Wie aus Leiden wieder Liebe wird - Thomas Schäfer - E-Book

Wie aus Leiden wieder Liebe wird E-Book

Thomas Schäfer

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Beschreibung

Thomas Schäfer wendet sich in diesem Buch zentralen Fragen der Beziehung zwischen Mann und Frau zu. Viele Geschichten zeigen eindringlich, warum man gerade diesen einen Partner ausgewählt hat, unter dem man scheinbar so sehr leidet. Doch jeder Konflikt weist auf seelische Verletzungen hin, die man selbst noch in sich trägt. Erst wenn man bereit ist, die Paarbeziehung als Schlüssel zur Heilung aller eigenen familiären Verletzungen zu nutzen, beginnt aus einem »unmöglichen « Partner ein wundervoller Mensch zu werden.

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Thomas Schäfer

Wie aus Leiden wieder Liebe wird

Mann und Frau aus Sicht des Familien-Stellens

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

DankInhaltZur EinführungÜber systemische Aufstellungen und »Bewegungen der Seele«Wie wird eine Frau eine Frau und ein Mann ein Mann?»Ich will endlich ein Mann werden«: RalfHeirat aus Mitleid: ErwinSehnsucht nach einer Paarbeziehung: Vincent»Ich bin der Retter meines Vaters«: TabeaMit Ende zwanzig noch keine Beziehung: GertEbenbürtigkeit und gemeinsames WachstumDas Nehmen des Partners: Elvira und Paul in einer Paarübung»Unsere Zukunft ist ihr egal«: MoritzWenn Papa der beste Ehemann ist: Gisela und ChristophSexualitätDas Geheimnis der SexualitätAcht wertvolle Hinweise für eine erfüllte SexualitätAngst vor Nähe und SexualitätPaarübung: BeckenSexuelle Probleme»Meine Frau will mehr körperliche Nähe von mir«: Willi»Ich fühle mich sexuell nicht als Mann«: Volkmar»Ich will keinen Sex mehr mit ihm«: Charlotte und HansUngelebte Sexualität infolge Missbrauchs: JeannetteSystemisch bedingtes sexuelles Trauma durch Misshandlungen an Vorfahren: Jacques und Jean-PaulHomosexualität»Gott will bestimmt, dass ich meinen Hang zu Männern aufgebe«: XaverIn einer Dreiecksbeziehung mit zwei Frauen: AliceTreue und UntreueSeitensprünge»Soll ich meinen Seitensprung beichten?«: SaschaVersöhnung scheitert meist nicht am »Sünder«, sondern am »Heiligen«: JustusStändig wechselnde Partnerinnen und Panikzustände: JeanWenn der Partner seit Jahrzehnten fremdgeht: JaneFremdgehen mit Schwangerschaftsfolgen – »Kann ich in der Ehe bleiben?«: MarinaDer Liebhaber als »Tod«: Die Geschichten von Sandy und ArletteDreiecksbeziehungenMénage à trois als Wiederholung der Kindheit: VirginiaSeit zwei Jahrzehnten zu dritt: BrigitteZwei Brüder mit derselben Frau zusammen: Colin und FabianWut auf den Partner»Wir streiten uns ohne Ende …«: Alfred und Regina»Ich bin so wütend, weil du dich bei mir einmischst!«: Anja und HagenWenn der Mutterhass die Partnerin trifft: Ansgar»Ich bin so wütend auf die Männer«: Cordula»Ich kann keine Männer achten«: Rebekka»Männer sind alles A…«: LetiziaEltern und Schwiegereltern»Was haben Sie mit meinem Mann gemacht?«: Gerhards EhefrauMutters Warnung: HolgerDie Wirkungen von Mutters Fluch: Dagmar»Meine Mutter hasst meine Frau!«: DietrichDer Ehemann schützt seine Frau vor dem Schwiegervater: BernadetteFrühere Partner und wie sie weiterwirkenDer ständige Streit verdeckt die Liebe zur früheren Partnerin: Benno und SabrinaDie ehemalige afrikanische Ehefrau: Beate und Bernhard»Welche von beiden soll ich nehmen?«: JuliusKinder und PartnerschaftDie Bedeutung von KindernGewollte und ungewollte KinderlosigkeitDer Mann will keine Kinder: Magdalena und Urs»Ich darf es anders machen als du, Papa«: RüdigerUnbewusste Furcht vor Schwangerschaft: Rosi und BurkhardtDas Schicksal der Großmutter: Madeleine»Ich will ein Kind, koste es, was es wolle!«: Kai und Jutta»Schwanger zu werden ist wie Sterben!«: HelgaAbtreibungErst die Erkrankung des Hundes gibt den Blick auf die Abtreibung frei: Katharina»Warum hat sich meine Frau von mir getrennt?«: DanielDie drei abgetriebenen Kinder und Tinnitus: CorinnaBehinderte Kinder»Nur noch das Kind zählt«: Roland und Sibylle haben ein herzkrankes KindDer achtjährige Christian ist geistig behindert: Tibor und KerstinKünstliche Befruchtung und Sterilisation»Wir wollen unbedingt ein Kind!«: Bärbel und HeinzPatchworkfamilien»Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!«: Sebastian»Mein Sohn wird vom Stiefvater abgelehnt!«: EllenAdoptionen aus »sozialen« Gründen in PatchworkfamilienSchicksalsschläge in der PartnerschaftKrankheiten und verstorbene KinderTochter vom Bus überfahren: Susanne und Lars»Das mit der Totgeburt ist doch alles Blödsinn!«: Richard»In der Krankheit half mir mein Mann nicht!«: IsoldeEine Behinderung des PartnersHeirat aus Mitleid: IrinaSchweres aus der Familie belastet die BeziehungHass und Gewalt zwischen Männern und Frauen: VincentSchlaflosigkeit und langes Singledasein: WielandDie missbrauchte Mutter: Veronika»Mein Großvater war bei der SS«: MiraWenn man dem Partner Probleme »stiehlt«Wie die Ehefrau aus Liebe jahrzehntelang asthmakrank war: JonathanPanikzustände und Lebensmüdigkeit – das Schicksal der drei Frauen aus der Familie des Ehemanns: Valerie»Ich kann mich nicht auf Thorsten einlassen«: CarmenDer Tod des Schwiegervaters: Renate und FranzWie man sich richtig trennt»Wir kommen nicht voneinander los«: Yvonne und AlexanderWenn die Partnerschaft beendet ist, bevor sie richtig begonnen hat: Till und Birte»Hat meine neue Liebe Zukunft? Muss ich mich von meiner Frau trennen?«: WernerWenn man den falschen Mann gewählt hat: CamillaScheidung und Kinder»Zu wem sollen die Kinder?«: Wladimir und LinaDer Tod des Partners»Warum klappt es in der Liebe nicht mehr?«: ManuelDer Ehemann hat sich erhängt: Sigruns Selbstmordgedanken»Ich habe meine Frau umgebracht!«: Bastian»Ich bin so wütend auf meinen toten Mann!«: SinaAndere Belastungen für die PartnerschaftDie Macht der spirituellen Führerin: Dörte»So viel Zeit kann ich ihm nicht mehr geben!«: Konstanze und Lukas»Sollen wir ein zweites Mal heiraten?«: Senta und MauriceDie Herkunftsländer: Ali und JuttaAnhangLiteraturAdressen
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Dank

Allen Paaren und allen Frauen und Männern, die zur Paarberatung zu mir gekommen sind, möchte ich für das entgegengebrachte Vertrauen danken. Zu ihrem Schutz wurden Namen, Orte und unwesentliche Einzelheiten im Text verändert.

Ein Buch über Mann und Frau kann man nicht schreiben, ohne tiefe eigene Erfahrungen gemacht zu haben. In Liebe und Dankbarkeit fühle ich mich den Frauen verbunden, die ein Stück meines Lebenswegs geteilt haben. Zehn Jahre davon begleitete mich meine verstorbene Frau Elisabeth, mit der ich zwei Kinder habe. Auch meiner jetzigen Ehefrau Christine danke ich für ihre Liebe und ihr Verständnis. Darüber hinaus haben ihre Änderungen den Text noch eingängiger gemacht.

Gedankt sei schließlich meinem Freund und Kollegen Wolfgang Kasper, der wie immer kritische fachliche Rückmeldungen zum Manuskript gegeben hat, und auch Norbert Linz, der mir Hinweise zur Titelfindung gab.

Schließlich danke ich Bert Hellinger für alles, was ich bei ihm in den letzten fünfzehn Jahren lernen durfte.

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Inhalt

Zur Einführung 9

 

Über systemische Aufstellungen

und »Bewegungen der Seele« 16

 

Wie wird eine Frau eine Frau

und ein Mann ein Mann? 21

 

Ebenbürtigkeit und gemeinsames Wachstum 33

 

Sexualität 46

Das Geheimnis der Sexualität46

Acht wertvolle Hinweise für eine erfüllte Sexualität50

Angst vor Nähe und Sexualität53

Sexuelle Probleme56

Homosexualität70

 

Treue und Untreue 77

Seitensprünge77

Dreiecksbeziehungen98

 

Wut auf den Partner 105

 

Eltern und Schwiegereltern 121

 

Frühere Partner und wie sie weiterwirken 134

Kinder und Partnerschaft 143

Die Bedeutung von Kindern143

Gewollte und ungewollte Kinderlosigkeit147

Abtreibung160

Behinderte Kinder173

Künstliche Befruchtung und Sterilisation179

 

Patchworkfamilien 185

Adoptionen aus »sozialen« Gründen in Patchworkfamilien 195

 

Schicksalsschläge in der Partnerschaft 198

Krankheiten und verstorbene Kinder198

Eine Behinderung des Partners207

 

Schweres aus der Familie belastet die Beziehung 210

 

Wenn man dem Partner Probleme »stiehlt« 221

 

Wie man sich richtig trennt 236

 

Scheidung und Kinder 253

 

Der Tod des Partners 257

 

Andere Belastungen für die Partnerschaft 269

 

Anhang 281

Literatur281

Adressen283

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Zur Einführung

Niemand kann uns so viel Glück und Ekstase schenken, aber auch so viel Leid und Schmerz zufügen wie eine geliebte Frau oder ein geliebter Mann. In keiner anderen menschlichen Beziehung öffnen wir unser Herz so tief für die Liebe und damit auch für das Leid wie in der Partnerschaft.

Wenn Liebe gelingt, hilft sie uns, durch den anderen eine seelische Einheit zu erfahren, wie wir sie zuletzt im Mutterschoß erlebt haben. Nach dem Rausch des ersten Liebesglücks erkennen wir jedoch recht bald, dass die Erfahrung des anderen uns helfen soll, die Ganzheit in uns selbst zu finden und nicht in der Symbiose. So widersprüchlich es klingt: Indem wir uns liebevoll abgrenzen und auch die eigenen Bedürfnisse achten, werden wir selbst seelisch stärker und anziehender für den Partner. Symbiotische Beziehungen dagegen verharren auf der Mutter-Kind-Ebene und verhindern seelisches Wachstum.

Keine anderen zwei Dinge beschleunigen die seelische Entwicklung des Menschen so stark wie Partnerschaft und Elternschaft. Beides hält uns dauernd einen Spiegel vor und zwingt uns, oft durch Schmerz, auf dem Weg voranzugehen. Dort, wo schier unüberbrückbare Hindernisse auftauchen, braucht es zuweilen eine Hilfestellung. Davon erzählt dieses Buch. Der Schwerpunkt liegt hier auf den familiensystemischen Hintergründen von Paarproblemen.

Scheinbar oberflächliche Alltagsprobleme eines Paares lassen sich gerade deshalb oft nicht in einer Gesprächs-Paartherapie oder Verhaltenstherapie lösen, weil der ständige Streitpunkt, beispielsweise »mangelnde Mithilfe im Haushalt« oder die schmutzigen Schuhe, die »er« immer auszuziehen vergisst, fast immer für etwas anderes stehen. Wegen schmutziger Schuhe löst man letztlich keine Ehe. Neue Verhaltensabsprachen für Paare oder neue Zeitpläne sind zwar nützlich, aber sie helfen nichts, wenn zum Beispiel die Ehefrau ihrer bei der Geburt verstorbenen Zwillingsschwester in den Tod nachfolgen will. Solche tieferen Hintergründe aufzudecken und immer das Familiensystem als Ganzes in den Blick zu nehmen, ist die Aufgabe der systemischen Paartherapie.

Wo ein Paar innerlich steht, merkt man oft schon nach wenigen Minuten: Haben sie miteinander Körperkontakt? Berühren sie sich manchmal an den Händen? Schauen sie sich an – und auf welche Weise? Welche Innigkeit kommt im Blick zum Ausdruck? Fließt hier noch Liebe? Unterbricht einer den anderen im Sprechen? Traut sich einer von beiden nicht, seine Meinung zu sagen, weil der andere zu sehr im Vordergrund steht? Wie begrüßt sich ein Paar, wie verabschiedet es sich? Wie viel Zeit nehmen sie sich dafür und wie viel Zeit für Zärtlichkeit? Kommt das Berufliche immer an erster Stelle? Wie viel Routine hat sich zwischen den beiden schon eingeschlichen? Liebe will im Alltag gepflegt werden und nicht wie ein Baum sich selbst überlassen bleiben!

Manchmal begrüße ich ein Paar an der Praxistür und bin mit einer unsichtbaren Mauer konfrontiert, die die beiden mit hereinbringen. Indem man sich in der Seele einem Paar voll öffnet, kann man zuweilen körperlich wahrnehmen, wo es momentan steht.

Bert Hellinger hat einen schönen Satz formuliert, den Paare sich in solch schwierigen Situationen sagen können: »Ich liebe dich, und ich liebe das, was mich und dich führt.« Wenn man sich dem ganz aussetzt, was einen selbst führt und was den anderen führt, erkennt man manchmal in kürzester Zeit, dass die Beziehung vorbei ist oder dass man erst am Anfang steht und mit Freude auf die noch zu bewältigenden Probleme schauen kann, die vor einem liegen.

 

Es gibt Menschen, die genau wahrnehmen, was sie führt und was die eigene Seele ihnen sagt, die aber dennoch nicht danach handeln. Eine ältere Dame erzählte: »Noch bevor wir damals am Traualtar standen, wusste ich ganz tief in meinem Inneren, dass ich diesen Mann nicht heiraten darf, weil wir überhaupt nicht zusammenpassen. Alles, was ich befürchtet hatte, ist später eingetreten.«

»Und warum haben Sie sich dann nicht bald von ihm getrennt?«, fragte ich.

»Das wollte ich weder meinem Mann antun noch meinen Eltern, noch meinen Schwiegereltern …«

Ich bat die Frau, vor den Spiegel im Besprechungszimmer zu treten, hineinzusehen und laut zu sagen: »Ich habe auch eine Fürsorgepflicht für mich selbst.«

Sie blickte sich an, öffnete den Mund, um zu sprechen, doch es kamen ihr nur Tränen aus den Augen … all die ungeweinten Zähren ihrer Seele, um die sie sich nicht ausreichend gekümmert hatte.

Als sie wieder auf dem Stuhl saß, erzählte sie, wie schwer sie es mit ihrem herrischen Mann habe, aber dass es jetzt zu spät für eine Trennung sei. In ihrem Alter »macht man so etwas nicht mehr«. Ich erklärte ihr, dass jeder für alle Handlungen und Nichthandlungen die volle Verantwortung übernehmen müsse. So brauche man sich hinterher nicht zu beklagen.

Wieder vor dem Spiegel, konnte die Frau dann in überzeugender Weise sagen: »Ich zahle den Preis für meine schwierige Ehe gern. Ich bleibe bis zum Schluss. Ich stehe dazu.« Das ist der Weg vom »Man« zum »Ich«: Was »man« macht oder nicht, ist vor der Seele belanglos; es zählt, wie sich das Ich dazu in bewusster Auseinandersetzung stellt.

Diese Frau hatte den »abfahrenden Zug« verpasst. Jetzt steht sie zu ihren eigenen Fehlern und beginnt, die Ursachen ihrer Probleme auch bei ihrem eigenen Nichthandeln und ihrer Bequemlichkeit zu suchen und nicht immer nur anderen die Schuld zu geben. Wer stets Dritte für seine eigenen Schwierigkeiten verantwortlich macht, der geht den billigen Weg. Vielleicht hilft dieses Buch dem einen oder anderen, deutlich zu spüren, was die eigene Seele erwartet.

 

Das Mann-Frau-Verhältnis ist auch die Beziehung zwischen einem fortwährenden gegenseitigen Geben und Nehmen. Wenn es hier zu Einseitigkeiten kommt, gerät das Paar bald in eine Schieflage. Verstehen es die beiden, regelmäßig in das Schatzkästlein der Liebe etwas hineinzutun? Die kleinen Zärtlichkeiten im Alltag prägen unsichtbare »Goldstücke der Liebe«, welche das Kästchen immer gut füllen. Mit solch einem prallen Kapital kann man auch Krisen durchstehen. Es gibt aber Paare, die sich, ohne dass sie es bemerken, in einer ständigen Abwärtsspirale befinden. Die Streitereien im Alltag werden immer heftiger, die Wortwechsel entgleisen nach und nach in Beschimpfungen übelster Art, und in den kurzen Phasen der Versöhnung wird keine wirkliche »Auffüllung der Schatzkiste« vorgenommen, sondern die beiden gehen schnell wieder in den Alltagstrott über.

Das vom Gesetzgeber verwendete Wort von der »Zerrüttung der Ehe« bringt dies recht treffend zum Ausdruck. Aber ab einem bestimmten Ausmaß von seelischer Verletzung und einem längeren Zeitraum der Zerrüttung kann auch der beste Paartherapeut nichts Helfendes mehr anstoßen. Die Schatzkiste ist leer: Unten am Boden hat sich mit der Zeit ein Loch gebildet – es ist nicht mehr möglich, »Liebestaler« anzuhäufen, denn das Paar hat die ihm zur Verfügung stehende Zeit nicht genutzt. Der gute Wille kommt am Ende für manche zu spät. Doch glücklicherweise trifft man zuweilen auf Paare, die auch im Alter noch immer aus dem Vollen zu schöpfen vermögen, weil sie im Alltag nie damit aufgehört haben, einander Achtung und Liebe zum Ausdruck zu bringen.

Jede Beziehung ist in einen Zeitrhythmus eingebunden. Wenn sich Mann und Frau nicht nach und nach auf ein immer größer werdendes Geben und Nehmen einlassen, stirbt etwas in der Partnerschaft. Wir haben eben nicht unendlich viel Zeit, um unsere Vision zu verwirklichen. Unsichtbar, aber doch spürbar, gibt es für alle Schritte in der Paarbeziehung – zum Beispiel das Zusammenziehen, eine Heirat oder die Entscheidung für Kinder – einen begrenzten Zeitrahmen. Wer über fünfzehn Jahre hinweg der Freundin die Eheschließung verweigert oder nein zu Kindern sagt, der sagt letztlich nein zum anderen. Die Beziehung gelangt dann in die Abwärtsspirale. Oft kann man ganz genau spüren, wann solche anstehenden Entwicklungsschritte verweigert werden und welche Folgen das hat.

Diese Fortschritte haben mit der teilweisen Aufgabe von Eigenem zu tun. Partnerschaften können gelingen, wenn die Bereitschaft vorhanden ist, Eigenes aufzugeben für den anderen: Inwieweit bin ich willens, ein Opfer zu bringen, auch wenn dies schmerzhaft für mich wird?

Ebenfalls zur Paarbeziehung gehört die Bereitschaft, auf die »Rückseite der Probleme« zu schauen: Viele der Geschichten des Buchs zeigen eindringlich, warum wir ausgerechnet diesen einen Partner ausgewählt haben, unter dem wir scheinbar so sehr zu leiden haben, und warum wir gerade ihn brauchen. Jede Partnerschaft will uns hinweisen auf unvernarbte seelische Wunden, die wir noch aus der Herkunftsfamilie in uns tragen. Erst wenn wir bereit sind, die Paarbeziehung als Schlüssel zur Heilung all unserer zurückliegenden familiären Verletzungen zu nutzen, beginnt aus einem »unmöglichen« Partner ein wundervoller Mann oder eine wundervolle Frau zu werden, denn er bzw. sie braucht uns nun keinen Spiegel mehr vorzuhalten.

 

Viel Raum in diesem Buch nimmt die Sexualität ein. Auch Paarübungen zur Vertiefung der sinnlichen Erfahrung findet der Leser. Zur seelischen Intimität zwischen Mann und Frau führt jedoch nicht nur die Sexualität, wie viele glauben, sondern darüber hinaus die Bereitschaft, sich gegenseitig zu dienen. Wenn Mann und Frau spüren, dass der andere bereit ist, auf vieles zu verzichten, dann öffnen sich die Herzen immer tiefer. Was ehrt den anderen mehr als das Versprechen, meine Bedürfnisse einem Größeren unterzuordnen und eigene Interessen aufzugeben? Das Geheimnis der gelungen Paarbeziehung liegt in der Bereitschaft zum Opfer für das Gemeinsame und in der Fähigkeit, sich in Vertrauen dem Partner hinzugeben.

Menschen können sich sexuell begegnen, doch ihr Herz bleibt verschlossen. Betrachtet man die Paarbeziehung aus einem spirituellen Blickwinkel, dann soll sich das Liebesleben mit der gegenseitigen Opferbereitschaft verbinden. Die Gründung eines Hausstands, die gemeinsame Erziehung der Kinder, finanzielle Krisen, Krankheit eines Kindes oder eines Partners: Alles wird leicht, wenn man bereit ist, für das gemeinsame Ziel Eigenes aufzugeben und in die Beziehung einzubringen. In diese Richtung geht, was sich Mann und Frau bei der Eheschließung sagen, wenn sie sich geloben, dass sie zueinanderstehen »in guten wie in schlechten Zeiten«. Der Appell an Geduld und Rücksichtnahme scheint nicht mehr zum heutigen Zeitgeist zu passen. Doch die Paarbeziehung untersteht seelischen Gesetzen, die sich nicht um Zeitgeist und Modernität kümmern.

Eine andere wichtige Voraussetzung für die Liebe zwischen Mann und Frau ist die Selbstliebe. Wie soll ich einen anderen Menschen in der Tiefe achten und lieben, wenn ich dies nicht für die eigene Person vermag? Auch davon erzählt dieses Buch. So ist jede therapeutische Arbeit, die man für sich selbst tut, immer auch ein Dienst an unseren Beziehungen.

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Über systemische Aufstellungen und »Bewegungen der Seele«

Einem Buch wie diesem müsste eigentlich ein umfangreiches Kapitel über die systemische Arbeit Bert Hellingers vorangestellt werden. Angesichts der weiten Verbreitung der von ihm entwickelten Methode des Familien-Stellens kann hier aber auf eine ausführliche Darstellung verzichtet werden. Als einführende Lektüre sei auf mein Buch Was die Seele krank macht und was sie heilt[1] verwiesen. An dieser Stelle sollen nur die wesentlichen Aspekte zur Vorgehensweise aufgezeigt werden.

Zwar lassen sich Aufstellungen auch mithilfe von Papierscheiben und Holzfiguren[2] in der Einzeltherapie durchführen, doch die wesentlich kraftvollere Möglichkeit ist das Aufstellen in der Gemeinschaft. Nachdem der Ratsuchende vor dem therapeutischen Begleiter und der Gruppe kurz sein Anliegen geschildert hat, entscheidet der Therapeut, auf welche Weise das Ganze durchgeführt werden kann. Nicht immer wird die vollständige Familie aufgestellt. Falls einzelne ihrer Mitglieder infrage kommen, wählt der Betreffende sowohl für seine Verwandten als auch für sich selbst Stellvertreter aus der Gruppe aus und stellt sie nach seinem inneren Bild auf.

Anschließend setzt er sich. Immer wieder zeigt sich dann, dass völlig Fremde genau darstellen können, wie sich das jeweilige Familienmitglied in der Tiefe fühlt. Was häufig sichtbar wird, ist die bislang verborgene seelische Dynamik hinter einer Krankheit, einem Paarproblem oder einer psychischen Störung.

Nachdem der Seminarleiter durch verschiedene Schritte eine Lösung gefunden hat, kann der Ratsuchende sich oft auch selbst an seine Position stellen. Am Schluss ist es für ihn zuweilen notwendig, bestimmten Personen noch etwas Wichtiges mitzuteilen.

Sofern es nicht ausdrücklich anders gesagt wird, ist im Text mit Bezeichnungen wie »Partner«, »Ehefrau« oder dem Namen des Aufstellenden immer der betreffende Stellvertreter gemeint. Wenn ein Ratsuchender selbst in die Aufstellung tritt und damit seinen eigenen Platz einnimmt, wird besonders darauf hingewiesen.

 

Das Familien-Stellen hat sich in jüngerer Zeit weiterentwickelt zu den »Bewegungen der Seele« und den »Bewegungen des Geistes«. Wer innerlich gesammelt in Kontakt mit der Person geht, die er darstellt, kommt in eine sehr langsame, aber dennoch intensive Bewegung. Wenn der Therapeut diesen Bewegungen der Stellvertreter Raum gibt, kann er zeitweise auf Interventionen verzichten, auch auf sprachliche. Dennoch muss auch der Therapeut gesammelt bleiben, um an kritischen Punkten der Aufstellung eingreifen zu können.

Aus den Bewegungen der Stellvertreter ergeben sich Lösungen, die oft überraschend und für niemanden vorhersehbar sind. Auch in einigen Aufstellungen, die in diesem Buch dargestellt sind, überließen sich die Stellvertreter stumm gänzlich ihren von innen kommenden Bewegungen.

Die »klassischen« Familienaufstellungen haben aber nach wie vor ihre Berechtigung. Denn wenn man beispielsweise eine so genannte Patchworkfamilie mit Halbgeschwistern, Stiefeltern und dergleichen aufstellt, besteht oft so viel Verwirrung, dass zur Strukturierung bestimmte Dinge ausgesprochen werden müssen. Hier liegt der Vorteil der Familienaufstellungen. Doch insbesondere wenn es um Täter und Opfer in einer Familie geht, sind die »Bewegungen der Seele« sehr wirksam, weil Familienaufstellungen das Geschehen in seiner ganzen Tiefe nur teilweise erfassen; die »Bewegungen der Seele« aber gehen über die Ordnungen der Familie weit hinaus und deuten hin auf unser Eingebundensein in das größere Ganze der Welt. Dazu gehört auch, dass die Klassifizierung in »Gut« und »Böse« in einem anderen Licht betrachtet werden muss, genauso wie die Unterscheidung zwischen Schuld und Unschuld, die im Hinblick auf das persönliche Gewissen wichtig ist. Jeder Einzelne ist nicht nur in seine Familie eingebunden, sondern auch in größere Gruppen, deren Schicksal uns mitbestimmt. Was in diesen letzten Bereichen des Seins gilt, liegt jenseits von traditionellen Wertvorstellungen.

 

Neben den Familienaufstellungen in der Gruppe und den »Bewegungen der Seele«, die ebenfalls in der Gemeinschaft stattfinden, arbeite ich in der Einzeltherapie auch mit Papierscheiben und den bereits genannten Holzfiguren. Diese Figuren sind für die Geschlechter unterschiedlich geschnitzt und mit Auskerbungen für die Blickrichtung versehen. Sowohl der Ratsuchende als auch der therapeutische Begleiter stellen sich nacheinander über die Figuren. Auf diese Weise lässt sich körperlich wahrnehmen, wie sich das Familienmitglied in der Seele fühlt. Wie schon erwähnt, hat diese Form des Familien-Stellens nicht dieselbe Intensität wie die in einer Gruppe, doch lässt sich auch auf solche Weise Heilsames erfahren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man sämtliche Vorannahmen aufgibt und sich innerlich sammelt. Mit der angemessenen Aufmerksamkeit kann man dann sehr schnell eine körperliche Wahrnehmung erleben, die wichtige Hinweise für den weiteren therapeutischen Weg gibt.

 

Die Leser meiner Bücher haben in der Vergangenheit immer wieder gefragt, ob es sich bei den Teilnehmern meiner Seminare um Menschen handle, die schon jahrelange »therapeutische Vorarbeit« geleistet hätten. Wie ließe sich sonst erklären, dass die Aufstellungen so erstaunlich positive Wirkungen zeitigten, wurde oft vermutet.

Viele sind verwundert, wenn ich diese Fragen mit Nein beantworte. Die meisten Teilnehmer meiner Gruppen hatten keine längere Psychotherapie hinter sich, und nicht wenige hatten noch nie eine solche in Anspruch genommen.

 

Bei zahlreichen Aufstellungen in diesem Buch wird anschließend dargestellt, wie es im Leben des ratsuchenden Paares weiterging. Dies ist aber nicht bei allen Fällen so, weil sich nicht jeder später noch einmal meldet. Um den seelischen Prozess nicht zu unterbrechen, denn Aufstellungen wirken oft über Jahre, würde ich nie aus Neugier oder »wissenschaftlichem Überprüfungsdrang« nachfragen.

Nicht selten erhalte ich aber Rückmeldungen durch »Zufall« oder erst Jahre später, wenn sich die Betreffenden wegen eines ganz anderen Themas bei mir melden, zum Beispiel wegen einer beruflichen oder gesundheitlichen Frage.

 

Es sei hier auch noch ein Hinweis über den Umgang mit Aufstellungsbildern gegeben. Allen, die zu mir kommen, rate ich, das Bild in der Zeit nach dem Seminar nicht mit dem Kopf verstehen zu wollen. Es handelt sich ja ohnehin nicht um eine »reale« Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern um ein »Bild der Seele«. Dieses Seelenbild benötigt Ruhe, damit es sich in der Stille entfalten kann. In keinem Fall stellt es eine Handlungsanweisung dar, man solle nun auch direkt beispielsweise einen Partner verlassen oder sich zu einem anderen bekennen. Erst wenn man nach einer längeren Zeit im Herzen eine Übereinstimmung mit dem Aufstellungsbild spürt, darf man sich in seinen Lebensentscheidungen davon leiten lassen. Es erübrigt sich wohl der Hinweis, dass es unter Umständen fatal sein kann, wider besseres Wissen, gutgläubig bzw. ohne eigene Prüfung dem Wort oder dem Rat eines Therapeuten zu folgen, gleich, nach welcher Methode er auch vorgehen mag.

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Wie wird eine Frau eine Frau und ein Mann ein Mann?

Ein Mädchen wird erst zur Frau, wenn sie sich einen Mann nimmt; und Umgekehrtes gilt für den Jungen. Wollen sie sich gegenseitig als Mann und Frau, wird sich die Beziehung völlig anders entwickeln, als wenn sie sich aus anderen Gründen aneinander bänden, etwa wegen der finanziellen Versorgung, aus Bequemlichkeit, Statusgründen, wegen der Konfession oder »nur« weil man den anderen zum zukünftigen Vater oder zur Mutter seiner Kinder haben will. In der Regel rächt es sich, wenn zweitrangige Gründe zur Bindung führen und der bzw. die Partner(in) nicht als Mann oder Frau gemeint ist.

Ich erinnere mich beispielsweise an einen Mann, bei dem ebenfalls »andere« Gründe für eine Heirat vorlagen: Er war an die vierzig und lebte immer noch allein. Mit einer Frau, die er schließlich kennenlernte, verband ihn ein gutes Verständnis, aber eben nicht mehr und nicht weniger. Als seine Eltern und seine Freunde ihm immer wieder in den Ohren lagen, er solle diese Frau doch nun endlich heiraten, gab er schließlich nach. In jener Ehe war nun von Anfang an der Wurm drin. Nach zehn quälenden Jahren schließlich verließ der Mann die Frau wieder und reichte die Scheidung ein.

Die richtige Paarbindung gelingt einem Mann in der Regel erst, wenn er seinem Vater im Herzen so zustimmen kann, wie dieser ist. Für die Frau gilt hinsichtlich der Mutter dasselbe. Wenn sie einem Mann begegnet, der seinen Vater noch nicht genommen hat, dann sieht sie (unbewusst) keinen richtigen Mann in ihm. Denn das Männliche erhält der Mann von seinem Vater; wenn er ihn ablehnt, lehnt er das Männliche in sich selbst ab.

Der amerikanische Schriftsteller Robert Bly schreibt, dass laut einer völkerpsychologischen Untersuchung ein Junge in den USA um 1940 nur eines tun musste, um ein »Mann« zu werden: den Vater ablehnen. Die Söhne stellten sich die Väter als einfältige Trottel vor, über die man sich lustig machen darf. Was dabei herauskommt, kann man sich denken: Machos! In der gleichen Studie zeigte sich, dass amerikanische Väter in der Tat erwarten, von ihren Söhnen abgelehnt zu werden. Für Bly steht fest, dass den jungen Männern heute die väterliche Kraft fehlt. Die Art, wie er sich das Nehmen dieser Kraft vorstellt, hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem, was man in Familienaufstellungen erlebt: »Der Vater gibt, und der Körper des Sohnes – nicht sein Geist – empfängt diese Nahrung, auf einer Ebene, die tief im Unbewussten liegt … Allmählich erfasst er das Lied, das die Zellen des erwachsenen Mannes singen.«[3] Allerdings ist dieses Nehmen der väterlichen Kraft wohl nicht, wie Bly meint, auf das Körperliche beschränkt.

Welche Folgen das Fehlen des väterlichen und männlichen Safts hat, beschreibt Bly in seinem Buch auf anschauliche Weise: Die jungen Männer hungern ihr ganzes Leben nach dem Vater, ohne es zu merken. Es fehlt ihnen etwas Entscheidendes. Auch die Seele reagiert darauf. Ein typisches Beispiel für das Gesagte ist die Geschichte von Ralf.

»Ich will endlich ein Mann werden«: Ralf

Ralf, ein Mann an die vierzig, wirkt in seinem Verhalten wie ein schüchterner verweiblichter Jugendlicher. Erst vor kurzem ist er aus dem Haus seiner Mutter ausgezogen. Der Vater lebt schon seit zehn Jahren nicht mehr. Seine Mutter hasst er, und den Vater bezeichnet er als »Schwächling«, der keinem ein Vorbild sein konnte. Doch ganz egal, wie schwach er auch gewesen sein mag, das Männliche kann ein Junge nur von seinem Vater bekommen.

Ralfs Anliegen ist: »Ich will meine Depression los sein, brauche mehr Selbstbewusstsein, und ich will endlich ein Mann werden.« Als er beginnt, mir die negativen Seiten seines Vaters zu schildern, unterbreche ich ihn. Ich bitte ihn, mir aus seiner Kindheit einige positive Erinnerungen mit dem Vater zu schildern. Ralf neigt seinen Kopf und erzählt tatsächlich eine kleine Geschichte, in der er sich mit seinem Vater gut verstanden hatte. Plötzlich fängt er an zu weinen. Es ist ihm sehr peinlich, zu spüren, dass er seinen Vater liebt.

»Das versteh ich nicht«, sagt er. »Ich lehne ihn doch so ab … wie kommt das?«

Statt mit ihm zu diskutieren, will ich ihn mithilfe einer Übung tiefer in die Liebe zum Vater hineinführen, doch er mag nicht. Er wird sogleich wieder aggressiv gegenüber seinem Vater. Auf diese Weise braucht er die Liebe und den Schmerz nicht mehr zu spüren. Den nächsten Termin sagt er ab, und so bleibt ihm die Vaterkraft weiterhin »erspart«.

Übrigens hat Ralf trotz seiner vierzig Jahre noch nie eine Partnerschaft oder eine sexuelle Begegnung mit einer Frau erlebt. Das war auch sein Anliegen mit der Formulierung: »Ich will endlich ein Mann werden.« Je weniger ein Mann die Kraft seines Vaters und seiner Vorväter genommen hat, desto uninteressanter ist er für Frauen. Mit derartigen Männern haben sie nur Mitleid, sie sehen keinen attraktiven (möglichen) Partner in solch einem »Softie«.

Wenn man einen Menschen kennenlernt, kann man sofort spüren, wie viel Kraft ihm zur Verfügung steht. Es gibt Männer und Frauen, die lediglich 60 oder gar nur 25 Prozent ihres Potenzials nutzen. Hat eine Frau ihre Mutter und ein Mann seinen Vater ganz genommen und achten beide ihre Herkunftsfamilien, steht ihnen in der Regel viel Kraft zur Verfügung, und sie wirken damit auch anziehend auf Menschen des anderen Geschlechts.

In vierzehn Jahren Familien-Stellen in Seminaren ist mir aufgefallen, dass die Gruppenteilnehmer instinktiv genau spüren, wer Kraft hat und wer nicht. Menschen, die nur einen kleinen Teil ihres Potenzials nutzen, werden meist nicht in Rollen gewählt – und wenn, dann oft nur als Randfiguren. Diejenigen, die aktiv aufstellen und Stellvertreter für ihre Familienmitglieder auswählen, spüren unbewusst, wem sie eine solche Aufgabe »zumuten« können und wem nicht.

Teilnehmer, deren Aufstellungsanliegen die Partnersuche nach langer Einsamkeit ist, sind nicht selten stark traumatisiert, zum Beispiel durch sexuellen Missbrauch, oder sie lehnen ihre Eltern ab. Die Zurückweisung der Eltern, und erst recht der Hass ihnen gegenüber, schwächt die eigene Kraft. Wie kann ein Apfel auch den Baum verdammen, von dem er stammt? Das ergibt keinen Sinn.

Wer – wie Ralf – selbst nur wenig Kraft in sich trägt und den eigenen Vater bzw. die eigene Mutter nicht hinter sich weiß, der wirkt unattraktiv auf das andere Geschlecht, oder er zieht Partner an, die eine spiegelbildliche Dynamik aufweisen, wie das zum Beispiel bei Erwin der Fall ist.

Heirat aus Mitleid: Erwin

Erwin ist seit einiger Zeit verheiratet. Seine Frau ist im dritten Monat schwanger, und Erwin überlegt, ob er sie verlassen soll. Als er dies erzählt, geht ein leichtes Raunen durch die Gruppe. Der Seminarleiter fragt danach, ob des Öfteren im Stammbaum der Familie schwangere Frauen verlassen wurden oder ob es schwere Frauenschicksale im Zusammenhang mit Geburten gibt. Erwin verneint.

Er berichtet, dass er Johanna nicht aus Liebe geheiratet habe, sondern weil »es sich halt so ergab und ich ihr damit einen Gefallen getan habe«. Er ist sich zwar theoretisch darüber im Klaren, was es bedeutet, eine Frau in Hoffnung zu verlassen; aber die Art und Weise, wie er spricht, zeigt, dass all das in seinem Herzen noch nicht angekommen ist. Seine Stimme ist dünn – sie wirkt, als schwebe sie über den Dingen.

Erwin stellt Johanna, das noch ungeborene Kind (ein Mädchen) und sich selbst auf. Die Kleine steht neben der Frau und lächelt sie an, während Erwins Stellvertreter aus einiger Distanz zuschaut.

Auf Befragen des Therapeuten sagt die Frau: »Mir ist das egal, was mit ihm (Erwin) ist, Hauptsache, ich habe ein Kind.« Sie spricht es auf eine sehr kalte Weise.

Sowohl der Vater als auch die Mutter des Kindes sind sich nicht bewusst, was eine Familie ist, was es bedeutet, als Frau und Mann zusammenzukommen und ein Kind in die Welt zu setzen. Beide haben eine Mentalität des Unverbindlichen; und die Frau sieht im Nachwuchs nur eine Art Statussymbol, etwas, was sie »haben will«.

Der Seminarleiter sagt zu Erwin: »Das ist hier wie im Fernsehen – diese Seifenopern, in denen die Frau annonciert, dass sie einen willigen Samenspender sucht, und der Mann kein Interesse an einer Bindung hat. Ihr habt euch gesucht und gefunden.«

Erwin schaut an die Decke des Raums und hält die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Aufstellung scheint ihn nicht zu interessieren.

»Wenn dich das alles langweilt, kann ich auch abbrechen«, sagt der Seminarleiter.

»Nein«, antwortet Erwin trocken und nimmt seine Arme, die seine seelische Mauer anzeigen, wieder vom Kopf zurück. Der Therapeut geht in sich und entscheidet, Erwins Eltern dazuzustellen.

Der Vater dreht den Kopf zur Seite, als der Sohn ihn anschaut, und fasst sich an den Bauch, als ob ihm übel würde. Es ist offensichtlich, dass Erwin seinen Vater verachtet hat. Erwins Stellvertreter macht nun die tiefstmögliche Verneigung vor dem Vater, währenddessen dieser tief durchatmet, als ob er schon seit langem darauf gewartet habe.

Der Seminarleiter fragt den Vater, wie es ihm gehe. Er antwortet: »Lösungen gehen hier nur über mich! Diese Verbeugung war immerhin ein Anfang, aber es braucht noch viel Zeit.«[4]

Die noch ungeborene Tochter schüttelt den Kopf: »Ich misstraue beiden Eltern. Sie haben nichts begriffen … Wenn ihr euch seelisch nicht bewegt, bin ich zutiefst getroffen.«

Der Seminarleiter schaut unterdessen immer wieder auf Erwin, der vom Stuhl aus zusieht. Dieser hat wieder die Arme hinter dem Kopf verschränkt und auch die Beine übereinandergeschlagen.

Die Aufstellung wird hier beendet. »Ich denke, du hast genug Impulse für dich erhalten«, sagt der Seminarleiter zu Erwin. »Die grundlegende Frage hat nicht mit ›Gehen oder bleiben?‹ zu tun, sondern damit, ob du als Mensch in deine Lebenskraft gehst oder nicht. Glaubst du, die Dinge werden sich bei der nächsten Partnerin grundlegend anders darstellen?«

Erwin schweigt.

Am nächsten Tag des Seminars gibt es zu Beginn eine Feedbackrunde. Erwins Gesicht ist über Nacht weicher geworden, auch sein Blick wirkt mehr gesammelt als am Vortag. Offensichtlich haben die Aufstellungsbilder einen Weg an seinem kritischen Denken vorbei ins Herz gefunden.

Er berichtet: »Ich fühle deutlich, dass in mir etwas positiv verändert ist, auch wenn ich es nicht genau benennen kann; aber das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig …«

»Genau«, antwortet der Seminarleiter, »man muss nicht alles analysieren und verstehen. Überantworte die Bilder von gestern deinem Herzen und wart ab, wie es in dir wirkt.«

Sehnsucht nach einer Paarbeziehung: Vincent

Vincent ist Mitte vierzig und noch nie in seinem Leben einer Frau nähergekommen. Er hat den Mut, dies in der Begrüßungsrunde der Gruppe klar zu äußern.

Der Seminarleiter sagt ihm: »Danke für deinen Mut! Du bist mit viel Ernst bei der Sache. Bestimmt wird sich etwas zeigen, was dir auf deinem Weg weiterhilft.«

Als Vincent später an die Reihe kommt, stellt er sich und seine »Traumfrau« auf. Es hat sich bewährt, bei dauernder Partnerlosigkeit einen Idealmann oder eine Idealfrau aufzustellen, um zu schauen, wer oder was im Familiensystem Partnerschaften des Ratsuchenden verhindert.

Die Traumfrau und Vincent stehen sich gegenüber. Vincent schaut sie nicht an, sondern sein Blick saugt sich am Boden fest. Die Erfahrung lehrt, dass derjenige, der so schaut, immer auf Tote blickt. Der Therapeut sucht einen Stellvertreter für den Toten aus, der unsichtbar vor Vincent liegt, und weist ihn an, wie er sich dort hinlegen soll. Außerdem kommt eine Frau für die Mutter in die Aufstellung. Kaum hat sie ihren Platz gefunden, bricht die Mutter in Tränen aus. Sie beginnt am ganzen Leib zu zittern. Sie will den Toten nicht anschauen. Man sieht, wie sehr sie sich schuldig fühlt. Vincent beginnt, heftiger zu atmen. Es geht ihm immer schlechter, während sich die Idealfrau nach und nach weiter von ihm entfernt. Sie steht jetzt ganz am Rand und sieht von dort aus zu.

Nun wird auch noch der Vater in die Aufstellung hereingeholt. Ohne dass der Therapeut irgendetwas gesagt oder einen stummen Hinweis gegeben hätte, geht Vincent vor seinem Vater in die Knie und atmet tief aus. Beide beginnen gleichzeitig zu weinen. Vincent legt seinen Kopf an des Vaters Bauch und atmet tief ein. Es ist offensichtlich, dass die Solidarität des Kindes mit der Mutter ihm stets den Weg zum Herzen des Vaters versperrt hatte.

Doch nicht nur die beiden weinen! Diese Szene zwischen Vater und Sohn hat eine tiefe Wirkung auch auf die Idealfrau: Sie weint ebenfalls – vor Freude! Sie kommt näher und stellt sich zu Vincent und seinem Vater. Man sieht, wie sehr sich die Frau über das Dazukommen des Vaters freut.

Nun übernimmt Vincent die eigene Rolle in der Aufstellung, und der Stellvertreter setzt sich. Auch der richtige Vincent beginnt zu weinen. Der Seminarleiter bittet ihn, dem Vater in die Augen zu schauen und ihm zu sagen: »Endlich!« Dann kuschelt er sich ähnlich wie vorher sein Stellvertreter an des Vaters Bauch und atmet in tiefen Zügen dessen Kraft ein. Man sieht in Vincents Gesicht, wie er mit jedem Atemzug immer mehr Kraft erhält. Schließlich kann er aufstehen und die Frau anschauen. Sie strahlen sich an und wollen aufeinander zugehen.

Doch der Seminarleiter interveniert: »Erst steht noch etwas anderes an!« Er führt ihn zur Mutter, die neben dem Toten liegt.

Sogleich wird Vincents Gesicht wieder ernst. Er verbeugt sich vor ihr und sagt: »Es ist zu schwer für mich. Ich bin nur ein Kind. Ich gehe jetzt zum Papa. Dort ist mein Platz.« Die Mutter setzt sich auf und nickt zufrieden. Der Tote hat die Augen geschlossen, und die Mutter legt den Kopf auf den Boden und schließt ebenfalls die Augen.

Vincent geht wieder zurück zum Vater und stellt sich neben die Frau. Während der Vater ihm die Hände zur Unterstützung auf den Rücken legt, sagt Vincent zur Frau: »Ich komme!« Seine Stimme ist kräftig und klar.

Vincent meldet sich einige Monate nach der Aufstellung telefonisch bei mir. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er eine sympathische Frau gefunden und lebt jetzt mit ihr in einer Beziehung. Oft aber ist eine solche Aufstellung nur der Auftakt zu weiterer Arbeit am Thema. Die auftretenden Probleme in dieser ersten Beziehung machten später eine zusätzliche Aufstellung notwendig, die sehr tief in den Stammbaum hineinführen sollte (siehe den Weitergang von Vincents Geschichte im Kapitel »Schweres aus der Familie belastet die Beziehungsfähigkeit«).

»Ich bin der Retter meines Vaters«: Tabea

Tabea ist an die dreißig, strahlt über das ganze Gesicht; und man will ihr kaum glauben, dass sie noch nie in einer Partnerschaft gelebt hat. Außerdem klagt sie in einer Einzelsitzung über ein seltsames Zittern. Auf Nachfrage des Therapeuten erzählt sie, dass dieser Tremor völlig verschwunden war, während sie in einer anderen Stadt studierte. Als sie wieder nach Hause kam zu ihrem Vater, der keine Partnerin hat, stellte sich das Zittern wieder ein. Der Vater ist seit dem Tod der Frau allein und sieht in Tabea eine Art »Ersatzfrau«. Dies jedenfalls ergibt sich aus ihrer weiteren Schilderung. Stolz erzählt Tabea, sie habe den permanent kranken Vater jetzt sogar zum Psychotherapeuten gebracht: »Ich fühle mich als sein Retter.«

»Na, dann brauchen Sie ja keinen Mann mehr«, wirft der Therapeut ein. »Neben dem Vater haben Männer keine Chance.«

Tabea nickt. Sie hat sich schon mit der Literatur des Familien-Stellens beschäftigt und für sich erkannt, dass die Nähe zum Vater problematisch für sie ist: »Deswegen bin hier!«

Über die tote Mutter wird zu Hause nicht viel geredet, denn der Vater verachtet sie. Sie war Alkoholikerin und starb vor einigen Jahren an einer Lungeninfektion. Während ihrer ganzen Kindheit war Tabea stets die Trösterin des Vaters gewesen. Sie war und ist »Vaters Tochter«.

Bald nach diesem Gespräch kommt Tabea in eine Gruppe, um ihr Partnerschaftsproblem aufzustellen. Es werden Stellvertreter für Tabea, die Beziehungsfähigkeit (ein Mann) und die Eltern aufgestellt. Die Beziehungsfähigkeit kann die Nähe zum Vater nicht ertragen und begibt sich sofort zur Mutter, wo die Frau, die sie darstellt, tief durchatmet. Der Vater hingegen fängt an zu zittern. In seiner Familie gibt es viel Leid: Drei Geschwister seiner Mutter sind früh gestorben, und die Großmutter mütterlicherseits verstarb im Kindbett. Als diese Personen dazukommen und auf den Boden gelegt werden, möchte Tabea sich dazulegen. Der Sog zu den Toten aus des Vaters Familie ist stärker als die Aussichten auf die Beziehungsfähigkeit und die Mutter.

Tabea kommt nun in ihre eigene Rolle. Mit Tränen und viel Liebe trennt sie sich von den väterlichen Verwandten und auch vom Vater und wagt es, sich neben die Mutter und die Beziehungsfähigkeit zu stellen. Nun muss Tabea heftig weinen.

Spontan sagt sie der Mutter: »Selbst als du gestorben bist, hatte ich keine Gefühle für dich. Es tut mir so leid, Mama! Ich habe immer nur den Papa gesehen.« Sie bricht in Mutters Armen zusammen, die sie liebevoll hält.

Der Vater als Zeuge dieser intensiven Begegnung seiner Tochter mit der Mutter beginnt über das ganze Gesicht zu strahlen.

Der Therapeut tippt Tabea auf die Schulter: »Schau zum Vater, wie er sich freut, dass du jetzt auch die Mutter für dich entdeckt hast.«

Immer war Tabea mit dem Vater solidarisch gewesen und hatte mit ihm zusammen die Mutter verachtet, doch jetzt öffnet sie zum ersten Mal ihr Herz.

Im Schlussbild der Aufstellung stehen der Mann, der die Beziehungsfähigkeit verkörpert, und Tabea nebeneinander. Sie wirken wie ein glückliches Paar. Hinter Tabea steht die Mutter, die ihr zur Stützung die Hände auf den Rücken legt.

Einige Monate später erhält der Gruppenleiter die Rückmeldung von Tabea, dass sie sich bis über beide Ohren verliebt habe in einen Mann, den sie erst kürzlich kennengelernt hat. Sie reden sogar schon über das Zusammenleben.

Mit Ende zwanzig noch keine Beziehung: Gert

In der Tat ist es immer wieder erstaunlich, wie sich das Leben ändert, wenn man seinen Eltern zustimmt. In einem ähnlichen Fall eines Mannes, Gert, ist vieles spiegelbildlich wie bei Tabea. Auch er ist Ende zwanzig und noch nie in einer Beziehung gewesen.

In der Aufstellung blickt er auf die vielen Toten aus der Familie der Mutter und findet seinen guten Platz neben dem Vater, den er noch nie für sich entdeckt hat. Außerdem sind seine Eltern geschieden, und es besteht der Verdacht, dass er als kleiner Junge einen unbewussten Schwur geleistet hat, etwa: »Ich werde nie heiraten, nie.«

Je schlimmer eine Scheidung von Kindern erlebt wird – vor allem, wenn die Eltern sich viel gestritten haben –, desto wahrscheinlicher kann es zu solchen kindlichen Gelöbnissen kommen, die tief ins Erwachsenenleben hineinwirken.

Gert sagt seinen Eltern noch: »Auch wenn ihr beide als Mann und Frau ein schweres Problem miteinander habt, ich wage es jetzt.«

Fünf Wochen später erhalte ich eine E-Mail von Gert: »Ich möchte Dir nur eine Rückmeldung geben, welche heilbringende Wirkung meine Aufstellung hatte. Nach nur vier Wochen bin ich jetzt mit einer lieben Frau zusammen. Ist das nicht schön?«

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Ebenbürtigkeit und gemeinsames Wachstum

Anders als zwischen Eltern und Kind ist die Beziehung zwischen Mann und Frau ebenbürtig und gleichberechtigt. Während ein Kind den Eltern nie so viel zurückgeben kann, wie es von diesen genommen hat, so findet man in der gelungenen Paarbeziehung ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Es erscheint demnach leicht nachvollziehbar, dass Partnerschaften scheitern, in denen beide sich einem Eltern-Kind-Schema unterordnen. Da gibt es zum Beispiel die Frau, die ihren Mann ständig wie einen kleinen unartigen Jungen maßregelt. Der Mann lässt sich das alles auch noch bieten, und man fragt sich: Wo bleibt da die Leidenschaft zwischen den Geschlechtern? Sie löst sich auf, wenn es sie jemals gegeben hat! Das Abenteuer des gegenseitigen Kennenlernens und die Lust auf das andere Geschlecht entfalten sich nur da, wo das Gegenüber ein ernstzunehmender Partner ist.

Die Ebenbürtigkeit zwischen Mann und Frau ist vielen Gefahren ausgesetzt. Sagt beispielsweise der Mann zu seiner Frau etwas wie »Ohne dich kann ich nicht leben« oder »Ich bringe mich um, wenn du mich verlässt«, dann ist dies ein Verhalten, das die Ebenbürtigkeit der Partner verletzt. Der Anspruch, vom anderen fortwährend umsorgt zu werden, ist der Anspruch eines Kindes.