Wir schlechten guten Väter - Tobias Moorstedt - E-Book
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Wir schlechten guten Väter E-Book

Tobias Moorstedt

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Beschreibung

Es ist wahnsinnig einfach, für seine Vatertugenden gelobt zu werden. Vom Gemüsehändler bis zur Schwiegermutter scheinen alle beeindruckt zu sein, wenn Tobias Moorstedt Zeit mit seinen Kindern verbringt oder sogar die kleine Tochter trösten kann. Aber das positive Feedback spiegelt die eklatant niedrigen Erwartungen an Väter wider, denn Frauen leisten immer noch viel mehr Care-Arbeit als Männer. Jeden Tag. Selbstkritisch und ehrlich erzählt Tobias Moorstedt, was ihn und andere Männer davon abhält. Und plötzlich wird sichtbar, dass nicht nur Frauen unter der Unvereinbarkeit von Familie und Karriere leiden und wie schwer es auch für Männer ist, den Fesseln des Patriarchats zu entkommen. Der Autor kombiniert aktuelle wissen- schaftliche Erkenntnisse mit einer exklusiven Studie über die Vater- perspektive auf ›Mental Load‹. Seine Analyse umfasst die Berichte von ganz unterschiedlichen Männern sowie seine eigenen Erfahrungen als Vater zweier Kinder.

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Über den Mythos vom neuen Vater

Es ist wahnsinnig einfach, für seine Vatertugenden gelobt zu werden. Vom Gemüsehändler bis zur Schwiegermutter scheinen alle beeindruckt zu sein, wenn Tobias Moorstedt Zeit mit seinen Kindern verbringt oder sogar die kleine Tochter trösten kann. Aber das positive Feedback spiegelt die eklatant niedrigen Erwartungen an Väter wider, denn Frauen leisten immer noch viel mehr Care-Arbeit als Männer. Jeden Tag.

Selbstkritisch und ehrlich erzählt Tobias Moorstedt, was ihn und andere Männer davon abhält. Und plötzlich wird sichtbar, dass nicht nur Frauen unter der Unvereinbarkeit von Familie und Karriere leiden und wie schwer es auch für Männer ist, den Fesseln des Patriarchats zu entkommen.

Der Autor kombiniert aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit einer exklusiven Studie über die Vaterperspektive auf ›Mental Load‹. Seine Analyse umfasst die Berichte von ganz unterschiedlichen Männern sowie seine eigenen Erfahrungen als Vater zweier Kinder.

© Frank Stolle

Tobias Moorstedt, geboren 1977, ist Journalist und Autor. Er hat die Redaktionsagentur Nansen & Piccard mitgegründet und leitet heute deren Hamburger Büro. Moorstedt besuchte die Deutsche Journalistenschule und studierte Politik, Soziologie und Literaturwissenschaft in München und New York. Regelmäßig schreibt er für verschiedene renommierte Medien und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Heute lebt er mit seiner Familie in Kronberg, Taunus.

Tobias Moorstedt

Wir

schlechtenguten

Väter

Warum Männer sich erfolgreich gegen Familienarbeit wehren – und warum wir das dringend ändern müssen

Mit Informationsgrafiken vonOle Häntzschel

eBook 2022

© 2022 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Informationsgrafiken: Ole Häntzschel

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-7133-9

ZUM BUCH

Es ist paradox: Wer ein Buch über Familienarbeit und die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und ›the pursuit of happiness‹ schreibt, hat natürlich weniger Zeit für die Familienarbeit selbst. Da reflektiere ich über die Zumutungen der Erwerbsgesellschaft, archaische Rollenbilder oder das schlechte Gewissen, das zuverlässig entsteht, wenn ich auf dem Spielplatz mal wieder meine E-Mails checke, statt den Kindern leckere Sandkuchen im Hexenhäuschen abzukaufen, oder am Telefon hänge, während hinter der Schiebetür zum Wohnzimmer ebendiese unendlich bezaubernden Kinder lachen, weinen, husten oder einen Sack voller Duplo-Steine mit diesem herrlich klirrenden Geräusch über den Teppich verteilen.

Die Autorin Katja Berlin hat sich in der Erfolgsreihe ›Torten der Wahrheit‹, in der sie gefühlte Wahrheiten und gesellschaftliche Absurditäten mithilfe von Infografiken visualisiert, mal über die Tendenz von neuen Vätern lustig gemacht, viel über ihr neues Leben zu philosophieren – und wenig zur Bewältigung des Alltags beizutragen. Deshalb an dieser Stelle: vielen Dank für die Erlaubnis zum Abdruck.1

Das ist ziemlich lustig und sehr wahr. Und eine gute Frage: Wäre ›einfach machen‹ nicht zielführender als endlos reden, nachdenken, problematisieren? Andererseits muss man ein Problem wie die ungerechte Aufgabenverteilung von Familienarbeit, das in Komplexität und Halbwertszeit der toxischen Materie nur mit dem Atomausstieg vergleichbar ist, vielleicht erst einmal genau beschreiben und verstehen, um Dinge auf nachhaltige Art und Weise zu verändern.

Woran man erkennt, dass jemand ein »neuer Vater« ist

an der Windeltasche, die er mit sich rumträgt

an der Tupperdose mit Apfelschnitzen

am Buch, das er darüber geschrieben hat

Während der Recherche für dieses Buch habe ich wahnsinnig viele gute Mütter und Väter gesprochen und kennengelernt. Mit dem Titel ›Wir schlechten guten Väter‹ geht es mir auch weniger darum, eine ganze Generation von Männern moralisch zu verurteilen, sondern die Ambivalenz unserer gesellschaftlichen Realität zu beschreiben. Natürlich gibt es unzählige Männer, die bereits heute 50Prozent oder auch mehr Familienarbeit leisten, weil sie das mit ihrer Partnerin so besprochen haben, weil diese aus persönlichen, beruflichen oder gesundheitlichen Gründen zurückstecken müssen, weil sie allein- oder geteilt erziehend sind, weil sie es einfach wollen und machen. Gleichzeitig ist der Übergang vom Alleinverdiener- zum Doppelverdiener-Modell, vom absenten zum präsenten Vater in Deutschland noch lange nicht abgeschlossen, sondern in vollem Gange. Das führt zu Widersprüchen und Paradoxien und merkwürdigen Rückkopplungsschleifen. Eine knappe Mehrheit der Männer in Deutschland will sich heute gleichberechtigt mit ihrer Partnerin um die Kinder kümmern, aber die überwiegende Mehrheit sieht die Vollzeitbeschäftigung noch immer als bestes Lebenskonzept für Väter kleiner Kinder an. Wie passt das zusammen?

Dieses Buch enthält keine private oder politische To-do-Liste, weil es ja bereits Bücher gibt wie ›Es geht nur gemeinsam. Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen‹ von der großartigen Soziologin Jutta Allmendinger, sondern ist eher ein Psychogramm der modernen Väter. Woher kommt dieses seltsame Grundgefühl, für Dinge wie Kinderklamotten oder Kinderarztbesuche nicht zuständig zu sein? Wie gehen wir mit dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit um? Welche Gespräche müssen wir mit Partnerinnen und Arbeitgeber:innen führen?

Ende der 1990er-Jahre hat die damalige amerikanische First Lady Hillary Clinton die Redewendung populär gemacht: »It takes a village to raise a child.« Und was braucht man für ein Buch? Ohne jetzt fragwürdige Parallelen zwischen einer Schwangerschaft und der zehnmonatigen Produktionszeit dieses Textes ziehen zu wollen – Stichwort ›Gebärneid‹ und ›Größenwahn‹ –, hilft es natürlich in jedem Fall, ein Support-System zu haben, das die eigene Produktivität steigert, Schwächen ausgleicht und Gedanken formuliert, die man selbst vielleicht nur als vage Ahnung spürte. Dank gebührt vor allem meiner Frau Sibylle, die es neben ihrem sogenannten ›vollzeitnahen Job‹ als Chirurgin irgendwie schaffte, mir die zeitlichen und mentalen Ressourcen freizuräumen, die man für ein solches Unterfangen benötigt, und deren Liebe, Sinn fürs große Ganze und fürs kleinste Detail unsere Familie zur schönsten ›Bubble‹ der Welt macht und mich zu einem besseren Menschen und Vater.

Danke auch an die Programmleiterin Sachbuch des DuMont Verlags, Tanja Rauch, die mich davon überzeugt hat, diese Recherchereise überhaupt anzutreten. Es hat sich gelohnt. Für mich auf jeden Fall – und hoffentlich auch für die Leser:innen? Danke an Jakob Schrenk, meinen besten Freund und heimlichen Textchef, für seine Zeit und die soziologische Klarsicht, danke an Michael Moorstedt, Benedikt Sarreiter, Alexander Runte und Karline Nitsch für ihr Feedback und ihre Ideen, Silke Probst und Timea Wanko für den Quellencheck und ihre mentale Präzision und Ole Häntzschel für die tollen Infografiken.

Danke an meinen Vater Rainer Moorstedt für die langen Gespräche und meine Mutter Angela Hiermer-Hoffmann, die während der Produktion mehrmals einflog, wenn Arbeitsbelastung und Kinderbetreuung in der Kernfamilie nicht mehr zu leisten waren. Ebenso danke ich allen Freund:innen und Kolleg:innen meiner Firma Nansen & Piccard, die immer Verständnis hatten, wenn das Buchprojekt mal mit der Alltagsarbeit kollidierte, die mich bestärkten und mir jeden Tag zeigen, wie wertvoll es ist, ein Arbeitsumfeld zu haben, in dem man selbstbestimmt und flexibel eine Work-Life-Balance herstellen kann. Und besonders an Sandra Langmann und Laura Selz, die mit mehr als zwanzig Vätern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Leitfadeninterviews durchgeführt haben, in denen diese unglaublich ehrlich, authentisch und oft auch humorvoll über ihr Vatersein sprachen. Danke auch an alle Väter und Expert:innen, die mit mir und meinem Team über das Thema sprachen, unter anderem an Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Volker Baisch von der Väter gGmbH, Marco Krahl von Men’s Health Dad, weil ich so unterschiedliche Perspektiven auf das Thema kennenlernen durfte und nicht in meiner Bubble gefangen blieb, so schön es dort auch ist.

Die vielen guten Ideen, Gedanken und Beispiele haben mir Energie gegeben, wenn ich selbst mal wieder ins Zweifeln gekommen bin, etwa ob es so sinnvoll ist, in Buchform über Familienarbeit zu reflektieren, wenn eh zu wenig Zeit für meine eigene Familie bleibt. Nach diversen Lockdowns, wunderschönen gemeinsamen Stunden, Nervenzusammenbrüchen vor der Kita und gerissenen Deadlines bleibt vor allem ein Gefühl, das mir aus dem Familienalltag vertraut ist und das sicher auch viele Mütter und Väter kennen: Hoffentlich ist das, was ich mache, gut genug.

INTRO

PLÖTZLICH PATRIARCH

Es war der 14.März 2020, und eine schlechte Nachricht folgte der anderen: Die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen in Deutschland verdoppelte sich alle zwei, drei Tage. Der DAX war in nur einer Woche auf ein Rekordtief gefallen. In Italien und Spanien spielten sich Szenen in den Krankenhäusern ab, die an Katastrophenfilme erinnerten. Und der Blick nach Südeuropa schien auch ein Blick in unsere eigene düstere Zukunft zu sein, die Dinge bereithielt, die wir nur aus den Erzählungen der Großeltern kannten: leere Regale in den Supermärkten, Menschen, für die kein Platz in der Klinik ist, Dutzende Särge auf Militärtransportern.

So richtig Angst machte den Menschen dann aber folgende Nachricht: An diesem Märztag schlossen in Bayern alle Schulen und Kindertagesstätten, »ebenso alle Privatschulen, Berufsschulen, die Kindertagespflege und heilpädagogische Einrichtungen«. Weitere Bundesländer folgten schnell. Die Süddeutsche Zeitung beschrieb schon einige Tage vor Beginn des Lockdowns die Angst vor dem Lagerkoller. Die Kita-Schließung erregte die Menschen mehr als die Frage nach der realen Sterbefallrate des Coronavirus oder jene, ob es genug Beatmungsgeräte gibt oder wie es mit dem Datenschutz der Corona-Tracing-App aussieht. »Skandal«, zitierte die Zeitung fassungslose Eltern. Und: »Was mache ich mit der Langsamkeit, mit der Leere?« Und: Wie solle man die Kinder fünf Wochen lang bespaßen, ohne dass sie »nur am Handy, Fernseher, der Playstation hängen?«2

Die Politik hatte keine Lösung parat: »Es wird auch ein bisschen ruckeln in den ersten Tagen«, meinte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und lieferte somit ein Preview auf den Grad an Empathie, mit der die Alte-weiße-Männer-Gremien plus Quotenkanzlerin der Frage nach Kita- und Schulschließungen in den folgenden Monaten der Pandemie begegnen sollten.

An jenem 14.März 2020, ich weiß es genau, habe ich noch gelacht, als ich den Lagerkoller-Warnartikel las. Und das, obwohl auch die Kita meiner dreijährigen Tochter geschlossen war und sich meine Familie nach einer Tirol-Reise in Selbstisolation auf achtzig Quadratmetern im dunklen Spätwinter befand.

Ich habe über die Untergangsstimmung vor dem Untergang gelacht, genau wie über all die ›Was wir von Corona lernen können‹-Erörterungen, die bereits zu dieser Zeit erschienen, weil mich störte, dass die Menschen sich als Überlebende einer Naturkatastrophe stilisierten, bevor die Viruswelle überhaupt die Alpen überschwemmt hatte. »Wir werden diese Erfahrung wohl leider erst mal machen müssen. Die Moral kommt am Ende der Geschichte«, schrieb ich neunmalklug auf Twitter.3

Ich war naiv und überhaupt einer dieser unerträglich lässigen Typen, die auf Social Media teilten, dass Isaac Newton und William Shakespeare während der Pestepidemien im 17.Jahrhundert ja einige ihrer besten Arbeiten abgeliefert hätten (und dabei vergaßen, dass Newton ein kinderloser Junggeselle war und Shakespeare seine Familie weit weg vom Londoner Theaterleben in Stratford-upon-Avon geparkt hatte).

Vielleicht konnte ich aber nur entspannt auf die Situation blicken, weil wir zu Beginn der Pandemie noch zehn Monate Elternzeit auf dem Konto hatten und ich als selbstständiger Wissensarbeiter maximal flexibel arbeiten kann. Vielleicht habe ich aber auch nur unterschätzt, wie katastrophal die Lage schon vor der Katastrophe war.

Neue alte Normalität

Zu Beginn des Lockdowns arbeitete ich nur wenige Stunden am Tag und fand es sehr lustig, wenn die Kinder meiner Geschäftspartner während des Videocalls auf dem Bildschirm auftauchten wie Figuren im Kasperletheater. Und ich testete, ob ich ein Konzept schreiben kann, während meine damals dreijährige Tochter auf meinen Schultern sitzt und unseren selbst komponierten Smash-Hit ›Alle meine Mäuse‹ trällert. Bald sagte ich aber immer öfter zu ihr: »Gehst du bitte zu Mama ins Wohnzimmer?« Irgendwann hatte die Dreijährige verstanden und fragte nun: »Musst du jetzt LEIDER arbeiten?« Das Wort ›leider‹ war fortan mit dem Moment verbunden, in dem ihr Vater sich an den Küchentisch und vor den Computer setzt und sich die Tür unaufhaltsam schließt. Leider. Was will man machen. Ist halt so. Im Sommer 2020 arbeitete ich dann längst wieder acht bis zehn Stunden am Tag im Büro. Unsere Dreijährige durfte ihre Kita-Freunde nur zweimal in der Woche sehen. Die Eingewöhnung der Einjährigen wurde erst einmal auf ein unbestimmtes Datum verschoben. Meine Frau, Dr.med. mit Intensiverfahrung, hatte die Jobsuche nach der Elternzeit vorübergehend eingestellt, »bis sich die Lage klärt«. Für mich lief es super. An die Videokonferenzen hatte ich mich schnell gewöhnt. Und wenn ich zwischen 17 und 18Uhr aus meinem so gut wie verlassenen Co-Working-Space nach Hause kam, rannte meine Tochter mir in die Arme und schrie: »Papa!« Wie ich bei meinem Vater, und er vermutlich bei seinem Vater und so weiter. Plötzlich war ich das Patriarchat.

»Die Pandemie ist wie eine Lupe, die alles in einer Beziehung vergrößert, das es vor der Pandemie schon gab. Das Gute wie das Schlechte«, sagte die New Yorker Familientherapeutin Esther Perel, die für ihren Podcast ›Where Should We Begin?‹ bekannt ist.4 Der Soziologe Armin Nassehi meinte: »Die Corona-Krise wird für die Familien genauso ein Stresstest werden wie für den Staat und die Unternehmen.«5

Unter der Corona-Lupe war für mich dann endgültig nicht mehr zu übersehen, dass mein Anspruch an mich selbst sowie der Vorsatz, den ich gemeinsam mit meiner Frau gefasst hatte, gleichberechtigte und -wertige Eltern zu sein, nach drei Jahren und zwei Kindern und einer Pandemie ziemlich wankten. Als sogenannter moderner Vater bekomme ich zwar viel positives Feedback dafür, dass ich »Zeit mit den Kindern verbringe«. Eine gute Freundin lobte mich einmal explizit vor ihrem Mann, weil ich bei einem Playdate die Laufsocken meiner Tochter nicht vergessen hatte. Das Familienministerium berichtet im ›Väterreport 2018‹ von einem starken Wandel.6 Aber ist das wirklich so? Kann ich stolz sein auf das positive Feedback, oder sind die Erwartungen der Frauen und der Gesellschaft nur so niedrig?

Ich bringe meine Tochter zur Kita und hole sie meist sechs Stunden später wieder ab, gehe aber trotzdem öfter zum Sport als meine Frau zur Rückbildungsgymnastik. Ich komme zum Social-Distancing-Kindergeburtstag auf dem Spielplatz (zwanzig Minuten zu spät), in den Familien-Google-Kalender eingetragen hat es meine Frau. Sie macht auch wie selbstverständlich die Kinderarzttermine aus und organisiert Playdates mit anderen Kita-Kindern. Und wenn ich von ihrer oder meiner Mutter für mein Engagement gelobt werde, stöhnt sie entnervt auf. Weil sie nicht zu Unrecht das Gefühl hat, ein Großteil der Verantwortung und Planung liege implizit bei ihr – der Fachbegriff in der Geschlechtergerechtigkeitsdebatte dafür heißt ›Mental Load‹ –, und sie hat als Ärztin einen anspruchsvolleren und anstrengenderen Beruf als ich. Mit dieser Situation sind wir nicht allein: Obwohl es 60Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren bevorzugen würden, wenn beide Partner gleich viel Zeit in Familie und Karriere investieren, setzen laut des ›Väterreports‹ nur 14Prozent ein solches partnerschaftliches Modell um.7 Und diese Studie wurde vor der Pandemie gemacht.

Ein Rückschritt in die Zukunft?

»Eine der eindrücklichsten Folgen des Virus wird sein, dass viele Paare zurück in die 1950er-Jahre gebeamt werden«, schrieb Helen Lewis im Frühjahr 2020 in der Zeitschrift The Atlantic.8 Zwar haben Männer eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, an dem neuartigen Coronavirus zu versterben,9 der Erreger infiziert und zersetzt aber auch das Lebensmodell, das sich viele moderne Paare in den wohlhabenden Ländern in den vergangenen zwanzig Jahren aufgebaut haben: Weil sie Kinder in Betreuungseinrichtungen oder abends an Babysitter abgeben, können beide arbeiten und abends zum Sport oder ins Kino gehen oder womöglich sogar einen ruhigen oder wilden gemeinsamen Moment im Kerzenlicht und mit Champagnerprickeln erleben. Wenn die Kitas aber für mehrere Monate schließen, müssen sich diese Paare entscheiden, wer seine Arbeit reduzieren muss. Und weil in Deutschland knapp 73Prozent der Mütter von Kindern unter sechs Jahren in Teilzeit arbeiten, aber nur 7Prozent der Väter,10 stecken vor allem die Frauen zurück und kümmern sich um Kleinkinderbetreuung und Homeschooling, während der Mann in die alte Rolle als Ernährer zurückfällt. Bereits nach wenigen Wochen stellten Forscher:innen des Wissenschaftszentrums Berlin in der Studie ›Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona‹ fest, dass Mütter weit »stärker von Arbeitszeitanpassungen betroffen sind als Väter: Sie haben im Vergleich zu Vätern eine um 6Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, weiterhin im üblichen Stundenumfang zu arbeiten, und eine um 4Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, gar nicht zu arbeiten.«11 Eine enorme »Retraditionalisierung« beobachtete auch die Soziologin Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin: »Die Infrastruktur fällt also weg, die Politik legt keinen großen Wert auf Familien in den ersten Wochen, und schwuppdiwupp sind die traditionellen Geschlechterschemata und Stereotypisierungen plötzlich wieder da.«12

Und schwuppdiwupp: Da sind wir. Auf einer pragmatischen Ebene machte es in den Pandemiejahren 2020 und 2021 vielleicht Sinn, dass meine Frau die Elternzeit um einige Monate verlängert hat und ich weiter für Miete, Haushalt und Urlaub auf Balkonien arbeite. Aber es entspricht überhaupt nicht unseren Vorstellungen von einem guten gemeinsamen Leben. Die Coronapandemie hat diese Konstellation nicht ausgelöst, sondern nur unübersehbar gemacht. Und auch wenn noch nicht klar ist, welche langfristigen Folgen das Virus auf die Gesellschaft und vor allem die Familien haben wird – manche Studien berichten schließlich auch, das Homeoffice-Dasein sorge dafür, dass Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen –, ist doch eines sicher: So, wie es bislang lief, wird und kann es nicht weitergehen.

Eigentlich hatten wir in Deutschland noch nie so gute Bedingungen, die Familienarbeit gleichberechtigt aufzuteilen, es gibt Elterngeld und -zeit, den gesetzlichen Anspruch auf Kita-Betreuung und familientherapeutische Maßnahmen, die uns mit Beratung und Coaching zur Seite stehen. Aber wir kriegen es nicht hin. »Man sollte sich nicht fragen, warum der gesellschaftliche Wandel so langsam vonstattengeht«, meint auch der Soziologe Scott Coltrane, »sondern warum sich Männer so erfolgreich wehren. Die kurze Antwort ist: Es liegt in ihrem Interesse, eine Trennung der Sphären zu verstärken, die männliche Ideale untermauert und eine Geschlechterordnung aufrechterhält, die Männer vor Frauen bevorzugt.«13

Leiste ich Widerstand? Vielleicht nicht bewusst, offenkundig ideologisch, aber immer öfter fühle ich mich ertappt: wenn ich auf dem Weg zu einem Geschäftstermin an einem Spielplatz vorbeikomme und nur Mütter und Kinder sehe oder mich mal wieder nicht um ein Geburtstagsgeschenk für die Freundin meiner Tochter gekümmert habe. Warum freue ich mich insgeheim auf Montag und mein ruhiges Büro? Warum wird es mir so leicht gemacht, mich zu drücken? Und warum ändere ich nichts daran? Ich bin ja kein Schnipsel einer Statistikstudie, der von der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Thermik herumgewirbelt wird und an einem Ort landet, an den ich nie wollte.

Das Projekt

Dieses Buch ist kein Ratgeber, mit dessen Hilfe man dank eines markenrechtlich geschützten Prozesses in fünf oder zwölf Schritten zu einer transparenten, gerechten und vor allem glücklichen Aufteilung von Care-Arbeit gelangt (pardon). Ratgeber machen glauben, dass die Lösung für jedes beliebige Problem (BMI oder Depression) ganz einfach ist. Aber wenn es wirklich eine einfache Lösung für das Care-Problem gäbe, wäre sie auch schon längst umgesetzt, und alle Mütter und Väter wären zufrieden und dieses Buch unnötig. Offenbar ist es nicht so. Und in Wahrheit ist es sogar noch schlimmer. Wir haben auch das Problem noch gar nicht vollständig verstanden. Wir wissen schlicht zu wenig über die Lage der Männer: Welche Erwartungen haben sie an sich selbst? In welchen Situationen stehen sie besonders unter Druck? Was muss sich ändern, damit sie sich ändern (können)? »Es gibt kaum Daten und Studien zu dem Thema«, meint Volker Baisch, Gründer der Väter gGmbH, der seit fünfzehn Jahren Väter und Unternehmen beim Übergang in einen familienfreundlicheren Arbeitsmodus berät. »Dieser blinde Fleck ist umso erstaunlicher, weil die Beteiligung von Vätern bei der Care-Arbeit extrem wichtig ist, wenn wir die Herausforderungen des 21.Jahrhunderts meistern wollen.« Wie können wir unseren Kindern helfen, zu glücklichen, selbstbewussten Menschen heranzuwachsen? Wie wollen wir die Pflege alter und kranker Menschen organisieren? Wie wollen wir eigentlich im digitalen Zeitalter arbeiten und zusammenleben? Diese Fragen können wir nicht beantworten, ohne über die Rolle der Väter zu sprechen. Und die Politik allein wird diese Probleme nicht lösen. Dazu braucht es Engagement und neue Ideen auf der familiären Ebene. Jeder Vater ist heute gefragt.

Neben meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen fließen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse der Psychologie, Soziologie und Neurobiologie sowie eine exklusive repräsentative Studie in dieses Buch ein. Zudem werde ich die Ergebnisse von Leitfadeninterviews mit mehr als zwei Dutzend Vätern aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen und gesellschaftlichen Schichten einbringen. Ich hoffe, dass dieses Buch einen Impuls in die festgefahrene Debatte um die gerechte Aufteilung von Familienarbeit und (emotionalem) Freiraum setzt und eine Antwort auf die Frage gibt: Was hält uns Männer heute von Familienarbeit ab? Und wo stehen wir uns vielleicht selbst im Weg?

Als Kapitelstruktur des Buches dienen sechs Väter-Ausreden wie: »Frauen können es einfach besser«, die viele Leserinnen sicher schon zu oft gehört und viele Leser zu oft verwendet haben. Dadurch werden nicht nur verschiedene Felder abgedeckt – von der Arbeitswelt über Neurobiologie bis zur Paarromantik –, auf diese Weise sollen auch die »Strategien des Widerstandes«, von denen der Soziologe Coltrane spricht, möglichst lebensnah untersucht werden.

»Ich mache ja schon mehr als alle anderen«

Ein wahnsinnig blödes Argument, das leider wahnsinnig oft in meinem Kopf aufploppt. Es gibt ja immer einen namenlosen Typ, dessen Faulheit und Unachtsamkeit die eigene übersteigt. Aber ist das ein Grund, zufrieden zu sein? Im ersten Kapitel soll der Status quo beschrieben werden. Wie organisieren sich Familien heute? Wie zufrieden sind sie mit ihrem Leben? Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert? Wie ist die Lage in anderen Ländern, und was können wir davon lernen?

»Sie kann das einfach viel besser als ich«

Auch im Jahr 2021 glaubt die Mehrheit der Menschen in Deutschland, dass Frauen ›von Natur aus‹ besser dafür geeignet sind, sich um Kinder zu kümmern. Was weiß die Wissenschaft zu diesem Thema? Warum ist diese These von der Übermutter so langlebig, und wie beeinflusst sie das Leben moderner Familien?

»Ich habe es nicht anders gelernt«

In vielen Kinderbüchern, die ich abends meinen Töchtern vorlese, arbeitet die Mutter im Haushalt oder Teilzeit, der Vater ist eher selten zu sehen (vor allem nicht in der Küche). Ich suche diese Bücher nicht aus, weil ich sie gut finde, sondern weil es kaum andere gibt (selbst bei Tierfamilien herrscht das Patriarchat). Oft frage ich mich, was durch die Lektüre bei meinen Kindern hängen bleibt – und wie sie unseren Alltag, die Rollenverteilung zwischen meiner Frau und mir prägt. Wie wurde ich selbst, wie wurde die aktuelle Elterngeneration in den 1980er- und 1990er-Jahren geprägt? Durch Familie, Popkultur, Medien? Was hat sich verbessert? Was nicht? Und was muss sich jetzt endlich unbedingt verändern?

»Sie lässt mich ja nicht«

Fast jeder Vater kennt die Situation, dass man das Baby anzieht und von hinten eine Stimme ertönt: »Ist das nicht zu heiß/zu kalt/zu grün?« Es gibt längst wissenschaftliche Belege dafür, dass Frauen manche Aufgaben in der Familienarbeit – bewusst oder unbewusst – an sich reißen und es so Männern erschweren, sich zu engagieren. Der Fachbegriff: ›Maternal Gatekeeping‹. Die Soziologin Cornelia Koppetsch, die eine große Studie zu dem Thema durchgeführt hat, empfiehlt allen Frauen mehr Toleranz für chaotische Verhältnisse.14 Wobei Chaos auch schon fast wieder nach »zu heiß/zu kalt/zu grün« klingt. In diesem Kapitel wird untersucht, ob Maternal Gatekeeping wirklich ein so präsentes Phänomen ist und mit welchen Strategien man damit umgehen kann. Und natürlich stellt sich auch die Frage, ob Väter anders mit ihren Kindern umgehen als Mütter – und warum das vielleicht auch nicht total schlimm ist.

»Wir haben das doch gemeinsam so entschieden«

Bevor ein Kind auf die Welt kommt, hat man Zeit, gemeinsam ein Bild von der Zukunft zu malen – die Lage ist ja noch vergleichsweise ruhig –, meist in leuchtenden Farben und einfachen Formen. Und ohne Sinn und Bewusstsein dafür, welche Spätfolgen diese initialen Designentscheidungen haben werden. Nach der Geburt unserer zweiten Tochter sagte meine Frau: »Dieses Mal möchte ich ein Jahr zu Hause bleiben.« Ich habe damals gesagt: »Ja, klar, kein Problem.« Es war für mich selbstverständlich, dass ich diesen Wunsch respektiere. Weil ich als selbstständiger Wissensarbeiter maximal flexibel Geld verdienen kann. Weil ich mir nicht anmaßen wollte, die Beziehung, die (m)eine Frau zu dem Kind hat, das in ihrem Bauch wuchs, letztgültig zu verstehen, weil ich sie liebe. Aber vielleicht wäre es besser für uns gewesen, wenn ich gesagt hätte: »Sorry, Baby! Aber ich will auch was von dem Kind haben. Lass mal 50:50 machen. Außerdem sind Männer, die länger als zwei Monate pausieren und den Familienladen schmeißen, laut RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung über Jahre engagierter in der Familienarbeit, verbringen am Wochenende in den ersten sechs Lebensjahren ihrer Kinder pro Tag 1,5Stunden mehr mit diesen und machen mehr Hausarbeit.15 Das ist genau mein Ding.«

Habe ich aber nicht – und bin jetzt Teil der übergroßen Mehrheit von Männern, die nur zwei Monate Elternzeit nehmen. Wie laufen solche Debatten in Beziehungen ab? Welche Motive sind hier am präsentesten? Und welche Folgen hat das?

»Ich kann mir das einfach nicht leisten«

Fast die Hälfte der Väter, die für dieses Buch an einer repräsentativen Umfrage teilgenommen haben, stimmen der Aussage zu, dass es familienfreundliche Regelungen in ihren Unternehmen nur pro forma gibt. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob es eine firmeninterne Kita gibt oder wie die Personalabteilung auf das Einreichen von Elternzeit reagiert, sondern auch um die herrschende Kultur in einzelnen Teams. 75Prozent der Männer finden es wichtig, dass der oder die Vorgesetzte mit gutem Beispiel vorangeht und selbst in Elternzeit geht.16 Welche Erfahrungen machen Pioniere, Arbeitgeber und -nehmer, die neue Wege gehen? Wann sind die Finanzen wirklich der Grund für die Passivität der Väter? Und wann nur eine billige Ausrede? Wie müsste man unsere Arbeitswelt verändern, dass erfüllte Elternschaft und finanzielle Sicherheit kein Widerspruch mehr sind. Und liegt der langsame Kulturwandel wirklich nur daran, dass die Unternehmen einem veralteten Modell anhaften? Oder auch an uns selbst, frage ich mich, wenn ich spätnachmittags mit meinen Kindern auf dem Wohnzimmerteppich ein Puzzle mache und es nicht unterdrücken kann, meine E-Mails zu checken: Welche Nachricht erwarte ich, die größer ist als die Freude der Einjährigen, die zum ersten Mal ein Kuhbein an den Kuhkörper heftet? Lottogewinn? Update von der Präsidentin der EU-Kommission persönlich?

Und jetzt?

Am Ende des Buches geht es natürlich um die Frage, wie man die Herausforderungen, vor die uns das eigene Ego, die Rollenprägung und die Gesellschaft stellen, besser bewältigen kann. Man kann ja nicht sagen, man wäre nicht gewarnt worden: Vor der Geburt meiner ersten Tochter wusste ich schon von Freund:innen und vielen Untersuchungen, dass die Qualität der Partnerschaft durch Kinder deutlich sinkt. Etwa die Hälfte der Paare, die sich scheiden lassen, hat minderjährige Kinder, vermeldet das Bundesamt für Statistik.17 »Der Übergang vom Paar zur Elternschaft ist eine der größtmöglichen Veränderungen, die man in seinem Leben erfahren kann, und darin steckt natürlich neben der Freude viel Potenzial für eine Krise«, sagt die Diplompädagogin und Familiencoachin Judith Rosner.18 Wie kann man diese mögliche Krise abwenden oder zumindest abfedern? Wie gelangt man zu einer neuen Paarkultur, die sich nicht nur auf das Kindermanagement bezieht und die auch das Heranwachsen der Kinder und das eigene Älterwerden übersteht?

Fragt man den Soziologen Kai-Olaf Maiwald, was man ändern muss, damit es weniger Konflikte in Beziehungen gibt, damit nach der Geschlechterrevolution auch die Zufriedenheit von ALLEN Menschen steigt, sagt er: »Es ist so einfach wie effektiv: durch Reden.«19 Aber das ist natürlich schwerer, als es klingt. Liebe und Aufmerksamkeit sind nicht alles beziehungsweise: müssen im Alltag auch angewandt und praktiziert werden. Bevor ich eine Familie hatte, fand ich die Vorstellung von Planungskonferenzen und Arbeitsplänen schrecklich unromantisch. Heute ahne ich, dass es wenig Romantischeres gibt. Was haben WIR eigentlich vor? Was ist UNS wichtig? Es geht darum, sich aktiv und reflektiert mit den Routinen und Problemen des Familienlebens auseinanderzusetzen und eine Lösung zu finden, die zu einem passt. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch für manche Leser:innen ein Anlass oder auch eine Hilfe sein kann, sich auf diesen Weg zu begeben.

Auf den letzten Seiten findet sich ein Appendix mit Links, Informationsressourcen, Lesetipps und Anknüpfungspunkten für Väter und Mütter, die sich noch weiter mit dem Thema beschäftigen wollen. Viel Spaß und Erfolg dabei!

Während der Recherche habe ich viele spannende, mutige und kreative Leute sprechen dürfen. Zum einen habe ich für dieses Buch Interviews mit verschiedenen Expert:innen geführt,20 zum anderen sogenannte echte Menschen, Mütter und Väter, getroffen – und viel über mich und unsere Gesellschaft gelernt. Am meisten hat mich beeindruckt, wenn Eltern sich nicht vom Alltag erdrücken ließen, sondern den Druck und Stress in positive Energie umwandelten. Da sind die Unternehmensberaterin und ihr Ehemann, die während des Lockdowns abwechselnd ihre Videokonferenzen im parkenden Auto führten, weil die Enge in der Wohnung so groß war (die Frau startete später mit Freundinnen eine soziale Bewegung für mehr Familienrechte). Da ist der Start-up-Gründer, der den Co-Working-Space gegen das Kinderzimmer eingetauscht hat, damit seine Frau ihre Fachärztin-Ausbildung abschließen kann, und »nie mehr zurück möchte«. Da ist der Fernfahrer, der seiner Tochter via FaceTime täglich Mathenachhilfe gibt.

In all diesen Beispielen wird die Gegenwart einer Zukunft erkenn- und greifbar, für die es sich zu kämpfen lohnt – und zwar auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene. Eine Welt, in der weder Frauen noch Männer von inneren und äußeren Erwartungen in eine Rolle gepresst werden und die ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht. In der Beziehungen von Dialog und Teamwork geprägt sind und nicht von Konflikten und passiv-aggressiven Routinen und in der Mütter und Väter eine tiefe, offene, fördernde Beziehung zu ihren Kindern haben – in den ersten Lebensjahren und ein Leben lang.

Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto größer wurde meine Überzeugung, dass ich mein Leben ändern muss – und dass es sich vielleicht auch für andere lohnt. Für dieses Ziel müssen wir jetzt handeln. Denn der Satz, den ich nie zu meinen Kindern sagen möchte, lautet: »Wenn ich durch die Zeit reisen könnte, würde ich alles anders machen.« Wir haben nur eine Chance. Nutzen wir sie.

KAPITEL 1

»ICH MACHE JA SCHON MEHR ALS ALLE ANDEREN«

Status quo – Geschichte – Mental Load

Es ist leicht, in Deutschland als moderner Vater zu glänzen: Da geht man mit seinen beiden Kindern auf den Wochenmarkt und will nur ein paar Erdbeeren kaufen und wird plötzlich vom Verkäufer gepriesen wie eine überreife Südfrucht kurz vor Ladenschluss: »Zwei Schalen, vier Euro! Ganz allein mit den Kindern unterwegs? So was gibt es in anderen Ländern nicht! Zwei Schalen, drei Euro!«, schreit er über den Platz und sagt noch, dass sich die deutschen Frauen glücklich schätzen können, so jemanden wie mich zu haben.