Wespennest - Uta-Maria Heim - E-Book

Wespennest E-Book

Uta-Maria Heim

4,4

Beschreibung

Mit 86 haut der rote Karle noch einmal richtig auf den Tisch. Vom Nazi-Terror über den RAF-Terrorismus bis zum weltweiten Wirtschaftskollaps - Furcht, Schrecken und Dummheit sind einfach nicht totzukriegen. Doch im Ländle rumort es. Auf zum Widerstand! Während in Baden-Baden die postbürgerliche Revolution tobt, regt sich auch in Stuttgart Protest. Und Karle holt in Schramberg die Waffe aus dem Schrank. Uta-Maria Heim hat ihr Krimidebüt „Das Rattenprinzip“ nach 18 Jahren vom Kopf auf die Füße gestellt. Da ist Schluss mit lustig: Aus dem elastischen Wendehals wird der knallharte Klassenfeind. Kein Wunder, wenn sich öfter mal eine Kugel verirrt. Der Sieg des Rattenprinzips verläuft selbst für echte Heldinnen und Helden tragisch.

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Seitenzahl: 344

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Uta-Maria Heim

Wespennest

Der Sieg des Rattenprinzips

Impressum

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www.gmeiner-verlag.de

© 2009 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

3. Auflage 2013

Neue epub-Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Katja Ernst

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: www.sxc.hu

ISBN 978-3-8392-3428-0

Widmung

Für Eberhard und Pauline

Vorspann

Seid wachsam! Hütet euch vor der Verbrüderung mit der Realität! Sobald ihr, sei es aus Anlehnungsbedürfnis, sei es aus Laufbahngeilheit, den Pakt mit ihr geschlossen habt, seid ihr des Teufels. […]

… und darum gibt es für euch nichts Erstrebenswerteres als den Intimverkehr mit dem Realen, das aber heißt: mit dem Teuflischen. […]

… die Unterwerfung, die Anpassung, die Identifikation mit den Peinigern, das jauchzende Ja zur eigenen Verstümmelung, den Zungenkuss mit dem Status quo, die demonstrative Begattung mit der Wirklichkeit! […]

Das Bestehende sehnt sich danach, von euch gefickt zu werden, und eure Erzieher sehnen sich danach, euch dabei zuzuschauen. Und je routinierter ihr euch anstellt, umso entspannter, umso wohlwollender, umso strahlender wird ihre Miene.

Markus Werner, Zündels Abgang

Prolog

Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Das ist Quatsch. Die Zeit heilt gar nichts. Ich weiß das, und du weißt es auch. Das Einzige, was hilft, ist Töten. Man muss den, der einem das Leben zerstört hat, auslöschen. Auf Gewalt folgt Gegengewalt, Auge um Auge. Das ist keine Lösung, aber es hilft.

Du müsstest mir nun zuhören, ich könnte dich zwingen dazu. Aber leider habe ich dir nun, wo es fast schon zu spät ist, überhaupt nichts mehr zu sagen. Noch ahnst du nicht, dass ich in meiner Tasche eine Pistole habe, oder ists ein Revolver? Ich kenne mich damit nicht mehr aus, aber ich weiß, wie man die Dinger entsichert.

Es ist nicht einfach, zum letzten Mittel zu greifen. Es kommt einem zu banal vor und zu unrealistisch. Nirgendwo gibt es ein Amt, wo man hingehen kann und einen Mord anmelden, so, wie man die Geburt eines Kindes anzeigt, einen Wohnungswechsel oder den Austritt aus der Kirche. Das ist eigentlich schade, weil es für alles andere im Leben Stempel und Urkunden gibt. Selbst der Tod wird nach Vollzug sofort aktenkundig.

Du meinst, ich sei ganz gelassen, aber das täuscht. Meine Hände zittern, und ich kann kaum stehen, weil mir die Beine wegsacken. Ich stehe an dem Eck vom Dresdener Platz, wo schon mal was passiert ist, in der Dunkelheit und warte. Gelehnt an einen Baum, den sie wahrscheinlich nach dem Unfall damals neu gepflanzt haben. Er weiß nichts von dem, was geschehen ist. Auch nicht von dem zwischen dir und mir. Du wirst in Kürze kommen. Du wirst pünktlich sein. Ich werde dich von vorn erschießen, ins Gehirn. Ich habe gelesen, dass paranoide Beziehungstäter dem Opfer das Gesicht auslöschen. Pah! Paranoid! Beziehung! Aber es ist ein schöner Gedanke: Dein Gesicht. Nicht mehr da. Da ich so was schon lange nicht mehr gemacht habe, weiß ich nicht, was passiert, wenn ich abdrücke.

Du kommst auf mich zu, etwas gebeugt, mit kurzen Schritten, ich nähere mich dir ohne Hast, sehe die Schemen deines Gesichts, du lächelst, ich hebe im Lauf die Hand mit der Waffe, strecke den Arm aus und drücke ab.

Vermutlich sollte ich es gleich tun. Sobald du mich in ein Gespräch verwickelst, bin ich wahrscheinlich gar nicht mehr in der Lage dazu. Mein Plan ist einfach: Du kommst auf mich zu, ich schieße, lasse die Waffe fallen und haue ab, die Stäffele hinauf Richtung Tagblatt-Gebäude. Ich habe den Tatort mit Bedacht wählen lassen. Da auf diesem Platz schon mal einer umkam, wird die Polizei bestimmt ihre Schlüsse daraus ziehen.

Es ist verflucht kalt und ich friere in meinem dünnen Mantel. Meine Hände sind trotz der gefütterten Lederhandschuhe schon ganz klamm. Nach und nach gehen hinter den Fenstern die Lichter aus. Die Laternen erlöschen. Die Jugendstilfassaden erstarren in einem gräulichen Zwielicht. Dräuende Figuren aus Stein werfen sich mir entgegen und verharren glubschäugig, mit wildem Haar und vor Entsetzen gespreizten Fingern. Bestimmt sind die Häuser denkmalgeschützt. Kein Mensch ist unterwegs. Nur eine gepflegte Katze kreuzt geschäftig und zielbewusst die Straße, bevor sie in einem Busch neben den Stäffele verschwindet. Unten in der Lassallestraße rauschen einzelne Autos vorbei. Gleich ist es Mitternacht und ich lausche auf den Glockenschlag, der sich mit dem Nahen deiner Schritte verbindet.

Donnerstag, 17. April

»Ich sterbe«, schrie Turu.

»Atme tief ein«, sagte Tofu, »und entspanne deine Muskeln. Das wird deine Angst beenden. Das Sterben ist eine interessante Erfahrung, aber Ängstlichkeit wird dir diese Erfahrung verderben.«

Janwillem van de Wetering, Der neue Schüler

1. Fatma Özdamar

Es wurde hell und die Vögel schrien. Es waren nur zwei oder drei Vögel, die sich im frischen Laub einer jungen Kastanie versteckten, die noch nicht blühte. Ihre Kerzen waren mickrig wie Säuglingspenisse. Der Frühling kam nicht richtig in Schwung. Ski und Rodel waren noch nach Weißsonntag auf der Schwäbischen Alb gut. Im Welzheimer Wald wurden als Aprilscherz organisierte Schneeschuhwanderungen angeboten. In Stuttgart regte sich nicht ein Blatt. Ostern Mitte März hatte das Bild geboten einer weißen Weihnacht. Nachdem es selbst in Tieflagen geschneit hatte, waren die Temperaturen nachts auf zehn Grad minus abgesunken, während tagsüber so was wie Polarsommer herrschte: Fahlblauer Himmel ohne ersichtliche Fortschritte jedweder Vegetation. Anfang April war es auf einmal fast sommerlich geworden, die Natur hatte sich nach dem langen Winterschlaf gestreckt, vorwitzig lugten die Knospen aus den Zweiglein, aber dann hatte es wieder abgekühlt. Nun regnete es schon seit Tagen, heftige Graupelschauer wechselten ab mit Nieselregen.

Am frühen Donnerstagmorgen war es vergleichsweise trocken, nachdem es die halbe Nacht geschüttet hatte. Der Himmel hing tief. Der Stuttgarter Westen lag da in einem grauen Licht, unnahbar und steinern, ganze Straßenzüge waren baumlos und ohne Blumen, die Jugendstilfassaden rußgeschwärzt. Sie waren mit vielerlei Figuren verziert, Fabelwesen und Göttern, die wild gestikulierend und mit schmerzverzerrten Gesichtern erstarrt waren. Ihre Augen waren tot, ihre Schreie stumm. Dahinter lebten, eng auf dichtem Raum, Menschen.

Besonders trist war an diesem Morgen die Gegend um den Dresdener Platz. Er lag am Hang, aber das Eck war zu verwinkelt, als dass man den Talblick hätte genießen können. Die denkmalgeschützten Mietshäuser, die in einem Abstand von genau drei Metern gebaut worden waren, hatte man in den Siebzigerjahren in Einheiten mit lauter kleinen Eigentumswohnungen verwandelt. Darin lebten vor allem ältere Leute, Rentner, Witwen und alteingesessene Gastarbeiterehepaare, die bescheiden und bedürfnislos ihre Kehrwoche verrichteten und kein Aufhebens machten. Daher lehnten nirgends Fahrräder, klebten nirgendwo Plakate, gab es weder Kneipen, noch Geschäfte, mit Ausnahme einer schäbigen Bäckereifiliale, die allerdings noch nicht geöffnet hatte.

Nur vereinzelt fuhren Autos, aber man hörte den Verkehr unten in der Lassallestraße. Er strömte stadteinwärts. Das Straßennetz im Talboden war fast schachbrettartig angelegt, die wenigen Quertrassen waren früher Feldwege gewesen. Die Hänge hinauf führten Stäffele, schmale, gerade Steinstie-gen mit geschwungenen Geländern. Der Dresdener Platz lag auf halber Höhe zwischen Herbsthalde und Vogelsang. Vor den Stäffele, die hinuntergingen zur Lassallestraße, stand der einzige Kastanienbaum weit und breit. Er markierte das Ende des ovalen Plateaus, das idiotischerweise nordwestlich vom Leipziger Platz lag. Dass Dresden sich im Südosten von Leipzig befand, hatte bei der Konzeption des Viertels keine Sau interessiert. Eine gewisse Hudelei zeigte sich auch in der Anmutung. Links von den Treppen, die noch weiter nach oben führten, war ein Brunnen mit einer Wasser speienden Nixe, der wirkte wie falsch abgestellt. Rechts wuchsen Hecken, die mit einer in Virginia Beach / USA gefertigten schwäbischen Stihl-Motorsäge regelmäßig schief getrimmt wurden. Beim dritten Stäffele war in der Hecke ein Loch und unterhalb des Lochs lag, leicht sichtbar, eine Waffe im Dreck.

Es war eine Smith & Wesson 4 Zoll brüniert 4,5 Millimeter Diabolo. Ein präzise gearbeiteter CO2-Revolver aus der Modellreihe 586/686 mit einer herausragenden Leistung und zehn Schuss. Im Hinblick auf Handhabung und Gewicht entsprach er dem legendären .357 Magnum-Revolver.

Gegen sieben Uhr verstummten die Vögel. Auf dem Dresdener Platz herrschte eine merkwürdige Stille. Als Fatma Özdamar die Stäffele herunterkam, öffnete eben die Bäckereifiliale am Eck. »Mir hend no zu«, sagte die Halbtagskraft, die in der sperrangelweit offenen Tür stand. Von drinnen kam der Duft nach aufgebackenen Brezeln.

»Komm, gang mer weg. Zue! Etzetle, Silvi!« Wie meist, wenn sie sich aufregte, verfiel Fatma in ihr schlimmstes Stuttgarter Schwäbisch. »Ich möchte nur meiner Mutter ein frisches Brot bringen. Weil die kann sich doch so schlecht selber versorgen, woisch, und ich muss um halb acht zum Dienst.«

»In zehn Minuten.« Die Halbtagskraft zeigte an Fatma vorbei auf den Lieferwagen, der am Trottoir parkte. »Ich mach nur schon auf wegen den Zeitungen.«

Fatma wandte ihr schnaubend den Rücken zu. Sie wollte schon die ganzen Stäffele wieder hinauflaufen, weil ein gutes Stück weiter die Bäckerei Häfele war, wo eine Eritreerin arbeitete, die es mit den Zeiten nicht so genau nahm. Da entdeckte sie mitten auf dem Gehweg einen bronzefarbenen Stolperstein: »Hier wohnte Lilly Winterhalter geb. Tänzer, Jahrgang 1889. / Deportiert am 22.8.1942 ins KZ Theresienstadt. / Ermordet 1943 in Auschwitz.« Fatma hob leicht den Blick. In der Hecke lag eine matt glänzende Waffe, die ungefähr die Farbe des Himmels hatte.

2. Der rote Karle

Ich sag nichts, nein.

Da habt ihr es mit dem Rechten zu tun. Da hättet ihr früher kommen sollen. Als es an der Zeit war, hat keiner was gewollt. Alleweil hat man uns verseckelt bis zum seligen Ende. Aber ihr glaubt doch nicht, dass ich wirklich was damit zu tun hab? Dass wir da mit drinstecken in dem Dreck? Dass womöglich einer geschossen hat? Pfeifendeckel. Bei uns schießt lang keiner mehr. Ja, natürlich haben wir Waffen. Immer Revolver gehabt. Pistolen. Gewehre. Willst du sie sehen? Wir können allesamt runter in den Keller. Dort unten sind sie. Markenfabrikate! Mauser! FEG! Heckler & Koch! Alte Wertarbeit. Teils noch von meinem Vater. Kriegst du heut nirgends mehr. Kommt alles aus China. Alles nachgemacht. Außen hui, aber innen null Präzision. Damit kannst du nicht mal einen Hund abknallen. Marthel! Bring mir mal meinen Stecken. Die Herrschaften treibts aus der Küche. Was glotzt ihr so wie angenagelt? Man ist nicht mehr 50. Pfoten weg. Gut, dann bleib ich sitzen. Aber dann sitzt du auch. Das macht mich nervös, dein Gehampel. Du bist doch noch gar kein richtiger Kerle, Mensch. Ein Seichbüble. Nicht mal im Schwabenalter. Und so was schon Kriminalhauptkommissar. Was? Ja. Kriminalhauptkommissar Timo Fehrle. Hab ich mir gemerkt, wie du da reingekommen bist. Und aus dem Nachbarort. Vom Sulgen! Es ist nie nichts Gutes, was vom Sulgen rüberkommt. Aber jetzt hockst du in Stuttgart bei den Großkopfeten und fährst einen Audi. Stimmts? Hab ich recht? Zum Daimler langts nicht oder nur als Dienstwagen. So einer wie du ist verheiratet. Ring am Finger. Zwei Kinderfotos in der Brieftasch. Ein Bub und ein Mädle. Immer in der Ordnung alles. Bloß, wenn du dirs recht überlegst, so wie du rumläufst, bist du einer vom anderen Ufer. Schicke Klamotten und Hennendreck in den Haaren. Die vom Fehrleshof ticken eh nicht richtig mit ihren Viechern. Und du bist doch einer von denen Fehrles dort droben von der Heuwies. Da kannst du mir nichts vormachen, das seh ich gleich. Die sind nicht recht bei Verstand.

Eine Smith & Wesson 4 Millimeter, ja so. So was haben wir hier nicht. Das wüsst ich. Das ist doch ein Murks. Ja, kann man denn damit einem überhaupt einen sauberen Genickschuss verpassen?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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