Wenn wir 1918 …… - Walter Müller - E-Book

Wenn wir 1918 …… E-Book

Walter Müller

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Beschreibung

Diese realpolitische Utopie von Walter Müller behandelt an Hand von fiktiven Berichten der SPD-Zeitung "Vorwärts" der Jahre 1918 bis 1930 den Traum einer sozialistischen Weltrevolution und einen sozialistischen Wirtschaftsraum. Zwölf Jahre der Hoffnung, der Geduld, des Erschlaffens; Jahre immer neuer Hoffnung und Enttäuschung, der Verbitterung, der Müdigkeit, der Gleichgültigkeit und der Verzweiflung. Der größte Teil der organisierten Arbeiterschaft folgte 1918 der reformistischen Einheitsparole. Wir begnügten uns leider damit, unseren Unwillen über die Politik der Ebert und Scheidemann, der Wels und Wisseil in Protestresolutionen kundzutun, — die natürlich in den Papierkorb wanderten. Die Führer fragten nicht nach unserem Willen. Sie missbrauchten die Macht, die wir ihnen vertrauensvoll übereignet hatten. Auf ihren Plakaten sagten sie: Die Sozialisierung marschiert! In Wirklichkeit aber ließen sie die weißen Garden der Bourgeoisie marschieren... So haben sie die Herrschaft des Kapitals wieder aufgerichtet. Seitdem sind zwölf Jahre vergangen, in denen Reformisten und Kapitalisten Gelegenheit hatten, die Richtigkeit ihrer Theorien unter Beweis zu stellen. Das katastrophale Resultat ist bekannt. Die demokratischen Illusionen sind verflogen.

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Walter Müller

Wenn wir 1918…..

Eine realpolitische Utopie

Wenn wir 1918….

Walter Müller

Eine realpolitische Utopie

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Müller

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2022

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Kapitel 1: WIE DER TAPFERE SOLDAT SCHWEJK IN DEN GROSSEN KRIEG EINGRIFF.

Kapitel 2: IM POLIZEIPRÄSIDIUM.

Kapitel 3: SCHWEJK VOR DEN GERICHTSMEDIZINERN

Kapitel 4: WIE SCHWVEJK AUS DER ANSTALT GEWORFEN WURDE.

Kapitel 5: SCHWEJK IN DER POLIZEISTATION IN DER SALMOVA STRASSE.

Kapitel 6: SCHWEJK KEHRTE ZU SEINEM HAUS ZURÜCK.

Kapitel 7: SCHWEJK ZIEHT IN DEN KRIEG.

Kapitel 8: WIE SCHWEJK AUF DEN TRAURIGEN STATUS EINES HEUCHLERS REDUZIERT WURDE.

Kapitel 9: SCHWEJK IM GEFÄNGNIS AUF DEM PRAGER PLATZ.

Kapitel 10: WIE SCHWEJK ZUM BURSCHEN DER MILITÄRSEELSORGE WURDE

Kapitel 11: SCHWEJK HÄLT DIE MESSE IM LAGER.

Kapitel 12: RELIGIÖSE KONTROVERSE.

Kapitel 13: SCHWEJK TRÄGT DIE LETZTE ÖLUNG.

Kapitel 14: SCHWEJK KOMMT ZU LEUTNANT LUKAS.

Kapitel 15: CATASTROPHE.

Vorwort

Zwölf Jahre. Jahre der Hoffnung, der Geduld, des Erschlaffens; Jahre immer neuer Hoffnung und Enttäuschung, der Verbitterung, der Müdigkeit, der Gleichgültigkeit und der Verzweiflung. Hunderttausend Jimmie Higgins blicken zurück auf zwölf verlorene Jahre. Treppauf, treppab sind sie gelaufen, sie haben geschwitzt, geschuftet, geredet und geschrieben, sie haben unzählige Versammlungen, Zahlabende, Kurse, Funktionär-, Kommissions- und Ausschusssitzungen besucht, haben Tausende von Mitgliedern und Abonnenten geworben, haben die Kleinarbeit bei Kommunal-, Landtags- und Reichstagswahlen getan. Zwölf Jahre lang sind sie jeden Sonntag kassieren gegangen. In rauchigen Lokalen haben sie sich bis spät nachts mit Gegnern auseinandergesetzt und gingen dann noch Plakate kleben. Und früh um fünf sind sie hundsmüde, die Margarinestulle in der Tasche, durch den grauen Morgen an ihr Tagewerk gegangen. Die Stunden, die diese Proletarier von ihrer Freizeit hingaben, — wer zählt sie zusammen? Viele hunderttausend Lebensjahre sind geopfert worden! Wofür das alles?

Wofür? Für die „Bewegung"! Für „die größte Arbeiterpartei der Welt", für die SPD.!

Ihre Opfer an Zeit, Geld, Kraft und Gesundheit waren das Kapital, das einzige Kapital dieser Proletarier. Sie opferten es ihrer Klasse, der schaffenden Menschheit, als Saatkorn für eine spätere gute Ernte.

Umsonst! Geerntet haben ein paar tausend „Genossen", die es sich in Amtsstuben, in Landrats-, Reichstags-, Aufsichtsrats- und Ministersesseln bequem machten. Die Massen gingen leer aus.

Nein! Sie sind noch ärmer geworden und noch entrechteter! Wie war das möglich? Wer ist schuld daran? Gleich Hunderttausenden habe ich oft über diese Frage nachgedacht... Die Flugblätter vom 9. November 1918, die ich diesem Buch voranstelle, gaben mir die Antwort: Wir waren blind vor zwölf Jahren. Hätten wir schärfer gesehen, hätten wir unsere Führer und den Sinn, den Wert ihrer Parolen und Taten durchschaut und als Sozialisten die Konsequenzen daraus gezogen, — die Weltgeschichte hätte einen anderen Lauf genommen. Welchen Lauf sie genommen hätte, das zu schildern versuche ich in vorliegendem Buch, das den Untertitel trägt:

„Eine realpolitische Utopie."' Ist das nicht ein Widerspruch? Utopien nehmen Kommendes vorweg. Sie erzeugen ein zweifaches Lachen.

Zuerst lachen die Neunmalklugen — die „Realpolitiker" — über die Phantasie des Verfassers.

Später — nach der Verwirklichung — spottet alle Welt derjenigen, die damals lachten, als die „Utopie" noch „Utopie" war. Möge mein Buch dies Schicksal teilen.

Lasst die Anderen lachen. Uns ist es bitter ernst, denn es geht um die Sache der ganzen arbeitenden Menschheit: um den Endkampf. Es genügt nicht, den Zustand zu zeigen, der heute sein könnte und morgen sein wird. Das wäre leicht und billig, wenn ich nicht gleichzeitig zeigte, wie das Ziel erreicht werden kann, wenn ich nicht sofort hinzufügte, dass der Sozialismus nicht von selbst kommt, sondern mit ungeheuren Anstrengungen und unter Opfern und Entbehrungen erkämpft werden muss.

Ist der ein Utopist, der die Anstrengungen zeigt, die notwendig gewesen wären, um das zu erreichen, was heute schon Wirklichkeit sein könnte?

Nein! Utopisten sind die anderen, die immer noch vom Hineinwachsen in den Sozialismus träumen, die „Marxismus" mit „Fatalismus" verwechseln, die immer ängstlich davor warnen, den Entwicklungsprozess zu stören oder gar zu beschleunigen.

Nichts kommt von selbst!

Oder ist etwa die bürgerliche Revolution von selbst gekommen? Haben Danton und Robespierre nicht gekämpft, nicht ihr Leben geopfert? Wurde die Bastille nicht erstürmt? Ist nicht Dutzend Mal Blut geflossen in den Straßen der Faubourg St. Antoine?

Die Pseudomarxisten aber träumen davon, dass die Geburt des Sozialismus sich ohne Wehen vollziehen könne. Der Marxismus ist eine Waffe!

Eine scharfe Waffe! Wenn man sie — wie Lenin — anwendet und nicht — wie Kautsky — im entscheidenden Moment ins Museum stellt. Der Marxismus lehrt uns, den Sinn alles Geschehens zu begreifen, lässt uns verborgene Zusammenhänge erkennen und zeigt uns, wann die gegnerische Stellung reif ist zum Sturm. Aber stürmen müssen wir selbst!

Dreierlei ist notwendig für die Person und für die Klasse, die einen Sieg erringen will: Erkennen, Wollen und Handeln. Bloße Erkenntnis nützt nichts, wenn sie nicht durch einen festen, unbeugsamen Willen und zielbewusstes Handeln ergänzt wird. Aber auch kräftiges Wollen und tollkühnes Handeln bleiben unwirksam, wenn sie nicht mit Erkenntnis gepaart werden, wenn nicht die objektiven Voraussetzungen für die Erreichung des umkämpften Ziels vorhanden sind.

Das ist der wahre Sinn des Marxismus! Darum nieder mit den falschen Marxisten, die uns immer noch einreden wollen, dass es auch ohne Kämpfe und Opfer gehe!

Die objektiven Voraussetzungen für den Sieg des Proletariats waren 1918 ebenso gut vorhanden wie heute. Utopisch an dem Buch ist nur die Annahme, dass auch die Köpfe reif waren. Tausendmal haben die reformistischen Führer versucht, die Schuld an der Niederlage der Revolution auf die Unreife der Massen abzuwälzen. Sie haben recht. Aber unsere ganze „Unreife" bestand darin, dass wir uns der Führung von Leuten anvertrauten, die „überreif" waren für das Revolutionstribunal.

Der Inhalt dieses Buches wäre keine Utopie, wenn wir 1918...

Erster Teil: Das Alte stürzt!

Extraausgabe Vorwärts - Sonnabend, den 9. November 1918

Generalstreik!

Der Arbeiter - und Soldatenrat von Berlin hat den Generalstreik beschlossen. Alle Betriebe stehen still. Die notwendige Versorgung der Bevölkerung wird aufrecht erhalten. Ein großer Teil der Garnison hat sich i geschlossenen Truppenkörpern mit Maschinengewehren und Geschützen dem Arbeiter - und Soldatenrat zur Verfügung gestellt. Die Bewegung wird gemeinschaftlich geleitet von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Unabhängigen sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Arbeiter, Soldaten, sorgt für Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung. Es lebe die soziale Republik!

Der Arbeiter - und Soldatenrat.

2. Extraausgabe - Vorwärts - Sonnabend, den 9. November 1918

Der Kaiser hat abgedankt!

De Reichskanzler hat folgenden Erlass herausgegeben: Seine Majestät der Kaiser und König haben sich entschlossen, dem Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch so lange im Amte, bis die mit der Abdankung Seiner Majestät, dem Thronverzichte Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reichs und von Preußen und der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt sind. Er beabsichtigt, dem Regenten die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage eines Gesetzentwurfs wegen der Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die künftige Staatsform des deutschen Volkes, einschließlich der Volksteile, die ihren Eintritt in die Reichsgrenzen wünschen sollten, endgültig festzustellen.

Berlin, den 9. November 1918 - Der Reichskanzler, Prinz Max von Baden

Es wird nicht geschossen!

Der Reichskanzler hat angeordnet, dass seitens des Militärs von der Waffe kein Gebrauch gemacht werde.

Parteigenossen! Arbeiter! Soldaten!

Soeben sind das Alleranderregiment und die vierten Jäger geschlossen zum Volke übergangen. Der sozialdemokratische Reichtagsabgeordnete Wels u.a. haben zu den Truppen gesprochen. Offiziere haben sich den Soldaten angeschlossen.

Der sozialdemokratische Arbeiter - und Soldatenrat.

3. Extraausgabe - Vorwärts - Sonnabend, den 9. November 1918

Arbeiter, Soldaten, Mitbürger!

Der freie Volksstaat ist da! Kaiser und Kronprinz haben abgedankt! Fritz Ebert, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei, ist Reichskanzler geworden und bildet im Reiche und in Preußen eine neue Regierung aus Männern, die das Vertrauen des werktätigen Volkes in Stadt und Land, der Arbeiter und Soldaten haben. Damit ist die öffentliche Gewalt in die Hände des Volkes übergegangen. Eine verfassungsgebende Nationalversammlung tritt schnellstens zusammen.

Arbeiter, Soldaten, Bürger! Der Sieg des Volkes ist errungen, er darf nicht durch Unbesonnenheit entehrt und gefährdet werden. Wirtschaftsleben und Verkehr müssen unbedingt aufrecht erhalten werden, damit die Volksregierung unter allen Umständen gesichert wird. Folgt allen Weisungen der neuen Volksregierung und ihren Beauftragten. Sie handelt im engsten Einvernehmen mit den Arbeitern und Soldaten.

Hoch die deutsche Republik!

Der Vorstand der Sozialdemokratie Deutschlands. Der Arbeiter - und Soldatenrat.

4. Extraausgabe – Vorwärts - 9. Nov.. 1918

Sieg der Revolution!

Noske in Kiel von roten Matrosen festgenommen! Ebert im Flugzeug nach Holland entflohen! Nieder mit den Reformisten!

Hoch die soziale Revolution!

Das revolutionäre Kriegskomitee

Nach kurzem, blutigem Kampf wurde das Vorwärtsgebäude von roten Soldaten besetzt. Die alte Vorwärts-Redaktion ist verhaftet. Das revolutionäre Proletariat hat seine Zeitung wieder in Besitz genommen.

Arbeiter und Soldaten! Seid auf der Hut!

Raus mit den Durchhaltepolitikern aus allen Redaktionen, Gewerkschafts- und Parteibüros!

Glaubt nicht den Beteuerungen der Renegaten! Sie wollen die Einheitsfront mit Bürgertum und Generalität. Wir wollen die Einheit des revolutionären Proletariats. Sie wollen Nationalversammlung, bürgerliche Republik, Rettung des Kapitalismus.

Wir wollen das Kapital enteignen und durch den revolutionären Kampf der vereinigten Arbeiter, Bauern und Soldaten den Sozialismus verwirklichen.

Bildet überall Einheitskomitees aus zuverlässigen Klassenkämpfern aller Arbeiterparteien! Lasst uns dem Beispiel der russischen Brüder folgen! Keine Gefühlsduselei! Handelt rasch und rücksichtslos!

Alle Macht den Räten!

Der revolutionäre Einheitsausschuss

Vorwärts - 10. November 1918

Die Ketten sind zerbrochen. Die Macht des Kaiserreiches ist zusammengebrochen wie ein Kartenhaus.

Der Versuch der Kaisersozialisten, die Revolution zu verhindern, ist gescheitert. Die schlimmsten Feinde der sozialen Revolution, Wilhelm II. und sein Sachwalter Ebert, der selbst gesagt hat, dass er die Revolution hasse wie die Sünde, — sie sind erledigt. Die Bourgeoisie hat die Waffen gestreckt. Die Reformisten verlieren zusehends an Boden. Die Bahn ist frei für die Entwicklung zum Sozialismus. Deutschland ist geschlagen. Deutschland hat den Krieg verloren.

Soldaten und Arbeiter, lasst den Kopf nicht hängen! Geschlagen ist die deutsche Bourgeoisie, den Krieg haben die Hohenzollern und ihre Trabanten verloren. Ihr habt gesiegt, Arbeiter und Bauern Deutschlands. Denn zum ersten Mal in der Geschichte haltet ihr euer Schicksal selbst in Händen! Kein leichtes Schicksal: Die Entente hat die Westfront zerschlagen. Bald werden ihre Heere an der Grenze stehen. Im ganzen Lande herrschen Hunger und Desorganisation, die letzten Reserven sind erschöpft. Das Bürgertum ist zwar geschlagen, aber nicht vernichtet, an hunderttausend unsichtbaren Fäden hält es die wirtschaftliche Macht noch in Händen. Gelingt es uns nicht, diese Fäden zu zerreißen, so war unser Sieg ein Pyrrhussieg. Gewaltige Aufgaben türmen sich vor uns: Vernichtung des kapitalistischen Systems, Errichtung der sozialistischen Republik, Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Unser Vaterland Deutschland ist von heute ab nur noch ein Teil des großen Vaterlandes aller Werktätigen, — des Bundes der sozialistischen Rätestaaten. Unsere Ostgrenze liegt von heute ab am Eismeer, am Stillen Ozean, in der Mandschurei und der Mongolei. Wir reichen unseren russischen Brüdern die Hand. Sie sind uns Vorbild und Ansporn gewesen. Sie haben nach dem Sturz des Zaren nicht Halt gemacht; trotz tausendfach ungünstigeren Verhältnissen im Innern und nach außen haben sie den Kampf mit der eigenen Bourgeoisie und mit den verbündeten Heeren der ausländischen Kapitalisten — der Entente und der Mittelmächte — todesmutig aufgenommen. Allen Anstrengungen der gegen sie verbündeten Welt, allen weisen Prophezeiungen der falschen reformistischen Freunde zum Trotz, sind sie unbeirrt und erfolgreich ihren Weg gegangen. Nach schweren Kämpfen und ungeheuren Opfern steht heute die Arbeiter- und Bauernmacht in Zentralrussland ungebrochen da. Dank euch, Brüdern und Bundesgenossen! Ihr habt uns den Weg gezeigt und unser Hirn von verderblichen Illusionen gereinigt!

Arbeiter, Bauern und Soldaten! Unser Dank an die heroischen Kämpfer im Osten darf nicht leeres Wort sein: Wir müssen ihnen Hilfe leisten.

In Sibirien und am Weißen Meer, unter dem Schutz der internationalen kapitalistischen Interventionsarmeen, in Finnland, in Lettland, Litauen und Polen, in der Ukraine, in Bessarabien, in der Krim und im Kaukasus unter dem Schutz der kaiserlich deutschen Generale haben sich die Banden der Konterrevolution gesammelt. Dieselben zaristischen Generale, die gestern noch gegen Deutschland kämpften, bekämpfen heute Arm in Arm mit dem „Landesfeind" von gestern ihre wirklichen Feinde: die erwachten Arbeiter und Bauern Russlands. Diese Tatsache erhellt besonders deutlich die wichtigste und dringendste Aufgabe, die wir zu lösen haben: Befreiung Osteuropas und Sibiriens von der Gefahr der Konterrevolution. Wir rufen die deutschen Soldaten und Kriegsgefangenen im Osten, die viereinhalb Jahre für Fremde gekämpft und gelitten haben, heute auf, die Waffen noch einmal in die Hand zu nehmen und für ihre ureigensten Interessen zu kämpfen. Für den sozialistischen Universalwirtschaftsstaat, der sich vom Rhein bis zum Amur, von der Nordsee bis zum Stillen Ozean, von der Adria bis zum Eismeer erstreckt und seine Grenzen bald weiter und weiter stecken wird, bis er die ganze befreite Welt umspannt.

Kein Zaudern jetzt, entschlossenes Handeln tut not. Kein Opfer darf gescheut werden. Zehn Millionen blühende Menschenleben sind dem Kapitalismus sinnlos geopfert worden. Die Opfer dagegen, die sich jetzt die vereinigten Arbeiter und Bauern auferlegen, sind nicht sinnlos! Sie allein können verhindern, dass die Herren von gestern ungestraft aus dem Völkermord hervorgehen und ihre fluchwürdige Macht grausamer und willkürlicher als vor dem Kriege wieder aufrichten. Sie allein können verhindern, dass der Kapitalismus erneut das schaffende Volk in Ketten legt, erneut die Erde zum Spielball seiner Spekulationen macht, dass er Millionen Arbeitslose auf die Straße wirft, die schwachen Nationen unterdrückt und auspresst, um schließlich abermals das Verbrechen von 1914 zu wiederholen: im Kampf um Absatzmärkte und Bodenschätze die Welt mit Krieg zu überziehen. Dieser Krieg würde noch viel entsetzlicher und verheerender als der letzte. Was sind dagegen die Kämpfe, die uns heute bevorstehen? Kameraden, Genossen!

Haltet aus! Und wenn ihr auch noch Monate und Jahre lang kämpfen und leiden müsst. Ihr schuldet es euch und euren Kindern!

Der Kapitalismus darf seine blutige Herrschaft nicht wieder antreten.

Wir setzen der Internationale des Geldes die Internationale der Arbeit entgegen, und der Endsieg wird unser sein. Gewiss, — Rom wurde nicht an einem Tage erbaut. Wir dürfen den Sinn für die Grenzen des Erreichbaren nicht verlieren. Wir werden mit den Westmächten Frieden schließen müssen, selbst wenn es ein harter Friede wird. Aber dieser Friede wird ungleich günstiger sein als jeder Friede, den man dem kleinen, ohnmächtigen Deutschland der Monarchisten und Reformisten diktiert hätte. Die große eurasische Republik kann von keiner Macht der Welt einem Diktat unterworfen werden. Sie wird den Frieden, wenn es sein muss, teuer bezahlen, — nie aber wird sie kapitulieren und sich das Gesetz des Handelns von ihren Feinden vorschreiben lassen.

Ex Oriente lux! Das Licht kommt aus dem Osten. Ein neuer Morgen der Menschheitsgeschichte dämmert. Mitteleuropa liegt unter den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Werden auch die englischen und französischen Genossen ihrer Aufgabe gewachsen sein? Wird die Sonne des Sozialismus bald auch über Westeuropa aufgehen? Wir wissen es noch nicht. Eins aber wissen wir ganz genau: Wir wollen zeigen, dass wir den Aufgaben der großen Zeit gewachsen sind. Wir werden unsere ganze Kraft daran setzen, auf den Trümmern des Kapitalismus eine neue, bessere Welt zu erbauen.

Verordnungen

In allen Abteilungen der Armee, in allen Fabriken und Betrieben sind sofort Arbeiter- und Soldatenräte zu wählen. Die Gewalt liegt überall in den Händen dieser Räte. Frühere Offiziere können als Vollzugsorgane und technische Leiter herangezogen werden, wenn sie sich bedingungslos der neuen Befehlsgewalt unterstellen.

Aus allen Arbeiter- und Soldatenräten sind sofort Delegierte in die Ortsräte zu entsenden.

Die örtlichen Räte entsenden auf je 1000 Einwohner und Soldaten je einen Delegierten in die Kreisräte. Auf je 20 Mitglieder eines Kreisrates wird ein Delegierter in den Bezirksrat gewählt. Auf je 3 Mitglieder des Bezirksrats wird von diesem ein Mitglied in die Rätevollversammlung, auf je 20 Mitglieder der Bezirksräte ein Mitglied in den Reichsexekutivrat entsandt.

Die Grenzen der Kreise und Bezirke werden gleichzeitig von den provisorischen Räten am Sitz der früher selbständigen Bundesstaaten bestimmt. In Preußen bilden die früheren Provinzen die Bezirke. In Bayern werden 3, in Württemberg 2 Bezirke gebildet. Alle übrigen früheren Bundesstaaten bilden vorläufig je einen Bezirk. Enklaven gehören zu dem Bezirk, in dem sie liegen.

Wahlberechtigt ist jeder werktätige Deutsche im Alter von über 20 Jahren. Unternehmer und frühere Offiziere haben vorläufig weder aktives noch passives Wahlrecht, wenn sie nicht einer sozialistischen Partei angehören.

Der vorläufige Revolutionsausschuss

An die deutschen Truppen in Finnland

Man schickte euch nach Finnland, um den Freiheitskampf der finnischen Arbeiter und Bauern niederzuknüppeln. Wichtiger als der Entscheidungskampf an der Westfront war dem Kaisertum die Unterdrückung der sozialistischen Revolution im Osten. Kameraden, die Stunde der Freiheit hat geschlagen.

Ihr braucht jetzt nicht mehr gegen eure eigenen Interessen zu kämpfen. Wählt sofort Soldatenräte und reiht euch in die rote Front ein! Offiziere, die sich der Befehlsgewalt des Soldatenrats unterstellen, können zur militärischen Leitung herangezogen werden. Alle andern sind zu internieren und bei jedem Versuch konterrevolutionärer Agitation oder Sabotage unverzüglich zu erschießen.

Das rote Oberkommando der Ostarmee

Vorwärts - 11. November 1918

Abrechnung mit den Renegaten

Es ist gelungen, mehrere illegale Versammlungen der Kaisersozialisten auszuheben. Sie hoffen noch immer, ihren Einfluss auf die Massen zurückzugewinnen. Sie hoffen noch immer, die Revolution abwürgen zu können, wie sie die Januarstreiks abgewürgt haben. Was taten denn diese Herren „Genossen", als sie glaubten, die Macht in Händen zu halten, als sie den Arbeitern einzureden versuchten: „die öffentliche Gewalt ist in die Hände des Volkes übergegangen," weil „Fritz Ebert, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Reichskanzler geworden ist"? Als die Massen nicht mehr zu halten waren, machten die Reformisten im geheimen Einvernehmen mit den Herren von gestern die Revolution auf dem Papier mit, um die Erregung zu dämpfen. In Wirklichkeit aber organisierten sie ohne Zögern die Konterrevolution. Exzellenz Scheidemann brach die Beziehungen zur russischen Sowjetregierung ab und wies Joffe aus. Ebert verbündete sich mit dem Großen Hauptquartier, mit Groener und Hindenburg. Seine Beziehungen zur Bourgeoisie wurden im Augenblick des Zusammenbruchs noch herzlicher, als sie schon waren. Kaum fielen die alten Ketten, da versuchten diese Lakaien das Proletariat in neue Ketten zu schmieden. „Nationalversammlung" war das Zauberwort, mit dem sie die revolutionären Energien zu bannen versuchten, mit dem sie die „Demokratie" — das heißt das Bürgertum und seine Macht — vor dem Ansturm der Massen retten wollten. Noske fuhr im Auftrage der kaiserlichen Regierung nach Kiel, um den Matrosenaufstand abzublasen. Als das nicht gelang, wollte auch er sich plötzlich als Revolutionär aufspielen. Doch die roten Matrosen durchschauten das Spiel und verhafteten ihn. Fast hätte er das Schicksal Heines, des kaiserlichen Kommandanten der kieler Festung, geteilt und wäre von den empörten Massen erschossen worden. Um wie viel besser wäre es für unsere Bewegung gewesen, wenn Noske schon 1907 von dem Parteitage ausgeschlossen worden wäre, auf dem er seine imperialistischen Anschauungen klar bekundete. Wie viel Hunger und Not, wie viel Millionen Tote und Verwundete wären der Menschheit erspart geblieben, wenn wir uns, wie die Bolschewiki in Russland, von den rechten Renegaten in der Partei befreit und rücksichtslos alle Elemente bekämpft hätten, denen die Geldsackdemokratie viel wichtiger erschien als der Sozialismus.

Endlich ist das Proletariat erwacht. Es duldet nicht, dass die Gehirne wieder von neuem umnebelt werden durch Leute, die den Ehrennamen „Sozialist" zu Unrecht führen. Ende Oktober bereits hat eine Geheimkonferenz treugebliebener Klassenkampf er aus fast allen größeren Orten Deutschlands und Österreichs folgende Entschließung gefasst: „Die Vereinigung der SPD., USPD. und des Spartakusbundes auf dem Boden des unversöhnlichen Klassenkampfes muss im Interesse der nahenden Revolution herbeigeführt werden. Alle Sozialisten, die es ernst meinen mit der Sache des Proletariats, haben sofort den Kampf gegen den Krieg, gegen das Kaiserreich, gegen den Kapitalismus und gegen die Opportunisten und Verräter in den eigenen Reihen aufzunehmen und zu organisieren. Wer sich diesen Beschlüssen nicht fügt, ist auszuschließen. Unverzüglich auszuschließen sind ferner alle Führer, die die Weiterführung der Kriegspolitik auch nach 1917 noch ermöglichten, sowie die Knebelung der proletarischen Meinungsfreiheit, die Absetzung linker Redakteure und die Maßnahmen der Staatsgewalt gegen die revolutionäre Agitation während des Krieges veranlassten oder förderten."

Auf derselben Zusammenkunft wurden fünf Delegierte für eine internationale Konferenz gewählt, die gestern zum ersten Mal tagte. Infolge der sich überstürzenden Ereignisse sah sich diese Konferenz vor völlig neue Aufgaben gestellt. Sie sollte ursprünglich die schwachen Fäden, die in Zimmerwald und Kienthal gesponnen wurden, fester knüpfen. Jetzt aber konnte sie sich bereits der Ausarbeitung von Richtlinien zur Sicherung der mittel- und osteuropäischen Revolution vor Anschlägen der Ententestaaten widmen. Besonders bemerkenswert sind die Ausführungen des französischen Delegierten, dessen Namen wir aus begreiflichen Gründen nicht veröffentlichen können. Er sagte: „Wir französischen Genossen begrüßen den Ausschluss der konterrevolutionären Führer. Wir befinden uns jetzt in derselben Lage wie ihr vor einem Jahre. Die Sicherheit der Revolution ist jetzt in höchstem Grade von unserer Haltung abhängig. Deshalb müssen wir einen Unterschied machen zwischen der Politik des Jahres 1914 und der des Jahres 1918. 1914 haben wir alle schwere Fehler gemacht. Die meisten von uns wurden vom chauvinistischen Taumel erfasst und schenkten den kapitalistischen Lügenmeldungen Glauben. Wir wären aber schlechte Marxisten, wenn wir unser Versagen 1914 nur einem Zufall zuschreiben würden. Schuld daran war die revisionistische Einstellung, die sich lange vor dem Kriege in fast allen sozialdemokratischen Parteien breit machte. Aber die Tat der russischen Genossen, die an den revolutionären Prinzipien festgehalten hatten, gab uns Gelegenheit, unseren Revisionismus zu revidieren. Was aber taten eure korrumpierten Führer? Sie bewilligten weiter Kriegskredite, obwohl von Landesverteidigung keine Rede mehr sein konnte und der Kampf im Osten ganz eindeutig gegen die russische Revolution und für die imperialistische Annektionspolitik geführt wurde. Sie haben zugesehen, wie die finnische Revolution mit Hilfe deutscher Truppen in Arbeiterblut ertränkt wurde. Dafür gibt es keine Entschuldigung. In diesem Augenblick musste selbst der verbohrtest Sozialpatriot den Kampf gegen den Krieg aufnehmen. Hättet ihr diese verräterischen Elemente nicht ausnahmslos ausgestoßen, — was sollten wir dann den französischen Proletariern sagen, wenn morgen unser Kapitalismus den Kampf gegen die deutsche Revolution aufnimmt? Wir sind überzeugt, dass die französischen Proletarier ihre Pflicht tun werden, sobald sie sehen, dass ihr Ernst macht mit der Revolution, dass ihr nicht nur das Firmenschild gewechselt habt, sondern den Klassenstaat wirklich beseitigen wollt."

Der Kongress stimmte der Rede des französischen Genossen begeistert zu und bestätigte den Beschluss des deutschen Geheimkongresses. Der Ausschluss der Kaisersozialisten ist damit von der Internationale bestätigt worden. Wir haben keine Gemeinschaft mehr mit Opportunisten und Renegaten.

An die Arbeiter und Bauern in Polen, Lettland, Litauen, Weißrussland, Rumänien, Bessarabien, in der Ukraine am Don, in der Krim und im Kaukasus

Unterdrückte aller Nationen!

Schwer lastete auf euch das Joch des Zarismus. Dann wurde die Knute abgelöst von den Bajonetten des deutschen Kaisers. Jetzt endlich hat die Stunde eurer Befreiung geschlagen.

Die deutsche Revolution reicht euch die Bruderhand. Zusammen mit euch und mit den revolutionären Arbeitern und Bauern Sowjetrusslands wollen wir den Bund der sozialistischen Rätestaaten errichten.

Der Sieg der sozialen Revolution ist die Vorbedingung eurer nationalen Befreiung.

Reiht euch ein in die revolutionäre Front! Besetzt die Fabriken! Jagt die Gutsherren zum Teufel!

Wählt Arbeiter- und Bauernräte!

Bildet rote Kampfformationen! Die Soldatenräte der roten Ostarmee werden euch mit Waffen versehen. Wir haben sie aufgefordert, sich den örtlichen revolutionären Vollzugsorganen der Arbeiter und Bauern zur Verfügung zu stellen. Brecht mit der Vergangenheit! Begrabt den nationalen Hader, der vom Zarismus künstlich genährt wurde, um euch alle um so bequemer unterdrücken zu können! Hoch die Freiheit der Nationen! Hoch die internationale sozialistische Revolution!

Vorwärts - 12. November 1918

Waffenstillstand

Endlich hat das sinnlose Morden ein Ende. Die Waffenstillstandsbedingungen sind hart, aber wir mussten sie annehmen. Die Proletarier hören auf, sich gegenseitig niederzumetzeln. Die Fronten haben sich geändert. Sie gehen nicht mehr an der Somme und an der Maas entlang, sie gehen quer durch alle Länder. Auf der einen Seite die Bourgeoisie, auf der andern das Proletariat. „Sozialismus" ist unser, „Kapitalismus" der anderen Feldgeschrei. Aber sie schreien es nicht laut, die da drüben, sie möchten überhaupt nicht mehr laut werden lassen, dass sie Kapitalisten sind. Sie schreien: „Demokratie", wenn sie Kapitalismus meinen, und „Nationalversammlung", wenn sie an Profitwirtschaft denken. Sie sind ja auf einmal so sozial geworden, unsere Herren Kapitalisten. Sie sind ja mit dem Munde so sozialistisch geworden, dass wir uns dagegen fast wie Waisenknaben vorkommen. Aber wir wissen, was dahintersteckt. Wir wissen, was es auf sich hat, wenn sich die Wölfe plötzlich ein Schafsfell umhängen. Und wir müssten tatsächlich Schafsköpfe sein, wenn wir darauf hereinfallen würden.

Waffenstillstand??

Ja, die Feinde von gestern haben uns die Waffenruhe zugestanden, wenn auch unter sehr harten, unter furchtbaren Bedingungen. Aber die Gegner von heute, unsere Herrscher von gestern, haben uns den Krieg erklärt. Eine Geheimkonferenz in Villa Hügel hat sich mit dem Beschluss des Rates der Volksbeauftragten über die Sozialisierung der Großindustrie befasst. Die Stinnes, Thyssen, Klöckner und Konsorten haben beschlossen, eine Kommission nach Paris zu schicken. Diese Kommission, die bereits in der Schweiz ist, hat den Auftrag, das interalliierte Hauptquartier zu ersuchen, nicht am Rhein Halt zu machen, wie im Waffenstillstandsabkommen vorgesehen, sondern auch das Ruhrgebiet, wenn nicht ganz Deutschland zu besetzen. Der Rat der Volksbeauftragten hat gegen die Beteiligten sofort Haftbefehl erlassen.

Ob die Alliierten dumm genug sein werden, dem Wunsche der deutschen Großkapitalisten Folge zu leisten? Glauben sie, ihre Truppen fest genug in der Hand zu haben, um sie im Falle eines Einmarsches der dauernden revolutionären Infizierung aussetzen zu können? Ludendorff und General Hoffmann haben es in Russland gewagt und zunächst recht behalten. Aber trotz einer gewissen Analogie liegen die Dinge heute ganz anders. Der deutsche Soldat ging damals vor, im Glauben Brot für das hungernde Deutschland zu beschaffen. Die Westmächte weigerten sich, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen. Der Krieg ging weiter. Jetzt aber ist der Krieg zu Ende. England und Frankreich sind nicht mehr bedroht. Die Macht des deutschen Militarismus ist gebrochen. Der Kaiser nach Holland geflohen. Die Revolution ist nicht mehr auf ein Land beschränkt, sondern hat halb Asien und Europa erfasst. Werden sich unter diesen Umständen die französischen und englischen Genossen willenlos dem Diktat ihrer Regierungen beugen?

Waffenstillstand??

Vorläufig ja. Der imperialistische Krieg ist zu Ende. Aber der Krieg gegen die sozialistische Revolution wird fortgesetzt werden. Wir müssen uns rüsten zur bewaffneten Verteidigung der Revolution. Die Erfahrung in Russland hat gelehrt, dass die alten Kampfverbände für den revolutionären Kampf in der Regel ungeeignet sind. Das revolutionäre Kriegskomitee hat deshalb beschlossen, bei jeder Ersatzformation im rechtsrheinischen Gebiet eine freiwillige rote Formation und ein rotes Rekrutendepot ins Leben zu rufen. Alle in die Heimat zurückkehrenden Kameraden sollen sich selbst entscheiden, ob sie zum Zweck der Demobilmachung zum Ersatztruppenteil gehen oder in das aktive rote Regiment eintreten wollen. Alle Regimenter, die im Osten stehen, werden in rote Regimenter umgewandelt. Alle Kameraden, die in diesen Regimentern stehen, sind verpflichtet, bis zum 31.Dezember auszuhalten. Vom 1. Januar 1919 ab können sie die Entlassung in die Heimat beantragen und werden durch rote Freiwillige aus Deutschland ersetzt. Die russischen Kriegsgefangenen in Deutschland und Österreich haben begonnen, rote Formationen zu bilden. Das Revolutionäre Kriegskomitee hat befohlen, diese roten Truppen mit dem erbeuteten russischen Kriegsmaterial auszurüsten.

Waffenstillstand:

Vier Jahre lang wurden täglich Hunderte und Tausende von Menschen geschlachtet. Vier Jahre Dreck, Not, Hunger, Verzweiflung. Vier Jahre Schlamm, Gas, Maschinengewehre, Drahtverhau, Läuse und Ratten. Vier Jahre Fliegerbomben, zerstückelte Menschenleiber, brennende Städte, vernichtete Dörfer, krepierende Pferde. Vier Jahre schwärende Wunden, eitrige leere Augenhöhlen, verspritztes Gehirn, unbegrabene Leichen. Gab es jemals vier Jahre, die so lang waren wie diese? So angefüllt mit Mutterleid und Kindesweh? So durchtränkt mit Blut? Sind jemals solche Ströme von Tränen geflossen? Schrie jemals die entstellte, aufgewühlte Erde so zum Himmel? Gab es jemals Wälder, die so aussahen wie die in der Champagne und in den Argonnen? Gab es jemals so gedrückte, verschmutzte, zerschundene und entmenschte Wesen wie an der Somme, vor Verdun? Schnitten schon einmal die Sägen der Chirurgen so andauernd in Menschenfleisch und Menschenknochen? Haben sich jemals die abgesägten Arme und Beine so zu Bergen gehäuft wie in diesen vier Jahren? Gab es das schon einmal, dass Menschen, vor fünf Minuten noch kerngesund, ihre gaszerfetzte Lunge in Stücken ausspieen? Vier Jahre verschüttete Unterstände, erstickende und verbrennende Menschen, Verwundete zwischen den Drahtverhauen, fünf Meter vom Kameraden entfernt und doch hilflos verdurstend, hungernd, schmerzgepeinigt, von Ratten lebendig angefressen. Vier Jahre gefangene Menschen, hinter Stacheldraht, fern von Weib und Kind, getreten und geprügelt, am Hungertyphus krepierend. Vier Jahre Hunger und Elend in der Heimat, rachitische Kinder, ausgemergelte Frauen in den Gasfabriken und an den Drehbänken. Und wofür das alles, wofür? Soll es umsonst gewesen sein?

Es ist nicht umsonst gewesen, wenn wir jetzt unsere Pflicht tun und die Opfer auf uns nehmen, die der Befreiungskampf der Menschheit von uns verlangt. Niemals gab es so günstige Möglichkeiten für die Erhebung des Proletariats wie jetzt. Sie sind teuer bezahlt worden, diese Möglichkeiten, sehr teuer. Und sie sind vergeblich bezahlt worden, wenn wir sie nicht restlos ausnutzen. Wir haben den Kaufpreis vergeblich bezahlt, 10 Millionen Menschen kamen sinnlos um, wenn wir den Weg jetzt nicht zu Ende gehen. Was ist zu tun? Wir werden versuchen, Frieden mit den Westmächten zu schließen. Wir werden dem französischen Volke beim Wiederaufbau der zerstörten Gebiete helfen. Wir werden vielleicht noch weitere Lasten auf uns nehmen

müssen. Aber wir werden nicht aufhören, unseren französischen und englischen Genossen zuzurufen: Folgt unserm Beispiel!

Wir werden niemals, auch nicht unter dem Druck von Waffengewalt, den Kampf für den Sozialismus aufgeben. Wir werden niemals unser Einverständnis dazu geben, dass Mittel- und Osteuropa zerstückelt und in kleinen Teilen für den Kapitalismus zurückerobert wird. Wir werden niemals den Kampf für den sozialistischen Weltbund aufgeben, und wenn wir uns unter dem Druck der kapitalistischen Armeen bis hinter den Ural zurückziehen müssten. Wir sind bereit, für den Frieden Opfer zu bringen, aber wir sind nicht bereit, der kapitalistischen Profitgier oder unserem Ruhebedürfnis die Zukunft der Menschheit zu opfern. Am Tage des Waffenstillstandes schwören wir den zehn Millionen Toten: „Ihr sollt nicht umsonst gefallen sein. Auf der mit eurem Blut gedüngten Erde soll eine neue, bessere Welt erstehen."

Verordnung

Die neu gebildeten Arbeiterwehren sind aus den Beständen der Militärarsenale sofort mit Waffen und Munition zu versehen. Jeder Anforderung von Ausbildungspersonal muss von den Ersatztruppenteilen sofort entsprochen werden.

Das revolutionäre Kriegskomitee

Letzte Telegramme

Halbinsel Krim Umsturz vollzogen. In Odessa Macht an Stadtsowjet übergeben. Französische Flotte im Anmarsch.

Oberster Soldatenrat Südostfront

Weiße Regierung gestürzt. Kiew und Charkow in der Gewalt der Sowjets.

Deutscher Zentralsoldatenrat in der Ukraine

Vorwärts - 16. November 1918

Lenin kommt nach Berlin

Lenin, der große Führer der russischen Revolution, ist vom Deutschen Rat der Volksbeauftragten befragt worden, ob er bereit sei, vorläufig die Leitung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu übernehmen. Heute ist folgendes Antworttelegramm eingelaufen:

Einverstanden. Komme am 28. November. Beruft Vertreter sämtlicher zukünftiger Bundesstaaten und sozialistische Gäste aus anderen Staaten nach Berlin. Nehmt Fühlung mit tschechischen Sozialisten, damit tschechische Legionäre Kampf gegen Revolution einstellen. Heimtransport erfolgt sofort, wenn weiße Führer abgesetzt. Begrüße eure Erfolge. Mit Unterstützung deutscher Truppen halten in Finnland, Litauen, Lettland, Weißrussland, Ukraine und Krim Sowjets Macht überall fest in Händen. In Finnland noch Kämpfe mit Weißgardisten. Bessarabien Räterepublik. Deutsche Soldaten und rote Partisanen bekämpfen erfolgreich rumänische Besatzungstruppen. Einige rumänische Regimenter meuterten. In Bukarest von Sozialisten und deutschen Soldaten Räteregierung proklamiert. Weiße rumänische Regimenter marschieren gegen Bukarest. Rote Offensive an Uralfront und Nordfront (gegen Archangelsk und Murmansk) begonnen. Eilsendet Truppen, Panzerzüge und Flugzeuggeschwader nach Bukarest, Pensa, Kasan und Petrograd. Angriff französischer Landungstruppen auf Odessa abgeschlagen.

Lenin

Vorwärts - 18. November 1918

Offiziersrevolte in Schweden?

Schon seit längerer Zeit waren kapitalistische und militaristische Kreise in Schweden bestrebt, Stimmung für eine Intervention in Finnland zu machen. Nach Niederwerfung der finnischen Revolution durch die kaiserlichen deutschen Truppen gelang es der schwedischen Regierung, diese Bewegung im Zaum zu halten. Nachdem sich nun die deutschen Truppen in Finnland auf die Seite der Revolution gestellt und Mannerheim entscheidend geschlagen haben, gewinnt die interventionistische Bewegung wieder an Boden. Die jetzige Regierung will sich nicht zu diesem Schurkenstreich hergeben. Die Offiziersverschwörer planen deshalb, die Regierung mit Waffengewalt zu stürzen und in Finnland einzuziehen, um gemeinsam mit der weißen Regierung Finnlands die Revolution niederzuwerfen. Die Sozialdemokratische Partei Schwedens hat beschlossen, den Kampf gegen die Interventionisten aufzunehmen und zwei Delegierte zum Alleuropäischen Kongress nach Berlin zu entsenden.

Ultimatum der Westmächte

Vom Interalliierten Hauptquartier ist folgendes Ultimatum eingegangen.

An den Rat der Volksbeauftragten

Es ist bisher kein Schiff der deutschen Flotte abgeliefert worden. Deutsche Truppen beteiligen sich am Kampf gegen die französischen Landungstruppen in Odessa. Deutsche Truppen haben in Polen, im Baltikum, in der Ukraine, in Rumänien und in den unbesetzten Teilen von Bulgarien die Räterepublik ausgerufen. Mitglieder der interalliierten Militärkommission sind bei ihrer Ankunft auf dem Warschauer

Flugplatz von deutschen Soldaten, angeblich im Auftrage des Warschauer Arbeiterrates, verhaftet worden. Das alles verstößt gegen die Waffenstillstandsbedingungen. Wir fordern: Sofortige Ablieferung der deutschen Flotte. Einstellung aller Kampfhandlungen in Russland und in den Randstaaten. Keine Einmischung in die' osteuropäischen Verhältnisse. Unterstellung aller deutschen Osttruppen unter das Kommando der interalliierten Militärkommission. Wenn diese Forderungen nicht innerhalb 24 Stunden erfüllt werden, wird der Kampf gegen die deutsche Westarmee wieder aufgenommen. gez. Foch

Die Pläne der Alliierten

Über die Schweiz erhielten wir wichtige Nachricht von französischen Genossen. Vom Interalliierten Hauptquartier werden folgende Pläne erwogen. Finnland mit Karelien soll ein selbständiger Staat, oder, wenn Schweden erfolgreich eingreift, zu Schweden geschlagen werden. Lettland und Litauen sollen selbständige Pufferstaaten bilden. Polen soll selbständig werden und an der Weichsel entlang einen Zugang zum Meer erhalten, so dass Ostpreußen durch einen polnischen Korridor vom übrigen Deutschland abgetrennt würde. Die Ukraine soll von Russland abgetrennt und ebenso wie das Kaukasusgebiet ein selbständiger Staat werden. Die von rumänischen Arbeitern und deutschen Soldaten gestürzte und aus Bukarest geflohene rumänische Regierung soll mit Unterstützung der französischen Flotte und einer interalliierten Interventionsarmee den Kampf gegen die rumänische, russische und deutsche Revolution fortsetzen. Zum Dank dafür soll Rumänien folgende Gebiete erhalten: von Russland — ganz Bessarabien, von Bulgarien — die Dobrudscha, von Ungarn — ganz Siebenbürgen und außerdem große Landstrecken mit rein magyarischer Bevölkerung.

Ein teuflischer Plan, begründet mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Als ob man die Arbeiter und Bauern in Finnland, im Baltikum, in Polen, Siebenbürgen, Bessarabien und in der Ukraine nach ihrer Meinung gefragt hätte. Die Kapitalisten aus diesen Gebieten vielleicht! Denn es sollen ja kapitalistische Randstaaten werden, beschützt von der Entente. Ein langer Riegel von kapitalistischen Pufferstaaten, vom Eismeer bis ans Kaspische Meer soll zwischen Deutschland und Russland gelegt werden, damit man die sozialistische Revolution zuerst in den Randstaaten, dann in Deutschland und schließlich in der Sowjetunion niederknüppeln kann. Damit wäre wohl den Kapitalisten in Westeuropa und Amerika gedient, aber nicht den werktätigen Klassen in den Randstaaten, denen man die nationale Freiheit verspricht. Das ist eine ganz infame Lüge, diese Parole von der nationalen Freiheit im Zeichen des Kapitalismus. In all diesen geplanten Randstaaten leben große nationale Minderheiten. Sie alle würden, wenn der teuflische Plan der Ententestaaten Wirklichkeit werden sollte, im Namen des Selbstbestimmungsrechts der Völker, von der feudalen und kapitalistischen Herrenschicht der herrschenden Nation vergewaltigt und unterdrückt werden. Nur im Sozialismus, nur im sozialistischen Bundesstaat kann die nationale Unabhängigkeit und kulturelle Freiheit verwirklicht werden. Das hat die Sowjetunion bereits bewiesen: sie hat den fast 200 Nationen, die auf dem Gebiet der Sowjetunion leben und die unter dem Zarismus gewaltsam unterdrückt und russifiziert wurden, völlige nationale und kulturelle Selbständigkeit verliehen. Für Mitteleuropa und den Balkan aber gilt dasselbe wie für Osteuropa und Nordasien. Wir sitzen in einer Zwickmühle. Der Kapitalismus spielt seinen letzten Trumpf aus. Sollen wir das Ultimatum ablehnen und damit Hunderttausende von deutschen Soldaten, die noch auf linksrheinischem Gebiete marschieren, den Kapitalisten des Westens überantworten oder es annehmen

und damit unsere Zukunft preisgeben? Sind unsere Arbeitsbrüder in den Randstaaten schon so weit, dass sie den Kampf gegen ihre Unterdrücker auch ohne deutsche Hilfe zu Ende führen können? Können sie sich wenigstens so lange halten, bis die russische rote Armee ihnen zu Hilfe kommt? Eine ungeheure Verantwortung liegt auf den Volksbeauftragten. Wie werden sie sich entscheiden?

Vorwärts - 19. November 1918

Die Antwort der Volksbeauftragten

Die gestern an das interalliierte Hauptquartier abgesandte Note hat folgenden Wortlaut:

Wir bestreiten die Berechtigung der gestellten Forderungen. Wir wollen aber nicht, dass noch einmal Proletarier auf Proletarier schießen. Wir wollen unsere Leidensgenossen in der englischen, französischen, amerikanischen, belgischen und italienischen Armee nicht vor die Frage stellen, ob sie dem Befehl ihrer Offiziere gehorchend auf ihre deutschen Brüder schießen oder der Stimme ihres Gewissens folgend mit den Soldaten der deutschen Revolution sich verbrüdern sollen. Wir wollen mithelfen am Wiederaufbau der durch den sinnlosen Krieg zerstörten Gebiete und nicht neue Städte und Dörfer in Schutt und Asche verwandeln. Wir appellieren an das Gewissen der Menschheit und beugen uns unter Protest der Gewalt. Um neues Blutvergießen zu vermeiden, sind wir zu folgenden Zugeständnissen bereit:

Die deutschen Osttruppen werden angewiesen, sich an keinem Kampfe gegen Truppen der Alliierten zu beteiligen. Die deutschen Osttruppen werden der interalliierten Befehlsgewalt unterstellt. Diese Anordnung verliert aber sofort ihre Gültigkeit, wenn den deutschen Truppen zugemutet wird, sich an der Bekämpfung der Revolution zu beteiligen.

Die zur Ablieferung bestimmten Schiffe der deutschen Flotte werden in drei Tagen die Anker lichten, vorausgesetzt, dass die Alliierten den Waffenstillstand nicht brechen.

Der Rat der Volksbeauftragten

Vorwärts - 20. November 1918

Genossen! Wahrt revolutionäre Disziplin!

In den letzten Tagen mehren sich die Klagen über Disziplinbrüche in den Ersatztruppenteilen. Es ist verständlich, wenn nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung mancher sich nicht gleich völlig der neuen Ordnung einfügen kann. Viele Kameraden, die vier Jahre und noch länger in der Zwangsjacke des Militarismus gesteckt haben, lehnen jetzt überhaupt jeden Zwang ab. Sie können noch nicht unterscheiden zwischen dem Kadavergehorsam in der kaiserlichen Armee und der freiwilligen revolutionären Selbstzucht, die jeder Soldat der roten Armee aufbringen muss, wenn sie ihren Kampf siegreich zu Ende führen will. Glaubt nicht, dass der Kampf schon zu Ende ist! Glaubt nicht, dass die Feinde der Arbeiterschaft, die Feinde der jungen sozialistischen Räterepublik, das Spiel bereits verloren gegeben haben. Wenn sie auch jetzt ruhig sind: sie warten nur auf einen günstigen Augenblick. Wehe uns, wenn es ihnen gelingt, die Macht zurückzuerobern! Wollt ihr, dass die Revolution in einem Meer von Blut und Tränen erstickt wird? Was werdet ihr einmal euren Kindern antworten, wenn durch eure Schuld die Revolution niedergeschlagen worden ist und eure Kinder, die weiter unter dem Joch des Kapitalismus seufzen müssen, euch fragen, weshalb ihr damals in den entscheidenden Stunden nicht eure Pflicht getan habt? Was werdet ihr ihnen entgegnen, wenn sie euch sagen werden: „Ach so, ihr Feiglinge, ihr konntet auf Befehl des Kaisers vier Jahre lang auf eure Klassengenossen jenseits der Grenze schießen. Ihr konntet kämpfen, hungern und frieren, konntet grausam sein und morden, gegen euer eigenes Interesse, solange euch der Stiefel des Kapitalismus im Nacken saß. Aber ihr konntet nicht die Selbstzucht und nicht den Mut aufbringen, um den revolutionären Kampf mit der nötigen Energie fortzusetzen. Ihr waret nur mutig und gehorsam, solange es um die Interessen eurer Klassengegner ging. Aber ihr wurdet feige und bockbeinig in dem Augenblick, als ihr für euch selbst, für eure Zukunft und für uns, eure Nachkommen, kämpfen solltet. Weil ihr den Zwang für die gute Sache verachtet habt, müssen wir jetzt unser Leben lang die Zwangsjacke des Kapitalismus tragen. Weil ihr müde wart vom kapitalistischen Krieg und kein Gewehr mehr in die Hand nehmen wolltet, müssen wir jetzt unsere Lungen von Gas zerfressen lassen und millionenweise krepieren. Schöne Väter seid ihr, schöne Helden, schöne Sozialisten! Schämt euch!!!"

Wollt ihr, Kameraden und Genossen, einmal so erbärmlich vor euren Kindern dastehen?

Nein Brüder, das wollt ihr nicht, das könnt ihr nicht wollen. Deshalb heißt das Gebot der Stunde: „Revolutionäre Selbstzucht".

Vorwärts - 21. November 1918

Friede, Freiheit, Brot - und die Scheidemänner

In mehreren Großstädten tauchten in den letzten Tagen Flugblätter einer illegalen Neugründung auf. Diese Flugblätter waren gezeichnet: „Alte sozialdemokratische Partei. Der Vorsitzende: Philipp Scheidemann." Exzellenz Scheidemann belieben darin, sich in den Mantel der Nächstenliebe zu hüllen. „Wo ist der Friede," fragt er, „wenn ihr durch Fortsetzung eurer utopischen Politik den Einmarsch der Ententetruppen provoziert? Wo ist die Freiheit, wenn ihr die Presse knebelt? Wo bleibt das Brot, wenn ihr durch überstürzte Sozialisierungsmaßnahmen die Privatinitiative lähmt und die Produktion drosselt, wenn ihr der Entente keine Garantien gebt, die sie zur Aufhebung der Blockade bewegen?"

Sieh mal einer an, wie menschenfreundlich Exzellenz plötzlich geworden sind. Aber Sie sollen nicht glauben, dass wir auf Ihr Geschwätz hereinfallen. Die Massen wollten schon lange den Frieden, als Sie noch immer Kriegskredite bewilligten. Warum haben Sie damals nicht Ihre Menschenfreundlichkeit entdeckt? Die Massen schrieen auch damals nach Brot, als Sie mit Ihren Komplizen im Großen Hauptquartier an überladenen Tafeln saßen. Sie wagen es, die Opfer zu bejammern, die noch fallen werden, aber Sie hätten bedenkenlos noch weitere Millionen Menschenleben geopfert, Sie hätten das Volk noch jahrelang hungern lassen, wenn die deutschen Imperialisten den Krieg fortzusetzen vermocht hätten. Dem „Levee en masse" des bankrotten Kaiserreichs hätten Sie begeistert zugestimmt, — die proletarische Massenerhebung zur Verteidigung der internationalen sozialistischen Revolution lehnen Sie entrüstet ab. Ersparen Sie sich jede weitere Mühe, Exzellenz! Ihre Krokodilstränen rühren uns nicht. Folgen Sie Ihrem Freunde Ebert nach Holland!

Wilhelm II. hat sicher noch eine Lakaienstelle für Sie frei. Im roten Deutschland aber sind Sie nicht am Platze. Oder wurden die Flugblätter vielleicht herübergeschmuggelt, sitzen Sie etwa schon drüben? — es wäre Ihnen zu wünschen, denn das Revolutionstribunal macht kurzen Prozess mit Ihresgleichen. Verlassen Sie sich darauf und sagen Sie es Ihren Freunden weiter. Machen Sie sich keine Hoffnung. Die Reformisten haben ein für allemal ausgespielt.

Vorwärts - 22. November 1918

Im Osten wird aufgeräumt - Ganz Südfinnland in Händen der Roten Armee.

Die aus der Front gezogenen deutschen Truppen werden in Wasa, Tammerfors, Helsingfors und Wiborg stationiert. In Warschau haben Weißgardisten am 16. November einen Aufstandsversuch unternommen, an dem sich auch deutsche Offiziere beteiligten. Nach schweren Kämpfen gelang es der roten Arbeiterwehr, die aus deutschen Militärarsenalen mit Waffen versehen worden ist, den Feind aus der Stadt zu verdrängen. Die Weißen haben Verstärkungen aus den Landbezirken erhalten und ziehen sich kämpfend in Richtung Brest-Litowsk zurück. Seite an Seite mit den polnischen Rotgardisten, unter denen sich die Metallarbeiter besonders bewährten, kämpften deutsche Bataillone und das erste rote russische Regiment, das aus Kriegsgefangenen des Lagers Neuhammer formiert wurde und sich jetzt den Weg in die Heimat erkämpft. Die deutschen Truppen sind gestern auf Grund der Vereinbarungen mit dem Interalliierten Hauptquartier aus dem Kampf gezogen worden. Sie wurden abgelöst von einer neugebildeten Formation der Roten Garde und von dem zweiten und dritten russischen Kriegsgefangenenregiment, das erst gestern morgen in Warschau ausgeladen wurde. In Brest-Litowsk ist der weiße Aufstand durch den Verrat deutscher Offiziere geglückt. Der Versuch, die deutschen Soldaten zur Teilnahme am Kampf auf Seiten der Weißen zu bewegen, gelang nur in sehr geringem Umfange. Der größte Teil der deutschen Truppen schlug sich nach Osten durch, wo von Pinsk her die russische rote Armee anrückt. Die Telegraphenstation wurde noch einige Stunden von roten Truppen gegen den Ansturm der Weißgardisten gehalten. Wir bringen nachstehend ein Dokument dieses heldenhaften Verteidigungskampfes:

Das letzte Telegramm aus Brest-Litowsk

„aufstand geglückt, weil Wachsamkeit der deutschen truppen nachließ. schuld ist letzter befehl, der einmischung in innere Verhältnisse verbot. mehrzahl der deutschen offiziere hat sich an Weisung nicht gehalten, sondern sich aktiv am aufstand beteiligt und alle treugebliebenen Offiziere und mannschaften erschossen oder totgeprügelt. nur drei offiziere konnten sich mit roten mannschaften nach osten durchschlagen. soldatenrat will aktiv am kampf um wiedereroberung von brest-litowsk teilnehmen, falls festung nicht vor anrückender roter armee kapituliert. Weißgardisten greifen unser telegraphenamt an, zum drittenmal... wir... vier mann... beteiligen... uns vom Fenster aus ... am kampf, Weißgardisten übersteigen mauer, deutsche offiziere dabei. weiße fahne... Waffenstillstand... parlamentär vorgeschickt... befehl .., waffen niederlegen keine Verhandlungen... bedingungslos niederlage. Übergabe... kameraden kommen aus dem hause, legen waffen nieder... deutscher offizier erschießt parlamentär... Weißgardisten stürzen sich auf gefangene... ermordet ... wir eröffnen wieder kampf vom fenster aus... kamerad kornmann kopfschuss tot... kamerad krause brustschuss... telegraphist müller auch tot... ich meyer... tippe weiter... linke hand taste... rechte revolver... "

Auch Kamerad Meyer wird seine Treue zur Revolution mit dem Tode bezahlt haben. Welcher von den vielen Meyers war das, welcher von den vielen Meyers, die im Osten und Westen, in Kälte und Sonnenbrand für das Kaiserreich gekämpft und gelitten haben? Jetzt sind sie tot, die Kameraden Kornmann und Krause und Meyer und Müller. Ebenso tot wie ihre vielen Namensvettern, deren Knochen vor Ypern, an der Somme, vor Verdun und am Isonzo bleichen.

Ja, jetzt sind sie tot, aber sie fielen nicht mehr für den Kaiser, nicht mehr für den Kapitalismus, sie opferten freiwillig ihr Leben für die Revolution, für die Sache des Volkes. Und vor ihrem Tode haben sie uns einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Sie haben uns die Augen geöffnet. Sie haben uns gezeigt, welches Schicksal uns erwartet, wenn wir auch nur einen Augenblick nachlassen, wenn wir weich werden und auch nur eine Minute lang vergessen, unsere Pflicht zu tun.

Wir danken euch für diesen Dienst, Kamerad Kornmann, Meyer, Müller und Krause. Wir danken euch und werden euch rächen. Eure Mörder werden ihrem wohlverdienten Schicksal nicht entgehen.

Vom Osten und vom Westen her gehen die roten Truppen gegen Brest-Litowsk vor. In Lodz ist der weiße Aufstand mühelos von der roten Arbeiterwehr unterdrückt worden. Die letzten weißen rumänischen Truppen haben sich auf Galatz, Braila und Ismail zurückgezogen. Von Norden her rücken Deutsche, Russen und Rumänen, von Bukarest aus Deutsche und Rumänen gegen sie vor. Bald werden auch diese beiden Punkte, die letzten Hoffnungen der Gegenrevolution, in unserem Besitz sein. Dann ist der Osten frei. Die Landungstruppen der Entente in Odessa wurden ins Meer zurückgeschlagen. Im Norden rückt die russische rote Armee gegen das Eismeer vor. In Sibirien sind Verhandlungen mit den tschechoslowakischen Legionären eingeleitet. Bald wird auch Sibirien frei vom Feinde sein. Bulgarien wurde von Ententetruppen besetzt. Werden auch die Italiener weiter vorrücken? Wiederum ist es den Kapitalisten der Westmächte gelungen, französische und englische Proletarier vorzutreiben zum Kampf gegen ihre Brüder. Wie lange noch?

Vorwärts - 23. November 1918

Der Waffenstillstand gekündigt!

Der Waffenstillstand ist gekündigt worden. Das ist die Kriegserklärung der kapitalistischen Weststaaten an die internationale sozialistische Revolution. Begründet wird dieser Schritt mit der noch nicht vollzogenen Ablieferung der deutschen Kriegsschiffe und Unterseeboote sowie mit der Mitwirkung deutscher Truppen bei der Einnahme von Brest-Litowsk und bei der Umzingelung und Gefangennahme der Reste der königlich rumänischen Armee bei Galatz und Braila. Außerdem sollen deutsche Truppen bei den Kämpfen in Budapest nach Ausrufung der ungarischen Räterepublik auf Seiten der Revolutionäre mitgewirkt haben.

Die Kündigung des Waffenstillstandes erfolgte mit 48 stündiger Frist. Die Entente hat sich also formell an die Bestimmungen des Waffenstillstands-Abkommens gehalten, in Wirklichkeit aber die Kriegshandlungen schon in der letzten Nacht wieder aufgenommen. Ein deutsches Regiment, das sich noch auf belgischem Boden befand, ist von französischen Truppen umzingelt und gefangen genommen worden, obwohl das Gebiet, auf dem es sich befand, erst am 24. November geräumt werden sollte. Im Skagerrak sind schon am 22. November 2 deutsche U-Boote, die von großer Fahrt zurückkamen, von englischen Kriegsschiffen in Grund gebohrt worden, weil die Besatzung sich weigerte, einen englischen Hafen anzulaufen.

Der Zentralrat der Nord- und Ostseeflotte hat daraufhin beschlossen, die Flotte sofort nach dem Osten in Fahrt zu setzen, wo sie sich mit der roten Baltischen Flotte vereinigen soll. Die Ostseeflotte hat bereits gestern nachmittag Kiel verlassen. Der gestern früh von Wilhelmshaven ausgelaufenen Nordseeflotte ist es gelungen, die Eibmündung zu erreichen. In der Helgoländer Bucht versucht eine englisch-französische Flotte, den deutschen Minengürtel, der ständig verstärkt wird, zu durchbrechen. Das vor acht Tagen begonnene Minensuchen ist eingestellt worden. Aus der Erwägung heraus, dass in absehbarer Zeit doch keine deutsche Flotte in der Nordsee operieren wird, hat der rote Matrosenrat der Nordseeflotte beschlossen, alle vorhandenen Minenvorräte in der Elb- und Wesermündung auszustreuen. In der Ostsee, am Südausgang des Sundes und des Belts, sollen dagegen nur an bestimmten Punkten verankerte Minen gelegt werden.

Der Zentralsoldatenrat der Westfront und das rote Oberkommando der Westarmee haben folgende Befehle erhalten:

„Sollte das Feuer von gegnerischer Seite eröffnet werden, so ist es auf keinen Fall zu erwidern. Die freiwillige Ablieferung von Kriegs- und Beförderungsmaterial ist sofort einzustellen. Den Truppenteilen werden ausreichende Geldmittel zur Verfügung gestellt, um alle Beförderungsmittel, Pferde und Wagen, Last- und Personenautos auf deutschem Gebiet für den Rücktransport von Truppen, Lebensmitteln und Kriegsmaterial aufzukaufen. Wenn Verkauf verweigert wird: requirieren! Es ist sofort eine Aufnahme-Stellung zum Schutz des Rheinüberganges vorzubereiten. Alle Truppen sollen versuchen, in Eilmärschen sich vom Gegner zu lösen und die Aufnahmestellung zu erreichen. Da die Rheinbrücken für den beschleunigten Rückzug der Truppen und die Rettung des erfassbaren Materials nicht ausreichen, werden sämtliche Kähne auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen mit dem heutigen Tage requiriert und sind mit Bemannung sofort zur Verfügung zu stellen. Auf der Strecke von Mannheim bis Bonn sind, soweit möglich, sofort weitere Pontonbrücken unter Verwendung von requirierten Rheinkähnen und mit Hilfe der Arbeiterschaft zu bauen. Die Arbeiterräte im Ruhrgebiet sowie in Mainz und Mühlheim haben beschlossen, sofort alle Kähne zu entladen und für den Transport zur Verfügung zu stellen. Fußtruppen sind möglichst in Kähnen überzusetzen. Die Brücken sind für den Übergang von Fahrzeugen und Pferden freizuhalten."

Vorwärts - 25. November 1918

Krieg der Entente gegen die Revolution!

Belgien, Luxemburg, Nordfrankreich und Elsass-Lothringen sind von den deutschen Truppen geräumt. Nur 24 Stunden lang haben die Alliierten die Fiktion aufrechterhalten, dass sie die Kündigungsfrist einzuhalten bereit seien. Sie hofften, nach Ablauf der 48 Stundenfrist noch zurechtzukommen, um das Gros der deutschen Nordarmee durch einen Süd-Nordvorstoß gegen Aachen und den Maastrichtzipfel abschneiden zu können. Dann merkten sie aber, dass sie sich verrechnet hatten. Vierundzwanzig Stunden vor Ablauf des Waffenstillstandes wurde der Grenzort Malmedy bombardiert und von französischen Truppen gestürmt. Die nördlich Malmedy stehenden Truppen setzten sich zur Wehr, um nicht in Gefangenschaft zu geraten und um den nördlicher marschierenden Truppen den Rücken zu decken. Jetzt ziehen sich unsere Truppen, nachdem die Gefahr, die dem rechten Flügel drohte, abgewendet worden ist, nord- und ostwärts zurück. An der ganzen übrigen Front haben wir das Feuer, das von den Ententetruppen eröffnet wurde, nicht erwidert. Obwohl bei dem scharfen Tempo des Rückzuges an den meisten Stellen fünf bis zehn Kilometer Abstand zwischen den deutschen und Ententetruppen besteht, haben die Ententetruppen das Artilleriefeuer an allen Stellen aufgenommen, wo sie die deutsche Grenze überschritten haben.

Vom Rate der Volksbeauftragten wurde folgender Funkspruch aufgegeben:

An das Interalliierte Hauptquartier

Wir protestieren gegen den Bruch des Waffenstillstandes. Obwohl die deutschen Truppen sich überall kampflos zurückziehen, ist Ihrerseits das Feuer auf der ganzen Front wieder aufgenommen worden.

Wir sind nach wie vor bereit, das ganze linksrheinische Gebiet kampflos zu räumen und ersuchen dringend um Einstellung der Feindseligkeiten.

AUFRUF

an alle Soldaten der französischen, englischen, belgischen, amerikanischen und italienischen Armee.

Das Proletariat in Deutschland und Österreich-Ungarn, in Polen, in der Ukraine und in Rumänien hat seine Ketten abgeworfen. Wir wollen auf den Trümmern des Kapitalismus ein neues sozialistisches Gemeinwesen auf überstaatlicher Grundlage errichten und uns dem Freiheitskampf unserer russischen Brüder anschließen. Der Krieg ist zu Ende. Der deutsche Kaiser, der russische Zar, der Kaiser von Österreich, sie sind nicht mehr. Trotzdem will man euch wieder zum Kampf gegen uns führen. Ihr sollt ein neues Blutvergießen beginnen, obwohl wir uns verpflichtet haben, kampflos das linke Rheinufer zu räumen. Warum hetzt man euch auf uns? Weil unsere Revolution nicht Halt gemacht hat mit der Absetzung der Monarchen, weil wir es nicht genug sein lassen mit der Beendigung des jetzigen Krieges, sondern weil wir auch die Ursache von weiteren Kriegen beseitigen wollen: das fluchwürdige System des Kapitalismus. Das gefällt euren Beherrschern natürlich nicht, denn auch sie sind ja Kapitalisten. Sie ließen ja, wie die unseren, ihren Krieg durch euch führen im Interesse ihres Kapitals. Und dieses Kapital ist in Gefahr, wenn sich nun ganz Mittel- und Osteuropa auf sozialistischer Grundlage einigt. Nicht, dass wir die Absicht hätten, euch anzugreifen. Nein, eure Unterdrücker fürchten, dass ihr, unserm Beispiel folgend, auch daran denken könntet, eure Fesseln abzuwerfen. Deshalb sollt ihr jetzt gegen uns kämpfen. Ihr sollt unsere Revolution niederwerfen, damit ihr nicht auf den Gedanken kommt, euch gegen eure Herrscher zu erheben. Man will uns schlagen und euch damit treffen. Ihr kämpft gegen euch selbst, wenn ihr den Befehlen eurer Generäle weiter Folge leistet.

Die Stunde eurer Befreiung hat noch nicht geschlagen. Der Siegestaumel, der in euren Ländern herrscht, hat auch weite Kreise des Proletariats erfasst. Die vom Siegesjubel erfüllten Gehirne werden erst allmählich zu der Erkenntnis gelangen, dass es nicht nur darauf ankommt, den deutschen Kapitalismus zu schlagen, sondern dass man den Kapitalismus international beseitigen muss. Die Zeit wird kommen, wo diese Notwendigkeit von den Werktätigen aller Länder klar erkannt wird. Noch ist es nicht so weit. Vorläufig erwarten wir nur eins von euch, Kameraden: Schießt nicht auf eure deutschen Brüder!

Der Seekrieg beginnt

Die deutsche Ostseeflotte hat sich auf der Höhe von Danzig mit der russischen Ostseeflotte vereinigt. Die Nordseeflotte hat den Nord-Ostsee-Kanal passiert und wird heute abend den Kieler Hafen verlassen. Die englisch-französische Nordseeflotte hat bei ihrem Vorgehen in der Helgoländer Bucht 3 deutsche Minenschiffe, 2 Torpedo- und 2 Unterseeboote zerstört, aber selbst schwere Verluste durch Minen erlitten. Ein englisches Linienschiff wurde von einem deutschen Unterseeboot torpediert und sank. Die Engländer scheinen eine Landung in Cuxhaven und Brunsbüttelkoog zu planen. Truppentransportschiffe wurden bei Helgoland gesichtet. Die englische Flotte versucht in die Ostsee einzudringen. Sie erleidet schwere Verluste durch Unterseeboote, Flugzeuge und Minen. Wird die deutsche Flotte aktionsfähig sein, obwohl mehr als die Hälfte der Offiziere fehlt? Nur drei Schiffskommandeure von größeren Einheiten haben sich mit der Mannschaft solidarisch erklärt und die Führung behalten. Auf den kleineren Schiffen ist die Zahl der uns ergebenen Offiziere glücklicherweise bedeutend höher. Die Möglichkeit einer offenen Seeschlacht hat eine ganze Anzahl höherer Marineoffiziere in letzter Minute veranlasst, ihre Dienste wieder zur Verfügung zu stellen. Aus Sicherheitsgründen hat der Zentralmatrosenrat jedoch nur in geringem Umfange von diesem Angebot Gebrauch gemacht und die ausgewählten Offiziere unbeschadet ihres Dienstranges nur mit der Führung kleinerer Schiffseinheiten betraut. Wird der revolutionäre Elan der Matrosen imstande sein, den Mangel an militärischer Führung wettzumachen? Werden die englischen Matrosen bedingungslos den Befehlen ihrer Führer Folge leisten? Die nächsten Tage werden Antwort bringen.

Vorwärts - 29. November 1918

Lenin in Berlin

Die Ankunft. Schon am frühen Morgen war ganz Berlin auf den Beinen. Trotz der schwierigen Verkehrslage waren Zehntausende von Menschen nach Berlin geströmt, um Zeuge zu sein bei der Grundsteinlegung der neuen Gesellschaft. Der ganze lange Weg vom Flugplatz bis zum Reichstagsgebäude, das nun wirklich dem deutschen Volke und dem internationalen Proletariat gehört, war dicht von Menschen umsäumt. Acht Reihen tief standen auf einer Straßenseite die Mitglieder der bewaffneten roten Macht, die Angehörigen der Roten Armee und der Roten Arbeiterwehr Berlins. Auf der anderen Seite die Mitglieder des Roten Frauenbundes zur Verteidigung der Revolution und -kilometerweit, ebenfalls zu Hunderttausenden — unsere Jugend, die kommende Generation, der die Erfolge unseres Kampfes zugute kommen sollen. Spannung, Begeisterung, Kampfbereitschaft auf allen Gesichtern. Heut kommt kein Potentat, kein degenerierter Spross eines Fürstenhauses. Heut kommen die Männer von morgen, die Führer der Revolution. Ungeheurer Jubel bricht aus, als die Führer der deutschen Revolution vorbeifahren, Karl Liebknecht, Ledebour, Rosa Luxemburg, Levine.

Immer stärker schwillt der Sturm der Begeisterung an: die ausländischen Revolutionäre fahren vorbei, die Vertreter der Länder, in denen die Revolution bereits siegreich war, und auch der Länder, deren Herren noch bemüht sind, die internationale Revolution mit Waffengewalt niederzuschlagen. Niederzuschlagen? Wenn ihr bisher noch Furcht gehabt habt um das Schicksal der Revolution, heute nicht mehr! Seht sie euch an, die Hunderttausende auf der rechten Straßenseite, die hungernden und schlechtgekleideten Männer mit dem Gewehr über der Schulter, seht ihre abgehärmten, aber entschlossenen Gesichter! Seht ihre leuchtenden Augen! Auf diese Männer könnt ihr euch verlassen, ihr ausländischen Genossen. Nehmt diese Zuversicht mit in eure Länder!

Die Begeisterung wächst ins ungemessene, wie die französischen und englischen Sozialisten kommen, die sich unter Lebensgefahr in das rote Berlin durchgeschlagen haben. Und plötzlich wird der Sturm zum Orkan, reißt alles hoch in einem einzigen ungeheuren Wirbel. Hunderttausend Willen werden zusammengeschweißt zu einem einzigen Willen, hunderttausend Kehlen verschmelzen, vereinigen sich zu einem einzigen Ruf

Lenin!!! Lenin!!! Lenin!!!

Kilometerweit rollt der Wagenzug dahin durch ein Meer Von schreienden, schwitzenden, begeisterten Menschen. Endlich wird die Fahrt langsamer. Im Tiergarten, vor dem Brandenburger Tor, stehen Glied an Glied die bewaffneten Ehrengäste der deutschen Revolution. An der Spitze ein rotes russisches Regiment, das den ganzen Bürgerkrieg in Russland mitgemacht hat und nun auf die neugebildeten Kriegsgefangenenformationen verteilt werden soll. Und dann Kompanien, Bataillone, Regimenter, Brigaden, Divisionen, eine ganze Armee, eine große Armee in voller Ausrüstung mit Tausenden von Geschützen: die roten russischen Regimenter, die in den deutschen Kriegsgefangenenlagern gebildet worden sind. Danach kleinere Abteilungen: ein österreichisches und ein ungarisches Regiment, ein polnisches, rumänisches und griechisches Bataillon. Berittene Kirgisen. Eine gemischte Formation aus Chinesen, Japanern und Koreanern. In ihrer Heimat haben sie auf Befehl ihrer Pierren gegeneinander marschieren müssen. Hier kämpfen sie, — nach jahrelanger Internierung — Seite an Seite für die Revolution, die eines Tages auch ihre Revolution sein wird. Neben ihnen kleine Gruppen von Partisanen, Flüchtlinge aus Serbien und Bulgarien, wo jetzt nach Niederwerfung des Aufstandes, unter dem Schutz der Ententetruppen, der weiße Terror herrscht. Eine freiwillige nordische Kompanie : Dänen, Schweden, Norweger. Früher konnten sie (oder waren es nur ihre Fürsten?) sich nicht vertragen, waren nicht unter einen Hut zu bringen. In Zukunft, in der großen sozialistischen Republik, werden sie es lernen.

Auf dem Platz der Revolution, vor dem Reichstagsgebäude stehen die Exoten: Neger, Zuaven, Marokkaner. Inder usw., in tiefgestaffelten Kolonnen, in Bataillonen und Regimenter formiert. Ihr farbigen Brüder! Man hat euch hineingezerrt in den Krieg der Weißen, in dem ihr nichts zu suchen hattet. War es euch nicht einerlei, ob ihr von deutschen, französischen, englischen oder belgischen Kapitalisten beherrscht wurdet? War euch viel daran gelegen, welche Sprache der weiße Mann sprach, der gegen euch die Peitsche schwang, der euch eure Frau raubte und euren Boden, der eure Hütte anzündete, wenn ihr nicht zur Zwangsarbeit erschient? Nein Genossen, ihr habt wahrhaftig kein Interesse daran gehabt, dass gerade eure Beherrscher den Krieg gewannen. Ihr habt nur ein Interesse, einen großen, brennenden, dringenden Wunsch: frei zu werden. Deshalb hat die Agitation im Kriegsgefangenenlager gerade in euren Reihen so großen Erfolg gehabt. Deshalb habt ihr euch so gefreut, als die Ententeoffiziere, die im Lager erschienen waren, um euch zurück in die Knechtschaft, in die Hände eurer Sklavenhalter zu treiben, von roten Soldaten verhaftet wurden. Die sozialistische Revolution macht nicht halt vor Landesgrenzen, auch nicht vor Sprachgrenzen und ebenso wenig vor einer anderen Hautfarbe. Die sozialistische Revolution wird allen Völkern, allen Rassen die Freiheit bringen. Auch ihr habt eure Delegierten ins Reichstagsgebäude gesandt, und was da drüben heute beschlossen wird, soll auch für euch Gültigkeit haben. Deshalb steht ihr hier, auf dem Platz der Revolution.

Links und rechts vom Reichstagsgebäude aber steht je ein rotes Regiment aus englischen, französischen, belgischen und italienischen Kriegsgefangenen. Sie können nie mehr in ihre Heimat zurückkehren, wenn nicht auch bei ihnen die Revolution siegt. Trotzdem sind sie bereit, in unsern Reihen zu kämpfen. Bravo, Genossen! Im Portal des Reichstages steht, mit roter Armbinde, ein amerikanischer Genosse. Ein einziger. Er ist sichtlich betrübt darüber, dass er allein ist und sozusagen als sein eigener Abgeordneter fungiert. Er hatte vergeblich versucht, unter den amerikanischen Kriegsgefangenen Freiwillige für die Rote Armee zu werben.

Ein Volksbeauftragter spricht: „Für euch, Genossen aus Frankreich, ist dieser Tag besonders bedeutungsvoll. Erinnert euch an das prophetische Wort Victor Hugos, der uns, den Deutschen, dankte, weil wir Frankreich von seinem Kaiser befreit hatten, und uns versprach, dass Frankreich auch Deutschland von seinem Kaiser befreien werde. Das habt ihr nun getan, französische Genossen. Aber wir, wir haben noch ein weiteres getan. Wir haben uns von einem noch schlimmeren Feinde, von der kapitalistischen Herrschaft befreit, und unseren Dank werden wir euch, französische Genossen, bezeugen, indem wir helfen, auch euer Land von der Herrschaft des Kapitalismus zu befreien."

Lenin spricht