Wo du bist, darf ich sein - Lena Lou - E-Book
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Lou Lena

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Beschreibung

Wo du bist, darf ich sein
Sturmherzen – Band 2
von Lena Lou
Wenn Nähe heilt, was Worte nie konnten.
Nach dem Sturm ist nichts mehr wie zuvor – und doch klopft das Leben weiter. Für Mila bedeutet das: neu beginnen, obwohl das Alte noch brennt. Ihre Vergangenheit ist nicht vergessen, ihr Herz ein Trümmerfeld. Doch dann steht er da – Noah. Still. Wachsam. Und viel zu nah.
Noah trägt seine eigenen Narben unter der Haut. Er weiß, wie Einsamkeit sich anfühlt, wie schwer Erinnerungen wiegen können. Und trotzdem – oder gerade deshalb – beginnt zwischen den beiden etwas zu wachsen, das sich wie Hoffnung anfühlt.
Aber was, wenn Vertrauen gefährlich ist? Wenn jedes „Ich bleibe“ von der Angst begleitet wird, dass am Ende wieder nur ein Abschied wartet?
In einer Welt voller Fragen wird die wichtigste:
Darf ich bei dir sein, wenn ich mich selbst noch suche?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Lena Lou

Wo du bist, darf ich sein

UUID: e3086da9-aaff-471f-a51b-e3d56ef89118
Dieses eBook wurde mit Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Noch bevor du kamst

Kapitel 2: Der Moment, in dem alles kippt

Kapitel 3: Dinge, die wir nicht sagen

Kapitel 4: Wenn Nähe Angst macht

Kapitel 5: Der Tag schmeckt nach Vergangenheit

Kapitel 6: Was bleibt, wenn alles fehlt

Kapitel 7: Wir und die Dinge dazwischen

Kapitel 8: Sag mir, wohin du fliehst

Kapitel 9: Halbe Wahrheiten und ganze Nächte

Kapitel 10: „Und wenn es reicht, dass wir da sind“

Kapitel 11: „Zwischen gestern und dir“

Kapitel 12: „Bleib da, auch wenn’s weh tut“

Kapitel 13: „Vielleicht ist Liebe leise“

Kapitel 14: „Was ich dir nie zu sagen wagte“

Kapitel 15: „Stell dir vor, du bleibst“

Kapitel 16: „Ein Zuhause ohne Adresse“

Kapitel 17: „Wohin mit all dem Gefühl?“

Kapitel 18: „Dein Schweigen, mein Echo“

Kapitel 19: „Halte mich, wenn ich fliehe“

Kapitel 20: „Ich bin nicht mehr dieselbe“

Kapitel 21: „Die Dinge, die wir retten“

Kapitel 22: „Alles, was dich leise macht“

Kapitel 23: „Zwischen uns und dem Morgen“

Kapitel 24: „Wenn du mich loslässt“

Kapitel 25: „Kein Ort für Halbwahrheiten“

Kapitel 26: „Ich gegen mich“

Kapitel 27: „Die Stille zwischen zwei Herzschlägen“

Kapitel 28: „Manchmal sind wir unser größter Fehler“

Kapitel 29: „Wenn wir uns nicht mehr erkennen“

Kapitel 30: „Und wenn du bleibst?“

Kapitel 31: „Wie du mich hältst“

Kapitel 32: „Ich gegen mein Herz“

Kapitel 33: „Der Tag, an dem ich dich verliere“

Kapitel 34: „Wir unter Sternen“

Kapitel 35: „Halt mich, als würdest du es meinen“

Kapitel 36: „Was bleibt, wenn du bleibst“

Kapitel 37: „Mein Ja, dein Vielleicht“

Kapitel 38: „Alles, was wir nicht sagen“

Kapitel 39: „Wenn der Sturm nachlässt“

Kapitel 40: „Und dann kamst du“

landmarks

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

Kapitel 1: Noch bevor du kamst

Es gibt Tage, die klingen leise aus. Und dann gibt es Tage wie diesen – laut, drängend, voller innerem Rauschen, obwohl draußen nichts passiert.

Mila stand in der Küche ihrer kleinen Wohnung und starrte in die Tasse Tee, die sie längst nicht mehr trinken würde. Der Dampf hatte sich verflüchtigt, genau wie die Wärme, die er mitgebracht hatte. Sie hielt die Tasse trotzdem in beiden Händen, als hinge irgendetwas an ihr, das sie noch festhalten konnte. Vielleicht ein Gefühl von Kontrolle. Vielleicht auch nur ein Vorwand, um sich nicht bewegen zu müssen.

Draußen hing der Himmel schwer über den Dächern. Grau wie Bleistiftstriche, dicht wie ein Gedanke, den man nicht loswird. Der November hatte sich in jede Faser der Stadt geschlichen. Und in sie.

Mila hatte vergessen, wie sich Licht anfühlte. Oder Lachen. Oder das Gefühl, dass etwas gut ausgehen könnte.

Seit dem Sommer war alles anders. Seitdem war das Leben still geworden, auf eine Art, die nichts mit Ruhe zu tun hatte, sondern mit einem Verstummen. Und obwohl niemand es laut aussprach, war es da – das Fehlen. Das Nicht-mehr. Die Leerstelle.

Der Tod ihres Vaters hatte nicht nur ihn mit sich genommen. Er hatte auch Mila etwas entrissen, das sie nicht benennen konnte. Vielleicht war es das Vertrauen in den Lauf der Dinge. Vielleicht war es die Sicherheit, dass da jemand ist, der sie sieht – auch wenn sie nicht hinsieht.

Sie hatte es niemandem gesagt, aber seit Wochen fühlte sie sich, als würde sie neben sich gehen. Als hätte sie die Welt nur noch im Augenwinkel. Nicht wirklich da. Nicht ganz weg.

„ Ich vermisse dich“, murmelte sie leise in den leeren Raum, und es klang erbärmlich, kitschig, viel zu weich für die Härte, die in ihr war. Aber es war ehrlich. Und vielleicht war das heute alles, was zählte.

Sie stellte die Tasse ab und streifte sich die graue Strickjacke enger um die Schultern. Der Stoff war alt, ausgebeult an den Ärmeln, der Kragen ausgeleiert – aber es war die Jacke ihres Vaters. Die, die er immer anhatte, wenn er im Garten stand und mit halb zusammengekniffenen Augen das Wetter studierte. Ob es regnen würde. Ob die Tomaten Wasser brauchten. Ob der Wind zu stark war für den Apfelbaum.

Er hatte diese Jacke selbst im Hochsommer getragen. Als wäre sie nicht aus Wolle, sondern aus Erinnerung. Und jetzt trug sie Mila. Jeden Tag. Wie eine zweite Haut, die sie daran erinnerte, wer sie einmal gewesen war. Oder was sie verloren hatte.

Ihr Handy vibrierte auf der Arbeitsplatte. Mila zuckte zusammen, obwohl sie auf nichts wartete. Vielleicht gerade deshalb.

Leo (3 neue Nachrichten)

Sie schloss die Augen. Zählte langsam bis fünf, wie ihre Therapeutin es ihr geraten hatte. Einatmen. Aushalten. Ausatmen.

Leo war... eine Geschichte, die sie nie zu Ende gelesen hatte. Oder nicht lesen wollte. Vielleicht war er der, den man besser nicht kontaktiert. Nicht anruft. Nicht zurückschreibt. Nicht denkt.

Aber Gedanken waren eigenwillig. Und Erinnerungen noch mehr.

Sie tippte das Display an, überflog die Nachrichten, ohne sie wirklich aufzunehmen. Worte wie „Hast du mal kurz?“ oder „Ich war in der Nähe...“ glitten an ihr vorbei wie Regentropfen an einer Fensterscheibe. Man konnte sie zählen. Aber nicht greifen.

„ Noch nicht“, flüsterte sie und legte das Handy wieder weg.

Es war nicht der Moment für Leo. Noch nicht. Vielleicht nie.

Der Nachmittag verging wie Wasser zwischen Fingern. Mila ging durch ihre Wohnung, die sich anfühlte wie ein Museum: Bilderrahmen, die keiner mehr betrachtete, Bücher, deren Seiten still geworden waren. Staub auf Erinnerungen.

Und doch war da dieses leise Ziehen in ihr. Kein Schmerz. Keine Hoffnung. Eher ein Raum. Leer. Aber da.

Etwas fehlte. Etwas wartete. Oder jemand.

Und während sie das Fenster öffnete, um die abgestandene Luft herauszulassen, und der Wind ihr das Haar ins Gesicht blies, dachte sie zum ersten Mal seit langer Zeit:

Vielleicht ist da noch etwas. Noch bevor du kommst. Noch bevor ich dich erkenne. Noch bevor ich mich traue. Vielleicht.

Kapitel 2: Der Moment, in dem alles kippt

Es begann mit einem Ton. Ein leises Kling vom Handy. Nicht mehr als eine flüchtige Vibration. Und doch reichte es, um etwas in Bewegung zu setzen, das Mila bis dahin fest in sich eingeschlossen hatte.

Sie lag auf dem alten Sofa, zusammengerollt wie ein Fragezeichen, ein Buch halb geöffnet in der Hand, das sie seit drei Tagen „las“, ohne eine Seite zu behalten. Ihr Blick war starr auf die Decke gerichtet, wo sich ein winziger Riss entlangzog – wie eine Ader, die zu viel trug.

Dann vibrierte das Handy erneut. Kurz. Hart. Entschlossen.

Wider besseres Wissen griff sie danach.

Unbekannte Nummer. Eine Nachricht. Nur ein Satz.

„ Du bist bei der Beerdigung nicht erschienen. Ich weiß, warum.“

Ihre Finger froren mitten in der Bewegung ein. Ein Summen begann in ihren Ohren, und ihr Herz schob sich schwer und heiß in den Hals.

Sie las die Nachricht noch einmal. Dann noch einmal.

Es gab keine Anrede, kein Gruß, kein Name. Aber es war klar, für wen sie bestimmt war. Und klar, wer sie geschrieben hatte.

Noah.

Der Mensch, dem sie einmal alles erzählt hatte. Der Mensch, dem sie dann nichts mehr erklären konnte. Der Mensch, vor dem sie floh, ohne es sich je selbst einzugestehen.

Sie setzte sich auf, starrte auf das Display, als könnte es sich in Rauch auflösen, wenn sie nur lange genug hinsah. Aber da war nichts Nebulöses mehr. Die Worte waren da. Und sie waren ein Schlag in eine Wunde, die gerade erst begonnen hatte zu heilen.

Mila stand auf. Instinktiv. Ging in die Küche. Öffnete und schloss Schranktüren, als suchte sie etwas. Vielleicht Kontrolle. Vielleicht einen Ausweg.

Stattdessen fand sie Erinnerungen.

Noah. Sein Lachen in ihrer Küche. Sein Blick, wenn er ihre Playlist kritisierte und trotzdem jedes Lied mitsang. Seine Art, mitten in einem Streit leise zu werden, statt lauter. Und dann zu sagen: „Ich will dich nicht verlieren, Mila.“

Und sie? Sie hatte ihn genau damit verloren. Weil sie nicht antworten konnte. Weil sie nicht bleiben konnte. Weil ihr alles zu viel war.

Der Moment, in dem sie gegangen war, war leise gewesen. Kein Drama. Kein Geschrei. Nur ein Zettel auf dem Küchentisch.

„ Ich kann nicht. Es tut mir leid.“

Ein Satz. Ein Schnitt.

Er hatte sich nie gemeldet. Bis jetzt. Und der Zeitpunkt war kein Zufall.

Es war zwei Tage her, dass ihr Vater beerdigt worden war. Zwei Tage, seit Mila sich in der hintersten Reihe der Kapelle versteckt hatte, hinter einer Sonnenbrille und Schweigen. Sie war nicht ans Grab gegangen. Nicht nach vorn. Nicht zu Noah.

Er hatte dort gestanden. Direkt neben ihrer Mutter. Schwarz gekleidet, die Schultern angespannt, den Blick geradeaus. Er hatte ihr nichts gesagt. Aber er hatte sie gesehen.

Natürlich hatte er das. Denn Noah hatte sie immer gesehen – selbst dann, wenn sie sich selbst nicht erkennen konnte.

Jetzt stand sie da, barfuß in der Küche, und wusste nicht, ob sie die Nachricht löschen oder ihr Herz festhalten sollte.

Sie schrieb nichts zurück. Nicht sofort. Nicht in dieser Nacht. Aber etwas hatte sich verändert.

Ein Riss. Ein Geräusch. Ein Satz.

Der Moment, in dem alles kippt, ist selten laut. Er ist nicht das große Drama, das man in Büchern liest. Er ist oft ein leises Verschieben. Ein Blick. Ein Ton. Ein unausgesprochener Schmerz, der zurückkehrt, weil er nie wirklich fort war.

Und während Mila ins Dunkel der Küche starrte, fühlte sie es zum ersten Mal ganz deutlich:

Die Vergangenheit war nicht vorbei. Sie klopfte. Und sie würde nicht leise bleiben.

Kapitel 3: Dinge, die wir nicht sagen

Manchmal sind es nicht die Dinge, die gesagt werden, die bleiben. Sondern die, die nie ausgesprochen wurden. Die zwischen Zeilen hängenbleiben. In Blicken. In Atempausen. In diesem einen Moment zu viel oder zu wenig.

Mila wusste das. Vielleicht besser als jeder andere.

Es war der nächste Morgen, und sie lag wach, lange bevor der Wecker überhaupt daran dachte, sich zu melden. Das Licht war noch grau, die Geräusche der Stadt gedämpft. Nur der Kühlschrank summte leise. Selbst die Zeit schien sich zu strecken.

Sie starrte an die Decke, wo der feine Riss sich weiterzuziehen schien – ein zarter Spalt, der gestern noch kleiner war. Oder kam ihr das nur so vor?

Es war eine dieser Stunden, in denen alles zu viel und gleichzeitig zu leer war. In denen die Gedanken zu laut wurden, weil außen nichts sie übertönte.

Die Nachricht von Noah lag wie ein Echo unter ihrer Haut.

Sie hatte nicht geantwortet. Nicht gelöscht. Einfach… nichts.

Weil sie nicht wusste, was richtig war. Oder was falsch. Oder ob das überhaupt noch zählte.

Sie stand auf, duschte mechanisch, trank einen halben Kaffee, ohne den Geschmack zu merken. Die Welt war in Watte gepackt, jeder Schritt gedämpft, jede Entscheidung beliebig.

Bis das Handy erneut vibrierte.

Noah. Nur ein Wort:

„ Du fehlst.“

Zwei Silben. Ein Universum.

Mila atmete aus. So heftig, dass es fast ein Zittern war.

Da war es wieder. Nicht die Worte selbst. Sondern das, was sie nicht sagten.

Noah schrieb nicht „Komm zurück“ oder „Warum hast du mich verlassen?“ Er schrieb nicht „Ich vermisse dich“ – sondern: du fehlst. Ein Unterschied, klein, aber messerscharf.

Weil es nicht um ihn ging. Sondern um die Lücke. Um die Stille, die Mila hinterlassen hatte.

Und plötzlich wusste sie, dass es nicht weiterging, ohne dass sie sich dem stellte.

Später, im Park.

Der Wind war frisch, aber die Sonne zeigte sich zwischen den Wolken – als hätte sie Mitleid. Mila saß auf einer der abgegriffenen Holzbänke unter der alten Kastanie, die immer zu früh ihre Blätter verlor. In der Hand: ihr Notizbuch. Das, in dem sie nie schrieb. Seit Wochen nicht mehr. Vielleicht, weil sie Angst davor hatte, was sie finden würde, wenn sie es tat.

Sie schlug eine Seite auf und begann. Erst zögerlich. Dann schneller.

Dinge, die wir nicht sagen: Ich war überfordert. Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, wie man bleibt, ohne zu zerbrechen. Ich dachte, ich müsste stark sein, aber ich war nur still. Ich vermisse dich. Ich kann dir das nicht sagen.

Der Stift hielt inne. Ihre Hand zitterte leicht.

Mila blickte auf. Der Park war leer, bis auf eine Frau mit Kinderwagen und einen älteren Mann, der Tauben fütterte. Friedlich. Unbeteiligt. Unwissend.

Und trotzdem war es, als läge alles offen.

Noah.

Was war er gewesen? Ein Zuhause. Ein Risiko. Ein Spiegel.

Sie hatte ihn weggestoßen, weil er sie zu genau gesehen hatte. Weil er nicht weggeschaut hatte, wenn sie zerbrach. Und genau das war das Erschreckendste gewesen.

Denn es gibt eine besondere Art von Nähe, die mehr fordert als Liebe: Vertrauen, das dich zwingt, dich selbst anzusehen.

Und Mila hatte das damals nicht gekonnt. Nicht gewollt. Nicht ausgehalten.

Sie schloss das Buch. Stand auf. Ging langsam zurück zur Wohnung.

Im Treppenhaus roch es nach altem Holz und einem Hauch Vanille vom Nachbarn im Erdgeschoss. Sie blieb vor ihrer Tür stehen, den Schlüssel in der Hand.

Ein Gedanke formte sich in ihr, zart und trotzdem klar:

Vielleicht ist es Zeit. Nicht für eine Antwort. Aber für Ehrlichkeit. Wenn auch nur sich selbst gegenüber.

Sie öffnete die Tür. Die Wohnung war still. Doch etwas hatte sich verändert.

Nicht draußen. Nicht bei Noah. In ihr.

Denn es sind nicht immer die großen Entscheidungen, die alles kippen lassen. Manchmal reicht ein Satz. Ein Blick. Ein leises Eingeständnis:

„ Ich hab dich nicht vergessen.“

Kapitel 4: Wenn Nähe Angst macht

Es gibt diese Sorte Angst, die nicht schreit. Nicht flieht. Nicht beißt.

Sie steht einfach da. Leise. Mit offenen Armen. Und sagt: „Komm ruhig näher – wenn du dich traust.“

Mila hatte diese Angst gekannt. Nein – sie kannte sie. Jeden Tag.

Sie war wie ein zweiter Schatten. Nicht sichtbar, aber da. Immer.

Die Angst vor Nähe war kein plötzliches Monster, das sie überfiel. Es war ein Schleichen. Ein leises Kribbeln unter der Haut, wenn jemand sie zu lange ansah. Wenn ein Gespräch zu ehrlich wurde. Wenn jemand den Raum betrat, der ihr Herz bewohnte, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Und Noah hatte das getan. Mit einer Selbstverständlichkeit, die sie gleichzeitig geliebt und gefürchtet hatte.

Heute war Donnerstag. Ein Tag wie jeder andere. Fast.

Denn Mila hatte beschlossen, zum Blumenladen zu gehen.

Klingt banal. War es nicht.

Der Laden lag zwei Straßenecken weiter, geführt von einer alten Dame, deren Hände nach Erde rochen und deren Augen jedes Gespräch mit Wärme füllten. Mila kam nicht oft. Aber heute… heute wollte sie etwas Lebendiges im Zimmer haben. Etwas, das blühte, trotz allem.

Sie hatte kaum die Tür geöffnet, da läutete das Glöckchen über ihr leise – und dann stand sie in diesem Raum aus Farben, Düften und Erinnerungen.

„ Ach Mila!“, rief Frau Goldstein, „Du warst lange nicht hier.“

Mila lächelte matt. „Ja, das stimmt.“

„ Etwas für den Tisch? Oder eher etwas für die Seele?“ Die Frage kam nicht spöttisch. Sie kam von jemandem, der wusste, dass Blumen oft mehr sagten als Worte.

Mila nickte nur. Für die Seele. Ganz klar.

Mit einem kleinen Bund gelber Ranunkeln verließ sie den Laden, die Tüte unter dem Arm, den Kopf voll Gedanken.

Dann geschah es. Unerwartet. Unvermeidlich.

Sie sah ihn. Noah.

Er stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die Hände in den Manteltaschen, als hätte er auf etwas gewartet. Oder auf jemanden.

Vielleicht auf sie. Vielleicht auch nicht.

Mila blieb stehen.

Für den Bruchteil einer Sekunde bewegte sich nichts.

Keine Autos. Keine Stimmen. Nur ihre Blicke, die sich trafen wie ein Blitz in einen See.

Noah sah sie an. Nicht überrascht. Nicht vorwurfsvoll. Nur… offen. Seine Augen waren dunkler als früher, oder war das die Erinnerung, die log?

Er machte einen Schritt. Dann noch einen. Stand plötzlich vor ihr.

„ Hi“, sagte er leise. Ein einziges Wort, das wie eine Tür klang. Nicht verschlossen. Nicht ganz offen. Aber da.

Mila schluckte. Ihre Finger verkrampften sich um den Papiersack mit den Blumen.

„ Hi.“

Stille.

„ Wie geht’s dir?“, fragte er.

„ Gut“, sagte sie sofort. Zu schnell. Zu glatt.

Er zog leicht eine Braue hoch. „Du musst mir nicht vorspielen, Mila. Nicht mir.“

Und da war sie – die Nähe. Unverhohlen. Unvermeidbar.

Mila wollte weglaufen. Oder sich an ihn lehnen. Oder beides.

„ Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll“, flüsterte sie.

„ Dann sag mir nichts.“ Seine Stimme war weich. „Sei einfach hier.“

Und sie war. Ein paar Schritte nebeneinander. Ohne Plan. Ohne Richtung.

Sie liefen durch Straßen, die zu vertraut waren. Schauten in Schaufenster, in denen sie früher gemeinsam gelacht hatten. Sprachen nicht über das Wichtige – aber über das, was leicht genug war, um sich nicht daran zu schneiden.

Bis sie vor einem Café stehen blieben.

Noah fragte nicht. Er ging einfach voraus. Sie folgte.

Am Fenster, bei zwei Tassen, saßen sie schließlich.

„ Warum bist du gegangen?“, fragte er dann, leise. Nicht vorwurfsvoll. Nur wie jemand, der seit Monaten mit einem halben Herzen lebte.

Mila spürte, wie sich alles in ihr verspannte.

„ Weil du zu nah warst.“

„ Zu nah?“

Sie nickte. „Du hast mich gesehen, Noah. Ohne dass ich etwas sagen musste. Und ich… ich konnte das nicht aushalten.“

„ Warum nicht?“

Tränen brannten ihr in den Augen. „Weil ich mir selbst nicht zugetraut habe, das auszuhalten.“

Schweigen. Lang. Ehrlich.

Dann sagte Noah:

„ Ich hätte dich gehalten. Egal wie. Ich hätte nicht weggesehen.“

Und Mila sah ihn an.

Da war er wieder, dieser Blick. Nicht fordernd. Nicht kontrollierend. Sondern bereit.

Bereit, sie zu lieben – selbst wenn sie sich selbst nicht konnte.

Und genau das war es, was Nähe so erschreckend machte. Denn sie ließ keine Maske zu. Keinen Fluchtweg. Kein: „Ich bin okay.“

Sie war ein Spiegel. Ein Risiko. Eine Einladung.

Als sie sich verabschiedeten, sagte keiner von beiden etwas über morgen. Oder über später.

Aber etwas war anders.

Ein Blick. Ein Händedruck, der länger dauerte. Ein Schritt näher – ohne dass einer zurückwich.

Und vielleicht war das Nähe. Nicht das Dramatische. Nicht das Perfekte. Sondern das Zitternde, das bleibt. Trotz allem.

Kapitel 5: Der Tag schmeckt nach Vergangenheit

Es war dieser bestimmte Geschmack in der Luft. Ein Hauch Herbst, obwohl der Kalender noch Sommer sagte. Eine leise Melancholie, die sich wie dünner Nebel auf alles legte.

Mila stand am Fenster ihrer Wohnung. Die Scheibe war noch kalt vom Morgen, der Himmel wolkig, als würde er ebenfalls zögern, ganz da zu sein.

Es war Samstag. Ein stiller Tag. Einer, der nach Rückblick schmeckte, obwohl Mila nichts davon bestellt hatte.

Die Begegnung mit Noah gestern hatte etwas gelöst. Oder aufgerissen. Vielleicht beides.

Sie hatte nicht viel geschlafen, aber sie war nicht erschöpft – eher seltsam wach, durchdrungen von Gedanken, die an ihr rissen wie Herbstwind an losen Blättern.