Wenn Liebe so einfach wäre ... - Ruth Gogoll - E-Book

Wenn Liebe so einfach wäre ... E-Book

Ruth Gogoll

0,0

Beschreibung

Erst eine unschöne Begegnung auf der Post, dann läuft sie der unhöflichen Fremden auch noch ins Fahrrad – Enja scheint sich ihr nicht mehr entziehen zu können. Nicht nur, um den Schaden zu ersetzen, führt es Enja zu Malin nach Hause, wo sie auch deren herrische Freundin Ulla kennenlernt. Trotz aller Bedenken versucht Enja Malin näherzukommen, doch Malins Stimmungsschwankungen und ihre merkwürdige Haltung zu Ulla machen das nicht leicht. Als Malin unvermutet von Ulla vor die Tür gesetzt wird, scheint einer Beziehung mit Enja nichts mehr im Wege zu stehen – doch Ulla ist mit Malin noch längst nicht fertig ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 382

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ruth Gogoll

WENN LIEBE SO EINFACH WÄRE

Roman

© 2018édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-261-9

Coverfoto:

1

»Ich wollte doch nur helfen.« Verdattert blickte Enja auf die Frau vor sich in der Reihe am Postschalter, deren Augen sie böse anblitzten.

»Wollten Sie nicht! Sie wollten sich vordrängen!« Fast wie ein Knurren kam es von den zusammengepressten Lippen.

Bei dieser Unterstellung blieb Enja beinah der Mund offenstehen. Schon eine ganze Weile hatte sie am Schalter gewartet wie einige andere, die sich hinter ihr zu einer langen Schlange aufgestaut hatten, und die Frau, die diese Schlange verursacht hatte, war ihr etwas verwirrt erschienen.

Die Angestellte hinter dem Schalter erklärte ihr schon zum mindestens dritten Mal, wie sie den Paketzettel ausfüllen musste, aber die Kundin schien es nicht zu begreifen.

Auf einmal hatte Enja das Gefühl gehabt, sie erkannte, was das Problem war, war lächelnd mit ihren Päckchen im Arm vorgetreten und hatte der Angestellten mit einem »Ich glaube, sie meint –« einen Hinweis geben wollen.

Weiter war sie aber nicht gekommen, denn die Frau mit dem aschblonden Haar schnellte herum, starrte sie mit wildem Blick an und fauchte: »Woher wollen Sie wissen, was ich denke? Halten Sie sich da gefälligst raus!«

Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben ärgerte Enja sich darüber, dass sie so hilfsbereit war. Und nun schob diese Dame ihr auch noch die Absicht unter, dass sie sich hatte vordrängen wollen.

Augenrollend warf sie einen Blick, der fast genauso genervt erwidert wurde, auf die Angestellte und trat einen Schritt zurück.

Endlich konnte die Kundin sich entscheiden, und die Angestellte legte das Paket hinter sich auf einen Wagen.

»Sie hatte wohl recht. Ich hätte mich nicht einmischen sollen«, entschuldigte Enja sich bei der Angestellten, als die Kundin an der langen Schlange entlang zum Ausgang strebte und sie endlich zum Schalter vortreten konnte.

Die Angestellte winkte ab. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Manche Leute suchen den Streit geradezu. Wenn Sie wüssten, was ich hier da jeden Tag erlebe . . .« Sie lächelte Enja etwas erschöpft an. »So nette Kundinnen wie Sie gibt es nicht viele.«

»Danke.« Enja lächelte zurück. »Dafür bringe ich Ihnen immer viel Arbeit.« Sie ließ ihre Päckchen auf den Schaltertisch gleiten.

»Sie wissen aber auch genau, an wen Sie sie schicken wollen«, lachte die Angestellte gutmütig. Mit einem leichten Stirnrunzeln fügte sie hinzu: »Würde es sich für Sie nicht langsam mal lohnen, die Päckchen bei sich zu Hause abholen zu lassen? Ihr Geschäft scheint ja gut zu laufen. Es werden immer mehr.«

»Ja, das ist schneller mehr geworden, als ich gedacht hätte«, gab Enja zu. »Dabei verkaufen so viele Leute auf ebay.« Sie lächelte. »Das mit dem Abholen überlege ich mir. Danke. Dann auf Wiedersehen bis morgen.«

Während die Angestellte sich schon dem nächsten Kunden zuwandte, drehte Enja sich um und begab sich zügig und beschwingten Schrittes aus dem Geschäft mit der kleinen Postfiliale hinaus.

Sie war guter Laune, insbesondere nachdem die Angestellte sie noch einmal auf das hingewiesen hatte, was ihr selbst auch schon aufgefallen war: Ihr ebay-Shop lief besser als erwartet.

Sechs Monate waren es jetzt her, dass sie sich dazu entschlossen hatte, ein paar Sachen auf ebay zu verkaufen, um auszuprobieren, ob man damit Geld verdienen konnte. Sie hatte das Ganze nur als Test betrachtet und nicht damit gerechnet, dass ihr so viel Interesse entgegenschlagen würde. Schon nach kurzer Zeit war sie mit der Auslieferung der Bestellungen fast gar nicht mehr nachgekommen.

Mittlerweile war der Gang zur Post, manchmal mehrmals am Tag, zur Routine geworden, und wahrscheinlich hatte sie diese Vertrautheit mit den Abläufen dann heute dazu verleitet, ihre Hilfe anzubieten, wo sie nicht erwünscht war.

Sie seufzte. Leute gab’s . . .

Draußen vor dem Geschäft blieb sie stehen und schaute sich um. Da sie noch ein paar andere Sachen zu erledigen hatte und das Geschäft so ziemlich in der Mitte der Haupteinkaufsstraße des kleinen Städtchens, in dem sie wohnte, lag, überlegte sie, ob sie zuerst nach rechts oder nach links gehen sollte.

Bei diesem etwas ziellosen Umherschweifen blieb ihr Blick plötzlich an der Gestalt der Frau hängen, die sie in der Postfiliale so angeschnauzt hatte. Sie stand neben einem Fahrrad, das am Fahrradständer angeschlossen war und das sie anscheinend gerade hatte aufschließen wollen, und schien vor sich hinzuträumen.

Wenn sie jetzt die Kombination ihres Zahlenschlosses vergessen hat, werde ich ihr bestimmt nicht meine Hilfe anbieten, dachte Enja. So dumm bin ich nicht zweimal.

Es schien, als ob die Frau wieder zu sich kam, und da Enjas Blick immer noch auf ihr ruhte, nahm sie ihn nun wahr.

Was ihr offensichtlich keine Freude bereitete, denn ihre Miene verschloss sich sofort, ihre Lippen pressten sich zusammen, und mit einer ruckartigen Bewegung öffnete sie das Schloss an ihrem Rad, schob es aus dem Ständer und stieg auf.

Bevor sie endgültig aus Enjas Blickfeld entschwand, schleuderten ihre Augen noch einmal Blitze auf sie.

Enja schüttelte den Kopf. Was die wohl für ein Problem hat.

Aber das war eindeutig nicht ihr Problem. Sie wandte sich nach links und ging die Hauptstraße hinab, um mit ihren Erledigungen fortzufahren.

»Sabine gibt am Freitag eine Party. Kommst du?« Die Stimme am Telefon klang frisch und äußerst dynamisch.

Enja runzelte die Stirn. »Wer ist noch da außer Sabine?«

»Ach, sei doch nicht immer so misstrauisch!« Ihre Freundin Svea lachte. »Eine Menge Leute.«

»Und zufällig auch eine Frau, die ich noch nicht kenne, die aber ganz bestimmt super zu mir passen würde?«, fragte Enja amüsiert.

»Du bist wirklich furchtbar«, beschwerte Svea sich. »Statt froh zu sein, dass du so nette Freundinnen hast, die sich um dein Liebesleben sorgen.«

»Mein Liebesleben ist in Ordnung, danke«, entgegnete Enja trocken. »Ich habe also recht?«

»Na ja . . .« Svea wand sich ein bisschen. »Sabines Ex hat sich gerade von Cordula getrennt, und Sabine kennt sie auch und wollte nicht, dass sie so traurig und allein zu Hause herumsitzt, und deshalb hat sie sie eingeladen.«

»Damit ich sie tröste?« Enja lachte laut auf. »Ihr habt sie ja wohl nicht alle!«

»Ihr habt viel gemeinsam. Sie hat auch einen ebay-Shop«, argumentierte Svea eifrig. »Da habt ihr gleich etwas, worüber ihr euch unterhalten könnt.«

»Habt ihr die anderen – wie viele tausend? – ebay-Verkäuferinnen auch eingeladen?«, fragte Enja amüsiert.

»So ein Blödsinn. Natürlich nicht.« Svea tat etwas empört. »Aber Sabine meint, ihre Ex hätte Cordula nie schätzen können.« Sie machte ein abfälliges Geräusch. »Bei wem kann die das schon? Dass Sabine überhaupt noch Kontakt mit ihr hat . . .« Man konnte fast hören, wie sie den Kopf schüttelte. »Wie auch immer. Sabine sagt, Cordula würde viel besser zu dir passen als zu ihrer Ex.«

»Sagt sie das.« Enja schürzte die Lippen. »Ihr zwei solltet wirklich ein Heiratsinstitut aufmachen. Das ist alles, was euch interessiert.«

»Ist ja auch das Wichtigste im Leben«, gab Svea freimütig zu. »Wer mit wem und so. Also kommst du jetzt zu der Party? Wird bestimmt lustig.«

»Bestimmt«, antwortete Enja schmunzelnd. »Habt ihr auch schon irgendwo ein Zimmer für uns gebucht?«

»Das wäre eine Idee . . .« Svea tat, als würde sie darüber nachdenken. »Ach, komm schon . . .«, fuhr sie dann lachend fort. »So schlimm wird es schon nicht werden. Wenn Sabine sagt, sie ist nett, ist sie nett.«

»Warum nimmt Sabine sie dann nicht?«, fragte Enja. Gleich darauf seufzte sie. »Na gut, ich komme. Aber nur, weil ich weiß, dass du mich sonst wieder wochenlang verfolgst.«

»Ja, bin ich nicht gut?« Hätten sie geskypt, hätte Enja jetzt sehen können, wie Svea strahlte. Aber sie telefonierten nur.

»Überleg dir das mit der Partnervermittlung«, schlug Enja vor. »Dann lässt du mich vielleicht eine Weile in Ruhe. Es gibt bestimmt eine Menge Lesben, die deine Dienste gern in Anspruch nehmen würden.«

»Mach ich, sobald ich dich vermittelt habe«, erwiderte Svea glucksend. »Du bist echt eine harte Nuss. Wenn ich dich knacke, habe ich das Examen für das Partnervermittlungs-Business bestanden!«

»Ich glaube, die meisten kommen freiwillig da hin, um sich vermitteln zu lassen, und müssen nicht dazu gezwungen werden.« Enja schüttelte gutmütig den Kopf. »Ich habe momentan wirklich andere Dinge im Kopf. Mein Geschäft . . .«, sie lachte ungläubig auf, »mein Geschäft . . . wie das klingt. Jedenfalls fordert es meine ganze Aufmerksamkeit. Ich bin schließlich noch in der Aufbauphase. Da habe ich keine Zeit für eine Frau. Und außerdem –« Sie brach ab.

»Ja, ich weiß.« Svea wirkte auf einmal ernst. »Aber das ist jetzt zwei Jahre her. Du musst die schwarzen Trauerkleider mal ausziehen.«

»Und wenn ich das nicht will?«, fragte Enja. »Wenn man einmal die perfekte Frau gefunden hat, wie soll dann noch eine andere an sie heranreichen? Du weißt nicht, wie das ist.«

Svea seufzte. »Nein, weiß ich nicht. Und ich habe dich immer um Florentina beneidet. Das Glück, eine solche Frau zu finden, hat nicht jede, da hast du recht. Aber deshalb kannst du dich doch nicht für den Rest deines Lebens vergraben. Meine Güte, du bist achtundzwanzig!«

»Ich vergrabe mich nicht«, widersprach Enja. »Ich muss nur nicht auf Teufel komm raus eine Beziehung haben. Ich kann ganz gut allein sein.«

»Vielleicht zu gut«, sagte Svea. »Das macht mir ein bisschen Angst.«

»Jetzt übertreibst du aber.« Enja lachte. »Ich komme am Freitag, und ich möchte euch wirklich sehr bitten, nicht zu enttäuscht zu sein, wenn weder Cordula noch ich Interesse daran haben, sofort miteinander ins Bett zu hüpfen.«

»Wer weiß?«, fragte Svea etwas schelmisch. »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.«

»Ich kann immer noch absagen«, drohte Enja. »Wenn ich das Gefühl habe, dass ihr uns quasi aufeinanderschnallen wollt, komme ich nicht.«

»Da muss ich mich mal erkundigen, ob die SM-Fraktion da ist«, erwiderte Svea offenbar aufs Höchste belustigt. »Wegen der Lederriemen und Schnallen.«

Fast konnte Enja sich das Lachen auch nicht mehr verkneifen. »Drangsaliert ihr Cordula auch so? Dann können wir uns darüber schon mal austauschen.«

»Nein, ich glaube, sie kommt gern«, meinte Svea fast ein wenig nachdenklich. »Sie ist nämlich nicht so gut im Alleinsein wie du, wenn ich das richtig verstanden habe.«

»Die Arme«, sagte Enja. »Dann springt sie wahrscheinlich gleich wieder in die nächste Beziehung, und die wird auch katastrophal enden. Man muss frei sein, um sich binden zu können.«

»Was für ein weiser Spruch«, bemerkte Svea. »Aber du weißt nicht, wie das ist: zu suchen. Du hattest Glück.«

»Ja.« Enjas Stimme wurde leise. »Ich hatte Glück.«

»Tut mir leid«, sagte Svea. »So hatte ich das nicht gemeint.«

»Natürlich nicht.« Enja nickte. »Ist auch nicht schlimm. Es geht mir gut. Und ich hoffe«, sie begann wieder ein wenig zu schmunzeln, »dass das am Freitag so bleibt.«

»Großes Ehrenwort«, versprach Svea. »Ich bin ja schon froh, wenn du kommst. Bis dann.«

»Bis dann«, sagte auch Enja und legte auf.

2

Als Enja am Freitag Sabines Wohnung betrat, zweifelte sie schon sehr daran, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Nicht dass sie etwas gegen Feste hatte, aber Sabine und Svea konnten mit ihren Bemühungen, alle miteinander zu verkuppeln, die nicht bei drei auf den Bäumen waren, manchmal schon recht anstrengend sein.

Gleichzeitig merkte sie jedoch, dass sie in den letzten sechs Monaten sehr viel gearbeitet hatte, ohne sich auch nur einmal auszuruhen. Es war zwar eine Arbeit, die ihr Spaß machte, aber sie spürte auch, dass ihr ein wenig Abwechslung wieder einmal gut tun würde.

Die Party war schon in vollem Gange, denn Enja gehörte nicht zu den Leuten, die bei einer solchen Gelegenheit als erste eintrafen. Sie verschwand lieber ein wenig in der Masse, als alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gern beobachtete sie andere Frauen beim Tanzen, ohne dass sie stets das Bedürfnis hatte, selbst mittanzen zu müssen. Nur wenn eines ihrer Lieblingslieder kam, ging auch sie einmal auf die Tanzfläche.

Svea hatte offensichtlich bereits auf sie gewartet, denn kaum hatte Enja den Flur betreten, stürzte sie auf sie zu und fasste sie am Arm. »Cordula ist schon da«, flüsterte sie ihr verschwörerisch zu, als ob die laute Musik jedes Gespräch nicht ohnehin übertönen würde. »Sie sitzt da hinten in der Ecke.«

Enja folgte mit ihren Augen der Richtung von Sveas ausgestrecktem Arm – sehr unauffällig, wirklich – und sah eine etwas in sich zusammengesunkene Frau auf dem Sofa klemmen. Sie hatte sich nach vorn gebeugt, und dunkle, lockige Haare verdeckten ihr Gesicht.

Äußerst skeptisch blickte Enja Svea an. »Sie sieht nicht so aus, als wollte sie wirklich hier sein.«

»Ach, das täuscht.« Svea zog sie am Arm hinter sich her. »Sie ist einfach nur ein schüchterner Typ.«

Am liebsten hätte Enja den Kopf geschüttelt, aber das konnte Svea sowieso nicht sehen. Und außerdem waren sie bereits am Sofa angekommen.

»Cordula?« Svea strahlte zuversichtlich die in die Ecke geklemmte Gestalt auf dem Sitzmöbel an. »Hier ist jemand, die dich kennenlernen will.«

Enjas Wangen plusterten sich automatisch auf, um zu protestieren, aber bei der lauten Musik hätte das eh niemand gehört, und das Gesicht hinter den dunklen Haaren hob sich zögernd. Es war ein hübsches Gesicht, wie Enja selbst in diesem schummrigen Licht sofort feststellen konnte, fast puppenhaft herzförmig, ein kleiner, süßer Schmollmund unter rundlich hohen Wangenknochen. Die dunklen Augen musterten sie fragend.

Diese Augen hatten so etwas Kindliches, dass Enja Sveas Aussage nun nicht mehr widersprechen konnte, ohne sich gemein vorzukommen. Stattdessen lächelte sie. »Hallo Cordula, ich bin Enja.«

Wie ein Echo von Enjas Lächeln hob ein leises Lächeln ebenfalls die Mundwinkel der Angesprochenen, ihre in die Ecke geklemmte Haltung änderte sich jedoch nicht. Sie sagte auch nichts.

Was Svea nicht daran hinderte, sich gegen allen offensichtlichen Anschein mit einem fröhlichen »Ich lass euch dann mal allein. Ihr habt sicher viel miteinander zu bereden!« zu verabschieden.

Enja blickte ihr kurz nach, schaute dann wieder zu Cordula hinunter und schmunzelte leicht kopfschüttelnd. »Svea ist einfach unmöglich.«

»Findest du?« Die braunen Augen öffneten sich erstaunt. »Ich finde sie sehr nett.«

»Ist sie ja auch.« Enja lachte. »Ich glaube, sie ist meine beste Freundin.«

»Du glaubst?« Die Aussage schien Cordula zu verwirren.

In diesem Moment erhoben sich die beiden Frauen, die bis jetzt mit Cordula auf dem Sofa gesessen hatten, um auf die Tanzfläche zu gehen, und Enja setzte sich neben sie. »Du musst nicht mit mir reden, wenn du nicht willst«, sagte sie freundlich. Sie lachte leicht. »Wir müssen nicht immer tun, was Svea uns befiehlt.«

Auch das schien Cordula eher zu verwirren als zu erleichtern. »Sie hat uns doch nichts befohlen.«

Anscheinend nimmt sie alles ziemlich wörtlich, dachte Enja. »Nicht direkt«, stimmte sie zu. »Du hast auch einen ebay-Shop?« Sie wandte den Kopf zu Cordula und schaute sie fragend an. »Svea sagte so etwas. Ich habe auch einen.«

»Ach ja?« Cordulas bislang etwas verwirrter Gesichtsausdruck schien sich leicht zu entspannen. »Was für einen?«

»Ich war mal für ein paar Monate in Afrika«, erklärte Enja, »und von dort hatte ich eine ganze Menge Zeug mitgebracht.« Sie lachte etwas verlegen. »Manchmal kann ich mich nicht beherrschen, wenn mir etwas gefällt. Dann muss ich es unbedingt kaufen.«

Cordula wurde immer lebendiger. »Das kenne ich«, sagte sie. »Ich kaufe mehr Puppen als ich verkaufe.«

»Puppen?«

»Ja.« Cordula nickte eifrig. »Ich habe einen Puppenshop. Ich repariere sie auch.«

»Ach?«, machte Enja. Puppen waren etwas, das sie in ihrem ganzen Leben noch nicht interessiert hatte. Sie hatte immer lieber Cowboy und Indianer gespielt. Ganz klar, sie hatten ungeheuer viel gemeinsam . . . Innerlich rollte sie die Augen, in was für eine Situation sie Svea da wieder einmal gebracht hatte. »Das klingt ja interessant«, fügte sie etwas lahm hinzu.

»Puppen sind wunderbar.« Cordula taute bei dem Thema offensichtlich auf. Sie begann schon leicht zu strahlen. »Meine ganze Wohnung ist voll davon.«

Das passt ja auch zu dir. Immer mehr hatte Enja das Gefühl, dass Cordula selbst wie eine Puppe aussah. Und sie konnte mit Puppen einfach nichts anfangen. Das hatte sich seit ihrer Kindheit nicht geändert.

Da sie nicht wusste, was sie sagen sollte, ließ sie ihren Blick über die Tanzenden schweifen. Ein paar der Frauen tanzten recht wild, und der Parkettboden vibrierte. Es war ein altes Haus, in dem Sabine wohnte.

»Afrika ist aber ziemlich weit weg«, bemerkte Cordula in diesem Moment und runzelte die Stirn. »Wo hast du da Urlaub gemacht? Kenia?«

»Es war kein Urlaub«, murmelte Enja und versank für einen Moment in sich selbst. Sie hätte das nicht erwähnen sollen. Afrika erinnerte sie an Florentina, und auch wenn die Trauertherapie ihr sehr geholfen hatte, kehrte das Gefühl des Verlustes doch immer wieder zurück, sobald es einen Anlass dazu gab.

»Kein Urlaub?« Das schien Cordula erneut zu verwirren. »Was hast du dann dort gemacht?«

»Gearbeitet«, sagte Enja. »Auf einer Farm, auf der verletzte Tiere gepflegt werden. Sie ziehen auch junge Löwen oder andere junge Tiere groß, wenn die Mutter gestorben ist. Manche Jäger erschießen auch Mütter mit Jungen.«

»Wie schrecklich!« Cordula riss die Augen auf.

»Junge Löwen sind süß.« Enja lächelte etwas wehmütig. »Du hättest sie bestimmt gemocht.«

Cordula nickte ernsthaft. »Ich mag Tierfilme. Besonders mit kleinen Tieren. Ich meine, mit jungen.«

»Genau«, bestätigte Enja. »Es war wie in einem Tierfilm.« Das stimmte nun überhaupt nicht, denn Florentina hatte als Tierärztin mehr mit den Seiten zu tun gehabt, die man normalerweise nicht in Tierfilmen sah. Aber das würde zu weit führen, wenn sie es Cordula erklärte. Dann hätte sie über Florentina sprechen müssen, und das wollte sie nicht.

»Na?« Svea kehrte zurück und blickte neugierig strahlend von einer zur anderen. »Ihr scheint euch ja gut zu unterhalten.«

»Enja war in Afrika«, teilte Cordula ihr leicht aufgeregt mit.

»Ich weiß.« Svea nickte. »Interessiert dich das auch?«

»Ich habe Angst vorm Fliegen.« Cordula verzog verlegen das Gesicht. »Deswegen werde ich dort wohl nie hinkommen.«

»Da könnt ihr bestimmt eine Lösung finden«, versicherte Svea ihr zuversichtlich.

»Eine Lösung für was?« Enja zog die Augenbrauen hoch.

»Na ja, wenn ihr dann zusammen Urlaub macht.« Anscheinend stand das für Svea schon fest.

Enja stand auf. »Kann ich dich mal kurz allein sprechen, Svea?«

Svea warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Ja klar. Wenn du willst.« Etwas widerstrebend wandte sie sich an Cordula. »Entschuldigst du uns mal gerade, Cordula?«

Ungeduldig trat Enja ein Stück zur Seite, und als Svea sich zu ihr gesellte, blickte sie sie strafend an. »Was soll das, Svea? Hatte ich dir nicht gesagt, dass ich nur unter bestimmten Bedingungen komme?«

»Findest du sie nicht nett?«, fragte Svea anscheinend aufrichtig verwundert.

»Ich kenne sie gerade einmal fünf Minuten.« Enja atmete seufzend tief durch. »Und ehrlich gesagt kann ich mich weder für Puppen noch für Tierfilme begeistern.«

»Sie hat einen ebay-Shop!«, wiederholte Svea, als ob das Grund genug wäre, eine Beziehung einzugehen.

»Für Puppen«, erinnerte Enja sie. »Wusstest du das nicht?«

»Nö.« Svea schüttelte gleichgültig den Kopf. »Danach habe ich nicht gefragt.«

»Offensichtlich nicht. Und selbst wenn es anders wäre . . .« Enja seufzte erneut. »Es bleibt dabei, was ich gesagt habe.«

»Wie soll ich da je mein Diplom als beste Partnervermittlerin für Lesben bekommen?« Svea seufzte auch, jedoch ausgesprochen theatralisch.

»Das wirst du nie bekommen, wenn du nicht die richtigen Leute zusammenbringst.« Nun konnte Enja sich ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen. »Es passt eben nicht jede zu jeder.« Ihre Mundwinkel verzogen sich noch mehr nach oben. »Übrigens mag sie dich.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Wusstest du das?«

Svea riss die Augen auf. »Mich?«

»Erschreckt dich das?« Enja lachte. »Wieso bist du eigentlich noch nicht verheiratet? Wo du das doch allen anderen aufzudrängen versuchst?« Gespielt harmlos hob sie fragend die Augenbrauen. »Solltest du da nicht mit gutem Beispiel vorangehen?«

Svea war so perplex, dass sie nicht antwortete, sondern Enja nur entgeistert anstarrte.

»Und hast du mir nicht mal erzählt, dass du auch Puppen hattest als Kind?« Enja klopfte ihr leicht auf die Schulter. »Ihr seid wie füreinander geschaffen. Du solltest dich wirklich mal mit ihr unterhalten.«

Liebenswürdig hauchte sie einen Kuss auf Sveas Wange, drehte sich kurz zur Seite, winkte Cordula freundlich zu und begab sich zielgerichtet zur Wohnungstür, um diese Party zu verlassen. Das war nun wirklich nichts, was sie momentan brauchte.

Als sie die Treppe hinunterging, schüttelte sie noch einmal den Kopf. Wie viele Jahre kannte sie Svea jetzt? Warum hatte sie etwas anderes erwartet?

Aber das hatte sie wohl auch gar nicht. Manchmal konnte sie nur schlecht nein sagen. Die Abwechslung war ja auch in Ordnung gewesen. Aber sollte Cordula mit der Absicht gekommen sein, auf dieser Party die Frau fürs Leben zu finden, so war es nicht Enja.

Allerdings hätte sie Svea gewünscht, dass sie selbst einmal die Medizin zu schmecken bekommen würde, die sie allen anderen verschrieb. Es war unfair einer Frau wie Cordula gegenüber, sie so vor die Wand laufen zu lassen. Enja machte es nichts aus, sie hatte sogar insgeheim schon damit gerechnet. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass Cordula Svea nicht so gut kannte wie sie.

Als sie unten die schwere Haustür aufzog, kamen ihr ein paar weitere Partybesucherinnen entgegen, die sie lachend ansahen. Sie freuten sich offensichtlich auf alles, was sie dort oben erwarten würde.

Enja lächelte. Sie gönnte ihnen ihr Vergnügen. Unter anderen Umständen hätte sie das vielleicht auch gehabt.

Immer noch halb in Gedanken betrat sie den Bürgersteig und achtete nicht darauf, dass ein Teil davon als Fahrradweg markiert war.

Ein lautes Klingeln schreckte sie auf, sie sprang gerade noch zurück, aber es war zu spät. Die Fahrradfahrerin musste gleichzeitig bremsen und ausweichen, und schon stürzte sie, und ihr Rad schlitterte kratzend noch ein Stückchen weiter.

Furchtbar erschrocken sprang Enja hinzu und half ihr auf.

Grauschimmernde Augen blitzten sie wütend an. »Sie schon wieder!«

Oh-oh. Enja hatte eine Sekunde länger gebraucht, die Frau zu erkennen, aber ihre Reaktion hatte sie unmissverständlich identifiziert. »Es . . . es tut mir leid«, stammelte sie. »Ich habe Sie nicht gesehen.«

»Das ist offensichtlich.« Die Frau klopfte sich den Jackenärmel ab und blieb an einem Riss hängen. »Verdammt!«, fluchte sie. »Die Jacke ist kaputt!«

»Sind Sie denn . . . in Ordnung?«, fragte Enja vorsichtig. »Eine Jacke kann man ersetzen, aber –«

»Oh ja, das werden Sie!« Die funkensprühenden Augen schienen sogar die Nacht zu erhellen. »Sie werden mir die Jacke ersetzen, das kann ich Ihnen versichern!«

»Natürlich«, sagte Enja. »Es tut mir wirklich leid –«

»Entschuldigen hilft gar nichts«, fauchte die andere. »Warum denken nur immer alle Leute, wenn sie sich entschuldigen, ist alles wieder gut?« Sie starrte Enja ins Gesicht. »Besonders Sie. Sie scheinen ja wohl gar nichts richtig machen zu können. Entweder Sie mischen sich in Dinge ein, die Sie nichts angehen, oder blockieren anderen den Weg, obwohl Sie da gar nichts zu suchen haben.«

»Ich war in Gedanken«, versuchte Enja zu erklären. »Normalerweise fahren hier bei Dunkelheit auch nicht so viele Fahrräder.«

»Ach, jetzt bin ich schuld?« Die Frau stemmte die Hände in die Hüften. »Weil ich es gewagt habe, mein Rad nicht nur tagsüber zu benutzen?«

»So habe ich das nicht gemeint . . .« Enja hatte das Gefühl, sie kam mit jedem Wort, das sie sagte, noch mehr vom Regen in die Traufe.

»Ist mir auch völlig schnurz, wie Sie das gemeint haben«, knurrte die andere. »Sie werden zahlen, und das nicht zu knapp!« Sie wollte sich hinunterbeugen, um ihr Fahrrad aufzuheben, aber sie erstarrte in der Bewegung, und ein unterdrückter Laut ließ vermuten, dass wohl Schmerz der Grund war.

»Haben Sie sich verletzt?« Besorgt trat Enja auf sie zu und hob nun selbst das Fahrrad auf, stellte es an einen Baum.

»Großartig.« Nun klang die zuvor so wütende Stimme leise. »Das hat mir gerade noch gefehlt.« Als sie sich erneut bewegen wollte, knickte ihr Bein weg, und Enja griff automatisch nach ihrem Arm. »Fassen Sie mich nicht an!«, war die giftige Reaktion.

Sofort ließ Enja wieder los. »Soll ich Sie in ein Krankenhaus bringen?« Beunruhigt musterte sie die krumme Haltung der Frau. »Haben Sie sich etwas gebrochen?«

»Das wäre ja noch schöner!«

»Ich kann Sie auch nach Hause bringen«, bot Enja an. »Mein Wagen steht da drüben. Das Fahrrad können wir in den Kofferraum legen. Denn so«, sie ließ ihren Blick von oben bis unten über die Frau streifen, »können Sie auf keinen Fall Fahrrad fahren.«

»Sagen Sie mir nicht –« Die Frau brach ab. »Ich kann ein Taxi nehmen«, murmelte sie dann plötzlich.

»Hören Sie . . .« Enja hob auffordernd beide Hände. »Ich bin eindeutig schuld. Also fühle ich mich verantwortlich. Außerdem müssen wir noch unsere Namen und Adressen austauschen, wegen der Versicherung.«

»Versicherung?« Die im Nachtlicht farblos erscheinenden Augenbrauen hoben sich.

»Meine Haftpflichtversicherung wird das bezahlen«, sagte Enja. »Ich bin selbständig, deshalb muss ich eine haben.«

»Na, das ist ja toll.« Die andere gab ein hohles Geräusch von sich. »Es wird Sie noch nicht einmal einen Pfennig kosten.« Auf einmal hob sie den Arm, als wollte sie sich an etwas festhalten, aber da war nichts.

Außer Enja. Diesmal krallten die Finger der Fahrradfahrerin sich in ihren Ärmel. »Ist Ihnen schwindlig?«, fragte sie, denn genauso sah es aus. Als sie die andere nun stützte, wehrte die sich nicht mehr. »Ich denke wirklich, ich sollte Sie ins Krankenhaus bringen.«

»Nein! Auf keinen Fall!« Das war eindeutig.

»Hier auf der Straße können Sie aber nicht bleiben«, stellte Enja fest. »Also kommen Sie . . .« Sie legte ihren Arm um die schmale Taille. »Ich bringe Sie ins Auto. Und dann sagen Sie mir, wo Sie wohnen.«

Anscheinend war die andere Frau nun zu schwach, um zu protestieren, und so konnte Enja genau das tun, was sie angekündigt hatte.

Als die Frau in ihrem Wagen saß, verstaute sie noch das Fahrrad im Kofferraum und setzte sich dann hinter das Steuer. »Wohin?«, fragte sie.

Mit ziemlich schwacher Stimme bekam sie die Adresse mitgeteilt und fuhr los.

Auf der Fahrt sprachen sie kein Wort, aber Enja hatte das Gefühl, dass das auch daran lag, dass die Frau neben ihr schon fast ohnmächtig war. Ob sie sie nicht vielleicht doch lieber ins Krankenhaus bringen sollte? Aber sie wollte sich nicht mit ihr streiten.

Resigniert seufzte sie. Die Frau war erwachsen. Sie konnte selbst entscheiden, was sie tun oder nicht tun wollte. Nach der Szene in der Post wollte Enja sich da nicht noch einmal einmischen.

Und angesichts der Umstände, die jetzt noch hinzugekommen waren, schon mal gar nicht.

Dafür, dass sie nur mit dem Fahrrad unterwegs gewesen war und dazu auch noch nachts, wohnte die Frau ziemlich weit draußen. Zum Schluss ging es zudem noch den Berg hoch. Das hätte sie allein in ihrem Zustand niemals geschafft.

Enja fand das Haus aufgrund ihres Navigationssystems sofort und hielt, als die leise gestellte Stimme aus dem Lautsprecher verkündete: »Sie haben Ihr Ziel erreicht.«

Sie wandte sich der Frau im Beifahrersitz zu, und da von einer Straßenlaterne Licht auf ihr Gesicht fiel, sah sie, dass sie tatsächlich eingeschlafen war. Dennoch wirkten ihre Züge nicht friedlich, wahrscheinlich wegen der Schmerzen, die sie auch im Schlaf fühlte.

Erneut dachte Enja daran, ihre Wünsche zu ignorieren und sie doch noch ins Krankenhaus zu bringen oder einen Notarzt zu rufen.

Als hätte die Frau ihre Gedanken gehört, schlug sie plötzlich die Augen auf.

»Wir sind da«, sagte Enja lächelnd. »Warten Sie kurz. Ich helfe Ihnen auszusteigen.« Sie sprang aus dem Wagen, bevor sie den Protest hören konnte, der dieser Ankündigung garantiert gefolgt war, lief um die Motorhaube herum und öffnete die Beifahrertür. Zuvorkommend reichte sie der Frau ihre Hand, die sie jedoch erwartungsgemäß ignorierte.

Mühsam versuchte sie, mit eigener Kraft auszusteigen, fiel aber wieder in den Sitz zurück.

»Wissen Sie was?«, fragte Enja. »Warum kippe ich den Wagen nicht einfach um, damit Sie rausfallen?« Sie hatte dieses Getue wirklich langsam satt.

Aus dem Inneren des Kombis kam ein Geräusch, das Enja nicht sofort einordnen konnte. Dann erkannte sie es, obwohl sie es kaum glaubte. Es klang wie ein unterdrücktes Lachen.

Unvermittelt streckte die Frau ihr eine Hand hin und ließ sich hochziehen. »Danke«, sagte sie und schaute Enja nun zum ersten Mal nicht verärgert oder wütend an. Sie verzog das Gesicht. »Das war ein furchtbarer Tag heute, und Sie haben mich gerade zum ersten Mal zum Lachen gebracht.«

»Wenigstens etwas.« Enja lächelte. »Nachdem ich Ihnen so viel Ärger gemacht habe.«

Die Frau atmete tief durch. »Würden Sie mein Fahrrad vielleicht bitte in die Garage bringen?«

»Natürlich«, sagte Enja. »Und dann gebe ich Ihnen meinen Namen und meine Adresse.« Sie ging nach hinten zum Kofferraum und öffnete ihn. »Wenn Sie mir Ihren verraten, wäre dann alles erledigt, damit Sie den Schaden ersetzt bekommen.«

»Ach eigentlich . . .«, die andere winkte ab, »ist das nicht so wichtig. Den Riss kann ich nähen, und das Fahrrad hat höchstens ein paar Kratzer abbekommen.« Sie betrachtete den Rahmen im Licht einer Außenlampe, die am Haus angebracht war.

»Und Sie?« Besorgt schüttelte Enja den Kopf. »Man weiß nie, was da noch nachkommt. Nachher haben Sie sich doch etwas getan.« Rasch schob sie das Fahrrad um die Ecke, in den offenstehenden Eingang der Garage.

Fast im selben Augenblick, als sie zum Wagen zurückkehrte, kam ein anderes Auto den Berg herauf und bog in die Einfahrt ein. Es war ein ziemlich großer BMW. Er wollte in die Garage fahren, aber das Fahrrad stand im Weg.

Der Wagen hielt an, und eine Frau stieg aus.

Bevor sie sich irgendwie äußern konnte, bemerkte die Fahrradfahrerin etwas hektisch: »Tut mir leid, Ulla, ich stelle es gleich weg.« Sie wollte losgehen, aber wieder schien ihr das Schmerzen zu bereiten, und Enja rief der Frau neben dem BMW zu: »Das war meine Schuld. Ich stelle es sofort an die Wand!« Sie war ein bisschen hin- und hergerissen, denn sie wollte gleichzeitig die Frau stützen, die immer noch etwas unsicher neben der Beifahrertür stand, doch dann entschloss sie sich, schnell in die Garage zu springen.

»Was ist denn los?«, fragte die BMW-Fahrerin namens Ulla, als sie kurz darauf ihren Wagen abgestellt hatte und zum Hauseingang kam. Sie musterte Enjas neue Bekannte fragend.

»Ich bin mit dem Fahrrad gestürzt«, sagte die. »Und . . .«, sie schaute Enja fragend an.

»Enja«, sagte sie rasch.

»Enja hier«, fuhr die Fahrradfahrerin fort, »hat mich nach Hause gebracht.«

»Irgendwas passiert?«, fragte Ulla. »Hast du dir wehgetan?«

»Ein bisschen«, gab die aschblonde Frau zu.

Ulla schüttelte tadelnd den Kopf. »Malin, Malin . . .« Sie warf einen Blick auf Enja. »Bringen Sie sie am besten rein, bevor sie noch umfällt.« Ohne ein weiteres Wort ging sie zur Haustür und schloss sie auf.

Etwas verwirrt blieb Enja stehen.

»Nun kommen Sie schon«, forderte Ulla sie auf. »Sie sehen doch, dass sie es nicht allein schafft.«

Das sah Enja in der Tat, aber sie fragte sich, warum Ulla Malin – immerhin kannte Enja jetzt wenigstens ihren Vornamen – nicht half. Anscheinend wohnten sie doch zusammen. Oder vielleicht mehr? Aber dann hätte Ulla sich doch fürsorglicher um ihre Freundin kümmern müssen.

Auch wenn sie die Bewegung nicht wirklich ausführte, sah Ulla jetzt so aus, als würde sie ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfen, und Enja beeilte sich, Malin wieder so um die Taille zu fassen, wie sie es schon einmal getan hatte, und sie zur Tür zu bringen.

Wenigstens hielt Ulla die für sie auf, auch wenn es so schien, als ob sie das nicht gern tun würde. »Legen Sie sie im Wohnzimmer aufs Sofa«, wies sie Enja an.

Malin stöhnte ein wenig. »Da vorn die Tür rechts«, sagte sie.

Enja brachte sie hinein und ließ sie nach ein paar Schritten langsam auf das Sofa sinken, half ihr, die Beine hochzulegen, und richtete sich dann auf. »Einen Moment«, sagte sie. »Bin gleich wieder da.« Sie lief zurück zum Auto und holte eine ihrer Geschäftskarten. »Hier steht alles drauf.« Sie legte die Karte auf den Wohnzimmertisch. »Wenn Sie mir jetzt nur noch Ihren Nachnamen sagen würden. Die Adresse habe ich ja schon.«

»Dengler.« Es klang ziemlich gedämpft, als machte es Malin große Mühe, ihren eigenen Namen auszusprechen.

»Kann ich wirklich nichts mehr für Sie tun?«, fragte Enja besorgt, denn dass Malin Dengler blass und mitgenommen aussah, war offensichtlich. Vielleicht hatte sie innere Blutungen.

Andererseits – so schlimm war der Fahrradunfall auch nicht gewesen. Enja war selbst schon oft genug vom Rad gefallen, und meistens war es mit ein paar blauen Flecken abgegangen. Möglicherweise lag der Grund für Malins Unwohlsein woanders. Sie warf einen Blick zur Tür, aber Ulla war ihnen nicht gefolgt.

»Nein, danke«, sagte Malin. »Ich bin ja jetzt zu Hause.« Ihre Stimme klang immer noch gepresst.

Ein merkwürdiges Zuhause, dachte Enja, aber das ging sie ja nichts an. Genauso wie sie nichts etwas anging, was diese Malin Dengler betraf. »Dann . . . dann gehe ich jetzt«, fuhr sie zögernd fort. »Meine Karte haben Sie ja.« Sie machte einen Schritt zur Tür hin. »Meine Versicherung«, sie räusperte sich, »wird sich bei Ihnen melden.«

Malin nickte, aber sie schien zu schwach zu sein, um noch einmal zu antworten.

Enja zögerte immer noch, doch in diesem Moment betrat Ulla das Wohnzimmer. Sie hatte sich umgezogen und trug nun statt des Geschäftskostüms, in dem sie aus dem Auto gestiegen war, eine Art Hausanzug.

Gleichgültig warf sie einen Blick zum Sofa hin, dann wandte sie sich an Enja. »Ist noch was?«

Die schroffe Art hatten die beiden jedenfalls gemeinsam. Höflichkeit war in diesem Hause wohl die Ausnahme.

»Nein.« Enja schüttelte den Kopf. »Es ist alles erledigt.« Sie schaute zum Sofa. »Gute Besserung. Melden Sie sich, wenn Sie noch etwas brauchen.«

»Sie braucht nichts«, erwiderte Ulla anstelle von Malin. »Und Sie gehen jetzt am besten.«

Da blieb Enja wohl nichts anderes übrig, als diesem Rat, der ganz offensichtlich eher ein Befehl war, zu folgen.

Als sie die Haustür hinter sich zuzog, hörte sie noch Ullas brüske Stimme: »Na, das hast du ja wieder mal toll hingekriegt!«

Kopfschüttelnd setzte sie sich ins Auto, warf noch einen letzten Blick auf die Haustür, startete dann den Motor und fuhr los.

3

»Das ist ja eine komische Geschichte«, sagte Svea ein paar Tage später, als sie sich zum Kaffee trafen. »Hat was von Hitchcock . . . das Haus auf dem Berg, düster, geheimnisvoll, doch nach außen hin tun alle so, als wäre nichts.«

»Tja, so was hätte ich mir auch nicht vorgestellt.« Enja umfasste ihren Kaffeebecher mit beiden Händen, während sie mit auf den Tisch gestützten Ellbogen trank und in die Luft starrte. »Ich dachte, sie wäre einfach nur schlecht gelaunt, aber jetzt habe ich das Gefühl, es steckt mehr dahinter.«

»Denkst du, sie haben da auch eine tote, ausgestopfte Mutter irgendwo im Schaukelstuhl sitzen?«, fragte Svea geradezu interessiert. »Okay . . .« Sie hob beide Hände, als sie Enjas Gesichtsausdruck sah. »War nur so eine Idee.«

Enja schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Worauf du alles kommst . . .« Sie schaute mit gerunzelter Stirn zur Seite. »Aber seltsam ist es schon, da hast du recht.« Wieder nahm sie einen Schluck Kaffee. »Nur denke ich«, verschmitzt lächelte sie Svea an, »deine morbide Phantasie geht da denn doch etwas zu weit.«

»Ich stehe eben auf Horrorfilme.« Svea zuckte die Schultern. »So ein Zombie hätte was.« Sie legte leicht den Kopf schief. »Übrigens . . . Du hast absolut nichts dazu gesagt, wie sie aussieht. Ist sie hübsch?«

»Svea!« Enja hätte fast ihren Kaffee verschüttet, weil sie den Becher empört schwenkte.

»Wieso sveast du mich?«, fragte Svea harmlos. »Sie ist offensichtlich nicht glücklich. Da ist irgendwas im Busch zwischen den beiden. Diese Ulla ist ja zum Fürchten.« Sie schüttelte sich regelrecht. »Oder ist das wie mit Cordula? Trösten ist nicht dein Ding?« Sie hob fragend die Augenbrauen.

»Das habe ich nicht gesagt.« Enja blickte sie strafend an. »Nur Cordula und ich passen nicht zusammen.«

»Versteh ich nicht«, sagte Svea. »Bis auf ihren Puppentick ist sie doch ganz nett.«

Enja lachte. »Ich hatte mal so eine Tante, die Puppen gesammelt hat. In ihrer Wohnung saßen auf jedem Sessel, auf jedem Stuhl, auf dem Sofa, auf dem Bett, sogar im Badezimmer und in der Toilette Puppen. Man fand gar keinen Platz mehr, um sich selbst hinzusetzen.«

»Auf die Toilette?«, fragte Svea.

Genervt rollte Enja die Augen. »Nicht direkt auf der Toilette. Sie saßen eben da drumherum und sahen dir quasi«, sie hätte sich fast geräuspert, »zu.«

Svea brach in einen Lachanfall aus. »Echt? Hat sich das dann irgendwie auf deine Verdauungsfunktionen ausgewirkt? Konntest du dann . . . nicht mehr?« Sie hätte sich bald gekugelt vor Lachen.

»Das ist wieder ein Thema für dich, hm?«, fragte Enja gutmütig lächelnd. »Ich kann mit Puppen einfach nichts anfangen«, fuhr sie fast etwas entschuldigend fort. »Und wenn ich mir vorstelle, die sitzen dann da mit ihren starren Porzellangesichtern im Bett, während – Nein, wirklich nicht.« Richtig schaudernd schüttelte sie sich.

»Ja, stimmt«, gab Svea zu. »Da könnte man sich beobachtet fühlen. Obwohl . . .«, sie überlegte ernsthaft, »auf der anderen Seite könnte es doch auch ganz anregend sein. Hast du dir noch nie vorgestellt, dass dir jemand zusieht? Allein oder wenn du mit einer Frau zusammen bist? Oder selbst zuzusehen?«

»Also weißt du, Svea«, Enja verzog ihr Gesicht zu einem sehr tadelnden Ausdruck, »du hast heute wirklich deinen morbiden Tag.«

»Morbid finde ich das gar nicht. Wir haben doch alle so unsere voyeuristischen Momente, oder nicht? Ich meine, wenn du anderen Frauen beim Tanzen zuschaust statt selbst zu tanzen –«

»Jetzt hör aber auf!« Enja lachte ungläubig. »Jemandem beim Tanzen zuzuschauen ist ja wohl nicht ganz dasselbe wie –«

»Wirklich?«, fragte Svea. »Ich finde, es ist auch eine Art von Voyeurismus. Genauso wie wenn man glücklichen Paaren bei ihrem Glück zuschaut, ohne selbst in einer Beziehung zu sein.«

»Na, na, na . . .« Enja stand auf und holte sich noch Kaffee aus ihrer Kaffeemaschine. »Geht das schon wieder los mit der Heiratsvermittlung? Und übrigens . . .«, fügte sie hinzu, als sie mit ihrem neu gefüllten Kaffeebecher zurückkam und sich wieder an den Tisch setzte, »führt das zu der Frage zurück, warum du dann immer noch in diesem voyeuristischen Zustand verharrst, statt dich endlich in ein glückliches Paar zu verwandeln.«

Erstaunlicherweise kam nicht die erwartete freche Antwort, sondern nur Schweigen.

Enja blickte sie überrascht an. »Ist sie hübsch?«, wiederholte sie dann Sveas Frage von vorhin neckend, während ihre Mundwinkel sich amüsiert verzogen.

»So fragt man Leute aus«, antwortete Svea.

»Und das von dir . . .« Mit einem vergnügten Blitzen in den Augen beugte Enja sich vor. »Da siehst du mal, wie das ist, was du immer mit uns veranstaltest. Fühlt sich gleich ganz anders an, oder?«

»Ich will doch nur, dass alle glücklich sind«, rechtfertigte Svea sich etwas lahm. »Und übrigens«, sie kehrte wieder zu ihrer selbstbewussten Art zurück, »habe ich zuerst gefragt.« Sie hob die Augenbrauen. »Also?«

»Aber nur, wenn du mir die Frage dann auch beantwortest.« So ganz ohne Bedingungen wollte Enja sich nicht ergeben.

»Deal«, sagte Svea.

»Ich habe nicht darauf geachtet, ob sie hübsch ist«, erklärte Enja schmunzelnd. »Erst hat sie mich nur angefaucht, und dann musste ich sie stützen, weil sie sich verletzt hatte. Sie ist sehr . . . zierlich. Das habe ich gemerkt, als ich meinen Arm um ihre Taille legte, weil sie nicht allein laufen konnte, aber ansonsten . . . Ihre Haare haben fast dieselbe Farbe wie ihre Augen, das ist mir aufgefallen. Aschblond.«

»Aschblonde Augen gibt es nicht.« Svea schüttelte den Kopf.

»Doch, bei ihr . . . schon.« Enja blickte nachdenklich. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Also sie hat schöne Augen? Willst du das damit sagen?«, fragte Svea ungeduldig.

»Ja, ich glaube . . . sie hat schöne Augen.« Stirnrunzelnd lehnte Enja sich mit ihrem Kaffeebecher in der Hand zurück. »Ungewöhnliche Augen.«

»Welche Frau, in die man sich verliebt, hat die nicht?« Svea rollte ihre eigenen Augen zur Decke.

»Verliebt?« Enja lachte laut auf. »Du spinnst ja! Das ist wieder so eine Wunschvorstellung von dir. Als ob man sich in jede Frau, die man zufällig trifft, gleich verlieben würde.«

»Sie ist . . . außergewöhnlich, hast du gerade gesagt«, beharrte Svea.

»Habe ich nicht.« Enja schüttelte den Kopf. »Und selbst wenn sie es wäre . . . Da steht immer noch diese rothaarige Katze Ulla davor. Ich glaube nicht, dass die so einfach abgibt, was ihr gehört.«

»Du denkst, Malin gehört ihr?« Svea horchte auf.

»Ach, das ist doch nur so eine Redensart«, beschwichtigte Enja. »Sie ist ein sehr besitzergreifender Typ, das auf jeden Fall. Ich würde ihr weder ihren BMW klauen wollen noch sonst irgendwas.«

»Das sonst irgendetwas solltest du vielleicht noch mal überdenken.« Svea hob die Augenbrauen. »Nicht dass du schon je irgendwelche kriminellen Ambitionen gehabt hättest. Eher ja wohl im Gegenteil.« Sie grinste. »Jetzt aber weiter mit der Beschreibung. So einfach lasse ich dich nicht aus meinen Klauen, auch wenn ich nicht Ulla heiße.«

»Und du bist auch nicht rothaarig«, ergänzte Enja lachend. »Ja, ich glaube, sie ist hübsch«, fuhr sie dann ergeben seufzend fort. »Ist es jetzt gut?«

»Das ist erst der Anfang.« Svea schlürfte ihren Kaffee genüsslich. »Haare, Augen – okay. Aber das sind ja nicht unbedingt die interessantesten Körperteile.« Ihre Mundwinkel zuckten. »Als du sie um die Taille gefasst hast, ist deine Hand da nicht vielleicht ganz zufällig ein bisschen höher gerutscht?«

»Du bist wirklich unmöglich. Ich wollte sie doch nicht betatschen.« Strafend schaute Enja Svea an. »Es war eine Hilfeleistung, sonst nichts.«

»Weiß Ulla das auch?«, fragte Svea unschuldig. »Sie hat dich ja geradezu rausgeschmissen. Das war doch nicht deshalb, weil du die Frau mit den aschblonden Augen nach Hause gebracht hast. Für so was wird man normalerweise nicht bestraft.«

»Es war ganz klar, dass wir nur unsere Adressen austauschen wegen des Unfalls«, behauptete Enja. »Sie hat doch gesehen, wie es ihrer Freundin ging.«

»Wer weiß, was die sonst noch so treibt?«, vermutete Svea fast in Miss-Marple-Manier. »Ich meine, man kann auch nur so tun, als hätte man sich den Fuß verstaucht. Kann keiner so schnell überprüfen. Und wenn sie das vielleicht öfter macht, ist Ulla misstrauisch, sobald eine fremde Frau auftaucht . . .« Sie ließ den Satz süffisant ausklingen.

»Dafür bekommst du aber kein Partnervermittlungsdiplom.« Enjas Augenbrauen wanderten nach oben. »Eben wolltest du mich doch noch mit Malin verheiraten. Und auf einmal schilderst du sie mehr wie eine Frau, von der ich mich fernhalten sollte.«

»Liegt vielleicht nur an dieser Ulla«, beschloss Svea großzügig. »Ich will nicht, dass du bei High Noon auf der Hauptstraße erschossen wirst.« Sie grinste wieder.

»Jetzt übertreibst du aber.« Enja lachte ungläubig auf. »Wir wissen beide nichts über diese Ulla, du hast sie noch nicht einmal gesehen, und wir unterstellen ihr die schlimmsten Dinge.«

»Ach, du auch?«, fragte Svea fast etwas überrascht.

»Na ja . . .« Enja verzog unschlüssig das Gesicht. »Ich wollte nicht da allein mit ihr in dem Haus sein, wenn ich nicht laufen könnte.«

»Sie hat sich nicht bei dir gemeldet?«, fragte Svea. »Malin Dengler meine ich. Sie hat ja deine Telefonnummer.«

Enja zuckte die Achseln. »Sie muss sich nicht bei mir melden. Die Versicherung hat sie bestimmt schon angerufen und alles mit ihr geregelt.«

»Doch nicht wegen der Versicherung . . .« Svea rollte erneut die Augen. »Denkst du nicht, dass es auch noch andere Gründe geben könnte, dich anzurufen? Wenn Ulla-Liebling mal gerade nicht da ist?«

»Du phantasierst dir da was zusammen . . .« Enja schüttelte missbilligend den Kopf. »Als ob irgendetwas zwischen uns gewesen wäre. Es war nichts!«

»Sie hat schöne Augen«, wiederholte Svea.

»Meine Güte!« Enja schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Geht es denn nicht in deinen verdammten Dickschädel, dass ich keine Frau brauche? Ich bin glücklich allein.«

»Bist du nicht«, behauptete Svea. »Du bist ganz zufrieden, das stimmt. War eine tolle Therapeutin, bei der du da warst. Aber glücklich . . . glücklich sieht anders aus. Glücklich warst du nur mit Flo.«

Enja zuckte zusammen.

»Sorry«, sagte Svea. »Ich wollte nicht –«

»Schon gut.« Enja hob eine Hand. »Alles in Ordnung. Die Trauertherapie hat zwar lange gedauert, aber du hast recht. Sie hat wirklich etwas gebracht. Ich kann jetzt an Flo denken, ohne in Tränen auszubrechen oder in Depressionen zu verfallen. Sie ist ein Teil von mir, wird immer ein Teil von mir sein, aber ich habe akzeptiert, dass sie tot ist, dass sie nie zurückkommen wird.« Ihre Stimme wurde leiser. »Dass ich ohne sie weiterleben muss.«

Svea griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Aber du bist zu jung, um für den Rest deines Lebens allein weiterzuleben«, sagte sie mitfühlend. »Selbst wenn du ein Taj Mahal für Flo bauen würdest, wäre das nicht dasselbe, als ob sie da wäre.«

Eine Sekunde schwieg Enja, dann überzog ein etwas schelmisches Lächeln ihr Gesicht. »Du meinst, mein ebay-Shop wird irgendwann einmal so viel einbringen, dass ich ein Taj Mahal bauen könnte?«

Erleichtert lachte Svea auf. »Ich würde es dir wünschen«, entgegnete sie. »Auch wenn ich nicht davon ausgehe. Aber . . .«, sie hob einen Finger, »ich gehe davon aus, dass diese Malin Dengler vielleicht ein bisschen Zuspruch gebrauchen könnte. Wenn sie sich nicht bei dir meldet, warum meldest du dich dann nicht bei ihr?«

»Bald kriegst du doch noch das Diplom.« Enja schmunzelte. »Du gibst nicht auf, hm?«

»Ich finde, euer Zusammentreffen hatte etwas sehr Romantisches«, meinte Svea. »So was kann ein Zeichen sein.«

»Dass sie mich erst anfaucht und ich sie dann über den Haufen renne, so dass sie sich verletzt?« Enja stieß die Luft durch die Nase aus wie ein schnaubendes Pferd. »Sehr romantisch, wirklich.«

»Man kann nie wissen«, orakelte Svea, »was das Schicksal mit einem vorhat. Aber wenn man alle Anzeichen in den Wind schlägt . . .« Sie hob die Augenbrauen. »Und da ist immer noch Ulla. Malin ist hilflos, Ulla mit ihr allein zu Haus . . .«

Schicksalsergeben seufzte Enja auf. »Na gut. Ich werde nachfragen, wie es ihr geht.« Sie schaute Svea streng an. »Aber mehr nicht.«

Nachdem Svea gegangen war, schaute Enja im Telefonbuch nach, aber eine Malin Dengler gab es nicht. Auch eine Ulla oder Ursula Dengler war nicht eingetragen. Hätte sie den Namen gefunden, wäre sie allerdings ziemlich erschüttert gewesen ob der Erkenntnis, dass Malin und Ulla verheiratet waren.

Nun ja, sie hätten Schwestern sein können. Auch wenn sie sich in keiner Weise ähnlich sahen.

Sie hatte nicht aufs Klingelschild geachtet. Wenn Ulla einen anderen Nachnamen trug, hätte sie ihn vielleicht dort lesen und sie jetzt im Telefonbuch finden können, aber so, wie die Dinge lagen, musste sie wohl hinfahren.