Wie die Dinge sind - Lama Ole Nydahl - E-Book

Wie die Dinge sind E-Book

Lama Ole Nydahl

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der bekannte Buddhist Lama Ole Nydahl antwortet in seinem Buch "Wie die Dinge sind" auf u.a. folgende Fragen: - Was ist Buddhismus? - Welche Wege lehrte Buddha, um festgefahrene Vorstellungen zu durchbrechen?Lama Ole Nydahl ist einer der bekanntesten Buddhisten des Westens und wurde 1972 vom Karmapa, dem Oberhaupt der tibetischen Karma-Kagyü-Schule, als buddhistischer Lehrer nach Europa geschickt. Nur wenige Jahre später wurde er zum Lama ernannt. Seitdem bereist er die Welt, um Vorträge zu halten, Meditationskurse zu leiten und Zentren zu gründen – mittlerweile über 600 in Europa, Amerika und Australien; davon über 150 allein im deutschsprachigen Raum.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 196

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lama Ole Nydahl

Wie die Dinge sind

Eine zeitgemäße Einführung in die Lehre Buddhas

Herausgegeben von Hans Christian Meiser

Knaur e-books

Über dieses Buch

Eine zeitgemäße Einführung in die Lehre Buddhas

Antworten auf u.a. folgende Fragen: Was ist Buddhismus? Welche Wege lehrte Buddha, um festgefahrene Vorstellungen zu durchbrechen?

Inhaltsübersicht

Aussprache / AbkürzungenWidmungVorwortEinleitungBuddhas Leben und LehreBuddhas LebensgeschichteDie drei WegeDer Kleine Weg – die Vier Edlen WahrheitenDer Große Weg – Mitgefühl und WeisheitDer Diamantweg – alle Mittel im EinsatzDie Ziele der Wege – Befreiung und ErleuchtungBuddhas bedingte und letztendliche BelehrungenDen Buddhistischen Weg GehenDie Lehre im Leben anwendenDas Gebäude der LehreDas eigene Leid überwinden – die Ebene der Auf-sich-BezogenenWeisheit und Mitgefühl zum Wohl aller – die Ebene der IdealistenRaum und Freude grenzenlos – die Ebene der VerwirklicherMeditationenDie Regenbogenlicht-MeditationDie Meditation auf den AtemDie Meditation des Gebens und NehmensDie 16.-Karmapa-MeditationGlossarAdressenWeitere Bücher von Lama Ole Nydahl
[home]

Aussprache:

 

Abkürzungen:

skt. – Sanskrit

tib. – Tibetisch

pal. – Pali

[home]

 

Dieses Buch ist allen Unterstützern des Diamantweg-Buddhismus gewidmet.

 

 

Mit tiefstem Dank an unseren ersten Lama Lopön Tsechu Rinpoche. Er hat unzählige Wesen durch sein Beispiel berührt.

[home]

Vorwort

Von einem Menschen lernen zu können, dessen Umfeld vor Sinn und Frische strahlt und wo sich alles scheinbar mühelos entfaltet, prägt einen für das ganze Leben.

Ein solches Glück hatten meine Frau Hannah und ich. Wir lernten und lebten zwölf Jahre im Kraftkreis des 16. Karmapa, dem ersten bewusst wiedergeborenen Lama Tibets. Bis zu seinem Tod 1981 zeigte er uns ständig die Freude der Erleuchtung. Durch ihn wurden Buddhas Worte lebendig und der Weg für viele unmittelbar greifbar. Sein Beispiel half unzähligen Menschen, ihren Geist kennen zu lernen, und seine Kraft ist bis heute spürbar.

Die bedeutendsten Übertragungen gab er uns selbst. Um die Mittel und Erfahrungen auch halten und weitergeben zu können, schickte er uns zu einem Dutzend Lehrern mit meist mehr als 30-jähriger Meditationserfahrung. Sie zeigten völlig überzeugend, dass der grenzenlose Geist alles verwirklichen kann. Heute geht die Arbeit mit der 17. Wiedergeburt, Karmapa Thaye Dorje, weiter.

 

Derart großartige Lehrer zu haben verpflichtet, und nichts ist erfüllender, als das weiterzugeben, was das eigene Leben zutiefst bereichert.

Die erste Ausgabe dieses Buches entstand in den frühen 70er-Jahren. Weltweit in über 25 Sprachen übersetzt und in zahlreichen Auflagen erschienen, entfaltet es bis heute die buddhistischen Weisheiten der größten Diamantweg-Lehrer.

Die neue Ausgabe von Wie die Dinge sind ist umfassender und zugänglicher. Hierfür danke ich meiner wunderbaren Mitarbeiterin Caty Hartung und der Mithilfe mehrerer Freunde.

 

Mögen alle Wesen glücklich werden!

 

Lama Ole Nydahl

 

Amden, Schweiz, im November 2003, im Segensfeld der Schützerin Weißer Schirm, am Tag von Schwarzer Mantel.

[home]

Einleitung

Die Lehrmöglichkeiten Buddhas vor 2600 Jahren waren einmalig: Er lebte in der blühenden damaligen Hochkultur Nordindiens und war von sehr begabten Schülern umgeben. So konnte er nach seiner Erleuchtung 45 Jahre lang die Wege zur vollen Entfaltung des Geistes zeigen. Aus diesem Grund sind seine Mittel auch so vielfältig. Der Kangyur – die Sammlung von Buddhas eigenen, nach seinem Tod aufgeschriebenen Worten – besteht aus 108 Bänden, die 84.000 hilfreiche Erklärungen enthalten. Die späteren Erläuterungen seiner Schüler sind in weiteren 254 zolldicken Büchern – dem Tengyur – überliefert. Das macht Buddhas letzte Worte verständlich, als er mit 80 Jahren seinen Körper verließ: »Ich kann glücklich sterben. Ich habe keine einzige Belehrung in einer geschlossenen Hand behalten. Alles, was euch nützt, habe ich schon gegeben.«

 

Wie man aus solchen Aussagen ableiten kann, gab er etwas sofort Verwendbares, eine Sache fürs Leben. Auf Fragen, warum und was Buddha unterrichte, antwortete er stets: »Ich lehre, weil ihr und alle Wesen glücklich sein und Leid vermeiden wollt. Ich lehre, wie die Dinge sind.«

Viele Schulen haben sich seither aus seinen Lehren entwickelt, denen allen gemein ist, dass sie nach einer ganzheitlichen Entwicklung des Menschen streben. Sie versuchen, Körper, Rede und Geist sinnvoll einzusetzen entsprechend dem, was Buddha ihnen vorlebte oder empfahl.

 

Da Buddhas Lehre so vielfältig ist und auf Erfahrung und nicht auf Glauben baut, reicht es nicht aus, einfach ihre Inhalte zu beschreiben. Erst im Vergleich mit anderen Weltanschauungen kommen ihre Besonderheiten ganz zum Vorschein. Es lohnt sich auch, sich ihr ohne allzu feste Vorstellungen zu nähern. Denn die Fülle von Buddhas Weisheiten als »dieses und nicht jenes« zu beschreiben ist unmöglich.

Zum Beispiel denken viele Menschen, Buddhismus sei eine Philosophie. Das ist insofern wahr, als die Belehrungen vollkommen nachvollziehbar sind. Die Klarheit und Freiheit der Gedanken sind Voraussetzung für den buddhistischen Weg und vertiefen sich weiter als Ergebnis einer gelungenen Entwicklung. Die Lehre bewirkt, dass alle den Wesen innewohnenden Fähigkeiten – einschließlich der logischen – zur vollen Blüte kommen. Warum aber kann man sie dann nicht Philosophie nennen?

Weil sie einen dauerhaft verändert. In der Philosophie arbeitet man auf der äußeren Ebene der Begriffe und Vorstellungen, erfreut sich an den gelungenen logischen Verknüpfungen und stellt die Bücher danach wieder ins Regal zurück. Buddhas Lehre dagegen geht jenseits von Begriffen. Sie bewirkt im Menschen eine dauerhafte Veränderung von Körper, Rede und Geist. Ihre Erklärungen liefern den Schlüssel zu dem, was jeden Tag in einem und um einen herum geschieht – man wird bewusst. Das Anwenden der buddhistischen Sichtweisen und Mittel, die einem in den unterschiedlichsten Lebenslagen entsprechen, löst erst einmal viele feste Vorstellungen auf. Dann wächst ein Vertrauen heran, dass die Geschehnisse einen Sinn haben, und das führt zu einer allmählichen Veränderung. So handelt man immer entspannter und zunehmend aus der eigenen Mitte heraus.

 

Manche Menschen heben sichtbare Ergebnisse wie wachsenden Gleichmut hervor und behaupten deshalb, die Lehre sei eine Psychologie. Was kann man dazu sagen? Das Ziel der Psychologie ist klar: Alle Schulen wünschen, den Alltag der Menschen zu verbessern. Sie zielen darauf ab, dass die Gesellschaft von jedem Einzelnen einen Nutzen hat. Auch sollte man sich selbst und anderen nicht zu viele Schwierigkeiten bereiten während der 70 bis 90 Jahre, die die Bürger der westlichen Länder zurzeit hier verweilen. Buddhas Lehre hat ganz ähnliche Ziele, bezieht aber zugleich die Tatsache der Vergänglichkeit alles Bedingten mit ein. Deswegen bringt sie zeitlose Werte ins Spiel, sobald die Leute abstrakt denken und sie verstehen können. Wahrheiten werden vom Buddhismus nur als letztendlich anerkannt, wenn sie einen durch Krankheit, Alter, Tod und Verlust hindurchtragen können.

 

Grundsätzlich richtete Buddha seine »Psychologie« auf mehrere Leben hin aus. Er lehrte, dass die Geschehnisse und Erfahrungen, deren Ursachen nicht unmittelbar durch dieses Leben verständlich sind, auch Ergebnisse der Handlungen aus früheren Lebenszeiten sein können. Dementsprechend bestimmt man heute durch seine Gedanken, Worte und Taten die Zukunft, in der man wiedergeboren wird. Dieses ein Leben überschreitende Prinzip von Ursache und Wirkung wird im Buddhismus Karma genannt. Es erklärt, warum die äußeren wie inneren Umstände der Wesen so unterschiedlich sind.

Weil davon ausgegangen wird, dass jeder sein eigenes Karma erfährt, eben die Ergebnisse seiner früheren Taten, Worte und Gedanken, fängt die Arbeit erst ab einer hohen Ebene der Selbstverantwortung und Selbständigkeit an. Das ist nicht für alle leicht zu verstehen, vor allem, wenn die Menschen in einer schwierigen Lebenslage sind. Buddha lehrt aber, dass die Ursache für Leid nicht Bosheit, sondern Nichtverstehen ist. Deswegen geht es um das Entfernen von Unwissenheit, bis das Verhalten der Wesen zu dem langfristigen Glück führt, das sowieso jeder die ganze Zeit sucht. Buddhas Belehrungen sind die entsprechenden Wegweiser.

 

Beide, Psychologie und Buddhismus, verändern einen also. Die psychologische Behandlung bleibt aber im alltäglichen, bedingten Bereich und endet, wenn der Mensch Überschuss fürs Leben bekommen hat. Genau an diesem Punkt setzt der Buddhismus ein: Jenseits aller Gegensätze zeigt er auf das Zeitlose, Nichtgeschaffene, was die äußeren wie inneren Welten erkennt – eben auf den Erleber selbst, den wahrnehmenden Geist. Das Ziel ist also kein friedliches Dahinleben bis zum Lebensende, sondern ein beständig wachsendes Erkennen des Geistes. Allein auf diesen Zustand ist dauerhaft Verlass.

 

Und ab wann bekommen die Menschen Lust, das eigene Leben bewusst zu lenken? Es kommt von selbst, wenn sie entweder das Gesetz von Ursache und Wirkung verstanden haben und dem Leiden entkommen wollen oder wenn sie so viele gute Eindrücke gespeichert haben, dass sie anderen nützen wollen. Die Beobachtung, dass man nur wenig für andere tun kann, solange man die eigenen Gefühle, Gedanken, Worte und Handlungen nicht beherrscht, hilft, das Leben bewusst in Angriff zu nehmen. Andere wiederum sind so begeistert vom lebendigen Beispiel des Lehrers, der einem das freie Spiel des offenen, fähigen und unbegrenzten Geistes näherbringt, dass sie einfach nur so werden möchten wie er. Welche Gründe einen auch treiben, die buddhistischen Hilfsmittel verleihen Mut, Freude, Tatkraft und alle nützlichen Arten der Liebe und lassen fortwährend allen Reichtum im Geist aufsteigen. Selbsttätig befreiend wirkt vor allem die wachsende Erkenntnis, dass sich ständig alles ändert. Es gibt weder im Körper noch in den Gedanken oder Gefühlen ein dauerhaftes, feststellbares »Ich«. Man kann hier auch unterstützend beobachten, wie ähnlich die Ziele der Wesen sind: Jeder versucht, Schönes zu erleben, Schlechtes zu vermeiden, Angenehmes zu behalten und mit Schwierigem auszukommen. Wenn man zusätzlich begreift, dass die Wesen zahllos sind, während man selbst nur einer ist, wird es selbstverständlich, mehr an sie zu denken. Dadurch wird man allmählich überpersönlich und fühlt sich nicht mehr so verletzlich, als wäre man die Zielscheibe des Geschehens. Kann man durch das, was man erlebt, nicht mehr dauerhaft gestört werden, hat man den sogenannten Zustand der »Befreiung« erreicht. Die Grundlage für alle störenden Gefühle ist damit entfernt.

Der zweite und letztendliche Schritt ist die »Erleuchtung«, die volle Verwirklichung des Geistes. Sie bedeutet das entspannte, aber völlig bewusste Verweilen im Hier und Jetzt. Dieser selbstentstandene, mühelose Zustand erscheint nach der Befreiung durch die Auflösung aller begrenzenden Vorstellungen und Begriffe. Wenn das Entweder-oder-Denken an Kraft verliert und Raum entsteht für ein weites Sowohl-als-auch, erweckt man neue dem Geist innewohnende Fähigkeiten. Viele kennen den Geschmack aus kurzen überglücklichen Augenblicken im Leben. Plötzlich ist man mit allem verbunden. Der Raum, der alle umgibt, ist dann nichts Trennendes mehr, sondern ein Behälter. Er gibt Sinn, vermittelt und umschließt alles. Mit der Erleuchtung wird der Augenblick der Wahrnehmung tausendmal klarer und spannender als alles Vorstellbare oder Erlebte, und die Erfahrung von Wonne und Eingebung reißt nicht mehr ab.

 

Schließlich gibt es die Auffassung, Buddhismus sei eine Religion. Der grundlegende Unterschied zeigt sich jedoch schon in der ursprünglichen Bedeutung des lateinischen Wortes. »Re-« bedeutet »rück«, und »ligare« heißt »verbinden«. Die aus dem Nahen Osten kommenden und seit tausend Jahren im Westen vorherrschenden Religionen versuchen also, zu etwas Vollkommenem zurückzufinden. Im Buddhismus hingegen gibt es nichts »wiederzuvereinigen«, denn es gibt kein Paradies, aus dem man herausgefallen wäre. Der Geist war seinem Wesen nach seit anfangsloser Zeit verwirrt und erkennt bei der Erleuchtung einfach den Erleber der Eindrücke – sein ihm innewohnendes, zeitloses Wesen. Und wie könnte man überhaupt einem wiederhergestellten Zustand vertrauen? Einerseits hieße das, er sei ursprünglich nicht vollkommen gewesen. Andererseits könnte man ihn dann auch irgendwann wieder verlieren.

 

Bewertet man den Buddhismus als Religion, muss man zusätzlich zwischen zwei verschiedenen Arten von Überzeugungen unterscheiden. Es gibt die stark ins Leben der Menschen eingreifenden »Glaubensreligionen« wie das Judentum, das Christentum und vor allem den Islam, deren persönliche Götter höchst menschliche Eigenschaften aufweisen. Diesen stehen die undogmatischen Erfahrungsreligionen wie einige Richtungen im Hinduismus, der Taoismus und der Buddhismus gegenüber, deren Ziel die Verwirklichung der Menschen ist. Diese beiden Arten von Religionen sind sowohl hinsichtlich ihrer Ziele als auch ihrer Methoden grundlegend verschieden.

Die heute in der Welt vorherrschenden Glaubensreligionen sind alle in einem kleinen Gebiet des Mittleren Ostens entstanden. Ihr politischer Brennpunkt ist gegenwärtig die Stadt Jerusalem. Ihre gemeinsame Wurzel ist das Alte Testament, das wohl seine jetzige Form vor 2600 Jahren fand. Die Gesellschaften des Mittleren Ostens waren – und sind bis heute – vom ständigen Überlebenskampf bestimmt. Sie sind deswegen auf männliche Leitbilder ausgerichtet, werben um Anhänger, um stärker dazustehen, und halten alles durch eine von ihrem Gott bestimmte Gesetzgebung zusammen. Aufgrund dieser Bedingungen konnte sich die Vorstellung von einer schöpfenden, strafenden und richtenden äußeren Kraft durchsetzen, deren Wahrheit anders sein musste als die der Menschen. Weil eine solche Wahrheit ihrem Wesen nach nicht überprüft, erlebt oder erlangt werden kann, muss sie geglaubt werden. Die Aufgabe der Glaubenden besteht in der Erfüllung der Wünsche solcher äußeren Kräfte oder deren Vertreter. Man arbeitet daher mit Dogmen und Bekehrung, Verboten und Geboten und muss an der dem Leben nicht entsprechenden Vorstellung festhalten, dass ein Weg für alle wahr und gut ist und die anderen unwahr und böse.

Die Erfahrungsreligionen des Fernen Ostens entstanden ungefähr zur selben Zeit, aber unter viel weniger Überlebensdruck im nördlichen Indien und China. Ihre eher gebildeten Gesellschaften waren zwar viel weniger friedlich, als viele annehmen möchten, aber sicher reiche Kulturen mit Überschuss. Viele philosophische Richtungen waren damals bekannt, und es bestand große geistige Freiheit. Unter solchen Bedingungen bekommen Religionen eine ganz andere Ausrichtung. Das Ziel wird in diesem Fall der eigene Geist, die Entfaltung des Menschen. Es gibt daher weniger Verordnungen »von außen«, um alle in eine Richtung zu zwingen. Statt unumstößlicher Glaubenssätze können unterschiedliche Wahrheiten als nützlich für verschiedene Bedingungen und Menschen anerkannt werden. Buddha zum Beispiel warnte seine Schüler davor, seinen eigenen Worten einfach zu glauben. Er wollte, dass seine Belehrungen immer hinterfragt und durch eigene Erfahrungen überprüft und bestätigt würden. Sein Wunsch für jeden war und ist die Erleuchtung.

Bei fast allen lohnt sich hierfür ein schrittweiser Weg, bis man eine unerschütterliche Grundlage von Stehvermögen, Mitgefühl, Freude und Bewusstheit entwickelt hat. Danach geht vieles immer schneller und wie von selbst, denn das gesuchte Glück wohnt jedem selbst inne. Es ist nichts anderes als der eigene Geist. Auf dem Weg zu dieser Erfahrung vertraute Buddha durchgehend auf die Selbständigkeit und Begabung der Menschen und hielt ihnen einfach den befreienden Spiegel seiner Lehre vor und zeigte ihnen immer wieder, was in ihnen selbst verborgen liegt. Das in jedem Menschen liegende Potenzial für Erleuchtung nannte er Buddhanatur. Dieses Vertrauen ist bezeichnend für den Weg und das Ziel und bildet den grundlegenden Unterschied zu allen anderen Religionen.

 

Ebenso sehr vermied Buddha das, was man heute als Esoterik bezeichnet. Obwohl der Versuch, die menschliche Wärme der 60er-Jahre durch die hart verchromten späteren Jahrzehnte zu retten, rührend ist, genügt ein rein gefühlsmäßiger Zugang zur Welt nicht. Man muss klar wissen, was ist. Bruchstücke geistigen Wissens aus unterschiedlichsten Quellen zusammengemischt, in neuer Verpackung und ohne die Bestätigung durch jahrelange eigene Erfahrung als zeitlose Wahrheiten zu vermarkten, stiftet nur Verwirrung. Solchen Weisheiten kann man sicher weniger vertrauen als den althergekommenen Lehren der Glaubensreligionen, die über jahrhundertelange praktische Erfahrung verfügen.

 

Und was lehrt Buddha Zeitloses? Er erklärt, dass eine allem zugrunde liegende Wahrheit immer und überall dieselbe sein muss, um wahr zu sein. Dass sie weder geschaffen noch erweitert oder beschädigt werden kann, sonst wäre sie nicht letztendlich. Dem Wesen nach vom Raum untrennbar, durchdringt sie alles, was ist und was nicht ist, und wer die nötigen Bedingungen schafft, kann diese Wahrheit erkennen. Dass man sie bis zur Erleuchtung nicht oder nur teilweise erfährt, ist dem entscheidenden Makel eines jeden unerleuchteten Geistes zuzuschreiben: der Unfähigkeit, sich selbst zu erkennen. Stattdessen arbeitet der ungeübte Geist so ähnlich wie ein Auge. Es nimmt alles Äußere wahr, aber kann sich selbst nicht sehen.

Alle Belehrungen Buddhas richten sich auf den Geist und auf den Weg zu seiner vollen Verwirklichung. Sucht man nach dem Zeitlosen und Unzerstörbaren, das gerade durch unsere Augen sieht, bewusst ist und die Dinge erlebt, findet sich nichts Gegenständliches. Deshalb bezeichnete Buddha das Wesen des Geistes mit dem Wort »leer«. Der Ausdruck »leer von etwas« wurde damals verwendet, um auszudrücken, dass das untersuchte Gewahrsein keine bestimmten Eigenschaften besaß. Buddha beschreibt damit nicht ein »Nichts«, kein schwarzes Loch, sondern weist einfach darauf hin, dass der Geist bzw. Erleber weder Größe noch Länge, Breite oder Gewicht hat, die ihn zu einem »Etwas« machen würden.

Ein Mathematiker würde wohl diese Essenz des Geistes als »das neutrale Element« des Erlebens bezeichnen. Ein Wissenschaftler würde von »innewohnender Möglichkeit« reden, ein Handwerker könnte sagen, »Es ist kein Ding«, und ein Liebhaber oder Krieger, der die Welt als die Verlängerung seiner Sinne erlebt, würde den Geist als »offen wie der Raum« erfahren.

Das alles bedeutet, dass, obwohl Körper sterben und Gedanken kommen und gehen, der Erleber weder geboren noch zusammengesetzt oder gemacht ist. Er bleibt deshalb auch jenseits von Tod, Zerfall oder Auflösung. Der Geist ist wie der Raum – ein zeitloser Behälter, der alles erscheinen lässt, umfasst und miteinander verbindet.

Deshalb gibt es auch nichts Äußeres, an das man glauben muss. Das erleichtert vielen den Zugang. Buddhas Aussagen sind Hilfestellungen, um sich selbst besser kennen zu lernen und dauerhaft gelassener, liebevoller und glücklicher zu werden. Jeder ist auf dem Weg für die eigene Entwicklung selbst verantwortlich. Buddha verkörpert durch sein Beispiel ein letztendliches Ziel, das für jeden erreichbar ist. Dadurch erhält man eine wirkliche Zuflucht, die man sich von Anfang an bis zur Erleuchtung immer wieder bewusst macht. Im Buddhismus nimmt man Zuflucht zur vollen Entfaltung des Geistes, eben Buddha bzw. Buddhaschaft, zu seinen Lehren, den Mitteln, die zur Erleuchtung führen, zu den Freunden, die mit einem gemeinsam den Weg gehen, und zum Lehrer, der in der Lage sein sollte, durch sein Beispiel zu überzeugen, zu begeistern und das Vertrauen in die eigene Buddhanatur zu erwecken.

Buddhas Belehrungen zu kennen ist also der Schlüssel zu dauerhaftem Glück. Buddha selbst erscheint als Lehrer, Schützer und Freund der Wesen. Mit Hilfe seiner Mittel kann man Leid vermeiden und dauerhaftes Glück erlangen. Man kann sich immer kraftvoller entwickeln und auch anderen dabei helfen. Den Begriff, der Buddhas Lehre am besten beschreibt, hat er vor mehr als 2600 Jahren selbst gewählt: Dharma – seit 1000 Jahren auf Tibetisch chö und jetzt im Westen angekommen – bedeutet: »Wie die Dinge sind«.

[home]

Buddhas Leben und Lehre

Buddhas Lebensgeschichte

Geburt und Jugend am Hof

Ein Blick auf Buddhas Leben bringt uns seine Lehre näher. Er wurde vor etwa 2560 Jahren in eine königliche Familie hineingeboren, und obwohl die meisten Darstellungen von ihm asiatisch geprägt sind, sah er wohl eher europäisch aus. Seine Sippe war wenige Jahrhunderte zuvor während der großen Völkerwanderungen aus der heutigen Ukraine nach Nordindien gezogen. Er gehörte der Kriegerkaste an, und die Texte beschreiben ihn als groß, stark und blauäugig.[1] Das Land seiner Eltern lag am Südrand des heutigen Nepal, um die Stadt Kapilavastu herum. Die Gegend war zu jener Zeit erstaunlich wohlhabend und nicht übervölkert. Ausgrabungen zeigen, dass sie sowohl verbrauchtes Wasser unterirdisch ableiteten als auch ein Heizungssystem hatten. Heutzutage ist das in Nepal meistens nicht der Fall.

Buddha selbst war keine »Jungfrauengeburt«, sondern die letzte Gelegenheit für seine Eltern, noch ein Kind und somit einen Thronfolger zu bekommen. Ansonsten wäre ihr Königreich bald verschwunden.

Ein starker Traum der Mutter kündigte die Schwangerschaft an. Groß war die Freude der Eltern, als sie einen überaus kräftigen und schönen Jungen – übrigens stehend – gebar. Allmählich kamen ihnen jedoch Bedenken, denn um den Sohn herum geschah viel Unerklärliches. Bei seinen ersten Schritten zum Beispiel erschienen Blumen auf der Erde, die er berührt hatte. Das passte viel eher zu einem Dichter, Träumer oder Philosophen als zu dem erwünschten jungen Krieger und General, der das Reich zusammenhalten sollte. Daher luden sie drei weise Männer ein; sie sollten die Zukunft ihres Sohnes, dem sie den Namen Siddhartha Gautama gegeben hatten, voraussagen. Die Einschätzung aller war gleich: »Der Junge ist sehr besonders. Wenn er nicht mit den Leiden der Welt in Berührung kommt, wird er all das verwirklichen, was ihr euch wünscht. Als Krieger und Held wird er alle Nachbarkönige überwinden, und ihr werdet stolz auf ihn sein. Erkennt er aber, dass die Welt an sich bedingt ist und daher kein dauerhaftes Glück bringen kann, wird er alles verlassen. Er wird eine neue, erleuchtende Sichtweise entwickeln und diese in die Welt bringen.«

Da sie einen Herrscher und keinen Künstler oder Aussteiger wünschten, handelten die Eltern schnell. Sie umgaben den heranwachsenden Prinzen mit allem, was ein gesunder, junger Mann mag: 500 auserlesene Frauen, Möglichkeiten für Sport, Kampfkunst und Spannung und die besten Bedingungen für eine geistige Ausbildung. Schnell beherrschte er alles, und was er auch wünschte, er brauchte nur darauf zu zeigen und erhielt es. Weil sein Speicherbewusstsein nichts Störendes aus früheren Leben enthielt, gab es auch keine unangenehmen Eindrücke, die von innen heranreifen konnten. Und so erlebte er 29 Jahre lang nur wechselnde Ebenen der Freude. Doch dann stand seine Welt plötzlich kopf.

Enttäuschung und Sinnsuche

Jahrelang hielt man alles Störende von dem jungen Prinzen Siddhartha Gautama fern, bis er mit 29 Jahren zum ersten Mal das Schloss verließ. Deshalb begegnete er den Unannehmlichkeiten des Lebens erst sehr spät, dann jedoch in ihrem vollen Umfang. An drei aufeinander folgenden Tagen sah er erst einen schmerzerfüllten, leidenden Kranken, dann einen völlig gebrechlichen Alten und schließlich einen Toten. Die Einsicht, dass diese Leiden zum Leben der Wesen dazugehören, ließ ihm keine Ruhe. Als er wieder in sein Schloss zurückgekehrt war, erwartete ihn eine schlechte Nacht: Wie er es auch betrachtete, er konnte nichts finden, was er seinen Nächsten als Zuflucht anbieten konnte. Er sah nichts, worauf wirklich Verlass war. Ruhm, Sippe, Freunde und Besitz – alles würde vergehen. Außen wie innen gab es nur Vergängliches. Nichts war wirklich und dauerhaft vorhanden.

Am nächsten Morgen kam der Prinz an einem Mann vorbei, der in tiefer Versenkung dasaß. Als ihre Augen sich begegneten, traf es den zukünftigen Buddha wie ein Schlag. Er wusste plötzlich, dass er dem auf der Spur war, wonach er suchte. Dieser Mann widerspiegelte ihm etwas Zeitloses. Durch ihn kam er dem leuchtenden Spiegel hinter den Bildern, dem Meer unterhalb der Wellen näher. Es musste einen Erleber geben, der die Dinge wahrnimmt. Nur der Geist konnte fähig sein, die Gedanken und Gefühle sowie die Umstände und Welten zu umfassen. Der künftige Buddha verstand plötzlich, dass es etwas zwischen und hinter den Vorstellungen und Eindrücken geben musste.

Er hatte jetzt eine Fährte und ahnte, dass man nur auf den Erleber vertrauen konnte, aber nicht auf dessen Erlebnisse; auf das Stete, nicht auf das Veränderliche, was erfahren wird, auf den Spiegel und nicht auf die Bilder darin. Der Anblick des Meditierenden ließ Buddha verstehen, dass der wahrnehmende Geist unzerstörbar ist, alles ermöglicht und weiß, dass seine strahlende Klarheit frei spielend alles geschehen lässt und dass die unbegrenzte Liebe alles zusammenhält. Das war es also! Augenblicklich begriff der Prinz, dass die nichtbedingte Wahrheit, die er gesucht hatte, nichts anderes als der eigene Geist selbst war. Doch das reine Wissen über den Erleber reichte natürlich nicht. Buddha kannte jetzt das Ziel, nun musste er noch den Weg dahin finden.

Zu seiner Zeit gab es keine geistige »Überholspur«, die alle Umstände des Lebens – Lieben, Schlafen, Lernen, Fahren und so weiter – in den Weg einbettet. Diese wirksamsten Mittel konnte Buddha erst nach seiner Erleuchtung der Welt schenken. Diese Belehrungen, die heute alle Lebenslagen als Spiegel für den Geist nutzen, heißen das »Große Siegel« oder im Sanskrit Mahamudra