Wie geht´s der Katze? - Erich Glavitza - E-Book

Wie geht´s der Katze? E-Book

Erich Glavitza

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Beschreibung

Ein angehender Pilot nimmt eine kleine herrenlose Katze bei sich auf. Kurz darauf erhält er ominöse Nachrichten: »Wie geht´s der Katze??« – doch wer weiß von seiner Katze? Die mysteriösen Vorfälle nehmen zu und seine Neugierde treibt ihn dazu, sich auf ein Blind Date mit einer völlig Unbekannten einzulassen. Doch es ist ein gefährliches Spiel, auf das er sich einlässt – ein BDSM-Spiel, bei dem er völlig die Kontrolle verliert ... „Eine erfrischende Sprache und erstaunliche Wortgewandtheit. Wie geht’s der Katze macht einfach Spaß, egal ob man auf BDSM steht oder nicht.“ Victor Lassier

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Seitenzahl: 440

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Impressum

Erich Glavitza

Wie geht´s der Katze?

Eine Katze, ein Pilot und drei Dominas

ISBN 978-3-96615-025-5

(c) 2020 Schwarze-Zeilen Verlag

2. Auflage 2023

www.schwarze-zeilen.de

Alle Rechte vorbehalten.

Coverfoto: ©Maksim Shmeljov – stock.adobe.com

1 Hinweis

Der Roman enthält an einigen Stellen erotische Szenen mit BDSM-Kontext. Deshalb ist er nur für Erwachsene geeignet, die sadomasochistischen Praktiken offen gegenüberstehen. Alle beschriebenen Handlungen erfolgen in gegenseitigem Einverständnis zwischen Erwachsenen.

Bitte achten Sie darauf, dass das Buch Minderjährigen nicht zugänglich gemacht wird.

Viel Spaß beim Lesen dieses Buches.

1

Die Katze ist nicht schuld. Das Frühstück bereits serviert, wir sammeln die leeren Teller und Bestecke ein. Ich wende mich zur Seniorstewardess und entdecke ein schwarzes Wollknäuel am Boden. Hebe das Knäuel auf, damit niemand drüber stolpert. Da bemerke ich, dass sich das Wollknäuel bewegt, dann der Gedanke wie ein Blitz in meinem Kopf: Der Wollknäuel ist kein Wollknäuel – was sich da am Boden rührt, ist eine kleine Katze!

Im ersten Moment weiß ich nicht recht damit etwas anzufangen. Eine kleine Katze hier hoch oben über dem Atlantik, wahrscheinlich knapp vor Irland, Flightlevel 350. Zwischen Toilette und Bordküche, gleich neben dem Vorhang zu den ersten Reihen der Businessklasse, eine Katze? Was soll der Unsinn? Ich schau noch einmal hin. Na klar, keine Fata morgana! Da unten sitzt ein kleines Büschel in schwarzem, struppigem Fell und sieht mich an.

»Oh Gott, Andrea«, stammle ich zur Seniorstewardess, die mit dem Rücken zu mir in der Bordküche werkt und mich nicht hört. Ich mache einen weiteren Versuch, da dreht sie sich etwas ungeduldig um: »Ja, was denn nun schon wieder?«

»Eine Katz‹«, sage ich und zeige auf den Boden.

Sie schüttelt den Kopf, zieht die Mundwinkel nach unten und sagt: »Geh, was soll der Unsinn?«

Dann blickt sie auch hinunter.

»Jössas, eine Katze!«, ruft sie.

Ihre sonst so herben Gesichtszüge verwandeln sich sofort lieblich, ja, engelhaft und kniet nieder, umschließt die kleine, weiche Fellkugel mit ihren Händen und steht auf.

»Woher ist sie gekommen?«

»Woher soll ich das wissen? Sie war auf einmal da.«

»Wo?«

»Na, da.« Ich zeige auf den Vorhang zur Businessclass.

Andrea gibt dem kleinen Engel einen zärtlichen Kuss und geht freundlich lächelnd in die Businessclass und ich höre, wie sie die Passagiere höflich fragt, wem dieser liebe Passagier entkommen ist. Ich wende mich den Containern zu und prüfe alle Verschlüsse. Hatte die Katze rasch vergessen und konzentriere mich auf die Container und die Bestandslisten. Andrea kommt zurück und sagt, dass die Katze niemand abgeht. Das gibt´s doch nicht, denke ich.

Sie schüttelt den Kopf und meint, sie würde in der Economy fragen. Auf Englisch und Deutsch versucht sie über das P.A.-System den Katzenbesitzer zu finden. Dann nimmt sie unseren kleinen Passagier und geht bis nach hinten zu den letzten Reihen.

Ein Passagier hätte gerne noch einen Kaffee, kein Problem, sage ich und mache weiter. Dann spüre ich Andrea hinter mir und drehe mich zu ihr um. Sie hält noch immer die Katze an ihrer Brust und schüttelt den Kopf. Die gehört niemand, wiederholt sie.

Ich schiebe den vollen Container in den Küchenbereich, verstaue ihn im Regal und hol den nächsten. Bevor ich wieder zu den Passagieren hinausgehe, sage ich ihr noch schnell, sie soll entspannt bleiben, ich würde das allein machen.

Bleib entspannt, war eine von mir beliebte Redewendung und Andrea muss dabei immer lachen.

Als ich fertig bin, sie hatte inzwischen das Frühstück vom Cockpit entsorgt, setzen wir uns. Was soll jetzt mit der Katze geschehen?

»Stefan, du hast sie gefunden ... sie ist jetzt deine Katze«, und zeigt auf mich.

»Aber Andrea ...«, protestiere ich.

Sie winkt ab. »Ich kann die Katze nicht nach Hause nehmen, ich habe zwei ausgewachsene Schäferhunde, das überlebt sie nicht.«

Nach einer Pause sagt Andrea weiter: »Bei dir passt sie gut. Katzen sind eigenständig, leicht zu füttern und deine Junggesellenwohnung ist der ideale Platz. Außerdem hat so ein liebes Tier einen guten Einfluss auf dich.«

In einem Großmarkt nahe der Ankunftshalle kaufe ich Katzenfutter, Katzenstreu und einen Napf. Andrea hilft mir dabei. Bevor ich zum Auto gehe, ruft mir Andrea noch nach, ich soll nicht vergessen morgen gleich zum Tierarzt zu gehen, ich sollte sie gleich gegen alles impfen lassen. Erzähl ihm die ganze Geschichte, sagt sie noch, dann weiß der schon, was zu tun ist.

Ist das eine Katzine oder ein Katzerich, will ich noch schnell von ihr wissen und sie schüttelt den Kopf, als wollte sie sagen, wir Männer wüssten überhaupt nichts. Es sei natürlich ein Kater – und vergisst nicht hinzuzufügen, das wüsste doch jeder gleich beim ersten Hinschauen. Ich bin nicht sonderlich deprimiert, hatte sie doch den ersten Studienabschnitt auf der Veterinärfakultät der Wiener Uni hinter sich, bevor ein ungeplantes Kind ihre wissenschaftlichen Ambitionen beendete. Nach weiteren guten Ratschlägen gehe ich zum Auto und bastle ihm mit einem Handtuch ein kuscheliges Nest. Das Fellknäuel blickt mich an, gähnt, schließt die Augen und schläft ein. Während der Fahrt streichle ich sanft über den weichen Kopf meines neuen Partners. Knapp vor Wien ist ein Stau. Tempo runter, Stillstand. Ich kraule mit meinem Zeigefinger die Stirn und sag in die Stille: »Ich taufe dich im Namen des Universums auf den Namen Gato.«

Er scheint von dem Prozedere nicht sonderlich berührt und schläft tief und fest. Ab und an zucken seine fest verschlossenen Augen. Auch Katzen haben die REM-Phase, denke ich.

Gato träumt. Von mir? Woher er kommen mag? Hat er sich in New York in den Flieger geschlichen? Ist Gato ein amerikanischer Staatsbürger? Nein, Blödsinn, wenn dann amerikanische Staatskatze. Wahrscheinlich irgendwo zwischen Terminals im JFK-Airport geboren. Presswehen unter dem Getöse der Turbinen von startenden Jetlinern. Gato bekommt für seine erste Nacht einen Platz in meinem Schlafzimmer. Zwei große Badetücher, eine Plastikschüssel mit Katzenstreu und ein kleiner Napf mit Futter für Kleinkatzen. Um drei in der Nacht wache ich auf. Kratzgeräusche in der Finsternis. Im ersten Augenblick fehlt mir der Zusammenhang und ich mache Licht. Ach ja, wir wohnen seit heute zu zweit. Ich sehe Gato mitten in der Katzenstreu. Er sieht mich an, sein Maul öffnet sich zu einem fast lautlosen Miau, er steigt aus der Kiste, hinterlässt einen kleines dunkles Würstel, geht auf die Handtücher zu, rollte sich ein und schließt die Augen. Ich dreh das Licht aus.

Gato muss ein Frühakademiker sein, wenn er weiß, dass das Kisterl zum Scheißen da ist. Er muss ein Genie sein. Nicht einmal Einstein hat in diesem Alter gewusst, wozu Klos da sind. Aber der Zwerg Gato weiß es! Und zwar um drei in der Nacht. Wacht auf, spürt Druck im Darm, blickt mit seinen Radaraugen herum, sieht das Häusl und weiß was sich gehört, denke ich. Ein kluges Kind, nein, eine kluge Katz. Schon etwas frühreif, wahrscheinlich. Seinem Alter weit voraus. Wer weiß, was aus dem Gato einmal wird. Ein Quantenphysiker, Chirurg, Mathematiker - widerlegt Gödel. Dann muss ich eingeschlafen sein. US-Flüge schlauchen.

Bevor ich mit meinem Koffer wieder zum Flughafen fahre, habe ich Gato ein Trainingsgerät gebastelt. An der Seite meines Schreibtischs habe ich einen Galgen geheftet, mit einer Schnur und einem Tennisball daran. Ein Punchingball für Gato. Ich werde am Abend wieder zurück sein und er wird wie einer der größte Boxer aller Zeiten, Sugar Ray Robinson, um den Ball tanzen.

Obwohl diese Flüge nach Zürich kürzer dauern als eine Kuh furzt, sind sie genauso anstrengend wie ein Flug nach Osaka – solange kann keine Kuh furzen, nicht einmal mit Nachbrenner, denke ich, als ich mit der Fernbedienung das Gartentor öffne. Bevor ich ins Haus gehe, noch schnell ein Sprung zum Briefkasten. Hole das dicke Bündel raus und wende mich zum Mistkübel, der gleich danebensteht. Die dicken, fetten Prospekte vom Universale-Versand, ein Monatsheft von den Wiener Stadtwerken ... ich schüttle meinen Kopf, öffne mit dem Ellbogen den Deckel zum Container und versenke gleich dreiviertel des überflüssigen Papierpackens im Müll. Dann Rechnungen über Wasser und Kanal, eine Mahnung vom Computerladen, die PC-Reparatur habe ich noch nicht bezahlt. Dann ein weißes Kuvert, vorne nur mit »Stefan« adressiert, ohne Absender, keine Marken, ohne Datum ... nichts. Was soll das? Ein steirischer Briefbomber der, statt Most Pflanzenschutzmittel in seinen Plutzer geschüttet hatte? Nein. Dazu ist der Brief zu dünn.

Ich versuch mit dem Fingernagel das Kuvert zu öffnen. Geht nicht. Der Depp hat das Ganze zu gut verklebt. Ich werde ungeduldig und beiße einfach ein Eck ab. Dann wieder der Fingernagel. Scheiße! Ich werfe den Blödsinn gleich in den Mist. Noch einmal die Zähne. Jetzt aber anständig und reiß gleich das halbe Kuvert auseinander. Dafür habe ich jetzt Papiergeschmack im Mund und spucke die Papierfuzeln auf den Boden.

Ziehe ein weißes Blatt heraus.

Mit Tinte geschrieben: »Wie geht´s der Katze?«

Ich lese noch ein paar Mal über die Zeilen. Was soll das? Wer will das wissen? Kein Name. Ich hole das zerknüllte Kuvert aus dem Müll und drehe, wende es ... nein, kein Absender, nichts. Dann wieder das Blatt Papier. »Wie geht’s ...«

Ja, weiß schon! Auch wenn ich es fünf Mal lese, wird´s nicht mehr. Die Schrift? Mit Tinte, breite Feder, schwungvoll ... kenne die Schrift nicht. Stecke das Blatt in meine Hosentasche und gehe ins Haus. Im Vorzimmer rufe ich laut: »Gato, Gato, miau, Gato ...« Der Kater muss glauben, ich habe einen Knall. Ich ziehe die Schuhe aus, dreh mich um, will noch einmal rufen, da steht er neben mir. Vielleicht hat er mich schon seit Minuten still beobachtet. Er sieht mich an, miaut leise, hockt sich vor mich hin und beginnt seine Pfote zu lecken, als wäre ich nicht hier.

Ich hebe Gato hoch und gehe in die Küche, drück mir einen Espresso aus dem Automaten, dann ins Wohnzimmer und setze mich in den Schaukelstuhl. Gato auf meinem Schoß, ich lese ein Buch. Bald schläft er tief und fest auf meinem Bauch. Am Abend habe ich TV-Großkampftag. Aus dem MGM in Las Vegas wird der Kampf im Federgewicht zwischen Erik Morales und Francisco Hernandez gezeigt. An so einem Abend will ich nicht gestört werden. Nicht einmal Demi Moore darf mir heut ans Hosentürl. Heute muss sie warten. Leider. Pech für sie. Wahrscheinlich zwölf Runden lang. Hernandez wird es Morales schwer machen. Keine g´mahte Wiesen für meinen Lieblingsboxer.

Diesen spindeldürren, arroganten Zwerg aus Tijuana, hatte ich während eines Urlaubs in Aguascalientes in Mexiko kennengelernt. War sogar am Morgen mit ihm joggen. Er hat im selben Stockwerk gewohnt wie ich. Toller Bursche. Der geborene Boxer. Ein Boxer aller Boxer, denke ich und trinke Corona aus der Flasche, wie damals in Aguascalientes.

Zuerst wird die Hymne für den Gast aus Venezuela gespielt. Hernandez singt mit, Morales gähnt und schaut gelangweilt zu Boden. Auch Gato gähnt auf meinem Bauch. Er gähnt auch, als Hernandez nach einem rechten Aufwärtshaken am Boden kniet und seinen Kopf schüttelt, weil Eriks Faust irgendwo aus dem Universum geschossen kam. Meine Unruhe überträgt sich auf die Katze, als Hernandez die siebte Runde mit einem Schlaghagel eröffnet, der eine halbe Stadt ausgerottet hätte. Aber Erik ist Kummer gewöhnt. Mexikaner sind wie niemand sonst auf dieser Welt in der Lage, erhobenen Haupts durch Feuer zu gehen. Mitte der siebten Runde fängt Hernandez einen Leberhaken, der von Morales schöner aus der Hüfte gedreht kommt, als es in den besten Lehrbüchern der Welt jemals beschrieben werden kann.

Als der Mann aus Venezuela bei sieben noch einmal hochkommt, erhebe auch ich mich aus dem Schaukelstuhl, denn nun geht´s zum Vaterunser. Schlussendlich ist es eine rechte Gerade, durch die Führungshand wohl vorbereitet, die mitten aus dem Nichts angeflogen kommt und Hernandez sich lange an nichts mehr erinnern kann. Als er aufwacht, glaubt er sich eben geboren. Gato wird mir immer unheimlicher, denn als Hernandez wie vom Blitz getroffen zu Boden fällt, haucht er ein leises »Au« ... oder hatte ich das »Mi« überhört?

Am nächsten Tag spazieren wir durch die Wiener Innenstadt. Ich nehme ihn in meine bevorzugten Kaffeehäuser mit und stelle ihn den wichtigsten Kellnern vor. Damit kann man nicht früh genug beginnen, denke ich. Sollte er später einmal Strawanzen gehen, gar auf Aufriss unterwegs sein, es gibt genügend fesche Katzen in Wien, so soll er immer wissen, wo es Unterschlupf und frisches Katzenfutter gibt.

Ich bin dann volle vier Tage weg. Es geht nach Dubai. Mela, meine gute Seele aus der Slowakei, die meine Hemden und Hosen bügelt und dafür sorgt, dass meine Wohnung nicht als Senkgrube endet, versorgt Gato. Wir fliegen um Mitternacht retour und kommen am frühen Morgen in Wien an. Nach dem Groundcheck und den üblichen Postflight-Formalitäten schleppe ich mich gerädert zum Auto.

Nach solchen Nachtabenteuern kommt mir die Fahrt nach Hause immer viermal so lang vor als sonst. Meine Gesichtszüge werden sofort wieder pudelmunter ... oder soll ich ab jetzt katzenmunter denken, denn Gato sitzt im Vorzimmer und begrüßt mich mit einem leisen »Miau«. Ich küsse ihn, hebe ihn an meine Brust und gehe ins Wohnzimmer. Meine Post liegt am Schreibtisch und Mela, die gute Seele, hat den Packen bereits vom Reklameschrott befreit. Ein paar Rechnungen, Strom, Gas, eine Mahnung vom Installateur, ein Brief vom Handybetreiber und ... und ein weißes Kuvert, vorne mit Füllfeder steht nur »Stefan«.

Diesmal lasse ich meine Zähne in Frieden und nehme ein spitzes, scharf geschliffenes Messer, schlitze den Brief mit einem Schnitt auf.

Ich ziehe einen weißen Zettel heraus: »Geht´s der Katze gut?«

Was soll der Blödsinn? Was heißt: Geht´s der ...? Ich setze mich in den Schaukelstuhl, Gato auf meiner Brust, den Zettel in der Rechten. Ich dreh das Blatt Papier ein paar Mal um, halte es gegen das Licht. Nein, nichts Besonderes. Normales weißes Briefpapier, keine Wasserzeichen. Elegant geschwungene Schrift, mit Tinte, wahrscheinlich Füllfeder. Teurer Füllfeder, Montblanc oder Parker. Ich strecke mich nach meinem Schreibtisch und greife nach meiner Hemingway Replica und schreibe ein paar Wörter knapp unter den Zeilen des Absenders. Könnte so ein Füller gewesen sein.

Nehme ein Vergrößerungsglas und vergleiche die Tinte ... aber was soll der Blödsinn? In der Tinte steht der Name des Schreibers sicher nicht. Gato schnurrt und ist auf meiner Brust eingeschlafen. Ich schau ihn von der Seite an, wer mag sich für dich interessieren?

Durch Zufall begegne ich am nächsten Morgen Andrea, die Senior vom letzten US-Flug. »Hallo, Andrea.«

Sie winkt nur kurz, weil sie sich grad mit ihrem Captain unterhält. Ich warte eine Weile. Als sie mit ihrem Gespräch fertig ist, der Captain mit seinen Unterlagen weggeht, sag ich ihr, Gato gehe es gut. Sie blickt irritiert auf. So, wer soll das sein? Na, meine Katze, kannst du sich nicht mehr erinnern. Gato? Nie gehört, sie schüttelt den Kopf. Na, die kleine Katze, vom Cockpit. Ach so. Sie schlichtet ihre Papiere, hört nicht richtig zu.

»Willst du nicht wissen, wie´s ihr geht?«

Sie sieht mich erstaunt an, schüttelt wieder ihren Kopf. »Wieso sollte mich das interessieren?«, fragt sie.

Da merke ich, dass ich mit meiner Vermutung völlig falschliege. Ich entschuldige mich. »Tut mir leid Andrea, ich dachte, du hättest dich nach der Katze erkundigt.«

»Nein ... aber wenn du es schon erwähnst, wie geht´s ihr?«

»Gut, sehr gut. Ich habe sie Gato getauft und sie gleich am nächsten Tag zum Tierarzt gebracht. Wie du es mir empfohlen hast.«

»Ja, und?«

»Er hat gesagt, sie sei pumperlgesund, soweit er das auf den ersten Blick beurteilen könne. Impfte sie, gab mir Wurmtabletten und das war´s auch schon.«

Ob die Katze nun bei mir bliebe, will sie noch im Weggehen wissen, ist aber nicht wirklich interessiert, wie ich merke. Trotzdem antworte ich mit meinem ganzen Charme: »Ja, freilich, sie bewacht meine Wohnung.«

»Schön für dich. Wiedersehen Stefan, fliegt ihr heute?«

»Ja, nach Moskau.«

»Auch schön«, antwortet sie kurz und rauscht ab.

Also von Andrea kommen die Briefe nicht. Es dauert zwei Wochen, bis wieder ein weißes Kuvert mit der Aufschrift »Stefan« im Briefkasten liegt. Diesmal hat der Absender den Brief nach dem Postler in den Kasten geworfen.

»Ich hoffe für dich, dass es der Katze noch immer gut geht.«

Was soll das schon wieder heißen? Klingt nach Drohung! Wer will da was für mich hoffen? Wer hat überhaupt das Recht ... schimpfe ich in mich hinein. Natürlich geht´s meinem Gato gut. Fehlt nur noch, dass er sich den Fernseher selbst einschaltet und sich ein Bier aus dem Kühlschrank holt! Wen soll das was angehen, ob´s ihm gut geht oder nicht? Ich bin irritiert. Ein Vergleich mit dem früheren Schreiben ist überflüssig. Tinte, Papier, Schriftstärke, alles identisch. Den ersten Zettel finde ich nicht mehr. Hab ihn sicher gleich weggeworfen. Mit den beiden Zetteln in der Hand gehe ich zur Verandatür und schau hinaus auf die Grünfläche. Es ist schon dunkel draußen, die Büsche und die Eibe pechschwarz. Versteckt sich vielleicht da draußen irgendein Arschloch und spioniert da herum?

Woher weiß jemand, dass ich eine Katze habe? Außer Andrea und vielleicht Rosi von der Crew ... aber von denen hat sich doch niemand um die Katze gekümmert. Blödsinn, versuche ich mich abzulenken. Vergiss den Scheiß! Ich werde aber ein unheimliches Gefühl nicht los. Bekomme da Briefe, von einem unbekannten Absender, der auch noch blöde Fragen stellt ... aber irgendwie geht das Ganze tiefer und lässt mich nicht kalt!

Ja, mir wird mit einem Mal klar, dass es unheimlich und irgendwie bedrohlich wird. Ich setze Gato wieder auf den Teppich und denke, jetzt hätte ich lieber einen Hund. Einen ordentlichen Schäferhund, den würde ich jetzt hinauslassen und der würde dem Spanner die Eier ausreißen. Ja, nicht nur einen Schäferhund, sondern gleich zwei ... oder kalbsgroße Doggen, die dieses Arschloch da draußen in Stücke reißen. Ich fühle mich unsicher.

Der Hausbesitzer ist natürlich nicht da. Der ist nie da. Kommt nur zum Opernball, Neujahrskonzert und ab und an zu den Wiener Festwochen. Sonst liegt er in Bel Air in Hollywood in der Sonne am Pool. Ich bin allein in dieser Riesenhütte und eigentlich schutzlos. Kein Gewehr, keinen Revolver, keine Bluthunde. Scheiße! Ziehe die Vorhänge zu und geh zum Schreibtisch. Gato boxt gegen den Tennisball. Der Ball geht nie k.o., doch Gato gewinnt immer nach Punkten. Diese Nacht schlafe ich schlecht. Um dreiviertel drei fahre ich erschreckt auf, hab geträumt, dass vor der Verandatür ein Einbrecher, irgend so ein Arschloch aus Moldawien mit einem Brecheisen, auf und ab geht. Morgen kaufe ich mir eine Pumpgun, beschließe ich trotzig. Kann aber trotzdem nicht mehr einschlafen.

Morgen geht´s wieder nach Moskau. Ich weiß nicht, warum alle von grölenden Russen erzählen. Bei meinen Flügen waren bisher alle brav. Im Gegenteil, ich mag die Russen. Sie haben schöne Weiber, denke ich und erinnere mich an eine Schwarzhaarige mit toller Oberweite und blauen Augen. Sie muss so in meinem Alter gewesen sein. Die hat mich mit ihren Augen durchbohrt ...

Beim heutigen Flug war niemand mit großer Oberweite, blauen Augen und schwarzen Haaren dabei. Nach dem Moskauflug gleich vier Tage lang um fünf Uhr morgens nach Brüssel, zu Mittag zurück und am nächsten Morgen wieder ... das schlaucht. Die drei Tage Pause danach brauch ich dringend, sonst schau ich in ein paar Jahren aus wie hundert. Im Fitnessclub Manhattan im Süden Wiens halte ich mich fit. Will eben nicht wie hundert ausschauen in ein paar Jahren.

Dann steht wieder Dubai am Plan. Abflug Abend, Ankunft Mitternacht. Das geht. Schlimmer ist der Rückflug. Um fünf in der Früh anzukommen ist immer deep shit. Ich gebe Gato ein Tschüss-Bussi und den Hinweis, dass Mela morgen kommt und den ganzen Tag hier sein wird. Hemden bügeln, Knöpfe annähen, die Fenster putzen. Gato hätte genügend Zeit, mit ihr zu spielen. Mela mag Gato. Ich zieh meinen Uniformrock über, nehme meinen Koffer und geh zur Haustür. Greife zur Klinke, da fällt mir ein weißer Fleck am Boden auf – ich schau hinunter und sehe, dass da ein Kuvert halb unter dem Türspalt liegt. Ich weiß sofort, was das für ein Kuvert ist. Ich stelle meinen Koffer ab, bücke mich und spüre, wie der Schreck über meinen Rücken rieselt. Wie kommt dieses Kuvert hierher? Da muss jemand im Garten gewesen sein, das Gartentor ist aber abgeschlossen. Oder nicht? Ich bin völlig verwirrt.

»Ich möchte wissen, wie es der Katze geht«, steht da.

Diesmal fordernd, im Befehlston. Was ist da los? Da ist jemand im Garten ... wiederhole ich immer wieder. Aber ich muss gehen, darf nicht zu spät kommen. Als ich zu meinem Wagen gehe, steht Gato hinter mir und wünscht mir mit einem zarten »Miau« einen guten Flug.

Wer kann das sein? Was will der von mir? Wie in Trance lenke ich meinen Wagen hinaus Richtung Flughafen. Immer wieder denke ich an den Text oder die Texte der Briefe, versuche einen Hintergrund zu entdecken, irgendwelche Anhaltspunkte zu finden. Warum kann das jemanden interessieren, wie es der Katze geht? Das Ganze ist so abstrus, ich weiß nicht einmal, wo ich einhaken soll. Weiß nicht den geringsten Anhaltspunkt, kann damit überhaupt nichts anfangen.

Eigentlich soll es mir vollkommen egal sein, wer sich da um meinen Kater kümmert, wissen will, wie es ihm geht, so ein Schas! Die ganze Sache ist nur deshalb unheimlich, weil da muss jemand heute im Laufe des Nachmittags im Garten gewesen sein. Das Tor war zu, man kann es allerdings von außen öffnen, wenn man sehr gelenkige Arme hat, denke ich. So kann man die Klinke im Inneren schon erreichen und das Gartentürl öffnen. Diese Person ist ein großes Risiko eingegangen, ich hätte in diesem Moment aus dem Haus kommen können und dann hätte ich diesem Idioten den Arsch aufgerissen, denke ich.

Unsere Maschine ist bis auf den letzten Zipf voll, das bedeutet viel Arbeit, da fällt es leicht die Briefe zu vergessen. Im Hotelzimmer in Dubai ist wieder alles da. Nach der Dusche sitze ich nackt am Schreibtisch, ein eiskaltes Cola aus der Zimmerbar neben mir und die beiden Briefe, oder besser Zettel, vor mir. Am Abend treffen wir uns alle mit dem Captain im Restaurant. Er hat heut Geburtstag und lädt die Crew ein. Er kommt aus dem salzburgischen St. Johann im Pongauund ist ein toller Sportler. Marathon – immerhin um die drei Stunden. Wir beschließen spontan, den nächsten Wiener Marathon gemeinsam zu laufen. Eine der Stewardessen will auch mit.

Vor der Nachspeise, hole ich die beiden Briefe aus meiner Hosentasche und frag ihn, wer kann das geschrieben haben? Er schaut sie lange an, schüttelt den Kopf, das wäre schwer zu sagen. Will mir die beiden Papiere schon wieder zurückgeben, schaut sie aber ein zweites Mal an und sagt dann, während er seinen Kopf langsam hin und her wiegt, er glaube an eine ältere Person, führt das Papier nahe an seine Augen und sagt dann: Eine Frau?

Glaub ich aber nicht. Für mich schaut das eher nach Männerschrift aus. Der Captain zweifelt, könnte auch ein Mann ein ... ja, wahrscheinlich ist es auch ein Mann, sagt er. Die Schrift erinnere ihn aber an die Handschrift seiner Mutter. Die hätte auch so geschrieben und auch immer mit Füllfeder – sie hätte nie mit einem Kugelschreiber geschrieben. Das würde die Handschrift verderben. Die Handschrift wäre das Abbild des Charakters, hatte seine Mutter gesagt. Vielleicht hat ihre Mutter diese Briefe geschrieben? Ja, aber vom Himmel. Die Mutter wäre schon lange tot. Sie war eine große, starke und sehr strenge Frau, fügt er abschließend hinzu. Wir schließen dann noch eine Wette ab, wer von uns schneller auf der verrückten Schiabfahrt im Shopping-Center von Dubai wäre. Wir fahren auf der Parallelabfahrt zwei Durchgänge. Er ist deutlich besser. Am Abend hat die ganze Crew wieder einen Grund zu feiern.

Am nächsten Tag geht es wieder zurück. Dann gleich der nächste Flug nach Dubai. Wir treffen uns um zehn in der Lobby.

Die Seniorstewardess geht mit uns noch einmal den Preflightcheck und ein paar Security-Dinge durch. Um Nulleinsdreißig ist Takeoff. Auch beim Rückflug ist die Maschine wieder bumsvoll. Während ich die Bordküche noch einmal überprüfe, erzähle ich der Senior die Geschichte mit der Katze. Sie kannte die Geschichte bereits. Irgendwer hatte sie ihr schon einmal erzählt. Wer war das nur? Die Andrea Perschall vielleicht? Die war damals auch ...? Ja, natürlich, Andrea war´s. Beide hätten gerätselt wie die Katze an Bord gekommen war. Ob ich etwas in der Zwischenzeit erfahren hätte? Nein, keine Ahnung, keine Spur, nichts. Die Katze heißt Gato und ihr geht es gut.

Zuerst über den Iran, dann weiter über dem Schwarzen Meer wird es ruhig an Bord. Alle haben gegessen, waren auf der Toilette und schlafen.

Über Ungarn servieren wir das Frühstück. Ankunft in Wien am frühen Morgen. Postflight-Checks, noch schnell einen Espresso mit dem Kapitän. Wie geht´s mit meiner Fliegerei, möchte er wissen. Okay, momentan bin ich am Stundensammeln. Stunden für IFR? Ja, geht ganz gut. Möchte im Herbst zur Prüfung antreten. Viel Glück wünscht er, dann ab nach Haus.

Mein erster Weg zum Briefkasten. Der Griff nach dem Packen Papier. Dreiviertel davon wandern gleich mit Schwung in den Müll. Rechnungen, ein Brief vom Luftfahrtamt, eine Einladung zu einer Vernissage – in Wahrheit interessiert mich das alles nicht. In Wahrheit suche ich ein weißes Kuvert mit der kargen Aufschrift. Ich finde keins. War es vielleicht zwischen den Reklamebriefen und mit dem Packen im Müll gelandet? Ich suche im Müllcontainer, hole die ganzen Kataloge und Prospekte heraus, blättere durch jede einzelne Seite. Fische dazwischen geklemmte Rückpostkarten heraus – da endlich, ein weißes Kuvert. Scheiße, nein. Das Kuvert ist von einer dieser verbrecherischen Lotteriegesellschaften, denke ich.

Nein, diesmal kein weißes Kuvert mit »Stefan« drauf. Ich greife noch einmal in den Müllcontainer, hab das vorher noch nie gemacht. War noch nie Miststierer. Jetzt suchen meine Hände fahrig und nervös im Mist nach einem Kuvert. Einem weißen Kuvert. Enttäuscht ziehe ich ab. Gato tröstet mich und bohrt zur Begrüßung seine kleinen Krallen in meine Waden. Ich schau ihn an, er kann von den Kuverts nichts wissen. Die nächsten Tage sind frei.

Ich fahre mit meinem Kater zum Vöslauer Sportflugplatz, nehme mir eine Piper Arrow. Gato hilft mir am Copilotensitz beim Prefligthcheck. Ich habe ihn in einem Kisterl mit Polster am Nebensitz festgeschnallt. Die nervös zuckenden Zeiger in den Armaturen irritieren ihn. Wir fliegen Richtung Süden. Der Himmel ist vollkommen klar, die Sicht fantastisch. Ich will ein Mädchen in Kärnten besuchen. Ihre Eltern haben ein Haus am Wörthersee. Sie ist nicht da. Mit ihrer Schwester nach Venedig gefahren. Ich hätte anrufen sollen, sagt ihre Mutter und bittet mich zu bleiben. Ich will aber nicht. Sie findet die Katze süß und ich eine gute Ausrede, um nicht bleiben zu müssen. Sie füttert Gato. Aber bitte nicht zu viel, sonst kotzt er am Rückflug. Ich disponiere um und fliege nach Salzburg.

Dort kenne ich auch ein Mädchen. Sie ist da. Gato und ich bleiben über Nacht. Sie heißt Monika und hat meinen kleinen Copiloten gleich ins Herz geschlossen. Gato tobt mit zwei Golfbällen durch ihre Wohnung. Irgendwann ist er mit einem Ball zwischen den Pfoten eingeschlafen. Wir trinken Rotwein und essen spanischen Jamon aus Jerez Frontera, dann noch harten Käse und gewürztes Weißbrot. Irgendwann werde ich so geil, dass ich uns nicht einmal die Zeit bis zum Schlafzimmer gönne. Wir fallen übereinander her wie zwei ausgehungerte Panther. Entsprechend schauen wir in der Früh aus. Gato hat sich während der Nacht zwischen uns gekuschelt und ebenfalls bis in die Mittagsstunden geschlafen. Monika fährt uns zum Flugplatz. Nach einem kurzen Brunch im Fliegerrestaurant machen wir uns auf den Heimweg. Nein Heimflug.

Irgendwo auf halben Weg weiche ich einem Gewitter aus, ich möchte Gatos Geduld nicht strapazieren. Lange vor der Dämmerung sind wir beim Haus angelangt. Gato springt vor Vergnügen auf der Wiese herum und ist überrascht, dass die Amseln keinen Wert auf seine Bekanntschaft legen. Enttäuscht blickt er zur Dachrinne hinauf, wohin sich die beiden Schwarzfedern verzogen haben.

Unter dem Haustor sehe ich den Zipfel eines weißen Kuverts. Diese unverschämte Type hat nicht einmal den Anstand, fremdes Territorium zu respektieren, sondern geht einfach hinein und schiebt das Kuvert unters Haustor. Dabei hatte ich diesmal das Gartentor fest verschlossen. Er muss über den Zaun geklettert sein, dieses Arschvieh! Eine Pumpgun muss her! Pfefferspray, Elektroschocker, ich muss mir ein Waffenarsenal anlegen. Aufmunitionieren! Die Festung gefechtsbereit machen. Wie Schlachtschiffe des Zweiten Weltkriegs, mit wegstehenden Kanonenrohren gleich den Stacheln eines Igels. Dazu zwei Bluthunde, deren Zähne ich täglich mit einem Winkelschleifer zu Kampfmessern schärfe.

Im Zimmer öffne ich den Brief.»Entspanne dich. Ich habe dich verzaubert. Du gehörst mir.«

Was soll jetzt dieser verblödete Scheiß, verdammt noch einmal! Irgendein Arschloch macht da Witze. Verzaubert? Wir sind doch nicht in der TV-Kinderstunde.

Ich lese die Zeilen immer wieder. »... dich verzaubert. Du gehörst mir.«

Das ist ja derart deppert, der kann nicht mich meinen. Vielleicht Kinder die Zauberin spielen oder so ein Unsinn. »Du gehörst mir«, lese ich zum wiederholten Male und spüre Spannung aufkommen.

Eine innere Erregung macht sich in mir breit. Die anfängliche Wut, der Zorn, alles kurz und klein zu schlagen, wandelt sich in sonderbare Erregung, die über meinen Rücken rieselt und meinen Brustkorb umfasst. Ein Gefühl wie vor einem Abenteuer, eine Höhle zu entdecken, unbekanntes Terrain zu erforschen. Nicht mehr Angst, panische Angst vor bewaffneten Räubern, maskierten Einbrechern aus Moldawien, Brutalos aus Serbien.

Nein, prickelnde Erregung wie vor einer Begegnung mit E.T., außerirdischen Wesen. Ich stehe auf und gehe zur Verandatür, die auch in den Garten führt. Steht dieses Wesen einer fremden Galaxie vielleicht gerade da draußen, versteckt in der Finsternis der Büsche und der riesigen Eibe, die sich beim Gartenzaun breitgemacht hat? Ich öffne die Glastür zum Garten und stehe auf der Veranda mit dem Brief in der Hand. Der Außerirdische soll mich sehen. Er soll sehen, dass ich ihm entgegenkomme, mit dem Brief in der Hand. Die Finsternis bleibt schwarz. Nichts rührt sich. Gato ist am Hosenbein. Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch und zeichne Gato ein Zertifikat für das bestandene Rating zum Copiloten. Während des Fluges habe ich mit meiner Digicam ein Foto von ihm gemacht, als er versuchte, mit der Pfote den Steuerknüppel zu erreichen. Mein Drucker spuckt das Bild aus, ich schneide es zurecht und klebe es auf das Zertifikat. Es bekommt einen Ehrenplatz über dem Schreibtisch.

2

Nach drei Tagen das nächste Kuvert. Diesmal erinnert sich der unbekannte Schreiber der ethischen Normen von Erdenbürgern und deponiert das Kuvert, wie es sich gehört, im Briefkasten.

»So gefällst du mir schon besser. Dein Aufbegehren hilft dir nichts. Du bist ein Gefangener deiner Leidenschaft. Bald gibt es Instruktionen.«

Hatte mich schon der vorherige Brief in ein seltsames Gefühl der Erregung versetzt, so verwirrt mich der neue Text völlig. Was kann der Bursche von mir wollen? Ein Schwuler? Ich habe auf Homosexuelle noch nie gewirkt und kann auch nichts damit anfangen. Wir haben einige Stewards vom andern Ufer. Ich unterhalte mich zwar mit ihnen, es hat aber nie Annäherungsversuch gegeben. In deren Augen bin ich ein unverbesserlicher Macho.

Was ist, wenn der unbekannte Schreiber eine Unbekannte ist? Eine Frau? Aber ...? Was soll sie von mir wollen? Verzaubert? Gefangener meiner Leidenschaften? So einen Scheiß habe ich überhaupt noch nie gehört, denke ich.

Michaela schickt ein Paket. Für Gato ein Spielzeug und exklusives Katzenfutter. Sie möchte nach Wien kommen. Ich weiß nicht, ob ich das will. Eher nicht. Sie ist ganz nett, aber gleich nach Wien kommen? Grundsätzlich habe ich keine Lust, mich zu verlieben. Die derzeitige Situation ist recht angenehm. Habe über alle Bundesländer einige Betthupferln verstreut. Alle »at armlength« auf Distanz. Hatte auf der Landkarte mit einem Zirkel einen Kreis gezogen. Der Radius entspricht ungefähr einhundert Kilometer. Mein Schwur: keine Freundin innerhalb des Schutzkreises – eine Art Schutzmauer. Sonst ziehen die bei mir ein und ich werde sie samt ihren Müttern und Anhang nicht mehr los.

Jedes Mal, wenn sie mich in meiner Eremitage besucht haben, folgte sofort dieser gewisse Rundblick in meinen Zimmern: So, das wird jetzt alles anders werden! Vorbei die Messi-Zeit! Schon bei den Gedanken daran, bekomme ich eine Gänsehaut. Also rasch ein SMS: »Am Wochenende bin ich leider unterwegs!« Ist zwar eine Lüge, aber wirkungsvoll. Die Fickintervalle sollten nie kürzer als sieben Wochen sein, sonst wird´s verbindlich.

Das angekündigte Kuvert ist erst nach zwei Wochen im Kasten. Die ersten vier Tage hatte ich mit Spannung darauf gewartet. Dann legte sich die Aufregung. Dazwischen war ich zwei Mal in Moskau und besuchte Ursula in Graz. Sie studiert Physik und erforscht die Verbrennungsvorgänge in Benzinmotoren. Ein blitzgescheites Mädchen, etwas anstrengend, fickt aber gern – und lebt außerhalb der Schutzzone.

Wie das Leben so spielt, als ich das weiße Kuvert am wenigsten erwartete, liegt es im Briefkasten. Ich bleibe locker. Gehe in aller Ruhe ins Haus, setze mich an meinen Schreibtisch, Gato am Schoß, leckt seine Pfoten, ich schlitze das Kuvert langsam auf – diesmal mit einem silbernen Taschenmesser mit einer geschmiedeten Klinge aus Solingen. Ein Erbstück meines Vaters.

Ich rieche am Brief, da ist aber nichts und falte ihn auf. »Am Freitag um 22 Uhr hat die Concierge im Marriotts eine Botschaft für dich.«

Das ist morgen, denke ich. Blöd, am Freitag wollte ich nach Klagenfurt, das Mädl am Wörthersee wäre laut Serviceplan dran. Neun Wochen war der letzte Besuch her. Zwei Wochen überfällig. Die Mutter ist sehr anlassig, da kann man schon eine Ausnahme machen. Mein Dienstplan ruft mich erst am späten Samstagnachmittag nach London. Also, Marriotts ist okay.

Am Abend schlendere ich durch die Innenstadt. Ich ende völlig unaufgeregt im Café Bräunerhof und versinke im Literaturteil der aktuellen Nummer von Die Zeit. Eine seitenlange Reflexion über meinen Lieblingsautor Samuel Beckett hält mich dermaßen im Bann, dass ich die Zeit fast übersehe. Es ist knapp vor zehn, als ich aus meiner Lesetrance aufwache, zahle und die Johannesgasse in zügiger Schrittfrequenz Richtung Marriotts durcheile. Bahne mir den Weg durch ein Menschencluster aus Arabern und Russen zur Rezeption. Es ist fünf nach zehn, bis das Mädchen die Nachricht für mich sucht. Es ist neun nach zehn, bis ich das Kuvert öffne, eine Chipkarte für das elektronische Schloss eines der Zimmer in diesem Hotel heraushole und einen Zettel mit: »7575«.

Ich hasse es, zu spät zu kommen. Bin sonst krankhaft pünktlich und bekomme fast einen allergischen Ausschlag am Hals, weil ich um zehn Minuten hinter dem Uhrzeiger haste. Die Warterei auf den Lift, fast dreißig Männer strömen heraus, fast dreißig zwängen sich hinein. Die Ausdünstungen der Leute sind narkotisierend. Endlich siebter Stock, nix wir raus.

Ich schiebe die Karte in den Schlitz des Schlosskastens und blicke nach allen Seiten, ob jemand am Gang mich beobachtet. Das leise Klick des elektronischen Schlosses kommt mir auf einmal geheimnisvoll vor und öffne mit angehaltenem Atem langsam die Tür. Drinnen ist es stockdunkel, ich kann nur das Flackern von ein paar Kerzen erkennen. Ich suche den Lichtschalter, drücke drauf, es bleibt dunkel. Ach ja, die Chipkarte muss ich hineinschieben. Aber wohin? Egal, Schritt für Schritt nähere ich mich dem Schreibtisch mit den Kerzen. Das Zimmer wirkt wie eine Leichenhalle. Ich blicke zum Bett. Nein, dort liegt keine Leiche.

An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt ein großes schwarzes Tuch. Ich geh zum Schreibtisch und bemerke einen Zettel zwischen den Kerzen.

Ich falte ihn auf: »Heute ist der Beginn des Oratoriums der Leidenschaften. Folge Punkt für Punkt den Befehlen.«

Etwas weiter darunter: »Du bist dreizehn Minuten zu spät! Wage nie mehr deinen Geist warten zu lassen!«

Was soll der Scheiß? Im ersten Moment kommt Wut auf. Ich drehe mich um. Nichts, niemand da. Um besser lesen zu können, halte ich den Zettel an die Kerze: »Punkt eins: Ziehe dich aus. Punkt zwei: Am Bett liegen vier Riemen. Binde sie um die Fußgelenke und um die Handgelenke. Punkt drei: Knie nieder, mit dem Gesicht zu den Kerzen. Punkt vier: Beuge deine Arme nach hinten und verhake deine Armfesseln mit den Fußfesseln.«

Gezeichnet: »Der Geist deiner Leidenschaft.«

Ich schau mir den Zettel noch einmal an. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gelesen, gehört oder auch nur gedacht! Ich will sofort gehen. Überfliege noch einmal die Zeilen. Der Geist ... und so fort und so weiter. Klingt nach Frau. Immerhin.

Setze mich aber ans Bett und ziehe meine Schuhe aus. Dann streife ich das dunkelblaue Poloshirt ab, die Jeans, die Socken ... bei den Shorts zögere ich. Drehe mich um. Niemand im Raum. Was soll der Blödsinn? Wenn das jetzt eine geile Geschichte wird, vor wem soll ich da Hemmungen haben?

Lege die Shorts zu den Jeans. Da bemerke ich, dass mein Penis schon seit geraumer Zeit wie ein Fahnenmast stock und steif jedem Wind trotzt. An den schwarzen Lederriemen am Bett sind kurze Ketten und Haken angebracht. Ich ziehe sie an den Händen und Beingelenken fest, knie mich nieder und versuche, die Haken untereinander zu verbinden. Nicht so einfach. Erst nach mehreren Versuchen gelingt es mir. Ich ziehe an den Armen und stelle im ersten Moment befriedigt fest, dass alles so wie auf dem Zettel beschrieben fertig ist. Die Fußgelenke sind miteinander verbunden und daran die Arme hinten fixiert. Aber kann ich mich daraus wieder selbst befreien? Shit! Nein – oder nur mit allergrößten ... da beginnt plötzlich Musik im Zimmer.

Männerchöre erfüllen den Raum. Ich kenne diese Nummer, denke ich. Das sind die gregorianischen Chöre von der CD Officium und während ich an den Norweger Jan Garbarek denke, setzt der mystische Klang seines Sopransaxofons ein. Die Musik scheint irgendwo vom Firmament wie eine riesige Klangdecke den Raum auszufüllen. Ich blicke nach oben, da wird mein Kopf von zwei Händen erfasst und ein Tuch über meine Augen gestülpt und plötzlich verwandelt sich die Welt um mich in ein einziges Schwarz.

Gefesselt, auf den Knien und nun völlig blind! Es dauerte nur wenige Sekunden und das Werk war vollbracht. Ich spüre an meiner Seite den Druck von Beinen, die mich wie ein Schraubstock festklemmen. Eine kühle Hand an meiner Stirn drückt meinen Kopf ... oder ein Becken? ... Schambein? Meine taktilen Sensoren am Hinterkopf haben noch nicht jene Sensibilität erreicht, dass ich sofort Bescheid wüsste. Ich versuche meinen Kopf nach hinten zu drücken. Mein Druck erzeugt Gegendruck. Fingernägel kratzen sanft über meine Brust.

»She wrote her name into my back. Boy, her nails were sharp ...«, fällt mir Mick Jagger ein.

Ich atme tief und die Fingernägel kratzen schärfer. Dann gleitet die Hand tiefer. Ich spüre rechts und links von meinem Kopf weiche, glatte Haut. Das könnten zwei Brüste sein, denke ich und sehe in meiner Fantasie zwei große volle Titten und spüre Bewegung zwischen meinen Beinen. Die Hand umfasst meinen Schwanz und schiebt die Vorhaut langsam und bedächtig nach hinten. Ich spüre an meinem Kopf wie mein »Geist« tief ein und ausatmet. Das macht mich geil ... Noch einmal greift sie nach meinem Schwanz und beginnt ihn ganz leicht zu wichsen. Als meine Hoden schon zum Spritzmarsch blasen wollen, fährt ihre Hand hinunter und zwickt fest zusammen, dass ich vor Schmerz zusammenzucke. Innerhalb von Sekunden ist mir jede Form von Ejakulation vergangen. Der Schmerz ist bis ins Hirn gerast!

Ich falle zur Seite und krümme mich am Boden vor Schmerz. Zerre an den Armen und Beinen, versuche die Beine noch mehr anzuziehen und die Arme nach unten zu drücken. Es dauert eine Ewigkeit ... plötzlich ist mein rechter Arm frei. Da merke ich, dass es still um mich ist. Kein Garbarek, keine Männerchöre und spüre auch keinen fremden Körper mehr an mir. Ich ziehe Augenbinde runter und es ist vollkommen finster. Keine Kerzen, nichts. Mit der freien Hand versuche ich die Verbindung der Fußfesseln mit dem linken Handgelenk zu lösen. Das dauert, aber dann bin ich frei. Ich taste mich zum Fenster, ziehe die Vorhänge auf, unten auf der Ringstraße fließt dichter Autoverkehr. Dann schnell zum Lichtschalter. Das Zimmer ist vollkommen leer. Die schwarzen Vorhänge hinterm Schreibtisch weg.

Am Schreibtisch ein Zettel:

»Mal schauen, was du aushältst.«

Die Zimmertür ist zu, ich werfe einen Blick auf den Gang. Nichts. Dann entdecke ich eine Verbindungstür zum Nebenzimmer. Die ist auch zu. Meine Jeans, T-Shirt, Socken, ... alles liegt am Bett. Ich schau mir die Fesseln an, die Augenbinde, ein schwarzes Seidentuch. Die Hoden tun weh. Rasch ins Bad, heißes Wasser in die Wanne. Es ist fast Mitternacht.

Um ein Haar wäre ich eingeschlafen. Die Musik dudelt Blues und langsame Balladen rund um die Badewanne, das heiße Wasser mit allerlei Essenzen durchsetzt, lullt mich in eine bleierne Müdigkeit. Erst eine strenge Abreibung mit dem Frotteehandtuch weckt mich aus der Narkose.

Während der Heimfahrt ist mein Schädel völlig leer. Einerseits fühle ich mich vom Zauber des Erlebten gefangen, andererseits geistert fast ein kolikartiger Schmerz in meinen Hoden. Aber ich spüre einen Restreiz in mir. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit, bewegungslos und ausgeliefert zu sein, hat was, denke ich. Völlige Lähmung. Wie ein Todgeweihter im Bett. Wo ich sonst die Beherrschung in Person bin. Ich erlaube mir nie einen Rausch, kotze nie, spucke nie aus ... schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Bin immer bemüht niemals mit einem offenen Hosentürl herumzurennen oder gar einen Nasenrammel an der Oberlippe zu dulden. Dann das da. Alles in Verbindung mit einem pulsierenden Schwanz und die Erkenntnis, allein der Geilheit wegen die Contenance zu verlieren.

Wenn die Hoden es wünschten, pinkelten wir uns doch glatt vor vollen Tribünen in die Hosen! Daran teilhaben, am Verfall, am Verlust der guten Sitten. Es ist erschütternd und doch irgendwie geil, finde ich – und bemerke, dass es drei Uhr ist, als ich endlich nah Hause fahre.

Gato liegt mitten auf meiner Bettdecke und sorgt für Vorwärmung. »Wenn du wüsstest«, sag ich zu ihm und streichle seinen Rücken. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Als ich mich hinlege, krümme ich meine Beine um ihn herum und schlafe weg ...

Ich kann die Ankunft vom Moskauflug von Samstag auf Sonntag nicht erwarten. Immer wieder steigen einzelne Details des Oratoriums im Hotel Marriott wie isländische Geysire in die Höhe. Der Ekel war längst aufflammender Libido gewichen. Einmal hätte ich mich am liebsten in die Toilette verkrochen und meinen Samenstau abgewichst. Die Maschine war bumsvoll und die Gäste ununterbrochen von Durst geplagt. Ständig Whiskey, Wodka nachschenken. Der Fundus an Pretiosen war bis zum bitteren Ende leer gekauft – alles an goldenen Armbändern, Rolex Uhren oder mit Diamanten besetzten Kugelschreibern weg. Ich habe den Eindruck, die Russenweiber werden von ihren Männern im Gold und Silber erstickt. Mir soll´s recht sein. Die Provisionen nach den Russlandflügen sind immer geschmalzen. Noch bevor ich mit der Fernbedienung das Gartentor öffne, steige ich aus und gehe sofort zum Briefkasten. Der übliche Mist geht gleich in dem Müll, dann der Rest ... aber kein weißes Kuvert. Ich unterdrücke meine Enttäuschung, fahre meinen Wagen rein, steige aus, rasch zum Haustor, ein Blick auf den Boden ... nein, nichts. Hier auch kein weißes Kuvert. Ich drehe mich abrupt zu den Büschen am Zaun, schüttle meinen Kopf und verschwinde im Haus.

Auch am nächsten Morgen kein Brief und auch nach dem dritten Moskauflug am übernächsten Morgen nichts. Weder im Kasten noch unter der Haustür. Ich bin enttäuscht. Sehr enttäuscht. Sitze an meinem Schreibtisch und sortiere lustlos irgendwelche Papiere von der linken Seite auf die rechte. Völlig sinnlos und nutzlos. Was war mit meinem Geist los? Dem Geist meiner Leidenschaften? Hatte ich ihn beleidigt? Mich falsch verhalten? Ich stehe auf und geh zum Fenster und schau hinaus in den Garten. Ich versuche mich an irgendwelche Details im Marriott zu erinnern, um irgendein Fehlverhalten zu entdecken. Hatte ich irgendwas Beleidigendes oder gar Abwertendes gesagt? Nicht möglich. Ich hatte nichts gesagt. Beleidigendes schon gar nicht.

Oder den Geist hat´s zerrissen ... Blödsinn, nichts war so real wie der Geist, seine Krallen an meiner Brust, seine Hände an meinem Schwanz. Trotzdem, warum plötzlich Funkstille? Warum rührt er oder sie sich nicht mehr?

Außer überflüssiger Post ist in den nächsten Tagen nichts im Kasten. Morgen geht es wieder vier Tage nach Dubai. Bei der Post nix dabei. Als ich zu Mittag das Gewinsel des herannahenden Mopeds höre, hoffe ich im Stillen, dass der Expresszusteller für mich was dabeihaben könnte. Nein. Er fährt an meinem Gartentor vorbei und hält beim Nachbarn. Mir doch egal. Dann bekomme ich eben keine Post. Scheiß drauf. Bin trotzdem enttäuscht.

Am späteren Nachmittag fahr ich zum Flugplatz. Ich ziehe die Abfahrt etwas hinaus. Weiß zwar nicht warum? Erwarte ich Besuch? Sollte jemand vorbeikommen? ... oder nur einen Brief ... ein Kuvert? Ich ziehe meine Uniformjacke an, nehme meinen Koffer und gehe langsamer als üblich zum Haustor. Blicke nach unten. Nein, kein Kuvert. Nichts. Okay, dann eben nicht, schimpfe ich trotzig. Dann ist die ganze Geschichte halt vorbei.

Im Crewoffice warten Preflightcheck, Security-Briefing und so weiter. Andrea ist bei diesem Flug Senior. Sie nimmt ihren Mann mit und macht dort zwei Wochen Urlaub.

Während der Vorbereitungen an Bord betrachte ich Andrea. Beobachte ihre Schritte, Bewegungen. Nein. Sie war es nicht. Mein Marriotts-Geist hatte vollere Brüste und dürfte auch größer sein. Wenn ich mich erinnere, als die Unbekannte mich von hinten zu fassen bekam, musste sie in die Knie gehen, um mit ihren Händen meinen Schwanz zu fassen. Andrea hat kurze Beine – und ihr Busen? Nein, viel zu klein.

In Dubai die übliche Hitze, der Smog, die Baustellen und jeder Schritt mit einem Taxi. Außer Einkaufsbummeln mit den Stewardessen, Kaffeetrinken und ... wieder Taxi, ist hier nicht viel los. Steak im Hard Rock Cafe, Taxi wieder zurück ins Hotel. Der Fitnessclub im Hotel ist dürftig. Die einzig fesche Stewardess hat ihren Freund mit, die andere Akne im Gesicht.

Der Rückflug zieht sich. Die Passagiere geben wenigstens Ruhe. Nachdem sie sich vollgefressen und vollgesoffen und leer gepisst haben, schlafen die meisten durch.

Als ich im Auto sitze, irrlichtern meine Gedanken im schwerelosen Denkraum. Ob diesmal Post? Nein! Nicht daran denken. Keinen einzigen Gedanken daran denken. Lass deinen Kopf völlig leer. So leer wie das Universum. Dann, und zwar nur dann, besteht die Chance, dass da vielleicht im Postkasten oder am Boden unter der Haustür ..., nein, ich habe dir verboten daran zu denken!

Wer daran denkt, bekommt keine Post, keinen Brief ... aber an was darf ich denken? Ich versuche, mich mit meiner IFR-Ausbildung abzulenken. Übermorgen gibt´s mit meinem Fluglehrer einen Instrumentenflug nach Salzburg, dann weiter über Bayern zum Bodensee. Muss mir den Approach von Salzburg noch einmal genau anschauen. Versuche, meine Gedanken abzulenken. Scheiße, in Wahrheit ist das Einzige, was ich denken will, ob heute ein Brief da sein wird oder nicht. Enttäuscht klappe ich den Briefkasten zu. Nichts. Ich bin zu Gato nicht so nett, wie er es verdient hätte. Nur weil keine Post da ist. Was ist los mit mir?

Komisch, dieses Warten, die Ungewissheit, das Hoffen ist ebenso qualvoll, wie gefesselt zu sein und der schmerzhafte Griff in die Eier. Aus, Schluss! Morgen fliege ich nach Kärnten und bumse die reiche Tussi am Wörthersee und ihre Mutter braucht mir keinen Guglhupf zu servieren, sondern soll mir einen blasen. Komm, Gato, komm her. Ich leg mich auf die Couch und Gato rollt sich auf meiner Brust zusammen und kuschelt sich in den Schlaf. Ich wache plötzlich auf, es ist später Nachmittag geworden.

Nein, ich kann morgen doch nicht nach Klagenfurt fliegen, um meinen Kopf und Sack zu entleeren, fällt mir ein. Ich muss mich auf den IFR-Flug nach Salzburg und weiter bis Friedrichshafen vorbereiten. Bevor ich in die Stadt fahre, dampfe ich ein paar Minuten in der Badewanne. Dann frische Jeans, Poloshirt und ab in die City. Dort ist nicht viel los. In den Kaffeehäusern lauter alte Weiber. Bin schon um elf wieder zu Hause. Sperre die Haustüre auf und ... auf dem Fußabstreifer ein Kuvert. Schlagartig wird der Puls schneller. Plötzlich wieder Leben in mir – als wäre ich bis jetzt scheintot gewesen. Ich setze Gato auf meine Schulter und eile zum Schreibtisch.

»Ich brauche einen Fußabstreifer für meine verschmutzten Schuhe. Bist du bereit? Wenn du meinen Schmutz aufzulecken bereit bist ... dann könnte ich dich noch einmal benutzen. Du Schmutzfink!«

Ich atme schwer. Lese den Text wieder und wieder. Schmutzfink, lecken, Schmutz lecken. Furchtbar. Trotzdem bin ich von diesen Worten gefesselt. Voyeurismus an der sündigen Welt. Düstere Abgründe. Menschen starren gebannt auf den zerrissenen Körper am Straßenrand. Der Blick hinüber, ins Jenseits. Sie starren zum Verurteilten, bevor die Falltür fällt und das Genick bricht, der Schädel in den Korb poltert. Wollen einen Blick hinüber erhaschen. Vom Diesseits in Jenseits. Vielleicht tut sich ein Fenster auf im Moment des Genickbruchs und wir sehen von drüben etwas. Gibt es ein Leben nach dem Tod – und danach einen Tod nach dem Tod? In zehn Sekunden weiß der Delinquent mehr als wir alle. Die Diesseitigen, wir, die wir noch hierbleiben müssen. Wir, die wir nicht sündigen dürfen.

Ich aber muss Schmutz lecken. Ihre Stiefel sauber lecken. Überquere erstmals den tiefen Wassergraben vom Heilen ins Unheil. Falte den Brief zusammen und will ihn einstecken. Entfalte ihn aber noch einmal und lese zum wiederholten Male vom Lecken. Ich spüre eine feste und unbarmherzige Erektion in meinem Schritt. Dann stecke ich den Brief in die Hosentasche, ganz nah an das erigierte Fleischrohr, dass allein beim Lesen über das Lecken beinah Funken sprühen. Die Nacht wird unruhig, ich finde kaum Schlaf. Irgendwann ist mir, als würde ich mit den Armen am Rücken gefesselt auf einem kratzigen Teppich knien, eine Galerie beschmutzter Gummistiefel vor mir, die ich mit meiner Zunge sauberlecken muss ...

Am nächsten Tag überspiele ich geschickt meinen Morgenkater. Bereite alles für den Instrumentenflug nach Salzburg vor. Mein Fluglehrer ist Airbuskapitän. Wir haben ein höflich distanziertes Verhältnis zueinander. Mir ist das lieber. Ich mag diese Wiener »Verhaberungen« nicht.

Über Salzburg muss ich verschiedene Warteschleifen fliegen, er ändert die Schedule mehrmals und strapaziert meine Schnelldenkkapazität. Ich bringe die Sache einigermaßen hin und zum Abschluss lässt er mich zwei Mal Durchstarten und allerlei simulierte Probleme durchführen. Er ist nicht sekkant, sondern möchte einfach einen guten Piloten aus mir machen. Ich bin ihm dafür dankbar. Nicht nur wegen der schwierigen Aufgaben, sondern der Stress hat mich von den verschmutzten Stiefeln abgelenkt. Ohne diese Denkaufgaben wäre ich sicherlich ein paar Tage mit einem tropfenden Schwanz herumgelaufen.

Am Abend fliegen wir weiter nach Friedrichshafen. Wir landen bei stockdunkler Nacht. Der Seitenwind spielt keine Rolle. Ich bring die Sache einigermaßen hin. Am nächsten Morgen geht´s über München wieder zurück nach Wien. In München kommen wir gerade zur Hauptverkehrszeit an. Wieder ein paar Warteschleifen in verschiedenen Levels, dazwischen jede Menge Incomingtraffic, dann endlich runter. Der Flug nach Wien ist dann wie TV-Kinderstunde. Mein Lehrer ist relaxed und erzählt aus seiner Fliegerzeit. Triebwerksausfall über Neufundland, Emergency Approach in Gander bei stahlharten Sturmböen. Damals mit der Boeing 707. Die Passagiere hatten sich fast angeschissen.

Ich bin todmüde, als ich endlich zu Hause bin. Kein Kuvert, dafür schnurrt Gato zufrieden, als ich mit ihm auf der Brust beim Fernsehen einschlafe. Um Mitternacht wache ich verkrümmt auf und mache mich auf den Weg ins Bad. Da bemerke ich einen weißen Zipfel am unteren Spalt der Haustüre. Der Brief war noch nicht da, als ich vor sechs Stunden nach Hause kam. Das Kuvert muss also während der letzten Stunden, als ich vor dem Fernseher eingeschlafen bin, unter der Tür durchgeschoben worden sein. Sie muss sich ans Haus herangeschlichen haben, während ich schlief. Ein sonderbares Gefühl. Ich war wieder einmal völlig wehrlos. Es ist noch immer keine Pumpgun oder ein Bluthund im Haus! Im Bad öffne ich mit einer Nagelfeile das Kuvert.

»Freitag 22.00. Marriotts, Nachricht bei der Concierge. Diesmal pünktlich! Keine Entschuldigung.«

Laut Flugplan sind wir morgen Mittag aus Frankfurt zurück. Das sollte kein Problem sein. Ich spüre, wie mein Herz mit festen Schlägen gegen meine Brust pocht.

Der Wecker treibt mich um halb fünf aus dem Bett. Wir gehen mit der ersten Maschine nach Frankfurt und dann gleich wieder zurück. Die Passagiere am Hinflug sind müde und geben Ruhe. Die Maschine ist in beiden Richtungen bumsvoll.

Der Rückflug ist anstrengender. Die Passagiere sind munter und wollen ständig irgendetwas. Um drei am Nachmittag lass ich mich müde bei mir zu Hause auf die Couch fallen. Mela bügelt meine Hosen und Hemden. Heute heult kein Staubsauger. Gato ringelt sich in meine Kniekehlen und schläft. Am späten Abend fahre ich in die Stadt. Zur inneren Befriedung zuerst in ein Kaffeehaus. Das Studium der Tageszeitungen lenkt ab.

Zur Sicherheit stell ich im Handy den Wecker auf halb zehn. Am Wege zum Marriott genieße ich ein Glas Champagner an der Bar. Mein Handy ruft zum Aufbruch. Diesmal bin ich eine gute Viertelstunde früher in der Lobby. Blättere nervös in der aktuellen Ausgabe der USA Today. Fünf vor zehn bin ich bei der Concierge, sie sucht eine Weile, dann kommt sie mit dem Kuvert.

»Room Nr. 7575«

Heute werden mich im Lift keine Russen aufhalten, denke ich. Trotzdem dauert es, bis es endlich wie zur Erlösung meiner Sünden himmelaufwärts geht. Ich schiebe die Schlosskarte ein und öffne vorsichtig die Tür. Drinnen ist es stockfinster. Wie beim letzten Mal. Erst nachdem sich meine Augen daran gewöhnt haben, erkenne ich vier große Kerzen am Schreibtisch, der wie beim letzten Mal an der Rückwand mit einem schwarzen Tuch verhangen ist. Ich blicke mich um, versuche hinter mir irgendetwas auszumachen, Umrisse zu erkennen. Nichts. Sogar über dem Bett ist eine pechschwarze Decke gelegt. Die Flammen der Kerzen flackern gespenstisch im Luftzug.