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Dieser Band enthält folgende Romane: John Lorimer - Den Hals in der Schlinge (Pete Hackett) Tod auf dem Mississippi (Thomas West) Grainger und die Banditen (Neal Chawick) Jack Bristol und das Brandzeichen (Max Brand) Revolvermann Grainger kommt in die Gegend. Eine Handvoll Gunslinger überfällt eine Bank in einer kleinen Rinderstadt - und damit beginnt ein Trail der Gewalt. Grainger hängt sich an ihre Fährten. Er nimmt den Deputy-Stern.
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Seitenzahl: 561
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Western Viererband 4018
Copyright
John Lorimer - Den Hals in der Schlinge: Pete Hackett Western Edition 101
Tod auf dem Mississippi: Thomas West Western Edition 8
Grainger und die Banditen: Grainger - Die harte Western-Serie
Jack Bristol und das Brandzeichen
Dieser Band enthält folgende Romane:
John Lorimer - Den Hals in der Schlinge (Pete Hackett)
Tod auf dem Mississippi (Thomas West)
Grainger und die Banditen (Neal Chawick)
Jack Bristol und das Brandzeichen (Max Brand)
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER EDWARD MARTIN
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Alles rund um Belletristik!
Western von Pete Hackett
Über den Autor
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G. F. Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G. F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-Book bei CassiopeiaPress.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Ruhig weidete die Herde Pferde in dem provisorisch errichteten Seilcorral. Am niedrig brennenden Campfeuer hockte John Lorimer und starrte versonnen in die züngelnden Flammen. Von einem Gestell aus Astgabeln hing ein Kaffeetopf über dem Feuer. Er war rußgeschwärzt. John Lorimer hielt die Blechtasse mit beiden Händen fest. Einsamkeit umgab ihn.
Über den Berggraten im Westen hing glühend die Sonne und tauchte das Land in weiches rötliches Licht. Von Osten her schob sich amberfarben die Dämmerung. Noch immer war es heiß. Kein Luftzug regte sich.
In die Stille hinein erklang ferner Hufschlag. Er näherte sich von Westen. Lauschend hob John Lorimer den Kopf. Er streifte mit einem Blick sein Reitpferd, eine Fuchsstute. Sie witterte in die Richtung, aus der das Hufgetrappel ertönte und spielte mit den Ohren.
John stellte die Tasse ab und erhob sich mit einem Ruck. Groß und hager stand er da, hellwach und angefüllt mit düsteren Ahnungen. In dieser Einöde konnte man niemals wissen, wessen Weg man kreuzte. Hier galt das unerbittliche Gesetz des Stärkeren, egal, ob dieser gut oder schlecht war. Und darum stellte John sich auf Verdruss ein. Er rückte seinen Revolvergurt zurecht, lüftete das Schießeisen etwas im Holster und ging zu seinem Sattel, angelte sich die Winchester und hebelte eine Patrone in den Lauf. Dann zog er sich in das dichte Gestrüpp zurück, das seinen Lagerplatz säumte, und wartete.
Die Fuchsstute schnaubte warnend. Die Pferde im Seilcorral hatten aufgehört zu grasen und wurden unruhig. Es waren zwanzig erstklassige Tiere, die bis vor wenigen Wochen noch mit Wildpferdherden durch die Weite der Prärie streiften. Sie waren für den Armeeposten der Alamogordo-Reservation bestimmt.
Der Hufschlag näherte sich rasch, schwoll an wie dumpfes Donnergrollen. Und schließlich trieben sechs Reiter ihre Pferde aus einem Einschnitt zwischen den Geröllhängen in das Hochtal. Sie zügelten ihre Tiere und starrten zu der Stelle, an der die dünne Rauchsäule des Lagerfeuers zum Himmel stieg.
John atmete aus. Diese Kerle waren gekleidet wie Cowboys. An ihren Sätteln waren Lassos und Campzeug befestigt. Sie trugen ihre Colts hoch an der Hüfte, was darauf schließen ließ, dass sie alles andere als Burschen vom heißen Eisen waren.
Dennoch blieb John misstrauisch und wachsam. Er war ein Mann, der sich niemals vom ersten Eindruck täuschen ließ. Er verharrte in seiner Deckung und beobachtete, wie sie wieder anritten. Im Trab trugen ihre Pferde sie heran. Bald konnte er Einzelheiten unterscheiden. Er sah ihre bärtigen Gesichter, den Staub auf ihrer Kleidung und im Fell der Pferde, und erkannte, dass sie einen langen Trail hinter sich hatten. Und ihm war klar, dass es sich tatsächlich um Rinderleute handelte.
Sie hielten an. Ihre Pferde tänzelten auf der Stelle. Ein helles Wiehern erschallte. Aufmerksam musterten sie die Pferdeherde, dann schweiften ihre Blicke suchend in die Umgebung.
»Hallo, Camp!«, rief eine staubheisere Stimme. John trat mit dem Gewehr im Hüftanschlag aus seiner Deckung.
»Heaven's, Stranger, warum so kriegerisch? Wir sind harmlose Pilger auf dem Weg nach Hause. Von uns will dir gewiss keiner ans Leder. Das darfst du mir glauben.«
John lauschte den Worten mit versteinerter Miene. Ihm entging nicht, dass einige der Reiter nervös in den Sätteln herumrutschten.
»Wo ist euer Zuhause?«, ließ er endlich vernehmen, ohne das Gewehr zu senken.
»Dachte schon, du wärst stumm, Fremder!«, kam es wieder von dem Sprecher. »Wir sind von der Star-Ranch. Mein Name ist Mark O'Brien. Wir haben eine kleine Herde Longhorns in Santa Fe verkauft und sind auf dem Heimweg. Es ist Zufall, dass wir auf dein Camp gestoßen sind.«
»Wo liegt die Star-Ranch?«, fragte John, dem es nicht gelang, seinen Argwohn zu unterdrücken, obwohl alles dafür sprach, dass O'Brien die Wahrheit sagte.
»Am San Juan de Dios Creek, westlich von Puerto de Luna. Sie gehört meinem Vater, Bill O'Brien. Hast du etwas dagegen, wenn wir die Nacht an deinem Feuer bleiben, Amigo?«
»Ich habe eine Menge schlechter Erfahrungen hinter mir«, gab John zu verstehen. »Aber dieses Land gehört allen. Und darum kann ich euch nicht hindern, hier von den Gäulen zu steigen und zu lagern.«
»Sehr freundlich bist du ja nicht gerade«, maulte O'Brien und verzog das von Schweiß und Staub verkrustete Gesicht. In seinen Pupillen lohte plötzlich ein zorniges Licht. »Willst du nicht endlich die Knarre herunternehmen? Du machst uns nervös.«
Ein karges Lächeln huschte um Johns Lippen und lockerte seine verkniffenen Züge ein wenig auf. Er ließ die Winchester sinken und versetzte kehlig: »Ihr seht nicht gerade vertrauenerweckend aus, Gents. Und zwanzig Klassepferde wie die dort«, er wies mit der Gewehrmündung in die Richtung des Corrals, »können so manchen Mann auf krumme Gedanken bringen.«
»Du siehst auch nicht gerade aus wie ein feiner Gentleman. He, hast du auch einen Namen?«
John nickte. »Ich heiße Lorimer - John Lorimer.«
»Well, Lorimer, dann höre jetzt, was ich dir sage: Wir sind ehrliche Cowboys, die einen rauen Trail hinter sich haben und froh sind, wenn sie endlich aus den Sätteln klettern und die Beine ausstrecken können. Wir wollen deine Gäule nicht. Dein Misstrauen ist unbegründet. Wir wollen überhaupt nichts von dir.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wir werden jetzt absitzen und unsere Tiere versorgen. Wenn es dir Spaß macht, kannst du ja mit der Knarre in den Fäusten aufpassen, dass wir deinen Pferden nicht zu nahe kommen.«
John war nicht begeistert. Daraus machte er keinen Hehl. Scharf fixierte er Mark O'Brien. Der Ranchersohn hielt seinem Blick gelassen stand.
»Schon gut, O'Brien. Mein Misstrauen sollte keine Beleidigung sein. Lagert meinetwegen hier. Doch du wirst sicher nichts dagegen haben, wenn ich mich von euch absondere.«
Mark O'Brien schwang das rechte Bein über das Sattelhorn und ließ sich vom Pferderücken gleiten. Er zuckte mit den Achseln. »Wir können dich nicht zwingen, uns Gesellschaft zu leisten.« Er schielte zu den Pferden hin und John glaubte einen jähen, habgierigen Ausdruck in seinen Augen wahrzunehmen. O'Brien fuhr kratzend fort: »Für wen sind die Pferde bestimmt?«
John wartete mit der Antwort, bis auch die anderen Männer abgesessen waren und ihre Pferde zu dem schmalen Bach führten, der das Tal zerschnitt. Schließlich murmelte er widerstrebend: »Für die Blauröcke in der Apachenreservation am Pecos River.«
Mark O'Brien lachte spöttisch auf. »Für die Armee sind diese Gäule zu schade, Lorimer. Viel zu schade. Warum verkaufst du sie nicht an einen reichen Rancher? Du könntest einen Haufen Dollars mehr herausholen.«
»Ich habe einen Vertrag mit der Armee«, erwiderte John knapp und wandte sich ab.
Wieder kam von Mark O'Brien ein hohnvolles Lachen. Aber der Bursche sagte nichts mehr, sondern zog sein Pferd ebenfalls zum Bach, um es zu tränken. John stakste zum zwischenzeitlich niedergebrannten Feuer, ging in die Hocke und beobachtete die Cowboys, die sich Staub und Schweiß von den Gesichtern wuschen, nachdem sie die Tiere versorgt hatten. Etwas an Mark O'Brien gefiel ihm nicht. Dieser Bursche hatte etwas Verschlagenes, Hinterhältiges an sich. Unbehagen begann John zu erfüllen. Er nahm sich vor, auf der Hut zu sein.
*
Die Nacht kam. Es wurde merklich kühler. Bei den Pferden war es ruhig. John lag in seine Decke gehüllt auf der Erde und starrte durch die Dunkelheit hinüber zu den Männern der Star-Ranch. Längliche schwarze Bündel, von denen nur tiefe, gleichmäßige Atemzüge verkündeten, dass in ihnen Leben war. Ab und zu ein gurgelnder Schnarchton, einige im Schlaf gemurmelte Worte - sonst nichts.
John spürte die Müdigkeit bleischwer in seinen Gliedern. Wochen härtester Sattelarbeit lagen hinter ihm. Irgendwann übermannte ihn der Schlaf. Es war, als würde er in einer schwarzen, weichen Wolke versinken. Und als er unsanft geweckt wurde, hatte er keine Ahnung, wie lange er weggetreten gewesen war. Das erste, was er begriff, war, dass sich die Reiter der Star-Ranch um ihn herum aufgebaut hatten. Das zweite waren die matt schimmernden Revolver, die sie in den groben Fäusten hielten und auf ihn gerichtet hatten. Und im nächsten Moment schon war er dem eisigen Wind der Erkenntnis ausgesetzt, dass sie ihn aufs Kreuz gelegt hatten. Das Lachen Mark O'Briens traf sein Selbstbewusstsein wie eine tiefe Kränkung.
»Nun, Lorimer, wir haben es uns überlegt. Die Gäule sind wirklich zu schade für die Pferdesoldaten. Um ein paar halbverhungerte Apachen unter Kontrolle zu halten, brauchen sie keine derartigen Klassetiere. Also werden wir uns um die Pferde kümmern.«
John lag ruhig da. Seine Augen glitzerten im unwirklichen Licht wie glasiertes Porzellan. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Aber er hatte keine Chance. Sie brauchten nur abzudrücken, um ihn mit ihrem Blei auf die Erde zu nageln. Er hatte das Gefühl, als schließe sich eine eisige Faust um seinen Magen.
»Also doch Banditen!«, entrang es sich ihm. Und während er sprach, tastete seine Rechte unter der Decke nach dem Colt. Die Fingerkuppen berührten den Knauf, dann schloss sich seine Faust um ihn. Und der Zorn kam; jäh und wild wie eine Sturmwoge. Aber es gelang ihm, der Vernunft den Vorrang zu geben und seine Empfindungen zu kontrollieren. Tief sog er die würzige Nachtluft in seine Lungen.
»Banditen ist nicht ganz treffend, Lorimer«, knurrte O'Brien düster. »Sagen wir lieber, dass wir Leute sind, die die günstige Gelegenheit, sich ein paar Dollar hinzuzuverdienen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Vielleicht hättest du uns freundlicher behandeln sollen.«
Einer der Burschen kicherte. Wieder musste John sich zur Ruhe zwingen. Heiser stieg es aus seiner Kehle: »Ich hätte euch mit Pulver und Blei zum Teufel jagen sollen. Das wäre die Sprache gewesen, die ihr verstanden hättet.«
»Dein Fehler, dass du es nicht getan hast!«, zischte O'Brien böse.
»Ein tödlicher Fehler!«, verbesserte einer der Star-Reiter zynisch.
Johns Körper spannte sich wie eine Feder. Seine Atmung und sein Puls beschleunigten sich. Den Worten, die signalisiert hatten, dass es für John um mehr ging als nur um die Pferde, folgte eine wachsame, angespannte Stille. Sie senkte sich wie ein Leichentuch zwischen sie herab.
»Für Pferdediebstahl wird man in diesem Land gehängt!« John versuchte, Zeit zu gewinnen. »Und erst recht für Mord.«
»Kein Hahn wird nach dir krähen, Lorimer. Hyänen und Aasgeier werden den Rest besorgen. In diesem Land kann ein Mann verschwinden wie ein Sandkorn in der Wüste.«
Schlagartig trocknete Johns Hals aus. Er spürte die Kälte, die aus dem Boden durch die Decke und in seine Kleidung zu kriechen schien, in sein Innerstes ziehen und verdammte seine Hilflosigkeit. Vorsichtig drückte er den Revolverkolben nach unten. Sein Zeigefinger legte sich um den Abzug, mit dem Daumen zog er den Hahn zurück. Das feine Klicken wurde von der Decke gedämpft und war für die Kerle ringsum nicht vernehmbar. John hingegen erschien es überlaut. Er spannte alle Muskeln und aktivierte all seine Sinne. Wenn er durch den Holsterboden schoss, würde die Kugel schräg nach oben fauchen und Mark O'Brien, der breitbeinig zu seinen Füßen stand, in den Leib treffen.
Kalt wog John seine Chancen ab. Und als er sprach, kam seine Stimme hart wie Metall. »Dich werden sie allerdings neben mich legen, O'Brien. Meine Kanone zeigt haargenau auf deinen Bauchnabel. Und wenn ich abdrücke, fliegen dir deine eigenen Gedärme um die Ohren.«
O'Brien versteinerte förmlich. Ein überraschter Ton entrang sich ihm. Einer seiner Männer zerkaute einen lästerlichen Fluch. Und er spürte mit der Intensität eines Mannes, nach dem der Sensenmann bereits die Knochenfaust ausstreckte, dass Lorimer es verdammt ernst meinte.
Dann gelang es ihm, die Starre abzuschütteln, und seine blinde, skrupellose Selbstsicherheit kehrte zurück. »Du vergisst nur, dass sechs Colts auf dich zielen, Lorimer!«, fauchte er, stieß den Kopf vor und fuchtelte bedrohlich mit dem Schießeisen. »Wir würden dich voll Blei pumpen, dass dir Hören und Sehen vergeht.«
»Du nicht, O'Brien!«, versetzte John furchtlos und sarkastisch. »Denn du wärst bereits auf dem Weg in die Hölle.«
Scharf stieß O'Brien die Luft aus. Es erinnerte an das Prusten eines Pferdes. Seine Unsicherheit kehrte zurück. Ernüchtert schaute er durch die Dunkelheit in die Gesichter seiner Männer. Fast körperlich spürte er die Verwirrung, die sich ihrer bemächtigt hatte. »All right«, grunzte er mit schwankender Stimme. »Es ist nicht nötig, dass Blei fliegt. Wir nehmen deine Pferde und verschwinden. Und du wirst dich hüten, uns zu folgen. Fang dir neue und verkaufe sie. Du wirst den Verlust verschmerzen.«
Mit der Linken schlug John die Decke zurück. Ohne O'Brien aus den Augen zu lassen, erhob er sich. Den Colt hatte er nun gezogen, die Mündung deutete unverrückbar auf den Ranchersohn. Klirrend lachte John auf. Die anderen standen wie erstarrt. John zischte: »Ich habe dich gleich nicht für besonders intelligent gehalten, O'Brien. Aber du bist noch viel dümmer, als du aussiehst. Ist es dein Ernst, anzunehmen, dass ich euch meine Pferde überlasse?«
Über O'Briens Lippen kam unverständliches Gestammel.
»Die Waffen runter!«, befahl John. Er trat einen Schritt auf O'Brien zu, seine Linke schoss unvermutet und ansatzlos nach vorn und erwischte den Burschen. John zog ihn mit einem Ruck zu sich heran, wirbelte ihn um seine Achse, sein linker Arm zuckte hoch, legte sich wie eine Stahlklammer um den Hals O'Briens, und ehe einer der Cowboys reagieren konnte, schwang John mit seinem lebendigen Schutzschild herum und nahm so Front zu ihnen ein. Noch einmal schnappte er: »Die Waffen runter!« Unbarmherzig bohrte er die Mündung seines Colts O'Brien in die Seite. Der Mann von der Star-Ranch ächzte und japste nach Luft unter dem ungnädigen Druck.
John hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Die Star-Reiter trugen schwer an ihrer Unschlüssigkeit. Lorimers Reaktion war die eines in die Enge gedrängten Raubtieres gewesen. Das Blatt hatte sich schneller gewendet, als sie es für möglich gehalten hätten.
Zuerst öffnete sich Mark O'Briens Hand. Sein Revolver klatschte ins Gras. Hart spürte er den Druck von Johns Unterarm auf seinem Kehlkopf. Die Luft wurde ihm knapp. Er röchelte, aber die Umklammerung lockerte sich nicht.
»Tut, was er sagt!«, krächzte er entsetzt.
Schließlich ließen seine Männer ihre Waffen fallen.
»Und jetzt verschwindet«, kam es trocken von John. »Ich warte haargenau eine Minute. Und wenn ich dann auch nur noch den Schatten eines von euch Dreckskerlen sehe, schieße ich.«
»So schnell können wir nicht satteln, Lorimer!«, wandte einer ein. »Und außerdem sind wir noch nicht angezogen. Wir …«
Mitleidlos schnitt John ihm das Wort ab. »Keiner hat gesagt, dass ihr reitet. Eure Waffen und Gäule bleiben hier. Ihr könnt sie euch in der Alamogordo-Reservation abholen. Und wenn ihr in Unterhosen auf der Star-Ranch ankommt, so ist das euer Problem. Ihr habt es herausgefordert.«
»Die Hölle soll dich verschlingen!«
Unbeeindruckt erwiderte John: »Es ist fast eine halbe Minute um.« Er versetzte Mark O'Brien einen derben Stoß, der den verhinderten Pferdedieb mit den Armen rudernd nach vorn taumeln ließ. »Ab mit euch!«
Fluchend setzten sie sich in Bewegung. Bald versanken ihre Konturen in der Finsternis. Die Wildheit wich von John. Die Spannung, die jeden Muskel und jede Sehne seines Körpers erfasst hatte, ließ langsam nach.
*
Heiß brannte die Sonne vom Himmel. Die Hitze machte das Atmen zur Qual und zehrte an den Kräften von Mensch und Tier. Die Pferdeherde zog nach Südosten. Staub wirbelte und hüllte sie ein. Das karge, zerklüftete Land ringsum mutete wie tot an. Kahle Ebenen aus Sand und Kies wechselten sich ab mit roten und gelben Sandsteinfelsen in allen Formen und Größen. Dazwischen wuchsen dornige Comas, und hier und dort hielten sich kleine Inseln harten, verdorrten Grases.
Scharfäugig spähte John in die Runde. Die Pferde der Star-Reiter liefen mit den Wildpferden. Ihre Sättel hatte John zurückgelassen, die Gewehre unbrauchbar gemacht, die Revolver in den Creek geworfen. Die Kerle waren spurlos verschwunden. Aber ein untrüglicher Instinkt sagte John, dass sie Rachepläne schmiedeten und er mit ihnen noch rechnen musste. Dass sie waffenlos waren, glichen sie mit ihrer Überzahl aus, außerdem würden sie den Ort und den Zeitpunkt der Vergeltung bestimmen.
Die Sonne kletterte höher und höher und stand bald im Zenit. Das Land hatte sich in einen Backofen verwandelt. Große, feuchte Flecken auf Johns Hemd verrieten, wie sehr er schwitzte. Staub hatte sich unter seiner Kleidung festgesetzt und brannte auf seiner Haut. Staub und Schweiß lagen wie eine graue Maske auf seinem Gesicht, hatten seine Augen entzündet und die Lider rot gerändert.
Es ging über ein Geröllfeld, an dessen Ende die Umrisse riesiger Felsbarrieren in der flirrenden Luft ineinander verschwammen. Die dunklen Einschnitte und Risse waren Schluchten und Canyons. Düstere Ahnungen begannen John zu erfüllen. Sein forschender Blick tastete aufmerksam die Felswildnis ab, konnte aber nirgends eine Spur von Leben entdecken.
Die Felswände rückten näher. John hielt auf einen Canyon zu, der den Fels spaltete und wie der Rachen eines versteinerten, urzeitlichen Ungeheuers anmutete.
Unbehagen griff nach John, der nicht wusste, was ihn zwischen den Felsen erwartete. Der Lärm, den die marschierenden Pferde verursachten, verschlang alle anderen Geräusche und John verfluchte ihn. Er sickerte zwischen die Felsen und war sicherlich meilenweit zu hören. John zog die Winchester aus dem Scabbard und riegelte eine Patrone in den Lauf, stellte das Gewehr mit dem Kolben auf den rechten Oberschenkel und umklammerte hart den Kolbenhals. Sein Körper bewegte sich im rhythmischen Gang der Fuchsstute vor und zurück.
Der glühende Feuerball am Firmament hatte seinen höchsten Stand überschritten, als die ersten Pferde in den Canyon drängten. Johns innere Unruhe wuchs. Ein seltsames Gefühl der Beklemmung beschlich ihn. Die steilen Felsmauern zu beiden Seiten seines Weges mit ihren Rissen, Simsen und Vorsprüngen muteten bedrohlich an und verliehen ihm das Gefühl, sich in einer riesigen, steinernen Gruft zu bewegen, aus der es kein Entrinnen gab.
Zwischen den Felsen war es etwas kühler. Der Boden war steinig, und der Staub legte sich. Das Geprassel der über hundert Pferdehufe stieg in die Höhe und erfüllte die Schlucht. John ließ nicht den Bruchteil einer Sekunde in seiner angespannten Wachsamkeit nach. Er bewegte sich in der Mitte des Canyons. Vor ihm war das Auf und Ab staubiger Pferderücken. Die Herde nahm die gesamte Breite der Schlucht ein. Siedend durchfuhr es John, als er daran dachte, welch verheerende Wirkung ein von den Star-Reitern ausgelöster Steinschlag haben würde. Der Gedanke daran ließ ihn die Lippen hart zusammenpressen.
Johns Augen waren in ständiger Bewegung. Und dennoch entging ihm die Gestalt, die hinter einem mannshohen Felsbrocken kauerte, deren Hände sich in grimmiger Erwartung öffneten und schlossen und deren Gesichtszüge von mörderischer Entschlossenheit geprägt waren.
Seinem Blick blieben auch die anderen Kerle verborgen, die sich zu beiden Seiten der Schlucht versteckt hielten und mit angestautem Atem darauf warteten, in Aktion zu treten. Es war ihnen ein leichtes gewesen, unbemerkt der nur langsam vorwärts kommenden Pferdeherde zu folgen, sie zu überholen und einen Hinterhalt vorzubereiten.
John passierte nichts ahnend die Gestalt hinter dem Felsen. Sie erhob sich, hetzte hinter ihm her und stieß sich ab. John nahm zu seiner Linken eine flüchtige Bewegung wahr und reagierte gedankenschnell. Er schwang die Winchester herum und begriff plötzlich die Gefahr, in der er schwebte.
Er kam nicht zum Schuss. Etwas krachte brutal in seinen Rücken, sein Oberkörper wurde auf den Pferdehals geschleudert. Unwillkürlich suchte er mit den Händen Halt, dabei entglitt ihm das Gewehr. Stahlharte Arme umklammerten ihn und versuchten, ihn aus dem Sattel zu zerren. Männer hetzten heran, stumm, mit verkniffenen Mienen und Hass in den Augen. John trieb mit dem Hochlodern des jähen Widerstandswillens die Fuchsstute mit einem unbarmherzigen Schenkeldruck an. Mit beiden Armen umklammerte er den Pferdehals. Wie von der Sehne geschnellt sprang das erschreckte Tier an. Aber da fiel ihm einer der Kerle ins Zaumzeug und riss grob seinen Kopf nach unten. Schrill wiehernd knickte das Pferd vorn ein. John verlor das Gleichgewicht. Der Bursche, der ihn angesprungen hatte, hing wie eine Klette an ihm. Hart stürzte John auf das Gesicht. Der Schmerz trieb ihm das Wasser in die Augen. Schwer flog der andere auf ihn. Blitzartig rollte John sich herum, der Druck von seinem Körper verschwand, ein bestürzter Zischlaut erreichte sein Ohr. Im nächsten Reflex griff er nach dem Colt. Er brachte ihn aus dem Holster, aber dann prellte ihm ein wuchtiger Stiefeltritt das Eisen aus der Faust. Und einen Herzschlag später rissen ihn grobe Fäuste auf die Beine. Mark O'Briens fratzenhaft verzerrtes Gesicht tauchte vor ihm auf. Die Augen des Ranchersohnes glitzerten schlangenhaft und verrieten John die ganze Unberechenbarkeit, die Niedertracht und den Hass dieses Mannes.
Harte Fäuste hielten ihn, drehten ihm die Arme auf den Rücken, drohten, sie ihm aus dem Schultergelenk zu kugeln. Die Qualen, die sie ihm verursachten, ließen in seinem hohlwangigen Gesicht die Muskeln zucken. Er sah sein Gewehr in Mark O'Briens klobigen Fäusten. Hoffnungslosigkeit senkte sich in sein Herz. Einer der Kerle hatte sich seinen Colt geschnappt. Knackend spannte er den Hammer. Das Geräusch mutete an wie ein Vorbote von Untergang und Tod.
Ein eisiges Lachen quoll aus O'Briens Mund. Langsam, fast bedächtig schob er die Mündung gegen Johns Brust.
»Das war's, Mister!«, sagte er gedehnt, und im Tonfall seiner Stimme lagen wilder Triumph und kalte Genugtuung. »Ich schätze, hier ist dein Trail zu Ende.« Zu seinen Männern gewandt gab er zu verstehen: »Bringt die Herde zum Stehen. Cash, James, Tom, vorwärts!«
Die drei Genannten hetzten hinter der Herde Pferde her, die weitergezogen war und sich schon ein ganzes Stück entfernt hatte.
John versuchte erst gar nicht, sich aus dem Griff der beiden Kerle, die ihn eisern hielten, zu befreien. Er war bemüht, seine rotierenden Gedanken zu ordnen und hörte auf seine innere Stimme, die ihm eindringlich riet, die Burschen nicht noch mehr zu reizen.
Der Druck der Mündung auf seinem Brustbein verstärkte sich. Mark O'Brien sagte grollend: »Nun zu dir, mein Freund.« Sein Tonfall verhieß nichts Gutes. »Du hast uns verdammt gedemütigt. Und du kannst dir an fünf Fingern abzählen, dass wir uns dafür revanchieren.«
John schwieg. Er war nicht der Mann, der bettelte oder flehte. Dazu war er zu stolz.
»Wo hast du unsere Sättel und unsere Waffen gelassen?« O'Brien bewegte beim Sprechen kaum die Lippen.
Sie packten ihn brutaler, als er nicht sogleich antwortete. Heißer Schmerz raste von seinen Schultern bis unter seine Schädeldecke, als sie ihm die Arme härter auf den Rücken drehten. Er verzog das Gesicht und unterdrückte einen gequälten Aufschrei. »Die Revolver habe ich in den Bach geworfen. Den Gewehren habe ich die Kolben abgeschlagen. Eure Sättel liegen noch dort, wo ihr sie abgelegt habt.«
O'Briens Züge verzerrten sich zur teuflischen Grimasse. Unversehens wirbelte er das Gewehr herum und rammte John die Kolbenplatte in den Magen. John krümmte sich, wie ein glühender Wind wehte der Schmerz durch sein Bewusstsein, und ein gepresster Aufschrei zitterte noch in seiner Kehle, als ihn der Kolben seitlich am Kopf traf. Vor seinen Augen begann sich ein feuriges Karussell zu drehen. Übelkeit befiel ihn, dumpfer Druck legte sich auf sein Gehirn. Der brennende Schmerz des Hiebes verebbte und machte bleierner Benommenheit Platz. Sekundenlang hing er, jeglichen Gedankens, jeglichen Willens beraubt, in den nervigen Fäusten der beiden Star-Cowboys.
»Lasst ihn los!«, befahl O'Brien.
John knickte in den Knien ein. Er fiel nach vorn und versuchte instinktiv, sich mit den Armen abzufangen, aber ein brutaler Tritt warf ihn herum. Er krachte mit den Rippen auf einen spitzen Stein und hatte den Eindruck, als würde ihm glühender Stahl in die Seite gebohrt.
»Das war nur ein Vorgeschmack auf das, was dich erwartet!«, giftete O'Brien und grinste faunisch. John erfasste bitter, dass er diesmal dem Tod ins unheimliche Antlitz sehen musste. Ein dumpfer Laut, ein Stöhnen entrang sich ihm, und alles in ihm bäumte sich gegen das schmerzhafte Begreifen auf, dass er keine Chance hatte.
*
Cash Bailey, James Chandler und Tom Finnegan hatten die Pferdeherde zum Stehen gebracht. Mit ungelenken Schritten kamen sie zurück. John lag am Boden und kämpfte gegen die noch immer gegen sein Bewusstsein anbrandende Benommenheit an.
»Schnappt eure Gäule und reitet zurück zu unserem Nachtcamp!«, empfing O'Brien die drei Weidereiter. »Holt unsere Sättel und sucht im Creek unsere Colts. Wir warten hier auf euch und befassen uns in der Zwischenzeit vielleicht ein wenig mit diesem Hundesohn.«
Die drei warfen John bitterböse Blicke zu. »Lasst uns etwas von ihm übrig!«, schnaubte Cash Bailey erbost und spuckte aus. »Denn auch wir haben diesem Miststück eine ganze Reihe blutiger Blasen an den Füßen zu verdanken.«
»Sicher«, murmelte Mark O'Brien, »ihr bekommt euren Spaß schon. Aber jetzt macht euch auf den Weg.«
»Passt gut auf ihn auf«, knurrte Tom Finnegan, »während wir fort sind. Kommt.« Er winkte Bailey und Chandler. Sie stapften zu den Pferden und der Gedanke, einen halben Tagesritt auf dem bloßen Pferderücken vor sich zu haben, schürte ihren Zorn auf John Lorimer.
Sie nahmen ihre eigenen Tiere und trabten wenig später davon.
John war zu einem Felsblock gekrochen, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und bohrte die Absätze seiner Stiefel in den Boden. Er legte die Arme um seine angezogenen Knie und zerbrach sich den Kopf nach einem Ausweg. Die drei Kerle beobachteten ihn mit Argusaugen. Er war angeschlagen, aber ein dämonischer Überlebenswille füllte seinen Körper nach und nach wieder mit neuer Kraft.
Die Stunden zogen sich hin. Sie ließen ihn entgegen O'Briens - für John eine wenig verheißungsvolle - Ankündigung in Ruhe. Die Sonne versank wie ein rotglühendes Fanal hinter den Bergen im Westen. Die Abenddämmerung kam, mit ihr der Abendstern. Und dann senkte sich die Nacht über das Land. Mark O'Brien ließ ein Feuer entfachen. Die züngelnden Flammen zauberten flackernde Lichtspiele auf ihre verwegenen Gesichter und rissen ihre Gestalten aus der Dunkelheit. Am Rand des Lichtkreises hockte John. Der Feuerschein geisterte über ihn hinweg.
Die Ungewissheit zerrte an seinen Nerven. So sehr er sich den Verstand auch zermarterte: Er fand keinen Ausweg. Er war ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein Gedanke, mit dem er sich nicht abzufinden vermochte. In seinen Augen glomm der Wille zum Überleben.
»Wie soll's weitergehen, O'Brien?«, begann er, und sein Organ klang rau wie Sandpapier.
Der Ranchersohn trat vor ihn hin. Sein Schatten fiel über John. O'Brien hatte das Feuer im Rücken. Dunkelheit verhüllte sein Gesicht. Aber der Hauch von Härte und Brutalität, der von ihm ausstrahlte, war unverkennbar.
»Das wird dir der Teufel in der Hölle erzählen, Lorimer!« O'Briens Stimme war kalt, abweisend und feindselig.
John spürte, wie ihm der Hals eng wurde. Er hatte soeben sein Todesurteil vernommen. Trotzdem blieb er gefasst, von einer Ruhe, die ihn selbst unheimlich anmutete. »Hast du schon einmal einen umgebracht und ihm dabei in die Augen gesehen, O'Brien?«, kam wie aus der Pistole geschossen seine Frage.
»Ich … Nein, verdammt.« O'Brien beugte sich vor, schniefte und fuhr hastig fort: »Mit dir werde ich den Anfang machen, Lorimer. Yeah, und es wird mir eine höllische Freude bereiten.«
John nickte. »Möglich. Doch hast du dir schon durch den Kopf gehen lassen, dass es fünf Zeugen geben wird, wenn du mir das Licht ausbläst? Kerle, die dich ein Leben lang in der Hand haben werden. Du wirst ständig nach ihrer Pfeife tanzen müssen, und wenn ihnen deine Nase nicht mehr gefällt, singen sie dem Sheriff eures Distrikts ein höllisches Lied über dich. Hast du eine Ahnung, wie es ist, wenn man mit einem Strick um den Hals zwei oder drei Fuß über dem Boden hängt, O'Brien?«
Die Gestalt Mark O'Briens wurde scharf vom Licht des Feuers umrissen, und John entging nicht, dass der Bursche zusammenzuckte wie unter einem Peitschenhieb. Er packte die Winchester, die er den ganzen Nachmittag nicht aus der Hand gelegt hatte, am Schaft und am Kolbenhals und schüttelte sie drohend vor Johns Gesicht. »Halt bloß das Maul!«, stieß er hervor. »Oder soll ich dir die Zähne in den Hals schlagen? Die Jungs sind in Ordnung. Und sie würden sich hüten …«
»Du solltest trotzdem mal darüber nachdenken, O'Brien«, schnitt John ihm schroff das Wort ab.
Mit einem Ruck richtete O'Brien sich auf. Er drehte den Kopf und schielte zu den beiden Weidereitern hin, die beim Feuer hockten und ihrer Unterhaltung schweigend gefolgt waren. Nun erhoben sie sich und schlenderten steifbeinig heran.
»Lass dir von ihm keinen Floh ins Ohr setzen«, mahnte einer von ihnen grollend. »Er versucht, Misstrauen zwischen uns zu streuen, um sein Fell zu retten. Wenn wir morgen früh diesen Canyon verlassen, bleibt er zurück. Und zwar kalt und steif. Wir verhökern die Gäule und vergessen die Sache.«
Aber O'Brien war nachdenklich geworden. Johns Worte klangen in ihm nach. Er überlegte einen Moment, dann meinte er grüblerisch und vorsichtig: »Wir werden weitersehen, wenn Bailey, Chandler und Finnegan zurück sind.« Sein Kinn schob sich vor, wurde eckig, seine Mundwinkel sanken herab. Nagende Zweifel hatten ihn befallen. Und als er fortfuhr, klang seine Stimme nicht sehr überzeugend. »Wahrscheinlich ist es so, wie du sagst, Joe. Er versucht, sein schäbiges Fell zu retten. Aber …« Er verstummte, winkte unwirsch ab und schwang auf dem Absatz herum. Mit kurzen, abgezirkelten Schritten ging er zum Feuer und ließ sich in die Hocke nieder. Versonnen blickte er in die Flammen.
*
Gegen Mitternacht kehrten Bailey, Chandler und Finnegan zurück. Nach wie vor flackerte das Feuer in der Mitte des Canyons. Sie saßen ab und reckten sich, um die Steifheit aus ihren Gliedern zu vertreiben.
Sie hatten die Sättel, aber die Scabbards waren leer. Cash Bailey brummte: »Das Aas hat tatsächlich die Gewehre zerschlagen. Nur gut, dass er nicht auf die Idee kam, unsere Sättel zu verbrennen. Für die kaputten Gewehre hat er ein paar Dinge extra gut bei mir, ehe wir ihn über den Jordan blasen.«
»Langsam, ganz langsam«, wehrte O'Brien ab. »Über sein Schicksal reden wir noch. Habt ihr wenigstens unsere Revolver gefunden?«
Verdutzt schauten sie ihn an. »Was soll das heißen?«, stieß Finnegan hervor. »Willst du ihn plötzlich nicht mehr kalt machen? Du warst es doch, der am lautesten schrie, dass du ihn zum Satan schickst, wenn er uns in die Hände fällt.«
»Ich werde schon die richtige Entscheidung treffen«, erklärte Mark O'Brien ausweichend und sein Blick irrte zur Seite, als fühlte er sich unversehens unwohl in seiner Haut. »Was ist mit den Colts?«
»Sie sind in Ordnung. Nur die Munition muss ausgetauscht werden.« Finnegan musterte seinen Boss mit einer Mischung aus Skepsis und Verdrossenheit. Er fügte gedehnt hinzu: »Wenn wir ihn laufen lassen, müssen wir damit rechnen, dass er uns folgt und beim Sheriff verpfeift. Der wird kommen und uns eine Menge unerfreulicher Fragen stellen.« Er holte zwei Colts aus seiner Satteltasche und reichte den einen O'Brien, den anderen Joe McBrady.
»Was ist mit meiner Kanone?«, wollte Lane Foster wissen.
»Wir haben nur fünf Colts gefunden«, erwiderte James Chandler. »Du kannst Lorimers Eisen haben.« Er angelte den Colt aus seinem Hosenbund und warf ihn Foster zu, der ihn geschickt auffing.
O'Brien und Joe McBrady wechselten die durch das Wasser unbrauchbaren Patronen aus und holsterten die Waffen. O'Brien murmelte mit dumpfem Bass: »Ich glaube nicht, dass Lorimer uns folgt. Bevor wir von hier verschwinden, werden wir ihn nämlich derart in die Mangel nehmen, dass er den Tag verflucht, an dem ihn seine Mutter in die Welt gesetzt hat. Wenn wir mit ihm fertig sind, ist er ein gebrochener Mann, von dem kein räudiger Straßenköter mehr ein Stück Brot annimmt. Yeah, Leute, ihr kriegt Gelegenheit, euch abzureagieren und Lorimer ein paar üble Dinge heimzuzahlen.«
Es war deutlich: Er konnte ihre Zweifel nicht zerstreuen. Sie wollten Lorimer tot sehen, um den Diebstahl der Pferdeherde zu vertuschen. Aber in Mark O'Briens Herz saß tief der giftige Stachel des Argwohns, den John hineingetrieben hatte. Die Angst, dass er sich mit einem Mord in die Hand seiner Kumpane begab, nagte und fraß in ihm wie ein unersättliches Tier.
Das waren die Augenblicke, in denen niemand auf John Lorimer achtete. Er sah seine Winchester, die O'Brien gegen einen Felsen gelehnt hatte, sah die gesattelten Pferde nur wenige Schritte von sich entfernt, und sein Körper spannte sich. Er wusste, dass das, was er vorhatte, ins Auge gehen konnte. Aber sein Leben hing an einem seidenen Faden.
Also entschloss John sich, die geringe Chance, die sich ihm in diesen Sekunden bot, wahrzunehmen. Er schnellte in die Höhe und hechtete auf das Gewehr zu, vernahm nur unterbewusst einen bestürzten Aufschrei, erwischte die Winchester, riss sie mit sich und überschlug sich, kam katzenhaft gewandt auf die Beine und wirbelte herum, lud gleichzeitig durch und sah ihre Hände zu den Revolvern fahren.
»Stopp!«, peitschte seine Stimme, sein Finger krümmte sich. Ein greller Blitz stieß aus der Gewehrmündung, das Blei riss den Boden zwischen ihnen auf und jaulte mit hässlichem Quarren durch die nachtschwarze Schlucht.
Ihre Gesichter verzerrten sich vor Schreck und Überraschung. Sie standen wie gelähmt, während die Erkenntnis, dass er sie zum zweiten Mal überlistet hatte, in langen, heißen Wogen durch ihre Blutbahnen pulsierte. Und ihre Hände lösten sich von den Kolben, als wären diese plötzlich glühend geworden.
Aber der Zufall spielte Schicksal. Die Pferde, erschreckt vom jäh losbrechenden Donner des Schusses, stiegen, keilten mit den Hufen aus, wieherten und kreiselten auf der Hinterhand. Und plötzlich fegten sie los. Und sie preschten genau auf John Lorimer zu. Er erkannte die Gefahr, vollführte einen mächtigen Satz zur Seite - und war dennoch nicht behände genug. Das erste Tier rammte ihn, und er hatte unvermittelt keinen Boden mehr unter den Füßen. Krampfhaft hielt er die Winchester fest. Er ließ sie auch nicht los, als er hart aufschlug und mit dem Hinterkopf auf den eisenharten Boden knallte.
Das zweite Pferd setzte über ihn hinweg. Einen grässlichen Augenblick war er nicht fähig, sich zu rühren. Ein Huf des dritten Pferdes streifte ihn, und nun setzte seine Motorik wieder ein. Sein Oberkörper kam hoch. Er riss das Gewehr in den Anschlag - aber da waren sie schon über ihm.
Als die Gäule verrückt zu spielen begannen, waren die Star-Reiter auseinandergespritzt, als hätte eine Granate zwischen ihnen eingeschlagen. Ihre Colts flogen aus den Futteralen und richteten sich auf das Durcheinander, in dem John verschwunden war. Dann war das letzte Pferd mit fliegenden Steigbügeln über den Mustangjäger hinweg, und sie sahen ihn hochkommen.
Ein eisenharter Tritt prellte ihm die Winchester aus den Fäusten. In hohem Bogen flog sie davon. Er spürte einen fürchterlichen Schlag gegen den Kopf, krachte erneut schmerzhaft auf den Rücken und riss die Hände hoch.
Gnadenlos schlugen und traten sie auf ihn ein. Bald spürte er keinen Schmerz mehr, nur noch eine grenzenlose Schwäche. Bleierne Benommenheit breitete sich in seinem Gehirn aus. Und dann versank die Welt in absoluter Finsternis. Sie ließen von ihm ab und traten schwer atmend zurück. Mark O'Brien wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht.
»All right, Leute, der Bastard hat für alle Zeiten genug. Wir haben ihn eingebrochen wie einen störrischen Bronco.«
*
John erwachte. Es war heller Tag. Er war allein. Ringsum war tiefes Schweigen.
Er versuchte sich zu bewegen. Aber nichts in seinem Körper schien mehr zu funktionieren. Die Signale, die sein Gehirn aussandte, blieben unbeantwortet. Die Schmerzen, die ihn durchrasten, wurden fast unerträglich. Seine aufgeschlagenen, blutverkrusteten Lippen zuckten. Jeder Atemzug bereitete ihm Höllenpein. Schließlich gelang es ihm, sich aufzurichten.
Seine Umgebung konnte er nur durch einen milchigen Schleier wahrnehmen, der sich über seine Augen gelegt hatte.
Ein bitteres Gefühl der Verlorenheit legte sich auf ihn und drohte ihn zu erdrücken.
Aber irgendwann gewann der Überlebenswille die Oberhand. Er zwang sich aufzustehen. Seine Beine wollten ihn kaum tragen. In seinem Schädel klopfte und hämmerte es. Er setzte das rechte Bein vor, wollte das linke nachziehen, knickte ein, sein Oberkörper pendelte nach vorn. Nur mühsam bewahrte er sein Gleichgewicht. Er drückte die Knie durch und stand schwankend. Der eiserne Wille zum Durchhalten begann ihn zu beherrschen.
Er konnte seine Erschöpfung überwinden und wusste selbst nicht, woher er die Kraft nahm, zur Felswand zu gelangen. Schritt für Schritt tastete er sich an dem rauen, rissigen Fels entlang. Und mit jedem Schritt nahm der Hass zu, der in ihm wütete. Er packte ihn wie tödliches Fieber.
*
Die Star-Reiter campierten an einem schmalen Nebenfluss des Pecos River. Die Pferde weideten am Ufer. Ihren Reittieren hatten sie die Sattelgurte gelockert. John Lorimers Fuchsstute befand sich bei der Herde Wildpferde.
Sie hatten Dörrfleisch und Brot verzehrt und dazu das Wasser aus ihren Flaschen getrunken. Nun rauchten sie.
»An wen wollen wir die Gäule eigentlich verkaufen, Mark?«, fragte Lane Foster. »Wem wir sie auch anbieten - er wird Fragen stellen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, denn auf fünfzig Meilen den Pecos hinauf und hinunter kennt uns jeder. Und keiner wird es uns abnehmen, wenn wir erzählen, dass wir die Pferde selbst gefangen und zugeritten haben.«
Aller Augen richteten sich auf Mark O'Brien. In dessen Zügen arbeitete es. Seine Stirn legte sich in Falten, schließlich brummte er: »Ich dachte an die Crossfire-Ranch. Es ist die größte Ranch am Pecos und sie beschäftigt über fünfzig Cowboys. Dort brauchen sie immer gute Pferde, und weil das so ist, wird man auch keine unnötigen Fragen stellen.«
»Da kennst du Mallory aber schlecht«, wandte Bailey ein, der Marks Zuversicht nicht teilen konnte. »Der alte Eisenfresser ist das Misstrauen in Person und lässt sich auf keine zwielichtigen Geschäfte ein. Ohne ordentliche Papiere für die Pferde jagt er uns zum Teufel.«
»An Greg Mallory werde ich mich sicher auch nicht wenden. Ich werde mit Jack Hunter, seinem Verwalter, verhandeln. Der gute Jack hat von Mallory alle Vollmachten, und er ist ganz und gar nicht neugierig.« Er grinste überheblich und vielsagend.
»Was wird die Herde bringen?«, wollte Joe McBrady wissen.
»Wenn wir geschickt verhandeln - zweitausend.«
McBradys Brauen hoben sich, er dachte angestrengt nach und erklärte: »Für jeden von uns fast dreihundertfünfzig Bucks. Dafür müssen wir bei deinem Alten zehn Monate lang hinter verdammten Kuhschwänzen herjagen, Mark.« Er lachte hell auf und schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, dass es klatschte.
O'Briens Kopf stieß vor. Durchdringend starrte er McBrady an, als wollte er ihn mit seinem Blick aufspießen. Düster stieß er hervor: »O nein, Joe, so haben wir nicht gewettet. Die Hälfte des Gewinns beanspruche ich für mich.«
Schlagartig war die Atmosphäre unheilvoll und explosiv geworden. Ein Hauch von Gefahr lag jäh in der Luft.
»Mit welchem Recht?« Tom Finnegans Stimme war so frostig wie das Glitzern in seinen Pupillen.
O'Brien wandte sich ihm bedächtig zu. »Mit dem Recht dessen, der die Idee hatte, Lorimer die Gäule abzunehmen. Außerdem bin ich der Boss.«
Erregt sprang Lane Foster auf die Beine. Er baute sich vor O'Brien auf und beugte sich wütend zu ihm hinunter.
»Übergeschnappt, wie?«, fauchte er. »Du bist der Sohn vom Boss, das ist aber auch schon alles. Die Dollars, die wir für die Pferde bekommen, werden gerecht durch sechs geteilt. Etwas anderes kommt nicht in Frage.« Grimmig starrte er O'Brien an.
»So ist es!«, bestätigte Finnegan mit harter, düsterer Stimme, in der eine unverhohlene Drohung mitschwang. »Jeder erhält dasselbe. Das war von vornherein klar.«
Mark O'Brien erhob sich langsam. Sie verfolgten jede seiner Bewegungen. »Ich denke nicht daran, mich mit einem Sechstel zu begnügen.« Seine Stimme kratzte. Trotz der angespannten Lage fühlte er sich sehr sicher. Er nahm eine herausfordernde Haltung ein, machte einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte die Kippe davon. Und als er fortfuhr, sprach er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Ihr braucht es nur zu sagen, wenn euch das nicht passt. Wie ihr wisst, habt ihr auf der Star-Ranch euer Auskommen. Mein Vater beschäftigt euch sogar im Winter. Aber das kann sich schlagartig ändern. Und mit dreihundertfünfzig Bucks in der Tasche kommt keiner von euch weiter als bis zur nächsten Spelunke oder Spielhölle.«
Nach und nach wuchsen die Gestalten seiner Leute in die Höhe. Finnegan musterte ihn von oben bis unten, forschte in seinem Gesicht, versuchte darin zu lesen und sagte mit schmalen Lippen: »Ich sehe schon, Mark, es scheint dir verdammt ernst zu sein mit dem, was du soeben hinausposaunt hast. Uns aber ist es ebenso ernst.« Er unterstrich diese Worte mit einer knappen Handbewegung. »In diesem Fall sind wir Komplizen. Jeder von uns ist zum Pferdedieb geworden. Wären es die Pferde deines Vaters oder Greg Mallorys, würde man uns einen Strick um den Hals legen. Du bist Bill O'Briens Sohn, okay, aber in diesem Fall hast du keine Vorrechte.« Das Aufblitzen in seinen Augen mutete an wie ein Signal.
Mark O'Brien lächelte starr. Mit kaltem Blick warnte er Finnegan. Locker hing seine Hand hinter dem Coltknauf. Er wollte sich durchsetzen und verließ sich darauf, dass sie es nicht wagen würden, auf ihn loszugehen. Dennoch wurde er das seltsame Gefühl nicht los, dass sich um ihn herum eine jähe, eisige Kälte ausbreitete. Ihn fröstelte plötzlich, obwohl er im wärmenden Sonnenschein stand. Und eine drängende, innere Stimme sagte ihm, dass sich hier etwas entwickelte, was für ihn gefährlich werden konnte.
Er ignorierte es. Eine Art verrückten Stolzes verbot es ihm, nachzugeben. Sein Handgelenk berührte den Coltknauf. Wenn nötig, wollte er seinem Willen mit Gewalt Geltung verschaffen. Wenn er nun den Revolver herausriss und sie bedrohte, würden sie klein beigeben. Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite, denn sie rechneten sicher nicht damit, dass er bis zur letzten Konsequenz gehen würde.
Ein tödlicher Irrtum, wie er sehr bald feststellen sollte.
Er handelte. Seine Rechte schloss sich um den Revolverkolben, das Eisen flirrte aus dem Holster. Finnegan ließ sich überraschen. Er stand stocksteif und war zu keiner Reaktion fähig. Japsend schnappte er nach Luft. Der Schreck sorgte für eine jähe Blutleere in seinem Gehirn, die ihn taumeln ließ.
Ein Schuss löste sich. Die peitschende Detonation sprengte die Atmosphäre wie ein unvermuteter Donnerknall.
Aus Cash Baileys Revolvermündung kräuselte ein Rauchfaden. Ohne jede Gemütsregung starrte der Cowboy, der nur darauf gewartet zu haben schien, dass Mark O'Brien zog, auf den Sohn seines Bosses. Mark wankte wie ein Schilfrohr im Wind. Der Schock verzerrte seine Züge, aber in seine Augen schlich sich eine gähnende Leere. Seine Hand mit dem Colt sank herab, öffnete sich, und dann fiel das Eisen zu Boden. O'Briens Lippen klafften auseinander, aber aus seinem Kehlkopf entrang sich nur ein krächzendes, unverständliches Geflüster, abgerissen und ersterbend.
Plötzlich brach er wie von einem Blitz getroffen zusammen und rührte sich nicht mehr. Aus dem Einschussloch in seinem Rücken quoll Blut und verfärbte sein Hemd dunkel.
»Heiliger Rauch!«, stieß McBrady entsetzt hervor, der sich als erster von seinem Bann zu lösen vermochte. »Du - du hast ihm eine Kugel in den Rücken gejagt, Cash.« Er blinzelte nervös und konnte seinen verstörten Blick nicht von dem Toten lösen.
Bailey stieß den Colt ins Futteral und presste hervor: »Hätte ich zusehen sollen, wie er Tom über den Haufen knallt?« Er schaute von einem zum anderen und suchte Zustimmung, aber sie wichen seinem Blick aus und fühlten sich sichtlich unbehaglich.
»Wenn ich es richtig überlege«, murmelte Finnegan bedrückt, »dann war es wohl tatsächlich Notwehr. Wahrscheinlich hätte er mir wirklich ein Stück Blei zwischen die Rippen geknallt.«
»Darauf wird Bill O'Brien pfeifen«, prophezeite Chandler und fixierte nachdenklich den Leichnam. »Er wird jedem von uns das Fell streifenweise abziehen. Dir, Cash, weil du geschossen hast, uns, weil wir es nicht verhindert haben. Ich denke, wir sollten uns auf die Gäule schwingen und verduften.«
»Macht euch doch nicht verrückt, Leute«, rief Cash Bailey mit hohler Stimme. »Wir nehmen Mark mit und erzählen, dass ihm John Lorimer die Kugel in den Rücken geknallt hat. Der Alte wird uns zwar erneut mit dem Rest der Mannschaft in die Sättel jagen, um nach Lorimer zu suchen, aber bis dahin wird Lorimer vor die Hunde gegangen sein. Wenn nicht, wird ihn O'Brien ohne große Fragen aufhängen lassen.« Er grinste abstoßend.
»Und was machen wir mit Lorimers Gäulen?«
»Wir verschachern sie trotz allem an die Crossfire-Ranch«, antwortete Bailey gelassen.
»Ich weiß nicht …« Finnegan blieb skeptisch. Das alles gefiel ihm nicht.
»Mach dir nicht in die Hosen!«, knurrte Lane Foster. »Wenn wir nicht wollen, dass Bill O'Brien uns bis nach Feuerland jagt, haben wir keine andere Chance, als Lorimer den Tod Marks in die Schuhe zu schieben.«
In Finnegan stritten sich die Empfindungen. Gefühl und Verstand lagen in zäher Zwietracht. Schließlich aber nickte er. »All right. Ich mache mit.«
*
Am Vormittag des nächsten Tages erreichten sie die Crossfire-Ranch Greg Mallorys. Eine riesige Ranch - ein Rinderreich. In vielen Corrals tummelten sich Pferde. Ihre Hufe wallten den Staub auf und eine dünne Staubglocke schien die Ranch einzuhüllen. Sie trieben die Wildpferde zwischen einigen Stallungen hindurch in den Ranchhof und brachten die Herde zum Stehen.
Aus den verschiedenen Ranchgebäuden traten Männer. Cowboys und Helps, die neugierig die Ankömmlinge musterten, und deren Blicke schließlich auf dem in Segeltuch eingeschlagenen Bündel hängen blieben, das quer über einem Pferderücken lag und festgebunden war.
Greg Mallory und seine Familie lebten seit Jahren nicht mehr auf der Crossfire. Ihr Domizil befand sich in Santa Rosa, fünfzehn Meilen südlich. An diesem Tag aber befand sich Rachel, die vierundzwanzigjährige Tochter Mallorys, auf der Ranch. Sie saß mit Jack Hunter, dem Verwalter, in der Wohnstube des Haupthauses und war ans staubtrübe Fenster getreten, als die Lärmwelle der Pferdeherde in den Ranchhof rollte. Jack Hunter stand hinter ihr. Der Duft ihrer dunklen, schulterlangen Haare stieg ihm in die Nase. Er spürte ein seltsames Kribbeln unter seiner Haut und wusste, wie sehr er sie begehrte, gab sich aber keinen Illusionen hin, denn zwischen ihr und ihm standen Welten.
»Das sind doch Männer von der Star-Ranch!«, stellte Rachel fest. »Was will dieses Gesindel hier?« Sie wandte den Kopf, und ihr Blick begegnete dem Jack Hunters. Das Licht in seinen Augen, das bei Rachel jäh Unbehagen auslöste, erlosch. Er kniff die Augen zusammen und erwiderte achselzuckend: »Das weiß der Teufel. Sieht aus, als wären sie unter die Wildpferdjäger gegangen. Ich gehe hinaus.«
Er wollte sich abwenden, aber Rachels dunkle Stimme hielt ihn zurück. »Lassen Sie sich auf nichts ein mit diesen Strolchen, Jack«, gab sie zu verstehen. »In unserer Gegend gibt es keine Wildpferde. Und sie haben einen Toten bei sich. Ich denke, da stinkt einiges zum Himmel.«
Verblüfft schaute Hunter sie an. Eine solche Sprache kannte er an Rachel nicht. Er sagte sich, dass es wohl die Antipathie gegen alles, was von der Star-Ranch kam, war, die sie so wenig ladylike sprechen ließ.
Er hob die Hände, ließ sie wieder sinken und sagte: »Ich werde mir anhören, was sie hertreibt. Wahrscheinlich wollen sie uns die Gäule andrehen. Warten wir's ab, Miss.«
Er stapfte hinaus. Als er auf die Veranda trat, blendete ihn sekundenlang das grelle Sonnenlicht. Die Hitze war wie ein giftiger Atem. Cash Bailey trieb sein Pferd ein wenig nach vorn und hob zum Gruß die Hand.
»Hey, Hunter.« Er vollführte eine umfassende Bewegung mit dem Arm. »Sieh dir diese Prachtgäule an. Noch keines dieser Tiere stand je unter einem Sattel. Ich biete sie dir an. Das Stück für hundert Dollar.«
Jack Hunter trat bis zum Geländer und legte seine Hände darauf, ließ seinen Blick über den Pulk auf dem Hof gleiten und erhob seine Stimme: »Woher habt ihr sie? Und wer befindet sich unter der Plane? Wir brauchen gar nicht weiterzureden, wenn ihr Kerle Dreck am Stecken habt. Also raus mit der Sprache.«
Rachel konnte jedes seiner Worte durch das geschlossene Fenster hören. Sie sah Jacks hohe Gestalt, seinen breiten Rücken und wusste, dass dieser Mann für sie durch die Hölle gehen würde.
»Wir kamen von Santa Fe, wo wir eine Herde verkauften«, gab Bailey zu verstehen. Seine Hände lagen übereinander auf dem Sattelknauf, er hatte sich ein wenig im Sattel nach vorn gebeugt.
»In den Bergen stießen wir auf einen Hombre, der sich John Lorimer nannte. Er trieb diese Pferdeherde. Wir fragten ihn, ob wir an seinem Feuer anhalten dürften. Er war verdammt unfreundlich und gab uns zu verstehen, dass wir verduften sollten.« Bailey machte eine kurze Pause, als wollte er seine nächsten Worte im Kopf erst formulieren. Er reckte die Schultern. »Ich schätze, dieser Lorimer ist ein elender Pferdedieb und hat die Herde irgendwo gestohlen. Denn als wir nicht sogleich weiterritten, griff er nach dem Schießeisen und drohte, das Feuer zu eröffnen, wenn wir innerhalb von fünf Sekunden nicht verschwunden wären. Also taten wir ihm den Gefallen.« Er verstummte und fixierte prüfend Hunters Gesicht, als wollte er dessen Reaktion testen.
»Du solltest endlich zur Sache kommen!«, rief der Verwalter barsch. Auch er hatte nicht viel übrig für die Leute von der Star-Ranch.
»Nun, Mark ließ es keine Ruhe. Er wollte wissen, was es mit diesem Lorimer auf sich hatte. Als es dunkel war, trennte er sich von uns, um Lorimer zu beobachten. Wir wollten ihn zurückhalten. Aber Mark war ein sturer Schädel. Also ritt er zurück und befahl uns, auf ihn zu warten. Irgendwann hörten wir einen Schuss. Wir schwangen uns sofort auf unsere Gäule, um nachzusehen, und fanden Mark mit einer Kugel im Rücken. Lorimer war verschwunden. Die Pferde hatte er einfach zurückgelassen.«
»Mark O'Brien also«, entrang es sich Hunter mit einem langen Blick auf das leblose Bündel. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und schien scharf nachzudenken. Er traute diesen Kerlen nicht. Die Star-Ranch hatte im ganzen County einen denkbar schlechten Ruf. Bill O'Brien, sein Sohn und seine Leute hausten dort wie die wilden Tiere. Man munkelte, dass der eine oder andere Viehdiebstahl auf ihr Konto ging, hütete sich aber, diesen Verdacht laut auszusprechen. Mit Bill O'Brien wollte niemand etwas zu tun haben. Weder im Guten noch im Bösen.
Jack Hunter riss sich von diesen bohrenden Gedanken los. Abgehackt sagte er: »Und wenn es nun tatsächlich Lorimers Gäule sind? Man kann einen Mann nicht zwingen, mit Fremden seinen Platz am Lagerfeuer zu teilen. Schon gar nicht mit Burschen, die ganz und gar nicht vertrauenerweckend aussehen.«
Ein böser Ausdruck trat in Baileys Augen, ein tückisches Schillern. Mit zornverdunkeltem Organ röhrte er: »Was spielt das für eine Rolle, nachdem er Mark O'Brien in den Rücken geschossen hat. Er ist ein Mörder, und sollte er in der Gegend auftauchen, dann gnade ihm Gott.«
Zwei scharfe Linien kerbten sich in Jack Hunters Mundwinkel. Grollend rief er: »Ich habe kein Interesse an diesen Pferden, Bailey. Bringt sie O'Brien. Er kann sicher mit ihnen etwas anfangen. Mir sind sie zu heiß.«
Es hatte abschließend und entschieden geklungen. Bailey prallte zurück. Die Mienen seiner Kumpane spiegelten wühlenden Zorn wider. Ein Ruck durchlief Baileys hagere Gestalt. »Ihr von der Crossfire werdet noch einmal an eurer Arroganz ersticken!«, schnappte er, und es hörte sich an wie das wütende Kläffen eines großen Hundes. Er zerrte an den Zügeln und wendete sein Pferd. »Reiten wir!«, befahl er schneidend. »Wir haben hier nichts mehr verloren!«
Da aber öffnete sich die Haustür, und Rachel trat ins Freie. »Einen Moment noch!«, ließ sie ihre Stimme vernehmen.
Bailey zog sein Pferd wieder herum und zwang es mit eiserner Hand ruhig zu stehen.
»Ist es nicht die Sache des Sheriffs, sich um diesen Lorimer zu kümmern? Es wäre also eure verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, unverzüglich nach Santa Rosa zu reiten und Anzeige zu erstatten. Stattdessen treibt ihr euch auf dem Gebiet der Crossfire herum und versucht ein Geschäft zu machen.«
Bailey nickte düster. »Unser nächster Weg wird uns zum Sheriff führen, Miss«, stieß er barsch hervor. »Und weil wir mit den Pferden nicht schnell genug vorwärts kommen, wollten wir sie an die Crossfire verkaufen. Darum haben wir diesen kleinen Abstecher unter die Hufe genommen.«
»Eure Geschichte gefällt mir nicht, Bailey!« Rachel nahm kein Blatt vor den Mund.
»Das ist Ihre Sache, Miss.« Würgender Zorn ließ Baileys Stimme zum rauen Geflüster herabsinken. Er starrte Hunter an. »Dir geht ein gutes Geschäft durch die Lappen, Amigo«, versuchte er den Verwalter umzustimmen.
Rachel enthob Jack Hunter einer Antwort, indem sie abweisend und kühl rief: »Möglich. Es könnte aber auch ein Geschäft mit dem Satan sein, ein Geschäft, an dem man sich die Finger fürchterlich verbrennen kann. Und jetzt macht, dass ihr an Boden gewinnt. Pack wie euch dulden wir hier nicht!«
»Hoffentlich bereuen Sie Ihre Worte nicht noch, Lady!«, drohte Cash Bailey und fasste sie scharf ins Auge. »Mit uns springt man nicht um wie mit Satteltramps.«
Jack Hunter grinste auf kalte, harte und unversöhnliche Art, und als er sprach, kamen seine Worte schleppend und sorgfältig. »Vorsichtig, Bailey, ganz vorsichtig. Ich lasse nicht zu, dass du gegen jemand von der Crossfire Drohungen ausstößt. Am allerwenigsten dulde ich es, wenn du Miss Mallory einzuschüchtern versuchst. Also wendet jetzt eure Zossen und haut ab. Wir machen mit euch keine Geschäfte. Und die Geschichte, die du mir auf die Nase zu binden versuchtest, nehme ich dir auch nicht ab. Meine Meinung ist, dass hinter der Sache mit den Pferden und Mark O'Briens Tod eine gottverdammte Schweinerei steckt.«
Cash Baileys Wut schwoll an. Er bekam den Blick eines hungrigen Wolfes und war nahe daran, seinen Grimm hinauszubrüllen, plötzlich aber erschlafften seine Gesichtsmuskeln und er nahm das Pferd um die rechte Hand. »Reiten wir!«
*
Selbsterhaltungstrieb und brennender Hass rissen John Lorimer immer wieder in die Höhe. Die Spur seiner Herde lag deutlich vor ihm. Die Sonne brannte unbarmherzig auf ihn hinunter und sog ihm förmlich das Mark aus den Knochen. Seine Zunge klebte wie ein trockenes Blatt am Gaumen. Durst quälte ihn.
Zerschunden, zerschlagen und völlig ausgepumpt erreichte er den schmalen Fluss, an dem die Herde gerastet hatte. Er hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren.
Er ließ sich fallen, kroch auf dem Bauch in das seichte Wasser am Ufer, tauchte sein Gesicht hinein und kam prustend wieder hoch. Das Wasser war kühl und linderte das Brennen auf seiner Haut. In seinen ausgemergelten Körper kehrte neue Energie zurück. Vorsichtig trank John. Mehr und mehr belebte sich sein verschleierter Verstand. Schließlich richtete er sich in eine sitzende Haltung auf. Er begann, seine Lage zu überdenken.
John ahnte, dass es sich bei dem Flüsschen um einen Nebenfluss des Pecos River handelte. Aber wie viele Meilen würde er ihm folgen müssen, um zum Pecos zu gelangen? Erst wenn er den Pecos erreichte, würde er auf eine Ansiedlung stoßen. Und erst dann war er gerettet.
Er erhob sich ächzend und watete aus dem Wasser. Die Kleidung klebte ihm am Leib. Im Schatten eines turmhohen Felsens ließ er sich ins Gras sinken. Die Augen fielen ihm zu. Er versank in einen tiefen, der Ohnmacht ähnlichen Schlaf. Als er wieder erwachte, war es um ihn herum düster. Im Westen brannte der Himmel blutrot im Widerschein der untergegangenen Sonne. Auf den Kuppen lag ein letzter rötlicher Schimmer. In den Tälern und zwischen den gleißenden Geröll- und Sandhängen nistete bereits die Dämmerung.
Vorwärts, John, vorwärts!, hämmerte es hinter seiner Stirn. Du hast Kraft geschöpft und schaffst es bis zum Pecos! Er kämpfte sich auf die Beine, spürte jeden Knochen und jeden Muskel. Dann marschierte er los. Die hochhackigen Stiefel behinderten ihn. Er hatte das Gefühl, dass sich an seinen Beinen Bleiklötze befanden.
Irgendwann riss er sich die Stiefel von den Füßen, knöpfte sie zusammen und warf sie sich über die Schulter.
Ungezählte Sterne blinkten am Himmel. Der Mond hing wie ein gelber Lampion über den drohenden und unheimlich anmutenden Felsformationen. Licht wechselte mit Schatten.
Er bewegte sich auf der Spur der Pferdeherde. Selbst bei diesen unwirklichen Lichtverhältnissen war sie deutlich auszumachen. John war besessen von dem Gedanken, sich sein Eigentum zurückzuholen. Er flüsterte Mark O'Briens Namen. Seine Stimme war rau und vom Hass zerfressen. Selbst wenn er die Spur der Herde verlieren sollte; er wusste genau, wohin er sich wenden musste. Star-Ranch - Puerto de Luna. Es fraß sich durch seinen Verstand wie eine glühende Lunte. Seine Gedanken waren so finster wie ein Höllenschlund.
Irgendwann konnte John nicht mehr. Er sank gegen einen Felsen und ließ sich am glatten Gestein langsam zu Boden gleiten. Es mochte auf Mitternacht zugehen.
»Du schaffst es, John!«, redete er sich selbst ein, und der Tonfall seiner eigenen Stimme erschreckte ihn. Die Felsen ringsum warfen ihr Echo zurück. »Du hast eine Rechnung zu begleichen - und du bist noch nie etwas schuldig geblieben. Noch nie …«
*
Er erreichte den Pecos. Halbtot vor Schwäche, abgerissen, blutig und nur vom Instinkt, nicht mehr vom bewussten Willen geleitet. Er wandte sich nach Süden. Zu seiner Linken wälzten sich die braunen Fluten rauschend und gurgelnd dem Rio Grande entgegen. Es gab dichtes, ineinander verflochtenes Ufergebüsch und weitläufige Weiden, vegetationsreiche Hügel östlich des Flusses und dichtbelaubte Bäume, deren Kronen das Sonnenlicht filterten. Es schien, als habe die glühende Hölle der Felswüste John Lorimer ausgespuckt. Er fasste wieder Mut.
Am jenseitigen Ufer zogen Longhorns zum Wasser, um zu trinken. John fand eine seichte Stelle und watete in den Fluss. Die Kraft der Strömung zerrte bald an seinen Beinen, und er musste immer wieder festen Stand suchen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Misstrauisch äugten ihm die Rinder entgegen.
Die Strapazen der vergangenen zwei Tage hatten tiefe Linien und Kerben in seinem Gesicht hinterlassen. Seine Bewegungen muteten albtraumhaft langsam an.
Das Wasser brach sich an seiner Gestalt und drohte ihn umzureißen. Mit letzter Kraft kämpfte er gegen die Gewalt der Wassermassen an. Plötzlich verlor er den Boden unter den Füßen. Er verschwand unter der Wasseroberfläche, ruderte verzweifelt mit den Armen und glaubte, Unmengen von Wasser zu schlucken. Er kam wieder hoch, merkte, dass er abgetrieben wurde und strampelte mit den Beinen, stieß auf Widerstand und stemmte sich gegen die Fluten. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Die Strömung verlor an Kraft, je weiter er sich dem Ufer näherte. Und schließlich kroch er den Ufersaum hinauf und blieb hustend liegen. Er erbrach Flusswasser, schleppte sich weiter und verkroch sich im Ufergebüsch wie ein sterbendes Tier.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er so in der Halbwelt der Trance dahingedämmert war, als er pochenden Hufschlag vernahm. Er rappelte sich hoch und stemmte sich verbissen gegen die dunklen Nebel der Benommenheit, die auf ihn zuzukriechen schienen. Da war wieder die Schwäche, diese schreckliche Kraftlosigkeit, die alle Sehnen und Muskeln in ihm gelähmt zu haben schien, der Druck in seinem Schädel, der sein Hirn einengte. Seine Hände verkrallten sich im Geäst, als böte es ihm den allerletzten Halt.
Der Hufschlag brandete lauter heran. Johns verschwommener Blick erfasste die Konturen zweier Reiter. Sie hatten ihn wahrgenommen und lenkten ihre Pferde auf ihn zu. Wenige Schritte vor ihm parierten sie die Tiere. Einer rückte sich ein wenig den Stetson aus der Stirn und rief bestürzt: »Bei allen Heiligen, Mister, du siehst aus, als hätte man dich vom Marterpfahl der Apachen geschnitten. Sag bloß, du kommst waffenlos und zu Fuß aus der Felswüste.«
Der Klang der Stimme riss John endgültig aus seiner Betäubung. Schwerfällig antwortete er: »Yeah, Amigo. Es war die Hölle!«
Die beiden Cowboys wechselten einen betroffenen Blick, dann sprangen sie von den Pferden und kamen näher. Mit einer Mischung aus Mitgefühl und Wachsamkeit tasteten ihre Blicke den Mann ab, der sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte. Sie stützten ihn und führten ihn aus dem Gebüsch, drückten ihn ins Gras, und einer der Weidereiter holte aus seiner Satteltasche eine flache Flasche mit Brandy. Er zog mit den Zähnen den Korken heraus und reichte sie John, der mit beiden Händen danach griff und sie zum Mund führte. Das scharfe Getränk ließ seine Augen glasig werden, aber es belebte ihn. »Danke.« Er gab die Flasche zurück, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und atmete tief durch.
»Geht's besser?«, fragte der Cowboy anteilnehmend.
»Yeah«, krächzte John. »Wenn ich jetzt noch etwas Anständiges zwischen die Zähne bekäme und mich für die nächsten zwölf Stunden auf einem richtigen Bett ausstrecken könnte, würde ich mich wie im Himmel fühlen.«
Die Cowboys grinsten. Das war die Sorte Mann, die ihnen entsprach, die nicht jammerte und wehklagte, die sich nicht im Selbstmitleid treiben ließ, die stählerne Härte zeigte.
Einer der beiden sagte, ohne dass sich sein scharfes Grinsen verlor: »Zwischen den Hügeln steht unsere Weidehütte. Dort bekommst du alles, was dein Herz begehrt. Aber wenn du wieder auf dem Damm bist, dann möchten wir deine Geschichte hören. Kein Mensch schlägt sich freiwillig ohne Pferd und ohne jeden Proviant durch diese Gluthölle. Es sei denn, er hat ein verrücktes Gelübde abgelegt oder er ist auf der Flucht.«
John räusperte sich, und ihm entging nicht, dass sie ihn plötzlich durchdringend anstarrten, als wollten sie die geheimsten Winkel seines Bewusstseins erforschen, um die Antwort auf ihre unausgesprochene Frage zu finden.
»Oder man hat ihm seinen Gaul, seine Waffen und seinen Proviant geklaut«, setzte er düster hinzu und schaute von einem zum anderen, und sie nahmen die schwelende Flamme der Leidenschaft in seinem Blick wahr.
Der Cowboy, der bisher das Wort geführt hatte, murmelte: »All right, Stranger, es ist unhöflich, einen Mann mit Fragen zu löchern. Wenn du freiwillig deinen Lasso aufrollst - schön. Wenn nicht, brauchst du nicht zu befürchten, dass wir dich davonjagen.« Er half John auf. »Es sind nur ein paar hundert Yards«, erklärte er. »Wirst du sie schaffen?«
»Was sind einige hundert Yards gegen das, was hinter mir liegt?« John spürte, dass seine Stimmbänder langsam frei wurden. Er, der seine Hoffnungen schon fast begraben hatte, war gerettet - und das beflügelte ihn.
Die Cowboys nahmen ihre Pferde an den Zügeln und führten sie vom Fluss weg auf sanft gewellte Hügel zu, über deren Kämmen die Welt im weichen Blau des ungetrübten Himmels zu enden schien. John ging zwischen ihnen. »Für welche Ranch reitet ihr?«, wollte er wissen.
»Für die Crossfire«, bekam er bereitwillig Auskunft. »Sie gehört Greg Mallory. Er lebt mit seiner Familie in Santa Rosa.«
»Und wo genau befindet sich die Star-Ranch?«
Die beiden Cowboys hielten abrupt an. Ihre Stirn umwölkte sich, sie schossen ihm finstere Blicke zu. »Es ist doch wohl kein Zufall, dass du auf diese Weide gelangt bist, Stranger?«, brummte einer, und in seinem Tonfall lag keine Spur von Freundlichkeit mehr.
John begriff, dass es Zeit für eine Erklärung war. Mit knappen Worten berichtete er, wie übel ihm die Star-Reiter mitgespielt hatten. Der verkniffene Ausdruck in den Mienen der Weidereiter löste sich, und als John geendet hatte, brummte der ältere der beiden, der bisher geschwiegen hatte: »Eine üble Geschichte, Mister. Dass die Männer Bill O'Briens rabiate Schläger sind, ist den Pecos hinauf und hinunter bekannt. Dass sie aber, allen anderen voran sein missratener Sohn, unter die Pferdediebe gegangen sind, ist neu.« Er spitzte die Lippen und sah John abwägend ins entstellte Gesicht. »Deine Worte verraten glasklar, dass du es Mark O'Brien und den anderen Schuften bitter heimzahlen möchtest. Wenn ich dir einen Rat geben darf, Amigo, dann vergiss deine Gäule und kehre dorthin zurück, wo du hergekommen bist. Die O'Briens sind eine teuflische Sippschaft. Du kannst dir nur einen blutigen Kopf holen, wenn du einem von ihnen auf die Zehen trittst.«
Sie waren weitergegangen und erreichten bald eine windschiefe Bretterhütte, die an einem steilen Hang klebte und deren Dach mit Grassoden abgedeckt war.
»Ich werde mir mein Recht holen«, murmelte John rau und mit unnachgiebigem Unterton. »Auf irgendeine Art werde ich es auch bekommen.«
*
Bill O'Brien hatte fast keine Regung gezeigt, als sie ihm seinen toten Sohn vor die Füße legten. Er hörte sich Cash Baileys Lügengeschichte an. In seinen Augen erschien ein gefährliches Licht.
Joan, seine Frau, hatte sich neben dem Toten auf die Knie geworfen, hielt seinen Kopf mit beiden Händen und weinte. Graue Haare hingen ihr wirr in die Stirn. Ein hartes, entbehrungsreiches Leben hatte in ihrem verhärmten, frühzeitig gealterten Gesicht herbe Spuren hinterlassen. Eine Welle von Gemütsbewegungen überlief dieses Antlitz. Doch Bill O'Brien schienen die Tränen seiner Frau nicht zu rühren. Er befeuchtete sich mit der Zungenspitze die aufgeworfenen Lippen, hakte die Daumen in seinen Leibgurt und ließ seinen Blick über die Pferde schweifen.
»Ihr wolltet also die Gäule an die Crossfire verkaufen!«, löste es sich endlich aus seinem Kehlkopf; schnarrend und unheilvoll. Es war, als braute sich über den verkommenen Gebäuden der Star-Ranch ein verheerendes Gewitter zusammen. Seine Ruhe war nahezu unheimlich.
Bailey schnitt eine Grimasse. Seine Kumpane schwiegen betreten. Einen jeden von ihnen hatte ein seltsames, kaltes Gefühl beschlichen - ein Gefühl, das ihnen körperliches Unbehagen bereitete.
Bill O'Briens Blick kehrte wieder zu seinem toten Sohn zurück. Die Kerle, die mit ihm geritten waren, beachtete er scheinbar nicht mehr. Das leise, verzweifelte Wimmern seiner Frau ging ihm auf die Nerven. »Hör auf, Weib!«, fauchte er. »Du kannst ihn mit deinem Geheul auch nicht wieder zum Leben erwecken.« Er hatte mit einer Brutalität gesprochen, die durch nichts zu überbieten war. Das Gewimmer erstarb. Rasselnd holte Bill O'Brien Luft und ballte die Hände zu Fäusten.
»Wir reiten! Wir holen uns den Hundesohn, der Mark in den Rücken geschossen hat. Ich will dieses Stinktier mit bloßen Händen erwürgen.«