Wie Frost im heißen Sommer - Reinhard Bottländer - E-Book

Wie Frost im heißen Sommer E-Book

Reinhard Bottländer

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Beschreibung

Brütende Hitze liegt über der Stadt, als eine Serie von Kindesentführungen die Bewohner in Angst und die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Mit Großeinsätzen wird fieberhaft nach den verschwundenen Kindern gesucht – jedoch ohne Erfolg.Ken Bergmann und sein Team sind ratlos. Was treibt den Täter an? Lösegeld? Perverse Phantasien? Es scheint kein Motiv zu geben. Dann taucht plötzlich eine Videobotschaft des Entführers auf – und ein harmloser Kinderreim lässt die Ermittler wissen, dass etwas Schreckliches passieren wird. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt… 

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Wie Frost im heißen Sommer

Kriminalroman

Reinhard Bottländer

Ken Bergmanns zweiter Fall

Über den Autor:

Reinhard Bottländer stammt aus einer Bergarbeiterfamilie. Nach acht Jahren Volksschule begann er eine Handwerkslehre und trat anschließend in den Dienst der Polizei ein. Später wechselte er von der Schutzpolizei in den Kriminaldienst. Er erwarb die Fachhochschulreife, wurde Diplom-Verwaltungswirt und im weiteren Verlauf dann Kriminalhauptkommissar. Er arbeitete in verschiedenen Kommissariaten, vor allem in der Fahndungsabteilung, in mehreren Mordkommissionen und zuletzt in der Führungsstelle der Polizei. Nach einer schweren Krankheit schied er im Jahr 2000 vorzeitig aus dem Polizeidienst aus. Schon als Kind hatte er Bilderheftchen gemalt, die er gegen richtige Hefte eintauschte. Eigene Kindheitsabenteuer gemischt mit Phantasie wurden zu seinem ersten Buch. Weitere Bücher folgten. In kurzer Zeit hatte sich Reinhard Bottländer einen Namen als Kinder- und Jugendbuchautor gemacht, hatte Geschichten für den Hörfunk geschrieben und an Anthologien teilgenommen. Nach seiner Pensionierung begann er Kriminalromane für Erwachsene zu schreiben. Mord im Sumpf ist der erste Kriminalfall für Kriminalhauptkommissar Ken Bergmann als Chef einer Mordkommission.

Darum geht es

Brütende Hitze liegt über der Stadt, als eine Serie von Kindesentführungen die Bewohner in Angst und die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Mit Großeinsätzen wird fieberhaft nach den verschwundenen Kindern gesucht – jedoch ohne Erfolg.

Ken Bergmann und sein Team sind ratlos. Was treibt den Täter an? Lösegeld? Perverse Phantasien? Es scheint kein Motiv zu geben. Dann taucht plötzlich eine Videobotschaft des Entführers auf – und ein harmloser Kinderreim lässt die Ermittler wissen, dass etwas Schreckliches passieren wird. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt…

Die Angst der Welt ist die Zeit.

Arabisches Sprichwort

Manches scheint oft

unglaublich, unfassbar, unmöglich,

bis es Wirklichkeit wird

Ungenannt

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 1

Der Juli war ein durchgehender Sonnenmonat, wobei die Temperaturen öfter weit über dreißig Grad hinausgingen. Die Hitze lag bleiern über den Straßen der Innenstadt, wo sich zwischen den Häusern kein Lüftchen regte. Die Wände aus Stein warfen die Wärme zurück, und das Glas der Schaufenster und das verbaute Metall reflektierten die Sonnenstrahlen und blendeten die Fußgänger auf der breiten Kortumstraße, die wie ein Schnitt die Innenstadt von Nord nach Süd durchteilte. Es war Mittag. Man machte Siesta. Es war so heiß, dass sich verhältnismäßig wenige Leute auf den Straßen bewegten, was nicht heißt, dass nicht genug Menschen da waren. Viele verweilten in den großen und kleinen Geschäften, die sich rechts und links der Straße und auch in den Nebenstraßen befanden, und suchten dort nach Kühle. Doch die meisten saßen draußen vor den Lokalen unter Sonnenschirmen, tranken Fruchtsäfte oder aßen Eis und bedauerten jene, die nicht wie sie im Schatten verweilen konnten.

Martina Neumüller hatte ein schattiges Plätzchen auf dem Husemannplatz gefunden, der sich mitten in der Stadt befindet und vom Amts- und Landgericht sowie von Bankgebäuden und Geschäften umrahmt wird. Etwas versetzt von der Mitte des Platzes in Richtung Gerichtsgebäude sind fünf mannsgroße, skurril wirkende Bronzefiguren aufgestellt. Hin und wieder ging Martina Neumüllers Blick zu dem Figurenensemble, wo ihre Tochter Lena mit zwei anderen Kindern um die Figuren lief und sich dann bemühte, sie zu erklettern. Martina holte aus ihrer Handtasche eine Packung Zigaretten hervor, lehnte sich zurück und begann behaglich zu rauchen. Es war bisher ein schöner Tag gewesen. Sie und Lena hatten viel Spaß beim Shoppen gehabt. Beide hatten in einer Boutique ein schönes Sommerkleid gefunden.

„Mama, du hast aber ganz schön zugenommen“, hatte Lena gesagt, als sie verschiedene Kleider anprobierte. Tatsächlich waren in letzter Zeit einige Pfunde dazugekommen. Das lag wohl an den vielen Eisbechern mit Sahne und anderen Leckereien, die sie im Laufe des bisher wunderschönen Sommers gegessen hatte. Sie war zwar nicht dick, spürte aber selber, dass sie längst nicht mehr in die Kleider aus dem Vorjahr passte.

In einer Parfümerie hatte sie noch Gesichtscreme gekauft. Sie war inzwischen zweiunddreißig Jahre alt und hatte das Gefühl, als ob sich langsam immer mehr Falten in ihrem Gesicht bildeten. Eine Antifaltencreme, für die im Fernsehen viel Werbung gemacht wurde, konnte da ja vielleicht helfen. Natürlich wollte Lena auch von diesem Einkauf profitieren. Sie war langsam auf dem Weg, eine junge Dame zu werden, und wollte sich ebenfalls schminken. Martina hatte ihr einen Lippenstift gekauft.

Am 8. August waren die Schulferien vorbei. Deshalb hatte sie geplant, an diesem Wochenende mit ihrem Lebensgefährten und Lena einen Ausflug in das nahegelegene Sauerland zu machen, nach Fort Fun, dem Abenteuerland und großen Freizeitpark. In der Wettervorhersage hatte man angekündigt, dass sich in den nächsten Tagen ein großes Tief Deutschland nähern würde. Da wollte sie die letzten Sonnentage noch ausnutzen.

Für alle Fälle wollte sie sich auch etwas zum Lesen mitnehmen und war deshalb noch in die große Buchhandlung auf der Kortumstraße gegangen. Wenn ihr Freund Rolf mit Lena in der sehr langen Wildwasserbahn oder in der Achterbahn war oder vielleicht mit ihr einen Ausritt machte, wollte sie sich lieber irgendwo hinsetzen und lesen. Ihr genügte die Natur.

Alle Bänke auf dem Husemannplatz waren besetzt. Und auch an den beiden Cafés, die sich gegenüberliegend am Rande des Platzes befinden, war kein Stuhl frei. Die Menschen scharten sich unter den Sonnenschirmen, die hier in großer Zahl aufgestellt waren. Einige kleine Bäume waren um den Platz gepflanzt und gaben ein wenig Schatten für die jungen Leute, die sich einfach auf den gepflasterten oder gefliesten Boden setzten. Martina schloss unter ihrer Sonnenbrille die Augen und ließ die warme Sonne auf ihre Gesichtshaut scheinen. Gern wäre sie noch ein wenig mehr braun im Gesicht, und die jetzige Situation ließ es zu, da noch etwas nachzuhelfen.

Ihre Gedanken gingen zu der neuen Wohnung, die sie seit zwei Monaten bewohnten. Eigentlich wäre eine neue Gardine in Lenas Zimmer nötig. Und im Flur musste eine neue Garderobe her. Die alte passte nicht mehr so richtig. Sie warf die Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie aus. Dann stellte sie die Handtasche zu den Einkaufsbeuteln zwischen ihren Beinen, kreuzte die Hände über der Brust und lehnte sich wieder zurück. Fast wäre sie über ihre Gedanken und Vorstellungen eingeschlafen. Doch dann wurde ihr bewusst, dass schon recht viel Zeit verstrichen war. Um achtzehn Uhr würde Rolf zu Hause sein. Und er würde bestimmt großen Hunger mitbringen. Deshalb riss sie sich gewaltsam aus ihren Träumereien. An den Bronzefiguren war es ruhiger geworden. Das fiel ihr jetzt auf. Kein Kindergeschrei war von dort zu hören und auch kein Kind mehr zu sehen. Sie sah in die Runde. Wo war Lena?

Na, wahrscheinlich rannte sie hier irgendwo herum. Vielleicht spielten die Kinder Verstecken. Sie stellte sich hin. Es war sehr schwierig, ein Kind zwischen den vielen Leuten und Gegenständen hier auf dem Platz ausfindig zu machen. Sie nahm die Sonnenbrille ab, um besser sehen zu können, musste sie aber sofort wieder aufsetzen, weil die Strahlen ihr Tränen in die Augen trieben. Sie nahm ihre Taschen und ging zu den Figuren. Lena und die anderen Kinder waren nicht zu sehen. Sie ging hin und her. Erst zaghaft, dann lauter werdend, rief sie den Namen ihrer Tochter. Doch sie erhielt keine Antwort.

„Entschuldigen Sie“, sprach sie eine Traube von Leuten an, die um einen Tisch herum saßen, der zu dem Café direkt neben dem Denkmal gehörte. „Haben Sie vielleicht gesehen, wohin meine Tochter gegangen ist? Die Kleine hat hier mit anderen Kindern gespielt. Und jetzt ist sie weg.“

Die Leute schüttelten ihre Köpfe. „Wie heißt sie denn?“ fragte ein Mann. „Und wie sieht sie aus?“ fragte ein anderer.

Martina wurde unruhig. „Sie heißt Lena. Sie ist zehn.“ Martina hielt ihre rechte Hand an die linke Schulter. „Sie hat lange blonde Haare. Bis hier hin. Und einen rosafarbenen Haarreif auf dem Kopf.“

„Und was hat sie an?“

„Ein rosafarbenes Sommerkleid mit weißen Blüten.“

„Ja, ich erinnere mich, so ein Mädchen gesehen zu haben. Aber ich habe nicht weiter auf sie geachtet“, sagte eine Frau. „Ich glaube aber, dass sie mit zwei Kindern hier vom Platz gegangen ist. In Richtung Rathaus“, fügte sie noch hinzu.

Martina bedankte sich, eilte um das Café zur Viktoriastraße und sah hinüber zum Rathaus. Von Lena war weit und breit nichts zu sehen. Die Unruhe in ihr wurde größer. Auf einmal merkte sie, wie sie anfing zu zittern. Angst kam hoch, ganz langsam und dann immer stärker. Und Verzweiflung. „Ich habe ihr doch immer wieder gesagt, dass sie mir Bescheid sagen soll, wenn sie irgendwo hingeht“, stieß sie aus. „Na warte, wenn ich dich habe, dann ...“

Schlagartig wurde ihr bewusst, dass dann gar nichts sein würde, dass sie Lena in ihre Arme schließen würde, dass sie glücklich wäre, wenn sie ihre Tochter wieder wohlbehalten bei sich hätte. Da wäre kein Sinn mehr nach Strafe. Nein, sie wollte sie nicht strafen, sie wollte sie nur wiederhaben, jetzt, so schnell wie möglich. Wo konnte sie sein? Wo war sie hingegangen? Was sollte sie tun?

Sie entschloss sich, zum Rathaus zu eilen. Vielleicht war sie ja irgendwo dort. Eine lange Zeit war in der Innenstadt eine große Baustelle gewesen. Überall standen noch Baufahrzeuge herum, überall waren noch Handwerker dabei, die restlichen Arbeiten auszuführen.

Vielleicht wollte Lena sich die Bauarbeiten ansehen? War nicht ein Junge dabei gewesen? Vielleicht wollte der sich die Arbeiten ansehen, und Lena war mitgegangen? Jungen interessierten sich ja manchmal für Baustellen, bewunderten die Kräne, Baufahrzeuge und Maschinen. Ja, das konnte sein. Vielleicht fand sie Lena irgendwo an der großen Rathauskreuzung, zusammen mit anderen Kindern.

Die Rathauskreuzung war keine hundert Meter entfernt. Hastig eilten ihre Blicke hin und her. Sie suchte sich immer wieder neue Standpunkte, um die Gegend besser zu übersehen. Viele Leute strömten aus allen Richtungen herbei und verliefen sich wieder. Von Lena war weit und breit nichts zu sehen.

Lieber Gott, bitte lass mich meine Lena finden, flehte sie innerlich. Sie merkte, wie ihre Angst sogar auf den Darm schlug und wie ihr regelrecht vom Magen aus schlecht wurde. Wo war Lena? Ihr war doch wohl nichts passiert? Hatte sie vielleicht einen Unfall? Sofort verwarf sie diesen Gedanken wieder. Das hätte sie gemerkt, wenn ein Krankenwagen gekommen wäre. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie widersinnige Gedanken bekam. Doch dann hatte sie eine Idee, eine Idee wie ein Rettungsanker. Na klar, Lena war ganz woanders herumgelaufen. Die Frau am Café hatte sich geirrt. Sie hatte Lena gar nicht gesehen. Sie war sich ja auch ganz und gar nicht sicher gewesen. Das hatte sie doch selber gesagt. Bestimmt wartete Lena an der Bank auf dem Husemannplatz auf sie, suchte sie, war vielleicht verängstigt, weil ihre Mama nicht da war.

Auf einmal war Martina wieder fit, ihre ganze Energie kam zurück. Das war es. Lena wartete bestimmt schon auf sie. Sofort eilte sie los, hinüber zur Kortumstraße und dann hinauf zum Husemannplatz. Was sollte auch passieren? An so einem Tag. Mitten in der Stadt.

Alles Quatsch! Du hast dir mal wieder unnötige Sorgen gemacht.

Während des strammen Gehens schüttelte sie den Kopf, lachte sogar einmal gequält auf. So ein Blödsinn, dachte sie. Was machst du dich eigentlich verrückt. Gleich kommst du zur Bank am Husemannplatz. Da steht dann Lena. Du nimmst sie in die Arme und gehst dann schnell nach Hause, damit es keinen Ärger mit Rolf gibt.

Sie sah auf die Uhr. Es war schon halb sechs durch. Sie würde es nicht schaffen, rechtzeitig zu Hause zu sein. Aber das war ja auch egal. Hauptsache, sie fand gleich ihre Tochter. Den Ärger mit Rolf würde sie schon überstehen.

Sie hastete weiter.

Ganz plötzlich kamen die schlimmen Gedanken wie ein Keulenschlag zurück. Was, wenn Lena nicht auf dem Husemannplatz war? Sie hatte das Gefühl, als würde plötzlich alles Blut aus ihrem Körper nach unten sinken. Fast wäre sie ohnmächtig geworden. Nur mit Mühe konnte sie sich an einer Hauswand abstützen. Auf einmal hatte sie das Gefühl, laut losschreien zu müssen, die tiefe Angst hinauszuschreien. Raus damit. Nur mit äußerster Mühe konnte sie sich auf den Beinen halten und den Schrei unterdrücken. Am liebsten hätte sie in die nächste Ecke gekotzt. Ihr war speiübel. Unter Aufbietung aller Kräfte eilte sie weiter. Je näher sie dem Husemannplatz kam, desto schneller schlug ihr Herz. Sie fühlte den Pulsschlag am Hals, in den Gliedern, irgendwie überall im Körper. Ihr Hals war trocken, und das innerliche Zittern war noch stärker geworden. Sie erreichte den Platz. Wie irre flog ihr Blick über die Leute und machte sich an der Bank fest, auf der sie vorher gesessen hatte. Lena war nicht da. Das war zu viel. Ihre Beine zitterten, ihre Taschen fielen zu Boden, sie sank auf die Knie und fiel dann lang auf das Pflaster.

Ken Bergmann sah sie fallen. Sofort eilte er zu ihr. Auch andere eilten zu Hilfe. „Kann mal jemand Wasser besorgen?“ fragte er. Er kniete neben der Frau und hatte ihren Kopf auf seine Oberschenkel gelegt. Er sah sofort, dass sie sich bei dem Sturz nicht schwer verletzt hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, dann erschien eine Kellnerin, die zum Glascafé gehörte, und brachte Wasser.

„Bestimmt hat die Sonne sie umgehauen“, meinte jemand von denen, die um die Frau herumstanden.

Ken gab ihr zu trinken und befeuchtete ihre Stirn und die Haut hinter ihren Ohren. Martina Neumüller kam wieder zu Bewusstsein. Ken half ihr, aufzustehen, und setzte sie auf eine nahegelegene Bank, die man freigemacht hatte. Plötzlich löste sich die ganze Anspannung in ihr, und sie begann so heftig zu weinen, dass dabei ihr ganzer Körper durchgeschüttelt wurde.

Ken begriff sofort, dass diese Frau unter einer fürchterlichen nervlichen Belastung stand. Geduldig wartete er auf den Augenblick, wo er sie fragen konnte, was mit ihr los war. Selbst die kleine Menschentraube, die sich um sie versammelt hatte, verhielt sich ruhig.

„Meine Tochter ist weg“, stammelte Martina. „Sie war hier, und jetzt ist sie weg.“

„Wie lange denn schon?“

„Es ist fast zwei Stunden her.“

„Wo haben Sie sie denn zuletzt gesehen?“

„Da, am Denkmal“, sagte sie und zeigte mit einer schwachen Geste hinüber zu den Bronzefiguren. „Das war vor zwei Stunden. Und seitdem ist sie weg.“

„Ich bin Polizeibeamter. Machen Sie sich keine Sorgen. Die meisten Kinder kommen nach ein paar Stunden zurück. Kinder vergessen schon mal beim Spielen die Zeit und stromern gerne herum. Vielleicht hat Ihre Tochter eine Freundin oder Klassenkameradin getroffen und steht jetzt irgendwo mit ihr und lacht sich über irgendetwas halb tot. Ich werde sicherheitshalber meine Kollegen informieren. Die werden sich dann um die Sache kümmern. Gibt es jemanden, den ich benachrichtigen kann?“

„Ja, meinen Partner Rolf Hagedorn. Ich habe leider kein Handy dabei, sonst hätte ich ihn schon längst angerufen. Er müsste jetzt von der Arbeit zu Hause sein.“

„Dann sagen sie mir doch mal ihre Telefonnummer von zu Hause.“ Ken holte sein Handy hervor und wählte die Nummer, die sie ihm angab. In kurzen Worten erklärte er, was los war. „Ihr Freund kommt so schnell er kann“, sagte er zu Martina. Dann wählte er die Nummer der Kriminalwache. Es dauerte keine zehn Minuten, da waren ein Streifenwagen der Schutzpolizei und ein Team der K.-Wache am Ort. Ken kannte die Kollegen. Er begrüßte sie kurz und erklärte dann, was vorgefallen war. Die Beamten machten sich Notizen, erfragten Namen, Wohnort und Telefonnummer, ließen sich eine Beschreibung des Mädchens geben und fragten nach Freunden, Freundinnen, Verwandten und Bekannten.

„Wir teilen uns am besten auf“, schlug Jens Struck vor und wandte sich an seine Kollegen von der Schutzpolizei. „Wir werden uns in der elterlichen Wohnung umsehen. Ihr fahrt bitte durch die Stadt und haltet die Augen nach dem Kind auf. Über Lautsprecher macht ihr bitte Fahndungsdurchsagen. Vielleicht haben wir Glück, und jemand gibt euch Hinweise auf das Kind.“

„Okay, dann fahren wir jetzt los und halten Ausschau“, sagte der Streifenführer. „Sollen wir schon mal über Funk eine Suchmeldung herausgeben?“

„Ja, prima. Wir bleiben in Verbindung.“

In diesem Moment kam mit schnellen Schritten Rolf Hagedorn heran. Er war groß, etwa eins neunzig, und damit gut einen halben Kopf größer als Ken. Ein dichter Schnauzbart über der Oberlippe mit nach oben gedrehten Bartspitzen erinnerte Ken sofort an Kaiser Wilhelm. Seine Aufregung konnte auch Hagedorn nicht verbergen. Martina Neumöller stemmte sich von der Bank hoch und fiel ihm in die Arme.

„Hatten wir miteinander telefoniert? Sind Sie der Kriminalbeamte, der mich angerufen hat?“ fragte Hagedorn nach einiger Zeit. Er hielt immer noch Martina Neumöller schützend in seinen Armen.

„Ja, das ist richtig.“

„Leiten Sie die Suchaktion?“

„Nein, ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen, als Frau Neumöller umfiel. Nachdem ich erfahren hatte, was passiert war, habe ich meine Kollegen alarmiert. Die werden sich um alles kümmern. Ich schlage vor, dass Sie Ihre Lebensgefährtin erst mal zu einem Arzt bringen, damit sie eine Beruhigungsspritze bekommt“, sagte Ken.

„Anschließend sollten Sie mit ihr nach Hause gehen, damit wir wissen, wo wir Sie erreichen können“, schlug Jens Struck vor. „Falls wir Lena nicht finden, müssen wir auch bei Ihnen zu Hause nachsehen. Vielleicht führt sie ja ein Tagebuch oder ähnliches, wo wir Anhaltspunkte für ihren Verbleib finden können. Vielleicht hat sie auch auf dem Dachboden oder im Keller ein Versteck, wo sie sich jetzt aufhält. Es könnte ja sein, dass sie Angst vor Ihnen hat, weil sie ungehorsam war. Das müssen wir auf jeden Fall überprüfen.“ Jens Struck übergab eine Visitenkarte an Rolf Hagedorn. „Das ist die Telefonnummer der Kriminalwache. Die Kriminalwache ist eine Art Notdienst der Kriminalpolizei nach Büroschluss. Sie können uns über die K.-Wache jederzeit erreichen. Auch nachts. Die K.-Wache ist bis morgens um sechs besetzt. Dann übernimmt wieder der normale Bürodienst die Arbeit.“

Rolf Hagedorn betrachtete kurz die Visitenkarte und steckte sie dann ein. „Danke. Ich werde mich sofort melden, wenn wir zu Hause sind.“

„Vielleicht ist Lena ja bis dahin schon wieder zurück“, versuchte Ken zu beruhigen.

Hagedorn nickte. Dann nahm er die Taschen und Martina Neumöller am Arm und verließ mit ihr den Husemannplatz. Ken und die beiden Beamten der Kriminalwache sahen ihnen nach.

„Was denkst du?“ fragte Jens Struck.

Ken Bergmann wiegte den Kopf. „Bei Kindern werde ich immer elektrisch. Und das liegt nicht nur daran, dass ich selbst zwei Mädchen in dem Alter habe. Es passiert in letzter Zeit zu viel.“

„Gott sei Dank kommen von über vierhundert Kinder, die im Schnitt im Jahr in Deutschland verschwinden, fast alle wieder heile zurück.“

„Ja, aber wenn nur einem Kind etwas passiert, dann ist das schon schlimm genug. Deshalb gehen wir ja bei Kindern sofort von einer Gefahr für Leib oder Leben aus, wenn sie, ohne Bescheid zu sagen, ihren gewohnten Lebensraum verlassen.“

„So ist es. Deshalb werden wir uns jetzt auch auf die Suche machen.“

Die Männer verabschiedeten sich. Bevor sie sich endgültig trennten, sagte Ken noch: „Ich bin zwar nicht im Dienst, die Sache mit der kleinen Lena interessiert mich aber sehr. Ruft mich auf jeden Fall zu Hause an, wenn es etwas Neues gibt. Okay?“

„Alles klar, machen wir“, sagte Jens Struck beim Einsteigen in den Dienstwagen. Dann fuhren die beiden Kriminalisten im Schritttempo durch die Fußgängerzone. Es war Freitag, der 28. Juli. Die Suche nach Lena Neumüller begann.

Kapitel 2

Es war halb elf nachts, als das Telefon klingelte. Ken stand sofort auf und ging an den Apparat. Die Kriminalwache war dran. „Du musst sofort zum Dienst kommen“, sagte Stefan Kaiser. Er hatte mit seinen anderen Kollegen vor einer halben Stunde seinen Dienst aufgenommen und damit die Gruppe abgelöst, die den Spätdienst gemacht hatte. Das war die Diensttour, zu der auch Jens Struck gehört hatte.

„Was ist denn los?“

„Ein Mädchen wird vermisst.“

„Ich weiß.“

„Alle Beamten, die irgendwie abkömmlich sind, werden angefordert. Wir haben bereits eine große Suchaktion durchgeführt. Jetzt werden die bereits eingesetzten Kräfte mit allen noch zur Verfügung stehenden Beamten zusätzlich aufgestockt, um einen noch größeren Radius abzudecken. Die Einsatzhundertschaft und alles, was sonst noch greifbar ist, wird eingesetzt.“

„Alles klar. Ich komme sofort.“ Ken legte den Hörer auf. Verdammt, das sah schlecht aus. Es gab allen Grund, sich große Sorgen zu machen. Was war mit dem Mädchen passiert?

Er eilte ins Bad, schaufelte sich einige Male mit den Händen Wasser ins Gesicht, um sich wieder frisch zu fühlen, und kämmte sich dann schnell noch die Haare. Soviel Zeit musste sein. Er warf noch einen kurzen, abschätzenden Blick in den Spiegel. Die ersten richtigen Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben, besonders in den Augenwinkeln. Bei dreiundvierzig Lebensjahren ist das ja auch kein Wunder. Da sahen andere schon eine Ecke runzeliger aus, schoss es ihm durch den Kopf. Und seine mittelblonden, gescheitelten Haare waren auch noch alle da. Weit und breit war kein Ansatz für eine Glatze zu erkennen, nicht mal für graue Haare. Er war mit sich zufrieden, als er das Bad verließ.

„Wird das Mädchen immer noch vermisst?“ fragte Katharina, Kens Ehefrau. Sie hatte schon im Bett gelegen, war aber nun aufgestanden und in den Wohnungsflur gekommen, wo Ken gerade dabei war, sich seine dünnste Sommerjacke anzuziehen. Das war notwendig, damit man seine Dienstwaffe am Hosenbund nicht gleich sah. Es war auch jetzt noch sehr warm, und am liebsten wäre er ohne diese Jacke ausgekommen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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