Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? (Leben Lernen, Bd. 333) - Claas Triebel - E-Book

Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? (Leben Lernen, Bd. 333) E-Book

Claas Triebel

0,0
24,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Praxisleitfaden für Karrierecoaching  Von der »Stiftung Warentest« als beste Karrierecoaching-Methode ausgezeichnet Das Konzept vom Beruf fürs Leben ist ein Auslaufmodell. Die Arbeitswelt verändert sich in atemberaubendem Tempo – und mit ihr die Anpassungsforderungen an die Berufstätigen. Umso wichtiger wird es für die Lebenszufriedenheit jedes Einzelnen, die eigenen Kompetenzen in  vollem Umfang zu kennen und gezielt zur beruflichen Weiterentwicklung einzusetzen. Coaches und psychologische Berater erhalten mit diesem Buch ein durch und durch anwendungsbezogenes und gut strukturiertes »Handwerkszeug«, um Menschen in ihrer kompetenz- und potentialorientierten Karriereplanung zu unterstützen. Das Konzept mit dem Herzstück der »Kompetenzenbilanz«, das bereits seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt wird, vermittelt eine praxisbezogene Orientierungshilfe für Laufbahnübergänge wie Ausbildungs- und Berufswahl, Wiedereinstieg oder Neuorientierung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 243

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claas Triebel

Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?

Potenzialorientiertes Karrierecoaching

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Das Konzept vom Beruf fürs Leben hat ausgedient. Die Arbeitswelt verändert sich in atemberaubendem Tempo – und mit ihr die Anpassungsforderungen an die Berufstätigen. Umso wichtiger wird es für die Lebenszufriedenheit jedes Einzelnen, die eigenen Kompetenzen in ihrem vollen Umfang zu kennen und gezielt zur beruflichen Weiterentwicklung einzusetzen. Coaches und psychologische Berater erhalten mit diesem Buch ein hervorragendes »Handwerkszeug«, um Menschen in ihrer kompetenz- und potenzialorientierten Karriereplanung zu unterstützen. Das Konzept mit dem Herzstück der »Kompetenzenbilanz«, das bereits seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt wird, vermittelt eine durchweg praxisbezogene Orientierungshilfe für unterschiedliche Laufbahnübergänge.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter: www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 333

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden

unter Verwendung einer Abbildung von © Clarisse Croset on Unsplash

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-89279-6

E-Book-ISBN: 978-3-608-11878-0

PDF-ISBN: 978-3-608-20563-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Karrierecoaching und Potenzialorientierung

1.1 Kritische Laufbahnübergänge als Entwicklungsaufgaben

1.2 Berufliche Orientierung als Kulturtechnik und Grundrecht

1.2.1 Die Grundrechte

1.2.2 Was hat das jetzt mit Coaching zu tun?

1.3 Beschäftigungsfähigkeit – das Ziel des Karrierecoachings

1.3.1 Flexibilisierung der Arbeitswelt

1.3.2 Das Konzept der Beschäftigungsfähigkeit

1.3.3 Beschäftigungsfähigkeit in der Beratung

1.4 Warum ist es wichtig und auch schwierig, sich an Kompetenzen und Potenzialen zu orientieren?

1.5 Was sind Kompetenzen und wie kann ich sie entwickeln? Das SKATE-Modell

1.5.1 Hintergründe des Kompetenzbegriffs

1.5.2 Kompetenzdefinitionen: Zwischenstand

1.5.3 Das SKATE-Modell

1.6 Was bewirkt die Kompetenzenbilanz?

1.6.1 Die Studie

1.6.2 Zufriedenheit

1.6.3 Psychologische Wirksamkeit

1.6.4 Ergebnisse

1.6.5 Beschäftigungstage und Einkommen

1.6.6 Weitere Studien

1.7 Erleben – erkennen – wollen – machen

1.7.1 Warum wirkt die Kompetenzenbilanz?

1.7.2 Wirkprinzipien nach Klaus Grawe

1.7.3 Die Wirkprinzipien der Kompetenzenbilanz

Kapitel 2

Methode und Prozess des potenzialorientierten Karrierecoachings – Die Kompetenzenbilanz

2.1 Die Kompetenzenbilanz: Ablauf

2.1.1 Vorab: Auftragsklärung

2. 1.2 Das Einführungsgespräch

2.2 Biografisches Arbeiten mit dem Lebensprofil – Erleben

2.2.1 Was ist das Lebensprofil?

2.2.2 Wirkungen des Lebensprofils

2.2.3 Das Lebensprofil besprechen

2.2.4 Wie lange spricht man über das Lebensprofil?

2.2.5 Eine Struktur finden

2.2.6 Wie bringt man die Erzählung in Gang?

2.2.7 Einen Abschluss finden

2.2.8 Noch ein paar Anmerkungen zum Biografischen Arbeiten

2.2.9 Über die Wirkung biografischen Erzählens

2.3 Fertigkeitenanalyse – Erkennen

2.3.1 Von der Emotion zur Kognition

2.3.2 Was ist an dieser Stelle mit »Fertigkeit« gemeint?

2.3.3 Ein paar Beispiele

2.3.4 Wie gehen wir in der Tätigkeitsanalyse vor?

2.3.5 Leitfragen

2.3.6 Schwierige Fälle

2.3.7 Arbeit mit der Mindmap-Methode

2.3.8 Welchen Umfang sollen die Tätigkeitsanalysen haben?

2.3.9 Effekte der Tätigkeitsanalyse

2.4 Kompetenzen erarbeiten – Erkennen/Wollen

2.4.1 Kompetenzen als Abrundung

2.4.2 Das Vorgehen

2.4.3 Kompetenzen kategorisieren

2.4.4 Werte

2 .5 Kompetenzen belegen und argumentieren – Wollen

2.5.1 Warum ist es wichtig, Kompetenzen argumentativ begründen zu können?

2.5.2 Warum werden Kompetenzen nicht nach dem SKATE‑Modell belegt?

2.6 Nächste Schritte und Ziele erarbeiten – Machen

2.6.1 Warum die nächsten Schritte so wichtig sind

2.6.2 Wie erarbeitet man nun nächste Schritte und Ziele?

2 .7 Abschluss des Prozesses

2 .8 Schriftliche Kompetenzenbilanz

2.8.1 Was ist die schriftliche Bilanz?

2.8.2 Deckblatt und Teilnahmebestätigung

2.8.3 Person

2.8.4 Perspektive

2.8.5 Kernkompetenzen

2.8.6 Abschluss

2.8.7 Noch ein paar Leitlinien für die schriftliche Kompetenzenbilanz

2.8.8 Nutzen einer schriftlichen Kompetenzenbilanz

Kapitel 3

Rolle der Coaches und Varianten des Karrierecoachings

3.1 Rolle der Coaches

3.1.1 Zwischen Prozessbegleitung und Experte

3.1.2 Die Haltung der Coaches

3.1.3 Coaches als dynamischer Bestandteil des Prozesses

3.2 Varianten

3.2.1 Gleiche Struktur – unterschiedliche Kontexte

3.2.2 Karriereocaching in der Gruppe

3.2.3 Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund

3.2.4 Schüler und Jugendliche

3.2.5 Personalentwicklung

3.2.6 Teamentwicklung

Kapitel 4

Das Ende der Berufe

Literatur

Vorwort

Ich beschäftige mich bereits mein ganzes Berufsleben in der Psychologie mit dem Thema Kompetenzen. Mit den Fragen: Was sind Kompetenzen? Wie entwickelt man Kompetenzen? Und wie kann man Kompetenzen als Orientierungspunkte für die eigene Entwicklung nutzen?

Grob gesagt soll es darum auch in diesem Buch gehen. Nicht in erster Linie aus einer Selbsthilfeperspektive heraus, sondern aus der Perspektive des Coaches: Wie kann ich andere darin unterstützen, die eigenen Kompetenzen zu erkennen und diese Erkenntnis als Impuls und Motor für die Planung und Umsetzung nächster beruflicher Schritte zu nutzen? Kurz gesagt, um die Fragen zu klären: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?

Aber natürlich kann man dieses Buch auch im Hinblick auf die eigene berufliche Orientierung und Positionierung lesen und die darin vorgestellten Übungen mit Gewinn an sich selbst vollziehen.

Im Zentrum meiner Ausführungen steht die Kompetenzenbilanz. Diese ist ein strukturierter Reflexions- und Coachingansatz, den ich im Jahr 2003 entwickelt habe, in erster Version damals unter Mitwirkung meines im Jahr 2012 verstorbenen Kollegen Thomas Lang-von Wins. Die Kompetenzenbilanz ist im Jahr 2003 im Auftrag des Tiroler Zukunftszentrums entwickelt worden. Das Zukunftszentrum war eine Einrichtung der Arbeiterkammer Tirol, des Landes Tirol und der Stadt Innsbruck und beschäftigte sich, kurz gesagt, mit Fragen zur Zukunft der Arbeit. Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Wie werden Menschen mit dem damals bereits absehbaren, nicht mehr endenden Wandel umgehen? Und wie können sie darin unterstützt werden, diesen zu bewältigen? Dem Engagement des damaligen Geschäftsführers des Zukunftszentrums Tirol, Bertram Wolf, ist es zu verdanken, dass sich bereits vor 20 Jahren in Österreich eine kleine New-Work-Bewegung ausbildete. Und ich möchte das an dieser Stelle deshalb erwähnen, weil ich dieser Erfahrung sehr vieles in meinem Leben zu verdanken habe. Zukunft braucht Herkunft. Für meinen Entwicklungsweg und meine eigene Zukunft hat mir diese Erfahrung sehr viel gebracht, und so möchte ich es nicht versäumen, an dieser Stelle auch wieder Danke hierfür zu sagen.

Um die Jahrtausendwende war die Diskussion um Veränderungen in der Arbeitswelt noch von einer anderen Qualität als heute. Damals ging es, stark geprägt durch Bücher wie z. B. »Der flexible Mensch« des amerikanischen Soziologen Richard Sennett, um die soziologisch geprägte Diskussion, wie die sich durch Globalisierung und Liberalisierung verändernde Welt auf den Menschen auswirkt. Welche Unsicherheiten auf ihn zukommen; wie gewordene Strukturen erodieren und das Individuum in einer neuen Welt mehr oder weniger orientierungslos dastünde; das Individuum als Opfer der Verhältnisse. Arbeitsplatzsicherheit existiert nicht mehr. Seitdem gilt: Ich kann nicht mehr davon ausgehen, von der Ausbildung bis zur Rente denselben Arbeitsplatz innezuhaben oder auch denselben Beruf auszuüben. Es ergeben sich Patchwork-Biografien, die aus den unterschiedlichsten Flicken zusammengenäht werden, aus unterschiedlichsten beruflichen und privaten Identitäten. Es ist sinnvoll und wichtig, dass man dieses Patchwork gestaltet. Der Flickenteppich der eigenen Biografie sollte einem selbst gefallen, man sollte ihn proaktiv gestalten und nicht nur retrospektiv betrachten.

Wie aber kann das Individuum darin gestärkt werden, sich in einer unübersichtlich gewordenen Welt zurechtzufinden? Wie kann man Menschen darin unterstützen, diese Kompetenz zu entwickeln, die eigene Biografie in die Zukunft fortschreiben zu können? Wie kann man hierfür Maßnahmen finden, die das Individuum zu stärken helfen? Dies war die Anfrage, die damals an den Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie der LMU München und deren Inhaber Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Lutz von Rosenstiel ging. Und dies gab mir, der ich gerade zum Thema Kompetenzen meine Diplomarbeit geschrieben hatte, die Möglichkeit, in sehr kurzer Zeit das zu entwickeln, was seitdem die Kompetenzenbilanz ist.

Die Kompetenzenbilanz ist, wie schon gesagt, ein Coachingprozess. Dieser folgt einer klaren Struktur, die dazu dient, aus der Biografie und der Erarbeitung zentraler und handlungsleitender Werte, aus der Feinanalyse von Tätigkeiten und Fertigkeiten des Coachees Kompetenzen zu erarbeiten. Auf der Grundlage dieser Kompetenzen entwickeln die Teilnehmenden Ziele und nächste Schritte, die sie in den Monaten nach der Kompetenzenbilanz in Angriff nehmen.

Seit dem Sommer 2003 war es über fünf Jahre hinweg möglich, gegen einen Selbstbehalt zwischen € 100,– und € 150,– ein Kompetenzenbilanz-Coaching in Anspruch zu nehmen. So konnten wir mit dieser Coaching-Maßnahme zunächst tausende Tiroler:innen erreichen, die sich mit ihrer beruflichen Zukunft beschäftigen wollten. Wir bildeten zahlreiche Coaches in Tirol aus und untersuchten systematisch die Wirkungsweise des Kompetenzenbilanz-Coachings. Dies ermöglichte uns, das Vorgehen zu optimieren. Wir konnten auf diese Weise außergewöhnlich umfangreiche Studien zur Wirkung von Coaching durchführen. Außerdem entwickelten wir Adaptionen der Kompetenzenbilanz für Jugendliche, für Gruppen und für Gründer:innen, sodass ein ganzer Methodenbaukasten von Karrierecoaching-Tools entstand. Als die Kooperation mit dem Zukunftszentrum aufgrund eines Geschäftsführerwechsels ein Ende fand, setzte ich die Arbeit mit der Kompetenzenbilanz in Deutschland fort.

Ich bildete fortan im gesamten deutschsprachigen Gebiet Kompetenzenbilanz-Coaches aus, leitete unterschiedliche, öffentlich geförderte Projekte im Auftrag von Bundes- und Landesministerien durch, arbeitete mit Schulen und Firmen zusammen, entwickelte eine Adaption der Kompetenzenbilanz für die Arbeit mit Migrant:innen, brachte die Kompetenzenbilanz in die Hochschullehre, veröffentlichte vieles, strengte zahlreiche Kooperationen an, erhielt Auszeichnungen für die Kompetenzenbilanz (z. B. 2017 die Auszeichnung in einer Studie der Stiftung Warentest als »Bestes Karrierecoaching Verfahren«) und natürlich sammelte ich immer weiter auch Erfahrungen als Coach und profitierte in der Fortbildung von Coaches durch die zahlreichen Erfahrungen der Teilnehmer:innen an den Fortbildungen.

Es hat sich inzwischen eine lebendige Szene von Kompetenzenbilanz-Coaches im ganzen deutschsprachigen Raum entwickelt, die in unterschiedlichen Kontexten arbeiten: in der Personalentwicklung, als freie Coaches, als Karriereberater:innen an Hochschulen, im Arbeitsmarktbereich. Überall da, wo Menschen sich die Frage stellen: »Wo geht die Reise eigentlich beruflich für mich weiter?«, kann die Kompetenzenbilanz wirksam und hilfreich sein.

Ich bin seit jeher mit dem Wissen und den Erfahrungen um die Kompetenzenbilanz sehr offen umgegangen. Das bringt es mit sich, dass es fast von Beginn an Nachahmer gab. Das werfe ich niemandem vor. Ich stehe mit den Vertretern dieser konkurrierenden Verfahren in kollegialem und auch freundschaftlichem Austausch. Auch für die Kompetenzenbilanz gab es in Form des französischen Bilan de Competence oder des Schweizer CH-Q Vorbilder. Es ist gesellschaftlich hoch sinnvoll, wenn möglichst viele Menschen wissen und sagen können, wer sie sind, was sie wollen und wie sie ihre berufliche Biografie in die Zukunft fortschreiben wollen. Deshalb halte ich den Aspekt der Konkurrenz in diesem Bereich für nebensächlich.

Dieses über mittlerweile 20 Jahre entstandene Wissen und die damit verbundenen Erfahrungen möchte ich in diesem Buch teilen. Dabei bildet die Kompetenzenbilanz den roten Faden, aber die vorgestellten Erfahrungen und Tools sind kein Geheimwissen, sondern sollen möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden, um andere darin zu unterstützen, den eigenen Weg gehen zu können.

Dies ist also ein praxisbezogenes Buch. Die theoretischen Grundlagen der Kompetenzenbilanz und die zahlreichen Evaluationsstudien sind an anderer Stelle bereits ausführlich publiziert worden.

Bedanken möchte ich mich noch besonders bei meinem Freund und Kollegen Fabian Weiß, der seit Jahren vieles mit und rund um die Kompetenzenbilanz mitträgt und unzählige wertvolle Impulse gibt. Abgesehen davon danke ich auch allen Kompetenzenbilanz-Coaches, mit denen ich seit Jahren im Dialog bin und die durch ihr Tun ebenfalls einen großen Beitrag zur stetigen Weiterentwicklung leisten. Zu guter Letzt danke ich auch Christine Treml-Begemann, durch deren kundiges und behutsames Lektorat dieses Buch die vorliegende Form annahm.

Claas Triebel, im Winter 2021

Kapitel 1

Karrierecoaching und Potenzialorientierung

1.1 Kritische Laufbahnübergänge als Entwicklungsaufgaben

Laufbahnübergänge stellen einen immer wieder vor wesentliche Herausforderungen, die mit dem Einkommen und auch mit der Frage nach der eigenen Identität zu tun haben: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? Die Fragen, die diesem Buch ihren Titel geben, stellt man sich verstärkt in solchen Situationen.

Es gibt eine ganze Reihe von kritischen beruflichen Übergängen, z. B.:

Übergang von der Schule zur ersten Ausbildung

Übergang von der ersten Ausbildung in den ersten Erwerbsjob

Verlust des Arbeitsplatzes – geplant, gewollt, ungewollt oder absehbar (etwa durch das Auslaufen einer befristeten Stelle)

Wiedereinstieg nach einer Familienpause

Reorganisation des Unternehmens oder der Arbeit gebenden Institution

Übernahme einer neuen Position im selben Unternehmen

Bewerbung auf eine neue Position in einem anderen Unternehmen

Migration

Ende der Erwerbsarbeit

Menschen haben an kritischen Laufbahnübergängen das Bedürfnis nach beruflicher Orientierung. Solche kritischen Laufbahnübergänge sind dadurch gekennzeichnet, dass

viele Menschen aus demselben Kulturraum diese oder eine ähnliche Aufgabe ein- oder mehrmals im Leben bewältigen müssen,

mehrere Optionen zur Gestaltung der eigenen beruflichen Zukunft zur Wahl stehen,

das mehr oder weniger reibungslose Bewältigen des jeweiligen Übergangs wesentlichen Einfluss auf die weitere berufliche Entwicklung hat,

Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Aufgabe zu Selbstzweifeln führen.

Kritische Laufbahnübergänge berühren die Integrität der eigenen Identität. Ein kurzer Ausflug dazu in die Entwicklungspsychologie: Der Entwicklungspsychologe Robert Havighurst entwickelte 1948 das Konzept der Entwicklungsaufgaben. Entwicklungsaufgaben sind so etwas wie Meilensteine, die für bestimmte Lebensabschnitte oder deren Abschluss typisch sind. Wer diese Meilensteine meistert, empfindet darin Befriedigung und wird von seiner Umwelt als erfolgreich bestätigt. Wer an Entwicklungsaufgaben scheitert, hat Schwierigkeiten, auch die kommenden Meilensteine erfolgreich in Angriff zu nehmen. Entwicklungsaufgaben oder deren Beschaffenheit können von Generation zu Generation unterschiedlich sein. Ganz typische Entwicklungsaufgaben sind: Abschluss einer beruflichen Ausbildung, das Entwickeln einer beruflichen Identität, Wahl eines Partners, Gründung einer Familie und so weiter. Es wird schon deutlich, dass Entwicklungsaufgaben früher für eine Generation bindender waren, als das heute der Fall ist. Aber viele solcher klassischer Entwicklungsaufgaben sind den meisten Menschen präsent und sie empfinden es als normativ, sich mit diesen jeweils in einem passenden Alter auseinanderzusetzen. Das hat auch eine Berechtigung: Wer mit 30 Jahren noch immer keine berufliche Identität gefunden hat, bekommt meist ein Problem. Entwicklungsaufgaben wie die Gründung einer Familie sind dagegen heutzutage als längst nicht mehr so verbindlich zu sehen wie zur Zeit der Entwicklung des Konzepts im Jahr 1948.

Kritische Übergänge, an deren Bewältigung Personen scheitern können, definieren wir ebenfalls als Entwicklungsaufgaben. Sie stellen sich in einer flexibilisierten Arbeitswelt immer wieder bzw. werden uns gestellt: Wer die Entwicklungsaufgabe, einen Beruf zu erlernen und auszuüben, bewältigt hat, kann sich nicht darauf verlassen, dieser Aufgabe nicht noch mehrmals gegenüberzustehen. Wer sich beruflich neu orientiert, steht somit wieder vor einer Entwicklungsaufgabe, die er bereits einmal bewältigt zu haben glaubte und an der er auch scheitern kann. Die Frage nach der beruflichen Identität stellt sich neu.

Nicht jeder braucht an einem oder jedem dieser Übergänge Unterstützung durch einen Coach. Doch Coaching ist geeignet, für jeden dieser Übergänge hilfreich zu sein. Und jeder dieser Übergänge bezeichnet einen Punkt, an dem Menschen dabei scheitern können, ihre Freiheit im Sinne der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der freien Wahl des Berufs und der Arbeitsstätte wahrzunehmen.

Ich will davon erzählen, welche Erfahrungen mir Menschen berichten, die vor einer solchen Situation stehen. Wie gehen Menschen mit dieser Situation um? Meine Beobachtungen wurden durch zahllose Schilderungen von Coaches, Lehrer:innen, Personalentwickler:innen bestätigt, und ich möchte sie hier durch eine fiktive Person sprechen lassen, die stellvertretend für viele der genannten Gruppierungen steht. In Erstgesprächen sind mir Schilderungen wie die folgende häufig begegnet:

»Ich habe mich in letzter Zeit sehr viel im Internet umgesehen und dann habe ich meinen Lebenslauf aktualisiert und auf ein paar Portale hochgeladen. Ich habe außerdem mein LinkedIn-Profil aktualisiert. Dann kamen auch ein paar Jobvorschläge, aber ich weiß nicht, ob das das Richtige für mich ist. Mein letzter Job war schon in Ordnung, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt so auch die nächsten Jahre so machen will. Und ich weiß nicht genau, ob ich geeignet für etwas anderes bin. Eigentlich weiß ich gar nicht genau, was ich als Nächstes machen will.«

Nun unterliegt meine Erfahrung einem Selektionseffekt. Ich treffe auf viele Menschen, die gerade mit diesen Orientierungsfragen zu tun haben, bzw. führe viele Gespräche, in denen diese Thematik angesprochen wird. Aber auch aus privaten Gesprächen ist mir kaum jemand bekannt, der nicht schon ähnliche Überlegungen wie die eben geschilderten angestrengt hätte.

Kennzeichnend für diese Situation ist, dass sich Personen häufig in eine fast gänzlich passive Position begeben. Statt sich intensiv mit der Frage zu beschäftigen, was sie eigentlich wollen und können, geben sie diese Entscheidung mehr oder weniger kampflos nach außen und überlassen es dem Markt oder den Algorithmen von LinkedIn oder einer Jobplattform, einen passenden Job anzubieten.

Ganz unabhängig von der jeweils aktuellen Arbeitsmarktlage ist diese Lebenssituation immer eine Herausforderung. Wenn es wenige Jobs gibt, ist es wichtig, einen klaren Fokus darauf zu haben, wo man Chancen hat, die eigenen Kompetenzen in einen Job umzusetzen. Und in einem Arbeitnehmermarkt mit vielen Optionen ist es ebenfalls wesentlich, sich klarzumachen, welche dieser Optionen am besten oder zumindest gut zum Patchwork der eigenen Biografie passt.

Es geht also bei einer beruflichen Orientierung immer darum, herauszufinden, was man eigentlich will. Und dies herauszufinden ist schwierig. Arthur Schopenhauer drückte ein wesentliches Dilemma der Willensfreiheit mit dem Satz aus: »Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.« Der willenlose Mensch ist in einer Welt voller Optionen aufgeschmissen. Er wirkt hilflos, kommt sich minderwertig vor, droht an Entwicklungsaufgaben zu scheitern oder zumindest zu straucheln.

Der freie menschliche Wille ist in den vergangenen Jahren aus hirnphysiologischer Hinsicht stark hinterfragt worden und die Behauptung seiner Existenz fast in Verruf geraten. Hirnscans zeigen, dass etwa der Wille, die Hand auszustrecken oder einen Gegenstand zu ergreifen, bereits im Hirn sichtbar ist, bevor er der untersuchten Person zu Bewusstsein kommt. Das mag zutreffen, aber es wäre zu weitgehend interpretiert, deshalb den Menschen mit all seinen Willensbekundungen als Reaktion auf die eigenen Hirnaktivitäten zu bezeichnen. Für die Lebensrealität ist diese Überlegung jedenfalls nicht sonderlich hilfreich – der freie Wille existiert zumindest per Übereinkunft. Weil Menschen ihn brauchen, um ihr Leben gestalten zu können und eben berufliche Orientierung zu finden. Ich lege diesen Gedanken deshalb an dieser Stelle zur Seite.

In der Psychologie beschäftigen sich einige Theorien mit der Frage, wie es vom Punkt der Willensbildung, also der kognitiven Formulierung eines Willens, zur tatsächlichen Umsetzung dieses Willens kommt. Das bekannte Rubikon-Modell von Gollwitzer (1995) beschreibt diesen Prozess.

Relativ wenig Forschung jedoch befasst sich mit der Frage, wo der Inhalt des Willens eigentlich herkommt. Wie kommt es, dass eine Person Astronaut werden möchte, sich eine andere für Krankenpflege begeistert, wieder eine andere Programmiererin wird und eine weitere Person Jurist:in oder Lehrer:in?

Im schlechtesten Fall haben diese Personen einfach getan, was von ihnen verlangt wurde oder was ihnen vorgeschlagen wurde – häufig ist dies der schlechteste Fall, nicht immer. Es gibt ja auch Menschen, die auf diese Weise an ihren Traumjob gelangt sind. Im besten Falle haben sie aufgrund der Kenntnis der eigenen Talente und Überzeugungen ein Feld gewählt, in welchem sie ihrer Erwartung nach wirksam sein können, in welchem sie die Möglichkeit erwarten, aus eigener Kraft glücklich zu werden. Und um solch eine bewusste Entscheidung treffen zu können, um einen solchen Willen zu entwickeln, brauchen wir in jeder der oben beschriebenen Situationen, in denen ein kritischer Laufbahnübergang stattfindet, einen Moment des Innehaltens und idealerweise auch ein Angebot zur Karriereberatung.

Man könnte noch weiter gehen und sagen: Es sollte eine Art Grundrecht auf Karriereberatung geben. Dieses Grundrecht lässt sich sogar argumentativ aus dem Grundgesetz ableiten.

1.2 Berufliche Orientierung als Kulturtechnik und Grundrecht

1.2.1 Die Grundrechte

Ich möchte an dieser Stelle einen kleinen Ausflug unternehmen und fragen: Wenn sich die Welt so drastisch verändert, wie ich es im vorangegangenen Kapitel kurz geschildert habe, wäre es dann nicht eine Art Kulturtechnik, über die jede:r Bürger:in verfügen sollte, mit Veränderungen gut umzugehen? Mit Veränderungen umgehen – das ist es ja eigentlich, wozu Coaching, und insbesondere Karrierecoaching, befähigen soll. Sollte es deshalb vielleicht sogar so etwas wie ein Grundrecht auf Coaching geben? Theoretisch klingt das großartig. Vor allem für Coaches klingt das wie ein Schritt in Richtung Paradies. So etwas wie »Coaching auf Kasse«, als abrechenbare Leistung.

Allerdings ist das von der falschen Seite her gedacht. Es geht ja nicht um das Recht von Coaches auf Klient:innen, sondern auf das Recht von Menschen auf Coaching-Leistungen bzw. Unterstützung dabei, sich in einer verändernden Welt zurechtfinden zu können.

Ich will dazu ein wenig ausholen und zunächst einmal die Frage stellen: Was ist eigentlich ein Grundrecht? Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland werden die Grundrechte im I. Abschnitt unter Artikel 1 bis 19 aufgeführt – bzw. werden diese Artikel im Alltagsgebrauch als Grundrechte bezeichnet. Da gibt es das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, den Schutz der Menschenwürde und noch einige mehr.

Es sind von Werten getragene Koordinaten für die operative Ausgestaltung des Staatswesens in Deutschland. Die Auslegung dieser Grundrechte ist immer wieder schwierig. Man muss zwischen dem Grundsatz, dem Willen der Gestalter der Grundrechte folgen zu wollen, und einer Anpassung an aktuelle Gegebenheiten abwägen. Noch im Jahr 1979 stellte beispielsweise das Bayerische Oberste Landesgericht fest, dass für Lehrer an Volksschulen ein »gewohnheitsmäßiges körperliches Züchtigungsrecht« bestehe. Erst 1980 wurde die Prügelstrafe an bayerischen Schulen abgeschafft. Heute scheint uns jegliche Körperstrafe selbstverständlich gegen die Grundrechte zu verstoßen. Es gibt mehrere solcher Beispiele: Man denke nur daran, dass Frauen in der Bundesrepublik Deutschland bis 1977 das Einverständnis ihres Ehemannes benötigten, um einer Erwerbsarbeit nachzugehen oder die Strafbarkeit von Homosexualität erst 1994 vollständig aufgehoben wurde.

Die Grundrechte bilden einen Rahmen, der vor dem jeweiligen Zeithintergrund immer wieder neu diskutiert werden muss. Sicher schwebte den Eltern der Verfassung kein Grundrecht auf Coaching vor. Coaching gab es zur Zeit des Verfassungskonvents ja noch gar nicht. Coaching kann allerdings notwendig werden, um die verfassungsmäßigen Grundrechte wahrnehmen zu können. Für die Fragestellung nach so etwas wie einem Grundrecht auf Coaching sind insbesondere Artikel 2 und 12 interessant:

Artikel 2, Absatz 1: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Artikel 12, Absatz 1: Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.

Das ist gut gedacht und schön gesagt. Die Frage ist jedoch, ob diese Rechte selbstverständlich von jeder Person in Deutschland wahrgenommen werden können. Artikel 2 zum Beispiel ist eine Art juristische Ausformulierung des Kategorischen Imperativs; in Alltagssprache: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Die Freiheit des Einzelnen soll nur durch die Freiheit der anderen beschränkt werden. Das Grundgesetz stellt jedoch nicht die Frage, wie es dem Einzelnen überhaupt gelingen kann, seine Freiheitsrechte wahrzunehmen. Das aber ist eine sehr wichtige Frage.

In Bezug auf das Thema Coaching gibt es einige immer wieder gestellte Fragen von Coachees:

Welcher Beruf passt zu mir?

Was kann ich richtig gut?

Welche Ausbildung soll ich machen?

Was soll ich beruflich als Nächstes machen?

Wie kann ich mich am besten weiterentwickeln?

Ganz selbstverständliche Fragen also. Und jetzt wird es interessant: Wenn Menschen das Recht haben sollen, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten und einen Ausbildungsplatz und einen Beruf zu wählen, dann stellt sich die Frage, wie man sie darin unterstützen kann, diese Rechte auch wahrnehmen zu können.

Im vorigen Kapitel habe ich darauf hingewiesen, dass man die Stationen, an denen man solche Fragen stellt, als kritische Laufbahnübergänge oder eben als Entwicklungsaufgaben bezeichnen kann, deren Bewältigung ganz wesentlichen Einfluss auf die jeweilige Zukunft der Person hat, die sich einer solchen Aufgabe aktuell gegenübersieht. Man könnte natürlich einwenden, da handle es sich um ein Luxusproblem. Doch gerade, wenn wir an die Entfaltung der Persönlichkeit denken, geht das Problem tiefer. Dieser Prozess ist kein Luxus, sondern kann als Voraussetzung für ein glückliches Leben bezeichnet werden.

Wir haben ebenfalls festgestellt: Der permanente Wandel ist Teil unserer Kultur geworden. Wenn wir dies als Tatsache anerkennen, so müssen wir uns Gedanken darüber machen, welche Techniken Menschen beherrschen sollten, um sich in dieser Kultur frei entfalten zu können. Das Entwickeln neuer Kulturtechniken sichert den Bestand und den Wohlstand von Gesellschaften.

Feuer machen, Landwirtschaft, Schreiben, Rechnen, Mobilität – all das sind Kulturtechniken, deren Entwicklung auf der einen Seite die jeweilige Gesellschaft, die diese Kulturtechnik zuerst entwickeln und einer breiten Masse zugänglich machen konnte, vorangebracht haben. Auf der anderen Seite bezeichnen sie Distinktionsmerkmale: Wer die jeweilige Kulturtechnik nicht beherrscht, wer nicht schreiben und rechnen kann, wer nicht mobil ist, wer kein Smartphone hat, wer sich nicht im Internet auskennt, dem fehlen wesentliche Techniken, um am gesellschaftlichen Leben und am Fortschritt teilhaben zu können. Das bedeutet also: Wer Kulturtechniken nicht beherrscht, kann seine Grundrechte nicht wahrnehmen. Wenn wir den permanenten Wandel als Teil unserer Kultur annehmen, der außerdem auch kritische Wegmarken in unserer persönlichen Entwicklung bezeichnen kann, dann müssen wir als neue Kulturtechnik den Umgang mit diesem Wandel erlernen, um unsere Grundrechte wahrnehmen zu können.

1.2.2 Was hat das jetzt mit Coaching zu tun?

Der Schluss ist an sich klar: Typische Coaching-Anlässe beschäftigen sich im weitesten Sinne fast immer mit Fragen, die die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben oder Fragen der berufsbezogenen Identitätsentwicklung betreffen. Ganz gleich, ob es sich dabei um einen aktuellen Konflikt im Job handelt, eine Überlastungssituation oder um die Planung der individuellen Laufbahn. Coaching stellt die zentralen Fragen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Berufswahl betreffen. Coaching hilft Menschen dabei, ihre Grundrechte wahrzunehmen.

Allerdings findet Coaching noch immer überwiegend in den Führungsetagen statt. Hier werden die besten Sätze gezahlt und erledigte Jobs ziehen Folgejobs im gleichen Segment nach sich. Auch wenn man in den vergangenen Jahren eine Demokratisierung in Bezug auf die Coaching-Klientel sah, so richtet sich Coaching noch immer hauptsächlich an das mittlere und hohe Management. In diesem Zusammenhang sollte bedacht werden: Die Anlässe, die ein Coaching begründen, beschränken sich nicht auf diese Zielgruppen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger im mitteleuropäischen Kulturkreis haben regelmäßig mit solchen Herausforderungen zu tun, die man wie oben dargestellt auch als Entwicklungsaufgaben bezeichnen kann.

Einige Coaches bieten Coaching für Privatpersonen, Student:innen und Schüler:innen zu Stundensätzen von unter 100 Euro an. Im Top-Management-Bereich steigen die Sätze auf bis zu 300 Euro. Viele Menschen sind nicht in der Lage, gängige Coaching-Stundensätze zu bezahlen, auch wenn diese im unteren Preissegment angesiedelt sind. Die Frage ist, wie man es möglichst vielen Menschen ermöglichen kann, Coaching-Leistungen in Anspruch zu nehmen, auch wenn sie nicht in der Lage sind, diese selbst zu finanzieren. Es gibt etwa die Möglichkeit, seitens der Arbeitsagentur Coaching-Leistungen finanziert zu bekommen – das ist gut, greift aber zu kurz. Auch Lesen und Schreiben sollte man ja als Kulturtechniken nicht nur dann lernen, wenn man anders keinen Job bekommt.

Was also tun? Sollte man eine Art Coaching-Krankenkasse abschließen, um regelmäßig Coaching-Leistungen in Anspruch nehmen zu können? Sicher nicht. Vielmehr wäre ein erweitertes Coaching-Verständnis wünschenswert – oder zumindest ein Verständnis davon, wie man sich ressourcenorientiert mit der beruflichen Situation seines Gegenübers beschäftigen kann. Hierfür sollte zumindest ein grundlegendes Verständnis davon entwickelt werden, was Kompetenzen sind und wie sich diese entwickeln lassen. Im Alltagsverständnis bezeichnen Kompetenzen nämlich lediglich Fertigkeiten und es fehlt meist eine konkrete Vorstellung davon, wie man diese weiterentwickeln kann: durch Üben vielleicht, oder durch Lernen. Aber wie übt man? Was soll man lernen?

Lehrer:innen, Führungskräfte, Kolleg:innen, Partner:innen, Berater:innen, Dozent:innen – sie können, auch ohne Coaches zu sein, einen differenzierten Blick auf ihr Gegenüber gewinnen, wenn sie lernen, es darin zu unterstützen, die eigenen Kompetenzen differenziert zu betrachten. Und mehr als das: Es sollte zu ihrer zentralen Aufgabe werden. In jedem Gespräch, in dem sich Menschen mit der beruflichen Situation ihres Gegenübers beschäftigen, sollten sie dieses darin unterstützen, die eigenen Kompetenzen zu erkennen, die dafür nützlich sind, die aktuelle berufliche Situation zu bewältigen.

Man stelle sich vor, alle Dozent:innen, Lehrer:innen, Führungs- und Beratungskräfte an öffentlichen Stellen würden sich dafür interessieren, was man weiß, welche Erfahrungen man hat, welche Skills man mitbringt, wo die Talente liegen und was man gerne machen möchte. Das ist kein professionelles Coaching, aber eine solche Coaching-Haltung nützt sehr viel. Wenn ich in einen Kontext gerate, in dem ich mich beruflich orientieren will oder muss, dann sollte ich das Recht haben, nach genau diesen Aspekten gefragt zu werden, um sie in die weitere Gestaltung meiner beruflichen Zukunft einbringen zu können.

Coaching wird häufig von der Anbieterseite betrachtet: Warum ist Coaching wichtig? Wie hoch sind die Tagessätze? Wie können sich Coaches organisieren? Wie können sich qualifizierte Coaches von selbsternannten Coaches absetzen? All das sind Fragen, welche nur sekundär die Klienten im Blick haben.

Wenn man aber akzeptiert, dass Coaching-Ansätze nützlich sind, um Menschen bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben behilflich zu sein, damit sie ihre Grundrechte wahrnehmen können, dann muss man von den Klienten aus denken. Coaching sollte keine exklusive Veranstaltung sein, sondern dort stattfinden, wo die potenziellen Klienten sind. Wo ist das? Wo beschäftigen sich viele Menschen mit ihrer beruflichen Situation?

An Schulen, in jeglichen Ausbildungsstätten, in der Arbeit, in öffentlichen Institutionen. An all diesen Stellen arbeiten Menschen, die nicht professionelle Coaches sein können, aber zu deren Professionalität es gehören sollte, eine Coaching-Haltung einnehmen zu können, vollkommen unabhängig von der Fakultät oder dem beruflichen Hintergrund. Es sollte die Aufgabe jeder lehrenden, beratenden oder führenden Kraft sein, eine ressourcen- und potenzialorientierte Haltung an den Tag zu legen, sich um die Potenziale und Kompetenzen des Gegenübers zu kümmern und bei deren Entwicklung zu unterstützen.