Wenn Arbeit Liebe ersetzt - Christine Wimbauer - E-Book

Wenn Arbeit Liebe ersetzt E-Book

Christine Wimbauer

0,0

Beschreibung

Frauen wollen sich heute ebenso im Beruf verwirklichen wie Männer und streben nach Karriere und beruflicher Anerkennung. Daraus können neue Konflikte innerhalb der Paarbeziehungen entstehen. Vor allem ist unklar geworden, wofür sich die Partner gegenseitig anerkennen, welche sozialen Ungleichheiten sich zeigen und in welchem Verhältnis Liebe und Leistung stehen. Aufbauend auf Axel Honneths Anerkennungstheorie zeichnet Christine Wimbauer die aktuellen Veränderungen von Paarbeziehungen, Erwerbsarbeit und der sozialstaatlichen Anerkennungsordnung nach. Sie macht dabei deutlich, dass nicht nur die Selbstverwirklichungsversprechen der gegenwärtigen Arbeitswelt zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt sind. In letzter Konsequenz kann das berufliche Leistungsstreben auch die Liebe zwischen den Partnern (z)ersetzen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 632

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christine Wimbauer

Wenn Arbeit Liebe ersetzt

Doppelkarriere-Paarezwischen Anerkennung und Ungleichheit

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Wie viel Arbeit verträgt die Liebe?

Frauen möchten heute ebenso erwerbstätig sein wie Männer. Sie wünschen sich berufliche Anerkennung und wollen gleichberechtigte Beziehungen leben. Gerade in Doppelkarriere-Paaren ist aber unklar geworden, wofür sich die Partner gegenseitig anerkennen, welche Ungleichheiten sich zeigen und in welchem Verhältnis Liebe und Leistung stehen.

Aufbauend auf Axel Honneths Anerkennungstheorie zeichnet Christine Wimbauer die aktuellen Veränderungen von Paarbeziehungen, Erwerbsarbeit und der sozialstaatlichen Anerkennungsordnung nach. Sie macht dabei deutlich, dass nicht nur die Selbstverwirklichungsversprechen der gegenwärtigen Arbeitswelt zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt sind. In letzter Konsequenz kann berufliches Leistungs- und Karrierestreben auch die Liebe zwischen den Partnern zersetzen.

Über die Autorin

Christine Wimbauer ist Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Soziale Ungleichheit und Geschlecht am Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen. Bei Campus erschien 2003 ihr Buch »Geld und Liebe. Zur symbolischen Bedeutung von Geld in Paarbeziehungen«.

Inhalt

Vorwort

I. Einleitung

1. Warum Anerkennung?

2. Axel Honneths Anerkennungstheorie

3. Fragestellung und Aufbau

II. Anerkennung – Geschlecht – Ungleichheit

1. Theoretische Grundlagen

1.1 Axel Honneths Anerkennungstheorie

1.1.1 Honneths Stufenmodell von Liebe, Recht und Wertschätzung

1.1.2 Diskussion und weitere Annahmen Honneths

1.1.3 Zwischenfazit

1.2 Anerkennung und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern

1.2.1 Das Geschlechterverhältnis als ungleiches Anerkennungsverhältnis

1.2.2 Geschlechtsgebundene Ungleichheiten in Paarbeziehungen

1.2.3 Erklärungsansätze für Geschlechterungleichheiten

1.3 Fazit und die Fragen des Buches – erster Teil

2. Anerkennung im Wandel

2.1 Liebe und Paarbeziehungen im Wandel

2.1.1 Die romantische Liebe und das Familienernährermodell

2.1.2 Von der romantischen Liebe zum Code der Partnerschaft

2.2 (Erwerbs-)Arbeit im Wandel

2.2.1 Das männliche Normalarbeitsverhältnis

2.2.2 Subjektivierung, Entgrenzung und Vermarktlichung von Erwerbsarbeit

2.2.3 Kritik am Subjektivierungsdiskurs

2.2.4 Anerkennung und die Subjektivierung von Arbeit

2.3 Die sozialstaatlich-rechtliche »Anerkennungsordnung« im Wandel

2.3.1 Deutschland als konservativer und versorgender Sozialstaat

2.3.2 Vom versorgenden zum aktivierenden Sozialstaat

2.3.3 Vom Familienernährer- zum adult worker-Modell

3. Fazit und Forschungsfragen – zweiter Teil

III. Empirische Untersuchung

1. Methodisches Vorgehen und Design

1.1 Methodologie: Ein hermeneutischer und »relationaler« Ansatz

1.2 Projektkontext, Design und Datengrundlage

1.3 Erhebung der Interviews

1.4 Auswertung der Interviews

2. Einführung: Erste fallübergreifende Ergebnisse

2.1 Hohe Egalitäts- und Berufsorientierung

2.2 Ungleichheiten der Arbeitsteilungsarrangements

2.3 Entgrenzungen und das Verhältnis der Lebensbereiche

2.4 Zur Auswahl der dargestellten fiktiven Fälle

3. Exemplarische Falldarstellungen

3.1 Paar Müller: Traditionalisierung nach Familiengründung I

3.1.1 Fallkurzdarstellung

3.1.2 Paarbeziehung und Beziehungskonzepte

3.1.3 Berufliche Situation und Bedeutung von Erwerbstätigkeit

3.1.4 Haus- und Betreuungsarbeit, Familie und Kind

3.1.5 Veränderungen nach der Geburt des Kindes

3.1.6 Anerkennung und Ungleichheiten

3.2 Paar Nau: Traditionalisierung nach Familiengründung II

3.2.1 Fallkurzdarstellung

3.2.2 Paarbeziehung und Beziehungskonzepte

3.2.3 Berufliche Situation und Bedeutung von Erwerbstätigkeit

3.2.4 Haus- und Betreuungsarbeit, Familie und Kind

3.2.5 Anerkennung und Ungleichheiten

3.3 Paar Ott: Vom Hamsterrad und der weiblichen Doppellast

3.3.1 Fallkurzdarstellung

3.3.2 Paarbeziehung und Beziehungskonzepte

3.3.3 Betreuungsarrangement und Hausarbeitsteilung

3.3.4 Berufliche Situation und Bedeutung von Erwerbstätigkeit

3.3.5 Anerkennung und Ungleichheiten

3.4 Paar Pfaff: Von der Egalität des doppelten Vollkarriere-Paares

3. 4.1 Fallkurzdarstellung

3.4.2 Paarbeziehung und Beziehungskonzepte

3.4.3 Berufliche Situation und Bedeutung von Erwerbstätigkeit

3.4.4 Haus- und Betreuungsarbeitsteilung und Familie

3.4.5 Un-/Gleichheit und Anerkennung

3.5 Paar Reiter: Von Ungleichheiten in der Paarsymbiose

3.5.1 Fallkurzdarstellung

3.5.2 Paarbeziehung und Beziehungskonzepte

3.5.3 Berufliche Situation und Bedeutung von Erwerbstätigkeit

3.5.4 Hausarbeitsteilung und Bedeutung von Familie

3.5.5 Anerkennung und Ungleichheiten

3.6 Paar Saar: Von der Paarfusion und der Suche nach Balance

3.6.1 Fallkurzdarstellung

3.6.2 Paarbeziehung und Beziehungskonzepte

3.6.3 Berufliche Situation und Bedeutung von Erwerbstätigkeit

3.6.4 Haus- und Betreuungsarbeit, Familie und Freunde

3.6.5 Anerkennung und Ungleichheiten

4. Fazit der empirischen Untersuchung

4.1 Entgrenzungen und Subjektivierungspotenzial von Erwerbsarbeit

4.2 Verhältnis der Lebensbereiche, Anerkennung und Ungleichheiten

4.2.1 Sozialstaatliche Anerkennungsstrukturen

4.2.2 Arbeitsorganisationale Anerkennungsbedingungen

4.2.3 Paarbeziehung: Anerkennungsressource oder -verhinderung

IV. Theoretische Betrachtung

1. Ungleichheiten und ›Tücken‹ der Anerkennung

1.1 Die erste ›Tücke‹: Die generelle Risikostruktur von Anerkennung

1.1.1 Zur Kontingenz und Uneinforderbarkeit von Liebe

1.1.2 Anerkennung qua Leistung und deren Kontingenz

1.2 Die zweite ›Tücke‹: Geschlechterdifferente Anerkennungshürden

1.2.1 Erwerbssphäre: Hürden für Anerkennung qua Leistung

1.2.2 Hürden im Zugang zur familiären Sphäre

1.3 Die dritte ›Tücke‹: Die ›Anerkennungsfalle‹ subjektivierter Arbeit

1.3.1 Ergänzung von Liebe durch Leistung in der Paarbeziehung

1.3.2 Ergänzung von Leistung durch Liebe in der Arbeitssphäre

1.3.3 Die erste Seite der ›Anerkennungsfalle‹: Qua Leistung zur Liebe der Organisation

1.4 Zusammenfassung: Die ›Tücken‹ der Anerkennung

2. Die ›Tücken‹ der Anerkennung ungleichheitssoziologisch betrachtet

2.1 Anerkennung ungleichheitssoziologisch betrachtet

2.2 Anerkennung qua Erwerbsarbeit: Ein doppeltes ›Ideologiepotenzial‹

2.2.1 Subjektivierte Arbeit und deren strukturell verhinderte Einlösung

2.2.2 Die ›Anerkennungsfalle‹ beruflichen Leistungsstrebens

3. Zukunftsszenarien und gesellschaftliche Implikationen

3.1 Von der Liebe als Hafen und Fluchtpunkt

3.2 Von den »Überflüssigen« und ihrem doppelten Ausschluss

3.3 Wenn die Arbeit gewinnt: Die Niedergangshypothese der Liebe

3.4 Arbeit und Liebe: Gemeinsam vereint?

3.4.1 Das doppelt aktivierte Paar als sozialpolitisches Appellativ

3.4.2 Gesellschaftliche Implikationen der doppelten Vollkarriere

3.4.3 Auswege aus den ›Anerkennungsfallen‹?

V. Ein Blick zurück – und nach vorne

1. Fazit und Erkenntnisgewinn

2. Grenzen der Untersuchung und offene Fragen

Literatur

Anhang

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Anerkennung ist ein zentrales Handlungs- und Seinsmotiv der Menschen – und das Thema Anerkennung ist ebenso faszinierend wie herausfordernd. Dies liegt nicht nur an der »Ubiquität« (Wagner 2004: 11) und Komplexität von Anerkennung, angesichts derer sie schwer fassbar ist, sondern zuvorderst an ihrer großen Relevanz: Anerkennung ist ein von den Einzelnen erstrebtes Gut, doch Anerkennung ist gesellschaftlich ungleich verteilt, und dies systematisch und strukturiert. Eben darin liegt auch ihre gesellschaftliche und (ungleichheits-)soziologische Relevanz begründet – weshalb der Kategorie Anerkennung, so mein Plädoyer, größere Aufmerksamkeit in der Soziologie sozialer Ungleichheit gebührte.

Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die 2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht wurde. Es entstand im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe ›Liebe‹, Arbeit, Anerkennung – Anerkennung und Ungleichheit in Doppelkarriere-Paaren. Die Zeit war lang und der Weg weit vom ersten Gedanken zum letzten Wort. So möchte ich meinen Dank aussprechen an alle, die mir die Beschäftigung mit dem Thema ermöglicht und zum Entstehen des Buches beigetragen haben – auch wenn ich hierbei nicht alle einzeln nennen kann.

An erster Stelle gilt mein großer Dank den befragten Paaren, ohne die es dieses Buch nicht gäbe, und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Finanzierung der Nachwuchsgruppe. Es gäbe dieses Buch auch nicht ohne Axel Honneths Anerkennungstheorie, und es wäre nicht in dieser Form geraten ohne die theoretisch höchst produktiven Irritationen von Joachim Renn und ohne Seite 19 von Stephan Lessenichs Buch Die Neuerfindung des Sozialen. Ich danke auch den MitarbeiterInnen der Nachwuchsgruppe Annette Henninger, Anke Spura, Markus Gottwald und Mona Motakef für die langjährige Zusammenarbeit, für inspirierende Diskussionen, gemeinsame Auswertungen und bisweilen Erheiterungen; Julia Teschlade, Rebecca Brückmann, Daniela Kaya, Jann Nestlinger und Katja Walther für ihre Recherchen und Unterstützung. Ana Burduli-Ulrich, Caroline Heuer und Nina Bonge danke ich für akribische Korrekturarbeiten. In Berlin gilt mein Dank zudem dem Wissenschaftszentrum Berlin, das uns von 2008 bis 2010 institutionell beheimatete. Explizit danke ich hier (neben anderen) den TeilnehmerInnen des Colloquiums Arbeit, Bildung, Partnerschaft von Heike Solga. Gleichermaßen kritisch wie anregend waren die Diskussionen mit Hildegard Maria Nickel und den TeilnehmerInnen ihres Colloquiums an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heike Solga schließlich danke ich nicht nur für ihre langjährige, produktive Kooperation, ihre Allzeitansprechbarkeit und ihren umfassenden Rat in inhaltlichen und wissenschaftlichen Fragen.

Weiter gilt mein Dank den Mitgliedern der Habilitationskommission für ihre – alles andere als selbstverständliche – Bereitschaft und Zeit, sich mit meiner Habilitationsschrift zu beschäftigen: Jutta Allmendinger, Hans Bertram, Hans-Peter Müller, Friedbert Rüb, Andreas Heilmann und Katja Walther. Besonders möchte ich den beiden GutachterInnen Hildegard Maria Nickel und Axel Honneth danken. Auch danke ich Judith Wilke-Primavesi und Friederike Fleschenberg vom Campus-Verlag für ihre freundliche Betreuung der Buchpublikation sowie Andrea Roedig für das professionelle Lektorat des Manuskriptes und die angenehme Zusammenarbeit.

Den Anfang nahm alles am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, im Sonderforschungsbereich 536 Reflexive Modernisierung. Bereits vor meiner ›Anerkennungsphase‹ fand ich dort wichtige wissenschaftliche LehrerInnen und große Unterstützung, neben anderen von Werner Schneider und Ulrich Beck. Ohne Jutta Allmendinger schließlich hätte ich keine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe beantragt und der Weg wäre ein anderer geworden. So danke ich ihr für die Gelegenheitsstrukturen, die Unterstützung und die inhaltlichen Inspirationen der vergangenen Jahre. Schließlich danke ich meinen Eltern und, last but not least, meinen FreundInnen für ihre uneingeschränkte kommunikative Erreichbarkeit.

Gewidmet ist dieses Buch BC und TC, zwei in verschiedener Hinsicht höchst beeindruckende Menschen.

Duisburg, 13. Juli 2012

Kapitel IEinleitung

Sara Saar: »Ja ich merk nur halt bei uns beiden, dass wir früher halt wirklich extrem karriereorientiert waren, aber dass wir jetzt einfach auch für uns gemerkt haben – dass es halt nicht alles ist, sondern wenn ich immer abends um acht erst zu Hause bin und dann eigentlich nur noch esse und ins Bett falle und irgendwie das gesamte private Leben, was ich so habe, am Wochenende stattfindet und unter der Woche ich eigentlich nur noch k.o. bin und – nichts anderes mehr machen kann – dann ist das irgendwie auch nicht so erstrebenswert. Und wir suchen jetzt eigentlich für uns beide ’n Weg, weil wir ja auch schon ehrgeizig sind und auch weiterkommen wollen. Dass wir halt sagen – ja wir möchten das, aber auch nicht um jeden Preis, sondern schon so, dass es halt für uns insgesamt auch als Familie passt«.

Frau Saar thematisiert hier die Frage nach dem Verhältnis von Erwerbsarbeit und Privatleben. Karriere nicht um jeden Preis, so lautet ihre Devise: Das berufliche Engagement beider PartnerInnen soll nicht (mehr) auf Kosten des Privatlebens und der neu gegründeten Familie gehen. Andererseits darf aber die Familiengründung auch nicht zu einem Ausschluss aus der Erwerbssphäre führen, da dies ihre Anerkennungschancen auf den Bereich der Familie und der Hausarbeit reduzieren würde, die jedoch leicht zu übersehen sei:

Sara Saar: »Also grad so die Phase, wo ich dann zu Hause war und Simon arbeiten, das war schon schwierig – ich glaub wir haben uns einmal mörderisch gestritten, weil ich aufgeräumt habe und Simon das nicht gesehen hat. Und das ist halt – deswegen auch so diese Anerkennung, ja wenn man nur zu Hause ist, ist ja das das Einzige, was der Partner irgendwie … – oder woraus man seine Anerkennung bezieht«.

Nicht zuletzt aufgrund Saras Einforderung und des Wunsches ihres Mannes Simon nach einer ›aktiven Vaterschaft‹ streben beide nun nach einer egalitären Beteiligung nicht nur im beruflichen, sondern auch im familiären Bereich. Bei einem anderen Ehepaar, Oda und Olaf Ott, sind zwar beide PartnerInnen voll erwerbstätig, doch Oda Ott ist mehr oder weniger allein zuständig für die Sorge um das gemeinsame Kind und den Haushalt. Sie steckt somit beruflich zurück – entgegen ihrer Vorstellung einer egalitären Arbeitsteilung und einer gleichen beruflichen Partizipation:

Oda Ott: »Wenn ich so aufdrehen würde wie du, dann könnten wir das hier [Paarbeziehung und Familie , Anm. C. W.] komplett kippen«.

Olaf Ott: »Das ist sozusagen das Grundmuster eines Problems – und letztlich – wenn man das so will ist es bei mir so dass ich […] unverfroren sozusagen maximal im Job arbeite – während meine Frau im Prinzip beides versucht zu tragen«.

Entsprechend fordert Oda von ihrem Mann eine größere Beteiligung an der Hausarbeit ein, wozu er sich aber nicht in der Lage sieht, ist er doch » maximal absorbiert« durch seinen Beruf. Frau Otts berufliche Anerkennungschancen sind damit eingeschränkt, kann sie sich doch wegen ihrer Fürsorgeverantwortung weniger stark beruflich engagieren als ihr Mann – was die Beziehung durchaus belastet.

Bei den hier vorgestellten Paaren handelt es sich um sogenannte Doppelkarriere-Paare, also um Paare, in denen beide PartnerInnen meist eine hohe Bildung und starke Berufsorientierung aufweisen und sich in der Regel an egalitären Beziehungsvorstellungen hinsichtlich Erwerbs- und Hausarbeitsteilung orientieren (Solga/Wimbauer 2005b). Doch die Zitate verweisen auf zweierlei: Erstens sind es oftmals die Frauen, die nach der Geburt von Kindern – zumindest temporär – ihr berufliches Engagement reduzieren, was häufig ihr berufliches Fortkommen einschränkt, obwohl beide PartnerInnen einer eigenständigen Berufstätigkeit hohe Bedeutung zuschreiben. Zweitens ist es eine offene und von den Partnern zu lösende Frage, in welchem Verhältnis Privatleben – im Sinne von Familie und Paarbeziehung – und Erwerbsarbeit stehen: Gewinnt das berufliche Engagement die Oberhand und geht auf Kosten der Familie und/oder der Paarbeziehung? Oder wird das berufliche Engagement zugunsten der Familie und der Beziehung reduziert? Diese Fragen stehen im Zentrum des vorliegenden Buches, das im Anschluss an Axel Honneth aus einer anerkennungstheoretischen Perspektive nach Anerkennung und Ungleichheiten in Doppelkarriere-Paaren fragt sowie nach dem Verhältnis von Erwerbsarbeit, Paarbeziehung und Familie – kurz: von Arbeit und Liebe.

1. Warum Anerkennung?

Anerkennung ist ein zentraler Begriff des vorliegenden Buches. Nach dem hier vertretenen Menschenbild der sozialen conditio humana sind die Einzelnen wesentlich auf intersubjektive Anerkennung angewiesen, da gerade der praktische Bezug auf andere Subjekte und deren positive Bestätigung des eigenen So-Seins zentral sind für die Konstitution von Identität und Subjektivität. Wird bei Adam Smith das Streben nach Anerkennung als eines der zwei menschlichen Grundbedürfnisse bestimmt, so kommt in G. W. F. Hegels (1986) Frühwerk dem »Kampf um Anerkennung« entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des praktischen Seins und des sittlichen Gemeinwesens zu. George Herbert Mead (1973) stellt aus sozialpsychologischer Perspektive die Bedeutung intersubjektiver Anerkennung durch andere für die Identitätsbildung heraus. Er fasst symbolisch vermittelte Interaktionen als grundlegende gesellschaftliche Prozesse. Schließlich lieferte Axel Honneth (1992, 2003a,b) die jüngste systematische Theorie der Anerkennung. Unter Rückgriff auf Meads intersubjektivistisches Identitätskonzept und auf Hegels »Kampf um Anerkennung« setzt Honneth sich zum Ziel, eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie zu entwickeln. Wenn sich die »Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens […] unter dem Imperativ einer reziproken Anerkennung« (Honneth 1992: 148) vollzieht, dann sind »menschliche Subjekte in ihrer Identitätsbildung konstitutiv auf die normative Zustimmung anderer angewiesen […], weil sie sich ihrer praktischen Ansprüche und Zielsetzungen nur anhand der positiven Reaktion eines Gegenübers vergewissern können« (Honneth 1994: 17–18).

Nach Honneths starkem Intersubjektivitätsparadigma sind die Einzelnen also zwingend auf die Anerkennung anderer angewiesen. Honneth (1992) sieht die gesamte Gesellschaft als ein System aus gestaffelten Anerkennungsverhältnissen sowie als »institutionalisierte Anerkennungsordnung« und fasst die gesellschaftliche Entwicklung als Stufenfolge von sozialen Kämpfen um Anerkennung, die durch jeweilige Missachtungserfahrungen der Subjekte ausgelöst werden. Die Erwartung sozialer Anerkennung sei der Form nach anthropologisch festgelegt, die Inhalte der Anerkennung seien jedoch historisch variabel: Sie werden stets durch die normativen Prinzipien geformt, die in einer Gesellschaft die elementaren Strukturen wechselseitiger Anerkennung festlegen (Honneth 2003a: 162–163). Honneth (1992) unterscheidet drei Formen intersubjektiver Anerkennung: Liebe, Recht und soziale Wertschätzung bzw. Leistung (Honneth 2003a) innerhalb der industriell organisierten Arbeitsteilung.

Bei Liebe besteht die idealtypische Anerkennungsweise in der affektiven Bestätigung und emotionalen Zuwendung zu einem konkreten Anderen und dessen besonderer Bedürfnisnatur; die grundlegende Logik ist hier die reziproke Anerkennung des anderen als einzigartiges Subjekt in seinem spezifischen So-Sein. Die idealtypische Anerkennungssphäre ist die Familie bzw. Paar- und soziale Nahbeziehungen. Das Recht folgt einem universalistischen Prinzip, nämlich der generalisierten Achtung aller als autonome und moralisch zurechenbare Rechtspersonen. Rechtsbeziehungen sind die dem Recht zugehörige, idealtypische Anerkennungssphäre. Soziale Wertschätzung dagegen zeichnet sich durch den positiven Bezug auf besondere Eigenschaften und Fähigkeiten der Individuen aus. Welche Inhalte gesellschaftlich geachtet sind, ist nach Honneth historisch variabel; gegenwärtig werde soziale Wertschätzung vor allem für individuelle Leistung im System der industriell organisierten Arbeitsteilung und der Erwerbsarbeit gewährt. Anders als bei der Liebe geht es hier nicht um Anerkennung als autonome und besondere Person, sondern um Anerkennung für spezifische Eigenschaften und Fähigkeiten, insbesondere für Leistung.

Erst alle drei Anerkennungsformen zusammen schaffen die sozialen Bedingungen, unter denen »menschliche Subjekte zu einer positiven Einstellung gegenüber sich selber gelangen können« (Honneth 1992: 271). Honneth verfolgt damit ein identitätstheoretisches Anerkennungsmodell, bei dem erst die Kumulation der drei Anerkennungsformen zu einer gelungenen Identität führen. Nach seiner normativ gehaltvollen Version des Intersubjektivitätsparadigmas sind das Subjekt und dessen personale Autonomie notwendig konstituiert in Verhältnissen intersubjektiver Anerkennung. Grundannahme ist also die Vorgängigkeit intersubjektiver Anerkennung, denn sie ist die Voraussetzung für die Ausbildung individueller, personaler Autonomie (auch Honneth 1994, 2003a,b, 2005, 2011).

In seinem jüngsten Werk – Das Recht der Freiheit – entwickelt Honneth eine Theorie sozialer Gerechtigkeit, in dessen Zentrum die soziale Freiheit steht. Diese ist ebenfalls anerkennungstheoretisch fundiert und differenziert sich in drei institutionelle Sphären der Anerkennung: persönliche Beziehungen, ökonomischer Markt und politische Öffentlichkeit.

2. Axel Honneths Anerkennungstheorie

Das vorliegende Buch schließt an Axel Honneth an, indem es ebenfalls den Anerkennungsbegriff als einheitlichen Theorierahmen konzeptualisiert, Anerkennung als zentral für die Selbstkonstitution fasst und zwischen den drei Sphären soziale Nahbeziehungen/Paarbeziehungen (mit der idealtypisch zugehörigen Anerkennungsform Liebe), rechtliche Regelungen (Recht) und dem gesellschaftlichen System der Arbeitsteilung/Erwerbsarbeit (Leistung) unterscheidet.

Doch Honneths Theorie öffnet auch Anschlussfragen (vgl. Wimbauer 2005; Wimbauer/Henninger/Gottwald 2007b). Erstens bleibt sein sozialphilosophisches Anerkennungsmodell sehr abstrakt. Zwar sind nach Honneth die Inhalte der Anerkennung historisch spezifisch und dem Wandel unterworfen, doch er richtet seinen Blick nicht auf die empirisch aufndbaren, konkreten Inhalte der jeweiligen Anerkennung. So bestimmt er Liebe als emotionale und affektive Zuwendung und Anerkennung der Bedürfnisnatur des anderen, was in seinen konkreten Inhalten aber nicht ausgeführt wird, also eine Art Blackbox bleibt. Daneben sind auch soziale Wertschätzung bzw. Leistung inhaltlich wenig bestimmt und werden von Honneth (1992) abstrakt als Ergebnis sozialer und symbolischer Kämpfe gesellschaftlicher Gruppen bezeichnet.

Zweitens stellt sich die Frage nach sozialen Ungleichheiten innerhalb der institutionalisierten Anerkennungsordnung. Nancy Fraser (2003a) kritisiert, dass Honneth ökonomische Umverteilung vernachlässige und sie schlicht unter Kultur subsumiere. Ähnlich lautet auch Thomas Köhlers (2002) Kritik, nach der Honneth kultur-, symbol- und gesellschaftstheoretisch zu fassende Strukturierungen nicht in den Blick nehme; GeschlechterforscherInnen monieren darüber hinaus die Vernachlässigung der Kategorie Geschlecht (etwa Neuhäuser 1994). Über diese Kritiken kann man geteilter Meinung sein, doch liegt in der Tat Honneths Schwerpunkt nicht auf Umverteilung und sozialstrukturellen Differenzierungen, vollends nicht auf der Unterscheidung nach Geschlecht. Diese für die Diskussion um Ungleichheit relevanten Aspekte lassen sich jedoch durchaus in ein anerkennungstheoretisches Modell integrieren – und genau dies ist ein zentrales Anliegen des vorliegenden Buches.

Ein dritter Fragenkomplex bezieht sich auf die Trennung der Sphären Liebe, Recht und Erwerbsarbeit, die nur idealtypisch möglich scheint, da diese sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels möglicherweise auch miteinander verschränken. Theoretisch wie empirisch wäre daher das Verhältnis der Anerkennungsformen zueinander zu untersuchen, ihre etwaige Entgrenzung und wechselseitige Durchdringung sowie eine mögliche Dominanz einzelner Prinzipien.

Bislang wurde Honneths theoretischer Ansatz nur selten mit empirischen Analysen verknüpft: Explizit anerkennungstheoretisch argumentierende empirische Arbeiten, die sich mit den Fragen beschäftigen, was in den drei Bereichen konkret anerkannt wird und welche Ungleichheiten (zwischen den Geschlechtern) sich hier aufnden lassen, existieren bislang kaum. Eine solche historische und empirische Erhellung soll das vorliegende Buch, angefangen um 1950, in Ausschnitten leisten. Es richtet den Blick dabei vor allem auf die Anerkennungsformen der Liebe und der Leistung im Bereich der Erwerbsarbeit sowie auf Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.1

Wandel der ›institutionalisierten Anerkennungsordnung‹ des Familienernährermodells

Fasst man mit Honneth die Gesellschaft als »institutionalisierte Anerkennungsordnung«, so ist zunächst festzuhalten, dass sich diese für lange Zeit durch geschlechtsgebundene Ungleichheiten kennzeichnete: Im Zuge der Industrialisierung und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Arbeitsteilung kam es zu einer »Polarisierung der Geschlechtscharaktere« (Hausen 1976), zu einer »Feminisierung der Liebe« (Bock/Duden 1976) und einer Sphären- und Zuständigkeitstrennung zwischen den Geschlechtern. Mit dem männlichen Familienernährermodell, das seine Hochzeit in der Bundesrepublik Deutschland im »golden age of marriage and the family« (Sieder 1987: 243) zwischen 1950 und etwa 1965 erlebte, wurde diese Zuständigkeitstrennung auch institutionell festgeschrieben (vgl. Wimbauer 2003). Legitimiert war sie zudem durch die wechselseitige, an individueller Höchstrelevanz orientierte emotionale Verbundenheit der Partner, kurz: durch das romantische Liebesideal (vgl. Luhmann 1982; Tyrell 1987). Mit dieser geschlechterkomplementären Ordnung hat sich jedoch zugleich eine geschlechtsspezifische Anerkennungsordnung institutionalisiert (vgl. auch Wagner 2004): Die Quelle sozialer Anerkennung des Mannes ist die berufliche Sphäre, der dort erreichte Status und das Einkommen; für die Frau ist es ihre Rolle als Gattin und Mutter. Angesichts des Ausschlusses von Frauen aus der Erwerbssphäre im bürgerlichen Familienmodell (sowie ihrer bis heute geringeren Erwerbsbeteiligung in Deutschland) zeigt sich, dass dieses Geschlechtermodell die Anerkennungschancen ungleich verteilt: Frauen sind – nicht nur finanziell – von ihrem Ehemann abhängig, und sie sind aus der nicht nur ökonomisch, sondern auch mit Blick auf intersubjektive Anerkennung höchst relevanten Anerkennungssphäre Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Waren Frauen doch erwerbstätig, so ergaben sich für sie widersprüchliche Anerkennungschancen, wie im Theorem der »doppelten Vergesellschaftung« von Frauen durch Lohnarbeit und Reproduktion Becker-Schmidt, Knapp und Schmidt (1984) früh herausarbeiteten.

Seit einigen Jahren jedoch verliert das Ernährermodell an Legitimation und Verbreitung. Angestoßen wurde dieser Prozess durch die um 1960 einsetzende Bildungsexpansion und die Frauenbewegung seit 1970. Die geschlechtsspezifisch ungleiche Anerkennungsordnung bricht auf, weil sich zum einen durch die Angleichung der Bildungschancen von Frauen und ihre steigende Berufsorientierung der Zugang zur Erwerbssphäre für sie öffnet. Frauen erheben zunehmend den Anspruch auf ein »eigenes Leben« (Beck-Gernsheim 1983) und auf eine eigenständige Berufstätigkeit, die ihnen finanzielle Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung verspricht. Zum anderen lässt sich im Bereich des familialen Zusammenlebens ein Wandel zu egalitären Beziehungen zweier gleichberechtigter PartnerInnen (Giddens 1992) ausmachen: Das feminisierte Leitbild romantischer Liebe, zumal in seiner asymmetrischen Ausformung, verliert an Legitimität, während das Leitbild einer gleichberechtigten Partnerschaft (Leupold 1983), in der Männer und Frauen egalitär an Beruf und familiärem Engagement partizipieren, an Bedeutung gewinnt. Vor allem für Frauen, aber auch für Männer öffnen sich damit Zugänge zu bisher verschlossenen gesellschaftlichen Sphären – verknüpft mit dem Versprechen von mehr Geschlechtergleichheit. Allerdings zeigen zahlreiche Studien, dass selbst in egalitär orientierten Paaren Ungleichheiten bestehen bleiben, Frauen besonders nach einer Familiengründung ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen und es häufig zu einer wieder traditionellen Arbeitsteilung kommt (etwa Rüling 2007) – weshalb Angelika Wetterer (2003) von einer nur »rhetorischen Modernisierung« des Geschlechterverhältnisses spricht.

Wandel der Erscheinungsformen und Sinngehalte von Erwerbsarbeit

Neben Familie und Paarbeziehung ist Erwerbsarbeit eine zweite zentrale Anerkennungssphäre. In der Nachkriegszeit setzte sich in der Bundesrepublik das Normalarbeitsverhältnis mit lebenslanger Vollzeitbeschäftigung als idealtypische Normalitätsvorstellung und als dominante Beschäftigungsform für Männer durch. Daher kam der Erwerbsarbeit eine zentrale Bedeutung für Status, Vergesellschaftung und Identität von Männern – nicht jedoch von verheirateten Frauen – zu. Eine »normative Subjektivierung« (Baethge 1991) im Sinne von umfassenden Selbstverwirklichungsansprüchen in der Arbeit war darin aber weniger angelegt: Im Unterschied zur Idee der romantischen Liebe können Individuen innerhalb von Arbeitsorganisationen nicht mit der Anerkennung als einzigartige und nicht ersetzbare Personen rechnen. Anerkannt werden nur solche Eigenschaften und Fähigkeiten, denen im System der industriell organisierten Arbeitsteilung ein Wert zugeschrieben wird. Zudem sind Personen in der Erwerbssphäre im Prinzip ersetzbar.

Doch auch der Bereich der Arbeitswelt wandelt sich, so zumindest lauten die Diagnosen eines »flexiblen Kapitalismus« (Sennett 1998, 2005) und dessen »neuen Geistes« (Boltanski/Chiapello 2003). Ausgehend vom idealtypischen Normalarbeitsverhältnis lassen sich gegenwärtig unter anderem zwei Veränderungen beobachten. Es wandeln sich, erstens, die Erscheinungsformen von Arbeit durch eine zunehmende Flexibilisierung und Vermarktlichung sowie den Bedeutungsgewinn des Leistungsprinzips (etwa Dröge/ Marrs/Menz 2008). Im Zuge dieser Veränderungen und angesichts vermehrter Konkurrenz erodiert das Normalarbeitsverhältnis samt seiner Beschäftigungssicherheit. Zweitens wandeln sich die Sinngehalte von Erwerbsarbeit durch eine Entgrenzung von Arbeit und Leben (Gottschall/Voß 2003; Kratzer 2003; Minssen 1999; Voß/Pongratz 1998) und durch eine Subjektivierung von Arbeit (Kleemann/Matuschek/Voß 2002): Einerseits richten die Beschäftigten an ihre Erwerbstätigkeit zunehmend Ansprüche auf individuelle Entfaltung und Selbstverwirklichung. Sie wollen ihre Fähigkeiten und Neigungen einbringen, was Baethge (1991) als »normative Subjektivierung« bezeichnet. Umgekehrt fordern die Unternehmen genau dies aber auch von den Beschäftigten ein, indem sie verstärkt auf subjektive Potenziale und auf die ganze Person zugreifen. An die Stelle des verberuflichten Arbeitnehmers trete der »Arbeitskraftunternehmer« (Voß/Pongratz 1998) oder das »unternehmerische Selbst« (Bröckling 2007) als explizit ökonomisch umfassend verwertbare personale Ressource.

Mit dieser »doppelten Subjektivierung« (Kleemann u.a. 2002) rücken subjektive Ansprüche an Erwerbsarbeit und erwerbsseitige Anforderungen an die Subjekte in den Blick. Gleichzeitig wird deutlich, dass mit der »doppelten Subjektivierung« der idealtypische Anerkennungsmodus der Liebe, also die Anerkennung als ganze, nicht ersetzbare Person nun auch in Arbeitsorganisationen doppelt relevant wird: Erstens beinhaltet Erwerbsarbeit ein für Frauen neues und für Männer gesteigertes Selbstverwirklichungspotenzial sowie (neue) Anerkennungschancen. Sie gewinnt über ihre materielle Funktion und die so eröffneten gesellschaftlichen Teilhabe- und Lebenschancen hinaus an Bedeutung für die Subjektkonstitution von Männern und Frauen. Bestimmte Beschäftigte, vor allem hoch qualifizierte WissensarbeiterInnen, sind entsprechend bestrebt, mit ihrer ganzen Persönlichkeit in der Arbeit aufzugehen, sie sozusagen zu lieben. Zweitens wird den Erwerbstätigen die Möglichkeit hierzu organisationsseitig auch zunehmend versprochen und als Voraussetzung für Karriereaufstieg oder Beschäftigungssicherheit konditionalisiert. Dies ist für die Arbeitsorganisationen gleichzeitig ein probates Mittel zur Leistungssteigerung der Beschäftigten im Sinne des Verwertungskalküls und des Zugriffs auf die ganze Person. Mit dem Leitbild subjektivierter Arbeit – sei es als subjektiver Anspruch, sei es als organisationales Versprechen und Anforderung – rekurriert die Erwerbsarbeit nun also vermehrt auf Aspekte der idealtypischen Anerkennungsform Liebe.

Wandel der sozialstaatlichen Rahmenbedingungen

Schließlich verändern sich auch die sozialstaatlichen Rahmenbedingungen. Zwar finden sich weiter Regelungen, die das Familienernährermodell mit seiner geschlechtsspezifischen Zuständigkeit stützen, doch teils erodiert es auch: Im Zuge des sozialstaatlichen Wandels vom versorgenden zum aktivierenden Sozialstaat lässt sich in einigen Bereichen, etwa der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, eine zunehmende Orientierung am adult worker-Modell feststellen (Lewis 1992; Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004b; Ostner 2006; Henninger/Wimbauer/Dombrowski 2008a,b), das von allen erwerbsfähigen Erwachsenen, also auch von Müttern kleiner Kinder, eine eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbstätigkeit fordert. Die Beteiligung an Erwerbsarbeit, Eigenverantwortung und Selbstvermarktung werden den Einzelnen also mehr und mehr sozialstaatlich und gesellschaftlich abgefordert (vgl. auch Bröckling 2007; Lessenich 2008).

3. Fragestellung und Aufbau

Unter Rückgriff auf die Theorie Axel Honneths werden in diesem Buch Liebe, Recht und soziale Wertschätzung für Leistung als idealtypische Anerkennungsformen bezeichnet; die jeweilige Anerkennungslogik ist Anerkennung als einzigartige Person mit spezifischen Bedürfnissen (Liebe); gleiche Achtung aller auf Basis des Gleichheitsprinzips (Recht) und soziale Wertschätzung für Leistung. Unter Anerkennungssphären werden zunächst die gesellschaftlichen Teilbereiche gefasst, die diese drei Anerkennungslogiken idealtypisch und normativ orientieren: Die Sphäre sozialer Nahbeziehungen (Liebe), die rechtliche Sphäre (Recht) und das System der Erwerbsarbeit (Leistung). Anerkennungschancen beziehen sich auf die Subjekte und deren Möglichkeiten, wechselseitige Anerkennung zu aktualisieren. Die faktische Verwirklichung dieser Anerkennung ist wesentlich begrenzt oder ermöglicht durch strukturelle und intersubjektive Bedingungen. Das Insgesamt dieser möglichen oder begrenzten Anerkennungschancen wird als institutionalisierte Anerkennungsordnung bezeichnet; die realisierten Anerkennungsbeziehungen als Anerkennungsverhältnisse.

Was wird im Paar anerkannt und welche Ungleichheiten finden sich?

Gleichheit in Paarbeziehungen sowie Anerkennung und Selbstverwirklichung qua Liebe und Erwerbsarbeit lassen sich, so die vorhergehenden Ausführungen, als theoretisch-normative Ansprüche und auch als Erwartungen der Subjekte rekonstruieren; ihre faktische Umsetzung ist jedoch nicht immer gegeben, existieren doch beispielsweise nach wie vor geschlechtsgebundene Ungleichheiten gerade im Bereich von Erwerbsarbeit und Paarbeziehungen. Ein erster Fragenkomplex dieses Buches lautet daher: Welche Anerkennungschancen bestehen in Doppelkarriere-Paaren, wofür finden die PartnerInnen intersubjektive Anerkennung? Egalisieren sich mit den benannten Wandlungen die Anerkennungschancen innerhalb von Paarbeziehungen oder lassen sich in den Paaren – alte wie neue – (geschlechtsgebundene) Ungleichheiten aufnden?

Das Verhältnis der Anerkennungslogiken angesichts von Entgrenzungen

Der zweite Fragenkomplex thematisiert den Zusammenhang von Liebe und Leistung. Angesichts eines arbeitsorganisationalen und sozialstaatlichen Wandels lässt sich eine Entgrenzung von Arbeit und Leben konstatieren. Die idealtypischen Anerkennungsformen Liebe und Leistung sind damit nicht mehr nur einer Sphäre zuzuordnen, wie noch bei den Leitbildern des Ernährermodells und des Normalarbeitsverhältnisses, sondern sie finden zunehmend Eingang in die je andere Sphäre. In die Erwerbssphäre fließen seitens der Organisation Elemente der Liebesanerkennung ein, weshalb sich für bestimmte, meist höher qualifizierte MitarbeiterInnen die Chance ihrer Nichtersetzbarkeit und ihrer Möglichkeiten, als einzigartige, nicht vertretbare Personen Anerkennung zu finden, erhöht. Angesichts der Versprechen doppelt subjektivierter Arbeit steigen die Erwartung der Subjekte und auch die Erwartung an die Subjekte, sich in der Arbeit zu verwirklichen. Umgekehrt finden sich in der Sphäre der Paarbeziehungen zunehmend Elemente der Leistungsanerkennung, weil angesichts partnerschaftlicher Beziehungsleitbilder die Erwerbs- und Leistungsorientierung beider PartnerInnen zur Voraussetzung der Selbst- und Paarverwirklichung wird. Außerdem lässt sich generell eine steigende Vermarktlichung der eigenen Arbeitskraft (Lohr/Nickel 2005b) und der ganzen Person feststellen, werden doch den Einzelnen – mit der Figur des Arbeitskraftunternehmers oder des unternehmerischen Selbst – zunehmend umfassende Selbst-Ökonomisierung, Selbst-Rationalisierung und Selbst-Kontrolle abgefordert. Die letztgenannten Phänomene werden in der Literatur oft als Entgrenzung von Arbeit und Leben beschrieben. Die positive Lesart dieses Phänomens betont die Selbstverwirklichungspotenziale subjektivierter Arbeit, während eine andere den subjektiven und gesellschaftlichen Bedeutungsgewinn von Erwerbsarbeit eher kritisch betrachtet. So sieht Jürgen Habermas (1981) früh eine »Kolonialisierung der Lebenswelt« durch Systemimperative; ähnlich beschreibt dies auch Eva Illouz (2007), die von einer Ökonomisierung der Gefühle spricht. Arlie Hochschild (1997) macht gar eine Umkehr der Logiken von Erwerbsarbeit und Liebe aus.

In dem vorliegenden Buch wird diese Entgrenzungsdiskussion in Honneth’scher Begrifflichkeit erhellt. Der Blick richtet sich hierbei auf die idealtypischen Logiken der jeweiligen Sphären . Die Fragen lauten: Wie zeigt sich das Verhältnis der idealtypischen Anerkennungsformen Liebe und Leistung empirisch im Leben der Paare? Wie kann Liebe in die Leistungssphäre und Leistung in die Liebessphäre hineinspielen? Welche Rolle haben hierbei strukturelle Rahmenbedingungen auf arbeitsorganisationaler und sozialstaatlicher Ebene und welche Ungleichheiten konstituieren sie womöglich? Wie ließe sich schließlich das Verhältnis von Liebe und Leistung angesichts der aufgezeigten Veränderungen aus einer normativen Anerkennungsperspektive theoretisch fassen?

Das Buch rückt Doppelkarriere-Paare ins Zentrum,2 weil diese ein besonders hohes Egalitätspotenzial aufweisen und weil sie auch hinsichtlich einer Entgrenzung von Arbeit und Leben möglicherweise Vorreiter sind.

Theoretische und methodologische Annahmen

Der theoretische Ausgangspunkt des Buches ist, wie erwähnt, Axel Honneths Anerkennungstheorie samt seiner Annahme der notwendigen und vorgängigen intersubjektiven Konstituiertheit des Subjekts, also einer sozialen conditio humana. Honneths sozialphilosophisch-abstrakte Theorie soll jedoch um einen subjektzentrierten, verstehenden Blick auf die gesellschaftliche Ordnung erweitert werden, der die handelnden, Anerkennung oder Missachtung erfahrenden Subjekte in ihrer Eingebundenheit in institutionelle, strukturelle und auch kulturelle gesellschaftliche Verhältnisse in den Mittelpunkt rückt. Weiterer Ausgangspunkt ist damit die in der Tradition der verstehenden Soziologie (Weber 1972) und des Symbolischen Interaktionismus stehende Annahme sinnhaft handelnder Individuen, die subjektiven Sinn erst in sozialen Interaktionen schaffen und wechselseitig bestätigen. Geteilt werden weiter die Annahmen eines wissenssoziologisch-hermeneutischen Ansatzes, der von mit Wissen ausgestatteten, sinnkonstituierenden und sinnverarbeitenden Handelnden ausgeht (Berger/Luckmann 1969; Hitzler/Reichertz/Schröer 1999; Soeffner 2000).

Im Rahmen einer solchen verstehenden Perspektive wird in vorliegendem Buch die Paarbeziehung zu einer zentralen und eigenständigen Analyseeinheit. Im Mittelpunkt stehen damit die sinnhafte Aufeinanderbezogenheit der PartnerInnen sowie die individuelle und paarspezifische Verflochtenheit der unterschiedlichen Lebensbereiche. Ein solcher relationaler Ansatz rückt damit die Paarebene analytisch ins Zentrum (vgl. Wimbauer 2003; Schneider u.a. 2004); zudem geht er von der Prägung der interaktiven Konstruktion der Paarbeziehung als Realität sui generis auch von individuellen Faktoren und von kulturellen, strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen aus.

Schließlich nimmt das Buch eine ungleichheitssoziologische sowie eine Geschlechterperspektive ein. Geschlecht wird als Strukturkategorie und das Geschlechterverhältnis als sozialer Strukturzusammenhang gefasst.

Entsprechend dieser theoretischen und methodologischen Grundlagen setzt das Buch an den sinnhaft handelnden Individuen-in-Paarbeziehungen an. Es zielt auf die Rekonstruktion der subjektiven Sinnsetzungen der Befragten sowie der strukturellen Bedingungen des Handelns der Individuenin-Beziehungen. Hierzu wurden zehn Paarinterviews und 20 Einzelinterviews durchgeführt.

Damit sind zugleich die Grenzen und Ziele des Buches bezeichnet: Das übergreifende Ziel besteht darin, aus der Rekonstruktion der individuellen und paarbezogenen Deutungen und Handlungen der untersuchten Paare einen Beitrag zu einer empirisch fundierten theoretischen Konzeptionalisierung der »institutionalisierten Anerkennungsordnung« und ihrer geschlechtsgebundenen Ungleichheiten in der gegenwärtigen (deutschen) Gesellschaft zu leisten. Anerkennung, so lautet das ungleichheitssoziologische Fazit, ist eine zentrale Dimension und Determinante sozialer Ungleichheit, weshalb ihr größere Aufmerksamkeit in der Ungleichheitssoziologie zukommen sollte.

Aufbau des Buches

Teil II des Buches legt die theoretischen Grundlagen und den Forschungsstand dar: es beschäftigt sich mit Axel Honneths Anerkennungstheorie und ihrem Zusammenhang mit dem Geschlechterverhältnis. Es folgen Ausführungen zu Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sowie Erklärungsansätze hierfür. Kapitel II.2 zeichnet die Ausgestaltung der gegenwärtigen institutionalisierten Anerkennungsordnung und deren Wandel nach: Es beginnt mit dem familiensoziologischen Diskurs über (die Semantik von) Liebe, deren Wandel und den Wandel von Paarbeziehungen. Es folgt eine Beschäftigung mit der arbeits- und industriesoziologischen Debatte über den Wandel von Erwerbsarbeit sowie mit Veränderungen des deutschen Sozialstaates vom fürsorgenden hin zum aktivierenden Sozialstaat und vom Ernährerzum adult worker-Modell. Kapitel II.3 zieht ein Fazit und konkretisiert hieraus nochmals die Fragestellung.

Der empirische Teil III beschreibt zunächst die methodologischen Grundlagen und das methodische Vorgehen. Kapitel III.2 präsentiert fallübergreifende Ergebnisse, die darin bestehen, dass in allen Paaren Berufstätigkeit eine hohe Bedeutung für beide PartnerInnen und die Paarbeziehung aufweist und alle Paare an Egalität orientiert sind. Dennoch finden sich Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Danach werden die Falldarstellungen von sechs fiktiven Paaren präsentiert. Am Ende steht ein empirisches Fazit (III.4).

In Kapitel IV werden die Ergebnisse synthetisiert und aus einer theoretischen Perspektive betrachtet. Hierzu werden in Kapitel IV.1, dem ersten theoretischen Kernstück des Buches, drei »Tücken« der Anerkennung herausgearbeitet: Erstens eine generelle Risikostruktur von intersubjektiver Anerkennung in Form von Liebe und für Leistung. Zweitens geschlechterdifferente Hürden für die Erzielung von Anerkennung in der beruflichen und in der familiären Sphäre, die strukturell – durch arbeitsorganisationale und sozialstaatliche Regelungen – oder intersubjektiv, also durch den Partner, bedingt sein können. Die dritte »Tücke« der Anerkennung stellt die »immanente Falle« der Anerkennung qua subjektivierter Arbeit und beruflichen Leistungsstrebens dar. Sie besteht auf der einen Seite in der Liebessuche ausschließlich in der Organisation oder, auf der anderen Seite, in einem Leistungsstreben, das sich auf die Paarbeziehung ausdehnt und dort die idealtypische Liebesanerkennung substituiert. In Kapitel IV.2 wird eine ungleichheitssoziologische Betrachtung dieser »Tücken« der Anerkennung angestellt und die Ungleichheitsrelevanz von Anerkennung herausgearbeitet. Hierauf aufbauend wird schließlich ein potenziell doppeltes »Ideologiepotenzial« subjektivierter Arbeit und beruflichen Leistungsstrebens angedeutet. Zentrale Mechanismen hierbei sind zum einen die Hürden für berufliche Anerkennung und zum anderen die »Anerkennungsfalle« beruflichen Leistungsstrebens.

Kapitel IV.3 stellt einige Gedankenexperimente zur Zukunft des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und Liebe an und zeigt hierbei mögliche gesellschaftliche Implikationen auf. Zuletzt werden einige Ansatzpunkte thematisiert, anhand derer die aufgezeigten Ungleichheiten (zwischen den Geschlechtern) verringert werden könnten.

Kapitel V blickt zurück wie nach vorne: Es resümiert zentrale Ergebnisse und den Erkenntnisgewinn der Arbeit (Kapitel V.1) sowie ihre Grenzen und offene Fragen (Kapitel V.2).

Kapitel IIAnerkennung – Geschlecht – Ungleichheit

Teil II beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen des Buches und referiert, soweit für die Fragestellung relevant, den Forschungsstand. Kapitel II.1 setzt sich mit Honneths Anerkennungstheorie und einigen Leerstellen, vor allem der Vernachlässigung von Geschlecht und Ungleichheit, auseinander und formuliert einen ersten Fragenkomplex der Untersuchung. Kapitel II.2 widmet sich der (Semantik von) Liebe (2.1), (dem Wandel von) Erwerbsarbeit (2.2) und dem sozialstaatlichen Wandel (2.3). Kapitel II.3 zieht ein Fazit, legt das verwendete Verständnis von Anerkennung dar und ergänzt zuletzt den ersten Fragenkomplex um einen zweiten.

1. Theoretische Grundlagen

Das Phänomen »Anerkennung« steht in langer philosophischer, sozialtheoretischer und sozialpsychologischer Tradition. Seit einigen Jahren stößt es in der politischen und Sozialphilosophie auf vermehrte Resonanz.3 Bereits in Hegels (1986) Frühwerk kommt dem Kampf um Anerkennung der Identität zentrale Stellung zu, wie auch bei Mead (1973) wechselseitige Anerkennung für die Identitätsentwicklung entscheidend ist. Jessica Benjamin (1988, 1996, 1998) rückt Anerkennung aus einer psychoanalytischen Perspektive in den Mittelpunkt. Im deutschsprachigen Raum war es Axel Honneth (1992), der den Anerkennungsbegriff zur zentralen Kategorie seiner Sozialphilosophie erhob; seitdem wird Anerkennung auch in den Sozialwissenschaften und der Soziologie zunehmend thematisiert.4 Im Folgenden werden zentrale Annahmen von Honneths Anerkennungstheorie dargestellt und diskutiert.

1.1 Axel Honneths Anerkennungstheorie

1.1.1 Honneths Stufenmodell von Liebe, Recht und Wertschätzung

Axel Honneths Ziel ist es, eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie zu entwickeln, wobei er auf Hegels Modell des »Kampfes um Anerkennung« sowie auf Meads intersubjektivistisches Personenkonzept zurückgreift. Honneth fasst die gesellschaftliche Entwicklung als Stufenfolge von sozialen Kämpfen um Anerkennung, die durch jeweilige Missachtungserfahrungen ausgelöst werden. Ausgehend von dem Grundsatz, die »Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens vollzieh(e) sich unter dem Imperativ einer reziproken Anerkennung« (Honneth 1992: 148), unterscheidet er zwischen drei Formen reziproker Anerkennung mit je unterschiedlichen Stufen der praktischen Selbstbeziehungen der Menschen sowie entsprechender Formen der Missachtung. Diese drei Anerkennungsformen sind Liebe bzw. Primärbeziehungen, Recht und soziale Wertschätzung in Form von Solidarität (Honneth 1992) bzw. für Leistung (Honneth 2003a). Erst alle drei Anerkennungsformen zusammen schaffen die sozialen Bedingungen, unter denen

»menschliche Subjekte zu einer positiven Einstellung gegenüber sich selber gelangen können; denn nur dank des kumulativen Erwerbs von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung, wie ihn nacheinander die Erfahrung von jenen drei Formen der Anerkennung garantiert, vermag eine Person sich uneingeschränkt als ein sowohl autonomes wie auch individuiertes Wesen zu begreifen und mit ihren Zielen und Wünschen zu identifizieren« (Honneth 1992: 271).

Honneth entwirft ein sittliches Modell, das auf das Gute (Ethik) zielt – er spricht von »einem formalen Konzept des guten Lebens oder eben: von Sittlichkeit« (Honneth 1992: 275). Dies muss alle intersubjektiven Voraussetzungen enthalten, damit die Subjekte sich in den Bedingungen ihrer Selbstverwirklichung geschützt und als autonome und individuierte Subjekte geachtet wissen können. Auf der Grundlage eines identitätstheoretischen Konzepts entwirft Honneth also eine genuine Theorie der Anerkennung. Dabei verficht er einen »›normativen Monismus‹ der Anerkennung« (Fraser/ Honneth 2003: 9), denn für ihn stellt die Kategorie Anerkennung den fundamentalen, übergreifenden Moralbegriff dar, unter den sich alle anderen Dimensionen – auch die der Umverteilung materieller Güter – subsumieren lassen. Anerkennung besitzt prioritären Stellenwert, da nur gelungene intersubjektive Anerkennungsverhältnisse eine ungestörte Identitätsbildung und ein sittliches Leben ermöglichen. Die soziale conditio humana und die sich hieraus ergebende Anerkennungsvorgängigkeit sind also die grundlegenden Annahmen der gesamten Theorie. Allerdings verfolgt Honneth kein statisches Modell einer anthropologischen Persönlichkeitstheorie mit einem ein für alle Mal gegebenen praktischen Selbstverhältnis, sondern ein historisches: Die spezifische Angewiesenheit auf intersubjektive Anerkennung sei stets durch die Art geprägt, in der in einer Gesellschaft die wechselseitige Gewährung von Anerkennung institutionalisiert ist.

Anerkennung besitzt nach Honneth immer einen positiven Charakter, weil sie die intersubjektive Voraussetzung darstellt, autonom eigene Lebensziele zu verwirklichen (Honneth 2004: 56). Für einen solchermaßen positiven Anerkennungsbegriff bestimmt er vier Prämissen (Honneth 2004: 55): Erstens »soll darunter zunächst die Afrmierung von positiven Eigenschaften menschlicher Subjekte oder Gruppen verstanden werden«. Zweitens hebt er den Handlungscharakter hervor, denn »Anerkennung kann sich nicht in bloßen Worten oder symbolischen Äußerungen erschöpfen«; vielmehr soll – jedenfalls bei intersubjektiven Beziehungen – von einer »handlungswirksamen Einstellung gesprochen werden«. Drittens stellen Akte der Anerkennung ein distinktes Phänomen dar, das »nicht als Nebenprodukt einer andersgerichteten Handlung zu verstehen ist, sondern sich als Ausdruck einer eigenständigen Absicht begreifen lassen muss«; ihr primärer Zweck muss sich auf die Afrmation der Existenz der anderen Person richten. Viertens fasst Honneth (2004: 56) Anerkennung als Gattungsbegriff mit verschiedenen Unterarten – Liebe, Recht und Wertschätzung.

Honneth (2011): Das Recht der Freiheit

Auch Honneths jüngster Entwurf einer Theorie der Gerechtigkeit, Das Recht der Freiheit (2011), argumentiert grundlegend anerkennungstheoretisch. Fluchtpunkt ist eine an Hegel angelehnte Konzeption sozialer Freiheit, die in einer »Vorstellung sozialer Institutionen begründet (ist), die die Subjekte sich derart aufeinander beziehen läßt, daß sie ihr Gegenüber als Anderen ihrer Selbst begreifen können« (Honneth 2011: 85). Bereits bei Hegel sei die »Kategorie wechselseitiger Anerkennung ein Schlüssel für die Vorstellung von Freiheit« (Honneth 2011: 85). Honneth konzipiert wie Hegel nun Freiheit als »ein institutionell gebundenes Anerkennungsverhältnis« (Honneth 2011: 88). Den normativen Fluchtpunkt seiner Theorie sozialer Gerechtigkeit stellt der Wert der individuellen Freiheit dar (Honneth 2011: 122), welcher in den verschiedenen Handlungssphären unterschiedliche Ausprägungen angenommen habe. Honneth unternimmt in seinem Werk eine »›normative(n) Rekonstruktion‹« der historischen Entwicklung dieser Sphären im typisierenden Nachvollzug, »um zu prüfen, bis zu welchem Grade die hier jeweils institutionalisierten Freiheitsverständnisse inzwischen bereits zur sozialen Verwirklichung gelangt sind« (Honneth 2011: 10). Er unterscheidet dann zunächst mit der rechtlichen, moralischen und sozialen Freiheit drei zentrale Freiheitskonzeptionen.

Die rechtliche oder negative Freiheit im Sinne der rechtlich garantierten Privatautonomie und der kollektiven Autonomie demokratischer, zivilgesellschaftlicher Kooperationen (Honneth 2011: 129–172) sichert nach Honneth allein die individuelle Freiheit als persönliche Autonomie im Sinne einer rein privaten, monologischen Schutzsphäre (Honneth 2011: 152). Jedoch kann sie die »für eine Praxis der ethischen Deliberation oder Lebensgestaltung […] erforderlichen Voraussetzungen an intersubjektiven Einstellungen und Umgangsweisen gar nicht bereitstellen« (Honneth 2011: 155). Freiheit werde in dieser Sphäre institutionell ermöglicht, aber nicht institutionell verwirklicht.

Die moralische oder reflexive Freiheit besteht in einer »ausschließlich an moralischen Prinzipien orientierten Ich-Identität« (Honneth 2011: 173), deren Leitlinie die verallgemeinerungsfähige Moralbegründung (Honneth 2011: 191) darstelle. Anders als die rechtliche Freiheit habe die moralische Freiheit eine nur »schwach institutionalisierte Form eines kulturellen Orientierungsmusters angenommen« (Honneth 2011: 174). Auch diese Freiheit werde institutionell ermöglicht, aber nicht institutionell verwirklicht.

Zentral ist schließlich die dritte, die soziale Freiheit, die erst intersubjektiv konstituiert werde, indem die Handlungsvollzüge der Subjekte jeweils als die »Erfüllungsbedingung der Handlungsziele des Gegenübers« (Honneth 2011: 223) begriffen werden. Als zentral für die Verwirklichung der sozialen Freiheit benennt Honneth drei Sphären: Erstens diejenige der persönlichen Beziehungen, zweitens den ökonomischen Markt und drittens die politische Öffentlichkeit,

Honneth nimmt in Das Recht der Freiheit folgende Veränderungen an seiner Theorie vor: Der ursprünglichen Trias der Anerkennungssphären Liebe, Recht und Leistung wird eine Trias von Freiheitskonzepten – rechtliche Freiheit, moralische Freiheit und soziale Freiheit – vorangestellt. Erst in der Konzeption sozialer Freiheit komme die Intersubjektivität zum Ausdruck, und diese soziale Freiheit wird nun in die intersubjektiven Anerkennungssphären »persönliche Beziehungen«, »Marktbeziehungen« und »politische Öffentlichkeit« (Rechtsstaat) differenziert.

Für das vorliegende Buch soll jedoch weiterhin die alte Unterscheidung von Liebe, Recht und Leistung orientierend bleiben, insbesondere, weil die rechtliche Anerkennungssphäre im Sinne der sozialstaatlich institutionalisierten Anerkennungsordnung (Recht II) bedeutsam ist. Insofern wird nachfolgend zunächst die ursprüngliche Charakterisierung der drei Anerkennungsformen dargelegt. Jeweils am Ende folgen dann Bezüge auf Honneths jüngste Konzeption mit der Frage, inwiefern sie mit Blick auf die Sphäre persönlicher Beziehungen und des ökonomischen Marktes Neuerungen oder Ergänzungen beinhalten.

1. Die idealtypische Anerkennungsform der Liebe

Liebe wird historisch zu einer autonomen Anerkennungssphäre durch die Herausbildung von Kindheit als einer eigenständigen Lebensphase und durch die Ausbreitung der bürgerlichen Liebesheirat (Honneth 2003a: 164). Damit wird eine spezifische Sozialbeziehung begründet, die sich durch wechselseitige Zuneigung und Fürsorge auszeichnet und die um die individuelle Bedürfnislage der Partner – nicht nur der Ehepartner, sondern auch der von Eltern und Kindern – zentriert ist. Anerkannt wird hier der Einzelne als ein Individuum mit Wünschen und Bedürfnissen, die für den anderen von einzigartigem Wert sind. Zentral sind affektive Zuwendung und die konditionale, emotionsgebundene Sorge um das Wohlergehen des anderen um seiner selbst willen (Honneth 1992: 153–174, 2000a,b). Die Anerkennung besteht in der affektiven Zuwendung zu und emotionalen Bindung an einen konkreten Anderen und dessen Bedürfnisnatur. Der praktische Selbstbezug äußert sich hier in Selbstvertrauen. Liebe ist, so Honneth, »die elementarste Form der Anerkennung« (Honneth 1992: 259) und damit die grundlegende Voraussetzung für die Entfaltung personaler Autonomie und Individualität. Mit Hegel stellt für Honneth

»Liebe deswegen die erste Stufe der reziproken Anerkennung dar, weil sich in ihrem Vollzug die Subjekte wechselseitig in ihrer konkreten Bedürfnisnatur bestätigen und damit als bedürftige Wesen anerkennen: in der reziproken Erfahrung liebevoller Zuwendung wissen beide Subjekte sich darin einig, daß sie in ihrer Bedürftigkeit vom jeweils anderen abhängig sind« (Honneth 1992: 153).

Unter Rückgriff auf die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie verweist Honneth auf die »prekäre Balance zwischen Selbständigkeit und Bindung« in affektiven Primärbeziehungen, auf die »Spannung zwischen symbiotischer Selbstpreisgabe und individueller Selbstbehauptung« (Honneth 1992: 154). Eine gelungene affektive Bindung an andere Personen ist also nur im Fall einer »intersubjektiven Balance zwischen Verschmelzung und Ichabgrenzung« (Honneth 1992: 259) gegeben. Die grundlegende Logik der Anerkennungsform Liebe ist damit die reziproke Anerkennung des anderen als einzigartiges Subjekt in seinem spezifischen So-Sein und das wechselseitige Zugeständnis von Individuierungs- und Autonomiechancen.

Liebe im Sinn emotionaler Zuwendung bezieht sich nicht nur auf romantische Liebesbeziehungen zwischen (Ehe-)Partnern, sondern auf alle Primärbeziehungen, soweit sie aus starken Gefühlsbindungen zwischen wenigen Personen bestehen (Honneth 1992: 153). Der moralische Geltungsbereich erstreckt sich hier auf Subjekte mit wechselseitiger affektiver Bindung (Honneth 2000a,b). Als Missachtungserfahrungen bestimmt Honneth körperliche Misshandlung und Vergewaltigung.

In Honneths jüngstem Werk wird die ursprüngliche »Liebessphäre« zur Sphäre persönlicher Beziehungen, in der die individuellen Bedürfnisse und Eigenschaften der Einzelnen im Mittelpunkt stehen und in der der andere die »Chance und Bedingung« der »Selbstverwirklichung« (Honneth 2011: 234) von Ego darstelle. Sie wird nun differenziert in Freundschaften, Intimbeziehungen und Familien (Honneth 2011: 233–317). In gegenwärtigen Freundschaften sei die »wechselseitige Offenlegung von Gefühlen, Einstellungen und Absichten« zentral, »die ohne den jeweils anderen kein Gehör fänden« (Honneth 2011: 248). Intimbeziehungen erforderten die Aufmerksamkeit für die konstitutiven Vorlieben und Interessen und die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung des anderen; zentral sei die körperliche Vereinigung, in der sich die soziale Freiheit vollziehe (Honneth 2011: 261– 266). Familien schließlich sieht Honneth angesichts des gesellschaftlichen Wandels als Ort, in dem erst heute das angelegte Freiheitsversprechen zu sozialer Erfüllung komme (Honneth 2011: 302) – nämlich das Gleichheitsideal, nach dem alle Familienmitglieder – nun auch die Kinder – gemäß ihrer höchstpersönlichen Besonderheit und Bedürftigkeit entsprechend Fürsorge und Anteilnahme erhalten (Honneth 2011: 295).

Erste Diskussion der Honneth’schen Charakterisierung von Liebe

Das vorliegende Buch schließt an Honneth an, indem es ebenfalls Liebe – als Idealtypus reziproker Anerkennung des anderen in seiner Bedürfnisnatur – als grundlegendste Anerkennungsform fasst. Diskussionswürdig sind jedoch zwei Aspekte: die teils inhaltliche Unbestimmtheit dieser Anerkennungsform und das ihr zugeschriebene Entwicklungspotenzial.

Erstens äußert sich Honneth (1992) inhaltlich kaum zu Liebe in Form der hier interessierenden Liebe in Paarbeziehungen, sondern beschäftigt sich – unter Rückgriff auf frühkindliche Sozialisationsforschung, insbesondere die Bindungstheorie Winnicotts, und auf die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie – nur mit Eltern-Kind-Liebe. Liebe im hier interessierenden Sinn bestimmt er nur als emotionale und affektive Zuwendung zu einem konkreten Anderen. Welche Inhalte diese konkret hat, bleibt offen. Später richtet Honneth (2003a) zwar den Blick nicht mehr nur auf Eltern-Kind-Beziehungen, sondern auch auf Paarbeziehungen; diese bleiben jedoch abstrakt: Weder Beziehungsnormen und deren Wandel noch bestehende Ungleichheiten in Paarbeziehungen werden systematisch ausbuchstabiert. In seinem jüngsten Werk gibt Honneth (2011) schließlich Paarbeziehungen eine eigenständige Bedeutung und macht mit dem Gleichheitsideal und der Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung des anderen zwei wichtige Beziehungsleitilinien gegenwärtiger Paarbeziehungen aus. Insbesondere das Ideal einer partnerschaftlichen Gleichheit der (Ehe-)Partner sei heute »alternativlos«, wenngleich immer noch mit einem Aufleben alter Rollenfixierungen zu rechnen sein müsse (Honneth 2011: 295) – doch diese Ungleichheiten werden nicht weiter erhellt.

Zweitens spricht Honneth – zumindest 1992 – der Liebe ihren moralischen Gehalt ab. Seines Erachtens enthalten die drei Anerkennungssphären nicht die gleiche Art von moralischer Spannung, die überhaupt gesellschaftliche Konflikte in Gang setzen kann, denn ein Kampf sei nur in dem Maße sozial, wie er über individuelle Absichten hinaus verallgemeinert werden könne. Liebe ist nach Honneth (1992) zwar das grundlegendste Anerkennungsmedium, aber kein öffentliches Phänomen, sondern sozusagen eine Privatangelegenheit. Er konstatiert,

»daß die Liebe als elementarste Form der Anerkennung keine moralischen Erfahrungen enthält, die aus sich heraus zu sozialen Konfliktbildungen führen können: zwar ist in jedes Liebesverhältnis eine existenzielle Dimension des Kampfes insofern eingelassen, als die intersubjektive Balance zwischen Verschmelzung und Ichabgrenzung nur auf dem Weg einer Überwindung wechselseitiger Widerstände aufrechtzuerhalten ist; die damit verknüpften Ziele und Wünsche aber lassen sich nicht über den Kreis der Primärbeziehung hinaus so verallgemeinern, daß sie jemals zu öffentlichen Belangen werden könnten« (Honneth 1992: 259–260).

Liebe sei normativ unveränderlich, während Recht und Solidarität historisch variabel seien und sich zu größerer Egalität hin wandelten. Doch auch die Inhalte von Liebe sind historisch variabel (vgl. etwa Luhmann 1982; Tyrell 1987; Wimbauer 2003), auch diese wandeln sich – durchaus mit entsprechendem Konfliktpotenzial – hin zu egalitäreren Vorstellungen (etwa Giddens 1991, 1992; Leupold 1983; Lenz 1998, 2009; Burkart 1998; siehe Kapitel II.2.1). Später – womöglich in Reaktion auf feministische Kritik – revidiert Honneth (1995, 2003a, 2011) seine Konzeption von Liebe als ahistorisch und amoralisch und fasst sie nun doch als entwicklungsfähig; konkret zielt auch hier – wie bei den beiden anderen Anerkennungsformen – die Entwicklung auf die Durchsetzung oder Anvisierung von mehr Egalität, besonders mit Blick auf die ungleiche Verteilung von Hausarbeit in Paarbeziehungen (vgl. Kapitel II.1.2.2). Das Potenzial für normative Fortentwicklung, das Honneth dieser Sozialbeziehung nun zugesteht, besteht darin, dass unter Berufung auf Liebe innerhalb von Intimbeziehungen neue Bedürfnisse entwickelt oder bislang unberücksichtigte Bedürfnisse vorgebracht werden, um eine veränderte Art von Zuwendung einzuklagen. Fortschrittskriterium sind der Abbau von Rollenklischees und Stereotypen sowie Geschlechteregalität. Doch Honneth (2011) thematisiert auch in seiner normativen Rekonstruktion Abweichungen vom Egalitätsprinzip in Paarbeziehungen nicht.

Zudem ist die Fassung des familiären Binnengeschehens als Privatangelegenheit problematisch. Einer solchen Entpolitisierung des Privaten lässt sich entgegensetzen, dass eben auch das Private politisch ist (etwa Okin 1989; für einen Überblick Rössler 2001, 2004). Gabriele Wagner kritisiert zudem, dass Honneth Liebe als Realtypus mit normativ orientierender Kraft fasse und sie »auf einen Ort partikularistischer ›schöner Erfahrungen‹ reduzier(e)«, sie durch diese Privatisierung und Ausblendung gesellschaftlicher Strukturierungen entgesellschaftliche und enthistorisiere und ihr so »den Stachel der Kritik« (Wagner 2004: 95) ziehe. Stattdessen fasst Wagner Liebe als Idealtypus symmetrischer Anerkennung. Auch Gabriele Neuhäuser (1994) kritisiert aus feministischer Perspektive Honneths Konzept. Nach Honneth seien zwar alle drei Anerkennungsformen nötig und müssten für eine gelungene Selbstverwirklichung parallel aktualisiert werden, doch werden sie qualitativ und quantitativ unterschiedlich gefasst: Liebe bzw. Familien setze Honneth, wie auch Hegel, als die

»Sozialformen mit der anspruchslosesten Anerkennungsstruktur […] als Lebensverhältnisse, in denen sich die Interaktion der Mitglieder auf bloß affektive Bestätigung – noch dazu unausgereifte – und die grundlegende Befriedigung körperlicher und seelischer Bedürfnisse beschränkt« (Neuhäuser 1994: 46–47).

Damit finde eine doppelte Reduktion der Familie auf einen Ort harmonischer, quasi naturwüchsiger und partikularer Anerkennungsverhältnisse statt, die »das Beziehungsgeflecht von Familien« (Neuhäuser 1994: 47) nicht ausreichend berücksichtige. Liebe, so Neuhäuser,

»ist aber kein bloß gefühlsbestimmtes Agieren im luftleeren Raum, sie ist immer in eine Liebesbeziehung eingebettet, durch die lebensgeschichtliche und alltagspraktische Dimensionen ins Spiel kommen und mit ihnen öffentliche und kognitive Formen der Anerkennung« (Neuhäuser 1994: 47).

Zudem finde gegenwärtig ein dramatischer Strukturwandel der Familie statt. Neuhäusers These lautet, dass Liebes-, Freundschafts- und Familienbeziehungen nicht die anspruchsloseste, sondern die anspruchsvollste Anerkennungsstruktur aufweisen (Neuhäuser 1994: 48). Weil innerhalb der Familie alle drei Anerkennungsformen gleichzeitig aktualisiert werden müssen, sei hier die erforderliche Kompetenz am höchsten. Hier seien auch die intersubjektiven Ansprüche am größten, denn gerade nur der konkrete Andere könne die höchste Individualität von Ego anerkennen (vgl. auch Luhmann 1984). Auch nach hier vertretener Ansicht sind in der Familie alle drei Anerkennungsformen zugleich relevant und müssen parallel aktualisiert werden.

2. Die idealtypische Anerkennungsform Recht

Rechtliche Anerkennung folgt, anders als Liebe, einem universalistischen Begründungsprinzip: der generalisierten, kognitiven Achtung aller Personen als autonome und moralisch zurechenbare Rechtspersonen, die dem gleichen Gesetz gehorchen und über Normen vernünftig zu entscheiden vermögen (Honneth 1992: 174–195, 2003a). Es handelt sich hier um die reziproke Anerkennung der moralischen Zurechnungsfähigkeit der Subjekte, die sich auf moderne Rechtsverhältnisse bezieht und in deren Zentrum die individuelle Freiheit und Gleichheit aller Personen steht. Rechtliche Anerkennung bezieht sich damit auf den rechtlich abgesicherten Status als Gesellschaftsmitglied, als Rechtsperson mit gleichen Ansprüchen. Honneth (1992) unterscheidet – in Anlehnung an Georg Jellinek, Robert Alexy und T. H. Marshall – drei Gruppen von Rechten, die sukzessive Geltung erlangten: liberale Freiheitsrechte ( status negativus ), politische Teilnahmerechte ( status positivus ) und soziale Wohlfahrtsrechte ( status activus ).

Die moralische Verpflichtung in der Rechtssphäre ist keine partikularistische (wie bei der Liebe), sondern sie gilt für alle Subjekte gleichermaßen (Honneth 2000a). Der Selbstbezug besteht in Selbstachtung, die Missachtungserfahrung in Entrechtung und Ausschließung. Das Entwicklungspotenzial wird wie folgt gekennzeichnet: Unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz fordern bisher ausgeschlossene Gruppen rechtliche Anerkennung, oder es werden Differenzierungen von Rechtsgrundsätzen gefordert (Honneth 2003a). Fortschrittskriterium ist Egalität und Universalisierung.

Neuerungen nimmt Honneth in seinem jüngsten Werk dahingehend vor, dass er die Sphäre der rechtlichen Freiheit den drei Sphären der sozialen Freiheit vorlagert und als nicht mehr zweite, sondern dritte Sphäre der sozialen Freiheit diejenige der politischen Öffentlichkeit fasst, in der »die individuellen Absichten der Selbstbestimmung soziale Gestalt annehmen und intersubjektiv zur Verwirklichung kommen« (Honneth 2011: 232–233). In der politischen Sphäre komme, so Honneth, die soziale Freiheit erst vollends zur Verwirklichung und auch die beiden anderen Sphären kommen in der politischen Sphäre erst zur Realisierung, denn auch diese Sphären unterliegen dem Rechtsstaat (Honneth 2011: 471–472). So zeichnet Honneth hier die Entwicklung des modernen Rechtsstaates nach, stellt die herausragende Bedeutung staatsbürgerlicher Solidarität, zivilen Engagements und einer diskursiven Willensbildung und -artikulation für die Verwirklichung sozialer Freiheit heraus und fragt zuletzt nach dem gegenwärtigen Zustand der sozialen Freiheit in der demokratischen Öffentlichkeit. Diese sei, so Honneth, gegenwärtig nicht realisiert.

3. Die idealtypische Anerkennungsform der sozialen Wertschätzung: Solidarität (Honneth 1992) bzw. Leistung (Honneth 2003a)

In Der Kampf um Anerkennung von 1992 charakterisiert Honneth die dritte Anerkennungsform als Solidarität, die sich durch die Anerkennungsweise der sozialen Wertschätzung auszeichne, durch den positiven Bezug auf besondere, konkrete Eigenschaften und Fähigkeiten der Einzelnen, die sie in ihren persönlichen Unterschieden charakterisieren. Hierzu sei ein geteilter Werthorizont nötig; was sozial wertgeschätzt wird, sei historisch variabel und kulturell bestimmt:

»Das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft gibt die Kriterien vor, an denen sich die soziale Wertschätzung von Personen orientiert, weil deren Fähigkeiten und Leistungen intersubjektiv danach beurteilt werden, in welchem Maße sie an der Umsetzung der kulturell definierten Werte mitwirken können; insofern ist diese Form der wechselseitigen Anerkennung auch an die Voraussetzung eines sozialen Lebenszusammenhanges gebunden, dessen Mitglieder durch die Orientierung an gemeinsamen Zielvorstellungen eine Wertgemeinschaft bilden« (Honneth 1992: 198).

Welche Werte dies konkret sind, bestimmt Honneth nicht, sondern konstatiert nur: Wenn soziale Wertschätzung durch die jeweiligen ethischen Zielvorstellungen einer Gesellschaft begründet sind, ist sie geschichtlich und kulturell variabel – ihre »gesellschaftliche Reichweite und das Maß ihrer Symmetrie hängen dann vom Grad der Pluralisierung des sozial definierten Werthorizonts ebenso ab wie vom Charakter der darin ausgezeichneten Persönlichkeitsideale« (Honneth 1992: 198). Im Zuge von Modernisierung und Individualisierung lässt sich gesellschaftliche Anerkennung nur noch für jene Form der Selbstverwirklichung erzielen, mit der der Einzelne »zur praktischen Umsetzung der abstrakt definierten Ziele der Gesellschaft in einem bestimmten Maße beiträgt« (Honneth 1992: 204). Unter Bedingungen gesellschaftlicher Modernisierung sei es ein »klassen- und geschlechtsspezifisch bestimmter Wertpluralismus, der den kulturellen Orientierungsrahmen bildet, in dem sich das Maß der Leistung des einzelnen und damit sein sozialer Wert bestimmt« (Honneth 1992: 203).

Dies führe zu einem kulturellen Dauerkonflikt und einem permanenten symbolischen Kampf, denn es bedürfe immer einer »sekundären Deutungspraxis« (Honneth 1992: 205) der Werte. Welche Deutungspraxis sich durchsetzt, ist Ergebnis symbolischer Kämpfe und abhängig davon, welche soziale Gruppe ihre »eigenen Leistungen und Lebensformen öffentlich als besonders wertvoll auszulegen« (Honneth 1992: 205) vermag (vgl. auch Bourdieu 1982). Entscheidend seien hierbei die »gruppenspezifische Verfügungsmacht über Mittel symbolischer Gewalt« (Honneth 1992: 206) und das Ausmaß öffentlicher Aufmerksamkeit; beide Aspekte sind indirekt an Verteilungsmuster der Geldeinkommen gekoppelt, weshalb auch ökonomische Auseinandersetzungen zu dieser Form des Kampfes um Anerkennung gehören (Honneth 1992: 206). Insgesamt führt dies zu asymmetrischen Beziehungen, denn das soziale Ansehen ist an individuelle Leistungen gebunden (Honneth 1992: 207).

Von der Solidarität zur Leistung

Später fasst Honneth (2003a) soziale Wertschätzung neu, nämlich als individuelle Leistung innerhalb des Systems der industriell organisierten Arbeitsteilung. Die Herausbildung des Leistungsprinzips als Maßstab für soziale Wertschätzung beschreibt er als historische Entwicklung, in deren Zuge das ständische Ehrprinzip an Bedeutung verlor und es zu einer Meritokratisierung der Arbeitsbürger kam, die in beruflicher Konkurrenz zueinander stehen. Die Subjekte werden aufgefasst als Träger von Fähigkeiten, denen gesellschaftlicher Wert zugeschrieben wird. Nach Honneth (2003a: 165– 167) ist das Leistungsprinzip jedoch von Anfang an ideologisch, weil Leistung nur in Bezug auf die wirtschaftliche Tätigkeit des ökonomisch unabhängigen, männlichen Bürgertums definiert werde und so a) nur den Werthorizont der herrschenden Gruppe – der Kapitalisten – widerspiegle und b) althergebrachte Deutungshorizonte etwa hinsichtlich Naturalismus und Geschlechtervorstellungen beinhalte. Zudem stellt es eine Form materieller Gewalt dar, weil an einer bestimmten Leistung bemessen wird, wie viele Ressourcen eine Person bekommen soll.

Anders als bei der partikularen Liebe und dem universalistischen Recht, ist die soziale Wertschätzung weder die Anerkennung des anderen als ganze und einzigartige Person noch die universelle Achtung aller als Gleiche, sondern anerkannt werden nur personale Teilausschnitte: spezifische, partikulare Eigenschaften und Fähigkeiten der Subjekte, denen als Leistung im System der industriell organisierten Arbeitsteilung hegemonial ein Wert zugeschrieben wird und die in systemspezifischen Typisierungen festgeschrieben sind. Anerkannt wird letztlich nur, was sich als Leistung ver- und individuell zurechnen lässt. Das Kriterium für Anerkennung ist hier also Anerkennung für – für Leistung.

Der Selbstbezug besteht bei dieser Anerkennungsform in Selbstschätzung bzw. dem Selbstwertgefühl; Missachtungserfahrungen sind Entwürdigung und Beleidigung (Honneth 1992: 209–211). Der moralische Geltungsbereich der Anerkennungsform Solidarität umfasst nach Honneth nur konkrete Gemeinschaften (Honneth 2000a). Zum Geltungsbereich der Leistung äußert er sich nicht explizit, ebenso wenig zum Inhalt der moralischen Verpflichtung in diesem Bereich; allerdings sei soziale Wertschätzung idealtypisch an symmetrische Anerkennung zwischen individualisierten und autonomen Subjekten gebunden, wobei symmetrisch hier nicht die gleiche Wertschätzung aller bedeutet, sondern die »gleiche Chance« aller Subjekte, »sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren« (Honneth 1992: 210). Das moralische Entwicklungspotenzial in der Anerkennungssphäre der Leistung bestehe schließlich darin, dass »Individuen oder Gruppen unter Berufung auf das Leistungsprinzip« eine höhere soziale Wertschätzung und eine Umverteilung von (materiellen) Ressourcen fordern, indem sie »bisher vernachlässigte oder unterschätzte Tätigkeiten oder Fähigkeiten zur Geltung bringen« (Honneth 2003a: 171). Das Kriterium moralischen Fortschrittes bestehe daher im Abbau jener kulturellen Vorstellungen, die nur ganz bestimmte Tätigkeiten als Leistung gelten lassen.

In seinem jüngsten Werk (Honneth 2011) wird die vormals dritte Sphäre nun zur zweiten, der marktwirtschaftlichen Sphäre bzw. dem ökonomischen Markt, bei dem die partikularen Interessen und Fähigkeiten der Einzelnen zentral sind. Honneth fasst den Markt nicht als liberal-unreguliert, sondern als relationale Institution sozialer Freiheit. Er begründet dies mit einem in Tradition von Polanyi und Parsons stehenden normativen Funktionalismus, nach dem der Markt einer sittlichen Rahmung bedürfe, da ihm nur so auch alle Teilnehmenden zustimmen können (Honneth 2011: 333). Der Fluchtpunkt von Honneths normativer Rekonstruktion in Das Recht der Freiheit ist ein »moralischer Ökonomismus« (Honneth 2011: 358). Dieser werde vom Markt durch sein eigenes normatives Versprechen erzeugt, denn die Marktteilnehmer müssen »sich vorweg als Mitglieder einer kooperativen Gemeinschaft anerkannt haben, bevor sie sich wechselseitig das Recht zur individuellen Nutzenmaximierung auf dem Markt einräumen können« (Honneth 2011: 349).

In Das Recht der Freiheit zeigt Honneth mittels einer historischen Rekonstruktion verschiedene frühere und gegenwärtige Abweichungen von diesem normativen Rahmen auf, etwa in der Konsumwelt, in der wachsenden Macht von Unternehmen, in den steigenden Unterschieden der Lebenslagen und Einkommen (Honneth 2011: 409) und auf dem Arbeitsmarkt. Hier macht er eine wachsende Prekarisierung aus, eine Entwertung gesellschaftlicher Erwerbsarbeit, den steigenden Zwang zur Internalisierung der Vermarktlichung und zugleich zur Selbstvermarktlichung und schließlich zur Individualisierung der Verantwortungszuschreibung (Honneth 2011: 455– 458). So zieht er als Fazit, dass es im derzeitigen Markt nur mehr »allseitige(n) Selbstaktivierung« (Honneth 2011: 469) gebe und es vielfach an institutionellen Voraussetzungen zur Verwirklichung sozialer Freiheit in der Marktsphäre fehle (Honneth 2011: 408).

Exkurs: Honneth und seine Vorstellung sozialen Leidens

Abschließend sei der Blick kursorisch auf Honneths Vorstellung von sozialem Unrecht gerichtet. Mit Verweis auf Bourdieu betont er, das meiste gesellschaftlich verursachte Leid liege »jenseits der Wahrnehmungsschwelle der politischen Öffentlichkeit« (Honneth 2003a: 140), etwa die Feminisierung der Armut, die Langzeitarbeitslosigkeit, die Dequalifizierung von Arbeitsleistungen, Verelendungstendenzen in der Landwirtschaft, Verarmung kinderreicher Familien und so fort. In Auseinandersetzung mit Nancy Fraser (Fraser/Honneth 2003) kritisiert er, dass die Neuen Sozialen Bewegungen all dies nicht als relevante Formen des Sozialkonflikts betrachten, denn sie artikulierten nur Forderungen nach Anerkennung ihrer kulturellen Identität und Praktiken. Honneth hält dies für afrmativ, denn so werde nur bestätigt, was bereits bekannt und politisch problematisiert ist. Im Gegensatz dazu fordert Honneth, auch unbekanntes Leid – also auch solche Formen institutionalisierten Leidens, die vor und unabhängig aller politischer Artikulation existieren – zu betrachten. Konkret fasst er soziales Leid als die Erfahrung der Verletzung normativer Erwartungen der Betroffenen an die Gesellschaft – insbesondere der Erwartung der Anerkennung ihrer Identitätsansprüche (Honneth 2003a: 140–148).

Die Darstellung des Honneth’schen Ansatzes abschließend, fasst Tabelle 1 die relevanten Aussagen noch einmal zusammen.

[Bild vergrößern]

Tabelle 1: Die Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse nach Honneth

Quelle: Eigene Darstellung nach Honneth (1992: 201, 1995, 2000a, 2003a).

1.1.2 Diskussion und weitere Annahmen Honneths

1.1.2.1 Vorbemerkung zur Normativität des Honneth’schen Ansatzes

Axel Honneth konzeptualisiert den Begriff der Anerkennung in einem einheitlichen Theorierahmen und geht von der Vorgängigkeit intersubjektiver Anerkennung hinsichtlich der Subjektkonstitution und damit von einer grundlegenden Soziabilität der conditio humana aus. Weiter fasst er die gesamte kapitalistische Gesellschaft als eine institutionalisierte Anerkennungsordnung. Damit entwickelt er eine normative Theorie, die Bedingungen benennt, unter denen menschliche Subjekte erst gelungene Selbstverhältnisse und eine unbeschädigte Identität ausbilden können und gesellschaftliche Integration möglich ist. Nun ist es im Mainstream soziologischer Kreise seit einiger Zeit nachgerade unzulässig, normative Theorien zu entwickeln, und auch Nancy Fraser (2003b) kritisiert Honneths Konzept eines guten Lebens, das auf die ethische Idee individueller Selbstverwirklichung zielt. Das Ziel individueller Selbstverwirklichung soll hier nicht infrage gestellt werden, ist doch gerade eine These dieses Buches, dass Selbstverwirklichung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Aus soziologischer Perspektive umstritten ist hingegen, ob die Gesellschaft faktisch immer schon und immer nur normativ integriert ist. Ein einheitliches normatives Theoriesystem scheint angesichts einer Vielzahl von konkurrierenden Normen und Werten zudem kaum haltbar (vgl. auch Renn 2007). Theoretisch umstritten ist weiterhin vor allem die Anthropologisierung von Honneths Grundannahme.

Einer solchen Kritik an der soziologischen Tauglichkeit von Honneths Theorie werden hier zwei Argumente entgegengesetzt: Zum einen ist die Kategorie Anerkennung soziologisch höchst relevant, denn unabhängig von ihrer identitätstheoretischen Begründung stellt Anerkennung ein gesellschaftliches Gut dar, das strukturell ungleich verteilt und insofern genuiner Gegenstand einer Soziologie sozialer Ungleichheit sein muss. Zum anderen ist die Annahme einer grundlegend sozialen conditio humana und der Anerkennungsvorgängigkeit ebenso eine externe Setzung wie andere sozialtheoretische Grundierungen oder etwa die Annahme eines homo oeconomicus samt der Vorgängigkeit individueller Nutzenmaximierung.

Das vorliegende Buch nimmt daher Honneths Theorie als sozialtheoretischen Ausgangspunkt. Es stellt jedoch, wie erwähnt, Anschlussfragen: Erstens bezüglich der Abstraktheit des Modells und dem Bedarf einer empirischen Erhellung der konkreten Inhalte der Anerkennungsformen, vor allem von Liebe und sozialer Wertschätzung; zweitens bezüglich der Thematisierung von sozialen Ungleichheiten und vor allem auch von Geschlecht innerhalb Honneths Anerkennungsmonismus und drittens bezüglich möglicher Verschränkungen der drei Anerkennungsformen.