Was unseren Kindern wirklich hilft - Thomas Schäfer - E-Book

Was unseren Kindern wirklich hilft E-Book

Thomas Schäfer

4,8

Beschreibung

Botschaften der Kinderseele verstehen Wenn Kinder psychisch oder körperlich leiden, fragen Eltern und Erzieher unweigerlich nach dem "Warum". Thomas Schäfer, einer der profiliertesten Familientherapeuten, greift in seinem neuen Buch die Themen auf, die für Eltern und Erzieher oftmals eine große Herausforderung darstellen, und zeigt Lösungswege. ·        Wie verbindet man Liebe mit Konsequenz, ohne sich auf Machtspiele einzulassen? ·        Was tun, wenn Kinder sehr ängstlich oder wütend sind, klammern, sich sozial isolieren oder in der Schule Probleme haben? ·        Was steckt wirklich hinter Krankheiten und Symptomen wie Bettnässen und Einkoten, Neurodermitis, Asthma und Allergien, Stottern, Tics, ADHS, Alpträumen, Essstörungen oder Depressionen? Der systemische Blick fördert oftmals hilfreiche Erklärungen zutage, sodass auf Dauer ein entspannteres Familienleben möglich wird.

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THOMAS SCHÄFER

Was

unseren

Kindern

wirklich

hilft

Unterstützung

bei sozialen Problemen

und Krankheiten

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1. eBook-Ausgabe 2015

© 2015 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Sabine Fuchs, FUCHS DESIGN, Oberhaching/München

Umschlagmotiv: gettyimages, Peopleimages

Satz: BuchHaus Robert Gigler, München

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

ePub: 978-3-95803-066-4

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die

Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

Meinen Kindern

Lara und Lorenz

Inhalt

Dank

Vorwort

Über das Familienstellen

Die heilsame Haltung gegenüber Kindern

Die natürliche Haltung von Eltern zu Kindern

Die Sprache zwischen Eltern und Kindern

Jans und Marvins ausdauerndes »Training« für Mama

Kai bummelt morgens vor Schulbeginn

Die alltägliche Inkonsequenz von Mama und Papa

Die Folgen falscher Rollenbilder für Schule und Ausbildung

Kinder gehören sich selbst – Eltern auch

Der systemische Blick in der Kindertherapie

Was heißt hier »systemisch«? – Die kriminelle Energie von Peters Mutter

Soziale Probleme

Extreme Wut

Soziale Isolation

Kontaktabbruch

Wenn Kinder »klammern«

Scheidungskinder

Adoption 111

Verstorbene Zwillingsgeschwister

Schulprobleme

Krankheiten und Symptome

Bettnässen und Einkoten

Neurodermitis

Asthma bronchiale und Allergien

Stottern und andere Sprachstörungen

Tics, nervöses Zucken

Albträume

Alkohol- und Drogensucht

Magersucht und Bulimie

AD(H)S

Behinderte Kinder

Todessehnsucht und Suizidversuche

Halluzinationen und Stimmenhören

Depressionen und bipolare Störung (manisch-depressive Erkrankung)

Psychosen und Schizophrenie

Weitere Probleme von Kindern

Widerwillen gegen Hygiene

Infekte, Fieber

Viruslähmung

Häufiges Erröten

Angstzustände und ständig wechselnde Leiden

Wenn ein Nachbarkind zum »eigenen Kind« wird

Söhne, die ihre Väter verachten

Ausgeklammerte Heimat

Flüche und »Verteufelungen«

Ausblick

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Adressen & Kontakte

Dank

Meinen Dank spreche ich allen Müttern, Vätern, Kindern und Jugendlichen aus, die mit ihren sozialen Problemen und Krankheiten zu mir gekommen sind. Sie haben es mir ermöglicht, mich tiefer mit den seelischen Hintergründen der Leiden von Kindern auseinanderzusetzen. Zum Schutz all dieser Menschen wurden Namen, Orte und unwesentliche Details im Text verändert.

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg weckte Professor Manfred Müller-Küppers als Erster mein Interesse für die Probleme von Kindern. Professor Helm Stierlin (Universität Heidelberg, Psychosomatik) verdanke ich die Neugier für familiensystemische Fragen. Unvergessen ist mir der tiefe Eindruck, den sowohl sein Scharfsinn als auch sein achtsamer, einfühlsamer Umgang mit Patienten auf mich als jungen Studenten ausgeübt haben. In seiner Haltung als Therapeut ist er mir bis heute Vorbild geblieben.

Anfang der Neunzigerjahre hat dann Dr. Gunthard Weber in Heidelberg für den damals nur in Insiderkreisen bekannten Bert Hellinger ein großes Seminar organisiert. Auch Helm Stierlin hat an diesem Seminar teilgenommen und damals Neugier an dieser Form der familiensystemischen Arbeit bekundet. Diese ganz neue und andere Art, auf Familiensysteme zu schauen, hat mich sogleich fasziniert und mich als Lernenden bis heute begleitet. Bei Angelika Glöckler habe ich Mitte der Neunzigerjahre eine mehrjährige Ausbildung im Familienstellen beendet.

Dr. Peter Levine, Dr. Laurence Heller, Jeff Zeig, Dan van Kampenhout und andere haben später dann dazu beigetragen, mein eigenes Verständnis von psychotherapeutischer Arbeit zu entwickeln.

Stockach-Wahlwies, im Frühjahr 2015

Vorwort

Kindliches Leiden berührt uns tief. Wenn Kinder leiden, fragen wir unweigerlich nach dem »Warum«. Wie kann es geschehen, dass schon ein kleines Kind lebensbedrohlich erkrankt? Eine der möglichen Antworten darauf finden wir in systemischen Aufstellungen, zeigen sie doch, dass Kinder sich durch ihr Leiden der Familie in besonderer Weise zugehörig fühlen. Im Leiden der Kinder wird ihre Liebe zur Familie, manchmal sogar zu zeitlich weit zurückliegenden Familienereignissen, deutlich.

Tief in ihrer Seele fühlen sich Kinder ihren Vorfahren verbunden und leiden, wenn diese ein schweres Schicksal hatten. Mit seiner Krankheit oder seiner sogenannten »Störung« will das Kind nicht selten auf Tabuisiertes in der Familie hinweisen. Aus der innigen Liebe zu ausgeschlossenen Personen – zum Beispiel einer ersten Frau des Vaters, die im Kindbett starb, oder einem verschwiegenen Halbbruder, der ohne Unterstützung des Vaters ärmlich aufwuchs – fühlen jene Kinder mit, die aus einer späteren Ehe stammen. In diesem Fall ist es bei einer therapeutischen Arbeit für das betroffene Kind bedeutsam, den Blick auf die Ausgeklammerten zu richten und das ganze Familiensystem zu berücksichtigen. Mithilfe von Aufstellungen lässt sich die »blinde« Liebe der Kinder zuweilen in eine befreiende Liebe für alle Beteiligten wandeln.

In meiner Praxis und in meinen Gruppen arbeite ich oft mit Eltern, die sich um auffällige oder kranke Kinder sorgen und ihnen helfen wollen. Eltern haben das Recht, für ihre Kinder nach Lösungen zu suchen, solange diese noch nicht erwachsen sind.

Zuweilen arbeite ich aber auch direkt mit Kindern in meiner Praxis, und nicht selten kommen sie als junge Erwachsene mit ihren Eltern zu Aufstellungsseminaren. So können dann in der Aufstellung sowohl Eltern als auch Kinder ein heilendes Bild der Familie erleben. Von alldem berichtet dieses Buch.

Auf den folgenden Seiten finden sich jedoch nicht nur Familienaufstellungen. Auch andere kurzzeittherapeutische Ansätze kommen in meiner Arbeit zur Anwendung. Bei meinem eigenen Hintergrund als Hypnotherapeut liegt es nahe, vor allem die wichtige Arbeit Milton Ericksons miteinzubeziehen. Zum Beispiel lässt sich bei bettnässenden Kindern oft eine Geschichte oder ein Märchen erzählen, das unerwartet schnell den Prozess der Lösung in Gang bringen kann.

Schon einmal, im Jahr 2002, habe ich ein Buch über die Probleme von Kindern geschrieben.1 Seitdem sind dreizehn Jahre vergangen. Die Art und Weise meines Arbeitens hat sich deutlich verändert, und auch inhaltlich ist viel Neues sichtbar geworden. Zwischen den Buchdeckeln dieser Darstellung finden sich Beispielgeschichten aus zwanzig Jahren therapeutischer Tätigkeit. Somit darf es nicht erstaunen, wenn der Leser sehr unterschiedliche methodische Vorgehensweisen entdeckt.

Ausführlich gehen meine Kolleginnen Barbara Innecken, Ingrid Dykstra, Sylvia Gómez-Pedra und Marianne Franke-Griksch in ihren Büchern auf die Themen »Probleme von Kindern« und »Schule und Familie« ein (im Literaturverzeichnis finden Sie Veröffentlichungen von ihnen). Marianne Franke-Griksch zeigt zudem anschaulich, wie Lehrer die ihnen anvertrauten Kinder wirksam unterstützen können, indem sie das familiäre Umfeld achtend mit einbeziehen.

Zur Wiedergabe der Familienaufstellungen in Gruppen ist noch ein methodischer Hinweis wichtig. Wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, ist mit Bezeichnungen wie »Schwester«, »Bruder«, »Vater«, »Conny«, »Jens« immer der betreffende Stellvertreter in der Aufstellung gemeint. Wenn ein Klient selbst an seine Stelle in der Aufstellung tritt und damit seinen eigenen Platz im Familiensystem einnimmt, wird darauf immer hingewiesen.

Da ich in Seminaren nur mit älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeite, bevorzuge ich in meiner Praxis mit den Jüngeren eine imaginative Arbeit oder das Arbeiten mit Holzfiguren und Papierscheiben. Wie dies genau vor sich geht, wird im nächsten Kapitel dargestellt.

Über das Familienstellen

Das Familienstellen ist vermutlich über tausend Jahre alt. Der französische Philosoph Idris Lahore hat in seinen in Frankreich erschienenen Veröffentlichungen eindrucksvoll dargestellt, wie damals bei den Sufis Aufstellungen in einem religiösen Umfeld praktiziert worden sind.2

In Deutschland hat vor ungefähr 25 Jahren Bert Hellinger den Impuls zur Verbreitung des Familienstellens gegeben. In der Zwischenzeit haben viele Therapeuten weltweit Familienaufstellungen als Methode aufgegriffen. Sowohl Hellinger selbst als auch viele Kollegen der ersten Jahre sind jedoch methodisch nicht stehen geblieben. Seitdem haben sich unterschiedlichste Konzepte von Aufstellungen entwickelt. Mittlerweile existieren sogar Aufstellungen, die der Klient selbst »leitet« (»Aufstellungen ohne Therapeut«). Mit den ursprünglichen Aufstellungen hat dies nichts mehr zu tun. Was also mit dem Wort »Aufstellung« gemeint ist, hängt in der heutigen Zeit mehr denn je vom einzelnen Leiter ab, der sie anbietet. Hellinger selbst praktiziert mittlerweile das sogenannte »Geistige Familienstellen«, das jedoch zu Recht stark umstritten ist. Da ich nicht nach dieser Methode arbeite, verzichte ich hier auf ihre Darstellung.

Auch ich habe die Aufstellungsarbeit, so wie viele andere Kollegen, selbstverantwortlich in meinen therapeutischen Hintergrund integriert (Hypnotherapie nach Milton Erickson, Somatic-Experiencing-Traumatherapie nach Dr. Peter Levine, Neuro-Linguistisches Programmieren und andere). Naturgemäß stelle ich in diesem Buch die von mir angewandte Form der systemischen Aufstellungen vor, wie ich sie im Laufe der Jahre entwickelt habe. In jenen Anfangsjahren sah die Arbeit durchaus anders aus als heute. Mit jedem Aufstellungskurs lernt man als Therapeut dazu.

Weil das Familienstellen in den zurückliegenden Jahren sehr bekannt geworden ist, wird es nicht mehr notwendig sein, jeder Buchveröffentlichung zu diesem Thema eine ausführliche Einführung der Methode voranzustellen. Dennoch wäre mancher Leser, der noch nie zuvor etwas über Aufstellungen gehört hat, mit diesem Buch vielleicht überfordert. Um dem vorzubeugen, soll nun zumindest eine kurze Einführung ins Familienstellen erfolgen. Wer sich intensiver vorbereiten möchte, der sei als einführende Lektüre auf meine beiden Bücher Wie die Seele uns durchs Leben führt und Was die Seele krank macht und was sie heilt verwiesen. An dieser Stelle sollen nur die wesentlichen Dinge zur Vorgehensweise aufgezeigt werden.

Wie schon im Vorwort angedeutet, arbeite ich in meiner Praxis mithilfe von Raumankern: Papierscheiben und Holzfiguren. Selbstverständlich ist das Arbeiten mit Menschen in der Gruppe wesentlich intensiver. Kindern jedoch kann man eine Gruppe von Erwachsenen nicht zumuten. Und auch im Erstgespräch mit Eltern helfen Holzfigurenaufstellungen bestens, um sich erst einmal zu orientieren, worum es in der jeweiligen Familie geht.

Die von mir verwendeten Figuren (»Strukties«) wurden von Frau Helga Mack-Hamprecht für therapeutische Zwecke entworfen. Sie sind für die Geschlechter unterschiedlich geschnitzt (rund: weiblich, eckig: männlich) und mit Auskerbungen für die Blickrichtung versehen. Auf dieselbe Weise arbeite ich auch mit Papierscheiben. Sowohl der Ratsuchende als auch der therapeutische Begleiter stellen sich nacheinander über jene Figuren. Auf diese Weise lässt sich körperlich wahrnehmen, wie sich das Familienmitglied auf einer tieferen psychischen Ebene fühlt. Wie gesagt, hat diese Form des Familienstellens nicht dieselbe Intensität wie die in einer Gruppe, doch auch auf solche Weise lässt sich Heilsames erfahren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man sämtliche Vorannahmen aufgibt und sich innerlich sammelt. Mit innerer Aufmerksamkeit kann man dann sehr schnell eine körperliche Wahrnehmung erleben, die wichtige Hinweise für den weiteren therapeutischen Weg zu geben vermag. Glücklicherweise tun sich Kinder mit dem Einfühlen auf diesen Figuren meist nicht so schwer wie Erwachsene. Da sie noch nicht so »kopfgesteuert« sind, kann man mit ihnen oft wesentlich einfacher arbeiten.

Beim Familienstellen im Seminar schildern die ratsuchenden Eltern der Gruppe kurz ihr Anliegen. Der Seminarleiter bespricht mit den Klienten, auf welche Weise die Aufstellung durchgeführt werden kann. Nicht immer wird die ganze Familie aufgestellt. Wenn jemand beispielsweise vor der Frage steht, wie es angesichts einer lebensbedrohlichen Erkrankung eines Kindes weitergehen soll, wird aus der Gruppe möglicherweise nur jemand ausgewählt, der für die Krankheit steht, und zwei andere Teilnehmer für die Eltern.

Falls die ganze Familie aufgestellt wird, wählt der Ratsuchende sowohl für die einzelnen Familienmitglieder als auch für sich Stellvertreter aus der Gruppe aus und stellt sie nach seinem inneren Bild auf.

Anschließend setzt er sich wieder auf seinen Stuhl. Immer wieder zeigt sich daraufhin, dass völlig Fremde genau darstellen können, wie sich das jeweilige Familienmitglied in der Tiefe fühlt. Was nun häufig sichtbar wird, ist die bislang verborgene seelische Dynamik hinter einer Krankheit, einem Schulproblem oder einem psychischen Leiden.

Nachdem der Seminarleiter durch verschiedene Schritte eine Lösung gefunden hat, kann der Ratsuchende sich oft auch selbst auf die Position seines Stellvertreters begeben. Am Schluss ist es für ihn zuweilen notwendig, bestimmten Personen noch etwas Wichtiges mitzuteilen. Besonders bewegend ist es dabei, wenn junge Erwachsene zusammen mit ihren Eltern direkt im Lösungsbild stehen.

Bei vielen der zahlreichen Fallgeschichten dieses Buches findet sich am Ende ein Hinweis, wie es nach der Aufstellungsarbeit für das Kind im Leben weitergegangen ist, nicht jedoch immer. Das Feedback hat sich durch die Umstände ergeben: Häufig sehe ich Eltern oder Kinder nach einer gewissen Zeit erneut in meiner Praxis oder in einer therapeutischen Gruppe. Bei solchen Gelegenheiten erfahre ich dann oft, wie es den Kindern heute geht. Nicht selten melden sich Eltern auch nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren per E-Mail, um mir eine kurze Rückmeldung zu geben. In einer der hier dargestellten Geschichten erhielt ich erst neun Jahre nach der Aufstellung von der Mutter einen langen Brief, in dem sie mir mitteilte, was zwischenzeitlich alles in der Familie passiert war.

Später in den Familien nachzufragen habe ich absichtlich unterlassen. Um den seelischen Prozess nicht zu unterbrechen – Aufstellungen wirken nämlich oft über Jahre hinweg –, würde ich nie aus Neugier oder »wissenschaftlichem Überprüfungsdrang« nachforschen.

Es sei hier auch noch ein Hinweis zum Umgang mit Aufstellungsbildern gegeben. Allen, die zu mir kommen, rate ich, das Aufstellungsbild in der Zeit nach dem Seminar nicht mit dem Kopf verstehen zu wollen. Es handelt sich ja ohnehin nicht um eine »Eins-zu-eins-Wirklichkeit«, sondern um ein »Bild der Seele«. Dieses Seelenbild benötigt Ruhe, damit es sich in der Stille entfalten kann. In keiner Weise stellt es eine konkrete Handlungsanweisung dar, nach der man beispielsweise etwas Konkretes tun soll, auch wenn die Aufstellung das scheinbar nahelegt. Erst wenn man nach einer längeren Zeit im Herzen eine Übereinstimmung mit dem Aufstellungsbild spürt, darf man sich in seinen Lebensentscheidungen davon leiten lassen.

Es erübrigt sich wohl der Hinweis, dass es nie gut sein kann, wider besseren Wissens, gutgläubig und ohne eigene Prüfung dem Wort oder dem Rat eines anderen zu folgen, unabhängig davon, welche Methode er auch angewandt haben mag.

Die heilsame Haltung gegenüber Kindern

Folgende Szene beobachte ich bei einer Feier zum fünfzigsten Geburtstag eines Bekannten. Das Fest findet bei bestem Wetter am frühen Abend im Garten statt. An die vierzig Menschen sitzen an Biertischgarnituren und lassen sich die Salate und Steaks schmecken. Eine Frau Anfang vierzig, Mutter von drei Kindern, füttert gerade ihren jüngsten Sohn. Sibylle, so wollen wir sie hier nennen, ist alleinerziehend und hat noch eine sechzehnjährige Tochter und den elfjährigen Marcus.

Als Sibylle beim Füttern nicht aufpasst, fällt etwas vom Salat auf den Tisch. Ihr Sohn Marcus, der ihr gegenübersitzt, lacht laut und sagt: »Meine Mama ist total dumm. Die kann gar nichts! Noch nicht mal den Kleinen füttern … Ihr brennen die Steaks in der Pfanne an, die Milch kocht über, immer bringt sie uns zu spät in die Schule … Und überhaupt: Dümmer als Mama kann man einfach nicht sein!«

Die Erwachsenen am Tisch merken auf und sind gespannt, wie Sibylle reagiert. Sie schaut etwas betreten drein und sagt dann nach einer kleinen Pause: »Ja, so ist es halt, ich bin eine Versagerin, ich bin total unfähig …« Einige der Umstehenden runzeln die Stirn. Sibylle ordnet sich tatsächlich dem Urteil ihres Sohnes unter!

Szenen wie diese kann man heutzutage vielfach beobachten. Wie kommen sie zustande? Eindeutig ist die Frau hier in keiner Erwachsenenposition, geschweige denn in der Mutterrolle. Das Kind dagegen ist in der beherrschenden Rolle. Heute ist es fast normal, dass die Erwachsenen sich den Kindern unterordnen. Dadurch sind die Kinder gezwungen, frühzeitig »groß« zu werden. Doch sie werden dadurch arrogant und anmaßend. Sie haben keine Achtung mehr vor Erziehern und Lehrern, und nichts scheint natürlicher für sie, als Schwächere zu mobben.

Selbstverständlich machen Väter und Mütter ihren Kindern gegenüber nie alles richtig! Wie könnten sie auch? Wir sind alle nur Menschen. Doch ein solches Verhalten eines Elfjährigen ist nicht zu ignorieren. Der Junge unterwirft sich seine Mutter, er untergräbt ihre Erzieherrolle den Geschwistern gegenüber, und er stellt die Mutter öffentlich bloß.

Selbstverständlich hätte Sibylle reagieren müssen, und zwar unabhängig von allem Inhaltlichen, was der Sohn gesagt hat. Anstatt mit piepsiger Stimme zuzugeben: »Ja, so ist es halt …«, hätte sie sich erheben und ihn mit kräftiger Stimme zum Aufstehen auffordern müssen. Während der Kleine kurzzeitig von der älteren Schwester oder von einem anderen Erwachsenen versorgt worden wäre, hätte Sibylle mit ihrem Sohn in einer Gartenecke Tacheles reden können. Wie man in solchen und ähnlichen Situationen konsequent, das heißt folgerichtig, mit Kindern umgeht, ist ausführlich in den nächsten Unterkapiteln beschrieben.

Familienaufstellungen haben für Kinder umso mehr Nutzen, je deutlicher die Eltern in die richtige Haltung ihren Kindern gegenüber gehen. Geschieht dies, entsteht »gute« Erziehung fast von selbst. Die Wechselwirkung von Aufstellungen und der elterlichen Haltung zu Hause ist auf alle Fälle mitzuberücksichtigen.

Die zentrale Erkenntnis in Bezug auf Kinder und Eltern ist sehr einfach: Kinder sollen Kinder sein dürfen und Eltern Eltern. Tatsache ist jedoch, dass immer weniger Eltern in die Elternrolle gehen und immer weniger Kinder Kind sein dürfen. Kinder entwickeln sich zu verantwortungsvollen Menschen, wenn sie schon früh klare Grenzen und stabilen Halt erlebt haben. Nicht selten müssen Kinder jedoch den »Tröster« für die von der heutigen Gesellschaft überforderten Erwachsenen spielen. Sie erleben sich den Eltern gegenüber als gleichberechtigt. Kindern macht dies große Angst, denn in der Psyche sehnen sie sich danach, den Erwachsenen als stark und damit schutzgebend zu erleben. Nur so können sie nämlich im Alltag ein Sicherheitsgefühl entwickeln und psychisch reifen.

Nur wenn das Kind die Überlegenheit des Erwachsenen erfährt, fühlt es sich sicher. Doch die meisten Mütter und Väter sind nicht mehr in der Lage, ihren Kindern gegenüber in seelischer Stärke aufzutreten. Schuld daran sind unter anderem die Beschleunigung unserer Gesellschaft und ein zunehmendes Wertevakuum, in dem die Erwachsenen selbst ihren Halt verlieren.

Das unvermeidliche Resultat von alldem: Kinder testen die Grenzen immer wieder neu und auch immer intensiver, weil sie die Hoffnung nie aufgeben, doch noch eines Tages Souveränität und Stärke der Eltern zu erfahren. Das Drama der heutigen Kindheit besteht darin, dass diese Kinderhoffnung in einer immer größer werdenden Zahl von Fällen bitter enttäuscht wird.

Michael Winterhoff, ein bekannter Kinderpsychiater und Bestsellerautor, hat in den letzten 25 Jahren dramatische Verschiebungen im Eltern-Kind-Verhältnis beobachtet, die unseren Kindern schaden. Allen interessierten Eltern sei sein Buch Warum unsere Kinder Tyrannen werden empfohlen (siehe Literaturverzeichnis). Bestimmte Reifungs- und Entwicklungsschritte, die im späteren Alter kaum noch nachzuholen sind, werden den Kindern durch inkonsequentes Verhalten der Eltern verwehrt. Winterhoff spricht auch von einer »Machtumkehr« im Eltern-Kind-Verhältnis. In meiner eigenen praktischen Arbeit mit Kindern und Eltern kann ich das nur bestätigen.

Kinder sehnen sich nach Vorbildern und Führung, doch wir behandeln sie als »Partner«, wovon sie oft völlig überfordert sind. Mittlerweile ist dieses schädliche »Partnerschaftskonzept« in der Kindererziehung auf vielen Ebenen der Gesellschaft verankert. In manchen Gegenden ist es beispielsweise sehr schwierig, einen Kindergarten zu finden, der nicht nach dem »offenen Konzept« arbeitet und Kinder als »Partner« behandelt. Auch in den Schulen wird die Stellung der Lehrer ständig untergraben, weil die Eltern sich mit den Kindern gegen die Lehrer verbünden, anstatt gemeinsam mit den Lehrern nach Lösungen zu suchen. Doch welche Achtung sollen Kinder ihren Lehrern und später ihren Berufsausbildern entgegenbringen, wenn die Eltern sich ständig mit ihnen gegen die »Großen« solidarisieren? Dies gipfelt schön in einem Satz, den ich in Elternberatungen immer wieder höre: »Ich bin doch der Freund meines Kindes!« Ist es da verwunderlich, wenn die Kinder die Erwachsenen nicht mehr ernst nehmen?

Wegen dieser hier nur skizzierten gesellschaftlichen Entwicklung müssen wir uns auf den nächsten Seiten intensiv mit der natürlichen Haltung von Eltern gegenüber ihren Kindern beschäftigen. Und wir werden uns auch überdurchschnittlich viel Zeit dafür nehmen, das so wichtige Konsequenzprinzip in der Erziehung an Beispielen zu erörtern.

Die natürliche Haltung von Eltern zu Kindern

Manche Eltern sind verblüfft, wenn ich ihnen in der Praxis sage: »Was nützt es, wenn Sie für Ihre Tochter eine Aufstellung machen, dem Kind aber zu Hause nicht in der richtigen Haltung als Eltern begegnen?«

Jenseits familiärer Verknüpfungen, die Aufstellungen aufzeigen, ist es für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen wichtig, einige grundlegende natürliche Bedingungen zu beachten. Kinder sind immer die Kleinen, und Eltern sind immer die Großen. Eltern »geben«, und Kinder »nehmen«. Als Erstes geben die Eltern das Leben; sie geben es, ohne dass dabei Moral im Sinne von »Gut« und »Böse« mit im Spiel ist. Elternschaft ist etwas so Großes, dass sie »jenseits von Gut und Böse« steht. Das Gefälle zwischen dem Geben der Eltern und dem Nehmen der Kinder ist in keiner Weise zu unterschätzen. Neben dem Leben geben die Eltern aber noch viel mehr: Sie geben dem Kind zum Beispiel Nahrung und Wohnung, sie widmen ihm einen großen Teil ihrer Zeit, und sie verzichten dafür auf vieles, was ihnen bislang das Leben angenehm gemacht hat. Durch ihre Fürsorge im Alltag und den eigenen Verzicht dienen die Eltern dem Leben als Ganzes.

Letztlich befolgt und erkennt ein Kind immer das als richtig an, was Vater und Mutter in ihrer eigenen Familie entweder gefehlt hat oder was ihnen wichtig war. Wenn sich beispielsweise die Mutter mit ihren Wertvorstellungen in der Erziehung der Kinder durchsetzt, dann folgt das Kind zwar vordergründig der Mutter, aber hintergründig ist es mit dem Vater solidarisch. Das Kind folgt auf einer Ebene dem, der sich durchsetzt, verwirklicht dann aber das Hintergründige, das nicht sein darf.

Kinder wollen es in ihrer Liebe immer beiden Eltern recht machen. Dies geschieht unbewusst. Man kann dies auch als ein »Sich-Verbünden« mit dem unterlegenen Elternteil betrachten. Wenn zum Beispiel ein geschiedener Vater zu seiner Tochter sagt: »Werde ja nicht wie deine Mutter! Die ist ein Schlampe und Versagerin! Die ist die Allerschlimmste!«, so solidarisiert sich das Kind mit der Mutter, denn in der Seele »ist« jedes Kind sowohl seine Mutter als auch sein Vater! Es kann gar nicht anders, als wie sie zu werden.

Wenn der Vater sagt: »Du darfst werden wie ich, und du darfst auch werden wie deine Mutter«, braucht das Kind die problematischen Seiten der Mutter nicht zu übernehmen. Das Kind nimmt von beiden Eltern, was es zum inneren Wachstum benötigt. Wenn Eltern ihre Kinder aufmerksam anschauen, können sie erkennen, wo und wie sie von ihnen geliebt werden.

Und noch etwas ist wichtig: Das, was Vater und Mutter aneinander auszusetzen haben, wird sie auch am Kind stören! Bei Erziehungsproblemen ergibt sich demnach folgende Lösung: Indem die Eltern sich achten, werden sie auch das Kind achten. Außerdem sollten sich die Eltern auf ein neues Wertesystem in der Erziehung einigen, in dem die Werte beider zum Ausdruck kommen.

Bedenkt man all diese Punkte, wird deutlich, dass Eltern von Haus aus vor ihren Kindern rangieren und ihnen damit übergeordnet sind. Zudem haben auch ältere Geschwister Vorrang vor den jüngeren, und leibliche Kinder vor Adoptivkindern. Zumindest zeigen dies Familienaufstellungen eindrücklich.

Gute Erziehung ergibt sich von selbst, wenn Eltern wirklich »groß« und Kinder wirklich »klein« sind: Eltern verhalten sich ruhig, liebevoll, souverän und in jeder Hinsicht konsequent. Des Weiteren zeigen sie durch ihr persönliches Vorbild, wohin sich das Kind entwickeln soll. Im Idealfall können sie auch Wutausbrüche der Kinder gut aushalten, denn sie haben keine Angst, deren Zuneigung zu verlieren, weil sie fest in sich selbst verankert sind.

Wer als Mutter oder Vater in sich selbst ruht, hat keine Probleme damit, sich dem Kind gegenüber folgerichtig zu verhalten. Kinder entwickeln nur dann psychische Reife, wenn man konsequent mit ihnen umgeht und ihnen verdeutlicht, dass man keine »Spielfigur« ist, auf die beliebig eingewirkt werden kann. Unsere Kinder haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen als eigenständige, nicht manipulierbare Erwachsene begegnen. Nur so lernen sie, später auch andere Erwachsene, Erzieher oder Lehrer in ihrem sozialen Umfeld ernst zu nehmen.

Zur Verdeutlichung sei hier ein Beispiel angeführt: Aufschlussreich in Sachen Kind-Eltern-Kräfteverhältnis ist vor allem die Beobachtung, wie Kinder ihre Eltern rufen, und wie diese darauf reagieren. Wenn das Kind durch das ganze Haus »Papa« oder »Mama« ruft, »springen« die meisten Eltern sofort herbei und fragen, was denn los sei – auch wenn sie gerade in ihrem Arbeitszimmer sitzen und mit wichtigen Dingen beschäftigt sind. Egal, ob Papa im Keller oder Mama auf dem Dachboden ist, wenn die kleine Jennifer ruft, sind sie sofort zu Diensten und erscheinen auf der Stelle … Damit ist klar, wer in der Familie der Boss ist!

Ein Gedankenspiel: Wie würde es auf Jennifer wirken, wenn Papa oder Mama nicht sofort angerannt kämen, sondern mit normal lauter Stimme sagen würden: »Ich verstehe dich so schlecht! Was meinst du?«? Möchte das Kind gehört werden, wäre es jetzt gezwungen, aus seinem Kinderzimmer, oder wo auch immer es gerade ist, herauszukommen und zum Erwachsenen zu gehen – nicht umgekehrt! Es ist völlig in Ordnung, wenn der Erwachsene in dieser Situation an seinem Platz bleibt und auch nach dem dritten Ruf des Kindes mit ruhiger Stimme wiederholt: »Ich kann dich so schlecht verstehen, mein Engel. Möchtest du etwas sagen?« Auf jeden Fall sollten Papa oder Mama exakt dort stehen bleiben, wo er oder sie gerade ist. Diese Sprache des Körpers ist für das Kind unmissverständlich. Durch solche elterlichen Verhaltensweisen wird ihm ganz klar vermittelt, wer hier wen braucht und wer hier »klein« und wer hier »groß« ist. Kinder müssen lernen, dass Papa und Mama zunächst einmal ihre Tätigkeit, mit der sie gerade beschäftigt sind, in Ruhe beenden, bevor sie sich ihren Sprösslingen zuwenden. Wer stets hektisch sofort sein Tun unterbricht, um dem Kind unmittelbar zu Diensten zu sein, gibt damit verhängnisvolle Botschaften.

Nach meinem Eindruck sind viele Eltern so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie sich von der Kindererziehung verabschieden und nur noch mechanisch reagieren. Wie unglaublich schnell sich der Erziehungsstil in der Gesellschaft in den letzten zwanzig, dreißig Jahren verändert hat, macht eine beliebige touristische Führung in einem Museum oder einem Schloss deutlich: Heute ist es leider der Normalfall, dass sich viele Kinder ab circa drei Jahren räumlich von ihren Eltern absetzen dürfen und natürlich all das tun, was sie nicht tun sollten. Meist ist es dann der touristische Führer oder die Führerin, die die Kinder ermahnen müssen, ihre Finger bitte von Ausstellungsstücken zu lassen, nicht allein in weitere Säle vorzupreschen und so weiter. Dabei wäre all das selbstverständlich die Aufgabe der Eltern! Doch oft merkt man bis zum Schluss der Führung gar nicht, wer denn hier die Mutter oder der Vater der betreffenden Quälgeister ist, denn die Eltern haben sich von der Erziehung komplett zurückgezogen. Sie überlassen die Kontrolle über die Kinder völlig demjenigen, der sich eigentlich auf Touristisches konzentrieren sollte. Nicht selten lernt man bei solchen Führungen viel genauer bestimmte Kinder und ihr nerviges Verhalten kennen als die Themen, derentwegen man eigentlich gekommen ist. Vor noch zwanzig Jahren gab es dieses Phänomen seltener.

Ein konsequenter Umgang mit Kindern findet immer weniger statt, obwohl die Frage nach Konsequenz in jeder Hinsicht eine Schlüsselfrage ist. Aus diesem Grund möchte ich intensiv mit weiteren Beispielen auf dieses Thema eingehen.

Werner beobachtet, dass sein zehnjähriger Sohn Joel im Garten spielt. Bei sechs Grad plus hat er nur ein T-Shirt an. Er sagt ihm, er solle endlich hereinkommen und sich eine Jacke anziehen, wenn er weiter draußen spielen wolle. Doch Joel reagiert kaum. Noch nicht einmal in Werners Richtung blickt er. Er kickt gegen einen Stein und verhält sich so, als hätte der Vater gar nicht zu ihm gesprochen.

Bestenfalls wiederholt Vater Werner nach zwei Minuten den Satz noch einmal, worauf wieder nichts passiert. Anschließend ist das Thema schnell vergessen, denn Werner trat in der Situation mit kaum mehr innerer Stärke auf als eine Spielfigur … Und Joel leidet, wenn er Pech hat, ein paar Tage später an einem Schnupfen oder einem Infekt. Was hat Joel bei dem Ganzen gelernt? Er hat gelernt, dass die Nichtbefolgung der väterlichen Aufforderung nicht die geringste erzieherische Konsequenz hat. Joel nimmt Werner als Vater gar nicht ernst. Vielmehr hat Joel erkannt, dass er den Vater steuern kann und nicht umgekehrt.

Dasselbe passiert, wenn wir ein Kind mehrmals auffordern müssen, etwas Konkretes zu tun, zum Beispiel die Jacke an die Garderobe zu hängen. Wenn ein Kind mehr als ein- bis höchstens zweimal aufgefordert werden muss, haben Eltern schon einen Teil ihrer Erziehungsautorität verloren!

Mutter und Vater haben ebenfalls verloren, wenn sie das Kind auf Knien anbetteln, indem sie aus dem Fenster in den Garten rufen: »Jetzt komm doch endlich rein, es wird alles wieder so spät … Bitte …« Meist ist dann nach fünf Minuten noch immer nichts passiert, und so wiederholt sich dieses entwürdigende Schauspiel: »Ach, mein Kleiner, jetzt komm doch endlich … Ich hab dich schon vor fünf Minuten gebeten … Deine Schwester kommt jeden Moment nach Hause und hat bestimmt Hunger … Ich schlage vor, du kommst jetzt zum Essen rein …«

Wer lange diskutiert, weitschweifige »Vorschläge« macht, der verliert die Achtung der Kinder und erlaubt ihnen, sich Energie bei den Eltern zu stehlen! Wer als Elternteil so bettelt, schlüpft selbst in die Rolle des Kindes und wird »klein«. Wie kann man von einem Kind erwarten, dass es ohne Zeitverzug die »Vorschläge« von Eltern ausführt, die sich so vor ihm erniedrigen?

Kann man es auch anders machen? O ja! Kehren wir noch einmal zurück zu Joel. Am nächsten Tag sieht Joels Mutter, dass ihr Sohn bei derselben Außentemperatur und Nieselregen nur mit T-Shirt bekleidet im Garten spielt. Nachdem Joel auf ihre erste Aufforderung nicht reagiert, sagt sie mit klarer, bestimmter Stimme: »Ich zähle bis drei – wenn du dann nicht hereinkommst und dir etwas Warmes überziehst, musst du leider den restlichen Nachmittag auf deinem Zimmer verbringen. So leicht bekleidet kann man nämlich schnell krank werden.« Die Mutter zählt bis drei, und tatsächlich kommt der Junge sofort herein und zieht sich eine Jacke an. Er weiß genau, dass seine Mutter konsequent ist und ihn wirklich aufs Zimmer bringen würde. So einfach ist es! Mit Strafen hat das nichts zu tun, nur mit elterlicher Konsequenz!

Was hat Joel gelernt? Zum einen hat er eine Aufklärung darüber erhalten, welche gesundheitlichen Folgen das Spielen mit zu leichter Bekleidung im Garten haben kann. Zum anderen hat Joel seine Mutter als durchsetzungsstark erlebt. Auf die Mutter kann sich Joel verlassen. Joel kann Mama ernst nehmen, Werner als Vater jedoch leider nicht.3

Die Sprache zwischen Eltern und Kindern

Schauen wir etwas näher auf die Sprache zwischen Eltern und Kindern: Eltern, die den Kindern Freund und Partner sind, werden oft mit dem Vornamen angesprochen. Dabei hat der kleine Joel vielleicht viele Freunde, die Simon oder Moritz heißen, aber er hat nur einen Vater, egal, wie dieser mit Vornamen heißt. Deswegen sollten Eltern unbedingt darauf bestehen, als »Mama« oder »Papa« angesprochen zu werden und nicht mit dem Vornamen. Man kann dem Kind ruhig erklären, dass es Mama und Papa nur einmal gibt und dies etwas Besonderes ist.

Inkonsequente Eltern haben in der Regel kaum Nachdruck in der Stimme, wenn sie den Sohn oder die Tochter zu etwas auffordern. Fragt man das Kind mit leiser und schwacher Stimme, wann es denn zum Mittagessen komme, braucht man sich nicht zu wundern, wenn es gar nicht kommt! Der Ton in der Stimme hat dem Kind bereits verraten, dass ich als Elternteil innerlich aufgegeben habe und schon gar nicht mehr darauf hoffe, dass es macht, was ich ihm sage. Kinder brauchen außerdem eine direkte sprachliche Aufforderung. Es heißt nicht in Frageform: »Kommst du zum Mittagessen?«, sondern es heißt in Aussageform: »Du kommst sofort zum Essen!« Kinder brauchen klare und eindeutige Ansagen.

Vater oder Mutter können dem Kind zum Beispiel liebevoll und in ruhigen Worten erklären, dass nach drei Minuten des Nichterscheinens das Essen vom Tisch abgeräumt wird. Hat das Kind erst einmal einen Nachmittag ohne Mittagessen verbracht, wird es künftig mit Sicherheit immer pünktlich zum Mittagessen kommen! Dass es zwischendurch an diesem Tag keine Süßigkeiten gibt, sollte sich von selbst verstehen. Und natürlich handelt es sich hier keineswegs um eine Strafe, sondern lediglich um eine sich logisch ergebende Konsequenz!

Man kann sich ausmalen, dass Joel aus unserem Beispiel natürlich stets aufs Neue versuchen wird, den unterschiedlichen Handlungsansatz seiner Eltern auszunutzen. Kinder wissen immer, wie sie ihre Eltern gegeneinander ausspielen können. Dieses »Ausspielen« ist dabei ein ganz natürliches Verhalten der Kinder. Die Ursache dafür liegt selbstverständlich nicht beim Kind, sondern bei den Erwachsenen, die keine Grenzen abgesteckt haben. Mit dem »Ausspielen« wollen die Kinder die Eltern »zwingen«, sich doch noch abzusprechen und klare Grenzen aufzuzeigen.

Noch schwieriger wird das Ganze in einer Patchworkfamilie. Wenn Joels Mutter nun in Wirklichkeit die Stiefmutter ist, hat sie kaum eine Chance, für Joel etwas Gutes zu bewirken. Mit Recht wird der Stiefsohn immer wieder behaupten: »Mein Vater sieht das aber anders! Der sieht das nicht so eng wie du …« Auf Dauer wird die Stiefmutter aufgeben, und im Alltag setzt sich der partnerschaftliche Umgangsstil mit Joel durch, auch wenn es ihm schadet. Schon in einer »normalen« Familie können die unterschiedlichen Haltungen gegenüber Kindern zu schweren Ehekrisen und sogar Trennungen führen. Noch viel schneller passiert dies in Patchworkfamilien, in denen zusätzlich auch die getrennt lebenden Elternteile, zu denen die Kinder eventuell am Wochenende Kontakt haben, ihre Erziehungsauffassungen einbringen. Hier einen »roten Faden« im Umgang mit Kindern zu entwickeln ist eine große Herausforderung.

Väter und Mütter, die sich bewusst oder unbewusst dem partnerschaftlichen Erziehungskonzept verschrieben haben, erkennt man schnell an ihrer Ausdrucksweise. Zum Beispiel sagen sie dem Kind nicht, dass es sich spätestens zu einer bestimmten Uhrzeit an die schulischen Hausaufgaben setzen muss, sondern sie fragen: »Wann machst du denn heute endlich deine Aufgaben?« Diese Art der Formulierung vermittelt dem Kind, es könne mitentscheiden, ob die Hausaufgaben gemacht werden oder nicht. Das soll nicht heißen, dass Kinder in den sie betreffenden wichtigen Fragen keine Mitsprache haben sollen, doch viele Eltern drücken sich einfach davor, die Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen, weil sie sich selbst noch als Kind fühlen: Sie haben Angst, die Zuneigung ihrer Kinder zu verlieren, die ihnen unbewusst nicht selten die eigene Mutter oder den eigenen Vater ersetzen müssen. Dies zumindest hat sich in vielen Familienaufstellungen gezeigt.

Wenn man panische Angst davor hat, es sich mit den Kindern zu »verscherzen«, verliert man jedoch ihre Achtung! Sich den Kindern unterzuordnen und ihnen jeden Wunsch zu erfüllen, ist das Ende eines vernünftigen Familienklimas. Dieser für die Kinder schlimme Prozess vollzieht sich in der Regel für alle Beteiligten unbewusst. Die Eltern schwören Stein und Bein, dass sie ja nur das »Beste« für ihre Kleinen wollen, ohne dabei wahrzunehmen, welch schlimme Folgen ihre Art des Umgangs mit den Kindern hat.

Von großer Wichtigkeit ist, dass man dem Kind gegenüber ruhig und selbstsicher auftritt. Brüllen vermittelt ihm nichts Gutes, sondern nur eine Schwäche des Elternteils! Aus vielen Gesprächen mit Eltern weiß ich, dass nicht wenige Väter und Mütter Konsequenz mit Lautstärke verwechseln. Mit zunehmender Lautstärke des Erwachsenen sinkt jedoch die Achtung des Kindes vor ihm. Wer mit innerer Autorität spricht, muss keineswegs schreien! Kinder achten ihre Eltern, wenn sie sich auf ruhige und bestimmte Weise folgerichtig verhalten. Das Gebrüll der Eltern macht Kindern oft nicht nur Angst, sondern sie erleben das »Außer-sich-Sein« der Eltern mit Recht als deren Kapitulation.

Jans und Marvins ausdauerndes »Training« für Mama

Weder die elterliche Liebe allein hilft dem Kind noch das Einhalten von Regeln; erst beides gemeinsam gibt ihm Sicherheit! Eltern, die keine Grenzen setzen, werden von den Kindern als schwach erlebt. Oberflächlich betrachtet, freut sich das Kind über seine große Macht, doch innerlich leidet es. Umgekehrt ist es bei Kindern, denen man ihre große Macht wieder wegnimmt: Zunächst reagieren sie unzufrieden, doch in ihrem Inneren atmet alles auf, und oft zeigen sie dies sogar körpersprachlich. Ein Beispiel aus dem ganz gewöhnlichen Alltag einer von mir beobachteten Mutter macht dies deutlich.

Wer kennt sie nicht, jene Szenen, in denen Kinder ihre Eltern bis zur Weißglut reizen? Ein kleiner Junge, vier Jahre alt, verspritzt mit dem Löffel den Tee im Wohnzimmer und zieht seine Mutter immer wieder kräftig an ihren langen Haaren.

»Wenn du jetzt nicht aufhörst, Jan, dann geschieht was!«, schreit die Mutter.

Das Kind ist für eine halbe Minute still und brav, dann lächelt es und beginnt das Spielchen von vorn.

»Jan! Bitte! Ich sag’s dir!«

Wieder ist das Kind eine halbe Minute ruhig, dann ärgert es die Mutter erneut.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nervst?«

Die Stimme der Mutter überschlägt sich, wird kindlich, sie ist den Tränen nahe.

»Du bringst mich um! Wenn du jetzt nicht aufhörst, passiert was!« Nach einem Seufzer sagt Mama: »Ich flehe dich an!«

Das herzerbarmende Flehen der Mutter scheint das Kind nicht zu rühren – im Gegenteil! Es wird noch böser und ist zu Steigerungen seiner Neckereien fähig. Warum sind Kinder so »grausam«? Ganz einfach: Sie lieben uns Eltern so sehr, dass sie uns das bestmögliche Training geben!

Als Beobachter der hier geschilderten Szene verkrampft sich alles in mir. Es schmerzt mich körperlich, das mit ansehen zu müssen. Endlich, nach einer Viertelstunde, kommt eine Erleuchtung über die Mutter: »Das ist die letzte Warnung! Noch ein einziges Mal, dann musst du allein in dein Zimmer gehen!«

Wie nicht anders zu erwarten, spielt Jan seine »Psychospielchen« weiter, denn schließlich muss er wissen, ob Mutter es ernst meint! Ohne weitere Erklärung schnappt sich die Mutter energisch ihren wild protestierenden Sprössling und bringt ihn ins Kinderzimmer. Das Gespräch zwischen den Erwachsenen kann nun endlich ungestört fortgesetzt werden.

Nach einer halben Stunde schaut die Mutter dann wieder ins Kinderzimmer. Jan strahlt über das ganze Gesicht und umarmt heftig und innig seine Mama. Anschließend ist er das liebste Kind, das man sich vorstellen kann!

Alles, wonach seine Seele wirklich schrie, war das Bedürfnis, eine starke Mutter zu erleben, eine Mutter, die fähig ist, klare Grenzen zu setzen. Erst wenn das Kind »große«, starke Eltern erlebt, fühlt es sich geborgen und sicher. Um dieses Ziel zu erreichen, lohnt sich aus dem Blickwinkel des Kindes auch ein »größerer Aufwand«, bis Mama das »Konsequenztraining« bestanden hat!

Wer denkt, all das funktioniere nur bei Vierjährigen wie im obigen Beispiel, der täuscht sich. Auch der sechzehnjährige Marvin lässt sich von einer »größer« werdenden Mama beeindrucken, obwohl er sie so noch kaum kennt: Die alleinerziehende Mutter hatte Marvin in die Rolle des Ersatzpartners schlüpfen lassen. Dies wurde schon bei einem Telefonanruf in der Praxis deutlich. Sie sagte ihrem Sohn: »Liebling, machst du bitte das Radio etwas leiser, ich telefoniere gerade.« Das »Liebling« war voller »Schmelz« und in die Länge gezogen, so wie man es aus schnulzigen Liebesfilmen kennt.

Marvin, der Junge in unserem Beispiel, hatte extrem viel Macht. Anette, die Mutter, fürchtete sich zuweilen sogar vor ihm! Alle wichtigen Entscheidungen traf er. Deutlich wurde das beispielsweise bei einem Autokauf: Obwohl die finanzielle Situation der kleinen Familie keineswegs rosig war, bestimmte Marvin, welches Auto zu kaufen war. Es war ein recht teures Auto – und die Mutter gehorchte …

Doch finanzielle Nöte ließen Anette bereuen, dass sie ihren Sohn die Entscheidung hatte treffen lassen. Sie schmiedete den Plan, seinen Urlaub mit einer Jugendgruppe zu »nutzen«, um das Auto heimlich wieder zu verkaufen und ein preiswerteres zu beschaffen. Doch sie hatte fürchterliche Angst: »Was wird mein Sohn mit mir anstellen? Er wird nur toben und schreien, und dann wird alles nur noch schlimmer. Wie soll ich ihm das nur erklären?«

»Gar nicht!«, gab ich ihr zur Antwort. »Sie machen, was Sie für richtig halten, und stellen ihn vor vollendete Tatsachen. Wenn er Erklärungen von Ihnen will, erwidern Sie mit ruhiger, freundlicher Stimme: ›Ich tue, was ich für richtig halte.‹ Danach können Sie sogleich das Thema wechseln.« Es ist gut für Anette, die Angelegenheit wie eine Nebensache zu behandeln.

»Aber das ist ja Revolution! Wie soll er das verstehen, wenn ich plötzlich die Zügel in die Hand nehme? Die ganzen Jahre war doch er der Boss und nicht ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert!«, rief sie aus.

»Einfach machen!«, riet ich ihr. »Wir werden dann darüber reden, wie es war.«

Sie machte es tatsächlich und war ziemlich erstaunt, was geschah: Der Sohn protestierte zwar ein wenig, doch er lachte und bestand nicht mehr auf das teure Auto. Von Wut konnte gar keine Rede sein! Anette wollte in seiner Mimik sogar deutlich erkannt haben, dass er über ihre plötzliche Stärke erleichtert war! Diese Erfahrung wird ihr helfen, ihrem Sohn gegenüber in Zukunft zwar liebevoll, aber doch als Elternteil und nicht in der Rolle des Kindes aufzutreten. Die Psyche des Jungen kommt dadurch jedenfalls etwas zur Ruhe. Ähnlich wie der vierjährige Jan im obigen Beispiel zeigte auch Marvin deutlich, wie sehr er sich innerlich freut, dass »Mama« nun endlich »groß« ist!

Wie verhält man sich nun konsequent, wenn die alltäglichen Herausforderungen etwas komplizierter sind? Wie verbindet man Liebe mit Konsequenz, ohne sich auf Machtspielchen einzulassen und »auszurasten«? Dazu ein weiteres Beispiel, in dem inhaltlich deutlich wird, dass Konsequenz mit folgerichtigem Denken zu tun hat. Die Folgen kindlichen Fehlverhaltens sollen dabei nicht die Eltern tragen, sondern stets die Kinder; ansonsten verdient all das den Namen »konsequente Erziehung« nicht.

Kai bummelt morgens vor Schulbeginn

In autoritären Erziehungsmodellen wird oft die Strafe in den Mittelpunkt gestellt. Sicherlich haben Strafen zuweilen ihre Berechtigung, aber viel wichtiger ist das konsequente Verhalten der Eltern. Am Beispiel »morgendliches Bummeln« soll gezeigt werden, wie man durch logisches Nachdenken die richtige Strategie im Umgang mit Kindern entwickelt.

Wenn der elfjährige Kai morgens nicht aus dem Bett kommt, kann man ihm sagen: »Falls du auch weiterhin zu spät zum Frühstück kommst, wecke ich dich ab sofort eine Viertelstunde früher, damit du mehr Zeit hast, dich auf den Tag vorzubereiten.« In vielen Fällen wird diese Ankündigung oder das tatsächlich erlebte frühere Wecken das Problem schnell beseitigen.

Falls nicht, kann man zum Beispiel sagen: »Ab sofort werde ich dich jetzt nicht mehr drängen, mit allem rechtzeitig fertig zu werden … Auf dem Esstisch und auch in deinem Zimmer steht eine Uhr, sodass du immer im Blick hast, wie spät es ist. Nur du allein trägst die Verantwortung, pünktlich zur Schule zu kommen. Auch die Folgen trägst du, nicht ich!«

Auf gar keinen Fall dürfen Mama oder Papa den Sohn mit dem Auto doch noch schnell zur Schule fahren, wenn er den Bus oder den Zug ständig verpasst. Die Kinder sollen die Folgen des Verschlafens und Bummelns tragen, nicht die Eltern, denn sonst kann das Kind keine Lernfortschritte machen!

Auch wenn es Ihnen als Vater oder Mutter nicht leichtfällt: Kümmern Sie sich überhaupt nicht mehr um das Kind! Gehen Sie einfach völlig normal Ihren gewohnten Tagesaktivitäten nach. Falls es absehbar ist, dass das Kind zu spät in die Schule kommt, rufen Sie (selbstverständlich ohne dass das Kind es mitbekommt!) in der Schule an und informieren Sie den Lehrer beziehungsweise die Lehrerin, dass Ihr Kind später kommen wird, weil es bummelt.

Besprechen Sie mit dem Lehrer, was es nun zu erwarten hat. Verbünden Sie sich mit der Lehrkraft – nicht mit dem Kind, wie dies leider heute fast immer häufiger die Regel ist. Am besten wäre, der Lehrer oder die Lehrerin würde das Kind ruhig und gelassen beim verspäteten Betreten des Klassenzimmers fragen, warum es denn so spät komme. Bei vielen Kindern reicht ein einziges Erlebnis dieser Art, um zukünftig pünktlich in der Schule zu sein! Denn es macht wenig Freude, vor allen Mitschülern über sein morgendliches Bummeln Auskunft zu geben. Falls Kai den Lehrer anlügen und irgendwelche plausiblen Ausreden erfinden sollte, kann dieser ganz gelassen antworten: »Komisch, deine Mutter hat mir am Telefon eben ganz andere Dinge erzählt …« Die Lehrkraft wird die Lacher auf ihrer Seite haben, und das Kind wird sich bestimmt in Zukunft nicht mehr so bloßstellen wollen.

Erfahrungsgemäß reichen die hier skizzierten Vorschläge völlig aus, um das Problem dauerhaft zu lösen. In einer Vielzahl von Fällen hat dieses »Rezept« vorzüglich funktioniert.

Je intensiver die Eltern sich mit der Schule verbünden, desto schneller wird sich der Erfolg einstellen. Wichtig ist, dass zwischen Lehrer und Eltern kein Blatt passen darf. In dem Moment, in dem sich Schüler und Eltern gegen die Lehrer verbünden, wird es immer negative Folgen haben! Wie sollen Lehrer unsere Kinder pädagogisch unterstützen, wenn wir sie als unfähig hinstellen, schlecht über sie reden und sie gemeinsam mit den Kindern auslachen? Wie sollen Kinder ihre Lehrer noch achten, wenn die Eltern diese offen vor den Kindesohren abgewertet haben? Meiner Beobachtung nach kommt genau das jedoch leider sehr häufig vor.

Kinder, die selbst erfahren haben, dass sie Lehrer nicht gegen die konsequenten Eltern und Eltern nicht gegen die Lehrer ausspielen können, werden in der Regel ein wunderbares Sicherheitsgefühl im Alltag und in der Schule entwickeln. Und selbstverständlich (!) werden sie auch deshalb in der Berufsausbildung keine Probleme mit ihren Vorgesetzten haben.