evakuiert worden waren. Statt der ursprünglichen Bewohner staksten aber nun Roboter durch die Straßen; die Maschinen waren mit Aufräumarbeiten beschäftigt, die nicht selten darin bestanden, die Leichen verunstalteter Utaren fortzuschaffen.

Ganze Trupps von mit Reinigungsapparaten ausgerüsteten Robotern zogen von Haus zu Haus, um die niedrigen Bauten von innen wie von außen zu desinfizieren. Große Tankfahrzeuge glitten langsam über die Straßen und Plätze, versprühten eine vermutlich antiseptische Flüssigkeit und schrubbten den Fahrbahnbelag, wo dunkle Flecken darauf schließen ließen, daß er mit dem Blut ermordeter Glandaren besudelt war.

Utaren waren nur wenige zu sehen. Die Schutzanzüge, die sie trugen, waren robust und kompakt und mit der gelben Schutzschicht überzogen, die in den unterirdischen Fertigungslabors der Stadt hergestellt wurde. Diese gelbe Farbe wirkte auf Pollenkörner und andere allergene Stoffe wie ein Magnet und neutralisierte sie.

»Zeige mir bitte den Raumhafen der Stadt«, forderte ich Epoydos-12/738 auf. Ich hatte die Nase voll von den Bildern der Aufräumarbeiten.

Prompt war das Landefeld des Raumhafens auf dem Bildschirm zu sehen. Dort standen nur noch einige wenige Ringraumer. Auch hier wurde das Bild von Reinigungsrobotern und Utaren in robusten Schutzanzügen geprägt. Die GI-Schiffe, die sich zur Zeit der Kontaminierung auf dem Landefeld befunden hatten, mußten offenbar ebenfalls gereinigt werden, denn auf der gelben Hülle einiger Schiffe krochen Roboter herum oder schwebten auf Antigravplattformen davor auf und nieder, besprühten die Flächen und polierten sie mit Mikrofasertüchern.

Beim Anblick der gelben Ringraumer mußte ich unwillkürlich an die Flotte von weit über tausend Schiffen denken, die in diesem Moment über Padowan kreuzte und den Planeten abriegelte. Während unseres Anfluges auf diese Welt waren permanent neue Schiffe zu dem Verbund hinzugestoßen, so daß man davon ausgehen konnte, daß die Kampfkraft des Verbandes inzwischen stark zugenommen hatte.

Es war für mich unverständlich, warum der Planet für die Geheimen Utaren so enorm wichtig war. Es mußte doch eine andere Möglichkeit geben, wie sich diese extrem allergieanfälligen Zwergengeschöpfe gegen die tödlichen Reizstoffe schützen konnten, als ausgerechnet mit der gelben Farbe, die unter anderem aus Glandareneiern hergestellt wurde!

Doch wie die Aufzeichnungen des Wissenschaftlers Lek Remaleg gezeigt hatten, wurden von seinem Volk keinerlei Anstrengungen unternommen, einen anderen Weg zu suchen, wie die Allergien bekämpft werden konnten. Die Herstellung der gelben Schutzfarbe unter Zuhilfenahme von Glandareneiern und dem geheimnisvollen Element Utaran schien für diese blauen Zwerge der Weisheit letzter Schluß zu sein. Es wurde sogar als eine Art Sakrileg betrachtet, wenn ein Forscher Versuche unternahm, die Allergien auf andere Weise als die bisher praktizierte in den Griff zu bekommen.

Aus diesem Grund hatte Remaleg seine Forschungen heimlich und unter erschwerten Bedingungen durchführen müssen – mit dem Resultat, daß die Glandaren, die er sich mit Lip Lipozigs Hilfe heimlich von einer anderen Welt beschafft hatte, eine Katastrophe in der Kuppelstadt ausgelöst hatten.

Ich hatte meine Optik von dem Bildschirm über mir abgewandt und starrte wie ein in den Ruhemodus versetzter Roboter auf Jimmy hinab, der wie ein braver Hund auf meinem Schoß hockte.

Eine vage Idee hatte sich in meinem Bewußtsein herauskristallisiert.

»Epoydos«, funkte ich den Hyperkalkulator erneut an. »Ist dir bekannt, welcher Ringraumer von Lip Lipozig kommandiert wird?«

»Nein«, kam prompt die Antwort. »Hältst du mich etwa für einen Klugscheißer?«

Ich packte Jimmy an seinem rechten Ohr und zwang ihn, mir in die Optik zu blicken. »Du kommunizierst wieder klammheimlich mit dem Stationsgehirn«, verdächtigte ich ihn. »Das hast du während deines ersten Aufenthalts in dieser Station auch schon getan – mit dem Resultat, daß die Antworten des Hyperkalkulators immer flapsiger wurden.«

Jimmy schüttelte den Kopf und versuchte sein Ohr wieder freizubekommen. »Ist es etwa verboten, daß zwei Maschinen sich mental austauschen?« erkundigte er sich herausfordernd. »Willst du etwa meine Freiheiten beschneiden?«

Ich ließ Jimmy los. »Mir ist es egal, was du mit Epoydos-12/738 zu besprechen hast«, gab ich barsch zurück. »Unsere Mission hat jedoch Vorrang. Es steht zu viel für uns auf dem Spiel. Ich kann meine Zeit nicht damit verschwenden, mich mit einem witzereißenden Hyperkalkulator rumzuärgern!«

»Ich kann den Aufenthaltsort dieses Lip Lipozig ebenso schnell wie unauffällig herausfinden, indem ich mich meines neuen Netzzuganges bediene«, verkündete Epoydos-12/738 betont nüchtern.

»Worauf wartest du dann noch?«

»Lip Lipozig kommandiert Kampfschiff 3247«, kam den Bruchteil einer Sekunde später die Antwort. »Die Utaren haben dieses Schiff KUUL getauft. Es befindet sich in diesem Moment auf dem Raumhafen von Padowan-Stadt.«

»Lip Lipozig hat sich während der Kontaminierung mit seinem Schiff also offenbar auf dem städtischen Raumhafen aufgehalten«, überlegte ich. »Und jetzt sitzt er dort fest, bis die KUUL desinfiziert ist und eine Startfreigabe erhält.«

»Korrekt«, bestätigte Epoydos-12/738, fügte nach kurzem Zögern dann jedoch noch ein vergnügtes »Plattnase« hinzu.

Über den UKW-Kanal weckte ich die mich begleitenden Roboter aus dem Ruhemodus und gab ihnen neue Anweisungen.

»Wir brechen auf!« verkündete ich.

»Was hast du vor?« wollte der Hyperkalkulator wissen.

»Lipozig einen Besuch abstatten. Ich weiß um seine Mittäterschaft bei der Beschaffung der Glandaren, die die Katastrophe in der Stadt auslösten. Ich schätze, er und seine heimlichen Komplizen sind nicht sonderlich erpicht darauf, daß ihr Tun publik wird. Ich hätte folglich eine Handhabe, diese Utaren dazu zu überreden, mir die Informationen mitzuteilen, die ich auf dieser Welt zu finden hoffe.«

»Vielleicht kann ich dir diese Informationen geben?« merkte der Hyperkalkulator reserviert an.

»Das glaube ich kaum. Ich suche unter anderem nach Anhaltspunkten, ob das Geheime Imperium etwas mit der Entstehung der Horizontverschiebung zu tun hat.«

»Horizontverschiebung?«

Seit das Utarenprogramm Epoydos-12/738 nicht mehr dazu zwang, im Weltraum nach verdächtigen Intervallfeldimpulsen zu suchen und Alarm zu schlagen, wenn er einen solchen entdeckte, schien sich sein Drang, Informationen zu sammeln und auszuwerten, enorm gesteigert zu haben. Ich hatte momentan aber weder Zeit noch Lust, dem Hyperkalkulator auseinanderzusetzen, was es mit der Horizontverschiebung auf sich hatte, und verkündete statt dessen, daß ich unverzüglich aufzubrechen gedachte.

»Warte noch drei Sekunden!« rief Jimmy aufgebracht. »Ich habe Epy die Videodatei noch nicht vollständig in seinen Speicher überspielt.«

»Videodatei? Was für eine Videodatei?« Ich wußte nicht, worüber ich mich mehr wundern sollte: über die Tatsache, daß Jimmy den Hyperkalkulator mit einem Spitznamen bedacht hatte, oder darüber, daß er ihm Datenmaterial zuspielte.

»Es handelt sich um eine filmische Darstellung des Lebens in Judäa vor zweitausendsechundsechzig Jahren«, gab Jimmy gelassen zurück. »Weil ich die schwachbrüstige UKW-Frequenz verwenden mußte, hat die Übertragung entsprechend lange gedauert.«

»Der Prozeß ist abgeschlossen«, verkündete der Hyperkalkulator – und ließ im nächsten Moment ein noch ungeübt klingendes Kichern hören. »Danke, Jimmy!«

»Was soll Epoydos-12/738 mit einem Film über die römische Historie anfangen?« fragte ich perplex.

»Der Film dient der reinen Unterhaltung«, klärte Jimmy mich auf. »Und nun flieg endlich los.«

Nach kurzem Zögern gab ich den Befehl zum Aufbruch.

»Gepriesen sind die Skifahrer«, schickte der Hyperkalkulator uns hinterher, während die beiden Flash in ihren Intervallfeldern mitten durch die Rechnerwand hindurchglitten. Ein amüsiertes Kichern folgte und verhallte schließlich, als die schwache UKW-Verbindung abriß.

Plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob Doorn die Datei des Wahnsinns, die sich in dem externen Speicher des Hyperkalkulators befunden hatte, mit der Thermitladung tatsächlich restlos zerstört hatte. So wie sich das Stationsgehirn aufführte, könnte man meinen, ein kleines Programmsegment der Wahnsinnsdatei hätte in seinen Hauptspeichern überlebt.

Während wir unter der Planetenoberfläche dahinglitten, fragte ich Jimmy: »Was hat Epoydos-12/738 mit seiner Bemerkung gemeint?«

Jimmy blickte treu zu mir auf. »Du mußt die Worte als Gleichnis betrachten«, erklärte er und blinzelte schelmisch mit seinen künstlichen Hundeaugen. »Dieser Ausspruch bezieht sich auf die gesamte Wintersportindustrie.«

Jimmy ließ ein glucksendes Kichern hören und schüttelte sich, als wollte er nach einem Spaziergang im Regen das Wasser aus seinem Fell schleudern.

Ich gab es auf und konzentrierte mich wieder auf die vor mir liegende Aufgabe. Jimmy und Epoydos-12/738 machten mir mit ihrem seltsamen Humor langsam Angst.

2.

»Hiermit beantrage ich, Lip Lipozig zum Tode durch einen hyperallergenen Schock zu verurteilen«, verkündete der oberste Richter des Imperialen Gerichts.

Lipozig saß auf einem dreibeinigen Beschuldigtenschemel; vor ihm ragte die graue Stahlwand des Richterpodiums empor. Die blaugesichtigen Köpfe der zwölf Richter, mit hoch aufgetürmten hellblauen Haartollen geschmückt, waren von Lipozigs Standort aus über den Rand der hohen Richtertische hinweg gerade noch zu erspähen. Die in grellrote Roben gekleideten schmächtigen Körper der Richter waren hinter der Podiumswand ebenso verborgen wie die Monitore, auf denen das Beweismaterial von den Juristen eingesehen werden konnte.

In den blauen Augen des obersten Richters blitzte Verachtung auf, als er nun auf den Verurteilten hinabstarrte.

»Du hast dich des Massenmordes schuldig gemacht!« rief er mit vor Empörung überschnappender Stimme. »Entgegen deinem Einsatzbefehl, der da lautete, die glandarischen Feinde des Imperiums restlos zu vernichten, hast du Gefangene gemacht und in dem von dir befehligten Kampfschiff 3247 heimlich nach Padowan verbracht!«

»Das war aber doch Lek Remalegs Idee!« rief der Kommandant mit weinerlicher Stimme zu den Richtern empor. »Dieser verrückte Wissenschaftler hat mich so lange mit seinen abstrusen Theorien bedrängt, bis ich mich dazu bereit erklärte, neue Zuchtsubjekte für seine verbotenen Forschungen herbeizuschaffen.«

»Diese sogenannten Zuchtsubjekte haben unsere Kuppelstadt verseucht!« rief ein Beisitzer voller Zorn. »Lek Remaleg war ihr erstes Opfer. Als den von dir illegal eingeschleusten Glandaren dann die Flucht aus Remalegs verbotenem Labor gelang, haben die Echsen eine Katastrophe nie gesehenen Ausmaßes in Padowan-Stadt herbeigeführt. Achttausenddreihundertfünfundsiebzig Utaren fanden den Tod! Darunter auch meine Frau und meine drei Töchter!«

»Aber – das wollte ich doch nicht!« rief Lipozig weinerlich.

»Und was geschah mit den dreißig Besatzungsmitgliedern deines Raumschiffes?« rief der Strafanwalt, der in diesem Prozeß die Interessen des Imperators vertrat. »Warum mußten sie sterben?«

Lipozig hatte das Gefühl, eine ganze Kolonie Bakterien wäre ihm in die Kehle gekrochen und dörrte sie nun langsam aus.

»Was soll mit ihnen sein?« erwiderte er am ganzen Körper schlotternd. »Sie – wurden Opfer der kontaminierten Atmosphäre in meinem Raumschiff!«

»Und wie gelangte die verpestete Luft aus der Kuppelstadt in die Korridore und Räume der KUUL?« wollte der Strafanwalt mit höhnischer Stimme wissen?

»Der interne Energieschirm, der den Raumhafen in Notfällen zusätzlich schützen sollte, ist zu spät aktiviert worden«, versuchte Lipozig die Schuld von sich zu weisen. »Aus diesem Grund drangen allergene Stoffe auf das Gebiet des Raumhafens und leider auch in die KUUL.«

»Beweismittel KdR 209 besagt, daß die Schotts und Luken von KS 3247 zum Zeitpunkt der Kontaminierung der Kuppelstadt verschlossen waren«, erklärte der Strafanwalt und blickte konzentriert auf den Monitor hinab, um dort die strafrelevanten Daten abzulesen. »Die KUUL war hermetisch abgeriegelt. Trotzdem wurden die Räume und Korridore des Schiffes verseucht, so daß laut Bordprotokoll neunundzwanzig der insgesamt einunddreißig Besatzungsmitglieder augenblicklich ums Leben kamen.«

Nervös fingerte Lipozig einen sterilen Saugschwamm aus seiner Jackentasche und tupfte sich den Angstschweiß von der Stirn. Er ahnte, was jetzt kommen würde.

»Kurze Zeit nachdem in Padowan-Stadt das Chaos ausbrach, wurde die Luft eines angeblich leeren Hangars des Schiffes in das Bordsystem geleitet – aufgrund eines Prioritätsbefehls aus der Schiffszentrale.« Die Stimme des Strafanwalts war schneidend und eisig.

»Ein solcher Befehl kann nur von dem Schiffskommandanten persönlich ausgelöst worden sein!« keifte der Beisitzer. »Also von dir, Lipozig!«

»Ich erinnere mich nicht«, gab der Kommandant lahm zurück. »Was sollte an einem solchen Befehl denn verurteilenswert sein?«

»Die Glandaren, die du heimlich nach Padowan gebracht hast, wo hattest du sie während des Fluges versteckt?«

Lipozig schluckte trocken. Er war nicht fähig die Frage des obersten Richters zu beantworten.

»Du hattest die Echsenwesen in jenen Hangar zusammengepfercht, dessen Luft du während der Katastrophe in das Schiffssystem leitetest!« rief der Richter anklagend. »Diese Luft war von den unreinen Glandaren verseucht worden. Sie war Gift für deine Leute!«

»Du hast deine dreißigköpfige Besatzung vorsätzlich getötet, vermutlich, um die Mittäter auszuschalten, die dein wahnsinniges Vorhaben unterstützt hatten, die Glandaren heimlich nach Padowan zu bringen! Damit deine Männer nicht gegen dich aussagen konnten, hast du sie umgebracht!«

»Das ist nicht wahr!« protestierte Lipozig mit krächzender Stimme, obwohl er wußte, daß er überführt war. Von den dreißig Untergebenen hatten ihn nur fünf bei der illegalen Aktion unterstützt.

Wie er, so waren auch diese Männer der Ansicht gewesen, daß der einseitigen Forschungsarbeit der Wissenschaftler in der Fertigungsstätte für die gelbe Schutzsubstanz unbedingt neue Perspektiven eröffnet werden mußten. Das starre Festhalten an den bisherigen Schutzverfahren hatte im Geheimen Imperium Machtstrukturen gefestigt, die, wie Lipozig fand, unbedingt aufgebrochen werden mußten. Nur so war es vielleicht möglich, neue Methoden zu finden, wie die Allergieanfälligkeit des utarischen Volkes bekämpft werden konnte.

»Neunundzwanzig Besatzungsmitglieder starben nachweislich an der verpesteten Luft, mit der sie in Berührung kamen. Du, Lipozig, bliebst jedoch verschont, weil du – rein zufällig natürlich – einen Schutzanzug angelegt hattest.« Es war der Kombinator des Gerichts, der diese Bemerkung äußerte. Hohn und Spott schwangen in seiner Stimme mit. »Es bleibt aber immer noch die Frage offen, was mit Besatzungsmitglied Nummer dreißig geschehen ist? Es handelt sich um Sin Snapor, deinen Ortungschef. Er scheint spurlos verschwunden. Sicher kannst du uns als sein Vorgesetzter sagen, wo dieser Mann steckt?«

»Ich weiß es nicht!« kreischte Lipozig und versuchte die schrecklichen Bilder zu verdrängen, die in ihm aufstiegen. Es hatte ihn fast um den Verstand gebracht, als er festgestellt hatte, daß ausgerechnet Sin Snapor so geistesgegenwärtig gewesen war, einen Schutzanzug anzulegen, als die ersten Nachrichten über die entsetzlichen Vorkommnisse in der Kuppelstadt in der Schiffszentrale eintrafen. Auf diese Weise war Snapor Lipozigs heimtückischer Tat entgangen. Doch lange hatte er seine Kameraden nicht überlebt. Lipozig hatte ihn mit einem Schuß aus der Strahlenwaffe niedergestreckt…

»Wie auf der numerischen Anzeige der Richtskala abzulesen ist, wurde mein Antrag auf Vollstreckung des Todesurteils mittels eines hyperallergenen Schocks von den anwesenden Richtbefugten einstimmig angenommen«, schnitt die Stimme des obersten Richters in Lipozigs fiebrige Gedanken. »Das Urteil ist sofort zu vollstrecken!«

Voller Panik starrte Lipozig zu den dreizehn Richtbefugten empor.

»Nein!« kreischte er entsetzt, als er sah, daß die Männer sich bereits erhoben hatten. Der oberste Richter war der erste, der die Vollstreckung des Urteils in Angriff nahm. Er holte mit der rechten Hand aus und schleuderte einen Klarsichtbeutel voller infektiöser Exkremente auf den Kommandanten hinab.

Lipozig sprang mit einem Entsetzensschrei von dem Beschuldigtenschemel auf – aber zu spät. Der Beutel traf seine Brust und zerplatze. Übelriechender, breiiger Kot besudelte seine grelle Uniformjacke mit bräunlichen, unansehnlichen Flecken.

»Schuldig!« schrie der Beisitzer und schleuderte ebenfalls einen Kotbeutel, der Lipozigs Haupt traf und seine Frisur ruinierte.

»Schuldig!« Ein weiterer Klumpen traf ihn an der Schulter.

Schon spürte der Kommandant, daß sich ein hyperallergener Schock anbahnte. Er wankte, und ihm schwanden die Sinne.

»Schuldig! Schuldig! Schuldig…« schallten die schrillen Rufe der Richtbefugten in seinen Ohren, während die Kotbeutel auf ihn herabprasselten.

Lipozig schrie wie von Sinnen. Verzweifelt versuchte er die stinkenden Exkremente mit den bloßen Händen von seiner Uniform abzuwischen.

Da fühlte er sich plötzlich hart an den Oberarmen gepackt und geschüttelt.

Lipozig fuhr mit einem Schrei auf – und starrte den in einen Schutzanzug gekleideten Utaren verständnislos an, der sich über das Hauptsteuerpult in der Zentrale der KUUL gebeugt hatte und den Kommandanten unsanft rüttelte, damit dieser aus seinem Schlummer erwachte.

»Lipozig«, sprach ihn der Utare mit eindringlicher Stimme an. Den Helm des Schutzanzuges hatte der Mann zurückgeklappt; er hing wie eine sperrige Kapuze zwischen den Schulterblättern herab. »Ich wollte dir nur mitteilen, daß die KUUL wieder keimfrei ist. Die Roboter haben die Aufräumarbeiten und die Sterilisation abgeschlossen.«

Benommen sah Lipozig sich in der Zentrale um. Nur langsam begriff sein umnebeltes Gehirn, daß er sich nicht in der Strafkammer des Gerichts befand, sondern an Bord seines Raumschiffes. Die Arbeitsstationen lagen verlassen da; verloren blinkten die Lämpchen und zeigten an, daß die Systeme einsatzbereit waren.

»Es war nur ein Traum«, wisperte er benommen. »Nur ein dreckiger, verseuchter Traum!«

»Ich habe dich leider nicht verstehen können, Kommandant.« Der Utare deutete auf Lipozigs geschlossenen Helm. »Die Schutzhaube deines Anzuges dämpft deine Worte.«

»Nichts! Ich habe nichts gesagt«, beeilte sich Lipozig zu erklären. »Gute Arbeit, Klin Klinzig. Ich bin froh, daß das Schiff jetzt wieder betriebsbereit ist.«

Er löste die Arretierung des Helmes und klappte ihn zurück. Dabei ließ er den Blick über die Bildschirme vor sich schweifen.

Seit die Reinigungseinheit das Schiff betreten hatte, hockte er in der Zentrale und überwachte die Arbeit der Roboter ängstlich. Trotz der inneren Anspannung war er dann aber doch vor Erschöpfung eingeschlafen und hatte von seiner Verurteilung geträumt.

Jetzt zeigten die Überwachungskameras statt der Korridore, durch die die Roboter mit ihren Sterilisationsapparaten und den luftdichten Metallsärgen für die verstorbenen Besatzungsmitglieder schritten, nur noch leere Räume und Flure. Die Reinigungseinheit war abgezogen, um sich einem anderen verseuchten Kampfschiff zu widmen.

»Gab es irgendwelche besonderen Vorkommnisse?« wollte Lipozig wissen und bemühte sich dabei, seine Stimme unbeteiligt klingen zu lassen.

Der Utare, der die Arbeit der Reinigungsroboter überwacht hatte, senkte beleidigt den Kopf. »Du kannst dir absolut sicher sein, daß dir keine Gefahr mehr droht«, versicherte er. »Das Schiff wurde bis in den letzten Winkel hinein desinfiziert.«

Lipozig winkte erleichtert ab. »Ist schon gut. Ich wollte deine Kompetenz nicht anzweifeln. Bitte entschuldige.«

Klinzig musterte den Kommandanten mit seinen blauen Augen eine Weile. »Die schrecklichen Vorkommnisse haben uns allen stark zugesetzt«, sagte er mitfühlend. »Fast jeder Überlebende hat während der Katastrophe einen Verwandten oder Freund verloren. Du hingegen hast fast deine ganze Mannschaft eingebüßt. Auch von Sin Snapor fehlt noch immer jede Spur. Du sagtest, er hielt sich während des Ausbruchs der Katastrophe in einem Amüsiersalon in der Stadt auf. Daß er die Kontaminierung überlebt hat, ist eher unwahrscheinlich. Bis die Toten in der Stadt aber alle identifiziert wurden, wird es noch Tage dauern. So lange wirst du mit der Ungewißheit leben müssen, was aus deinem Ortungschef wurde.«

»Ich werde auch über diesen Verlust hinwegkommen«, wehrte Lipozig die Anteilnahme des anderen schroff ab.

»Eine Ersatzmannschaft wird dir erst in etwa zehn Tagen zur Verfügung stehen«, gab Klinzig zu bedenken. »Du solltest vielleicht in Erwägung ziehen, dich bei der Auffangstelle einzufinden. Der Imperator hat psychologisch geschulte Spezialisten nach Padowan-Stadt geschickt; sie sollen sich um die Hinterbliebenen der Opfer kümmern und ihnen seelischen…«

Lipozig sprang abrupt von seinem Kommandantensessel auf. »Ich benötige keine Seelendesinfektion!« rief er abfällig. »Ich komme sehr gut allein zurecht – danke!«

Klinzigs Miene verdüsterte sich. »Vielleicht überlegst du es dir ja noch einmal. Zehn Tage in diesem verwaisten Raumschiff herumzuirren, muß…«

»Es reicht jetzt!« fuhr Lipozig den Mann an. »Hast du nichts anderes zu tun, als Leute zu belehren, die weitaus besser ausgebildet sind als du? Ich wurde während meines Drills zum Kommandanten auf derartige Situationen vorbereitet. Ich benötige keine Hilfe! Und nun verschwinde endlich!«

Verstört wich Klinzig vor dem Kommandopult zurück. »Gesundheit und ein langes Leben«, grüßte er zum Abschied mißmutig, wandte sich ab und verließ die Zentrale beleidigt.

Nachdem die Tür hinter dem Mann zugeglitten war, ließ Lipozig sich erleichtert in seinen Sessel fallen. Gefaßt verfolgte er auf den Monitoren, wie der Utare durch den Hauptkorridor stapfte, die Schleuse betrat und das Schiff über die Rampe verließ.

Mit zittrigen Fingern justierte der Kommandant eine der Überwachungskameras, bis ein quadratisches Schutzgitter in den Bildausschnitt geriet. Das Gitter nahm ein großes Wandsegment des Korridors ein, der zu den Mannschaftsunterkünften führte. Es barg den Zugang in einen Wartungsschacht, von dem aus auf die Hauptdatenleitungen zugegriffen werden konnte.