Wirksam führen mit Systemtheorie - Timm Richter - E-Book

Wirksam führen mit Systemtheorie E-Book

Timm Richter

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Beschreibung

Wer mit der Führung eines Unternehmens oder eines Teams befasst ist, gerät leicht in ein Labyrinth von komplexen Zusammenhängen, unvermeidlichen Widersprüchen, wechselnden Rollen und kniffligen Entscheidungen. Wie können Führungskräfte und andere an Führung Beteiligte unter diesen Umständen wirksam sein – insbesondere in der Welt des New Organizing? Die Kunst besteht darin, sich im Handeln zugleich von außen zu beobachten. Die Blaupause dafür liefert die Systemtheorie, die Timm Richter und Torsten Groth in diesem Buch für Führungsprozesse erschließen und praktisch umsetzen. Sie nehmen dazu vier relevante Führungsebenen in den Blick: die Führung der eigenen Person, die von Mitarbeitenden und Teams sowie die Führung von Organisationen. Für jede Ebene werden für die Praxis relevante Aspekte aufgezeigt und in hilfreiche Gebote übersetzt. Das Buch ermöglicht Führungskräften einen aufgeklärten Blick auf Teams und Organisationen und mehr Sicherheit in Bezug auf die eigene Position und Rolle; Berater:innen versetzt es in den Stand, Organisationen zu einer besseren Führung zu verhelfen.

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Die ReiheManagement/Organisationsberatung

Die heutige Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft. Man muss schon lange suchen, um überhaupt noch Bereiche zu finden, die nicht von Organisationen geprägt sind. Unternehmen jedweder Größe und Eigentumsform, Verwaltungen, Schulen, Gerichte, Krankenhäuser, Universitäten, Kirchen, Verbände, Parteien, Vereine etc. – allesamt übernehmen sie gesellschaftliche Funktionen und bestimmen unser Leben. Die Fülle an Aufgaben, die unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung und Digitalisierung gleichzeitig zu erfüllen sind, wie auch die Bandbreite an Organisationskonzepten und Führungsansätzen, mit denen der komplexe Alltag bewältigt werden soll, stecken das Feld ab, in dem Management und Beratung mehr oder weniger wirksam werden.

Die Zeiten, in denen es einfache Antworten auf die vielfältigen Fragen zur Überlebenssicherung einer Organisation und auch zur Steuerung tagtäglicher Entscheidungsprozesse gab, sind seit Langem vorüber. Der Komplexität, mit der heute alle konfrontiert sind, die in verantwortlichen Funktionen in und mit Organisationen arbeiten – Führungskräfte, Manager und Organisationsberater etc. –, wird man mit Rezeptwissen nicht mehr gerecht. Hier setzen die neuere Systemtheorie und mit ihr die Reihe Management/Organisationsberatung im Carl-Auer Verlag an. Beide liefern Konzepte und »Landkarten«, die auch im unübersichtlichen Terrain von Wirtschaft und Organisation Orientierung ermöglichen und Handlungsfähigkeit sicherstellen.

Das Ziel der Reihe ist es, empirisch gehaltvolle Forschungen über die Prozesse des Organisierens wie auch theoretisch angemessene Führungs- und Beratungsansätze zu präsentieren. Zugleich sollen bewährte Methoden einer system- und lösungsorientierten Praxis im Kontext von Organisationen überprüft und neue Ansätze entwickelt werden.

Torsten Groth

Herausgeber der Reihe

Management/Organisationsberatung

Timm Richter

Torsten Groth

Wirksam führen mit Systemtheorie

Kernideen für die Praxis

2023

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Management und Organisationsberatung«hrsg. von Torsten Groth

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagmotiv und Illustrationen: © Frank Hargina • www.px-box.de

Redaktion: Uli Wetz

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-0506-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8466-9 (ePUB)

© 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

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Inhalt

Vorwort

1 Führung als Prozess, Führung als Funktion

1.1 Eine erste Annäherung: zu führende Einheiten und ihre Grenzgestaltung

1.2 Die Führungsschleife: Überlebenssicherung in einem Führen-Folgen-Prozess

1.3 Normen, Lernen, Führung – und ihr Verhältnis zueinander

1.4 Aufgabenbereiche von Führungshandeln: Direct, Manage, Lead

1.5 Praktische Gebote

2 Führung der eigenen Person: Ich und meine Rolle als Führungskraft im Prozess der Führung

2.1 Die Erzeugung von Führungskräften durch die Organisation

2.2 Spielfähigkeit statt Authentizität

2.3 Die Funktion von Führungskräften

2.4 Grundlegende Formen von Führungsinterventionen

2.5 Praktische Gebote

3 Führung im Zusammenspiel: die Realisierung einer kollektiven Teamleistung

3.1 Beziehung als zirkuläre Kopplung von zwei Einheiten

3.2 Entscheidungen in Interaktionen

3.3 Entscheidungsprozesse führen

3.4 Hierarchie, Macht, Einfluss … und laterale Führung

3.5 Führung von sich selbst organisierenden Teams

3.6 Verantwortung und Verantwortlichkeit: ein wichtiger Unterschied

3.7 Praktische Gebote

4 Organisationsführung: Beiträge zu einer intelligenten Organisation

4.1 Exkurs: Systemtheoretisches Verständnis von Organisation als Netzwerk von Entscheidungen

4.2 Führungsparadoxien entlang entscheidbarer Entscheidungsprämissen

4.3 Unentscheidbare Entscheidungsprämissen: Kultur und ihre Werte

4.4 Veränderungen führen

4.5 Strategie: Die Zukunft im Blick

4.6 Praktische Gebote

5 Zu guter Letzt: Die eigene Führung führen

5.1 Nützliche Führungskompetenzen

5.2 Gesellschaftliche Verantwortung und Moral

5.3 Übersicht über die Gebote

Literatur

Über die Autoren

Vorwort

Führung ist ein Dauerthema und wird immer wieder radikal infrage gestellt. In jüngster Zeit ist viel die Rede von transformativem Leadership, das über Sinnstiftung (Purpose) den Weg zur Selbstorganisation und Empowerment ebnet, oder von Hierarchiefreiheit und Führungskräften, die als Coaches agieren – um nur ein paar aktuelle Themenschwerpunkte zu nennen. Aber braucht es wirklich immer neue Führungsansätze, braucht es so viele zunächst wohlklingende Schlagworte? – Zweifel sind angebracht, denn neben der Begeisterung für neue Formen der Führung begegnen uns in unserer Beratungspraxis verunsicherte Führungskräfte, von Dauerdiskussionen ermattete Teams und überlastete Geschäftsführungen. All diese Phänomene lassen es ratsam erscheinen, Führung mit Abstand – und von der Pike auf – zu beleuchten. Wir schauen von außen, und wir gehen der Sache auf den Grund.

Für alle, die grundlegend über Führung nachdenken wollen, die sich als Führungskraft in ihrer Position und Rolle sicherer fühlen möchten oder auch Organisationen zu einer besseren Führung verhelfen möchten, haben wir dieses Buch geschrieben. Dabei interessieren uns zwei Fragen, die im Titel zusammengefasst sind:

1)

Wie können Führungskräfte und Führungsverantwortliche in einer Welt des New Organizing wirksamer werden?

2)

Wie kann eine Systemtheorie der Führung einen Beitrag zur Wirksamkeit leisten?

Bei Theorie mögen Leser:innen die praktische Relevanz infrage stellen. Doch nichts läge uns ferner! Theorie ist kein Selbstzweck. Sie bietet die Chance, aus der Praxis herauszutreten und wie von außen neu und anders auf den Alltag und Alltagsverständnisse der Führung zu schauen. Theorie irritiert, sie regt an und zuweilen auch auf. Wir werden zeigen, dass die Systemtheorie entscheidende Denkimpulse liefern kann, um wirksame Führung wahrscheinlicher zu machen und ein Verständnis von Führung zu erlangen, das zeitüberdauernd ist.

Führung – egal wie und von wem – ist eine Leistung, auf die man nicht verzichten möchte. Dies zeigt sich nicht nur, aber vor allem in kritischen Situationen. Man denke nur zurück an die Corona-Pandemie, als sich viele nach Orientierung gesehnt haben und das Ringen um Richtung zwischen Politik, Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft als führungslos beklagt wurde. Aber die Notwendigkeit von Führung zeigt sich auch im kleineren sozialen Rahmen, in Interaktionen, also in Teams und anderen Gruppen. Besonders gut kann man dies im Sport beobachten. Bei schwächelnden Mannschaften sollen Führungsspieler:innen Verantwortung übernehmen und die anderen mitreißen – oder es soll mit einer neuen Trainer:in und ihrem Team ein Ruck durch die Mannschaft gehen. Und ebenso stellen Organisationen regelmäßig fest, dass viele Initiativen ohne Führung im Sande verlaufen. Deutlich sollte werden, es braucht Führung.

Gleichwohl haben Führungskräfte in Organisationen einen schweren Stand. Im öffentlichen Diskurs werden die Autonomie der Mitarbeitenden und die Selbstorganisation von Teams ausgerufen, oft verbunden mit der Idee, dass es immer weniger Führungskräfte braucht und ihre Aufgaben schwinden. Führung wird auf die Bereitstellung einer allgemeinen Vision mit Purpose (des »WHY«: Warum machen wir das?) sowie die Motivation der Mitarbeitenden reduziert, der Rest finde sich von allein, sobald die Mitarbeitenden Gestaltungsfreiheit bekommen. Die praktische Erfahrung zeigt jedoch, dass das so einfach nicht ist: Führungskräfte greifen ein, obwohl sie nicht sollen, Selbstführung findet nicht statt, obwohl doch erwünscht, und wichtige Herausforderungen werden nicht angemessen bearbeitet. Die Fallstudien aus dem swf-Forschungsprojekt »New Organizing« (Groth, Krejci u. Günther 2021) zeigen viele der Schwierigkeiten in Organisationen, eine moderne Form von Führung und dabei eine angemessene Rolle von Führungskräften zu definieren.

Mit dem Vergessen oder auch Tabuisieren von (hierarchischer) Führung gehen Organisationen in jedem Fall das Risiko ein, dass wichtige Führungsleistungen nicht mehr ausreichend erbracht werden.

Führung bleibt relevant, es ist aber nicht klar, in welcher Form Führungsleistungen von wem erbracht werden können. Hier kommt die Systemtheorie ins Spiel. Sie unterscheidet Führung von Führungskräften und hilft so, zunächst notwendige Führungsleistungen und -funktionen zu verstehen, um danach die möglichen Beiträge von Führungskräften zu benennen. Allein diese Differenzierung steigert die »Spielfähigkeit« von Führungskräften ungemein. Führung ist mehr als das, was Führungskräfte machen, und Führungskräfte haben besondere Möglichkeiten, auf Führung einzuwirken – oft anders, als man gemeinhin denkt. Die Systemtheorie stellt einen Denkrahmen zur Verfügung, mit dessen Hilfe man in der Praxis einen Weg zwischen den Extremen von heroisch überhöhter Führung und verantwortungsloser Führungslosigkeit finden kann. Sie ermöglicht es, kurz gesagt, einen aufgeklärten Blick auf Führung, Hierarchie, Teams und Organisationen zu gewinnen. Und dies sagen wir als zwei Autoren mit der praktischen Erfahrung aus – zusammengerechnet – über 50 Jahren in Führungs- und Beratungsrollen.

Wir beleuchten in diesem Buch die Kernideen von Führung, angewendet auf die Führung der eigenen Person sowie die Führung von Mitarbeitenden, Teams und Organisationen. So erhalten unsere Leser:innen einen kompakten Überblick mit einem bewussten Fokus auf allgemeingültigen Konzepten. Zum Zwecke der Übersichtlichkeit haben wir Zitate und Quellenverweise aufs Wesentliche beschränkt, weitere Hinweise für vertiefende Detaillierungen finden sich im Literaturverzeichnis.

Zu dem eigentlichen Kern zählt vor allem ein Begriff von Führung. Dirk Baecker schreibt, dass es »keinen systemischen Begriff der Führung [gibt]« (Baecker 2022, S. 154), und in der Tat: Bei kritischer Durchsicht der systemischen Führungsliteratur finden sich viele relevante Aspekte, aber eine ganzheitliche Definition von Führung und die Abgrenzung gegen andere funktionale Äquivalente stehen zwischen den Zeilen. Ein genauer Begriff von Führung hilft aber enorm, die Aufmerksamkeit auf die relevanten Fragestellungen zu lenken und die immer wieder gleichen Grundideen in vielen Führungsansätzen zu erkennen.

Zum Aufbau des Buches

Das Buch ist in fünf Kapitel eingeteilt. In jedem Kapitel finden sich systemtheoretische Ausführungen mit erläuternden Beispielen, die den Leser:innen einen zweiten Blick, eine andere Erklärung auf beobachtbare Führungsphänomene ermöglichen. Allein die Verwendung dieser »Denkwerkzeuge« wird bereits zu Veränderungen im Führungsalltag führen. Auch finden sich in den Kapiteln viele Hinweise und Tipps, wie man das eigene Führungshandeln konkret wirksamer gestalten kann. Wir schließen jedes Kapitel mit einer Liste und kurzen Erläuterung von (z. T. sich wiederholenden) Geboten für die eigene Führungspraxis ab. Sie geben Antwort auf die Frage, worauf ich als eine Person, die einen Führungsbeitrag leisten möchte, vor allem achte, wenn ich mit einem systemischen Blick auf Führung schaue.

Im ersten Kapitel erarbeiten wir ein systemtheoretisches Verständnis des Führungsbegriffes mit der schon erwähnten Unterscheidung von Führung und Führungskräften. Zudem zeigen wir die Verbindungen und Unterschiede zu (organisationalem) Lernen ohne Führung und Normen auf, um dadurch den Führungsbegriff weiter zu schärfen. Von allen Kapiteln ist das erste das sicherlich theoretisch Anspruchsvollste. Es ist zu sehen als eine »Investition«, die sich im Zuge der weiteren Lektüre auszahlt. Die Ideen aus dem ersten Kapitel werden in den anderen Kapiteln aufgenommen und konkretisiert.

Im zweiten Kapitel untersuchen wir, welche Rolle Führungskräfte bei der Führung spielen. Wir haben das Kapitel mit »Führung der eigenen Person« überschrieben und bezeichnen damit den Aspekt, dass Führungskräfte sich auch immer selbst führen. Dabei geht es uns jedoch nicht so sehr um psychologische Aspekte der Selbsterkenntnis oder Motivation, sondern eher um die soziologische Frage, wie es Führungskräften gelingt, sich wirkungsvoll, also kontextsensibel in das Führungsgeschehen von Organisationen einzubringen. Es dreht sich also um die allgemeine Kopplung von Führungsperson bzw. -rolle an zu führende Einheiten.

Weiter beleuchten wir im dritten Kapitel alle wesentlichen Aspekte der Führung in Interaktionskontexten. Dazu zählen sowohl die disziplinarische Personalführung von einzelnen Mitarbeitenden als auch die Führung von Teams. Im Vordergrund steht die Gestaltung von Beziehungen mit den dabei auftauchenden Themen wie Vertrauen, Macht, Einfluss, Delegation und Hierarchie. Diese Denkanstöße helfen auch für eine souveräne und auf Augenhöhe gelingende Beziehungsgestaltung in modernen Arbeitskontexten des New Organizing von Agilität, New Work & Co. (im Folgenden von uns auch mit »New Organizing« bezeichnet). In diesem Kapitel entwickeln wir auch ein systemtheoretisches Verständnis von Entscheidungen und Entscheidungsprozessen, sodass eine angemessene Rolle von Führungskräften bei Abstimmungsprozessen erkennbar wird.

Das vierte Kapitel richtet den Blick auf Organisationen als Ganze. Hier wird Führung stärker noch als vorher schon von persönlichen Beziehungen abstrahiert und auf größere Einheiten (das Zusammenspiel von Teams, Organisationseinheiten und ganze Organisationen in ihren relevanten Umwelten) übertragen. Wir zeigen auf, wie und warum Organisationen um Entscheidungen herum gebaut sind und wie man mit den dabei unweigerlich auftretenden pragmatischen Paradoxien umgehen kann. Kultur, Veränderung und Strategie sind wesentliche Aspekte von Organisationen, die durch Führung bearbeitet werden, sodass wir ihnen jeweils ein Unterkapitel widmen.

Im fünften Kapitel kehren wir zur Führungskraft zurück und klären, welche allgemeinen Anforderungen sich über alle Führungsebenen an die Kompetenz von Führungskräften ergeben. Darüber hinaus nehmen wir Stellung zu der Frage, wie und auf welche Weise normative gesellschaftliche Erwartungen, d. h. vor allem moralische Wertvorstellungen, im Organisationsalltag eine Rolle spielen. Dieses letzte Kapitel wird beendet mit einer Übersicht über die Gebote für wirksame Führung, mit denen wir jeweils die Kapitel 1 bis 4 abgeschlossen haben.

Dieses Buch ist über Jahre gereift – in längeren Zeiten der zunächst getrennten praktischen Arbeit vornehmlich als Führungskraft (Timm Richter) und als Berater (Torsten Groth) sowie seit Kürzerem in der gemeinsamen Zeit als Geschäftsführung von Simon Weber Friends (swf; swf bietet seit etwa 2000 systemische Aus- und Weiterbildung sowie Beratung an). Doch nicht nur die Praxiserfahrungen haben auf dieses Buch eingewirkt, sondern auch die Prägungen von Denkern aus der Szene der Systemiker. Zuvorderst zu nennen sind hier Fritz B. Simon, Dirk Baecker und Rudolf Wimmer – ohne ihre grundlegenden Arbeiten wäre dieses Buch nicht denkbar. Nicht wegzudenken ist auch der Austausch mit den swf-Kollegen Stefan Günther und Gerhard Krejci, die zudem den Entwurf gesichtet und wertvolle Hinweise gegeben haben. Insgesamt geht das Buch zurück auf ein Skript, das zum Online-Seminar Wirksam führen erstellt wurde. Zu danken ist deshalb auch den Teilnehmenden dieser Seminarreihe, die mit ihren Fragen und auch Rückmeldungen dazu beigetragen haben, dass die Kernideen – bei aller Komplexität des Themas »Führung« – verständlich herausgearbeitet werden konnten.

Zuletzt zu danken ist all denjenigen, die bei der konkreten Erscheinungsform dieses Buchs geholfen haben. Hier zu nennen sind der Carl-Auer Verlag, mit der bekannt-persönlichen und umfänglichen Betreuung, unser Lektor Uli Wetz, der umsichtig sprachliche Mängel behoben hat, und unser Illustrator Frank Hargina, dem wir nicht nur das Titelbild zu verdanken haben – schauen Sie hinein in das Buch, und lassen Sie sich überraschen.

»Überraschung« ist ein gutes Stichwort – uns selbst hat es überrascht, dass bei der kaum zu überblickenden Vielzahl an Führungsbüchern der konkrete praktische Vollzug der Führung so wenig theoretisch reflektiert wird. Wir wünschen den Leser:innen viele überraschende Erkenntnisse und im Anschluss ein gestärktes Gefühl der Wirksamkeit in dem erwartbar verwirrenden Alltag in Organisationen.

Hamburg/Münster im Sommer 2023

Timm Richter und Torsten Groth

1 Führung als Prozess, Führung als Funktion

1.1 Eine erste Annäherung: zu führende Einheiten und ihre Grenzgestaltung

Führungsphänomene sind vielfältig. Was kann man nicht alles noch führen außer Unternehmen und Mitarbeiter:innen: Verhandlungen, Fahrzeuge, Gespräche, Spiele, andere oder auch sich selbst. Da Führung so weit verbreitet ist, haben die meisten ein ungefähres Gefühl, was Führung ist und alles sein kann. Gleichzeitig fällt es schwer, dieses Gefühl in Worte zu fassen – nicht selten kommt es zu Missverständnissen. Doch nur wenn man einen guten Begriff von Führung hat, kann man Führungsphänomene konzeptionell verstehen und bewusst an wirksamen Führungsstrategien arbeiten. Im ersten Kapitel werden wir daher einen allgemeinen Führungsbegriff erarbeiten, den wir in den folgenden Kapiteln anwenden und konkretisieren werden. Das erste Kapitel ist bewusst theoretischer gehalten als die anderen. Aber keine Sorge: Wer Teile nicht sofort versteht, sollte Fragen parken, weiterlesen und nach der Lektüre der Folgekapitel zum Anfang zurückkehren. Bevor wir in Abschnitt 1.2 eine genaue Definition des Führungsbegriffes angehen, wollen wir nun mit ersten Spuren zu einem systemtheoretischen Führungsverständnis neugierig machen. Dafür starten wir – dies wird sich in den Folgekapiteln wiederholen – mit einem Missverständnis …

Missverständnis:Führung ist allein Mitarbeiterführung

Hand aufs Herz, woran denken Sie, wenn von »Führung« die Rede ist? Vermutlich denken Sie wie die meisten spontan an Vorgesetzte, die Mitarbeitende führen. Sie denken also an Personen, die womöglich auch noch in einem hierarchischen Verhältnis zueinanderstehen. Sie denken also an eine Beziehung, die vor allem über disziplinarische und fachliche Weisungsbefugnisse definiert ist. Führung nur hierauf zu beschränken ist für uns ein erstes Missverständnis.

»Halt!«, werden einige rufen, wird nicht in neueren Führungsansätzen ganz anders auf Führung geschaut, wird dort nicht die hierarchische Rollenbeziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden weniger betont, zum Teil kritisch gesehen oder auch ganz vermieden? Zugegeben, inhaltlich wird die Beziehung anders bewertet, aber die Engführung des Führungsbegriffs auf Mitarbeiterführung bleibt oft bestehen. Führungskräfte und Mitarbeitende fragen sich in der Folge zu Recht, welche Aufgaben Führungskräfte (noch) haben, wie Führung stattdessen funktioniert oder wo Führung angesiedelt ist.

Einen doppelten Perspektivwechsel gibt es, wenn dieses enge Verständnis von Führung einerseits genauer beleuchtet und andererseits erheblich erweitert wird.

Genauer beleuchtet: Die Vorgesetzten-Mitarbeitenden-Beziehung ist keineswegs eine hierarchische Einbahnstraße, sondern ein vielschichtiges zirkuläres Zusammenspiel zwischen »Führen« und »Folgen«. So verstanden, wird es besser gelingen, mit dieser gegenseitigen Abhängigkeit in allen Formen der Führung – von der klassischen, vermeintlich veralteten Form hierarchischer Führung bis hin zu agilen, vermeintlich hierarchiebefreiten Praktiken im »New Organizing« – umzugehen.

Erheblich erweitert: Jenseits aller personengebundenen Beziehungsfragen ist Führung in Organisationen als eine umfassendere Leistung zu verstehen, die keineswegs nur von Führungskräften ausgeübt wird und die nicht nur Mitarbeitende betrifft. Neben der »klassischen« fachlichen und disziplinarischen Führung von Mitarbeitenden gibt es weitere Ebenen von Führung: die Führung der eigenen Person, die Führung in und von Teams sowie die Führung von Organisationen bzw. Organisationseinheiten. Wirksame Führungskräfte haben alle Führungsebenen im Blick und kennen die unterschiedlichen Handlungsschwerpunkte je Ebene.

Zu jeder dieser Ebenen geben wir nun kurz erste Hinweise, auf welche Art sich hier Führung zeigt, die Vertiefung folgt in den weiteren Kapiteln.

Führung der eigenen Person

Das wohl engste Führungsverhältnis haben wir mit uns selbst. Diese Form der Selbstführung ist ein wichtiger Ausgangspunkt für Führungskräfte, fordert sie doch dazu auf, eigene Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen auf ihre Wirkung in der Organisation zu reflektieren, z. B.: Wer bin ich in welchen Situationen? Was treibt mich und mein eigenes Führungshandeln an – bin ich es, sind es die anderen? Wie reagiere ich auf die Reaktion von anderen, und was löse ich bei ihnen aus? Wie und wann erlebe ich mich persönlich als wirksam?

Ein wesentliches Element dieser Selbstführung ist die Frage, wie man sich sein eigenes Handeln im Kontext der Anforderungen, die die Organisation an einen stellt, betrachtet. Dies bedeutet konkret: Versteht man sich als »gestaltend«, also aktiv handelnde Führungsperson, oder als »getrieben«, mithin als passiv erlebende Person? – In dem Maße, wie man selbst Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt, geht man in Führung. Wir werden uns im zweiten Kapitel mit der Frage beschäftigen, wie man in Organisationen als Person und in einer Führungsrolle ins Spiel kommt und nach welchen allgemeinen Prinzipien man als Führungskraft gestaltend eingreifen kann.

Führung von Mitarbeitenden und Teams

Ein angemessenes Verständnis von Führung erweitert die »klassische« disziplinarische und fachliche Führung von einzelnen Mitarbeitenden auf die Führung von Teams. Gemeinsam ist beiden Situationen, dass sie personenorientiert sind und sich mit den Interaktionen zwischen Personen beschäftigen. Wir verschieben also den Fokus von der eigenen Person auf die soziale Ebene von dyadischen Beziehungen (Mitarbeitende) bis hin zu Mehrpersonensystemen, wie sie in Teams vorherrschen. Es geht hierbei vor allem um eine gelingende Beziehungsgestaltung zwischen den Beteiligten: Wie stehen sie zueinander, was denken sie über-, und was erwarten sie voneinander? Und: Wie schaffen sie es gemeinsam, einen wirksamen Führen-Folgen-Prozess mit durchaus möglichen Wechseln der Rollen interaktiv zu gestalten?

Heikel wird es auf dieser Führungsebene immer in Entscheidungssituationen, die wir uns deswegen genauer anschauen werden. Wie gestaltet man gut Entscheidungs- und Aushandlungsprozesse, wenn individuelle, häufig divergierende Perspektiven kollektiv zusammengeführt werden sollen? Hierarchische Ordnungsbildung spielt dabei eine wichtige Rolle. Dass diese nicht so schlicht funktioniert wie »Befehl und Gehorsam« mit linearer Ursache-Wirkungs-Beziehung, spürt jede Führungskraft im Alltag, wenn man Dinge nicht (so) einfach anweisen kann bzw. einsame Entscheidungen unerwünschte Folgen haben. Und auch die vermeintliche Abschaffung formeller Hierarchie ist keine Lösung: Denn unterschwellig taucht Hierarchie auch in Organisationsformen des »New Organizing« wieder auf, oft informal und weniger greifbar. Hierarchie ist und bleibt ein heißes Thema. Im dritten Kapitel beleuchten wir, wie ein gelungener Umgang mit Hierarchie, Macht und Einfluss kollektive Teamleistungen erhöhen kann.

Organisationale Führung

Kommen wir zur letzten verbliebenen Ebene der Führung. Vor allem, wenn Organisationen größer werden, wird offenkundig, dass Teams, Gruppen und Gremien nicht mehr die alles prägende soziale Form sind. Da nicht mehr alle mit allen reden können, bilden sich organisatorische Strukturen und Prozesse aus. Und damit verschiebt sich der Führungsfokus auf Organisationseinheiten bzw. die Organisation als Ganze. Damit einher geht eine Verschiebung von einer Personenorientierung hin zu einer verstärkten Sachorientierung. Es geht um die Überlebenssicherung der Organisation in Märkten, Kooperationen mit Lieferant:innen oder anderen Organisationen, die Suche nach Kund:innen bzw. Abnehmer:innen der Produkte und Leistungen, die von der Organisation erbracht werden. Auch gilt es, Mitarbeiter:innen zu gewinnen und zu halten, ohne dabei von einzelnen Personen abhängig zu werden. Worauf es bei all diesen Führungsaufgaben ankommt, untersuchen wir im vierten Kapitel. Wirksame Führung hat das Ziel, eine intelligente Organisation zu schaffen.

In der Praxis wirkt das Handeln von Führungskräften gleichzeitig auf den in Abbildung 1 dargestellten vier Führungsebenen. Da aber auf jeder Ebene ein anderer Kontext relevant ist und unterschiedliche Kompetenzen für gelingende Führung wesentlich sind, ist es nützlich, diese Ebenen zunächst getrennt zu betrachten.

Abb. 1:

Führungsebenen

Fassen wir für den ersten Teil unserer Arbeit an den Kernideen systemischer Führung zusammen: Wenn (zukünftig) von Führung die Rede ist, wenn z. B. Führung gefordert oder kritisiert wird, so ist es ratsam, an die von uns vorgeschlagenen vier Ebenen zu denken und sich zu fragen, welche Ebene gemeint ist.

Führung handelt von Grenzmanagement und Beziehungsgestaltung

Sobald man Einheiten – sich selbst, Mitarbeitende, Teams und die Organisation (und ihre Teileinheiten) – unter Führungsgesichtspunkten unterscheidet, stellt sich sogleich die Folgefrage, in welcher Beziehung die getrennt betrachteten Einheiten zueinanderstehen und wie sich Führung zwischen diesen Einheiten vollzieht. Damit sind wir bei einer weiteren Kernfrage: Wer führt eigentlich wen? Und konkreter: Handelt es sich um Fremd- oder Selbstführung? Denn es gilt zunächst zu bedenken, dass die genannten Einheiten sich auch selbst voneinander abgrenzen und ihren eigenen internen Logiken folgen. Fremdführungsversuche von außen sind nur begrenzt wirksam und sollten mit der Selbstführung der jeweiligen Einheiten rechnen.

Was heißt dabei Selbstführung jeweils? – Mitarbeitende und Führungskräfte sind immer schon »empowered« in dem Sinne, dass sie selbstbestimmt mit an sie herangetragenen Erwartungen umgehen. Die eigenen Motive und das eigene Bewerten von äußeren Einflüssen bestimmen das Handeln. Ähnliches gilt für Teams, die »nur auf Irritationen von außen reagieren«, z. B. Anweisungen von Vorgesetzten. Die inneren Teamdynamiken determinieren die Reaktionen und sind für den Erfolg oder Misserfolg von äußeren Führungsversuchen entscheidend. Damit werden Vorgesetzte weder überflüssig noch irrelevant – sie können nur nicht per Ansage »bestimmen«, was passieren wird. Innerhalb von Teams kann man beobachten, wie Teammitglieder anderen Teammitgliedern folgen und es so zu Führung kommt – in oftmals wechselnden Konstellationen, mal mit, mal ohne disziplinarische Weisungsbefugnis. Von außen betrachtet, sieht es so aus, dass sich ein Team selbst führt. Und bei genauer Betrachtung führen auch Organisationen sich selbst in zweifachem Sinne. Zum einen bestimmen ihre Strukturen und Prozesse, die eingespielten Routinen und die Kultur das Geschehen in Organisationen. Zum anderen sind Führungskräfte oder Führungsteams auch Teil der Organisation, d. h., Teile der Organisation gehen in Führung, andere Teile folgen, und zusammen führt die Organisation sich so selbst.

Es lässt sich also festhalten: Personen (Führungskräfte und Mitarbeitende), Teams und Organisationen/Organisationseinheiten führen sich (schon immer) selbst, d. h. folgen ihren eigenen inneren Logiken. Damit grenzen sie sich von ihrer jeweiligen Außenwelt ab. Und wenn man als Führungskraft auf andere Einheiten (Mitarbeitende, Teams, Organisation) führend Einfluss nehmen möchte, sollte man mit der Selbstführung dieser Einheiten rechnen, sie achten und – noch besser – nutzen.

Wirksame Führung – ob Selbstführung oder Fremdführung, also ob von innen oder von außen – betreibt Grenzmanagement zwischen einer Einheit (von uns häufig und synonym auch »System« genannt) und den relevanten Einheiten ihrer Umwelt. Es geht um Fragen wie z. B.: Wie soll eine Einheit reagieren, wenn sich die Umwelt verändert? Kann eine Einheit ihre Position in Relation zur Umwelt verbessern oder absichern? Oder kann die Einheit sogar Impulse in die Umwelt geben, d. h. andere Einheiten in ihrem Sinne beeinflussen? Immer geht es um Grenzziehungs- und Beziehungsfragen und damit um Arbeit an gegenseitigen Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten, ohne dass eine Seite die Beziehung dominiert oder eine Seite ganz weggedacht werden kann. Systeme und ihre Umwelten »irritieren« sich gegenseitig und ihr Zusammenspiel, ihre Kopplung, entwickeln ein Eigenleben. Um diese Idee plastischer zu machen, können wir alle vier Ebenen von Führung exemplarisch an konkreten Fragen durchspielen:

Führung der eigenen Person:

Wie lose oder eng verknüpft ist das, was sich eine Führungskraft vornimmt, mit dem, was sie tatsächlich tut? Wie gut kann sie Einfluss nehmen auf das Bild, das von ihr als Person und in der Ausübung ihrer Rolle in der Organisation entsteht? Aber auch: Über welche Art von Interventionen wird eine Führungskraft grundsätzlich wirksam?

Führung von Mitarbeitenden:

Wie arbeiten Führungskraft und Mitarbeiter:in zusammen, und wer ist eigentlich von wem abhängiger? Wie lassen sich Rollenanforderungen und individuelle Bedürfnisse vereinbaren?

Führung von Teams:

Wie ist das Verhältnis einer Teamleitung zu den Teammitgliedern gestaltet? Gehört die Leitung mit zum Team oder nicht? Wie können Führungsleistungen im Team verteilt werden?

Führung von Organisationen:

Wie stehen Holding und Tochterunternehmen, unterschiedliche Organisationseinheiten oder auch Stabs- zu Linienfunktionen zueinander in Beziehung? Wie gelingt die Bindung von Mitarbeitenden an die Organisation?

Auf allen vier Ebenen lässt sich Führung beobachten und sollte Führung gestaltet werden. Ob und wie sie jedoch wirkt, hängt davon ab, wie die Grenzen und die Beziehung/Kopplung zwischen den Einheiten gestaltet werden. Führungskräfte »fallen auf die Nase«, wenn sie nicht wissen und berücksichtigen, wie die beteiligten Ebenen und Einheiten ticken und wie sie zueinanderstehen.

Insgesamt lässt sich also festhalten: Führung vollzieht sich auf mehreren Ebenen, und es ist weder allein das, was eine einzelne Einheit tut, noch allein das, was zwischen Einheiten passiert. Führung ist beides, sie sitzt gewissermaßen auf dieser Grenze zwischen einer Einheit und ihrem Außen, beobachtet also ein System und seine Bezugnahme auf die relevanten Umwelten. Dieser Umstand macht Führung so voraussetzungsvoll und sollte auch verdeutlichen, warum wir einen solch hohen konzeptionellen Aufwand betreiben.

Bevor wir in den Folgekapiteln das Beziehungs- und Grenzmanagement auf den Ebenen Führung der eigenen Person (Kap. 2), von Mitarbeitenden/Teams (Kap. 3) und Organisationen (Kap. 4) vertiefen, wollen wir uns nun an die Begriffsbestimmung von Führung machen.

1.2 Die Führungsschleife: Überlebenssicherung in einem Führen-Folgen-Prozess

Womöglich ist die Formulierung aufgefallen: Anstatt von »Führenden« zu sprechen, reden wir davon, dass sich Führung vollzieht. Die Formulierung »Führung vollzieht sich« ist ungewöhnlich, trifft jedoch den Umstand am besten, dass es immer um ein Zusammenspiel aller relevanten Einheiten geht. Im Alltag wird dies zumeist nicht so gesehen.

Missverständnis:Führung ist gleich den Handlungen von Führungskräften

Wenn nach (guter) Führung gerufen wird, denken viele an eine starke Führungspersönlichkeit, die »es« richten soll. Es gibt (immer noch) diesen Reflex, Führung zu personalisieren. Allein: Wenn Führungskräfte führen, dann gibt es bereits sprachlich einen Unterschied zwischen Führungskräften und Führen. Führen ist eine Aktivität. Etwas abstrakter formuliert, bezeichnet Führung etwas, das in Interaktion und Kommunikation, also im Sozialen, vorkommt. Niklas Luhmann schreibt:

»Führung [ist] ein sozialer Prozess in sozialen Systemen, der je nach Art der Gruppen und Situationen ganz unterschiedliche Qualitäten verlangt« (Luhmann 1964, S. 206).

Dies ist ein erster Schritt in Richtung Definition von Führung, die unabhängig von Führungskräften getroffen wird. Da es sich bei Führung nicht um ein physisches Objekt handelt, sondern um besagten »Prozess«, ist die weitere Spezifikation nicht kontextfrei zu bestimmen. Dieser Kontext und damit auch die Bedeutung des Begriffes erschließen sich – frei nach Wittgenstein – durch den Gebrauch des Führungsbegriffes. Diesem Ansatz wollen wir folgen.

Führungsprozesse können auf zwei Weisen begriffen werden: als Erklärung von beobachtbarem Verhalten und als Funktion

Um den Führungsbegriff weiter zu spezifizieren und zu verstehen, worauf wir bei wirksamer Führung achten sollten, wollen wir nach Merkmalen Ausschau halten, die man mit einem Führungsprozess verbindet. Hierfür gibt es zwei Ansätze:

a)

Entweder können wir darauf achten,

welche Art von Interaktionen und Kommunikationen vorliegen

müssen, damit wir von Führung sprechen. Dies wäre eine Input-Orientierung, bei der man nach den Elementen des Führungsprozesses fragt. Was muss vorhanden sein, damit Führung entsteht?

b)

Oder wir fragen uns,

welche Wirkung Führung hat

. Dies entspricht einer Output-Orientierung, bei der man nach den Ergebnissen von Führung Ausschau hält. Wofür ist Führung überhaupt gut?

Mit dem ersten Ansatz lesen wir etwas aus sozialen Situationen heraus bzw. interpretieren etwas hinein und sagen im Nachhinein, wenn wir es beobachtet haben: »Hier hat gerade Führung stattgefunden!« Mit anderen Worten: Man spricht dann von Führung, wenn man sich die beobachteten Interaktionen oder Kommunikationen durch Führung erklärt. Also: Führung ist eine Erklärung für beobachtbares Verhalten.

Mit dem zweiten Ansatz fragen wir uns, warum es überhaupt zu dem Phänomen Führung kommt. Für welches Problem ist Führung eine Lösung? Als Lösungsbringer erfüllt Führung eine Funktion für die geführte Einheit. Der funktionale Blick hilft uns zu verstehen, was Führung leisten muss, um erfolgreich zu sein. Und es ermöglicht uns auch, in Abgrenzung zu Führung Alternativen zu finden, die das Gleiche wie Führung leisten (sogenannte funktionale Äquivalente). Eine solche vergleichende Betrachtung hilft ebenfalls, den Führungsbegriff zu schärfen.

Nehmen wir zunächst die erste Spur der zu beobachtenden Phänomene auf: Welche Arten von Handlungen und Interaktionen müssen vorliegen?

Wir sprechen immer dann von Führung, wenn drei Elemente in einer sogenannten Führungsschleife zirkulär miteinander verbunden werden. Diese drei Elemente sind:

1)

Überprüfen

2)

Entscheiden

3)

Umsetzen.

Warum diese drei? Typische Synonyme für das Wort »führen« sind »leiten, lenken, steuern«, noch passender für unser Verständnis ist die Ableitung aus dem Mittelhochdeutschen Wort vüeren, das gleichzusetzen ist mit »in Bewegung setzen«. Und dieses »In-Bewegung-Setzen« geschieht dann am wirksamsten, wenn überprüft, entschieden und umgesetzt wird.

Abb. 2:

Definition Führung

Lenken, Leiten, Steuern beinhalten die kontinuierliche Überprüfung, ob es einen Änderungsbedarf gibt – ansonsten wird Kurs gehalten. Für diesen Prozess benötigt es eine Richtschnur: Wenn es um Lenken und Steuern geht, so wird implizit unterstellt, dass ein Ziel (= Soll) angesteuert oder ein Hindernis (= Nicht-Soll) vermieden werden soll, da man ansonsten gar nicht wüsste, in welche Richtung man fahren (= Soll) bzw. welches Gebiet man meiden sollte (= Nicht-Soll).1

Praktiker:innen werden es wissen, die Überprüfung allein reicht noch nicht aus, um wirksame Führung zu etablieren. Ein festgestellter Handlungsbedarf – den Kurs zu ändern oder den Kurs trotz Widrigkeiten zu halten – bedarf Entscheidungen, damit die Überprüfung überhaupt eine Chance auf Wirkung hat. Die Wirkung entsteht aber schlussendlich erst, wenn richtig Bewegung in die Sache kommt, also Entscheidungen auch umgesetzt werden.

Im Führungsprozess geht es nach Fritz B. Simon also darum,

»dass Kommunikationsprozesse zustande kommen, die zur Abstimmung der individuellen Landkarten und Ziele und schließlich zu Entscheidungen und ihrer Umsetzung führen« (Simon 2004, S. 37).

Fehlt eines der Elemente von »Überprüfen«, »Entscheiden«, »Umsetzen«, dann wäre es nicht angemessen, von Führung zu sprechen. Es handelt sich dann um einen Führungsversuch und nicht mehr. Für ein besseres Verständnis dessen, worauf man in der Führungsschleife achten sollte, gehen wir etwas ausführlicher auf die drei Elemente der Führungsschleife2 ein:

Überprüfung: Es wird die Frage gestellt, ob es für die geführte Einheit einen Bedarf der Anpassung an ihre relevante Umwelt gibt oder nicht

Der erste Prozessschritt von Führung, die Überprüfung, zeigt sich, wenn eine Situation – metaphorisch gesprochen – aus einer höheren Warte bzw. so konsequent wie möglich von außen betrachtet wird.3 Es wird ein reflexives Innehalten festgestellt, das nicht im blinden operativen Tun stecken bleibt, sondern zurücktritt und fragt, ob das aktuelle Handeln (noch) angemessen ist. Die wichtigste und allgemeinste Führungsfrage lautet: Weitermachen oder etwas ändern? Mit dieser Frage wird die Einheit, die geführt wird, in Relation zu der für sie relevanten Umwelt betrachtet, und erst mit dieser Bezugnahme auf ein Außen bekommt Führung die überblickende bzw. vorausschauende Konnotation, die ihr eigen ist. Etwas theoretischer formuliert: Die System-/Umwelt-Differenz wird für die Analyse eines möglichen Anpassungsbedarfs des Systems verwendet. Sehr gut lässt sich das an der Führungsarbeit z. B. eines Fußballcoaches illustrieren. Während eines Spieles schaut ein Coach im wahrsten Sinne des Wortes von außen auf das Spielgeschehen und stellt die Führungsfrage: »Soll die Art des Spielens der Mannschaft vor dem Hintergrund des Agierens der gegnerischen Mannschaft angepasst werden oder nicht?«

In diesem ersten Schritt der Führungsschleife wird eine (Nicht-) Soll-/Ist-Differenz definiert und bewertet.

»Führung [ist] […] darauf spezialisiert, […] passende Entwicklungsimpulse zu setzen, d. h.