Was die Seele krank macht und was sie heilt - Thomas Schäfer - E-Book

Was die Seele krank macht und was sie heilt E-Book

Thomas Schäfer

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Beschreibung

Kein Psychotherapeut hat in der therapeutischen Szene der letzten Jahre ein so starkes Echo gefunden wie Bert Hellinger. Der Heilpraktiker und Psychotherapeut Thomas Schäfer bringt Hellingers Erkenntnisse auf den Punkt: Als das zentrale soziale System und als Verursacher von Freud und Leid betrachtet er die Familie. Durch seine Therapie können krankmachende Dynamiken gelöst werden, und die ursprüngliche Liebe kann wieder fließen.

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Thomas Schäfer

Was die Seele krank macht und was sie heilt

Die psychotherapeutische Arbeit Bert Hellingers

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Verwendeter Abkürzungsschlüssel von Bert Hellingers LiteraturBrief von Bert HellingerDankVorwortI EinführungUnterschiede zu anderenpsychotherapeutischen AnsätzenWas ist gute Psychotherapie?Die DauerDie AufstellungenLeiden ist leichter als HandelnDie Wirkung des LösungsbildesWodurch kommt die Wirkung einer Aufstellung zustande?Beeinflusst der Therapeut, wasbei der Aufstellung dargestellt wird?II Wie menschliche Beziehungen gelingenBindung, Ordnung und AusgleichDie BindungDie OrdnungDer Ausgleich zwischen Geben und NehmenSchuld und UnschuldDer Ausgleich in der ErziehungDie Übernahme fremder SchuldDas Kind übernimmt oft die Schuld bei einer MussheiratDas Verzeihen als falscher Umgang mit SchuldSchicksal und SchuldDas GewissenDas Gewissen dient einer höheren OrdnungDie Grenzen des GewissensDas Sippen- oder GruppengewissenWer gehört zur Sippe?Der schlimme AusgleichWas Schicksalsverstrickungen löstIII Eltern und KinderGrundsätzlichesDas Nehmen der ElternWenn Kinder zu Eltern oder Partnernder Eltern werdenDer Umgang mit dem Persönlichender ElternSorge für die Eltern im AlterBesondere Fragender Eltern-Kind-BeziehungAußereheliche Kinder – der Vorrang der neuen FamilieKinder aus geschiedenen EhenAdoptionSexueller MissbrauchErziehungsgrundsätzeDie unterbrochene HinbewegungIV Mann und FrauDer »richtige Mann« und die »richtige Frau«Was macht den Mann zum Mannund die Frau zur Frau?Anima und AnimusDer Mann dient dem Weiblichen,und die Frau folgt dem MannAchtet die Frau den Mann wenigerals der Mann die Frau?EbenbürtigkeitSexualitätDie Bedeutung der früheren PartnerDie Kunst, sich richtig zu trennenWut auf den PartnerWas bedeuten Kinder und Kinderlosigkeit für die Paarbeziehung?Künstliche Befruchtung und SterilisationAbtreibungTreue und UntreueV Dynamiken, die krank machenLieber ich als duIch folge dir nachKann der christliche Glaubemanchmal lebensfeindlich sein?Das TotenhemdchenSühne für persönliche SchuldSühne für fremde SchuldUnglück als Preis für Errettungaus einer GefahrIch komme mitStellvertretendes Sterbenin der PaarbeziehungWoran erkennt mansystemische Verstrickungen?VI Ausgesuchte Krankheiten und körperliche SymptomeAllgemeinesKrebsSuchtAlkohol- und DrogensuchtBulimieMagersuchtFettsuchtDepressionPsychosenHerzbeschwerdenÜbelkeitRückenschmerzenKopfschmerzen und MigräneNeurodermitisVII Spiritualität und ReligionVIII Der Umgangmit dem TodAnhang I Bert Hellingers Wegzur FamilienaufstellungAnhang II Familienaufstellung»Lieber gehe ich als du, liebe Mama!«Beispiel einer Klientin mit langjährigem Diabetes und kürzlich diagnostizierter multipler SkleroseLiteraturLiteratur über das Familienstellen
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Verwendeter Abkürzungsschlüssel von Bert Hellingers Literatur

Anerkennen, was ist – Gespräche über Verstrickung und Lösung. Mit Gabriele ten Hövel. München 1996: AWI.

Familienstellen mit Kranken – Dokumentation eines Kurses für Kranke, begleitende Psychotherapeuten und Ärzte. Heidelberg 1995. FS.

Finden, was wirkt – Therapeutische Briefe. München 1993: FWW.

Die Mitte fühlt sich leicht an – Vorträge und Geschichten. München 1996: MFL.

Ordnungen der Liebe – Ein Kurs-Buch. Heidelberg 1994: OL.

Schicksalsbindungen bei Krebs – Ein Buch für Betroffene, Angehörige und Therapeuten. Heidelberg 1997: SBK.

Verdichtetes – Sinnsprüche, kleine Geschichten, Sätze der Kraft. Heidelberg 1996: VS.

Zweierlei Glück – Die Systemische Psychotherapie Bert Hellingers. Herausgegeben von Gunthard Weber, Heidelberg 1993: ZG.

 

Eine aktualisierte Literaturliste befindet sich im Anhang.

 

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das Manuskript Ihres neuen Buches habe ich mit Interesse und Bewunderung gelesen. Sie haben sich intensiv mit den Ordnungen der Liebe in menschlichen Beziehungen befasst, und Sie haben die besondere Gabe, vielschichtige Zusammenhänge übersichtlich und einfach darzustellen. Aus Ihrer eigenen reichen Erfahrung haben Sie wesentliche Einsichten auch inhaltlich weitergeführt und vertieft. So ist es ein reiches und schönes Buch geworden, und ich bin sicher, dass es vielen Leserinnen und Lesern eine wertvolle Hilfe sein wird, in ihren eigenen Beziehungen versöhnliche Lösungen zu finden.

Ich gratuliere Ihnen dazu

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Dank

Mein besonderer Dank gilt Bert Hellinger. Ohne seine Ermunterung wäre dieses Buch nie entstanden. Er stellte mir Material zur Verfügung und hat für meine Fragen immer ein geduldiges Ohr gehabt.

Herzlich bedanken möchte ich mich auch für Anregungen und Kritik bei meiner verstorbenen Frau Elisabeth, Werner Baumgartl und Wolfgang Kasper.

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Vorwort

»Gibt es denn gar kein leicht verständliches Buch über Familienaufstellungen?« Diese Frage wurde mir vor zwei Jahrzehnten unzählige Male von Klienten gestellt. Stets musste ich verneinen … Als mich dann Gerhard Riemann von Droemer Knaur fragte, ob ich nicht Lust habe, das erste deutschsprachige Taschenbuch zu diesem Thema zu schreiben, sagte ich zu.

Nie habe ich geahnt, dass dieses Buch zu einem Bestseller werden würde. Es wurde in vielen Buchformaten und Auflagen gedruckt und erschien in zahlreichen Sprachen, sogar im Chinesischen.

1997, im ersten Vorwort, schrieb ich damals: »Auf den folgenden Seiten habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Bert Hellingers Gedanken zu bestimmten Themen zusammenzufassen und sie einem größeren Leserkreis näherzubringen.« Im Gegensatz zu meinen späteren Büchern habe ich in diesem Werk vor allem Bert Hellinger selber zu Wort kommen lassen, damit der Leser seine Gedanken möglichst authentisch erfassen kann. Wenn ich aus handschriftlichen Notizen aus einem Kurs von Hellinger zitiere, dann muss sich der Leser stets vor Augen halten: Es handelt sich um einen Kurs aus den neunziger Jahren! Aus heutiger Sicht habe ich damit dokumentiert, wie die Aufstellungsarbeit damals Fuß gefasst hat und wie sich ihre inhaltliche Basis herausgeschält hat. Doch auch für die Gegenwart stellt dieses Werk eine bewährte, umfassende und gründliche Einführung in die Familienaufstellungen dar.

In der Tat ist die Zeit seit dem Ersterscheinen nicht stehengeblieben. Bert Hellinger arbeitet heute völlig anders als damals (wer sich informieren möchte: Infos auf www.hellinger.com). Und in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten wurden von einer Reihe von Kollegen die unterschiedlichsten Konzepte entwickelt, wie man mit Aufstellungen arbeiten kann. Doch auch wenn viele Therapeuten neue Methoden der Aufstellungen entwickeln und anwenden: Die sogenannte »Klassische Familienaufstellung« bleibt die Basis jeglicher systemischer Aufstellungsarbeit! Und immer noch wird sie gegenwärtig von der Mehrheit der Aufstellungstherapeuten so verwendet, wie Hellinger sie in den neunziger Jahren entwickelt hat! Ich selber verbinde heute diese jahrelang bewährte (!) Aufstellungsarbeit mit meinem eigenen Konzept des »Aufstellens der Seele«, dargestellt in dem Buch Wie die Seele uns durchs Leben führt (2011).

Bei vielen Themen des vorliegenden Bandes gibt es heute weiterführende Einsichten. Wie könnte es auch anders sein? Zu den ersten großen Folgeauflagen des Werks habe ich noch hier und da versucht, neue Erkenntnisse »einzuschieben«, ohne dass der Lesefluss zu sehr gestört wurde. Doch irgendwann musste ich es aufgeben, sollte das Buch nicht aus allen Nähten platzen … Den meisten Kapiteln bzw. Grundthemen dieser Veröffentlichung habe ich deshalb im Laufe der zurückliegenden Jahre eigene Bücher gewidmet, so zum Beispiel Gesundheit und Krankheit, Partnerschaft, Kinder und ihre Probleme, Beruf und Erfolg, Tod und Sterben u.a. (s. Literaturverzeichnis), in denen ich die Summe der Erfahrungen aus meinen Seminaren und Einzeltherapien dargestellt habe.

 

Stockach, Bodensee, Dezember 2015

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I Einführung

Schuld und Unschuld, Gewissen, Ordnung, Bindung, Demut und das Ehren der Eltern – so lauten einige zentrale Begriffe der Systemischen Psychotherapie Bert Hellingers. In der gegenwärtigen Psychotherapie hört man diese Ausdrücke eher selten, und manchem erscheinen sie gar anrüchig und verstaubt. So verwundert es nicht, dass sich an Bert Hellinger die Geister scheiden.

Für die einen ist er derjenige, der bestimmten Werten zu einer Renaissance verhilft. Wir leben in einer Zeit, in der sich alles schnell relativiert. Nichts scheint lange Bestand zu haben, obwohl wir uns doch sehr nach Sicherheit und Verlässlichkeit sehnen. Und nun kommt jemand, der endlich Orientierung gibt und in all den persönlichen Tragödien und Schicksalen Ursachen und Sinn erkennt. Zusammenhänge zu verstehen, die wir jenseits des Begreifens wähnten: Das muss eine tiefe Sehnsucht wecken, mit dem eigenen Schicksal in Einklang zu kommen.

Für die anderen ist Hellinger ein konservativer, patriarchalischer Heilsverkünder, dessen »Lehre« in den orientierungslosen Köpfen vieler leichtes Spiel hat. In diesen Zusammenhang passt natürlich der Umstand, dass Hellinger lange Zeit in Afrika Missionar gewesen ist. Nachdem er den Orden verlassen hatte, entdeckte er die Psychotherapie als neues Aufgabenfeld. Um »biblische Psychotherapie« handele es sich, lesen wir in der Überschrift des Editorials der Zeitschrift »Psychologie heute« (6/95). Dort ist auch die Rede von einem »Guru«, der »weiße Magie« betreibt, wenn er in großen Gruppen einen Klienten seine Familie aufstellen lässt.[1]

Viele Therapeuten, die nach Hellingers Methode Familien stellen und seine Einsichten in ihrer täglichen Arbeit berücksichtigen, und viele, die heute mit Sympathie über ihn reden und schreiben, bekennen, dass sie bei der ersten Begegnung mit diesen ungewohnten Einsichten schockiert waren. Mir selbst erging es anders. Ich war tief ergriffen von dem, was ich las (»Zweierlei Glück«) und was ich kurz darauf in Hellingers Seminaren erlebte. Nachdem ich meine Familie aufgestellt hatte, wurde mir nicht nur meine persönliche Geschichte klarer, ich sah auch die Probleme meiner Klienten in einem neuen, ungewohnten Licht. Betroffen und verunsichert ließ mich damals nur eine Sache zurück: Hellingers Umgang mit dem Thema Inzest. Doch mittlerweile habe ich meine Meinung revidiert. Hellingers Sichtweise dieses äußerst heiklen Themas widerspricht zwar dem Zeitgeist, doch kann sie meiner Erfahrung nach den Opfern tatsächlich Heilung bringen (siehe das Kapitel »Eltern und Kinder«).

Unterschiede zu anderenpsychotherapeutischen Ansätzen

In der systemischen Sichtweise der Familientherapie wie auch in den meisten Richtungen der humanistischen Psychologie (Gestalttherapie, Gesprächspsychotherapie nach Rogers, Primärtherapie, Bioenergetik u.a.) spielt die Theorie des Konstruktivismus eine wichtige Rolle:[2] Es existiert keine feststehende Wahrheit, es gibt nichts objektiv zu Erkennendes; unsere Gefühle hängen weitgehend von unseren inneren Vorstellungen ab. In vielen Therapierichtungen geht man davon aus, dass der Klient über einen zielgerichteten Umgang mit sinnvollen Bildern und Vorstellungen die meisten seiner Ziele erreichen kann. Besonders beim NLP (Neurolinguistisches Programmieren), von dem ich als Therapeut viel profitiert habe, findet man recht naive Ansichten darüber, was alles »programmierbar« sei: Reichtum, Heilung von Krankheiten, das Finden des richtigen Partners usw. Die Vorstellung, dass man mit einer kraftvollen »Ressourcen-Mobilisierung« (NLP-Jargon) die meisten seiner Wünsche realisieren könne, ist natürlich nicht auf das NLP begrenzt. Das Credo einer großen Zahl von Therapeuten, zu denen auch ich gehört habe, lautet: »Jeder Mensch ist völlig frei und hat die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, wie er das möchte. Dazu muss er nur die verinnerlichten, hemmenden Vorstellungen (›Glaubenssätze‹) durch neue und bessere ersetzen.«

Je radikaler man konstruktivistisch denkt, desto dringlicher stellt sich die Frage nach der Ethik: Wenn jeder frei ist, zu tun und zu lassen, was er will, welche Folgen hat das dann für die anderen?

Hellinger zufolge sind wir nicht so frei, wie wir gerne glauben. Wenn wir ohne die Anerkennung unserer Bindungen handeln, ist das kein freies, sondern ein blindes Handeln. Ein Handeln in Freiheit ergibt sich erst durch die Zugehörigkeit zu einem System (Familie). Ein System definiert sich durch eine Menge von Elementen, zwischen denen bestimmte Beziehungen bestehen. Jede Veränderung eines Elements hat automatisch auch eine Wirkung auf die anderen Elemente. Jeder Mensch ist Teil eines Familiensystems und damit eines Beziehungszusammenhanges. Dadurch hat er Anteil an den Problemen der anderen Familienmitglieder, gleichgültig, ob ihm das bewusst ist oder nicht.

Ein Beispiel: Wenn ein Ehemann seine Frau und seine Kinder mit der Begründung »Ihr seid mir zu langweilig! Ich verlasse euch, weil ich mich erst einmal verwirklichen will« verlässt, mag er von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt sein. Die Vorstellung, dass Frau und Kinder ihn binden, kann er als »altmodische und hemmende Vorstellung« aus seinem Kopf verbannen und durch Vorstellungen von absoluter Freiheit ersetzen. Doch die Bindung des Mannes an die Familie existiert objektiv weiter, was man als neutraler Beobachter ohne weiteres feststellen kann: Wenn sich jemand leichtfertig von der Familie trennt und nicht mehr für sie sorgt, stirbt nicht selten ein Kind an einer schweren Krankheit, bringt sich um oder entwickelt ein chronisches Leiden. Außerdem wird der Mann wahrscheinlich keine langfristige befriedigende Partnerschaft mehr eingehen können. Eine solch leichtfertige Trennung wird im System als Verbrechen erlebt und hat entsprechende Konsequenzen.

Das von vielen Therapeuten vertretene Credo der Selbstverwirklichung hat Hellinger wegen seiner Auswirkungen auf die anderen energisch kritisiert. Er erwähnt als Beispiel das »Gestaltgebet« des Gestalttherapeuten Fritz Perls, eines Vertreters der humanistischen Psychologie. Sinngemäß lautet es: »Ich mache meine Sache, du machst deine Sache. Wie es dir dann geht, ist nicht mehr meine Sache. Ich gehe meinen Weg.« Hellingers Kommentar dazu: »Hier werden Bindungen verleugnet, und anderen werden die Kosten aufgebürdet. Ich nenne diese Selbstverwirklicher Psychokapitalisten übelster Sorte.« (AWI: 129) Im Gegensatz zu der »Konstruktion der Wirklichkeit«, die jenem verhängnisvollen Credo Vorschub leistet, vertritt Hellinger die »Wahrnehmung der Ordnung«. Was »Ordnung« ist, wird uns in diesem Buch noch häufig beschäftigen. Schon jetzt sei gesagt, dass sie nicht mit landläufigen Vorstellungen verwechselt werden darf.

Anders als die meisten psychotherapeutischen Richtungen kümmert sich Hellinger nicht um die theoretische Begründung seiner Arbeit. Immer wieder betont er, dass er keine »Lehre« oder Theorie geschaffen habe, sondern dass er Phänomenologe sei. Er schaut auf das, was ist, statt sich mit den Vorstellungen und Interpretationen des Klienten zu beschäftigen oder selbst Theorien zu entwickeln. Das, was ist, stellt aber keine objektive Wahrheit oder ein unumstößliches Gesetz dar, sagt Hellinger, sondern lebendige Wirklichkeit; es ist etwas Schöpferisches.

Hellinger unterscheidet auch Beobachten und Wahrnehmen. Beobachtungen führen zu Teilkenntnissen unter Verlust der Gesamtschau. Wenn man das Verhalten eines Menschen beobachtet, sieht man nur Einzelheiten. Wenn ich mich dagegen der Wahrnehmung aussetze, entgehen mir Details, doch ich erfasse sofort das Wesentliche, den Kern, und zwar im Dienste des anderen. Vielleicht kann das ein Beispiel erläutern. Als Kind war ich davon fasziniert, was geschieht, wenn man sich im Dunkeln auf ein winziges Licht konzentriert. Was passiert? Man sieht es nicht! Erst wenn man sich ein wenig entspannt und erweitert schaut, können die Augen es deutlich wahrnehmen.

Die von Hellinger beschriebene Form von Wahrnehmung ist nur möglich, wenn man sich dem Klienten absichtslos und mit der Bereitschaft zur Beziehung zuwendet. Dann entsteht eine innige Verbindung, die mit höchster Achtung, aber auch mit Distanz verbunden ist. Eine innere Distanz muss sich beim Aufstellen aber immer verbinden mit tiefer Achtung vor dem Ratsuchenden. Stets sollte man wahrnehmen können, wie stark oder schwach der seelische Impuls sein sollte, den der Klient benötigt.

Wenn Hellinger bestimmte Zusammenhänge erklärt, wird ihm oft Dogmatismus vorgeworfen. Doch wenn man ihm genau zuhört, wird deutlich, dass es ihm nicht um das Festzurren von einengenden Regeln geht. Wenn in einem Seminar die Frage gestellt wird: »Ist die Dynamik bei dieser Krankheit immer so, wie Sie es hier schildern?«, antwortet er oft: »Ob das in allen Fällen so ist, weiß ich nicht, doch bislang habe ich diesen Zusammenhang immer wieder feststellen können. Wenn Sie oder ich neue Wahrnehmungen machen, wird man erneut darüber nachdenken müssen.«

 

In der Vergangenheit war Hellinger der Umgang mit Theorien durchaus nicht fremd, denn er wurde nach seiner Ordenstätigkeit Psychoanalytiker. Geblieben ist ihm aus dieser Zeit der Blick auf die Familie. Doch wonach er schaut, nämlich nach den Ordnungen, in die wir eingebettet sind, und auch wie er schaut, unterscheidet sich völlig von der klassischen Psychoanalyse, in der viel mit Traumdeutung und Assoziation gearbeitet wird.

Wenn Hellinger auf die Familie blickt, vollzieht er das mit einer bestimmten Grundeinstellung, die sich deutlich von der vieler Psychoanalytiker unterscheidet. Der Mensch kommt aus der Familie. Ihr verdankt er das Leben mit allen Möglichkeiten und Grenzen, und durch sie wird er in bestimmte Schicksale hineingezogen. Aus diesen Gründen gibt es für Hellinger nichts Stärkeres als die Familie, und deshalb darf der Therapeut nicht wichtiger als ein Familienmitglied werden, indem er zum Beispiel Ersatzvater oder Ersatzmutter für den Klienten wird.

Hellingers Umgang mit der Familie ist von tiefer Achtung geprägt. Insbesondere achtet er die Eltern. Elternschaft ist für Hellinger etwas so Wesentliches, dass er sich nie gegen die Eltern stellen würde. Eine solche Haltung muss erstaunen, da wir es doch gewohnt sind, die Eltern für alles Übel verantwortlich zu machen. Auch in der Therapie verbündet sich der Therapeut häufig mit dem Klienten gegen die Eltern oder einen Elternteil. Die oft zu hörende Ansicht »Du musst dich von deinen Eltern befreien« lehnt Hellinger ab. Es ist für ihn absurd, denn: »Wie kann man sich von seinen Eltern befreien? Er oder sie ist ja seine Eltern.« (AWI: 98) Ich bin meine Eltern? Das klingt für viele nach Mittelalter. Was damit tatsächlich gemeint ist, wird im Kapitel »Eltern und Kinder« ausführlich gezeigt werden.

Hellinger leugnet allerdings nicht, dass für den Einzelnen aus der Bindung an die Familie sehr großes Leid entstehen kann. Nur die Schlussfolgerung daraus unterscheidet ihn von den meisten anderen Therapeuten. Statt den Klienten zu bestärken, die Wut gegen die Eltern herauszuschreien, wofür er sich hinterher nur bestrafen würde, bringt er ihn wieder mit der ursprünglichen Eltern-Kind-Liebe in Kontakt, die vor der Wut einmal existiert hat.[3] Wenn aus der Bindung an die Familie großes Leid entsteht und jemanden krank macht, geschieht das nicht, weil irgendjemand böse ist, sondern weil in der Familie Schicksale wirken, die auf alle Einfluss haben.

In Hellingers Arbeit wird die Familie als ein System gesehen, aus dem man sich nicht einfach ausklinken kann. Unsere Eltern haben wiederum Eltern und kommen aus Familien mit bestimmten Schicksalen. All das wirkt sich in der jetzigen Familie aus. Wenn in der Vergangenheit etwas Schlimmes passiert ist, hat das über Generationen hinweg Folgen. Diese unbewussten Verstrickungen bewusst zu machen und die ursprüngliche Liebe wieder zum Fließen zu bringen ist die Aufgabe von Hellingers Form der Familienaufstellungen.

Was ist gute Psychotherapie?

Auch der Rahmen ist bei Hellinger anders als in den meisten klassischen Therapien: Das Familienstellen ist eine gruppentherapeutische Form der Kurzzeittherapie. Hellinger sieht viele Klienten nur ein einziges Mal.[4] Allerdings ist beim Aufstellen vom Therapeuten zu gewährleisten, dass eine Nachbetreuung möglich ist, wenn der Ratsuchende sie benötigt! Eine Psychoanalyse ist dagegen von vorneherein eine sich nicht selten über Jahre erstreckende Einzeltherapie. Dem Faktor Zeit in der Therapie misst Hellinger große Bedeutung zu. In seinem Buch »Verdichtetes« findet sich folgende Geschichte (VS: 73):

Die Dauer

Eine Angestellte sagte zu ihrem Chef: »Mir geht es schlecht. Ich habe eine Psychotherapie begonnen, und der Therapeut hat gesagt, die Psychotherapie brauche fünf Jahre.«

Darauf der Chef: »Er hat gesagt, erst in fünf Jahren kann es Ihnen besser gehen. Kein Wunder, wenn es Ihnen schlecht geht.«

Gute und effektive Psychotherapie besteht für Hellinger darin, dass der Psychotherapeut sich möglichst rasch überflüssig macht.

Die Aufstellungen

Ähnlich wie Träume das persönliche Unbewusste des Träumers widerspiegeln, so spiegelt eine Familienaufstellung das Unbewusste eines Familiensystems. In den Aufstellungsgruppen sitzen die Ratsuchenden in einem Kreis. Der Therapeut fragt den, der aufstehen will, zunächst nach seinem Anliegen. Dann wird entschieden, ob die Herkunftsfamilie oder die Gegenwartsfamilie aufgestellt wird. Daraufhin tritt der Klient in die Mitte des Kreises und bittet den Teilnehmer aus der Gruppe, stellvertretend die Rolle eines Familienmitgliedes zu übernehmen. Auf diese Weise werden Vater, Mutter, Geschwister und ein Stellvertreter für den Aufstellenden ausgewählt. Der Therapeut achtet darauf, dass missliebige oder totgeschwiegene Familienmitglieder, wie uneheliche Kinder, tot Geborene, Psychiatrieinsassen oder frühere Verlobte, nicht übergangen werden. Bei alldem braucht der Therapeut nur wenige Informationen. Charakterisierungen, wie »mein Vater war immer sehr dominant«, sind dabei unwichtig. Allein schicksalsschwere Ereignisse im System sind von Belang, zum Beispiel der Tod einer Mutter im Kindbett oder ein Selbstmord.

Wenn alle Familienmitglieder benannt und ausgesucht sind, nimmt der Klient in gesammelter Haltung die Stellvertreter am Arm und stellt sie nach seinem inneren Bild im Raum auf. Dadurch treten die Stellvertreter untereinander in Beziehung. Anschließend kann sich der Klient wieder auf seinen Platz setzen. Schon allein das äußere Bild der Familienaufstellungen kann in manchen Fällen Aufschlüsse geben. Wenn zum Beispiel Vater und Mutter so aufgestellt wurden, dass sie sich gegenüberstehen, stammt der Betreffende häufig aus einer Familie, bei der die Eltern sich scheiden ließen. Manchmal allerdings ist eine Ehe nur innerlich geschieden, ohne dass es zu einer äußerlich sichtbaren Trennung gekommen wäre.

Wenn alle zueinander in Beziehung stehen, fragt der Therapeut die Stellvertreter, wie sie sich körperlich und emotional fühlen und was sie den anderen Familienmitgliedern gegenüber empfinden. Obwohl es sich bei den Stellvertretern um völlig fremde Menschen handelt, ist es immer wieder verblüffend, wie detailliert diese die Geschichte der Familie darstellen können. Die Stellvertreter fühlen wie die wirklichen Familienmitglieder. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Aufstellung, bei der ich als Stellvertreter das Gefühl hatte, mir wären beide Beine abgeschnitten. Auf Befragen stellte sich heraus, dass der Mann, den ich vertrat, an beiden Beinen amputiert war. In einer solchen Stellvertreterposition kann man die unterschiedlichsten körperlichen Beschwerden wahrnehmen, die der Betreffende hatte oder hat, zum Beispiel einen chronischen Magendruck oder ein Herzrasen. Man spürt auch sofort, wer zu wem Antipathie oder Sympathie empfindet.

Bei einem Seminar hatte eine Klientin ihren Vater aufgestellt, den sie nahezu zwei Jahrzehnte nicht gesehen hatte. Die Art, wie sich in der Aufstellung sein Charakter darstellte, stimmte kaum noch mit dem überein, was ihr die Mutter über ihn erzählt hatte. Schon bald nach dem Seminar fasste sich die Klientin ein Herz und besuchte ihren Vater. Wie sie mir berichtete, war sie ziemlich verblüfft, dass der Vater sich exakt so verhielt wie sein Stellvertreter in der Aufstellung. Es ging sogar so weit, dass der Vater nicht nur inhaltlich dasselbe sagte wie sein Stellvertreter in der Gruppe, sondern dass er sich zum Teil identischer Worte bediente!

Wenn bei einer Aufstellung in der Gruppe jemand vergessen worden ist, zeigt sich das oft daran, dass alle Stellvertreter wie hypnotisiert auf eine leere Stelle schauen. Hier fehlt jemand! Sobald der Betreffende, beispielsweise ein vergessener Selbstmörder, durch einen ausgewählten Stellvertreter auf diesen vakanten Platz gestellt wird, atmen die anderen sichtbar auf.

Nachdem alle Familienmitglieder bzw. Stellvertreter gesagt haben, wie sie sich fühlen, verändert der Therapeut die Positionen der Familienmitglieder, bis eine Ordnung gefunden wird, bei der jeder sich wohl fühlt. Die Suche nach der Lösung dient nicht nur dem Klienten, sondern der ganzen Familie. Der Therapeut orientiert sich dabei an der verbalen wie nonverbalen Resonanz der Aufgestellten: Wie reagiert der Körper? Was teilen Gestik und Mimik mit? Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell man sich an Körpersignalen orientieren kann. Wenn für alle die Lösung gefunden ist, erkennt man das an einem Leuchten in den Gesichtern und der entspannten Körperhaltung.

So bleibt zum Beispiel in einer Schlussaufstellung der von allen verachtete homosexuelle Onkel, der Selbstmord begangen hat, nicht länger mit dem Rücken zur Familie stehen, sondern erhält einen würdigen Platz, wo ihn alle deutlich sehen können. Auf diese Weise braucht ein später geborener Junge das Schicksal dieses Onkels nicht nachzuahmen. Dieses unbewusste Aufnehmen eines Schicksals von Frühergeborenen nennt man »Verstrickung«. Wenn solche ausgeschlossenen Personen wieder gewürdigt werden, braucht sich niemand mehr mit ihnen unbewusst zu identifizieren, ja sie werden sogar zum Segen. Hat der Klient sich mit einem auf diese Weise Verachteten bereits seelisch vor langer Zeit verbunden, kommt er meist am Schluss der Aufstellung an den Platz seines bisherigen Stellvertreters und kann spüren, wie er sich in der Familie fühlt. Je nach Situation kann er zu dem toten Onkel sagen: »Ich gebe dir die Ehre. In meinem Herzen hast du einen Platz. Bitte segne mich, auch wenn ich bleibe.«

Manch einer tut sich schwer, solche Sätze nicht nur mit der Zunge, sondern auch mit dem Herzen zu sagen. Darauf zu achten und den Ernst der Situation zu wahren ist Aufgabe des Therapeuten. Wenn ein solcher Satz bei dem Empfänger nicht richtig ankommt, sagt dieser Stellvertreter das häufig auch. Und wenn der Therapeut merkt, dass der Klient das Ganze nur als Spiel auffasst, bricht er sofort ab. Ohne den nötigen Ernst aller Beteiligten muss die Aufstellung beendet werden, denn bei dieser Arbeit geht es nicht nur um Gesundheit und Krankheit, sondern oft buchstäblich um Leben und Tod, wie zum Beispiel bei Krebskranken. Trotzdem – oder gerade deswegen! – wird in Aufstellungsseminaren sehr viel gelacht. Der tiefe Ernst und die oft unerträgliche Spannung müssen sich von Zeit zu Zeit entladen. Bert Hellinger versteht es prächtig, in den Pausen zwischen zwei Aufstellungen die Situation durch einen Witz zu entspannen. Es ist fast wie in den Dramen von Shakespeare, in denen das Ernste und Schwere plötzlich durch etwas Heiteres abgelöst wird.

Wenn in der Aufstellung die Lösung gelingt, wird sie jenseits aller therapeutischen Einflussnahmen als Geschenk erlebt – Hellinger spricht hier von »Gnade«. Der Therapeut »verhilft« dabei nur der verborgenen Liebe ans Licht. Wie sich der Klient an dieser Weggabelung entscheidet, ist nicht seine Sache. Dafür trägt allein der Klient die Verantwortung. Der Therapeut weiß letztlich nicht, was für den Klienten besser oder schlechter ist.

Bert Hellinger hat sich die Aufgabe gestellt, den Klienten mit den heilenden Kräften aus seiner Familie in Berührung zu bringen. Für ihn ist das nicht nur Therapie, sondern letztlich ein Dienst an der Versöhnung. In diesem Sinne sieht er sich auch als Seelsorger. Ein traditioneller Therapeut dagegen ist jemand, der glaubt, er habe die Dinge im Griff. Hellingers Verständnis von Schicksal lässt ihn sich selber angesichts der in Familien wirkenden Kräfte als sehr klein erleben. Zu »machen« und zu entscheiden findet er anmaßend.

Leiden ist leichter als Handeln

Vielen Klienten, die oft lebensbedrohlich erkrankt sind, fällt es schwer, die innere Haltung einzunehmen und die Lösungssätze zu sagen, die der Therapeut vorschlägt. Aus Hellingers Sicht ist Leiden leichter als Handeln. In der Seele existiert nämlich ein magisches Denken, das eine bestimmte Vorstellung von Liebe hat: »Liebe heißt, ich werde wie« oder »ich mache es wie meine Eltern«. Ihrem Schicksal folgen, das ist meine Liebe als Kind. Und es gibt die »geheime Vorstellung, dass durch Leiden und Sterben der andere gerettet wird, dass es ihm bessergeht, selbst wenn er tot ist«. Das ist magisches Denken, aber auch naives Denken, denn man braucht nicht zu handeln. Man überlässt sich einfach dem Schicksal, und alles Heil erwächst aus dem Unglück. Die Lösung dagegen verlangt Kraft und Handeln: »Ich bleibe, und ich traue euch zu, dass ihr mich segnet, auch wenn ich bleibe.« Im Vergleich zum magischen Denken ist dies ein religiöses Tun im tiefsten Sinne: Man verzichtet auf die Vorstellung, dass das eigene Leiden irgendeine Art von erlösender Macht hätte, und gibt sich der Welt mit ihren Grenzen hin, wie sie ist. (FS: 81)

Wenn ich an das Glück denke, das Leiden verursacht, fällt mir eine junge Frau ein, die zu einem Gespräch kam. »Ich habe so gut wie kein Geld und werde ein zweites Mal wohl nicht zu Ihnen kommen können«, begrüßte sie mich. Sie hatte mehrere Selbstmordversuche hinter sich, und während sie davon erzählte, strahlte sie über das ganze Gesicht. Wenn man sie anschaute, konnte man denken, sie spreche von einem Lottogewinn oder von einem Traumprinzen, der in ihr Leben getreten ist. Doch tatsächlich redete sie davon, dass sie völlig depressiv sei, keine Lust zu leben besäße, zehn Jahre Psychotherapie und Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken hinter sich habe und alles »zum Kotzen« fände – doch es war unübersehbar, wie sie dabei strahlte!

Ich fragte sie, was passieren würde, wenn morgen ein Wunder geschehen würde und alle Probleme gelöst wären. Zunächst wurden ihre Augen traurig. Sie war sprachlos. Mit kraftloser Stimme sagte sie nach einigem Zögern: »Ich müsste meine Frühverrentung rückgängig machen und arbeiten gehen. Ich müsste mir vielleicht auch um das Thema Partnerschaft Gedanken machen.« Dann wurde sie wütend auf mich: »Das ist alles Unsinn, was Sie sagen! Nie wird es ein solches Wunder geben! Was zehn Jahre kein Arzt und Therapeut zustande gebracht haben, werden auch Sie nicht erreichen! Das wäre ja noch schöner! Mir kann keiner helfen, keiner!«, schrie sie. Es war offensichtlich, dass sie nur zu mir gekommen war, um sich die Hoffnungslosigkeit ihres Falles bestätigen zu lassen. Diese Vorstellung hatte für sie etwas Versöhnliches. Wer so reagiert wie diese junge Frau, ist meist »systemisch verstrickt«. Die »Kinderseele« dieser Frau war offensichtlich glücklich, sich mit einem schlimmen Familienschicksal solidarisch fühlen zu können. Welche Ereignisse dazu führten, weiß ich nicht, denn sie war nicht bereit, auf das Thema Familie einzugehen, und kam auch nicht wieder. Selbst ein stark ermäßigtes Honorar war ihr noch zu teuer. Doch es hätte sie mehr als das Geld gekostet … Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die beim Erzählen ihres Unglücks und ihrer Schmerzen stolz sind und dabei strahlen, sich unbewusst mit einem fremden Leid in der Familie solidarisieren. Wer sich für das Glück entscheidet, muss mit dem Abschied von seiner Kinderseele bezahlen.

Die Wirkung des Lösungsbildes

Das bei Familienaufstellungen gefundene Lösungsbild wirkt auf die tatsächliche Familie, auch wenn diese davon keine Kenntnis erlangt. Dazu ein Beispiel:

»Eine junge Frau hatte einen Selbstmordversuch überlebt. Bei der Familienaufstellung zeigte sich, dass es eigentlich die Mutter war, die gehen wollte, und die Tochter es nur für die Mutter übernommen hatte. Die Mutter wiederum sehnte sich nach ihrem Vater, der sich ertränkt hatte. In der Aufstellung wurde der verstorbene Vater hereingenommen und neben die Mutter gestellt. Die Lösung bestand darin, dass sich die Mutter an ihren Vater gelehnt hat und der Tochter kraftvoll gesagt hat: Ich bleibe. Auf diese Weise braucht die Tochter es nicht zu übernehmen.

Der Vater der Klientin hatte die Tochter zu dem Seminar begleitet und war im Saal anwesend. Die Mutter war zu Hause in Deutschland, während die Aufstellung an einem Sonntagmorgen in der Schweiz stattfand. An diesem Sonntag, zeitgleich zur Aufstellung, ist die Mutter zu Hause über eine Brücke spazieren gegangen. Diese Brücke führte über jenen Fluss, in dem sich ihr Vater ertränkt hatte. Jedes Mal, wenn sie zur Brücke kam, hat sie sich an das linke Brückengeländer gestellt, flussaufwärts geschaut zu der Stelle, wo es geschehen war, und für den Vater kurz gebetet. An diesem Morgen wollte sie wie immer auf der Brücke ihr Gebet sprechen. In diesem Moment jedoch fühlte sie sich an der Schulter genommen und auf die andere Seite der Brücke geführt. Dort erlebte sie ein intensives Glücksgefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Ihr Kopf wurde flussabwärts gedreht, und sie hatte plötzlich das Gefühl: Jetzt darf ich mit dem Strom des Lebens schwimmen. Früher hatte sie in der Familie oft damit gedroht, sie werde sich umbringen. Mit einem Mal war das verschwunden. Über die räumliche Entfernung hat da etwas gewirkt, ohne dass die Mutter etwas von der Aufstellung wusste.« (AWI: 83/84)

Ein anderes Beispiel: Bei einer Aufstellung mit Platzhaltern stellte sich heraus, dass ein neunjähriger Junge mit dem Bruder des Vaters verbunden war. Der Onkel hatte sich mit Gift umgebracht, und das Kind wollte sein Schicksal teilen. Wie mir der Vater erzählte, war der Sohn ein nervöses und hyperaktives Kind. Gleichzeitig stellte er sich immer außerhalb. Auch in der Schule gab es viele Probleme mit ihm.

Das Kind hatte nicht gewusst, dass es einen selbstmörderischen Onkel in der Familie gab, doch nach der Aufstellung erzählte der Mann seinem Sohn in knappen Worten davon. Der Junge war sofort interessiert und stellte viele Fragen. Vor allem wollte er ein Foto von seinem Onkel sehen. Der Vater kramte eines hervor und zeigte es. Der Sohn bestand darauf, dass man ihm dieses Bild überließ. Es fand einen zentralen Platz im Kinderzimmer. Wie mir der Mann später berichtete, wurde das Kind in der Folge viel ruhiger und ausgeglichener.

Es ist wichtig, dass sich der Klient nicht auf das einmalige Erlebnis des Aufstellungsbildes verlässt, sondern sich von diesem Bild durch den Alltag begleiten lässt. Es wäre naiv, anzunehmen, dass die Aufstellung einer Familie im Nu alle Probleme löst. Der Klient ist aufgefordert, bei jedem Kontakt mit den Familienmitgliedern, ihnen aus jener Perspektive zu begegnen, die er in der Aufstellung als heilend wahrgenommen hat. Auch in der Familie entstehende Fragen können am besten gelöst werden, wenn man sich innerlich an jenen guten Platz aus der Aufstellung begibt.