Wiedersehen in New Harbor - Ava Jordan - E-Book

Wiedersehen in New Harbor E-Book

Ava Jordan

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Beschreibung

Neues aus New Harbor!

Amanda Walker hat alles, was man sich nur wünschen kann - Erfolg im Job, eine eigene Praxis und einen wundervollen Mann an ihrer Seite, der ihr jeden Wunsch von den Augen abliest. Doch ihre heile Welt bricht zusammen, als sie schwanger wird. Denn sie weiß: sie darf kein Kind bekommen. Zu tief sind die Narben, die sie noch aus der Vergangenheit trägt. Außerdem wollte ihr Mann Carter nie Kinder. Was soll sie tun? Sam braucht Veränderung. Sie muss fort aus New York, weg aus der zerstörerischen Beziehung zu Oliver. Doch ihr fehlt die Kraft für diesen letzten Schritt. Es tut zu weh, ihn zu verlassen ... New Harbor wirkt seinen Zauber, und wieder stehen zwei Frauen am Scheideweg ...

Der Titel erschien erstmals 2016 unter "Das Lied der Herbstnächte".

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Über das Buch

Neues aus New Harbor!

Amanda Walker hat alles, was man sich nur wünschen kann – Erfolg im Job, eine eigene Praxis und einen wundervollen Mann an ihrer Seite, der ihr jeden Wunsch von den Augen abliest. Doch ihre heile Welt bricht zusammen, als sie schwanger wird. Denn sie weiß: sie darf kein Kind bekommen. Zu tief sind die Narben, die sie noch aus der Vergangenheit trägt. Außerdem wollte ihr Mann Carter nie Kinder. Was soll sie tun?

Sam braucht Veränderung. Sie muss fort aus New York, weg aus der zerstörerischen Beziehung zu Oliver. Doch ihr fehlt die Kraft für diesen letzten Schritt. Es tut zu weh, ihn zu verlassen ...

New Harbor wirkt seinen Zauber, und wieder stehen zwei Frauen am Scheideweg ...

Über Ava Jordan

Ava Jordan wuchs in Westfalen auf. Nach einigen Jahren im Rheinland kehrte sie in die Heimat zurück und bewohnt dort nun mit ihrem Mann und unzähligen Büchern ein kleines Häuschen. Sie schreibt und übersetzt schon sehr lange und kann sich ein Leben ohne das Schreiben einfach nicht vorstellen.

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Ava Jordan

Wiedersehen in New Harbor

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Epilog

Impressum

1. Kapitel

Jeden Morgen, wenn Amanda Walker ihr Büro betrat, war die kühle, medizinisch reine und helle Atmosphäre für sie eine Wohltat. Sie genoss es, die ersten zehn Minuten ihres Arbeitstags am Mac zu verbringen, die Daten der Patientinnen aufzurufen, die an diesem Vormittag Termine bei ihr hatten, und den heißen, schwarzen Kaffee zu trinken, den sie sich immer von dem Barista in der Kaffeebar unten an der Ecke in den Thermosbecher füllen ließ. Mit Süßstoff, so wie sie ihn mochte.

Ein dezentes Klopfen ließ sie aufblicken. Ihre Helferin Erin stand in der Tür. Der weiße Kittel war makellos, ebenso die dunkelblaue Hose, die zu ihrer OP-Kleidung gehörte.

»Was gibt’s?«

»Ich störe nur ungern, aber da ist eine Patientin. Könnte ein Notfall sein.«

Sofort wandte Amanda sich dem Mac zu. »Welche Patientin?«, fragte sie geschäftig.

»Tiana Elroy.«

Amandas Finger verharrten über der Tastatur. Sie kannte den Namen. Leider viel zu gut.

»Sie klagt über Schmerzen im Unterbauch.«

»Schick sie rein.«

Vorbei war’s mit der morgendlichen Ruhe. Aber das war Amanda gewohnt.

Erin verschwand. Sofort tauchte das nächste Gesicht in der Tür auf. »Viel zu tun? Oder hast du einen Moment Zeit?«, fragte ihr Kollege Dr. Maurice Brown. Sie arbeiteten seit vier Jahren in dieser Praxis zusammen, und Amanda mochte ihn sehr gern, obwohl er manchmal total verrückte Ansichten vertrat.

Doch fachlich vertraute sie ihm vollkommen und sie hatte in den letzten Jahren viel von ihm gelernt.

»Gleich kommt eine Patientin, ja.«

»Wird wohl nichts mit der gemütlichen Morgenbesprechung.«

»Bist du nachher unten im OP?«

»Ha, heute sind es drei Patientinnen.« Er hielt einen Styroporbecher mit Kaffee in der Hand. Ebenfalls aus der Kaffeebar an der Straßenecke. Aus für Amanda völlig unerklärlichen Gründen weigerte Maurice sich seit jeher, einen Thermosbecher zu benutzen. Dabei schenkte sie ihm jedes Jahr zu Weihnachten einen, und jedes Jahr versprach er ihr hoch und heilig, diesen wirklich regelmäßig zu verwenden. Bis Neujahr hatte er den Vorsatz meist wieder vergessen.

»Dann sehen wir uns heute Mittag.«

Maurice tippte sich an eine imaginäre Schirmmütze, schlug zackig die Hacken zusammen und trat beiseite, damit Erin mit Mrs. Elroy hereinkommen konnte.

Tiana Elroy war ziemlich blass um die Nase. Sie hielt sich krampfhaft den Bauch und schien nicht zu wissen, was sie tun sollte.

Amanda stand auf. Sie legte ihre Kostümjacke ab und schlüpfte in den Arztkittel, der über einem Garderobenständer in der Zimmerecke hing. Erst dann reichte sie der Patientin die Hand. Einer ihrer Grundsätze lautete, dass Patientinnen von ihr in jedem Fall absolute Professionalität erwarten durften.

»Guten Morgen, Mrs. Elroy. Kommen Sie am besten gleich mit nach nebenan, dort schaue ich erst mal, ob alles in Ordnung ist.«

Sie übernahm die völlig verstörte Patientin von Erin und nickte ihrer Sprechstundenhilfe zu.

Durch eine Tür führte sie Mrs. Elroy in das Behandlungszimmer, das direkt an ihr Büro grenzte. Dort gab es neben einer kleinen Umkleide gedämpftes Licht und eine gynäkologische Liege, die allerdings durch das Dämmerlicht ihren Schrecken einbüßte.

»Ziehen Sie sich rasch um, dann wissen wir bald, was los ist.«

Mrs. Elroy verschwand in der Umkleide. Während sie sich auszog und in einen der Patientenkittel schlüpfte, die dort bereit lagen, hörte Amanda sie schniefen.

»Haben Sie Blutungen, Mrs. Elroy?«, fragte sie und rief auf einem Computerterminal in der Zimmerecke die Patientenakte auf.

»Nein … Ich habe nur seit heute Nacht diese Unterleibsschmerzen. Als würde ich bald meine Periode bekommen …«

»Das muss nichts bedeuten.« Aber Amanda wusste, dass die Patientin in dieser Situation nichts beruhigen konnte. Kein Wort, keine Beteuerung, dass alles gut gehen würde. Amanda prägte sich die Daten der Patientin ein: Vor gut drei Wochen Transfer von zwei wunderschönen Embryonen, der Bluttest vor zehn Tagen war positiv gewesen, was für eine intakte Schwangerschaft sprach. Danach waren die Entlassung aus ihrer Praxis und die Überweisung an den Frauenarzt der Patientin erfolgt.

»Warum sind Sie nicht zu Ihrem Gynäkologen gegangen?«

»Der hält mich für verrückt.« Tiana Elroy trat aus der Umkleide und schlich auf Wollsocken zu der Liege. Sie setzte sich und wartete, bis Amanda das Ultraschallgerät vorbereitet hatte.

»Ich mache einen vaginalen Schall«, sagte sie. »Über den Bauch werden wir vermutlich noch nichts erkennen können.«

»Okay.« Mrs. Elroy nickte unter Tränen.

Sie war nicht die erste Patientin, die zu Amanda kam, weil sie in der Frühschwangerschaft Beschwerden hatte. Doch Amanda hasste diese Vorsorge-Untersuchungen. Es gab einen Grund, warum sie Reproduktionsmedizinerin geworden war und nicht als Gynäkologin in einer Praxis oder einer Klinik arbeitete. Leider waren manche ihrer Kollegen bei einigen Patientinnen nicht bereit, sie vor Vollendung der siebten Schwangerschaftswoche zu untersuchen, wenn es zu Problemen kam – und sei es nur, dass die Patientin fürchtete, das Baby zu verlieren.

Amanda dimmte das Licht und drehte den Monitor des Ultraschallgeräts so, dass auch Mrs. Elroy alles sehen konnte. Die Patientin war schon Anfang vierzig und hatte mehrere Fruchtbarkeitsbehandlungen bei verschiedenen Ärzten hinter sich. Erst bei Amanda und Maurice hatte es geklappt, und sie war endlich schwanger geworden.

Amanda sah sofort, wonach sie suchte. Sie veränderte die Einstellungen des Geräts, damit auch Mrs. Elroy alles sehen konnte. »Schauen Sie mal, Tiana«, sagte sie. »Das hier ist die Fruchthöhle. Sieht sehr gut aus. Und dieser kleine helle Fleck darin? Das ist Ihr Baby.«

»Oh …«, machte Tiana Elroy.

»Und hier sehen Sie sogar schon einen Herzschlag. Alles ist zeitgerecht entwickelt. Schauen Sie mal hier …« Sie schallte weiter. Dann lachte sie. »Kein Wunder, dass Sie leichte Beschwerden haben. Da ist ja noch ein zweites!«

»Wie bitte?«

»Ja, hier.« Amanda veränderte den Winkel, sodass sie beide Fruchthöhlen gleichzeitig darstellen konnte. »Sie erwarten Zwillinge!«

»O mein Gott! Mein Gott, wie kann das sein …«

Tiana Elroy brach in Tränen aus.

Amanda gab ihr Zeit, sich zu beruhigen. Sie reichte ihr stumm ein Papiertaschentuch. Dann half sie Mrs. Elroy, sich aufzusetzen, und erklärte ihr, dass die mensähnlichen Schmerzen, die sie spürte, zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft völlig normal seien.

»Solange Sie keine Blutung bekommen, brauchen Sie sich keine Sorgen um Ihre beiden Babys zu machen.«

»Ich glaube das einfach nicht. Wie können es zwei sein?«

»Wir haben zwei Embryos eingesetzt.« Amanda grinste. Manchmal machte ihr Job ja doch Spaß.

»Aber wir haben vorher alles versucht, ich habe gedacht … Wenn sich nur eins einnistet, haben wir großes Glück. Das hier …«

»Wollen Sie nur ein Kind?«, fragte Amanda schärfer als beabsichtigt.

Mrs. Elroy winkte ab. »Nein, nein! Himmel, das wollte ich doch nicht … Zwillinge sind wunderbar. Herrje, wenn ich das meinem Mann erzähle … Er hat sich immer zwei Kinder gewünscht, wissen Sie? Wir waren so froh, dass es überhaupt geklappt hat. Nie hätten wir gedacht, dass wir dieses Glück im Doppelpack bekommen.«

»Denken Sie daran, Ihre Vitamine zu nehmen.« Amanda ließ vom Computersystem ein Rezept ausdrucken und unterschrieb es. »Und dann gehen Sie in zwei Wochen zu Ihrem Frauenarzt. Er wird alles Weitere mit Ihnen klären.«

»Ist so eine Zwillingsschwangerschaft nicht gefährlich in meinem Alter?«

»Keine Sorge. Sie sind schwanger geworden und werden es jetzt auch bleiben.«

Als Mrs. Elroy sich fünf Minuten später von ihr verabschiedete, gab Amanda Erin ein Zeichen. Sie brauchte jetzt erst mal ein paar Minuten für sich allein, bevor sie sich um die anderen Patientinnen kümmerte.

Sie hatte sich gerade auf ihren Schreibtischstuhl fallen lassen, als Maurice wieder ihr Büro betrat.

»Jetzt nicht«, sagte sie mit einem Seufzen.

Er ließ sich nicht beirren und trat an den Schrank, in dem neben einer veritablen Bar auch ein kleiner Kühlschrank verborgen war. Wortlos holte er zwei Dosen eisgekühlte Cola aus dem Kühlschrank und stellte eine vor Amanda auf den Schreibtisch, ehe er seine aufriss.

»Trink«, befahl er.

»Ich brauche jetzt was Härteres.«

»Das gibt’s hier nicht. Du weißt, warum.«

Sie seufzte. Natürlich wusste sie das. Sie redete sich fast täglich im Patientengespräch den Mund fusselig, damit die Paare, die zu ihnen kamen, zumindest während der Behandlungszeit den Konsum von Alltagsdrogen wie Alkohol und Zigaretten einschränkten oder besser noch ganz vermieden, um die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. Die Frauen sollten natürlich nach Eintreten einer Schwangerschaft dauerhaft darauf verzichten. Aber auch da hatte sie schon Dinge erlebt, die ihr völlig unverständlich waren. Eine Patientin hatte sogar mal angefangen zu rauchen, nachdem sie nach einer endlosen Reihe Behandlungszyklen endlich schwanger geworden war. Als Amanda sie fragte, warum sie so einen Quatsch mache, hatte die Patientin keine Antwort gewusst.

Die Cola musste es also richten. Amanda nahm einen großen Schluck und spürte, wie die kühle, zuckerhaltige Limonade ihr sofort ins Blut ging. Das Koffein in Verbindung mit dem Zucker machte sie wach. Wacher, als nach so einem Termin gut für sie war.

Ich ertrage diese Schwangeren nicht. Ständig kommen sie zu mir und wollen von mir hören, dass mit ihnen alles in bester Ordnung ist.

»Kannst du nicht demnächst die Hysterischen übernehmen?« So bezeichneten sie die Frauen, die auch nach der Behandlung in der Praxis auftauchten und Zuspruch wollten.

Maurice zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen gern, aber du weißt, dass sie immer nach dir verlangen.«

»Ich bin einfach viel zu nett.«

»Genau. Schrecklich mit dir. Man kann kaum ein vernünftiges Gespräch mit dir führen, weil du so nett bist.«

Amanda lächelte schmal. Sie wusste, dass Maurice sie nur deshalb aufzog, weil er alles über sie wusste. Er gehörte zu den wenigen Menschen, denen sie Einblicke in ihre Vergangenheit gewährte. Für alle anderen war sie Amanda Walker, seit vier Jahren Miteigentümerin dieser Praxis für Reproduktionsmedizin. Das Leben, das sie davor geführt hatte, existierte nur in ihren Erinnerungen.

Wobei sie selten über die Vergangenheit sprach. Sie hatte einfach nicht das Bedürfnis, sich über längst Geschehenes den Kopf zu zerbrechen.

»Und wenn wir die Praxis erweitern? Wir könnten noch eine Ärztin einstellen, die dann auch die Betreuung der Schwangeren übernimmt. Dann wäre ich aus der Nummer raus.« Sie zeigte auf den Computerbildschirm, der immer noch die Patientenakte von Mrs. Elroy anzeigte. »Zwillinge übrigens«, fügte sie hinzu. »Ich hatte recht.«

»Chapeau. Hätte ich nicht gedacht, nachdem sie so viele erfolglose Behandlungszyklen hatte.«

»Sie war bei den Stümpern.«

»Auch die Stümper schaffen es manchmal, einem Paar den Herzenswunsch zu erfüllen.«

Das mochte Amanda an Maurice. Er wurde beinahe poetisch, wenn es um ihren Job ging. Für viele Ärzte war das, was sie taten, nur ein Job. Bei ihnen wurden die Paare wie Nummern behandelt, und der sehnliche Wunsch, die große Sehnsucht, die sie zu Amanda und Maurice in die Praxis trieb, wurde anderswo nur als Luxusproblem abgetan. Sie konnten nicht schwanger werden? Na und! Es gibt doch genug Waisenkinder in diesem Land. Oder Leihmütter, die sich und ihren Körper für einen hohen fünfstelligen Betrag zur Verfügung stellen. Ist doch für alle Beteiligten die beste Möglichkeit, mussten sich die Paare anhören.

Aber sie wollten mehr. Amanda konnte sie verstehen … Vor allem für die Frauen brachte sie Verständnis auf. Das eigene Kind unter dem Herzen zu spüren, seine festen Tritte, seine Purzelbäume in dem sich langsam rundenden Bauch … Das sollte jede Mutter erleben dürfen. Und nicht eines Tages einen Anruf bekommen, in eine Klinik eilen und dort das bereits gewickelte und angezogene Baby in den Arm gelegt bekommen, das zukünftig »ihr« Baby sein würde.

Sicher konnten die Paare auch zu adoptierten oder von einer Leihmutter ausgetragenen Kindern eine sehr gute Bindung aufbauen, das bewies die Forschung. Dennoch war das für manche Paare ein schwacher Ersatz für die Empfängnis und das Austragen eines Kindes.

Und dies war nun Amandas und Maurices Auftrag. Kinder für diese Paare, die bereits alles versucht hatten und noch mehr versuchen würden. Ihre Methoden waren teilweise experimentell, in einigen Fällen noch nicht von Studien untermauert. Doch der Erfolg gab ihnen recht. Maurice hatte viele Jahre in der Forschung gearbeitet und brachte daher frische Ideen mit. Amanda hatte nach dem Studium ihre Facharztausbildung an einem Klinikum in Savannah gemacht, bevor sie nach Boston zurückgekehrt war und mit ihm die Praxis eröffnet hatte. Sie hatten sich auf einem Kongress kennengelernt, und Amanda scherzte gern, dass es sofort zwischen ihnen gefunkt habe – »in beruflicher Hinsicht natürlich«, pflegte sie zu ergänzen.

»Können wir uns denn eine dritte Vollzeitkraft leisten?«, fragte Maurice zweifelnd.

»Wenn du nicht jedes Jahr einen neuen Porsche kaufst, könnte es klappen.«

»Der letzte war auch wirklich nicht schön. Wer ahnt denn, dass das helle Interieur so wenig mit der violetten Speziallackierung harmoniert?«

Amanda lächelte. »Ist ja dein Geld. Und wir könnten ja zunächst jemanden auf Angestelltenbasis suchen, der sich später bei uns einkauft und erst dann am Gewinn beteiligt wird.«

»Keine schlechte Idee. Wir könnten mehr Patientinnen annehmen.« Maurice schien in Gedanken bereits die Bestellung für den nächsten Flitzer auszufüllen.

»Genau. Endlich mal die Warteliste etwas reduzieren.«

Weil sie so erfolgreich waren, gab es nämlich auch eine lange Warteliste. Neue Patienten mussten teilweise ein halbes Jahr auf einen Termin zum Erstgespräch warten.

»Ich setze Erin drauf an. Sie soll eine Anzeige entwerfen.«

»Prima!« Amanda trank ihre Cola aus und warf die Dose geschickt in den Papierkorb, wo sie scheppernd versank. »Dann wollen wir wieder an die Arbeit gehen?«

»Wenn es dir gut geht?« Maurice musterte sie prüfend.

»Es ging mir noch nie besser«, behauptete sie.

Nicht zum ersten Mal war sie froh, dass sie ihm damals auf dem Kongress für Reproduktionsmediziner, auf dem sie sich kennenlernten und bereits nach dem dritten Tequila Pläne für eine gemeinsame Praxis schmiedeten, erzählte hatte, was für sie die Arbeit mit Schwangeren so schwierig machte.

Er akzeptierte ihre Lüge mit einem Grinsen, als wollte er sagen: Mich täuschst du nicht. Ist aber kein Ding, denn ich werde immer für dich da sein, Amanda Walker.

Der Vormittag verging wie im Flug. Amanda kümmerte sich um zwei Patientenpaare, die aus Toronto und Albuquerque zu Erstgesprächen angereist waren. Drei weitere Patientinnen hatten Termine, um ihren Behandlungsplan zu besprechen, und eine Handvoll Frauen kam in ihr Sprechzimmer, um über Ultraschall- und Blutbefunde zu sprechen. Einer jungen Patientin Anfang dreißig musste Amanda leider mitteilen, dass sie nichts mehr für sie tun könne – es war ein trauriges Gespräch, doch die junge Frau war sehr gefasst.

Manchmal stießen sie eben doch an die Grenzen des Machbaren.

Amanda beriet sie über die Alternativen – Leihmutterschaft und Adoption – und verabschiedete die Patientin mit einer herzlichen Umarmung. Sie war davon überzeugt, dass diese Frau ihr Familienglück finden würde. Der Mann unterstützte sie in jeder Hinsicht, und sie war nicht so verzweifelt wie andere Frauen, für die nur ein leibliches Kind infrage kam.

Der Tag verlief also durchaus positiv. Trotzdem war Amanda froh, als es Zeit für die Mittagspause war. Sie war mit Maurice verabredet, der aus dem OP-Trakt ein Stockwerk tiefer nach oben kam. Er wirkte zufrieden mit dem Verlauf seines Vormittags.

Beim Lunch in seinem Büro sprachen sie über die Fälle, die sie gemeinsam betreuten. Anschließend warteten weitere Patientinnen auf Amanda. Sie arbeitete bis um vier, fuhr danach ins Fitnessstudio und verausgabte sich beim Kardiotraining. Sie hielt sich gern fit. Außerdem musste sie regelmäßig viele Meilen auf dem Laufband runterreißen, weil sie eine ziemlich große Schwäche für jede Form von Kohlenhydraten hatte, die sie sich einfach nicht verkneifen wollte.

Als sie zwei Stunden später ihren dunkelblauen SUV vor dem schmalen, dreistöckigen Backsteinreihenhaus parkte, in dem sie mit ihrem Ehemann Carter wohnte, stellte sie erfreut fest, dass sein alter, klappriger New Beetle bereits vor dem Haus stand. Er hatte es also heute früher nach Hause geschafft!

Sie stieg aus dem Wagen und ging ins Haus.

»Hallo, Liebster!«, rief sie und streifte die hohen Stiefel von den schmerzenden Füßen. Heute Morgen hatte sie den Fehler gemacht, sich von dem hübschen neuen Schuhwerk verleiten zu lassen, das sie erst vor wenigen Tagen gekauft hatte. Statt die Stiefel anständig einzulaufen, hatte sie sich spontan entschieden, sie einfach den ganzen Tag zu tragen, weil sie dachte, dass sie schon nicht so viel würde laufen müssen.

Ein Irrtum, wie sich jetzt herausstellte.

Aber es waren hohe Wildlederstiefel, die perfekt zum Bostoner Herbst und ihrem schlichten Kostüm passten!

Irgendwo im Haus hörte sie Carter antworten.

Sie folgte seiner Stimme und fand ihn im ersten Stock in seinem Büro. Carter saß am Schreibtisch, umgeben von Bücherbergen und Stapeln voller Kopien und Ausdrucke. Er schaute vom Bildschirm auf, als sie hereinkam.

»Du bist früh.«

»Jepp. Schnell, schick deine heimliche Geliebte nach Hause, ich will jetzt Zeit mit dir verbringen.«

Sein Lächeln wirkte etwas gequält. Sie gab ihm einen Kuss und ließ sich in den gemütlichen, alten Ledersessel fallen, den Carter noch aus seiner Zeit am College in Ehren hielt. Der Sessel war heilig. Jedes Möbelstück in ihrem Haus hatte Amanda mit viel Sorgfalt ausgewählt und auf das Einrichtungskonzept abgestimmt, das sie im Kopf hatte. Doch dieser Sessel war ein ewiger Streitpunkt zwischen ihnen. Sie hasste das Ding, weil er so abgrundtief scheußlich war. Schwarzes Kunstleder! Abgewetzt und mit einem Riss in der Sitzfläche, und vom Design wollte sie gar nicht erst anfangen … Carter wollte das Möbelstück auf keinen Fall fortgeben oder gar wegschmeißen, wie Amanda es immer wieder von ihm verlangte. Inzwischen war der Streit darum zu einem Running Gag verkommen. Und sie gab es ungern zu, aber der Sessel war urgemütlich, und sie genoss es sehr, sich abends nach der Arbeit ein halbes Stündchen zu Carter zu setzen und ihren Tag Revue passieren zu lassen, während er seinen Schreibtisch aufräumte.

»Bist du gut vorangekommen?«

Carter zuckte mit den Schultern. »Könnte ja immer besser sein.« Er war Historiker mit dem Schwerpunkt Antike und schrieb gerade für einen New Yorker Verlag ein populäres Sachbuch über den Untergang des Römischen Reichs. »Aber ich bin zufrieden.«

»Heute war eine schwangere Patientin bei mir.«

»Ja, und?« Er packte die Aufsätze zusammen, die er heute für seine Arbeit benötigt hatte, und räumte sie in eine Archivbox, die er penibel nummerierte und beschriftete. Amanda beneidete Carter um sein System; er behielt selbst im größten Chaos den Überblick. Sie selbst wäre ohne Erins Organisationstalent völlig aufgeschmissen.

»Nichts ›und‹. Ich mag das nicht. Wieso gehen sie nicht zu ihren Frauenärzten, wenn sie Probleme haben? Ich mache sie nur schwanger. Danach ist mein Job getan.«

Carter grinste. »Das ist für die Frauen eben schwer zu verstehen, dass du so gar nichts für Babys übrig hast. Die glauben vermutlich alle, dass du einen ganzen Stall Kinder daheim hast, weil du ja weißt, wie man Babys macht.«

Das Thema Kinder war eines, das Carter und sie schon sehr früh geklärt hatten. Sie wollten beide keine. Bei ihrem ersten Date vor acht Jahren hatte Carter ihr von seiner gescheiterten Ehe erzählt, und als sie fragte, woran sie gescheitert sei, erklärte er freimütig, Ellen und er hätten wohl einfach zu verschiedene Ansichten darüber gehabt, wie ihre Zukunft aussehen sollte.

»Sie wollte Kinder, am liebsten gleich ein halbes Dutzend. Ich konnte mir ein Leben mit Kindern nie vorstellen. Darum haben wir uns nach zwei Jahren Ehe getrennt. Sie hatte gedacht, dass sie es auch ohne Kinder aushalten könnte. Aber das hielt nur, bis sie sich in einen Kollegen verliebte, der genauso kinderverrückt ist wie sie. Inzwischen ist bei ihnen das zweite Kind unterwegs. Ich gönne ihnen ihr Glück.« Carter hatte einen Schluck vom hervorragenden Rotwein genommen, den er ausgewählt hatte. »Willst du Kinder?«, hatte er gefragt.

»Nein, niemals«, hatte sie ihm sofort versichert. Und als sie sich daraufhin über den Tisch hinweg anlächelten, hatte sie zum ersten Mal dieses Kribbeln verspürt. Er war der Richtige für sie, das wusste sie seit diesem Moment.

»Aber das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die keine meiner Patientinnen etwas angeht«, wandte Amanda ein. Nicht zum ersten Mal übrigens. Carter und sie führten dieses Gespräch alle paar Wochen.

»Dann solltest du diese Patientinnen einfach an Maurice verweisen.«

»Er hatte heute keine Zeit. Außerdem verlangen sie immer nach mir. Wir überlegen darum, ob unsere Praxis eine angestellte Ärztin trägt. Sie könnte dann auch bei Patientinnen eine intensivere Vorsorge machen, falls gewünscht.«

»Nur wird diese Ärztin auch zwei Wochen Urlaub im Jahr haben wollen, in denen du dich mit ihren Patientinnen herumschlagen musst«, wandte Carter ein. »Das wäre dann kurzfristig wieder mehr Arbeit.«

Auch wieder wahr. Amanda biss sich auf die Unterlippe. Daran hatte sie nicht gedacht, und jetzt ärgerte sie sich, weil Maurice und sie die Suche nach einer dritten Vollzeitkraft bereits angestoßen hatten.

»Na ja, vielleicht finden wir ja auch niemanden. Du weißt, wie anspruchsvoll ich sein kann.«

Carter grinste. »Doch, davon habe ich schon mal gehört.«

»Wollen wir heute Abend etwas zu essen bestellen?«

»Brauchen wir nicht. Ich habe uns Lasagne gemacht, die brauchen wir nur aufzuwärmen und dazu den Salat herzurichten.«

Amanda stöhnte genüsslich. »Du bist ein Schatz.«

»Ich weiß.« Er stand auf und räumte ein paar Bücher ins Regal. »Kommst du mit in die Küche?«

»Ich wasche nur mein Sportzeug und springe kurz unter die Dusche.«

»Okay.«

Sie hievte sich aus dem Sessel und ging ins Schlafzimmer. Dort zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus, ging ins Bad hinüber und stieg auf die Waage.

Die Anzeige verzeichnete zweihundert Gramm mehr als letzte Woche.

Verdammt! Wo kam das denn jetzt her? Sie hatte doch an ihrer Ernährung nichts geändert, und auch ihr Sportprogramm spulte sie wie gewohnt ab. War sie etwa jetzt in dem Alter, in dem man mehr für den Körper tun musste? Reichte es nicht mehr, dass sie sich mindestens dreimal pro Woche auf dem Laufband oder im Spinningkurs verausgabte?

Dann eben viermal.

Sie stieg unter die Dusche. Das Wasser war zu heiß, und sie brauchte eine Weile, bis sie die Temperatur richtig justiert hatte. Während sie ihr Haar shampoonierte, grübelte Amanda.

Die Jüngste bin ich mit 38 eben nicht mehr, da kann man schon mal das eine oder andere Pfund zusätzlich auf den Rippen ansammeln. Aber das muss echt nicht sein …

Sie war so stolz, weil sie sportlich war und immer noch Größe 36 trug. Wenn jetzt innerhalb einer Woche zweihundert Gramm dazukamen, führte das dazu, dass sie bis zum Jahresende drei Kilo zunahm!

Und dann warteten ja noch Thanksgiving und Weihnachten mit all ihren Verlockungen. Carters Schwester lud jedes Jahr zum Thanksgiving-Essen ein, und allein deshalb müsste Amanda ein halbes Dutzend zusätzliche Trainingseinheiten bis Weihnachten in ihr Fitnessprogramm einbauen.

Ich will jedenfalls mit vierzig nicht zu einer fetten Matrone werden.

Als sie aus der Dusche stieg, blieb Amanda einen Moment lang stehen und betrachtete sich im Spiegel über dem Waschtisch. Sie mochte ihre blonden Haare, die dunkelbraunen Augen und das zarte Gesicht mit der geraden Nase und dem kleinen Mund. Die Lippen waren vielleicht etwas zu schmal, und für ihr Empfinden standen die Augen eine Winzigkeit zu dicht beisammen. Aber das waren Dinge, die ihrem Aussehen etwas Besonderes verliehen.

»Dicke Schenkel sind aber nix Besonderes«, grummelte sie und ging zurück ins Schlafzimmer.

»Was ist los mit dir? Keinen Hunger?« Carter schaufelte hungrig die Lasagne in sich rein. Er hatte einen Bärenhunger. Man unterschätzte ja gerne, was die Kopfarbeit mit einem anstellte. Er bekam davon irgendwann schlechte Laune, die sich nur durch eine Extraportion Kohlenhydrate vertreiben ließ.

Amanda hingegen stocherte eher lustlos in ihrer Lasagne herum und hatte schon zweimal vom Salat nachgenommen. Am fehlenden Hunger konnte es also nicht liegen, dass sie eines ihrer Leibgerichte so konsequent verweigerte.

»Ich war vorhin auf der Waage.« Sie legte die Gabel beiseite. »Ich glaube, ich werde eine fette Matrone.«

»Ja, natürlich wirst du das«, bemerkte Carter trocken. Er betrachtete seine Frau zärtlich. Sie war schlank und sportlich, jeder Muskel ihres Körpers durch regelmäßiges Work-out und viele Kardioeinheiten im Fitnessstudio definiert. Sie war stolz auf diesen Körper. Zu Recht, wie er fand. Er war auch stolz auf sie, denn sie besaß Durchhaltevermögen und einen eisernen Willen. Seine eigene Mitgliedschaft in dem Fitnessclub, den sie besuchte, war hingegen eher passiver Natur.

»Ich meine das ernst!«, rief sie empört. Im nächsten Moment musste sie über sich selbst lachen.

»Wie viel hast du zugenommen? Ein Pfund? Anderthalb?«

Amanda riss die Augen auf. »Sehe ich so fett aus? Wo?«

»Du siehst nicht fett aus«, widersprach Carter. »Falls du zugenommen hast, sieht man es dir jedenfalls nicht an.«

»Ich verstehe das überhaupt nicht. Ich habe nämlich nichts anders gemacht als sonst.«

»Dann wirst du das, was du zugenommen hast, genauso schnell wieder verlieren. Oder es liegt an deinem Zyklus? Manche Frauen legen vor den Tagen etwas zu. Du hast mir doch mal von dieser Studie erzählt, bei der soundsoviel Prozent der Frauen Wasser einlagern.«

»Ja, das könnte sein.« Sie runzelte die Stirn. »Ich werde das beobachten.«

»Und während du es beobachtest, könntest du meiner Lasagne vielleicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit schenken.«

Amanda seufzte theatralisch. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Weißt du was? Genau das werde ich auch tun. Scheiß auf die Kalorien, scheiß auf die Kohlenhydrate. Ich werde einfach morgen wieder in den Fitnessclub gehen und den Spinningkurs mitmachen. Wäre doch gelacht, wenn ich mein Gewicht nicht halten könnte. Und es liegt bestimmt an meinem Zyklus. Nächste Woche ist der Spuk vorbei, und ich fühle mich noch besser und ausgeglichener.«

Sie grinste zufrieden. Carter streckte die Hand aus und drückte ihre.

»So gefällst du mir schon viel besser«, sagte er.

Ihre dunkelbraunen Augen strahlten.

Sie ist wunderschön, fuhr es ihm durch den Kopf. Wenn sie abends nach dem Sport frisch geduscht mit ihm beim Essen saß, glänzten ihre Wangen rosig von der Anstrengung und der heißen Dusche, und ihre langen, blonden Locken fielen noch etwas feucht auf ihren Rücken. Doch am meisten liebte er das Funkeln ihrer Augen. Als ob sie etwas im Schilde führte …

Nach dem Essen räumten sie den Tisch ab. Während Carter die Reste der Lasagne verpackte und im Kühlschrank verstaute, entkorkte Amanda eine Flasche Rotwein. Mit Wein, Gläsern und einem Schälchen Wasabinüsse wechselten sie ins Wohnzimmer hinüber, wo sie sich eine Folge ihrer Lieblingsserie im Fernsehen schauten, bevor sie noch für anderthalb Stunden lasen und dann ins Bett gingen.

Wir führen ein gutes Leben, dachte Carter an diesem Abend. Er wusste, wie viel Glück er mit Amanda hatte. Sie war ganz anders als seine erste Ehefrau Ellen. Sie wusste, was sie wollte, und das hatte Carter vom ersten Moment an sehr imponiert. Zumal sie beide dasselbe wollten: ein Leben zu zweit, ohne Kinder. Inzwischen fühlte er sich mit seinen 43 Jahren auch zu alt, um noch eine Familie zu gründen. Und bei Amanda musste er nicht befürchten, dass ihnen irgendwann ein »Unfall« passierte, sei es nun zufällig oder absichtlich. Sie kannte sich mit Verhütung aus.

In den letzten Monaten seiner Ehe mit Ellen hatte ihn diese Angst nicht mehr verlassen. Sie hatte plötzlich Kinder gewollt, und ab diesem Tag hatte sich in ihrem Verhältnis etwas verändert. Ellen war eine attraktive Frau – auch heute noch, wenn sie sich alle paar Monate trafen, dachte er das. Doch seit dem Tag, an dem sie ihm gestanden hatte, dass sie doch noch Kinder wollte, hatte er sie nicht länger attraktiv gefunden – und er hatte kein einziges Mal mehr mit ihr geschlafen.

Er wusste gar nicht so genau, warum er keine Kinder wollte. Seine Schwester Doris und sein Bruder Randolph hatten beide früh geheiratet und viele Kinder bekommen; nur er hatte sich diesem Weg von Anfang an verweigert. Doris war inzwischen schon das erste Mal Großmutter geworden, während Randolph davon schwärmte, wie toll es war, das Haus wieder für sich zu haben, weil die Kinder inzwischen auf dem College waren, ihren Berufen nachgingen und sich ein eigenes Leben aufbauten.

»Das Schönste ist, wenn man auf der Hochzeit der eigenen Tochter mit ihr tanzt«, hatte Randolph mal gesagt.

Nichts davon reizte Carter. Und er war froh, dass Amanda seine Ansicht teilte. Bei ihr lief er auch nicht Gefahr, dass sie sich irgendwann anders entschied. Sie hatte tagtäglich mit Paaren zu tun, die sich nichts sehnlicher wünschten als ein Kind. Hätte sie irgendwann selbst diesen Wunsch verspürt, dann hätte sie ihn nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern vermutlich mit ihm geredet.

Er wusste nicht, wie er reagieren würde. Würde er wieder aus einer Ehe fliehen, in der er sich wohlfühlte, die für ihn genau richtig war? Oder würde er sich beim zweiten Mal dem Wunsch der Frau beugen?

Jedes Mal, wenn sie nach Hause kam und berichtete, dass eine Frau sich von ihr auch während der Schwangerschaft Betreuung erhoffte, spürte er, wie sehr ihr diese Patientinnen verhasst waren. Er wusste nicht, warum das so war, aber sie ertrug Schwangere nur in der frühesten Phase. Danach sollten sich andere Ärzte darum kümmern.

»Woran denkst du?«

Amanda hatte ihr Buch zugeklappt und betrachtete ihn schon eine ganze Weile. Carter schüttelte den Kopf und versuchte so, die Gedankenschleifen zu vertreiben.

»Wie viel Glück ich mit dir habe«, antwortete er.

Sie lächelte. »Dann hast du das auch gerade gespürt? Als ginge ein Windhauch durchs Zimmer. Das ist unser Glück, das uns streift.«

»Es streift uns nicht nur, es küsst und umarmt uns sogar«, gab er automatisch zurück. Es war ein Dialog, den sie oft führten. Andere Paare sagten einander, dass sie sich liebten. Amanda und er schätzten sich einfach glücklich, dass sie einander hatten.

»Wir haben beide großes Glück.« Sie gähnte und streckte die Arme über den Kopf. Dabei rutschte der dünne Baumwollpullover nach oben, den sie oft an den ersten kühlen Herbstabenden aus dem Schrank holte. Er war inzwischen an den Ärmeln ziemlich abgewetzt, total ausgeleiert und die einst schwarze Farbe zu einem verwaschenen Anthrazit verblasst. Aber sie ließ über dieses Sweatshirt genauso wenig mit sich reden wie er über seinen Lieblingssessel.

»Gehst du schon ins Bett?«, fragte er, als sie aufstand. Sie nickte.

»Morgen wird ein anstrengender Tag. Ich stehe ab acht Uhr für vier Stunden im OP, und nachmittags habe ich wieder einen vollen Terminkalender.«

»Ihr solltet wirklich darüber nachdenken, noch jemanden einzustellen. Nicht mal zwingend für die gynäkologische Betreuung. Ich glaube, ihr seid so weit, dass ihr wachsen könnt.«

Amanda nickte. »Das finden wir auch. Deshalb haben wir die Stelle ausgeschrieben. Und es ist ein gutes Gefühl, wenn man so weit gekommen ist.«

»Keine Angst vor Wachstum.«

»Das sagst ausgerechnet du? Geht’s in deinem Buch nicht darum, dass das Römische Reich seinen Untergang provoziert hat, weil es zu schnell gewachsen ist?«

»Zu schnell, ja. Aber ihr seid jetzt schon seit Jahren dabei, habt eine Warteliste von über sechs Monaten und könntet vermutlich noch mehr Patienten aufnehmen, wenn ihr die Warteliste nicht konsequent beschneiden würdet.«

»Hast ja recht.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, und er nutzte die Gelegenheit, ihren straffen, vom Sport gestählten Bauch zu streicheln. »Kommst du auch bald ins Bett?«, flüsterte sie.

Er lächelte. »Woher hast du gewusst, dass ich mir gerade genau das vorgestellt habe?«

Sie gab die Kokette. »Ach … war nur so eine Idee. Ich habe nämlich auch Lust auf dich.« Sie berührte seine Wange und verließ das Zimmer.

Lange konnte Carter sich nicht mehr auf seine Lektüre konzentrieren. Er folgte ihr nach oben ins Schlafzimmer. Als er sie im Bett liegen sah, nur mit einem dünnen Hemdchen bekleidet, unter dem sich ihre hübschen Brüste abzeichneten, war dies der perfekte Moment, um ihr zu sagen, wie sehr er sie liebte. Wie sehr er sie begehrte. Er wusste, dass es der perfekte Moment war, doch er ließ ihn verstreichen, weil er in der nächsten halben Stunde einfach etwas Besseres zu tun hatte.

2. Kapitel

Samantha liebte den Herbst in Neuengland. Das Laub verfärbte sich in einem bunten Durcheinander von blassem Gelb über rotes Gold bis zum tiefsten Blutrot, und die Sonne strahlte von einem knallblauen Himmel, der fast zu schön war, um wahr zu sein. Außerdem waren die Temperaturen endlich einigermaßen angenehm. Nicht zu vergleichen mit der New Yorker Hitze, die sich zwischen den Wolkenkratzern staute und im August jeden, der halbwegs bei Verstand und mit ein bisschen Geld gesegnet war, in die Hamptons trieb. So hatte auch sie es gehalten, denn zum Glück kannte sie Oliver.

Aber jede Beziehung hat auch ihre Schattenseiten, und bei der mit Oliver war es eindeutig die, dass er sich nicht festlegen wollte. Er liebte es, von einer Beziehung zur nächsten zu flattern und sich zwischendurch bei Samantha auszuruhen, wenn gar nichts mehr ging. Wenn er das Gefühl hatte, dass die Frauen zu viel von ihm erwarteten, war sie ihm gerade recht, weil sie nie Forderungen stellte.

Sie wusste selbst nicht, warum sie das mit sich machen ließ. Aber es fühlte sich nicht so falsch an wie ihre letzte Beziehung mit einem Mann, der sie ausgenutzt und mit einem Berg Schulden zurückgelassen hatte, weil er das Geld lieber in Atlantic City verspielte, statt es in die gemeinsame Wohnung zu investieren.

Sam hatte jetzt also einen Berg Schulden, einen Liebhaber, der sich nur dann zeigte, wenn er sie brauchte, und ein Apartment in Manhattan, das leider ziemlich renovierungsbedürftig war.

Aber nun hatte sie beschlossen, das alles hinter sich zu lassen.

Darum war ihr die Anzeige in der medizinischen Fachzeitschrift direkt ins Auge gefallen.

Eingeführte Praxis für Reproduktionsmedizin in Boston sucht ab sofort Verstärkung, gern Gynäkologin mit Spezialisierung auf Reproduktionsmedizin. Überdurchschnittliche Bezahlung, Krankenversicherung und weitere Vergünstigungen inklusive.

War sie wirklich bereit, New York zu verlassen?

Immerhin saß sie schon im Wartebereich der Praxis, denn auf ihre Bewerbung hin hatte man sie innerhalb einer Woche zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Was sie sah, gefiel ihr jedenfalls schon mal sehr gut: eine ruhige, helle Atmosphäre, auf dem Beistelltischchen nicht die üblichen Broschüren und Zeitschriften, sondern eine kleine Auswahl Informationsmaterial und Tageszeitungen. Die Blumen in der weißen Vase waren frisch und verströmten einen dezenten Duft. Die Frauen und Paare, die hier saßen, hatten genug Raum, um bei ihren leisen Gesprächen nicht von anderen belauscht zu werden. Einige Frauen starrten einfach nur ins Leere, während andere auf ihre Hände blickten, als könnten sie mit ihrer Hilfe das heraufbeschwören, was sie sich am meisten ersehnten.

Eine Arzthelferin kam in das Wartezimmer. »Miss Samantha Dollinger?«

»Hier.« Sam sprang auf. Sie klemmte die Mappe mit ihren Referenzen und Unterlagen unter den Arm und folgte der Arzthelferin mit den blau gefärbten Haaren in ein Sprechzimmer. Dort wurde sie von einer blonden Frau begrüßt, die Sam spontan auf Mitte dreißig schätzte. Sie sah sportlich und frisch aus. Vielleicht war sie auch Anfang dreißig.

»Miss Dollinger? Ich bin Amanda Walker. Danke, dass Sie heute Zeit für uns haben.«

»Kein Problem.«

Dr. Walker wies einladend auf eine Sofaecke. »Setzen wir uns doch hierhin. Das ist etwas gemütlicher, als wenn der Schreibtisch zwischen uns ist. Möchten Sie etwas trinken? Einen Kaffee oder ein Wasser?«

»Wenn Sie welchen haben, nehme ich Tee.«

»Erin kümmert sich darum. Für mich bitte Kaffee«, fügte sie hinzu und lächelte Sam entschuldigend an. »Mein größtes Laster. Im Moment bin ich ständig so müde, dass ich im Stehen einschlafen könnte.«

»Haben Sie viel zu tun?«

»Daran könnte es liegen.« Sie lachte gut gelaunt. Sam merkte, dass sie Dr. Walker mochte. Sie war wie die große Schwester, die Sam nie gehabt hatte.

»Also, Miss Dollinger. Ich habe Ihre Bewerbung gelesen, und mir gefällt Ihr bisheriger Werdegang sehr gut. Sie haben tolle Referenzen.« Dr. Walker blätterte die Bewerbungsmappe durch. Dann blickte sie auf. »Wie sieht es bei Ihnen mit Kindern aus?«

»Ich verstehe die Frage nicht.«

»Möchten Sie Kinder? Planen Sie, irgendwann eine Familie zu gründen?«

Sam schwieg verlegen. Normalerweise war so eine Frage unzulässig, und sie müsste darauf auch gar nicht antworten. Zumal sie im Moment gar keine Antwort auf diese Frage wusste. Oliver war wohl kaum der Richtige, um mit ihm eine Familie zu gründen …

»Ich weiß es nicht«, gab sie ehrlich zu. »Im Moment ist jedenfalls nichts geplant.«

»Und später?« Dr. Walker ließ nicht locker.

Sam atmete tief durch. Später war ein dehnbarer Begriff. Immerhin war sie erst Ende zwanzig. »Nein«, log sie. »Ich denke, ich möchte keine Kinder.«

»Das ist gut. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir haben nichts dagegen, wenn Frauen Kinder bekommen. Das ist immerhin unsere Aufgabe – wir verhelfen ihnen zu diesem Glück. Aber eine schwangere Ärztin ist alles andere als angenehm für unsere Patientinnen. Sie haben teilweise bereits einen langen Leidensweg hinter sich, und jede Schwangere ist für sie wie ein Trigger. Das möchten wir gern vermeiden.«

»Was würden Sie denn machen, wenn ich irgendwann schwanger werde?«

Dr. Walker hatte auch darauf eine Antwort. »Wir würden Sie vermutlich für die Dauer der Schwangerschaft, mindestens aber ab dem fünften Monat freistellen.«

»Okay …« Da Kinder ohnehin noch kein Thema für Sam waren, konnte sie ganz entspannt bleiben.

»Wir suchen vor allem eine Ärztin, die uns in der täglichen Beratung unterstützt. Dabei geht es um die Ausarbeitung von Behandlungsplänen, Untersuchungen der Patientinnen und so weiter.«

»Machen Sie auch Schwangerschaftsvorsorgen?«

»Nein, aus den vorhin genannten Gründen vermeiden wir das. Manchmal kommen Patientinnen nach erfolgreicher Behandlung und bitten uns um Unterstützung, weil ihr eigener Frauenarzt sie in diesem frühen Stadium noch nicht betreut. Dafür wären Sie dann zuständig, während wir uns vermehrt der Laborarbeit und den Operationen widmen.«

Sam nickte. Das war für sie eine gute Aufgabenteilung, denn Operationen hatte sie während der letzten Jahre im Klinikum mehr als genug durchgeführt. Sie sehnte sich nach der etwas ruhigeren Arbeit als Teil eines Praxisteams.

»Okay … Haben Sie noch Fragen?«

»Ja.« Sam atmete tief durch. »Wie sieht es mit einem vergünstigten Darlehen aus, wenn ich mich in Boston niederlassen möchte? Ich würde dann vielleicht ein Haus kaufen wollen …«

»Darüber können wir sicher reden. Eine gute Krankenversicherung und ein Pensionsplan gehören ebenfalls zu unserem Angebot.«

»Dann wäre da noch die Frage, ob sich bei entsprechender Leistung früher oder später die Möglichkeit ergibt, Partnerin in der Praxis zu werden.«

Dr. Walker hob die Augenbrauen. »Sie legen sehr viel Wert auf die Details.«

»Immerhin würde ich einen erstklassigen Job in New York aufgeben. Na ja, und New York auch.«

»Verstehe. Sie wollen nicht aus New York weg?«

Sam biss sich auf die Unterlippe. Jetzt war sie Dr. Walker doch noch auf den Leim gegangen. Natürlich wollte sie aus New York weg, aber nicht um jeden Preis. Wenn die Konditionen hier stimmten, wäre sie die Letzte, die sich gegen diese neue Chance stemmen würde. Aber zugleich wusste sie, dass die New Yorker Klinik, in der sie in wenigen Jahren zwangsläufig Oberärztin werden würde, einen exzellenten Ruf genoss. Sie konnte sich theoretisch ihren nächsten Job aussuchen.

Aber sie wollte nicht irgendeinen Job, sondern etwas, bei dem sie die Verantwortung an andere abgeben konnte. Doch durfte sie das einfach so sagen?

»Vielleicht habe ich Ihnen einen falschen Eindruck der Position vermittelt, die wir anbieten«, sagte Dr. Walker.

»Nein, nein. Ich weiß schon, was Sie anbieten. Und das ist absolut in Ordnung.«

»Sie klingen aber nicht besonders glücklich.«

Das lag mit Sicherheit nicht an der Jobsituation. »Ich habe gehofft, dass meine Arbeit hier entsprechend geschätzt wird. Ich gebe immerhin einen Posten auf, der mir in den kommenden Jahren eine bestimmte Entwicklung garantiert. Inklusive Forschungsgelder.«

»Sie müssen wissen, was Sie wollen. Ob es die Möglichkeit einer Partnerschaft überhaupt gibt, können wir frühestens in drei bis fünf Jahren entscheiden. Wenn das für Sie nicht infrage kommt, suchen Sie sich lieber eine andere Praxis, in der Sie Ihre exzellenten Referenzen völlig ungerechtfertigt unterbezahlen lassen.«

Himmel, diese Dr. Walker hatte wirklich Haare auf den Zähnen.

»Ist schon in Ordnung«, behauptete Sam. Und im Grunde war es das ja auch. Sie suchte nach einem Job, der sie aus New York wegführte, bei dem sie nicht viel Verantwortung trug und der trotzdem eine Herausforderung war. Allerdings war dieses Profil nicht so leicht zu erfüllen.

Und hier hätte sie den perfekten Job, noch dazu in ihrem Fachgebiet. Sie brauchte nur zuzugreifen – und machte doch alles mit ihrem mangelnden Verhandlungsgeschick wieder kaputt.

»Wir melden uns«, sagte Dr. Walker zum Abschied.

Sam lächelte tapfer, doch sobald sie das Gebäude verlassen hatte, fiel die souverän aufrecht erhaltene Maske, und sie hatte das unangenehme Gefühl, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegreißen.

»Das war wohl nichts«, murmelte sie enttäuscht und warf ihre Bewerbungsmappe, in der sie noch zusätzliche Zertifikate zusammengestellt hatte, in den nächsten Mülleimer. Wenn man nach dem Bewerbungsgespräch so ein lapidares »Wir melden uns« zu hören bekam, gab es nicht nur andere Bewerber, sondern man konnte sicher sein, dass man nicht in die engere Auswahl kam.

Also würde sie den Herbst nicht in Neuengland verbringen, sondern musste sich mit dem goldenen Laubdach der Bäume im Central Park zufriedengeben.

Und die endgültige Trennung von Oliver rückte ebenfalls in weite Ferne. Sie würde sich nicht von ihm trennen können, solange sie keine räumliche Distanz zu ihm aufbaute. Ihre Beziehung war zu kompliziert und mit zu vielen Gefühlen und Erinnerungen verknüpft.

Aber sie wollte nicht aufgeben. Aufgeben war für sie nie eine Option gewesen.

»Und? Wie war unsere Favoritin?«, fragte Maurice und kam in die Teeküche. Amanda stand vor dem Kühlschrank und musterte den Inhalt. Sie runzelte die Stirn, nahm einen Fertigsalat heraus, den sie selbst heute früh reingestellt hatte, stellte ihn frustriert wieder zurück und nahm stattdessen einen von Erins Schokopuddings, die sie sonst immer total eklig fand. Aber jetzt hatte sie Hunger auf Schokopudding und nicht auf Salat. Musste sie eben im Fitnessclub zehn Minuten länger auf dem Laufband bleiben.

»Schrecklich«, klagte sie. »Stell dir vor, sie hat überhaupt nicht nach unserer Arbeit gefragt. Es ging nur darum, welche Vergünstigungen sie bekommt. Ob wir ihr ein zinsgünstiges Darlehen gewähren, damit sie sich in Boston niederlassen kann, wie unser Pensionsplan aussieht und so weiter. Es ging ihr wirklich nur ums Geld.«

»Ihre Referenzen sind hervorragend, nicht wahr?«

»Sie ist sehr viel besser als alle anderen Bewerber.«

Maurice zog die Bewerbungsmappe über den Tisch, die Amanda vor sich liegen hatte, während sie den Schokopudding in sich reinschaufelte. Himmel, sie könnte direkt noch so ein Ding verdrücken. Vielleicht sollte sie lieber gleich eine ganze Palette nachkaufen, bevor sie Erin alles wegfutterte.

»New York, Jahrgangsbeste. Sie kommt aus einer exzellenten Klinik. Und es macht ihr nichts aus, zukünftig nicht so oft im OP zu stehen?«

»Sie meinte, das wäre kein Problem für sie. Aber zugleich wollte sie wissen, ob wir ihr früher oder später eine Partnerschaft anbieten.«

»Okay, wo ist das Problem?« Maurice war wirklich begriffsstutzig.

»Ich hab einfach das Gefühl, dass es ihr nur ums Geld geht.«

»Das hat dich bei den anderen Bewerbern bisher auch nicht gestört.«

Amanda wollte noch etwas hinzufügen, doch sie hielt lieber den Mund. »Du findest sie süß«, stellte sie fest.

»Quatsch.«

Er klappte die Mappe zu. Sie glaubte zu sehen, dass er verärgert die Stirn runzelte.

»Willst du, dass wir sie nehmen?«

»Ich finde eben die anderen Bewerber nicht so überzeugend wie sie.«

Amanda seufzte. Irgendwie hatte sie befürchtet, dass es so weit kommen würde; jetzt konnten Maurice und sie sich nicht mal auf eine Kandidatin einigen. Wie sollte das erst werden, wenn sie in einigen Jahren weiter expandierten und bereits einen dritten Partner an Bord hätten? Machte das nicht alles noch komplizierter?

»Weißt du was? Wir lassen das.« Sie entriss ihm fast gewaltsam die Mappe und schob sie unter die Patientenakte, in der sie gerade las. »Wir stellen niemanden ein. Ich kümmere mich weiter um diese Schwangeren, die nicht mal zwei Wochen warten können, bis ihr Arzt sie untersucht.«

»Kein Grund, deshalb aus der Haut zu fahren«, murmelte Maurice. »Ich habe dir nichts getan, oder?«

Amanda wusste selbst, dass sie ihn ungerecht behandelte, aber die Wut in ihrem Bauch war größer als alles andere. »Du hattest doch die bescheuerte Idee. Deinetwegen musste ich mir ein halbes Dutzend Idioten anhören, die mir alle erzählen wollten, wie toll unsere Praxis ist, was für einen exzellenten Ruf sie hat und was für eine wichtige Arbeit wir leisten. Ich habe jedem von ihnen gesagt, dass es uns nicht darum geht, den Paaren zum Kinderglück zu verhelfen, sondern dass wir uns einfach den Arbeitsbereich ausgesucht haben, in dem wir beide brillieren.«

»Im Klartext: Du hast die Guten vergrault.«

»Ach, mach doch, was du willst. Meinetwegen kannst du die Bewerbungsgespräche führen, wenn es dich glücklich macht.«

»Ich übernehme das gern. Zunächst würde ich dann wohl Samantha Dollinger zu einem zweiten Gespräch einladen.« Er wartete einen Moment. Als wollte er ihre Reaktion abwarten.

Amanda zuckte nur mit den Schultern. »Ist mir egal, was du machst. Hauptsache, ich bin aus der Sache raus.«

»Keine Sorge. Du wirst von unserer neuen Kraft nichts sehen und nichts hören. Und übrigens, wenn du heute Abend noch in den Drugstore fährst – denk dran, Damenhygieneprodukte zu kaufen, falls du nichts mehr zu Hause hast. Mit deinem PMS vergraulst du wirklich jeden.«

Sie starrte ihm wütend nach, als er gut gelaunt und mit Samantha Dollingers Bewerbungsmappe unter dem Arm aus der Teeküche spazierte. Erin kam ihm entgegen, und Maurice war auch noch so gemein, ihr eine Warnung zuzurufen, dass man bei Amanda heute vorsichtig sein sollte, was man sagte.

Blödmann, dachte sie.

Aber das mit dem PMS – konnte gut sein …

Trotzdem sollte er sie nicht behandeln, als wäre sie eine unfähige Frau, die sich von ihrem Hormonstatus dermaßen ablenken ließ, dass sie keine vernünftigen Entscheidungen treffen konnte.

»Hast du etwa meinen Schokopudding aufgegessen?« Erin stand vor dem offenen Kühlschrank und starrte auf das leere Fach.

Amanda stand auf und warf den leeren Becher in den Müll. »Tut mir echt leid. Ich kaufe neue«, sagte sie, und als wäre das die perfekte Begründung, fügte sie hinzu: »PMS. Alle vier Wochen im Ausnahmezustand.«

Erin runzelte die Stirn. »Bist du dir sicher? Das letzte Mal hast du meine Schokopuddingvorräte kurz vor meinem Geburtstag dezimiert. Das war vor sechs Wochen.«

»Echt? Komisch.« Das musste sie in ihrem Kalender nachsehen. Aber was konnte sie sonst dazu treiben, große Mengen Schokopudding in sich reinzuschaufeln?

»Ganz bestimmt. Ich war an dem Tag total frustriert, weil meine Eltern nicht zu meinem Geburtstag kommen konnten. Und dann waren auch noch die Puddings alle.«

»Ich kaufe dir auf jeden Fall eine Palette Pudding. Kommt morgen, okay?«

»Schon gut.« Erin nahm stattdessen den Fertigsalat. »Ich bin eh viel zu dick.«

»Bist du nicht«, widersprach Amanda automatisch. Sie musste wieder an ihre Waage daheim denken, die ihr letzte Woche einen Schreck eingejagt hatte. 200 Gramm waren für andere Frauen keine großen Schwankungen – für sie aber schon. Und heute war wieder Wiegetag. Nach so viel Schokopudding dürfte es sie nicht überraschen, wenn sie erneut zugenommen hatte.

»Irgendwas muss ja der Grund sein, weshalb niemand sich für mich interessiert.«

»Unsinn«, widersprach Amanda automatisch. »Du bist eine tolle, selbstbewusste junge Frau. Das wird schon irgendwann noch ein Kerl erkennen. Und die, die das nicht sehen, können dir doch gepflegt den Buckel runterrutschen, oder nicht?«

Erin zuckte mit den Schultern. »Liegt vermutlich daran, dass ich schon Kinder habe. Ich bin 25, habe keine abgeschlossene Ausbildung, und meine beiden Söhne sind unter der Woche bei meiner Mom. Ich meine, ich bin nicht nur Mutter, sondern auch noch Rabenmutter. Und ich esse zu viel Schokopudding.« Bestätigend klopfte sie auf ihren Bauch. Der war tatsächlich nicht mehr so flach und muskulös wie der von Amanda, doch das lag sicher nicht am Schokopudding, denn Erin trug dieselbe Kleidergröße wie Amanda.