Wenn wir Toten erwachen - Henrik Ibsen - E-Book

Wenn wir Toten erwachen E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

Der Bildhauer Rubek und seine Frau Maja sitzen im Park eines Badehotels. Sie sind nach vier Jahren in die Heimat zurückgekehrt, fühlen sich dort jedoch nicht mehr wohl. Das Werk, das dem Bildhauer Rubek weltweit zu Ruhm verholfen hat, ist ›Die Auferstehung‹, verkörpert von einer jungen Frau, die aus dem Todesschlaf erwacht. Auf einer Wanderung ins Gebirge trifft Rubek auf sein einstiges Modell Irene, die für sein Meisterwerk Modell gestanden hatte. Nachdem die Skulptur vollendet war, verließ Irene Rubek, weil er nicht mehr in ihr sah als ein Modell, sie ihn aber liebte. Er verlor durch ihr Verschwinden seine Schaffenskraft. Irene war in der Zwischenzeit zweimal verheiratet und in einer Heilanstalt. Sie bezeichnet sich als tot und wirft Rubek vor, Schuld an ihrem Tod zu tragen.

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LUNATA

Wenn wir Toten erwachen

Ein dramatischer Epilog in drei Akten

Henrik Ibsen

Wenn wir Toten erwachen

Ein dramatischer Epilog in drei Akten

© 1838 Henrik Ibsen

Originaltitel N°ar vi Dode v°agner

Aus dem Norwegischen von Karl Strecker

Umschlagbild Jean-Léon Gérôme

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Personen

Professor Arnold Rubek, Bildhauer

Frau Maja Rubek

Der Badeinspektor

Ulfheim, Gutsbesitzer

Eine reisende DameEine

Diakonissin

Dienerschaft, Badegäste und Kinder.

Der erste Akt spielt in einem Badeort an der Küste;

der zweite wie der dritte Akt bei einem Sanatorium im Hochgebirge.

Erster Akt

Vor dem Badehotel, dessen Hauptgebäude teilweise zur Rechten sichtbar ist. Offener parkähnlicher Platz mit Springbrunnen, Gruppen von großen alten Bäumen und Buschwerk. Links ein kleiner, mit Grün und wildem Wein fast bedeckter Pavillon. Tisch und Stuhl davor. Im Hintergrunde der zuletzt ins offene Meer übergehende Fjord mit Landzungen und kleinen Inseln in der Ferne. Es ist ein stiller, sonnig warmer Sommervormittag.

Professor Rubek und Frau Maja sitzen in Korbstühlen an einem gedeckten Tisch auf dem Rasenplatz vor dem Hotel und haben soeben ihr Frühstück eingenommen. Jetzt trinken sie Champagner mit Selters, und jedes hat seine Zeitung in der Hand. Der Professor ist ein älterer, distinguierter Herr in schwarzem Samtjakett und im übrigen sommerlich gekleidet. Frau Maja ist noch ganz jugendlich; sie hat lebhafte Züge und muntere Augen voll Laune, über denen jedoch eine gewisse Müdigkeit lagert. Sie trägt ein elegantes Reisekostüm.

Frau Majasitzt eine Weile wie in Erwartung, daß der Professor etwas sagen soll. Dann läßt sie das Blatt sinken und seufzt: Uh, nein, nein –!

Professor Rubekblickt von seiner Zeitung auf. Nun, Maja? Was ist denn los mit Dir?

Frau Maja. Hör' nur, wie still es hier ist.

Professor Rubeknachsichtig lächelnd. Und das kannst Du hören?

Frau Maja. Was?

Professor Rubek. Die Stille hier?

Frau Maja. Allerdings kann ich das.

Professor Rubek. Du hast am Ende nicht so unrecht, mein Kind. Man kann die Stille wirklich hören.

Frau Maja. Weiß Gott, das kann man. Wenn sie einen so ganz erdrückt – wie hier –

Professor Rubek. – wie hier im Bade, meinst Du?

Frau Maja. Überall hier in der Heimat, mein' ich. In der Stadt drinnen war ja Lärm und Unruhe genug. Und doch – für mich hatte auch dieser Lärm und diese Unruhe etwas Totes.

Professor Rubekmit forschendem Blick. Macht's Dir keine rechte Freude, wieder zu Hause zu sein, Maja?

Frau Majaihn anblickend. Macht's Dir Freude?

Professor Rubekausweichend. Mir –?

Frau Maja. Ja, Dir. Du bist doch so viel, viel länger weg gewesen als ich. Macht's Dir wirklich Freude, wieder zu Hause zu sein?

Professor Rubek. Nein – offen und ehrlich – so recht nicht –

Frau Majalebhaft. Siehst Du! Als ob ich das nicht gewußt hätte!

Professor Rubek. Ich bin vielleicht zu lange weg gewesen. Ich bin diesen ganzen Verhältnissen hierzulande durchaus fremd geworden.

Frau Majarückt mit ihrem Stuhl näher zu ihm; eifrig. Siehst Du, Rubek. Laß uns doch einfach wieder abreisen! Und das so bald wie möglich.

Professor Rubekein wenig ungeduldig. Gewiß, – das haben wir ja auch vor, liebe Maja. Das weißt Du doch.

Frau Maja. Aber warum nicht gleich? Denk' Dir doch nur, – wie nett und gemütlich könnten wir's haben in unserm neuen hübschen Haus –

Professor Rubeknachsichtig lächelnd. Eigentlich sollten wir wohl sagen: in unserm neuen hübschen Heim.

Frau Majakurz. Ich sage lieber Haus. Bleiben wir dabei.

Professor Rubekläßt seinen Blick auf ihr ruhen. Du bist im Grund ein wunderliches Persönchen.

Frau Maja. Bin ich so wunderlich?

Professor Rubek. Ja, wirklich.

Frau Maja. Aber warum denn? Etwa, weil ich nicht gerade übermäßige Lust dazu habe, hier oben herumzubummeln und die Zeit totzuschlagen –?

Professor Rubek. Wer von uns wollte denn für sein Leben gern diesen Sommer nach Norden reisen?

Frau Maja. Nun ja, ich.

Professor Rubek. Ja, – ich wahrhaftig nicht.

Frau Maja. Aber, mein Gott, – wer konnte auch ahnen, daß sich hier bei uns alles so furchtbar verändert hätte! Und noch dazu in so kurzer Zeit! Wenn man bedenkt, daß es noch nicht viel mehr als vier Jahre her ist, seit ich von hier fortgegangen –

Professor Rubek. – als verheiratete Frau, ja.

Frau Maja. – verheiratete Frau? Was sollte das damit zu tun haben?

Professor Rubekfortfahrend. – und seit Du Frau Professor geworden bist und ein prächtiges Heim bekommen hast – Verzeihung – ein herrschaftliches Haus, muß ich wohl sagen, – und eine Villa am Taunitzer See, wo ja nun alles aufs feinste hergerichtet ist –. Ja, zu fein und prächtig, Maja, darf ich dreist sagen. Und Platz ist auch. Wir brauchen einander nicht immer so auf die Füße zu treten.

Frau Majagleichgültig. Nein, nein, nein, – Platz im Haus und so weiter – daran fehlt's ja durchaus nicht –

Professor Rubek. Und dann auch, daß Du in feinere und größere Verhältnisse überhaupt gekommen bist. In gebildeteren Verkehr, als Du zu Hause gewohnt warst.

Frau Majaihn anblickend. Nun ja, also nach Deiner Ansicht habe ich mich verändert?

Professor Rubek. In der Tat, Maja.

Frau Maja. Nur ich? Und die Leute hier nicht?

Professor Rubek. O ja, die auch, – so ein bißchen. Liebenswürdiger sind sie nicht gerade geworden. Das kann ich getrost zugeben.

Frau Maja. Das glaub' ich wohl auch.

Professor Rubekschlägt einen andern Ton an. Weißt Du, in welche Stimmung ich komme, wenn ich das Leben der Leute hier um mich her betrachte?

Frau Maja. Nein. Sag' doch.

Professor Rubek. Da kommt mir die Nacht in den Sinn, als wir mit der Eisenbahn hier herauf fuhren –

Frau Maja. Da hast Du ja doch im Coupé geschlafen.

Professor Rubek. Nicht ganz. Ich merkte, wie still es auf einmal wurde an den vielen kleinen Haltestellen –. Ich hörte die Stille, – wie Du, Maja –

Frau Maja. Hm, – wie ich, ja.

Professor Rubek. Und ich begriff, daß wir nun über die Grenze gekommen waren. Jetzt waren wir richtig zu Hause. Denn an all diesen kleinen Haltestellen hielt der Zug, – obwohl von Verkehr keine Rede war.

Frau Maja. Aber warum hielt er denn? Wenn nichts los war?

Professor Rubek. Weiß nicht. Kein Reisender stieg aus und keiner stieg ein. Aber der Zug, der hielt trotzdem eine lange, endlose Zeit. Und auf jeder Station hörte ich zwei Männer auf dem Perron auf und ab gehen, – der eine hatte eine Laterne in der Hand, und sie sprachen miteinander, gedämpft, klanglos, nichtssagend in die Nacht.

Frau Maja. Ganz recht. Immer gehen da so ein paar Männer auf und ab und sprechen zusammen –

Professor Rubek. – von nichts. In lebhafterem Ton. Aber wart' nur bis morgen. Da haben wir den großen bequemen Dampfer hier im Hafen. Dann gehen wir an Bord und fahren die Küste entlang, immer weiter nach Norden, – bis hinauf zum Eismeer.

Frau Maja. Aber dann siehst Du ja nichts von Land – und Leben. Und das wolltest Du doch gerade.

Professor Rubekkurz, unwillig. Ich habe mehr als genug gesehen.

Frau Maja. Meinst Du, eine Seereise würde Dir besser bekommen?

Professor Rubek. Es ist jedenfalls einmal eine Abwechslung.

Frau Maja. Ja, ja; wenn es nur Dir gut bekommt –

Professor Rubek. Mir? Gut? Mir fehlt doch aber gar nichts.

Frau Majasteht auf und tritt, zu ihm. Doch, Dir fehlt etwas, Rubek. Das mußt Du doch selbst fühlen.

Professor Rubek. Aber, liebste Maja, – was denn?

Frau Majahinter ihm, beugt sich über die Stuhllehne vor. Ja, das mußt Du mir sagen. Du gehst seit einiger Zeit umher ohne Rast und Ruh'. Nirgends hält's Dich fest. Zu Hause nicht und nicht draußen. Ganz menschenscheu bist Du mit der Zeit geworden.

Professor Rubeketwas spöttisch. Nein, – daß Du das bemerkt hast?

Frau Maja. Das kann doch keinem entgehen, der Dich kennt. Und dann find' ich es so traurig, daß Du die Lust zum Arbeiten verloren hast.

Professor Rubek. Hab' ich das auch?

Frau Maja. Wenn man bedenkt, wie Du früher so unermüdlich arbeiten konntest, – von Morgen bis Abend.

Professor Rubekverdüstert. Ja früher –.

Frau Maja. Aber seit Dir Dein großes Meisterwerk glücklich gelungen –

Professor Rubeknickt nachdenklich. Der »Auferstehungstag« –

Frau Maja. – und über die ganze Welt gegangen ist und Dich so berühmt gemacht hat –

Professor Rubek. Das ist vielleicht das Unglück dabei, Maja.

Frau Maja. Wieso?

Professor Rubek. Als ich dies mein Meisterwerk geschaffen hatte – mit einer heftigen Handbewegung – denn der »Auferstehungstag« ist ein Meisterwerk! Oder war es doch im Anbeginn. Nein, ist es noch. Soll, soll, soll ein Meisterwerk sein.

Frau Majablickt ihn verwundert an. Ja, Rubek, – das weiß ja doch die ganze Welt.

Professor Rubekkurz und abweisend. Nichts weiß die ganze Welt. Nichts versteht sie.

Frau Maja. Nun, so ahnen sie doch zum mindesten etwas –

Professor Rubek. – was gar nicht da ist, ja. Was mir nie im Sinn gelegen hat. Siehst Du, darüber fallen sie in Verzückungen. Brummt vor sich hin. Es ist nicht der Mühe wert, sich so immerfort abzurackern für den Mob und die Masse – und diese »ganze Welt«.

Frau Maja. Hältst Du es da für besser – oder, sagen wir, Deiner würdiger, hier und da nur so im Vorübergehen eine Porträtbüste zu machen?

Professor Rubeklächelt launig. Wenn es nur richtige Porträtbüsten wären, was ich da mache, Maja!

Frau Maja. Aber was denn sonst, weiß der liebe Himmel! – So in den letzten zwei, drei Jahren – seit Du Deine große Gruppe fertig und aus dem Hause hattest –

Professor Rubek. Es sind trotzdem keine eigentlichen Porträtbüsten, sag' ich Dir.

Frau Maja. Was denn sonst?

Professor Rubek. Es liegt etwas Verdächtiges, etwas Verstecktes in und hinter diesen Büsten, – etwas Heimliches, was die Menschen nicht sehen können –

Frau Maja. So?

Professor Rubeküberlegen. Nur ich kann es sehen. Und dabei amüsiere ich mich so köstlich. – Von außen zeigen sie jene »frappante Ähnlichkeit«, wie man es nennt, und wovor die Leute mit offenem Munde dastehen und staunen, – läßt die Stimme sinken – aber in ihrem tiefsten Grund sind es ehrenwerte, rechtschaffene Pferdefratzen und störrische Eselsschnuten und hängohrige, niedrigstirnige Hundeschädel und gemästete Schweinsköpfe, – und blöde, brutale Ochsenkonterfeis sind auch drunter –

Frau Majagleichgültig. – all unsere lieben Haustiere also.

Professor Rubek. Sehr richtig, Maja. All diese lieben Tiere, die der Mensch nach seinem Bilde verpfuscht hat. Und die den Menschen dafür wieder verpfuscht haben. Leert sein Champagnerglas und lacht. Und diese hinterlistigen Kunstwerke bestellen nun die biederen, zahlungsfähigen Leute bei mir. Und kaufen sie in gutem Glauben – und zu hohen Preisen. Wiegen sie schier mit Gold auf, wie man zu sagen pflegt.

Frau Majaschenkt ihm ein. Pfui, Rubek! Komm, trink und sei vergnügt.

Professor Rubekstreicht sich ein paarmal über die Stirn und lehnt sich im Stuhl zurück. Ich bin vergnügt, Maja. Wirklich vergnügt. In gewisser Hinsicht wenigstens. Schweigt einen Augenblick. Denn es ist doch immerhin ein Glück, sich nach allen Seiten hin frei und unabhängig zu fühlen. Vollauf alles zu haben, was man sich nur wünschen mag. Äußerlich wenigstens. Findest Du das nicht auch, Maja?

Frau Maja. O ja, gewiß. Das ist ja schon sehr viel. Blickt ihn. an. Aber hast Du vergessen, was Du mir an dem Tag versprochen, als wir über – über diese schwierige Sache einig wurden –