Wenn die Nacht in Scherben fällt - Anika Beer - E-Book

Wenn die Nacht in Scherben fällt E-Book

Anika Beer

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Beschreibung

Bildgewaltig, unglaublich atmosphärisch und absolut mitreißend.

Schon immer waren Träume für Nele etwas ganz Besonderes, denn sie besitzt die Fähigkeit, sie zu steuern, wie es ihr gefällt. Doch als sie mit ihren Eltern von München nach Erlfeld zieht, taucht auf einmal jemand in ihrem Traum auf, den sie selbst nicht erschaffen hat: Seth, ein junger Mann, den sie unheimlich und zugleich anziehend findet. Aber was macht er in ihrem Traum? Als Nele sich in der neuen Schule mit Jari anfreundet, hofft sie, in ihm jemanden gefunden zu haben, dem sie sich anvertrauen kann. Doch dann verschwindet Jari wie vom Erdboden verschluckt. Nele macht sich auf die Suche nach ihm, und findet heraus, dass nicht nur er in Gefahr ist – sondern die gesamte Traumwelt zu zerbrechen droht …

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Seitenzahl: 503

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© Isabelle Grubert/Random House

Die Autorin

Anika Beer ist ein Herbstkind des Jahres 1983 und wuchs in der Bergstadt Oerlinghausen am Teutoburger Wald auf. Die Welt der fantastischen Geschichten begleitet sie seit frühester Kindheit: Sie lernte mit 3 Jahren lesen, im Alter von 8bekam sie eine Schreibmaschine und fing an, erste Geschichten zu schreiben. Anika Beer begeistert sich für Kampfkunst und fremde Kulturen und lebte nach dem Abitur einige Zeit in Spanien, bevor sie in Bielefeld eine Stelle an der Universität annahm. Nach »Als die schwarzen Feen kamen« ist »Wenn die Nacht in Scherben fällt« ihr zweiter Jugendroman.

ANIKABEER

cbj

ist der Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Für Raiko

1. Auflage

Originalausgabe Juni 2013

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2013 bei cbj Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde übermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Umschlagabbildung: Istockphoto (imagedepotpro, beakraus);

Shutterstock (dgbomb, TTphoto)

Umschlagkonzeption: Kathrin Schüler

kg · Herstellung: CZ

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-08731-9

www.cbj-verlag.de

Erstes Kapitel

Das Mädchen hatte Sterne in den Haaren.

Das verwirrte sie, es war ihrem Gesicht deutlich anzusehen. Sie war fremd hier, und das war sie nicht gewöhnt.

Aber es war auch kein Wunder, dachte Seth und legte den Kopf schief, während er sie aus dem Schatten heraus beobachtete. Denn wie auch immer es geschehen sein mochte, dass sie hier hereingestolpert war– sie war heute Nacht nicht in ihrem Traum. Sie war in seinem.

Vorsichtig schlich er sich näher an das Mädchen heran. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, und Seth beschloss, es noch für einen Augenblick dabei zu belassen. Er wollte sehen, was sie tat. Er hatte schon öfter gehört, dass es Menschen geben sollte, die das konnten: in fremden Träumen wandeln. Aber begegnet war er bisher noch keinem von ihnen. Ob sie auch in der Lage sein würde, seinen Traum zu verändern?

Weit oben am schwarzblauen Himmel zersprangen weitere Sterne wie kleine Feuerwerkskörper und rieselten glitzernd zu Boden, wo sie in einer pudrigen weißen Schicht liegen blieben. Als das Mädchen die Arme ausstreckte, schmolzen die Sternensplitter wie Schneeflocken in ihren Handflächen. Sie lächelte. Sie war fremd, aber es gefiel ihr hier.

»So viele Wünsche!«, sagte sie zu den Sternen. Dann warf sie einen langen Blick in die Runde, runzelte nachdenklich die Stirn– und öffnete schließlich ein Fenster aus der Nacht hinaus in den Tag. Sonnenlicht fiel herein, und wo es den Boden berührte, zerfloss der Sternenschnee zu feinem Sand. Meeresrauschen drang an Seths Ohren, und er fühlte einen Schauer sein Rückgrat entlangrinnen.

Sie konnte es, begriff er fasziniert. Sie konnte es tatsächlich! Das dort hinter dem Fenster musste ihr eigener Traum sein, und sie hatte einen Durchgang dorthin erschaffen. Einfach so, ganz leicht, als wäre gar nichts dabei. Und sie würde gleich gehen, wenn er nichts dagegen unternahm.

Seth konnte sich nun nicht mehr zurückhalten. Behutsam löste er sich aus den Schatten des Nachtglases und landete mit einem weichen Satz hinter ihr. Der Geruch von Wind und Freiheit kitzelte seine Nase, und Seth neigte sich vor, bis sein Atem den Nacken des Mädchens streifte.

»Nicht aufwachen!«, flüsterte er. »Bleib noch einen Augenblick!«

Das Mädchen erstarrte. Eine Gänsehaut überzog ihren Hals. Langsam drehte sie sich um und sah Seth aus großen Augen an. Ein entzückendes Grübchen erschien über ihrer rechten Braue, als sie die Stirn runzelte. »Wer bist du?«

Seth betrachtete sie belustigt, die Lider zu schalkhaften Schlitzen verengt. Ihre Haare, die im Wind vom Fenster her tanzten, lockten ihn fast unwiderstehlich, die Hand auszustrecken und seine Finger mit den feinen Strähnen spielen zu lassen.

»Ich bin Seth«, sagte er endlich. »Und dies ist mein Traum. Mein Revier.«

Auch über der linken Braue erschien jetzt ein nachdenkliches Grübchen. Dann aber schüttelte das Mädchen leicht den Kopf. Vorsichtig, als könne eine zu hastige Bewegung ihn verscheuchen, hob sie den Arm und ließ ihre Fingerkuppen über Seths Wange gleiten, bis hinunter zu seinem Kinn, ehe sie die Hand langsam wieder sinken ließ. »Und wirst du mich durch dein Revier wandern lassen?«

In der spiegelnden Schwärze ihrer Pupillen konnte Seth ein verzerrtes Abbild seiner selbst sehen. Eine schlanke Silhouette mit Haut wie milchig schwarzes Glas, und Mandelaugen, deren schimmernde Iriden die Farbe von flüssigem Gold hatten. Große, spitze Ohren unter wirrem Haar, mit feinem Flaum bedeckt wie die einer Fledermaus. Sie konnte unmöglich ahnen, wer oder was er wirklich war. Aber sie hatte keine Angst.

Seth lächelte und zeigte spitze Raubtierzähne. »Wann immer du willst, Sternenkind.«

Das Mädchen nickte nachdenklich. »Dann sehen wir uns. Aber jetzt muss ich aufwachen.«

Leises Bedauern breitete sich in Seths Brust aus. Aber er wusste, er konnte sie nicht länger halten. Noch nicht. Nun griff er doch nach ihrem Haar, ließ es flüchtig durch seine Finger fließen. »Ich warte hier auf dich.«

Das Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, als sie noch einmal bekräftigend nickte– ein freies, fröhliches Lächeln, das zu dem Wind passte, den sie mitgebracht hatte. Dann kletterte sie auf die Fensterbank. »Bis bald, Seth«, sagte sie über die Schulter, ehe sie sprang.

Das Fenster schloss sich und verschwand. Der Wind verstummte.

Eine Weile noch blieb Seth stehen, wo er war, und blickte gedankenverloren auf die Stelle, an der eben noch der Durchgang in einen anderen Traum gewesen war. Eine echte Klarträumerin, in seinem Revier! Beinahe hätte er dem überwältigenden Impuls nachgegeben, ihr nachzusetzen, das Fenster wieder aufzureißen und ihr zu folgen. Doch er wusste, selbst wenn er es versuchte, sie würde fort sein. Er würde auf die nächste Nacht warten müssen.

Nur sehr widerwillig kehrte Seth an seinen Platz auf dem Nachtglas zurück, um seine Wanderung fortzusetzen. Der Morgen war bereits angebrochen, und es gab kaum noch Träumer, auf die er achtgeben musste, damit sie sich nicht in ihren Träumen verliefen und nicht mehr aufwachen konnten. Diese lästige Wacht war fast vorbei. Aber immerhin war sie heute nicht annähernd so langweilig gewesen wie sonst.

Ein letztes Mal sah er zurück zu der Stelle, wo eine winzige Insel aus Sand langsam von Sternenschnee bedeckt wurde. Wo ein Menschenmädchen ihren Traum mit seinem vermischt hatte. Noch immer glaubte er, den salzigen Wind in seinem Haar zu spüren. Ein breites Lächeln verzog Seths Lippen. Er würde so viel Spaß mit ihr haben.

»Bis bald, Sternenkind«, sagte er zu der Sandinsel, ehe sie völlig untergehen konnte. »Bis bald.«

Es war noch dunkel, als Nele die neue Treppe in die neue Küche hinunterstieg– auf dem Weg in die neue Schule, zum ersten Mal. Im Hausflur stieß sie sich das Knie am Schuhschrank unter der Garderobe und fluchte leise. Es würde wohl noch ein bisschen dauern, bis sie auch mit noch schlafblinden Augen unbeschadet den Weg zum Frühstückstisch fand.

Im Stockwerk über ihr war noch alles still. Paps schlief, er hatte Urlaub und würde erst morgen zurück nach Prag fliegen, wo er als Kameramann daran beteiligt war, einen Agententhriller zu filmen. Mommi hingegen war längst in der Küche, auch wenn von ihr wie üblich kaum mehr zu sehen war als die fingerdicke Zuckerschicht am Boden ihrer Kaffeetasse, in der noch senkrecht der Löffel stand. Gerade schob sie sich mit der linken Hand die zu einem Ball gedrückten Innereien eines Aufbackbrötchens in den Mund, während sie mit der rechten vor der spiegelnden Fensterscheibe ihren Lidstrich zog.

»Morgen, Moms.« Nele gähnte und schlurfte zum Kühlschrank. Blinzelnd starrte sie in das grelle Licht hinter der dicken Tür, während sie versuchte, herauszufinden, ob ihrem Magen eher nach einem Joghurt oder einem Salamibrötchen war.

»Morgen, Leni!« Mommi drehte sich um, lächelte ihr strahlendes Lächeln und warf den Eyeliner in die Handtasche auf dem Küchentisch. »Ich hab’s nicht geschafft, dir ein Brot zu machen, sorry! Ich bin schon wieder spät dran. Und das am ersten Tag, nicht zu fassen!« Sie warf sich die Tasche über die Schulter und klemmte ihre Aktenmappe unter den Arm, ehe sie Nele ein kussechtes Lippenstiftbussi auf die Wange und einen Zwanzig-Euro-Schein in die Hand drückte. »Kauf dir was Schönes, ja? Und keine Schokoriegel!«

Keine Schokoriegel. Nele seufzte liebevoll und grinste, so gut sie es so kurz nach dem Aufstehen fertigbrachte. Neuer Tag, neues Haus, neue Schule, neue Arbeit. Aber manche Dinge änderten sich eben doch nicht so leicht. Mommi war genauso spät dran wie jeden Morgen, und sie hatte es noch immer nicht aufgegeben, sich zumindest versuchsweise in Neles Ernährungserziehung einzubringen. Und das, obwohl Nele schon seit Jahren diejenige war, die in acht von zehn Fällen dafür sorgte, dass ihre Familie sich nicht nur von Döner und Tiefkühlpizza ernährte. Mommi war eine tolle Frau, und Nele bewunderte sie für vieles. Aber ihre Kochkünste gehörten definitiv nicht dazu.

»Bis heute Abend, Moms.« Sie gab ihrer Mutter ebenfalls einen Kuss und zupfte ihr einen Fussel von der Schulter. »Versuch, pünktlich zu sein, okay? Ich wollte Spinat machen.«

Mommi lachte und sah nur ein ganz klein wenig betreten dabei aus. Für ein wirklich schlechtes Gewissen waren sie und Nele ein zu eingespieltes Team. »Ich gebe mein Bestes, Chefin. Also, bis später, meine Süße! Viel Erfolg bei deinem ersten Tag!«

»Dir auch!«, rief Nele ihr noch nach– da war ihre Mutter schon auf klackernden Absätzen aus der Tür. Kurz darauf ertönte draußen das Geräusch eines startenden Automotors. Dann war alles wieder still.

Gedankenverloren stand Nele noch eine Weile vor dem offenen Kühlschrank, bis es ihr schließlich trotz des Wollpullovers zu kalt dafür wurde. Kurz entschlossen griff sie nach Butter, Käse und Salami und machte sich daran, sich selbst ein Schulbrot zu schmieren. Dann durchforstete sie die Schränke der neuen Küche nach Süßigkeiten und fand im Hängeschrank ein Snickers, das sie zu dem Brot in ihre Tasche schob. Den Zwanzig-Euro-Schein faltete sie zusammen und steckte ihn in ein Nebenfach. Sie würde das Geld schon noch für etwas anderes gebrauchen können.

Das Franziskus-Gymnasium war nicht gerade leicht zu finden. Es war keineswegs so, dass Nele nicht in der Lage gewesen wäre, allein in einer fremden Stadt zurechtzukommen, zumal Erfeld im Gegensatz zu ihrer alten Heimat München ein recht beschauliches Städtchen war. Die Fahrt mit der U-Bahn war absolut glattgegangen, und auch die Straße, die die Internetseite ihrer neuen Schule angab, hatte Nele im Handumdrehen gefunden. Aber auf dem Stadtplan hatte es so ausgesehen, als läge das Hauptgebäude direkt an dieser Straße– was es in Wirklichkeit aber keineswegs tat. Zumindest konnte Nele es einfach nicht entdecken, obwohl sie nun schon zum zweiten Mal daran vorbeigelaufen sein musste.

Schließlich drückte sie sich in den Durchgang zu einem Hinterhof, der von etlichen unsäglich hässlichen grauen Plattenbauten mit schmutzig bunten Balkonen umstanden war, und hoffte, dass niemand sie dabei beobachten würde, wenn sie wie ein hilfloser Tourist noch einmal auf den Stadtplan linste. Weit über ihr stand ein Fenster offen, aus dem Geschrei herunterschallte. Eine dunkle, poltrige Stimme, erwidert vom tränenerstickten, sich überschlagenden Keifen einer Frau, die definitiv zu oft laut werden musste, so überstrapaziert wie ihre Stimmbänder klangen. Nele schüttelte verständnislos den Kopf und vertiefte sich wieder in ihren Plan– als es neben ihr plötzlich krachte.

Entsetzt sprang sie einen Schritt zurück, der Plan fiel ihr aus der Hand und klatschte mitten in eine Pfütze. Aber Nele bemerkte es kaum. Neben ihr, nur knapp zwei Meter entfernt, lag ein Röhrenfernseher mit implodierter Scheibe, der aus beachtlicher Höhe auf den Asphalt gedonnert sein musste. Mit offenem Mund starrte Nele auf das Gerät– ein riesiges Teil, sicher zweiundzwanzig Zoll. Dann hob sie langsam den Kopf.

Die Schreihälse über ihr waren immer noch nicht fertig mit ihrem Streit, auch wenn die Stimme der Frau jetzt nur noch heiser kiekste. Nele zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass der Fernseher von dort oben gekommen sein musste. Ihr Herz pochte wie rasend bei der Vorstellung, wie ihr Kopf wohl nun aussehen würde, wenn sie nur ein kleines Stück weiter links gestanden hätte.

In diesem Augenblick prallte etwas von hinten gegen ihre Schulter, so hart, dass sie taumelte und spritzend in die Pfütze stolperte, in der auch schon ihr Stadtplan lag. Jemand fluchte, offenbar mindestens so erschrocken wie sie selbst, und Nele sah aus dem Augenwinkel, wie eine Gestalt vor ihr zurückwich, während sie selbst sich noch damit abmühte, das Gleichgewicht wiederzufinden. Und nun begriff sie auch, was gerade passiert war: Dieser Jemand war in sie hineingelaufen, und zwar mit voller Wucht.

»Sag mal, hast du sie noch alle?!«, fuhr sie den Unbekannten an. In der Aufregung geriet ihr Tonfall scharf, fast ein wenig schrill.

Aber sie erhielt keine Antwort.

Vor Nele stand ein Junge mit straßenköterblonden Haaren, die strubbelig von seinem Kopf abstanden, als hätte er keine Zeit gehabt, sich zu kämmen, ehe er die Wohnung verließ. Er musste aus dem Hof gekommen sein, und er hatte dabei ganz offensichtlich nicht nach vorn gesehen– und auch nicht damit gerechnet, dass jemand in seinem Weg herumlungern würde. Sekundenlang verfingen sich ihre Blicke ineinander, als müssten sie beide erst begreifen, dass sie nicht allein im graumorgendlichen Sprühregen standen.

Dann aber, mit der Geschwindigkeit eines Wimpernschlags, verschloss sich das Gesicht des Jungen. Mit einer etwas abgehackten Bewegung rückte er den Riemen der fleckigen Ledertasche zurecht, die schief über einer abgewetzten grauen Winterjacke hing. »Entschuldigung«, murmelte er undeutlich und wollte sich an Nele vorbeischieben. Entrüstet holte sie tief Luft. Wenn er sie schon fast umrannte, konnte er sich doch wenigstens vernünftig entschuldigen!

Aber sie kam nicht dazu, ihrem Ärger Luft zu machen. Denn in diesem Moment sah sie die Schramme auf seinem Wangenknochen. Einen feinen Schnitt, mit einer Spur verschmierten Blutes darunter, als hätte er hastig darübergewischt. Augenblicklich schlug Neles Wut in eine merkwürdig beklommene Betroffenheit um. Beinahe hatte sie jetzt ein schlechtes Gewissen, ihn so angefahren zu haben.

»Hey… warte mal!«

Aber der Junge beschleunigte nur seine Schritte, wechselte die Straßenseite, und sein zotteliger Schopf verschwand zwischen ein paar Bäumen, die ihre noch fast winterkahlen Zweige tief über einen kopfsteingepflasterten Pfad und ein unscheinbares, halb verwittertes Schild hängen ließen:

Franziskus-Gymnasium.

Noch völlig perplex blieb Nele stehen und starrte ungläubig auf das Schild. Das war doch nicht möglich! Hatte sie wirklich die ganze Zeit direkt gegenüber der Schule gestanden und sich dafür fast von einem Fernseher erschlagen lassen?

Es sah ganz so aus. Wie unglaublich peinlich.

Hastig warf Nele einen Blick auf ihre Armbanduhr. Der Junge war inzwischen längst nicht mehr zu sehen, aber immerhin wusste sie jetzt, wo es langgehen musste. Und wenn sie ein bisschen Dampf machte, würde sie vielleicht sogar gerade noch rechtzeitig zum Unterricht kommen.

Das Franziskus-Gymnasium war sehr viel beeindruckender, als Nele es sich vorgestellt– und vor allem, als sie es nach der nur mittelmäßig sauberen Plattenbausiedlung, in der es lag, erwartet hätte. Es war ein stolzes, schon vor vielen Jahren ergrautes Gebäude, das eher einer riesigen Villa glich als einer Schule. Dichte, jetzt im März allerdings noch blattlose Weinreben und Efeu kletterten an der stuckverzierten Fassade empor. Der Eingang wurde von zwei würdevollen Löwen flankiert, die über den verlassenen Schulhof wachten und Nele streng musterten, als sie zwischen ihnen hindurchhuschte.

Drinnen blieb sie stehen und wühlte sicherheitshalber noch einmal den Zettel aus ihrem Rucksack, auf den sie ihren Stundenplan gekritzelt hatte. Montag, erste Stunde: Englisch bei Frau Klein, Raum 117. Erster Stock also, vermutlich. Nele sah sich kurz nach Hinweisschildern um, die auf etwas anderes hätten schließen lassen können, konnte aber keine entdecken. Das Innere der Schule war nicht weniger altehrwürdig als ihr Äußeres, mit Bronzereliefs an den hohen, weißgetünchten Wänden und blankpolierten, aber zum Teil bereits gesprungenen Steinfliesen. Bestimmt war dieses Gebäude vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten so gebaut worden, damit armselige Schüler ganz klein vor Ehrfurcht und mit offenem Mund hindurchwandern mussten, während ihre Schritte geisterhaft von den Wänden widerhallten. Unruhig zupfte Nele mit den Zähnen an dem Ring in ihrer Unterlippe– eine dumme Angewohnheit, in die sie immer verfiel, wenn sie nervös war. Manchmal glaubte sie, sie hätte sich das Piercing überhaupt nur darum stechen lassen: damit sie etwas hatte, woran sie fummeln konnte, wenn sie sich nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlte.

Im ersten Stock, vor der Tür zu Raum 117, blieb sie schließlich stehen. In manchen der Klassenräume, hinter den geschlossenen Türen, konnte sie gedämpftes Murmeln hören, mal lauter, mal leiser. In Raum 117 war es ruhig, nur eine Frauenstimme sprach. Das musste Frau Klein sein– die ihren Unterricht offenbar sehr pünktlich begann. Das musste sie sich merken, dachte Nele. Ein letztes Mal zog sie ihre Klamotten zurecht und versuchte, ihr pochendes Herz zu beruhigen. Das waren ganz normale Leute da drin. Viel normaler als sie selbst wahrscheinlich. Nichts, wovor sie sich zu fürchten brauchte. Entschlossen hob sie die Hand und klopfte.

Die Stimme auf der anderen Seite verstummte. Dann hörte Nele klackernde Absätze, denen ihrer Mutter gar nicht unähnlich, und die Tür wurde geöffnet.

»Ah! Du musst Nele sein.«

Überrascht sah Nele die Lehrerin an. Frau Klein wirkte sehr jung, fast als ginge sie selbst noch zur Schule. Sie war mit lässigem Chic gekleidet und trug die Haare in einem lockeren Pferdeschwanz. Ihr Lächeln war offen und herzlich– und doch warnten ihre hellen, wachen Augen sofort, sie keinesfalls zu unterschätzen.

Nele nickte und bemühte sich, noch nicht zu versuchen, an der Lehrerin vorbeizuspähen, sondern ihren prüfenden Blick direkt zu erwidern. »Ja. Hallo, Frau Klein. Tut mir leid, ich habe mich ein bisschen verlaufen.«

Frau Kleins Lächeln wurde breiter. »Schon gut, vergessen wir’s. Tun wir einfach so, als hätte ich noch nicht angefangen, einverstanden? Komm rein.«

Sie trat beiseite, um den Weg in den Klassenraum freizugeben. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Nele richtete sich auf, straffte die Schultern und hakte die Daumen in die Hosentaschen. Dann trat sie vor ihren neuen Englischkurs.

Augenblicklich wurde es sehr still im Raum. Etwa fünfundzwanzig Augenpaare starrten Nele an. Skeptisch natürlich. Manche auch ablehnend, in jedem Fall alle neugierig. Nele wusste, was sie sahen. Sie wusste, dass ihre blauen Haare knallig leuchteten, und die grünen und pinken Strähnen sowieso. Die waren ja extra noch mal frisch gefärbt. Sie wusste auch, dass geringelte Strumpfhosen unter Jeansshorts nicht jedermanns Sache waren, und auch rote Krawatten über Schlabberpullis mit ausgeschnittenem Kragen nicht. Aber für Nele waren diese Klamotten schon seit Langem wie eine Rüstung: ihre ganz eigene Art von »Angriff ist die beste Verteidigung«. Eine ausgefeilte Möglichkeit, alles, was sie von ihrer Persönlichkeit zu geben bereit war, nach außen zu tragen, sodass so schnell niemand auf den Gedanken kommen würde, nach den Dingen zu stöbern, die sie nur ihren engsten Freunden anvertrauen wollte.

Denn von solchen Dingen gab es schon ein paar. Und engste Freunde– die hatte Nele hier noch nicht.

Frau Klein wandte sich inzwischen wieder dem Kurs zu. »So, ihr habt es sicher schon erraten: Das ist Nele Martens aus München«, sagte sie gerade– da machte Nele in einer Ecke des Raums eine Entdeckung.

Dort, am Fenster in der letzten Reihe, zwei Plätze entfernt von dem nächsten Schüler, saß der Junge aus dem Hinterhof.

Er starrte angestrengt aus dem Fenster, als wolle er demonstrieren, dass das alles nichts mit ihm zu tun hatte, und Nele schon gar nicht. Er hatte das Kinn in die Hand gestützt, sodass seine Finger die Schramme auf seiner Wange verdeckten. Aber Nele wusste, sie war da. Sie hatte sich das nicht eingebildet. Ihr Herz schlug ein wenig schneller.

»Nele wird von jetzt an unseren bescheidenen Unterricht mit ihrer hoffentlich eifrigen Mitarbeit bereichern«, fuhr Frau Klein inzwischen mit einem Augenzwinkern fort und legte Nele leicht eine Hand auf den Rücken. »Also, ich würde vorschlagen, du suchst dir einen Platz und steigst ganz locker mit ein, okay?«

Nele nickte schnell. Die neugierigen Blicke waren ihr jetzt egal. Sie wusste genau, wo sie sitzen wollte. Schnurstracks machte sie sich auf den Weg in die letzte Reihe und setzte sich direkt neben den Jungen, der sie daraufhin nicht mehr länger ignorieren konnte. Unter skeptisch gesenkten Brauen sah er Nele an.

»Hi«, sagte sie so freundlich sie konnte und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Nele, aber das weißt du ja schon.«

Für einen Moment sah der Junge verwirrt aus. Sein Blick flog rasch hin und her, und auch Nele war klar, dass sie nun alle im Raum beobachteten. Sollten sie doch. Sie war fest entschlossen, diesen Jungen nicht davonkommen zu lassen, ehe sie sich dafür entschuldigt hatte, ihn vorhin so angerüffelt zu haben. Schließlich war es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht er gewesen, der den Fernseher geworfen hatte– es sei denn, er konnte wirklich, wirklich schnell rennen.

Endlich erschien ein winziges, zögerndes Lächeln auf seinem Gesicht. »Jari«, sagte er. Seine Finger waren warm und trocken und schlossen sich mit festem Druck um Neles, ehe er sie eine Spur zu schnell wieder zurückzog und sich abwandte.

Er hatte ein hübsches Lächeln, dachte Nele und fragte sich im gleichen Moment, warum sie das eigentlich so wunderte. Es war ein freundliches, sanftes Lächeln, das sich in seinen Augen spiegelte und ihn plötzlich gar nicht mehr so verschlossen wirken ließ. Nele hätte es gern noch einmal aus ihm herausgekitzelt, um es sich in Ruhe anzusehen. Doch in diesem Augenblick räusperte sich vorn an der Tafel Frau Klein, und Nele wurde klar, ihr Welpenschutz war in genau dieser Sekunde vorbei. Frau Klein, so viel war sicher, hatte einen Plan für diese Stunde. Und den beabsichtigte sie durchzuziehen, ob nun eine neue Schülerin im Kurs war oder nicht.

»Tut mir leid wegen vorhin«, flüsterte Nele Jari schnell noch zu. Aber er antwortete nicht mehr. Und als es zur Pause klingelte, sprang er auf, wie von einer Tarantel gestochen, und verließ den Klassenraum, ehe Nele auch nur versuchen konnte, ihn noch einmal anzusprechen.

Sie traf ihn erst wieder, als der Schultag bereits vorüber war. Wie das möglich war, blieb Nele ein Rätsel, denn so furchtbar groß war die Schule gar nicht. Dass sie den Rest des Tages offenbar keine gemeinsamen Kurse hatten, war eine Sache. Doch auch in den Pausen sah sie ihn nirgendwo.

Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie inzwischen an einer handfesten Reizüberflutung litt. Sechs Kurse in sechs verschiedenen Unterrichtsräumen mit stetig wechselnder Besetzung von Schülern und Lehrern. Je weiter der Tag fortschritt, desto mehr verwandelte er sich in einen rauschenden Strom aus Namen und Gesichtern, die Nele schon bald nicht mehr zuordnen konnte. Es fühlte sich an, als wollte jeder einzelne der neuen Mitschüler sie wenigstens einmal aus der Nähe begutachten. Wie oft sie an diesem Tag ihren Namen nennen musste, hätte sie schon nach der ersten großen Pause nicht mehr zählen können. Und auch nicht, wie oft sie erklärte, dass sie mit ihrer Familie von München nach Erlfeld gezogen war, weil ihre Mutter von der Kosmetikfirma, in der sie arbeitete, hierher versetzt worden war. In eine kleinere Zweigstelle zwar, aber dafür würde sie jetzt stellvertretende Geschäftsführerin sein. Bis das jeder Neugierige zumindest halbwegs begriffen hatte, glaubte Nele bereits, ihre Lippen würden nur noch aus trockenen Fusseln bestehen. Kein Wunder also, dass ihr keine Zeit blieb, darauf zu achten, ob Jari irgendwo in der Nähe war.

Doch als sie schließlich mit einer Doppelstunde Geschichte den letzten Kurs des Tages erfolgreich hinter sich gebracht hatte und gerade im Laufen ihr Snickers aus dem Rucksack wühlte, rannte sie auf der Treppe fast in ihn hinein. Nur knapp entgingen die beiden dem zweiten Zusammenstoß an diesem Tag.

Einen Moment standen sie verdutzt voreinander, halb erschrocken, halb belustigt, wie in einer Karikatur der Begegnung vom Morgen. Zumindest Nele fand die Situation auf absurde Art und Weise komisch. Jaris Miene allerdings zeigte einen Ausdruck, der irgendwo zwischen kritisch und abweisend lag– und meilenweit entfernt von dem kleinen Lächeln, das er Nele heute vor dem Englischunterricht gezeigt hatte. Vielleicht, dachte Nele, war das aber auch einfach sein überraschtes Gesicht.

Entschlossen grinste sie und streckte ihm den Schokoriegel entgegen. »Hi. Snickers?«

Jaris Brauen zuckten in die Höhe, und für einen winzigen Moment hatte Nele tatsächlich das Gefühl, er würde die Hand ausstrecken. Oder vielleicht sogar lachen. Dann aber runzelte er nur die Stirn und schüttelte den Kopf. »Danke, nein«, sagte er und wandte sich ab, um nun doch die Treppe hinunterzugehen. Aber so schnell wollte Nele sich nicht abschütteln lassen. Rasch schloss sie wieder zu ihm auf, und schweigend verließen sie nebeneinander das Schulgebäude.

Jari hielt den Blick nun stur geradeaus gerichtet, und nach einer Weile kam Nele der Gedanke, dass es ihm vielleicht unangenehm war, mit ihr gesehen zu werden. Weil sie so viel Aufmerksamkeit auf sich zog, wo er doch sonst ganz offensichtlich lieber für sich blieb. Unruhig zupfte Nele an ihrem Lippenpiercing. Möglicherweise war dann jetzt der richtige Zeitpunkt, um ihn in Ruhe zu lassen. Auch wenn ihr der Gedanke gar nicht gefiel. Von all den Namen und Gesichtern, die sie heute gesehen hatte, war Jari der einzige, der ihr wirklich im Gedächtnis geblieben war.

Mit einem kleinen Seufzer riss sie die Folie von dem Schokoriegel und brach ihn in zwei Hälften. Manchmal hatte sie es mit sich selbst wirklich nicht leicht. Aber da kam sie nicht aus ihrer Haut. Sie musste es zumindest versuchen. Also hielt sie Jari eins der beiden Stücke hin.

»Nimm schon. Ich werde nicht dran verhungern, echt nicht.«

Jari blieb stehen. Sie hatten den Eingang zu seinem Hinterhof fast erreicht, nur noch die breite Straße trennte sie von dem schmuddeligen Spalt zwischen den grauen Wohnklötzen. Der Blick, mit dem er Nele nun musterte, hatte etwas Resigniertes an sich. Aber für einen Moment bildete sie sich ein, seine Mundwinkel zucken zu sehen.

»Vermutlich nicht«, gab er schließlich zu.

Bei jedem anderen Jungen hätte sich Nele über so eine Frechheit geärgert. Zugegeben, ihre Oberschenkel waren nicht unbedingt streichholzdürr, so wie seine. Und ganz bestimmt war sein Pullover auch nicht deshalb so ausgeleiert, um ein kleines Wohlstandsröllchen am Bauch zu kaschieren. Aber Nele war weit davon entfernt, sich einzubilden, sie würde in irgendeiner Weise hübscher werden, wenn sie sich das bisschen an gesundem Speck runterhungerte, das sie hatte, und sie wollte von niemandem auf der Welt so etwas hören. Bei Jari allerdings hatte sie das Gefühl, dass er viel mehr über sich selbst spottete als über sie. Und darum brachte Nele es einfach nicht fertig, wütend auf ihn zu sein. Stattdessen hüpfte ihr Herz vor Freude, weil es ihr vorkam, als hätte er jetzt, mit dem halben Schokoriegel, endlich auch ihre Entschuldigung angenommen.

»Ich bekoche mich selbst einfach zu gern«, sagte sie. Die ganze Unterhaltung fühlte sich plötzlich sehr viel besser an, wie sie so voreinander standen und Schokolade aßen.

Ein schiefes Grinsen erschien auf Jaris Gesicht– ganz klein nur, aber Nele sah es trotzdem. »Meine Mutter traut mir das nicht zu«, sagte er und verdrehte kurz die Augen. »Sie mag es nicht, wenn ich in der Küche bin. Außer der Mikrowelle darf ich nichts benutzen.«

Nele musste lachen. »Wenn meine Mommi so drauf wäre, wäre meine komplette Familie längst verhungert.« Sie knüllte das Snickerspapier zu einem kleinen Ball zusammen und stopfte es in ihre Hosentasche. »Willst du mit zu mir kommen, zum Essen? Ich koche wirklich ganz gut. Das heißt, wenn du Spinat magst.«

Sie wusste selbst nicht, warum sie das sagte, es rutschte ihr einfach so raus– keine große Sache eigentlich. Jaris Augen aber weiteten sich, und dann wurden sie dunkel. Innerhalb eines Sekundenbruchteils verschwand das winzige bisschen Offenheit, das Nele gerade noch in seinem Blick gesehen zu haben glaubte.

»Das geht nicht.« Seine Stimme klang nun geradezu schroff, und Nele konnte förmlich sehen, wie er innerlich einen Schritt von ihr zurücktrat, obwohl er sich nicht von der Stelle rührte. Es war, als hätte Jari einen Stock zwischen sie in den Sand gesetzt und eine scharfe Trennlinie gezogen, die ganz klar sagte: Bis hierher– und keinen Schritt weiter. Bleib auf deiner Seite der Welt! Verwirrt sah Nele ihn an.

»Okaaay«, sagte sie gedehnt. Sollte sie das jetzt persönlich nehmen? Oder wie war das zu verstehen?

Aber Jari schien nicht die Absicht zu haben, näher auf das Thema einzugehen. Er hatte es offenbar plötzlich sehr eilig. »Also, ich muss rauf«, sagte er, schon halb im Gehen. »Wir sehen uns ja morgen, in Englisch.«

Nele blieb kaum noch Zeit, zu nicken und ihm ein »Bis morgen!« nachzurufen. Dann war Jari auch schon fort und ließ sie mit einem seltsam mulmigen Gefühl im Bauch zurück.

***

Es war still in der Wohnung, als Jari nach Hause kam. Kein Wunder, schließlich lag seit dem frühen Morgen der sonst ewig plappernde Fernseher auf dem nassgrauen Asphalt vor dem Haus. Jaris Vater war noch nicht daheim, er machte Spätschicht mit Überstunden in der Elektrobaufirma, wo er für einen Hungerlohn Lampenkabel am Fließband zusammenschraubte. Und seine Mutter… Nun, die schlief wohl. Hoffentlich.

Leise zog Jari die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Im dämmrigen Licht des Flurs konnte er die zu einem unförmigen Berg aufgestapelten Jacken an der Wand nur schemenhaft erkennen. Die Garderobe war vor drei Wochen heruntergefallen. Aber solange Jari sie nicht irgendwann selbst wieder anbrachte, würde es so bald niemand tun. Der Geruch von altem Zigarettenqualm, abgestandenem Bier und muffiger Wäsche kitzelte seine Nase. Ein vertrauter Willkommensgruß.

Er ließ die Schuhe an, weil er sich nicht sicher war, ob vom Streit am Morgen nicht noch irgendwo Scherben herumlagen. Von dem Glas, das sein Vater nach ihm geworfen hatte, und dem er nur knapp hatte ausweichen können, ehe es hinter ihm an der Wand zersplittert war. Es war ein außergewöhnlich heftiger Streit gewesen. Wieder einmal. Und dabei war es nur um ein bisschen Milch gegangen. In letzter Zeit kam das zu oft vor. Diese Auseinandersetzungen, die weit über das übliche Wutgebrüll hinausgingen. Viel zu oft.

Der Kunststoffboden klebte ein wenig unter seinen Sohlen, als er so leise wie möglich durch den Flur in die Küche schlich. Im Kühlschrank lagen ein mickriger Rest alter Käse– kaum mehr als eine schmale dunkelgelbe Schicht über der trockenen Rinde– und zwei Scheiben bröseliges Brot in einer Tüte. Daneben stand eine Schüssel mit Kartoffeln und grünen Speckbohnen, die in einer dicken braunen Soße schwammen. Reste von gestern, und damit zugleich alles, was von einem der raren Hoffnungsfunken übrig war– jenen guten Momenten, in denen Jaris Mutter noch etwas anderes aus dem Supermarkt mitbrachte als Alkohol, Fertiggerichte und Brot. Vermutlich würde sein Vater das später essen wollen, und ganz sicher war es nicht die klügste Idee, ihn schon wieder zu provozieren. Aber Jaris Magen knurrte, und wenn er die Wahl hatte zwischen einer hungrig verbrachten Nacht und einem vollen Bauch, ehe sein Vater heimkam und mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin Stunk machte, dann fiel ihm die Entscheidung dennoch leicht.

Als er die Schüssel in die Mikrowelle stellte, drang eine schwache Stimme an seine Ohren.

»Jari?«

Unwillkürlich zuckte Jari zusammen. Entgegen aller Hoffnungen schlief seine Mutter offenbar doch nicht. Er hätte es sich denken müssen. Vermutlich lauschte sie schon seit einer ganzen Weile mit wachsam gespitzten Ohren darauf, dass er nach Hause kam. Und er konnte unmöglich so tun, als hätte er sie nicht gehört.

Jari schaltete die Mikrowelle ein und ging ins Wohnzimmer hinüber. Seine Bewegungen fühlten sich seltsam zäh an, als müsste er seine Glieder statt durch Luft durch dicken Sirup bewegen.

Seine Mutter lag unter einem Haufen Decken vergraben auf dem alten Cordsofa in der dunkelsten Ecke des Raumes. Sie hatte kein Licht angeschaltet. Licht bei Tag war Stromverschwendung, und die Nebenkosten waren ohnehin viel zu hoch. Aber manchmal hatte Jari den Eindruck, dass das gar nicht der wahre Grund dafür war, warum seine Mutter so viele Stunden im trüben Dämmergrau verbrachte. In letzter Zeit hatte er immer öfter das Gefühl, dass sie sich vor zu viel Licht regelrecht fürchtete.

»Du bist wieder da!« Sie hatte schon wieder kaum Stimme übrig vom vielen Schreien– und der Rest war im Inhalt der halb leeren Flasche Korn ertrunken, die in Reichweite neben ihr auf dem wackeligen Beistelltisch stand. Trotzdem hörte Jari deutlich die Erleichterung, die in den dünnen Tönen zitterte. Ein blasses Lächeln verzerrte ihre aufgesprungenen Lippen, als sie ihm unter den Decken hervor eine Hand entgegenstreckte. Jari verabscheute es, wenn sie sich betrank. Dabei konnte er sich kaum noch an die Zeit erinnern, als seine Mutter kräftig und fröhlich gewesen war und nicht mindestens einen halben Liter Hochprozentiges brauchte, um den Tag zu überstehen. Am liebsten wäre er direkt wieder gegangen. Aber er brachte es einfach nicht übers Herz, ihr so wehzutun. Also setzte er sich einen Moment lang zu ihr und nahm ihre kühlen Finger in seine.

»Hallo, Mama.«

»Warum bist du so spät?« Ihr Blick, der unstet über sein Gesicht huschte, war ängstlich. Jari wusste, sie fürchtete immer, er könnte eines Tages einfach nicht wiederkommen. Und ganz unrecht, das musste er zugeben, hatte sie damit nicht. Aber das sprach er natürlich nicht aus.

»Tut mir leid. Ich habe noch mit einer Mitschülerin gesprochen. Nele. Sie ist neu in meiner Stufe.«

Augenblicklich trat ein alarmiertes Glitzern in die Augen seiner Mutter. »Ein Mädchen?« Sie richtete sich schwerfällig auf. Ihre Augen waren von zu viel Alkohol verhangen und gerötet. Doch nicht einmal der Schnaps hatte ihren ewig schwärenden Kummer beruhigen können.

Jari unterdrückte einen leisen Seufzer. Er wusste, welcher Vortrag nun kommen würde. Aber er sagte nichts.

»Hör auf damit«, bat seine Mutter. Ihre Finger zitterten in seinen. »Sprich nicht mehr mit ihr. Du weißt, Vater hat das nicht gern.«

Nun bahnte sich das Seufzen doch seinen Weg über Jaris Lippen, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können. Vater. Ja, natürlich wusste er das. Sehr gut sogar. Jari konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber über die letzten Jahre hatte sich sein Vater zu einem immer fanatischeren Kontrollfreak entwickelt. Sicher, er hatte schon immer gern die Zügel in der Hand gehabt und in allen Angelegenheiten das letzte Wort gesprochen. Aber je älter Jari wurde, desto mehr hatte er das Gefühl, dass sein Vater ihn um jeden Preis unter seiner absoluten Kontrolle halten wollte. Vielleicht hing es mit diesem miesen Job in der Elektrofirma zusammen, den er vor drei Jahren hatte annehmen müssen, nachdem seine vorherige Stelle wegrationalisiert worden war. Oder damit, dass seine Frau sich Tag für Tag weiter in die Alkoholsucht flüchtete und inzwischen kaum noch mehr als ein Geist war. Es war gut möglich, dass er deswegen glaubte, beweisen zu müssen, dass er seine Familie und vor allem seinen pubertierenden Sohn noch voll im Griff hatte. Und selbstverständlich war er dagegen, dass Jari sich Freunde suchte, die ihm rebellische Flausen in den Kopf setzen konnten– wo er ihn doch ohnehin schon für unerträglich aufmüpfig hielt. Gerade in letzter Zeit hatte dieser Kampf Ausmaße angenommen, die Jari weder begreifen konnte noch wusste, wie er ihnen begegnen sollte. Und trotzdem, oder gerade deswegen, dachte er gar nicht daran, solche hirnrissigen Verbote einfach hinzunehmen.

In diesem Augenblick piepte drüben in der Küche die Mikrowelle. Erleichtert ließ Jari die Hand seiner Mutter los und stand auf.

»Versuch ein bisschen zu schlafen«, sagte er und strich ihr verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn.

Unter den Decken erschauerte seine Mutter und kauerte sich enger zusammen. »Aber es ist so kalt«, murmelte sie und sah ihn flehend an. »Es will einfach nicht warm werden.«

Jari seufzte leise. Dann ließ er sich langsam wieder auf die Sofakante sinken. Behutsam half er seiner Mutter, sich noch ein Stück aufzusetzen, und nahm sie in den Arm. »Es ist alles gut, Mama. Ich bin ja da.«

Ein zittriger Ton, wie ein Wimmern, war die Antwort, und Jari spürte, wie die Hände seiner Mutter sich hinter seinem Rücken ineinander verhakten, als klammere sie sich in einem stürmischen Meer an eine Boje. Er unterdrückte ein erneutes Seufzen. Wann war diese früher so starke Frau eigentlich so wenig geworden, dass kaum noch ein Schatten ihres früheren Selbst übrig blieb? Jari wusste es ebenso wenig, wie er hätte sagen können, warum sich sein Vater so verändert hatte. Und er fand auch diesmal keine Antwort, während er zuließ, dass seine Mutter sich wie eine Ertrinkende an ihm festhielt, bis das Beben ihrer Schultern endlich nachließ. Bis ihre kühle, dünne Haut allmählich wieder warm wurde und sie, den Kopf an seine Schulter gelehnt, die Ruhe fand, die sie so dringend brauchte.

Etwas später zog Jari aufatmend die Tür der winzigen Kammer am Ende des Flurs hinter sich zu– der einzige Teil der Wohnung, der ganz ihm gehörte. Er drehte den Schlüssel zweimal im Schloss, ehe er sich, die dampfende Bohnenschüssel in den Händen, im Schneidersitz auf sein Bett hockte. Noch so etwas, das immer wieder für Streit sorgte: Wenn Jari sich einsperrte. Aber er tat das nun schon so lange, dass sein Vater es aufgegeben hatte, darüber zu fluchen. Meistens jedenfalls. Wenn er diesen Schlüssel allerdings jemals in die Finger bekommen sollte, das wusste Jari, würde er ihn auf der Stelle im Klo herunterspülen.

Während er ohne viel Begeisterung das fade Essen in sich hineinlöffelte, beobachtete Jari die schwarzen Wolkenfetzen, die draußen vor einer zweiten Schicht aus Wolken in hellerem Grau vorbeitrieben. Seine Mutter schlief jetzt– und es war, als ob die Wohnung mit ihr schliefe. Jari stellte die leere Schüssel zur Seite, ließ sich rückwärts in die Kissen fallen und schloss die Augen. Ohne dass er es wollte, kam ihm Nele wieder in den Sinn, und ihr Angebot, sie zu begleiten. War er zu schroff zu ihr gewesen? Vielleicht. Sie hatte das ja nur so dahingesagt, ohne zu ahnen, was für ein Kopfkino sie damit in ihm auslösen würde. Aber es war so einfach, so verlockend, es sich vorzustellen. Wie es wäre, nach der Schule mit zu ihr zu gehen und mit ihrer Familie zu Abend zu essen. Zu sehen, ob ihre Eltern genauso bunt und verrückt waren wie sie, und für ein paar Stunden Teil davon zu sein– als könnte er in eine dieser bonbonfarbenen Fernsehserien springen, wo immer alles gut war und selbst die Dramen nach Plan verliefen, um sich mit der Gewissheit eines Uhrwerks jedes Mal sauber in einem Happy End aufzulösen.

Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass Jari so eine Reise unternahm. Um genau zu sein, geschah es sogar ziemlich oft, dass er sich in sich selbst hineinflüchtete, wann immer sein eigener schmutziger, trostloser Alltag zu unerträglich für ihn wurde. Es war seine besondere Fähigkeit, von der er noch niemals jemandem erzählt, sondern sie nur über Jahre hinweg in der Stille seines kleinen Zimmers perfektioniert hatte: die Fähigkeit, in seinem Inneren einen Raum zu schaffen, in den ihm niemand folgen konnte. Einen Raum ganz aus Leere und Stille, in dem er sich selbst und seine Umwelt neu gestaltete, wie es ihm gefiel. Dort gab es helle, freundliche Räume und liebevolle Eltern, die sich nicht ständig mit wüsten Beschimpfungen bewarfen– im besten Fall. Oder er erschuf weite, stille Landschaften, durch die er wandern konnte. Ganz allein, ohne Mitschüler, die ihm dumm kommen konnten, weil seine Klamotten so zerschlissen waren, oder Nachbarn, die ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid betrachteten. Wenn er sein Leben nicht mehr ertrug, nahm er sein verbittertes, vor Wut kochendes Ich und setzte es in eine Andere Welt, schickte es auf eine Reise, von der es nie wiederkommen sollte. Je unrealistischer die Szenarien, desto besser.

Heute allerdings war es anders. Neles Angebot gab dem Ganzen etwas geradezu beängstigend Greifbares. Noch nie hatte Jari seine Zufluchtsorte um einen Menschen aufgebaut, dem er in seinem tristen Alltag begegnet war. Er hatte nicht einmal gewusst, dass er das überhaupt einmal wollen könnte. Und doch waren im Gespräch mit Nele ganz von selbst diese Bilder aufgetaucht, von denen Jari wusste, dass sie sich schon sehr bald zu einem intensiven Tagtraum verweben würden– begleitet von dem unsinnigen und zugleich geradezu berauschenden Gefühl, dass es diesmal vielleicht nicht bei einer Wunschvorstellung bleiben musste.

Natürlich hatte er nichts davon zu Nele gesagt. Stattdessen war er geflohen. Denn wie sollte sie eine so überwältigende und verwirrende Reaktion verstehen? Nein, er konnte es ihr nicht erzählen. Noch nicht. Aber irgendwann vielleicht. Und bis dahin würde er eben woanders weiterträumen.

***

Am Abend saß Nele an ihrem nagelneuen Schreibtisch vor dem Laptop und schrieb eine Mail an ihre beste Freundin Lilly. Das hatten sie sich versprochen, als Nele und ihre Familie aus München wegzogen– sich jeden Tag zu melden und gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Und daran hielt Nele sich auch. Oder zumindest versuchte sie es.

Durch den Boden ihres Zimmers konnte sie gedämpft den Fernseher aus dem Wohnzimmer hören, wo ihre Eltern den Abend bei Bier und Chips ausklingen ließen. Das ganze Haus atmete noch das Neue, Ungewohnte, das sich nach nur zwei Tagen noch nicht vom Alltagstrott verdrängen lassen wollte. Und trotzdem wusste Nele nicht recht, wo sie anfangen sollte, die Ereignisse dieses Tages aufzuschreiben. Oder welche Worte sie dafür wählen konnte.

Sie saß bestimmt schon zwanzig Minuten dort, ohne auch nur ein einziges Wort getippt zu haben, als sie plötzlich bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Draußen auf dem Balkongeländer saß eine rauchgraue Katze und musterte sie aus in der Dunkelheit glühenden Augen. Oder wahrscheinlich war es doch eher ein Kater, so riesig und muskulös, wie dieses Tier war. Eine ganze Weile sahen er und Nele sich an. Reglos. Ohne zu blinzeln, während sie beide darauf zu warten schienen, dass der andere sich rührte. Es war seltsam, dachte Nele und spürte, wie sich in ihrem Magen ein leicht unbehagliches Kribbeln regte. Warum nur hatte sie das starke Gefühl, dieser Kater müsse ihr bekannt vorkommen? Als sei sie ihm schon irgendwo einmal begegnet. Aber wo hätte das gewesen sein sollen?

Schließlich stand sie entschlossen auf, öffnete die Balkontür und ging nach draußen. Die kühle Abendluft überzog ihre Arme selbst unter dem Wollpulli mit einer Gänsehaut, und Nele schob fröstelnd die Hände unter die Achseln. »Hey, du«, sagte sie zu dem Kater und blieb dicht vor ihm stehen. Doch noch immer dachte er nicht einmal daran, seinen Platz aufzugeben. »Was machst du denn hier? Ist dir nicht kalt bei dem Wetter?«

Der Kater zuckte mit den Ohren. Ansonsten rührte er sich nicht, sondern sah Nele nur weiter unbeeindruckt aus seinen großen Augen an. Aus der Nähe hatten sie eine schöne goldgelbe Farbe.

Vielleicht hätte sie besser vorsichtig sein sollen. Man wusste ja nie, ob fremde Tiere nicht aggressiv waren, und dieser Kater war wirklich auffällig groß. Aber aus irgendeinem Grund hatte Nele überhaupt keine Scheu vor ihm. Langsam streckte sie die Hand aus, um zu sehen, ob er sich streicheln lassen würde. Und tatsächlich drückte er kurz darauf seinen Kopf gegen ihre Handfläche, als wolle er die Streicheleinheiten sogar einfordern. Sein Fell war warm, weich und ganz glatt. Es fühlte sich wirklich gut an, irgendwie tröstlich, obwohl Nele gar nicht sagen konnte, warum sie in diesem Moment Trost hätte brauchen sollen.

Gedankenverloren kraulte sie eine Weile das dicke Nackenfell, während sie weiter überlegte, was sie Lilly schreiben sollte. Ob sie einfach damit anfangen konnte, ihre Frage aus der letzten Mail zu beantworten? Aber das war ja auch bei Weitem nicht so leicht, wie es klang.

Was hast du denn geträumt?, hatte Lilly gefragt. In der ersten Nacht im neuen Haus?

Der Kater schnurrte unter Neles Hand. Es war ihr wohl noch nie so schwergefallen, einen Traum zu beschreiben, dachte sie ein wenig bedrückt. Nele hatte zu Träumen zwar schon immer ein ganz spezielles Verhältnis gehabt– aber normalerweise war es einfach. Normalerweise war sie diejenige, die bestimmte, was in ihren Träumen geschah. Sie konnte entscheiden, ob sie eingreifen oder sich einfach zurücklehnen und die Geschehnisse beobachten wollte. Sie konnte die Träume in der nächsten Nacht fortsetzen, wenn sie gut waren. Oder ganz woanders neu beginnen, wenn sie ihr nicht gefallen hatten. So hatte sie die meisten ihrer Nächte verbracht, solange sie sich erinnern konnte.

Aber nicht die letzte. Dieser Traum hatte Nele atemlos und mit einem Kitzeln in der Magengrube zurückgelassen. Diese fremde Umgebung, die nichts, gar nichts mit irgendetwas zu tun hatte, was sie jemals in ihren Träumen gesehen oder erschaffen hatte. Und Seth…

Über den Tag war er hinter all der Aufregung mit der neuen Schule und Jari in den Hintergrund getreten. Jetzt aber kribbelte die Ungewissheit unangenehm in ihrem Bauch. Was würde passieren? Wo würde sie landen? Mit einem Mal konnte Nele es kaum noch erwarten, ins Bett zu kommen.

Der Kater maunzte leise und biss sie in den Finger. Nicht besonders fest, aber doch nachdrücklich genug, um sie aus ihren Grübeleien zu reißen. Mit einem erschreckten Laut zog Nele die Hand zurück. »He, was soll denn das?«

Der Kater stand auf, streckte sich kurz und sprang dann davon. Aber Nele hätte schwören können, dass er sie zuvor belustigt anfunkelte. Erneut kroch eine Gänsehaut über ihre Arme, die diesmal nichts mit der Kälte zu tun hatte.

Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. So ein Unsinn. Überhaupt war es doch reine Blödheit, bei dem Wetter ohne Jacke hier draußen zu stehen. Schnell kehrte sie an ihren Schreibtisch zurück und legte die steifgefrorenen Finger wieder auf die Tastatur. Es wurde wirklich Zeit für diese Mail. Und dann würde sie endlich ins Bett gehen. Zwei Atemzüge noch, dann begann sie zu tippen.

Von: <Nele-Pele> [email protected]

An: <Lilly-Billy> [email protected]

Betreff: Grüße aus dem hohen Norden!

Hi Lilly,

ich bin mir nicht sicher wegen des Traums. Ist alles ein bisschen zu wirr, um es zu erzählen. Heute war sowieso ein krasser Tag, ich habe einen Kater und einen Jungen kennengelernt und wäre fast von einem Fernseher erschlagen worden.

Morgen mehr dazu, jetzt bin ich tot.

Dicker Knutscher vom Nelefanten aus der nördlichen Provinz!

Ein bisschen schlecht fühlte Nele sich schon, als sie auf »Senden« klickte. Und sie fürchtete außerdem, dass Lilly viel zu schnell durchschauen würde, dass Nele sie hinzuhalten versuchte. Aber für heute, verteidigte Nele sich in Gedanken, war sie wirklich hundemüde. Sie wollte wirklich ins Bett.

Und vor allem endlich diesen Traum weiterträumen.

Zweites Kapitel

Er traf sie an ihrem Strand wieder. In ihrem eigenen Traum, wo flaschengrünes Wasser mit weißen Schaumkronen über blassgrauen Sand brandete und rauer Wind an ihren Haaren zupfte. Sie hatte sich in die Dünen gesetzt, zwischen wogende Halme von Strandhafer unter einem von Sonnenfäden durchwirkten Himmel. Ihr eigener Traum. Eine vertraute Umgebung, erschaffen allein aus ihrer Vorstellungskraft. Sie war enttäuscht.

Ein Lächeln stahl sich auf Seths Lippen, als er sah, wie sie versuchte, ihn herbeizurufen. Wie sie versuchte, ihn innerhalb ihrer Traumwelt zu erschaffen, so wie es ihr auch mit allen anderen Dingen so leicht gelang. Aber kein Mensch, auch ein Klarträumer nicht, konnte einem Wächter des Nachtglases sagen, wann er zu kommen oder zu gehen hatte.

Irgendwann gab sie es auf und erhob sich; ging auf nackten Füßen hinunter zur Brandungslinie. Dort hockte sie sich hin.

SETH, schrieb sie mit großen Buchstaben in den feuchten Sand. WOBISTDU?

Seth unterdrückte ein Lachen. Sie war klug, das gefiel ihm. Und es reizte ihn sehr, dieses Spiel mitzuspielen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, bis er die Wörter im Sand unter seinen Fingern spüren konnte. Direkt unter ihren formte er weitere Buchstaben, die kurz darauf wie von Zauberhand aus der Brandung auftauchten.

HINTERDIR.

Dann ließ er sich lautlos aus dem Himmel fallen.

Das Mädchen fuhr herum, die Wangen noch bleich, weil ihr im ersten Schreckmoment das Blut aus dem Kopf gewichen war. Aber ihr Gesicht leuchtete auf, als sie ihn entdeckte. Nur zwei Armlängen von ihr entfernt.

»Da bist du ja.«

Seth lächelte und trat einen weiteren Schritt auf sie zu. Feiner Sand sickerte zwischen seinen Zehen hindurch. »Du wolltest mich doch wiedersehen.«

Das Mädchen runzelte die Stirn. »Aber das hier ist nicht dein Revier. Ich konnte den Eingang nicht mehr finden.«

Sie meinte damit, dass sie keinen Eingang erschaffen konnte. Aber sie wollte nicht zeigen, wie sehr sie das frustrierte, das war ihr deutlich anzusehen. Seth beschloss, nicht darauf einzugehen.

»Mein Revier«, sagte er sanft, »ist ein Traum jenseits von denen der Menschen. Es liegt dort oben.« Er deutete zum Himmel. »Ich nehme dich mit, wenn du willst.«

Die beiden Grübchen über ihren Augenbrauen waren wieder da. »Du hast mich gestern gar nicht nach meinem Namen gefragt«, sagte sie statt einer Antwort. Es klang wie ein Vorwurf. Als sei das allein die Lösung ihres Problems.

Seth lachte leise und beugte sich vor, um ihr direkt in die Augen zu sehen. »Aber ich weiß deinen Namen doch schon.« Er blinzelte und legte seinen Zeigefinger federleicht auf ihre Nasenwurzel. »Er steht genau hier auf deiner Stirn.«

Er mochte diesen verwirrten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Dies war wirklich ein schönes Spiel. Sein Traum in ihrem. So wie sie in der letzten Nacht ihren in seinen gebracht hatte und doch ganz anders.

»Nele. Soll ich dich so nennen?«, flüsterte er.

Nele nickte. »Ja, das wäre nett.« Ihre Stimme bebte nun ein ganz kleines bisschen.

Seth richtete sich langsam wieder auf und hielt das Gesicht in den Wind, der vom Meer kam. Ein Wind, der sich so echt anfühlte, als stünden sie wirklich am Ufer der See. Diese Nele hatte eine unglaubliche Fantasie.

Und in diesem Augenblick kam Seth ein Gedanke. Ein kühner, geradezu aufrührerischer Geistesblitz. Was, wenn er sie nun nicht nur mit in sein Revier, zurück in seinen Traum nahm? Wenn er sie stattdessen durch das Nachtglas führte, in die Unendlichkeit, in der nur die Träume lebten? Was sie alles erschaffen könnte, dachte Seth und lächelte versonnen. Was sie bewirken könnte… Die Vorstellung weckte ein wohliges Kitzeln in seinem Brustkorb. Welche Kunstwerke, welche bizarren und wunderbaren Welten würde Nele gestalten, wenn sie erst unbegrenzten Zugriff auf die Kraft der Träume hätte! Sie würde eine Göttin sein… zumindest so lange, bis sie selbst zu einem Traum wurde. Ein unausweichliches Schicksal, nach allem, was Seth wusste. Aber selbst das würde ihrem Zauber wohl kaum Abbruch tun.

Sein Lächeln vertiefte sich. Oh ja. Ein fantastischer Gedanke, viel zu verlockend, um ihm nicht nachzugeben. Sie würde sein ganz eigener, faszinierender Traum sein. Nele, seine Nele. Der Name passte zu ihr.

»Einverstanden«, sagte er und ließ ein zartes, lockendes Schnurren in seiner Stimme mitschwingen. »Nele also.«

Nele machte einen weiteren Schritt auf ihn zu und musterte ihn mit prüfendem Blick. »Und du?«, fragte sie. »Wieso bist du so anders? Du gehörst nicht in meinen Kopf, stimmt’s? Wer oder was bist du– wenn du doch kein Mensch bist, wie du sagst?«

Seth hob amüsiert die Brauen. »Das darf ich dir natürlich nicht verraten.«

Nele runzelte die Stirn. »Also mal ehrlich. Du siehst nicht aus wie ein Typ, den es interessiert, was er darf oder nicht darf.«

Ein Lachen gluckste in Seths Kehle, und er hatte Mühe, es hinunterzuschlucken, ehe es seine Lippen erreichte. Er streckte die Hand aus, machte einen Schritt an Nele vorbei und zauste ihr im Vorübergehen flüchtig die Haare; spürte, wie sie unter der Berührung erstarrte. Sie hatte so recht. Was er durfte oder nicht, hatte ihn noch nie besonders gekümmert. Wenn sie nur gewusst hätte, wie verboten es war, was er wirklich plante…

Er warf einen Blick über die Schulter zurück und hörte das Lachen nun doch in seiner Stimme vibrieren. »Aber ich liebe Geheimnisse.«

Nele atmete tief durch. Zweimal. Dreimal. Seth konnte die Luft an ihren Lippen zittern sehen.

»Warum?«, fragte sie schließlich leise. Ihre Stimme klang rau. »Warum bist du in meinem Traum? Und wie kannst du mich in andere Träume mitnehmen? Das ist einfach nicht möglich.«

Seth lächelte sanft und wies einladend den Strand entlang. Dort in der Ferne, fast unsichtbar im hellen Licht, stand eine weiße Tür zwischen den Dünen, die ins Nichts zu führen schien. Aber Seth wusste es besser.

»Ich sagte doch, ich zeige es dir. Also, kommst du?«

Nele biss sich auf die Unterlippe, zupfte mit den Zähnen an dem feinen Ring aus Silber neben ihrem rechten Mundwinkel. Sie sah von Seth zu der Tür in der Ferne, dann auf ihr Meer hinaus und wieder zurück zu Seth.

»Na schön«, sagte sie dann und reckte das Kinn. »Ich komme.«

Nur einen Schritt vor der Tür blieben sie stehen. Und obwohl er es vor Ungeduld und Vorfreude kaum noch aushielt, gab Seth Nele so viel Zeit, wie sie brauchte, um einmal um den strahlend weißen Rahmen herumzugehen und den Durchgang ausgiebig zu betrachten. Immerhin musste es für sie sehr merkwürdig sein, ein Objekt in ihrem Traum zu finden, das sie nicht selbst dorthin gepflanzt hatte. Und Seth musste aufpassen, dass sie es nicht im letzten Augenblick mit der Angst zu tun bekam.

Schließlich stellte Nele sich wieder neben ihn und sah ihn fragend an. »Macht es einen Unterschied, von welcher Seite ich hindurchgehe?«

Seth schüttelte den Kopf. »Nein. Es kommt nur darauf an, mit wem du es tust.«

Es war ihr im Gesicht abzulesen, wie gründlich sie über diese Worte nachdachte. Und auch darüber, ob Seth derjenige war, an dessen Seite sie eine solche Pforte öffnen wollte. Es juckte Seth in den Fingern, einfach nach ihrer Hand zu greifen und sie hindurchzuzerren. Doch er wollte unbedingt vermeiden, dass sie sich erschreckte. Wer wusste, ob sie sonst nicht im letzten Moment doch noch eine Möglichkeit zur Flucht finden würde? Immerhin war sie eine Klarträumerin. Also wartete Seth, wartete und zwang sich, nicht ungeduldig mit den Zehen im Sand zu scharren– bis endlich Neles Neugier ihre Skepsis besiegte. Entschlossen griff sie nach der Klinke, drückte sie herunter und zog die Tür auf. Seth hielt den Atem an.

Auf der anderen Seite der Schwelle lag silbrige Dunkelheit. Unendlich, undurchsichtig und zugleich bestechend klar und voller Bewegung. Eine Stille, so absolut, dass sie sogar das Meeresrauschen übertönte, schlug ihnen entgegen. Seth hörte Nele überrascht nach Luft schnappen. Beruhigend legte er eine Hand zwischen ihre Schulterblätter, ehe er sich dicht zu ihrem Ohr neigte, bis ihr Haar seine Wange streifte. Jetzt war es Zeit, zu handeln.

»Keine Angst«, flüsterte er. »Das ist nur das Nachtglas. Die Grenze, die die Träume von der Wirklichkeit trennt.« Er schob Nele mit sanftem Druck nach vorn, unter dem Türrahmen hindurch, ehe sie zu lange darüber nachdenken konnte, ob sie das wirklich wollte. Die Tür schloss sich hinter ihnen und war im nächsten Augenblick verschwunden. Das Meer, der Strand und der Himmel verblassten zu farblosen Schemen, wie Landschaftsbilder hinter einer tief getönten Scheibe. Innerlich stieß Seth einen triumphierenden Jubelschrei aus. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

»Das Nachtglas…?«, wiederholte Nele und tat ein paar zögernde Schritte in die Dunkelheit hinein. Langsam drehte sie sich einmal um die eigene Achse, ehe sie sich Seth wieder zuwandte. Ihr Mund öffnete sich, um etwas zu sagen– da verlor sie plötzlich den Boden unter den Füßen. Und in diesem Moment hätte Seth beinahe wirklich aufgeschrien. Diesmal jedoch vor Wut.

Das Nachtglas trug sie nicht!

Er fluchte und machte einen Satz nach vorn, doch zu spät. Seine Finger griffen ins Leere. Für einen Moment noch sah er Nele fallen, ihre helle Silhouette weit unter ihm immer kleiner werden.

Dann verschluckte sie die Schwärze.

»Seth!«

Nele wachte von ihrem eigenen Schrei auf– und weil sie aus dem Bett fiel.

Allerdings war ihr nicht sofort klar, dass es ihr Bett war, und der Sturz daher nicht besonders tief. Sie wusste nur, dass da von einem Augenblick zum nächsten kein Boden mehr unter ihr war, dass es dunkel war und dass sie fiel. Panisch riss sie die Augen weit auf, versuchte vergeblich, in der Finsternis etwas zu sehen, sich irgendwo in diesem Nichts an etwas festzuklammern.

Doch erst als ihr bewusst wurde, dass die Welt nicht auf dem Kopf stand, dass die Holzdielen unter ihr nicht nachgaben, und dass sie die Hand fest in die Bettdecke verkrampft hatte, die ganz unmöglich um ihre Hüfte und ihre Beine verknotet war, beruhigte sich Neles Atem ein wenig. Sie war zu Hause. In ihrem Zimmer. Allein.

Hastig krabbelte sie zurück in ihr Bett, entwirrte die Decke so schnell sie konnte und zog sie bis zur Nasenspitze nach oben. Ihr Atem zitterte, und mit ihm Neles ganzer Körper. Was war da gerade denn bloß passiert? Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie das letzte Mal so froh darüber gewesen war, einfach aufgewacht zu sein.

Obwohl, so richtig wach fühlte sie sich immer noch nicht. Sie musste nur die Augen schließen, und schon war sie wieder dort: In diesem endlosen Raum hinter Seths Tür, der ganz aus silbrig schimmernder Schwärze bestand. Um sie herum, über und unter ihr, ohne Anfang und ohne Grenze– nur Schwarz, überall, und trotzdem nicht leer, im Gegenteil. Eine Dunkelheit voller Bilder und Gestalten, schattenhaft und verzerrt, ganz nah und gleichzeitig unerreichbar weit weg, unwirklich klar zu erkennen, obwohl es dort kein Licht gegeben hatte, überhaupt keins.

Das Nachtglas. Nele konnte Seths Stimme, die den Namen der Schwärze aussprach, immer noch in sich nachklingen hören. Es war schwer, sich vorzustellen, dass dieser skurrile Raum wirklich in ihrem eigenen Kopf entstanden sein sollte. Keiner ihrer Träume, egal wie schrecklich sie waren, hatte bisher so ausgesehen, und es fühlte sich auch genauso an– fremd. Ganz wie in der Nacht zuvor…

Nele wickelte sich noch fester in ihre Decke, aber es half nicht viel. Dabei hatte sie doch nur beweisen wollen, dass sie es noch konnte: einen Traum fortsetzen, wie es ihr gefiel. Sie hatte Seth wiedertreffen wollen, diesen Jungen… Mann… dieses Wesen mit den goldenen Augen und der gläsernen Haut. Aus welcher verrückten Hirnwindung, welchem unterbewussten Salto von Neles Gedanken war er nur entsprungen? Und was tat er mit ihr? Es war das zweite Mal hintereinander, dass ihr ein Traum aus den Händen glitt, und zwar so endgültig, dass sie ihn nicht einmal vernünftig beenden konnte. Ja, dass sie wohl von Glück sagen musste, einfach herausgefallen zu sein. Und was für wirres Zeug dieser Seth erzählt hatte…

Nele legte die Hände vor ihr Gesicht und spürte, wie sich ihr eigener Atem beruhigend warm an ihren Wangen sammelte. Nur ganz allmählich gelang es ihr, sich wenigstens ein bisschen zu entspannen, bis sie es schließlich fertigbrachte, auf dem Nachttisch nach ihrem Handy zu tasten. Viertel vor sechs. Nele stöhnte tonlos. Was für eine unglaublich miese Zeit, um aufzuwachen. Viel zu früh, aber es lohnte sich auch nicht mehr, wieder einzuschlafen. Da war es wohl am klügsten, gleich wach zu bleiben und die zusätzliche Zeit für eine ausgiebige Dusche zu nutzen. Und die hatte sie nach dieser Nacht auch bitter nötig.

Eine gute Stunde später fühlte sich Neles Kopf dank der magischen Kraft fließenden Wassers immerhin nur noch so dezent matschig an, dass es für die Uhrzeit als normal gelten konnte. Sie war jetzt sogar ein bisschen spät dran. Aber das war es allemal wert gewesen. Auf ihrem Weg die Treppe hinunter hörte sie Stimmen, das Klappern von Messern, Geschirr und das Brodeln der Kaffeemaschine. Verwundert runzelte Nele die Stirn. So viel Leben am frühen Morgen?

Doch dann fiel es ihr wieder ein. Richtig, Paps flog ja heute zurück nach Prag. Für den Umzug nach Erlfeld hatte er ein paar Tage frei bekommen, aber jetzt musste er wieder an die Arbeit. Also war dies für eine ganze Weile die letzte Gelegenheit zu einem gemeinsamen Familienfrühstück. Kein Wunder, dass er so zeitig aufgestanden war, obwohl sein Flieger doch erst gegen Mittag ging.

Der Geruch von Kaffee und geröstetem Brot stieg Nele in die Nase und entlockte ihrem Magen ein energisches Grollen, als sie die Küche betrat.

»Guten Morgen, allerliebste Tochter«, sagte ihr Vater und musterte sie mit liebevollem Spott über den Rand seiner Zeitung hinweg.

»Morgen.« Nele schlurfte zum Tisch und ließ sich auf den Stuhl fallen, den sie irgendwann, wenn sie hier heimischer war, vermutlich als ›ihren‹ bezeichnen würde. Es war ungewohnt und schön, sich an einen gedeckten Tisch zu setzen, während Mommi bereits eine Tasse mit Kakao für sie in die Mikrowelle stellte. Vor allem nach so einer Nacht.

»Grazil und frisch wie eine Steineiche«, bemerkte Paps und grinste.

»Schlecht geschlafen«, murmelte Nele und angelte nach einer Scheibe Brot und der Margarinedose.

»Ist die Matratze nicht gut?«, fragte Mommi von der anderen Seite des Raumes her– etwas lauter als sonst, um die Mikrowelle zu übertönen. Sie hatte sich bereits bürofein gemacht und wirkte ein wenig gestresst.

Nele schüttelte den Kopf. »Die Matratze ist super«, sagte sie so beruhigend sie konnte. »Da war nur so ein riesiger Kater auf dem Balkon, ehe ich eingeschlafen bin. Der hat mich beobachtet. Wahrscheinlich habe ich davon blöd geträumt.«