Xara. Prinzessin der verschollenen Stadt - Aurelia L. Night - E-Book

Xara. Prinzessin der verschollenen Stadt E-Book

Aurelia L. Night

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Beschreibung

**Eine Luchs-Prinzessin im Bann eines uralten Fluchs** So weit sie zurückdenken können, leben in der dunklen Stadt Illominus ganz besondere Geschöpfe. Sie sehen fast wie Menschen aus, tragen aber ein Tierwesen in sich. Prinzessin Xara, eine Luchs-Frau, führt ein privilegiertes Dasein im Königspalast. Während es hier immer genug künstliches Licht gibt, herrscht schon am Rande der Hauptstadt die Finsternis. Dort, in den Slums, regt sich Widerstand gegen den König, doch dieser schlägt die Rebellen grausam zurück. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Vater flieht Xara in die Elendsviertel, um den Unterdrückten zu helfen. Sie trifft auf Darius – Wolfswesen und Anführer der Rebellen. Mit seiner entschlossenen Art und seiner unbändigen Energie fasziniert er Xara sofort… Eine romantisch-düstere Liebesgeschichte in einzigartigem Setting mit ganz besonderen Protagonisten. »Xara. Prinzessin der verschollenen Stadt« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Aurelia L. Night

Xara. Prinzessin der verschollenen Stadt

**Eine Luchs-Prinzessin im Bann eines uralten Fluchs** So weit sie zurückdenken können, leben in der dunklen Stadt Illominus ganz besondere Geschöpfe. Sie sehen fast wie Menschen aus, tragen aber ein Tierwesen in sich. Prinzessin Xara, eine Luchs-Frau, führt ein privilegiertes Dasein im Königspalast. Während es hier immer genug künstliches Licht gibt, herrscht schon am Rande der Hauptstadt die Finsternis. Dort, in den Slums, regt sich Widerstand gegen den König, doch dieser schlägt die Rebellen grausam zurück. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Vater flieht Xara in die Elendsviertel, um den Unterdrückten zu helfen. Sie trifft auf Darius – Wolfswesen und Anführer der Rebellen. Mit seiner entschlossenen Art und seiner unbändigen Energie fasziniert er Xara sofort …

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Vita

Danksagung

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© privat

Aurelia L. Night wurde in Gelsenkirchen geboren, wo sie auch aufwuchs. Nach einer Ausbildung als Schilder- und Lichtreklameherstellerin machte sie ihr Fachabitur in Gestaltung und arbeitet nun in einem kleinen Betrieb. Sie lebt mit ihrem Freund und zwei verrückten Katzen nahe der niederländischen Grenze. Wenn sie nicht selbst schreibt, durchlebt sie Abenteuer auf den Seiten anderer Bücher oder kämpft auf ihrer Xbox gegen Dämonen.

Für Mama,

weil du niemals aufgehört hast zu kämpfen,

selbst wenn du gegen Windmühlen ankommen musstest.

Kapitel 1

»Prinzessin? Darf ich um diesen Tanz bitten?«

Ich setzte ein Lächeln auf und drehte mich um. »Lord von den Klippen«, begrüßte ich den Herrn, der mir die Frage gestellt hatte, »aber natürlich.«

Er nahm meine Hand und führte mich auf die Tanzfläche. Jeder Lord im heiratsfähigen Alter war heute hier und wollte mit mir tanzen. Nur um mein Wohlwollen und das des Königs zu gewinnen, damit ich ihn zum Mann nähme und er der Herrscher an meiner Seite wäre. Ich unterdrückte ein Seufzen, das mir entfleuchen wollte, und konzentrierte mich wieder auf den Herrn vor mir.

»Ihr scheint Euch sehr zu vergnügen, Prinzessin. Es ist wundervoll, dass wir uns auf solch einem offiziellen Ball kennenlernen.« Der Lord sah mich mit einem einnehmenden Lächeln an, das mir wirklich gefiel.

Trotzdem klangen seine gestelzten Worte hohl in meinen Ohren. Ich hielt die Maske der höflichen Prinzessin aufrecht und erwiderte seine Freundlichkeit. »Ich kann mich nicht beklagen. Die hohe Aufwartung mir gegenüber von solch einer Menge vielversprechender Lords würde allen Damen gefallen, meint Ihr nicht?« Mit einem Kopfnicken blickte ich zur rechten Seite des Ballsaals, wo die anderen Damen standen und darauf hofften, dass einer der Lords sie sähe und zum Tanz aufforderte.

Er nickte, schien meinen dezenten Hinweis jedoch nicht verstanden zu haben – oder er hatte ihn nicht mitbekommen wollen.

Die Aufmerksamkeit, die mir zuteilwurde, hing mir nach zwei Tänzen schon zum Hals heraus. Bälle hatte ich schon immer gehasst. Selbst als kleines Mädchen hatte ich mich bis zur letzten Minute versteckt und gehofft, dass Linda, meine Zofe, mich einfach vergessen würde – was sie niemals getan hatte.

»Amüsiert Ihr Euch denn?«, fragte ich den Lord, nachdem wir einige Zeit schweigend über die Tanzfläche geglitten waren. Er bewegte sich wirklich gut – dafür, dass den Angehörigen seiner Rasse nachgesagt wurde, dass sie absolut ungeschickt im Tanzen waren.

»Oh, Prinzessin, seid mir nicht böse, doch einen solchen Aufwand sieht man bei uns nicht oft. Ich bin geradezu überwältigt.«

Das hatte ich mir schon gedacht. Die Schnurrhaare des Mäuserichs wackelten aufgeregt. »Ist etwas, Lord?« Der Geruch eines Adlers stieg mir in die Nase. Ich wusste, wer mir da zur Rettung herbeigeeilt kam, und konnte den Hauch einer Erleichterung nicht aus meiner Stimme bannen. Mit selbstsicheren Schritten, die nicht leise genug waren, um meinem Gehör zu entgehen, glitt der Adler über den Marmor auf mich und den Mäuserich zu.

»Ich habe gerade einen Adler gesehen. Ich denke, dass ich meinen inneren Instinkt nicht so leicht gegenüber Raubvögeln ablegen kann.«

Verständnisvoll nickte ich dem Mäuserich zu, als sich mein Tänzer zurückzog.

»Habe ich etwa den zukünftigen König verscheucht?«

Bei der Stimme meines besten Freundes musste ich lächeln. »Nein, ganz und gar nicht, Lord vom Dämmerwald. Nur konnte er seine tierischen Instinkte nicht bezwingen.«

»Und was bekomme ich als Lohn?«, fragte er und lachte.

Ich stupste ihm leicht mit der Hand gegen die breite Brust. »Du hast den Dank einer Prinzessin, reicht das nicht?«

Damian verdrehte die Augen. »Aber nur, weil Ihr es seid, Prinzessin. Darf ich um den restlichen Tanz bitten?«

Ich nickte und legte die Hand in seine.

Er sah wieder prachtvoll aus, ganz typisch für einen Adler, der als eitelster Vertreter der Rassen galt. Mein Freund trug einen feinen Seidenanzug ohne Ärmel, damit jeder seine Federn sehen konnte, die er an den Armen hatte. Sie waren der Stolz eines jeden Adlers.

Damian war der Sohn des Fürsten des Dämmerwaldes. Er würde als Nächster über dieses Gebiet herrschen. Während ich – mit einem König an meiner Seite – über das ganze Land das Sagen haben würde. Was hieß, dass ich über Damian stand, aber der ließ es mich nicht spüren. Er behandelte mich wie jeden anderen auch. Dafür liebte ich ihn. Mit ihm hatte ich schon immer ungezwungen umgehen können. Schließlich war er das einzige andere Kind im Palast gewesen, das in meinem Alter war. Sein Vater war die rechte Hand des Königs, was ihm das Privileg einräumte, im Palast zu wohnen.

»Ich habe das Gefühl, das wird heute noch ein sehr langer Abend.« Ich seufzte theatralisch.

Damian hatte nur ein fieses Grinsen für mich übrig. »Was, wirst du heute auch einundzwanzig? Du wusstest doch, was auf dich zukommt. Dutzende Lords, von denen jeder der neue König werden will.«

Schnaubend blickte ich zu ihm hoch. »Genau das ist es! Ich habe das Gefühl, dass keiner von ihnen meinetwegen hier ist, sondern nur, um als Nächstes auf dem Thron sitzen zu können.«

Damian lachte. Wenn ich nicht gerade mit einem Fremden oder Würdenträger redete, sprach ich meistens freiheraus, was ich dachte. Es war so viel angenehmer als dieses förmliche Gehabe. Ich konnte sagen, was ich dachte, ohne alles beleuchten und hin und her wälzen zu müssen.

Als das Lied zu Ende war, begleitete mich Damian zu den übrigen Damen, damit ich auf den nächsten Lord warten konnte. »Du schaffst das schon, Prinzessin.«

Ich schenkte ihm ein ehrliches Lächeln und er verschwand auf die Seite der Lords.

»Es sind wirklich viele Lords hier, meine Prinzessin.«

Linda stand neben mir und begutachtete die Männer auf der anderen Seite.

»Ja, da hast du recht. Nur keiner meinetwegen«, gab ich leicht abfällig zu bedenken.

Sie schnalzte empört mit der Zunge, um meinen Ton zu kritisieren. »Prinzessin! Ich denke schon, dass einige Männer Euretwegen hier sind. Ihr glaubt es wahrscheinlich nicht, weil Ihr in Eurer Meinung festgefahren seid.«

Ich wusste, was sie ansprach, und versuchte über ihre Worte nachzudenken. Natürlich könnte sie recht haben. Vielleicht war ich wirklich zu negativ gegenüber unseren Gästen eingestellt. Es war nur sehr schwer zu unterscheiden, wer sich wegen des Throns bei mir beliebt machen wollte und wer ehrliches Interesse an mir besaß.

Meine Gedanken wurden von dem Lord abgelenkt, der als Nächstes auf mich zukam. Er war ein Panther. Sein Schwanz peitschte hinter ihm hin und her. Er hatte stechende jadegrüne Augen und sah wirklich gut aus. Sein leichter und geschmeidiger Gang führte ihn direkt zu mir.

»Prinzessin. Ich bin der Lord vom Steinernen Dschungel. Würdet Ihr mir diesen Tanz schenken?«, fragte er galant und verbeugte sich vor mir.

Ich knickste, neigte dabei ein wenig den Kopf, wie man es mir beigebracht hatte, und legte die behandschuhte Hand in seine. Er glitt mit mir zur Tanzfläche und ein langsames Lied wurde gespielt. Der Lord vom Steinernen Dschungel begann mich meisterhaft über das Parkett zu führen.

»Nun, Prinzessin, heute ist Euer großer Tag. Wie gefällt er Euch?« Seine Stimme klang samtig weich, wie ein Mantel, der sich wärmend um die Schultern legt. Überraschenderweise fühlte ich mich in seinen Armen wohl.

»Ich muss gestehen, bisher war es wie ein ganz normaler Ball. Wie gefällt er Euch?«

»Für mich ist es ein besonderer Ball. Immerhin habe ich die Ehre, mit Euch zu tanzen. Und, wenn es mir gestattet ist, dies zu erwähnen, Ihr tanzt wirklich atemberaubend.«

»Ja, fortwährende Übung kann beim Tanzen wahrlich ein Glück sein. Ihr seid aber auch nicht schlecht«, erwiderte ich, woraufhin er dankend den Blick senkte.

Der Steinerne Dschungel müsste im Süden liegen, direkt am Fluss, der Illominus einkreiste, überlegte ich.

»Ich denke, dass Ihr diese Bewegungen nicht nur der Übung zu verdanken habt. Ihr bewegt Euch geschmeidig, was bestimmt auch an Eurer Rasse liegt.« Er zwinkerte mir mit einem kessen Grinsen zu.

In mir kribbelte etwas und ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen schoss. Verwirrt räusperte ich mich. »Ja, das könnte natürlich auch sehr gut sein.«

Überrascht stellte ich fest, dass mir sein Lächeln gefiel. Es hatte etwas Ehrliches und Weiches an sich. Aber genau wie ich gehörte auch er zu den Jägern. Wir konnten beide gut mit unserer Beute spielen. Ich musste in seiner Gegenwart vorsichtig sein.

»Habt Ihr denn nun schon eine engere Auswahl passender Lords, Prinzessin?«

»Es ist mein fünfter Tanz und der Abend ist sehr lang. Ihr versteht sicherlich, dass ich dazu noch keinerlei Bemerkungen abgeben möchte.«

»Gerade mal der fünfte? Dann muss ich Euch zum letzten Tanz auch noch einmal auffordern, damit Ihr mich nicht vergesst«, meinte er und lachte.

»Ja, das müsstet Ihr dann tatsächlich noch einmal tun. Bei solch einer Menge Lords kann ich Euch bestimmt nicht in der Erinnerung behalten.« Ich schmunzelte bei seinem Gesichtsausdruck, der zeigte, dass die Worte ihre Wirkung entfalteten. Er verstand es als Kampfansage und ich wusste, dass ich damit sein wirkliches Interesse an mir geweckt hatte. Seltsamerweise freute ich mich darüber.

Nach dem Tanz brachte er mich wieder zu meinem Platz, an dem Linda ungeduldig wartete. Sie war meine Amme gewesen und kannte mich schon, seit ich als Baby in Mutters Armen gelegen hatte. Ich setzte mich erschöpft auf einen der bereitgestellten Stühle und nahm mir einen Becher Wasser.

Damians Vater Vaier, Fürst des Dämmerwaldes, kam auf mich zu. Bevor er mich ansprechen konnte, nahm ich einen schnellen Schluck Wasser und erhob mich wieder.

»Wie gefällt Euch Euer Abend, Prinzessin?«

Ich erwiderte seinen fragenden Blick. »Nun, ich denke, dass er angenehm ist. Die Gäste scheinen sich zu amüsieren, zumindest die Lords. Die Damen bekommen aber leider nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Dabei sind zahlreiche vielversprechende Männer hier, schon fast zu viele, um sich für einen entscheiden zu können.«

Die Botschaft kam bei ihm, der rechten Hand meines Vaters, an. »Prinzessin, dieser Ball wurde nicht veranstaltet, damit Ihr nächste Woche heiraten könnt, sondern um Euren Geburtstag zu feiern und natürlich die jungen Herren kennenzulernen. Ihr solltet Euch Zeit nehmen. Euer Vater König Francis wird den Thron in den nächsten Jahren auch nicht abgeben.« Er zwinkerte mir aufmunternd zu. »Davon bin ich überzeugt.«

Es gelang ihm, mir ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern, während er mich gleichzeitig etwas beruhigte. Schon den ganzen Abend hatte ich die Last auf mir gespürt, dass ich mich am Ende für einen Lord entscheiden müsste, dass ich nicht die Zeit hätte, um den Mann richtig kennenzulernen, dem ich später nicht nur das Reich, sondern auch mein Herz zu Füßen legen wollte. »Danke«, murmelte ich.

Er nickte ergeben und machte sich dann wieder auf den Weg zu seinem Platz.

Als ich den Blick erneut auf die Tanzfläche richtete, sah ich, wie ein Lord mich fixierte und sich bereit machte herüberzukommen. Ich musste schlucken. Trotz Vaiers Aufmunterung hatte ich noch keine Lust, wieder über die Tanzfläche geführt zu werden. Kurz überlegte ich und biss mir auf die Unterlippe. Mein kleiner Reißzahn bohrte sich dabei ins Fleisch, aber ich ignorierte den stechenden Schmerz. Der Abend würde lang genug werden. Das hieß, wenn ich kurz an die frische Luft verschwand, würde es keinem auffallen. Hastig, bevor der Lord mich erreichen konnte, schlängelte ich mich durch die dicht an dicht gedrängten Wesen hindurch und schlich nach draußen auf den Balkon.

Die Stadt lag erhellt von Dutzenden in Laternen eingelegten Leuchtsteinen da, damit die Straßen sicherer wären. In Illominus herrschte immer ein Dämmerzustand, der schnell zur Dunkelheit wurde. Um den Dieben und all den anderen Gestalten, die des Nachts herauskamen, Einhalt zu gebieten, gab mein Vater die Leuchtsteine bei Begabten in Auftrag. Niemals wieder sollte Illominus in der Dunkelheit versinken können, die der alte König ignoriert hatte.

Tief atmete ich die frische Luft ein. Sie tat nach der stickigen Luft im Saal gut. Ich stützte mich auf die Balustrade und sah nach unten. Vor den Palastmauern liefen die Wachen ihre Runden. Die meisten von ihnen waren, ebenso wie das Königshaus, Luchse.

Meine Ohren zuckten und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich ein Ziehen an meinem Schwanz spürte und mich zu dem kleinen Mann umdrehte.

Mein Bruder sah mich aus glänzenden grünen Augen an. »Woher kommst du denn so plötzlich, Tristan?«

Ich hob den kleinen Jäger auf die Arme und knuddelte ihn.

»Ich habe dich beobachtet und gesehen, dass du dich hinausgeschlichen hast«, sagte er. Seine kleinen Ohren zuckten ungestüm.

Ich schürzte die Lippen und ließ ihn vom Arm. »Solltest du nicht eigentlich die jungen Ladys zum Tanz auffordern?«

Tristan verzog angewidert das Gesicht und gab ein leises Knurren von sich, was mich zum Kichern brachte. Die hellbraunen Ohren lugten durch Tristans dunkelbraune Haare hervor. Seine spitzen Zähne ragten leicht über die Lippen, sodass er sich daran nicht verletzen konnte. Sein kurzer Schwanz zuckte aufgeregt hin und her. In seinem Anzug sah er einfach zum Anbeißen aus. Ich ahnte jetzt schon, dass er später einmal vielen Frauen das Herz brechen würde.

»Und du solltest auch auf der Tanzfläche sein«, gab er besserwisserisch zurück.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dann müssen wir wohl jetzt unsere Pflicht erfüllen, oder?«

»Hm. Können wir beide nicht lieber hier draußen bleiben?«

Ich verkniff mir ein Seufzen. Wie gern ich den restlichen Abend hiergeblieben wäre! Doch das ging nicht. Ein beklemmendes Gefühl meldete sich in mir, als ich mir die Reaktion meines Vaters vorstellte, wenn er erführe, dass ich den Abend versäumt hätte. Früher hätte er darauf mit einem missbilligenden Lächeln reagiert – und vielleicht einer Standpauke. Ein Knäuel bildete sich in meinem Magen. Aber in letzter Zeit hatte er sich verändert. Der Prozess war schleichend gekommen. Er hatte sich immer weiter zurückgezogen. Hatte die Audienzen mit dem Volk abgesagt, die er sonst wöchentlich abgehalten hatte.

»Alles in Ordnung?«

Tristan riss mich mit der Frage aus den Gedanken. Ich versuchte mich an einem Lächeln, das mir hoffentlich gelang, und nahm seine Hand. »Natürlich, lass uns reingehen.«

Er verzog wieder kurz das Gesicht, bevor er sich bereitwillig aufmachte. Er hasste solche Anlässe ebenso wie ich.

Im Ballsaal kam Linda mir schon aufgeregt entgegen. »Euer Vater erwartet Euch, Prinzessin.«

Ich runzelte die Stirn. »Hat er gesagt, warum?«

Sie schüttelte den Kopf. Das Knäuel im Magen bildete sich wieder. Seine Launen waren unvorhersehbar geworden, selbst die Diener hatten mittlerweile Angst vor ihm und das Gerede über ihn wurde schauriger. Ich wusste nicht, ob es wirklich die Wahrheit war, was die Dienstboten erzählten, oder ob es Lügen waren. Früher hätte ich es für fiese Nachrede gehalten, ohne darüber nachzudenken, und widersprochen. Aber mittlerweile war es schwierig, seine Launen zu deuten und vor allem ihn zu kennen. Dieser Gedanke erschreckte mich zutiefst.

Ich ließ Tristan in Lindas Obhut und wandte mich der Stirnseite des Saals zu, wo mein Vater auf dem Thron saß. Sein stechender Blick glitt über die Wesen hinweg. Ein harter Zug hatte das einst warme Lächeln weggewischt, als wäre es niemals da gewesen, und verspottete meine Erinnerungen. Mit einem noch flaueren Gefühl in der Magengegend lief ich zu ihm.

Der Saal war achteckig und die runde Mitte bildete die Tanzfläche. Als ich die Stirnseite erreichte, musste ich ein Podest hinaufsteigen, auf dem mein Vater thronte. Neben ihm stand ein zweiter, kleinerer Thron, der für die Frau des Königs bestimmt war. Seit Tristans Geburt war dieser jedoch leer.

Trauer machte sich als Stich in meinem Herzen bemerkbar. Aber ich konnte ihn verkraften. Mit der Zeit war das schmerzhafte Inferno abgeklungen, das mich innerlich fast zerrissen hatte, sodass ich mittlerweile mit einem Lächeln an meine Mutter zurückdenken konnte. Sie war eine unglaublich warmherzige Frau gewesen. Als sie gestorben war, schien es, als würde auch das Herz des Landes sterben.

Doch alle hatten sich zusammengerissen. Vater hingegen hatte den Verlust bis heute nicht überwunden. Er hatte sie über alles geliebt – und tat es noch immer, zumindest glaubte ich das. Alles andere könnte sein Verhalten nicht erklären.

Als ich auf ihn zukam, wurde sein Lächeln breiter. »Xara, wo hast du dich versteckt? Ich habe dich nicht mehr auf der Tanzfläche gesehen.«

Ich knickste vor ihm und bemühte mich um die nötige Etikette. »Entschuldige, ich brauchte ein wenig frische Luft und war auf einem der Balkone.«

Mein Vater nickte, wirkte aber nicht sonderlich erfreut über die Tatsache. Er winkte mich näher zu sich heran. »Und? Hast du schon einen Lord ins Auge gefasst?«

»Nein. Dem Lord der Wasserfälle würde ich nicht einmal so weit trauen, wie ich werfen kann. Hinzu kommt, dass er viel zu alt ist. Der Lord der Steppen war ein sehr angenehmer Tanzpartner, doch drückt er sich sehr unangenehm aus. Der Lord von den Klippen ist zu schüchtern. Er hat die Angst seiner Vorfahren gegenüber Adlern noch immer nicht abgelegt. Es wäre nicht von Vorteil, wenn ein König vor seinen Untertanen Angst hätte. Und der Lord des Steinernen Dschungels war sehr zuvorkommend und höflich. Doch etwas an ihm beunruhigt mich.« Dass es meine ungewöhnlichen Gefühle für ihn waren, wollte ich ihm nicht erzählen.

»Tochter, du hast gerade einmal mit vieren getanzt?«

»Ich habe noch mit Damian getanzt, Vater, und der kommt für mich nicht infrage. Er ist mein Freund. Ein paar Tänze habe ich wohl verpasst, als ich draußen war.«

Mein Vater zog verärgert die Augenbrauen zusammen. »Ich hoffe doch, dass du noch mit ein paar anderen Lords tanzt.« In seiner Stimme brodelte die Wut.

Ergeben nickte ich und ballte die Hände zu Fäusten, die ich im Rock des Kleides versteckte. »Natürlich, der Abend ist noch lang.«

»Gut.« Er wedelte mit der Hand.

Ich war entlassen.

Eilig lief ich zurück zu meinem Platz zwischen den anderen Damen des Landes, um mich bei ihnen zu verstecken. Amelya, meine Freundin und Leibwächterin, sah mich grinsend an. »Wenn ich dich sehen kann, werden die Lords es gewiss auch tun.«

»Ich weiß, aber auf diese Weise kommt man nicht so einfach an mich heran.«

Bären hatten alle etwas gemeinsam: Sie waren riesig und muskulös. Amelya war die Tochter des Lords der Leibgarde, daher hatte sie eine besonders strenge Erziehung genossen, aber vor allem auch, weil meine Mutter damals wollte, dass ich jemanden in einem ähnlichen Alter hatte, der auf mich aufpasste. Die Bären wurden allesamt dazu ausgebildet zu beschützen. Es gab nur wenige, die außerhalb der Schlossmauern lebten und einem anderen Tagewerk nachgingen.

Selbst Leya, Amelyas kleine Schwester, war mit ihren sieben Jahren bereits in der Ausbildung und passte auf meinen Bruder auf.

»Ich mag nicht mehr mit Lords tanzen, die mich alle das Gleiche fragen«, jammerte ich und fühlte mich dabei selbst wie ein kleines Kind.

»Du bist aber nun einmal die Prinzessin. Das gehört zu deiner Pflicht«, meinte Amelya und betrachtete mich kritisch.

Im Gegensatz zu mir war sie sich ihrer Pflicht vollkommen bewusst. Ich glaubte nicht, dass sie viel Freizeit hatte – selbst wenn ich den Palast nicht oft verließ. Trotzdem sah ich sie mit einem unterschwelligen Grummeln an und runzelte die Stirn.

Den restlichen Abend über ergab ich mich meinem Schicksal und tanzte mit gefühlt tausend Lords aus den verschiedenen Ländereien. So lange, bis der Saal sich leerte und ich wieder tief durchatmen konnte. Endlich spürte man die frische Luft, die durch die offenen Türbögen drang. Mein Blick glitt über die noch verbliebenen Anwesenden. Doch gerade schien mich keiner im Visier zu haben. Die Musik plätscherte leise durch den Raum und lud eher zu sanften Gesprächen als zum Tanz ein. Im Laufe des Abends hatten sich die Männer auch getraut, andere Frauen anzusprechen, sodass ich nicht mehr ausschließlich in ihrem Fokus stand. Ich wandte mich gen Ausgang, um in mein Zimmer gelangen zu können, wurde aber von einem festen Griff um die Hand abgehalten. Ein Ruck ging durch meinen Arm und zog mich gegen eine feste Brust. Überrascht schnappte ich nach Luft und wollte gerade protestieren, als ich schon den Blick aus seinen jadegrünen Augen erwiderte und mir der Atem geraubt wurde. »Ihr hattet mir doch den letzten Tanz versprochen«, raunte der Lord des Steinernen Dschungels in mein Haar.

Ich bekam eine Gänsehaut und senkte den Blick. »Versprochen?«, fragte ich und vergaß meinen Protest. »Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr mich nicht verwechselt? Ich kann mich nämlich nicht an ein Versprechen erinnern«, zog ich ihn auf.

»Nicht? Das ist aber zu schade. Ich hoffe, dass Ihr meinen Wunsch dennoch erfüllen werdet.«

Ich sah hoch, direkt in die funkelnden grünen Augen des Lords. »Ich denke, einen Tanz kann ich noch erübrigen«, gab ich nach und ließ mich von dem Panther auf die beinahe leere Tanzfläche führen.

»Ihr seid wirklich eine atemberaubende Frau, wisst Ihr das?«, meinte der Lord und in seiner Stimme lag Bewunderung.

Meine Wangen begannen zu glühen. »Ich denke, das wurde mir gegenüber heute schon öfter erwähnt.« Ich sah, wie seine Züge entglitten, und spürte, dass sein Griff um meine Hand fester wurde. »Doch Euch kann ich es glauben«, erwiderte ich auf sein Kompliment. Sein Körper entspannte sich wieder und ein Lächeln überzog die vollen Lippen.

»Das ehrt mich.«

Ich schmunzelte. Vielleicht war der Lord des Steinernen Dschungels doch nicht so schlecht …

Nach dem Tanz führte mich der Lord zurück zu dem Ausgang, durch den ich hatte verschwinden wollen.

»Danke, dass ich Euch noch einen Tanz stehlen durfte«, meinte er und küsste meinen behandschuhten Handrücken.

»Ist es wirklich gestohlen, wenn man es freiwillig gibt?«, fragte ich mit einem amüsierten Unterton und lief die Treppe hoch. Dieses Wesen könnte vielleicht der König sein, der neben mir das Land regieren würde – aber nur vielleicht.

***

Oben in meinem Zimmer angekommen zog ich zuerst die unbequemen Schuhe von den Füßen.

Mein Zimmer lag in einem der höchsten Türme des Palastes. Die Stufen hierherauf waren zwar nicht angenehm zu bewältigen, aber ich liebte die Aussicht. Auch jetzt tapste ich auf den Balkon. Ich genoss den Anblick und die kühle Brise, die mir um die Nase wehte.

Illominus war riesig und überall sah man die Laternen, die ihr sanftes Leuchten durch die ganze Stadt verteilten. Mein Blick glitt auf das dunkle Ende der Stadt und ein Seufzer kam über meine Lippen. Die Wesen dort wollten keine Hilfe von der Königsfamilie. Keine Wachen, kein Licht, kein fließendes Wasser. Traurig schüttelte ich den Kopf. Wie konnte man nur so stur sein? Mein Vater wollte ihnen all das doch geben.

Nachdenklich ging ich wieder hinein und setzte mich an den Schminktisch. Meine braunen Haare waren von Linda hochgesteckt worden und bildeten einen aufgetürmten Dutt auf dem Kopf. Als ich die Spangen und Bänder entfernte, fielen mir die Strähnen schwer und glatt bis zu den Ellenbogen. Nur die Ohren guckten frech zwischen den Haaren hervor. Die Pinsel waren schwarz, während der Rest dieselbe Fellfärbung wie das Haar hatte. Aus meinem Gesicht blickten mir zwei grüne Katzenaugen entgegen. Schnurrhaare sprossen neben einer kleinen Stupsnase aus den Wangen. Meine Lippen waren voll und man konnte kleine spitze Zähne aufblitzen sehen.

Ich schälte mich aus dem wuchtigen grünen Ballkleid und stand jetzt nur in einem Unterkleid da. Die weiche Matratze in dem großen Bett schrie noch lauter nach mir – und ohne weiter nachzudenken, warf ich mich in die Federn.

Kapitel 2

»Ihr solltet aufstehen. Ein neuer Tag wartet auf Euch.«

Gähnend streckte ich mich und sah aus vom Schlaf verklebten Augen zu Linda auf. »Euer Vater möchte Euch sehen. Ich denke, dafür wird Alltagskleidung reichen.«

Ich verzog das Gesicht, nickte aber zustimmend und richtete mich dabei langsam im Bett auf. Ich mochte den Morgen nicht wirklich. Es fiel mir schwer, wach zu werden, und während der frühen Stunden war ich auch nicht wirklich ansprechbar.

Linda ließ mir Badewasser ein, während ich mich vor ihr auszog. Mir machte es nichts mehr aus, wenn sie mich nackt sah. Immerhin hatte sie mich schon öfter entblößt vor Augen gehabt und als Mutter vor fünf Jahren gestorben war, hatte Linda sogar versucht sie mir zu ersetzen. Die Löwin war immer für mich da gewesen, obwohl es wirklich nicht leicht gewesen war. Sie summte leise vor sich hin – und ich bewunderte sie dafür, dass sie nach einem langen Abend wie gestern heute früh schon so munter sein konnte.

Ich stieg in die Wanne und ließ mich in das warme Wasser sinken. Ich genoss die kleinen Wellen, die meinen Körper bei jeder Bewegung umschmeichelten. Linda half mir dabei, mich zu waschen. Danach kleidete sie mich in einen weichen, langen roten Rock, über den ich eine weite weiße Bluse zog. Darüber kam eine rote Korsage, die mein Dekolleté zur Geltung brachte.

Sie flocht mir einen einfachen Zopf und steckte mir mein Diadem auf den Kopf. Es bestand aus einer leichten Kette, in deren Mitte ein roter Stein lag.

»Viel Erfolg bei Eurem Vater.« Linda zwinkerte mir aufmunternd zu.

»Danke«, murmelte ich nur und machte mich bereit für den Weg zu ihm. Mit der Zeit war das Unwohlsein zum ständigen Begleiter geworden, wenn ich zu meinem Vater ging. Obwohl ich seine Launen noch nie richtig mitbekommen hatte. Das Gerede um ihn machte mir Angst und verunsicherte mich. So kannte ich ihn nicht, doch sein Verhalten mir gegenüber hatte sich geändert und – auch wenn es nicht in dem Ausmaß war, wie ich überall hörte – ich erkannte Parallelen. Ich verließ meine Gemächer, um hinunter zum Schreibzimmer meines Vaters zu gehen. Dadurch, dass er bereits zu Bett gegangen war, als der Ball beendet wurde, konnte ich mir schon denken, worüber er mit mir sprechen wollte.

***

Die Räumlichkeit lag etwas weiter im Palast, direkt hinter dem Ballsaal. Als ich durch den Saal geschritten war, hatte ich noch ein paar Diener bemerkt, die die letzten Überreste des Festes wegbrachten.

»Die Wesen in den Slums beginnen sich zu wehren. Sie wollen nicht mehr für nichts arbeiten.«

Meine Hand hatte ich bereits zum Anklopfen erhoben, als ich innehielt und Vaiers Stimme lauschte.

»Sie arbeiten nicht für nichts, mein Freund. Sie arbeiten dafür, dass sie leben dürfen. Ist das etwa nichts?«, knurrte mein Vater.

Verwirrt runzelte ich die Stirn und strengte mich an, um dem Gespräch weiter folgen zu können. Noch nie hatte mein Vater über die Slums gesprochen. Er hatte nur immer abwehrend die Hand gehoben, wenn ich nachfragte, und gegrunzt, dass sie dort keine Hilfe wollten. Meine Mutter hatte mir beigebracht, dass Lauschen nicht zum guten Ton gehörte, aber die Neugier siegte. Ich wollte wissen, was Vaier mit meinem Vater besprach.

»Mein König, Ihr habt ihnen vor Jahren schon versprochen, dass sie Licht und Sanitäranlagen bekommen. Bis heute habt Ihr nichts davon eingehalten. Ihr habt bloß ihre Steuern erhöht und sie noch mehr arbeiten lassen.«

»Soll das nun eine Anklage sein?« Die Stimme meines Vaters klang bedrohlich und eine undefinierbare Furcht stieg in mir auf – um Vaier. Denn die Gerüchte gegenüber Vater drängten sich in meine Gedanken, wonach Vater bereits einige Dienstboten halb totgeprügelt hatte – und angeblich war einzig Vaier derjenige, der ihn noch beruhigen konnte.

»Nein, natürlich nicht, mein König. Wir müssten uns dennoch etwas überlegen, um die Aufstände einzudämmen.«

Aufstände?, fragte ich mich entsetzt und presste das Ohr an die Tür, um kein Wort zu verpassen.

Mein Vater seufzte. »Schick ein paar Bären und Panther hin, die erledigen das.«

Erschrocken sog ich die Luft ein. Eiseskälte breitete sich in meinem Bauch aus und grub sich von dort durch den ganzen Körper. Bären und Panther wurden ausgesandt, wenn es um nichts anderes als Vernichtung ging. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!

Ich klopfte gegen das Holz. Mein Puls rauschte in den Adern. Nervös strich ich mir durch die Haare, ehe ich die Klinke herunterdrückte. »Ist es gerade unpassend?«, fragte ich und versuchte unschuldig zu wirken.

»Mein König?«, erkundigte sich Vaier.

»Geh. Du weißt, was zu tun ist. Komm herein, Xara.«

Noch immer raste mein Herz. Wie sollte ich mich Vater gegenüber normal verhalten? Er hatte gerade etwas ins Rollen gebracht, was allem widersprach, was ich an ihm kannte und schätzte. In meinem Kopf drehte es sich, weil ich verzweifelt versuchte irgendeine logische Erklärung zu finden.

Mein Vater saß auf seinem majestätischen Stuhl. Er wirkte erschöpft, nur der grimmige Zug um seine Lippen war geblieben. »Wie war es gestern Abend noch für dich?« Er deutete auf den freien Platz vor seinem Schreibtisch und ich ließ mich darauf nieder.

»Ich habe mit vielen Lords getanzt. Aber eine wirkliche Bindung zu einem der Herren konnte ich noch nicht aufbauen. Der Einzige wäre der Lord des Steinernen Dschungels …« Doch bevor ich weiter ausführen konnte, unterbrach er mich.

»Das trifft sich gut.«

Überrascht hielt ich inne. »Wieso?«

»Nun, der Lord vom Steinernen Dschungel, ich glaube, sein Name ist Desmind, hat mir ein sehr gutes Angebot gemacht. Vorausgesetzt, du nimmst die Ehre an, seine Frau zu werden.«

Mir verschlug es die Sprache. Schockiert sah ich meinen Vater an. Seine Worte waren bei mir angekommen, aber ich brauchte etwas, um zu verstehen, dass er das eben wirklich gesagt hatte. Gemeinsam mit Mutter hatten wir einst ausgemacht, dass ich mir meinen Mann wählen durfte. Sie und er selbst hatten sich damals über die Regeln und Traditionen hinweggesetzt und geheiratet. Meine Mutter hatte dafür gekämpft, dass ich nicht an den höchstbietenden Adeligen verkauft wurde, dass ich mir meinen Partner eines Tages selbst aussuchen durfte. Wollte er das nun etwa über den Haufen werfen?

»Heißt das …? Du … du willst das Versprechen an Mama wirklich brechen?«, fragte ich.

»Nein, nein. Ich halte mich an unsere Abmachung. Diese war deiner Mutter wichtig. Also will ich sie ehren. Ich hatte die Idee, dass wir Desmind hierher einladen und du deine Zeit mit ihm verbringst«, erklärte der König.

Ich nickte langsam, wobei ich ihm kein Wort glaubte. Nicht nach dem, was ich gerade gehört hatte. »Ab wann wird der Lord hier wohnen?«

»Ab nächsten Monat.«

»Gut.« Ich erhob mich und machte mich auf dem Weg nach draußen.

»Ach, und Xara?«

Ich sah fragend über die Schulter. »Ja?«

»Mir wäre es momentan lieber, wenn du dich von der Stadt fernhältst«, sagte er und etwas wie Besorgnis flackerte in seinen Augen auf.

»Warum?«, fragte ich betont unschuldig, obwohl ich genau wusste, wieso er mich dort nicht haben wollte. Wenn die Soldaten einmal in ihrem Blutrausch waren, konnten sie nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden.

»Tu deinem armen Vater bitte einfach den Gefallen«, bat er und klang dabei unendlich erschöpft.

Besorgt betrachtete ich ihn. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn einschätzen sollte. Gerade diese Stimmungsschwankungen in der kurzen Zeit machten es mir schwer. Ich erinnerte mich daran, dass Mama ihn früher »den Fels in ihrer Brandung« genannt hatte. Was geschah nur mit ihm?

***

Nachdem ich Vaters Schreibzimmer verlassen hatte, hatte ich mich umgehend auf den Weg zu Vaier begeben. Ich wusste noch nicht wie, aber ich musste den Bewohnern der Slums helfen. Und dafür brauchte ich Vaiers Hilfe.

Als nach dem Klopfen an seiner Tür kein »Herein!« erklang, öffnete ich sie vorsichtig und spähte hinein.

»Prinzessin, Ihr habt es heute darauf abgesehen mich zu überraschen, oder?«, fragte Vaier, der über seinem Schreibtisch gebeugt dasaß.

Ich lächelte ihn an. »Nicht absichtlich, Vaier. Aber ich denke, dass ich mit dir reden muss. Heute Morgen habe ich Teile eines Gesprächs zwischen dir und meinem Vater mitbekommen«, erklärte ich und wartete auf seine Reaktion.

Vaiers Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Prinzessin, was genau habt Ihr vernommen?«, hakte er nach.

»Dass die Slums sich wehren. Dass es nicht stimmt, was Vater uns erzählte, dass sie keine Hilfe haben wollen. Sondern diese Hilfe schlichtweg nicht bekommen. Seit Jahren. Das kann so nicht weitergehen.«

Vaier war der Schweiß ausgebrochen. Schlagartig wirkte er um Jahre gealtert. »Ihr habt recht, Prinzessin. Aber Euch ist sicherlich bewusst, dass ich Euch nicht mehr darüber sagen kann«, meinte er.

»Ich weiß, ich möchte dich auch nicht in Gefahr bringen. Ich möchte bloß, dass die Armee von Bären und Panthern noch nicht losgeschickt wird. Ich versuche mir etwas zu überlegen, um Vater umzustimmen, damit die Slums nicht vernichtet werden. Wir müssen sie einfach davor bewahren!«

Ja, mir musste irgendetwas einfallen, wie ich die Slums retten und die Wesen dort beruhigen konnte, ohne dass sie einen Bürgerkrieg anzettelten.

»Ich werde mein Bestes geben, aber ich kann Euch leider nichts versprechen«, gab Vaier nach.

»Gut, ich danke dir.«

Ich wandte mich ab. Es musste eine Lösung her, schnellstmöglich. Sonst würde mein Vater womöglich einen ganzen Stadtteil auslöschen und das konnte ich nicht zulassen. Nicht nachdem er mich so erzogen hatte, dass ich jedes Leben wertschätzte. Seine Befehle und seine frühere Erziehung widersprachen sich komplett. Ich verstand es einfach nicht! Ich hatte meinen Vater immer als einen gnädigen König in Erinnerung gehabt, aber seit Mutters Tod hatte sich vieles verändert – und nicht zum Guten.

***

Nachdenklich war ich durch den Palast gelaufen und hatte mich auf einer steinernen Bank am Springbrunnen im Garten niedergelassen.

Ein Begabter schritt über den Platz und beugte sich über die Pflanzen, die im Beet wuchsen. Er zwang sogar das Unkraut zu schrumpfen, welches sich in den Steinfugen breitmachte.

Die Begabten waren Wesen, die entweder die Gabe Ascendos oder Lilenyas hatten. Lilenya war für die Heilung und das Wachstum in Illominus zuständig. Ascendo bedeutete Macht und Zerstörung.

Lilenyas Begabte kümmerten sich hingebungsvoll um die Pflanzen, die in unserem Land nur schwer wuchsen, während Ascendos Anhänger sich oftmals zu Kämpfern ausbilden ließen, um in der Armee zu dienen, die seit Jahrzehnten nicht mehr gebraucht wurde.

Ich zermarterte mir den Kopf, doch selbst die Götter konnten mir nicht bei der Überlegung helfen, wie ich die Slums schützen konnte. Meine Mutter hatte sich damals für all das eingesetzt. Ich erinnerte mich sogar daran, dass sie ständig dort gewesen war, um die Wesen zu unterstützen. Mein Vater hatte es damals toleriert und auch bei den meisten Dingen zugestimmt – aus Liebe zu meiner Mutter. Doch trotz allem hatten die Wesen dort noch immer nicht alles, was jeder eigentlich besitzen sollte. Wie konnte ich ihnen helfen? Sie würden Leuchtsteine, Wasserleitungen und Geld benötigen. Ich stützte die Arme auf die Knie und beobachtete, wie das Wasser in das unterste Becken lief. Das leise Plätschern ließ mich in einen tranceähnlichen Zustand gleiten.

In Gedanken stellte ich mir vor, wie die Slums zu einem schöneren Ort wurden. Wie ihre Dunkelheit vertrieben wurde und sie sich dem Licht entgegenstreckten, wie eine Blume, die sich aus der Erde bohrte und blühte.

»Prinzessin?«

Überrascht sah ich auf. Der Jaguar, der sich um die Pflanzen gekümmert hatte, sah mich erschrocken an.

Mich kitzelte etwas am Arm, erstaunt sah ich nach unten. »Warum hast du das Unkraut so wachsen lassen?«, fragte ich den Begabten und stand auf.

»Prinzessin, das war ich nicht«, meinte der Begabte und betrachtete mich sorgenvoll.

Entsetzt sah ich ihn an. »Was …? D…das kann nicht sein!«

Schweiß brach mir aus jeder Pore aus. Ich durfte keine Begabte sein! Als Mitglied der Königsfamilie war mir das nicht gestattet. Ich zwang mich dazu, mich zu beruhigen und wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

»Bring mich bitte zum Zunftmeister«, bat ich.

Er nickte und ich stand auf, weil ich gemeinsam mit dem Begabten zu dem Gebäude gehen wollte. Mein Herzschlag flatterte in der Brust. Angst und Nervosität dominierten mehr und mehr meine Gedanken. Ich konnte doch keine Begabte sein! In der ganzen Familie hatte es niemals die Anzeichen dafür gegeben. Doch wenn der Jaguar die Pflanzen nicht hatte wachsen lassen, wer dann?

Was war, wenn ich auch die Gabe eines Gottes in mir hatte? Es war einer Königin nicht erlaubt, die Gabe zu besitzen. Denn wenn man sie besaß, war man von den Göttern zu etwas anderem bestimmt – und nicht zum Herrschen. Ich müsste meinen Thron aufgeben. Ich liebte mein Land und wollte nichts anderes, als es einmal an der Seite eines gnädigen Mannes zu regieren. Das dürfte ich als Begabte nicht. Vor brodelnder Angst wurde mir beinahe schlecht. Mein Magen revoltierte, aber ich unterdrückte das Gefühl. Es gibt eine logische Erklärung, versicherte ich mir und folgte dem Jaguar durch den Garten hinüber zu dem Gebäude der Begabten, das sich inmitten einer kleiner Oase befand, welche durch die Magie der Begabten zu einem paradiesischen Ort erblüht war.

***

Das Gebäude der Begabten war groß. Weiße Säulen säumten den Gang, den wir entlanggelaufen waren. Viele Türen gingen von dem Flur ab, hinter denen sich die Schlafräume der Wesen verbargen.

Als wir endlich an einer verharrten, hatte ich vor Angst schweißnasse Hände. Nach dem Anklopfen war der Jaguar seiner Wege gegangen und ich auf das »Herein!« hin eingetreten.

Nun stand ich Zunftmeister Yalon gegenüber. Der Begabte war in die Jahre gekommen. Er trug einen blauen Umhang, der seinen Rang anzeigte. Die blauen Augen weiteten sich überrascht, als er mich erkannte. »Prinzessin, was kann ich für Euch tun?«

»Ich saß vorhin im Garten, als das Unkraut um mich herum gewachsen ist. Euer Jaguar meinte aber, dass er es nicht war. Entweder lügt er – oder …« Ich wollte die andere Möglichkeit nicht aussprechen. Die Angst, dass ich tatsächlich von den Göttern gesegnet sein könnte, raubte mir den Atem.

Der Meister sah mich an, ohne überrascht zu wirken, als hätte er schon geahnt, dass dies eines Tages passieren würde. Ich erblickte Mitleid in seinen Augen. »Ich glaube, es ist an der Zeit, Euch etwas zu geben.«

Bestürzt beobachtete ich den Iltis, wie er in den Schubladen seines Schreibtisches herumwühlte. Er kramte verschiedene Papiere heraus und warf sie achtlos auf den Schreibtisch. Erst als er ein Kuvert in den Händen hielt, lächelte er zufrieden. Meine Knie wurden zittrig und ich fühlte mich, als gäben sie im nächsten Augenblick nach. Es kostete mich alle Mühe, nicht zusammenzubrechen, während mir Meister Yalon den Brief hinhielt.

»Ich denke, der wird Euch Aufschluss geben. Ihr solltet ihn aber an einem Ort lesen, an dem Ihr allein seid. Wenn Ihr fertig seid und überlegt habt, wie es weitergehen soll, bin ich für Euch da.«

Der alte Mann wurde immer mysteriöser … Fluchtartig verließ ich das Gebäude und rannte in mein Zimmer.

***

Außer Atem stürzte ich mich aufs Bett und starrte den Brief an. Ich erkannte die Schrift auf dem Umschlag. Sie war mir nur allzu vertraut. Tränen stiegen mir in die Augen und ich konnte das schmerzhafte Ziehen in meinem Herzen spüren. Jahrelang hatte mir diese Person das Schreiben beigebracht, genauso wie das Lesen.

Alles in mir wehrte sich dagegen, den Brief zu öffnen. Ich wollte die Augen vor der Wahrheit verschließen und so tun, als wäre das heute nicht passiert … Seit fünf Jahren hatte ich nichts mehr von ihr gelesen – und jetzt einen Brief von ihr in der Hand zu halten war Fluch und Segen zugleich. Meine Hände zitterten, die Tränen ließen die Sicht vor den Augen verschwimmen. Aber ich musste wissen, was darin stand. Ich schloss die Augen, drängte die Tränen blinzelnd zurück und atmete tief durch.

Neue Entschlossenheit durchflutete mich. Ich nahm den Brief und wollte ihn gerade öffnen, als meine Zimmertür aufgerissen wurde. Schnell versteckte ich ihn unter dem Kopfkissen und sah meinen kleinen Bruder in das Zimmer stürmen.

»Xara, draußen passiert irgendwas!«

Überrascht blickte ich ihn an, dann rannte ich auf den Balkon und erstarrte.

Ich konnte nicht glauben, was ich sah.

Die Slums standen in Flammen!

Rauch quoll in die Höhe und sammelte sich am Himmel. Flackernde Lichter erhellten den Horizont. Schreie drangen selbst noch bis zu mir durch. Ich stützte mich auf der Balustrade ab. Mir wurde schlecht. Das Gefühl des Versagens kroch in meine Glieder und raubte mir den Atem. Tränen, die mir eben noch wegen des Briefes in den Augen gestanden hatten, flossen nun. Tränen des Leids, das mir entgegenkreischte, wenn ich die Schrecken des Infernos betrachtete, das sich wie ein makabrer Scherz vor mir abspielte. Tristan stellte sich neben mich und ich zog ihn in die Arme. Er konnte noch nicht wissen oder verstehen, was dort geschah, aber ich brauchte seine Wärme. Seine Unschuld.

»Xara, das ist nicht gut, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Tristan, das ist gar nicht gut.«

Gebannt vom Schrecken sahen wir, wie die Slums feuerrot leuchteten – die ganze Nacht. Die Schreie, die zuvor noch zu uns drangen, verstummten mit der Zeit und eine unheimliche Stille legte sich über die Stadt.

Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Alles stürmte zugleich auf mich ein, in jeder Sekunde, und gleichzeitig war alles … wie gedämpft. Als hielte ich den Kopf unter Wasser und blendete die Geräusche um mich herum aus, nur dass ich dies mit meinen Gefühlen tat. Mein Vater – er hatte tatsächlich die Slums vernichtet! Sein eigenes Volk.

Meine Glieder waren steif. Ich wollte irgendetwas unternehmen, wollte ihnen da draußen irgendwie helfen, aber ich wusste nicht, wie. Es schien, als sei ich als Prinzessin dazu verdammt, die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten. Zu hoffen, dass das Volk Erbarmen mit mir zeigen würde, während mein Vater es gnadenlos ausbeutete. Ich kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Aber so war ich nicht, so hatte mich weder meine Mutter noch mein Vater erzogen. Ich würde nicht danebenstehen und zusehen, wie er alles zerstörte. Es war das erste Mal, dass ich mich gegen meinen Vater, gegen seine Taten stellte, aber das Unrecht, das gerade geschehen war, konnte ich nicht zulassen. Ich musste etwas tun. Egal was.

Doch noch war ich nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, denn der Schock hatte mich fest im Griff. Wie konnte Vater seinem Volk nur so etwas antun? Er hatte sie alle jahrelang schuften lassen, raubte ihnen ihr Vertrauen in seine Herrschaft und als sie sich wehrten, vernichtete er sie. Er missbrauchte seine Macht!

Tränen liefen mir – Tristan war, den Göttern sei Dank, inzwischen auf sein Zimmer gegangen – noch immer vor Entsetzen über die Wangen. Doch in meinem Kopf klärten sich endlich die Gedanken. Mein Vater war schuld an alldem! Ich raffte den Rock, um zu ihm zu laufen. Wut pulsierte in meinen Adern und gab mir die Willenskraft, mich gegen den Mann zu stellen, den ich seit Kindertagen bewundert hatte. Zu dem ich aufgesehen hatte, weil ich selbst eines Tages genauso werden wollte wie er.

***

Ich hatte voller Zorn gegen die Tür geklopft und nicht mal auf ein »Herein!« gewartet, sondern war einfach in Vaters Schreibzimmer gestürmt. Verwundert sah er mich nun an.

»Xara, was willst du hier?«

»Wie konntest du ihnen das nur antun?! Deinem eigenen Volk?!«, fuhr ich ihn an.

Seufzend stand mein Vater auf, richtete sich zu voller Größe auf. Er überragte mich um einiges. In mir brandeten Adrenalin und Wut. Nein, er konnte mich nicht einschüchtern! Auch wenn sich sein Blick drohend in meinen bohrte. Ich würde nicht nachgeben. Er hatte uns angelogen. Die Slums wollten seine Hilfe. Sie bekamen sie schlichtweg nicht. So sollte kein König reagieren und dieser Meinung war er selbst noch vor ein paar Jahren gewesen. Er hatte all die Untaten, die sein Vater in seiner Blindheit verübt hatte, um Krieg gegen die Götter zu führen, wiedergutmachen wollen. Aber nun wurde er zu dessen Ebenbild!

Kein Wunder, dass sich die Slums nun gegen ihn wehrten.

»Tochter, ich denke, dass du keinerlei Ahnung hast, wovon du sprichst«, meinte er in einem viel zu ruhigen Ton.

Ich wurde hellhörig. »Bitte? Ich glaube doch, dass ich weiß, was ich gesehen habe, was ich gehört habe. Die Schreie, die Flammen. Du hast dein Volk in Angst und Schrecken versetzt. Diejenigen, die zu dir aufsahen und dir vertrauten!«

Er schnaufte. Ich sah ihm an, dass er im Gegensatz zu mir seine Wut zurückhalten wollte. »Xara, ich verstehe deinen Unmut. Aber die Slums können uns nichts bieten. Sie haben keinerlei Einnahmen, die ihr Dasein rechtfertigen würden.«

Perplex starrte ich ihn an. »Aber genau deswegen gibt es das Königshaus! Um die Schwächeren zu unterstützen. Nicht, um diese auszunehmen. Was redest du da nur? Du hast mir doch beigebracht, dass ich, wenn ich Königin bin, diesem Drang nach Macht und der Gier niemals nachgeben darf. Dass ich mich als Freundin, als Mutter für das ganze Volk sehen soll – so wie du dich als Vater für dein Volk sehen wolltest. Und nun gibst du ihm selbst nach? Ich verstehe es nicht«, sagte ich verwirrt.

»Xara, unser Land ist nicht mehr das, was es einmal war. Manche sehen uns nicht mehr als ihren rechtmäßigen Herrscher. Sie sagen, wir wären schwach geworden. Und das kann ich nicht zulassen. Also muss ich den Schandfleck meiner Herrschaft zerstören. Damit du es leichter hast.«

Entsetzt schüttelte ich den Kopf, das konnte er nicht ernst meinen! Dieser Mann konnte nicht derselbe sorgende König sein, der mir beigebracht hatte, dass wir alle gleich waren. »Du hast bei deiner Krönung geschworen, dass du dein Volk beschützt und unterstützt«, rief ich ihm den Schwur des Königshauses in Erinnerung. »Anstatt dies zu tun, wie es deine Pflicht wäre, zerstörst du einen ganzen Stadtteil und bringst Dutzende deiner Untertanen um! Das nennst du es mir erleichtern? Erinnerst du dich daran, dass Mama früher immer in die Slums gegangen ist? Sie hat dort Brot verteilt und Zeit mit den Wesen verbracht. Und du? Du zerstörst alles!«

Die Wucht seines Schlages an meiner Wange traf mich und ließ mich gegen die Wand prallen. Der Schmerz drückte mir die Luft aus den Lungen und ich konnte meinen Vater nur fassungslos anstarren. Er hatte noch nie gegen mich die Hand erhoben. Entsetzt berührte ich die Wange, merkte, wie der Schmerz pochte, schmeckte das Blut. Ich knurrte und stand wankend wieder auf.

»In meiner Gegenwart solltest du niemals behaupten, dass ich das Erbe deiner Mutter nicht schätze. Niemals. Ich liebte deine Mutter, und was hat mir das gebracht? Sie ist tot! Tristan hat sie mir entrissen.«

»Gibst du meinem kleinen Bruder die Schuld an Mutters Tod? Sie wurde krank! Nicht wegen Tristan. Sondern einfach deshalb, weil sie sich selbst überschätzte. Wenn ich nicht von dem beschmutzten Erbe meiner Mutter reden sollte, solltest du in meiner Gegenwart niemals mehr meinen kleinen Bruder, deinen Sohn, beschuldigen schuld an Mutters Tod zu sein«, fauchte ich.

Finster starrte mein Vater mich an. Ich erkannte ihn nicht wieder. »Xara, geh besser!«

Ich schnaubte, aber fügte mich. Er würde damit nicht durchkommen. Dafür wollte ich sorgen. Egal wie und egal welche Konsequenzen das für mich hätte. Ich würde meinen alten Vater wiederbekommen. Irgendwo in ihm musste noch ein Rest des liebenden und sorgenden Vaters und Königs sein, an den ich mich erinnerte.

Kapitel 3

Nachdenklich stand ich an einer Ecke und betrachtete die Pforten, hinter denen der Reichtum Illominus’ lag. Mit dem Entschluss, dass ich den Slums helfen wollte, war ich hierhergekommen und überlegte nun fieberhaft, wie ich das Geld beschaffen sollte.

Das Hineingelangen in die Schatzkammer würde keinerlei Schwierigkeiten bereiten, aber das Herausschmuggeln. Einem Teil von mir war es jedoch egal, dass ich mich mit meinem Verhalten strafbar machte, während der andere mich zur Vernunft rief. Im Kerker konnte ich niemanden unterstützen. Und ich musste den Überlebenden helfen. Die Erinnerung daran, was den Slums zugestoßen war, ließ meinen Magen zu einem schmerzenden Knäuel werden. Die Angst, aber auch das Unverständnis gegenüber meinem Vater, machte mir zu schaffen. Doch ich konnte mich darauf nicht konzentrieren – ich wollte es auch nicht. Ich hatte einen Auftrag und genau den würde ich jetzt erfüllen.

»Ich möchte in die Schatzkammer.« Die Wachen sahen mich stirnrunzelnd an, als ich hocherhobenen Hauptes vor ihnen stand.

»Wozu?«, fragte die eine Wache, eine Luchsin, die mich misstrauisch musterte.

Vielleicht war das Hineinkommen doch nicht so einfach, wie ich gedacht hatte. »Ich möchte mir ansehen, wie viel wir in den letzten Monaten eingenommen haben. Da ich irgendwann einmal auf dem Thron sitze, halte ich es für angemessen, dass ich weiß, wie unsere Finanzen aussehen.« Mein Herz setzte wohl ein paar Schläge aus und ich unterdrückte die Angst, die aufkommen wollte, damit die Wesen vor mir diese nicht rochen.

Zweifelnd sahen mich die Wachen an, öffneten aber nach kurzer Überlegung die riesigen Türen und ließen mich eintreten. Als ich einen Schritt später in dem Raum stand, schlossen sie die Pforten hinter mir. Kurz atmete ich auf und ließ das Gefühl der Erleichterung zu. Das Adrenalin rauschte noch immer durch meine Adern und machte mich mutiger als ich eigentlich war. Erst jetzt bemerkte ich die Pracht und die Vielzahl an Schätzen, die um mich herumstanden, und ich riss staunend die Augen auf, während ich durch den Raum ging.

Er war etwas kleiner als der Ballsaal, doch jeder freie Zentimeter wurde von Rohren dominiert, in denen die Goldmünzen ruhten. Ab und an sah man ein seltenes, mit Gold überzogenes Artefakt, aber keines davon interessierte mich. Ich stellte mich vor ein Rohr und fuhr mit dem Finger daran entlang, während ich hinaufblickte und aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Die Decke lag hoch über mir und genau dort war das Rohr zu Ende. Damit ich die Kuppel betrachten konnte, musste ich den Kopf in den Nacken legen.

Das Zentrum der Decke bildete ein verglastes Dach, welches das Gold in den Rohren funkeln ließ.

Ich lief mit offenem Mund durch die Schatzkammer. Wieso hatte Vater den Wesen in den Slums nicht geholfen? Das Geld hätte dafür allemal gereicht.

Kurz durchzuckten mich Zweifel. Was ich vorhatte, war Hochverrat. Aber meine Treue galt dem Land, meinem Volk – nicht meinem König. Obwohl er der Vater war, den ich liebte. Tief atmete ich ein, versuchte die aufkommende Angst zu bekämpfen. Ich schnappte mir ein paar Goldmünzen und steckte sie in mein Dekolleté. Nächstes Mal müsste ich mir etwas anderes überlegen. Aber vorerst würde das Geld reichen, um Decken und Essen kaufen zu können. Damit ich zumindest ein paar Wesen helfen konnte. Einmal atmete ich noch tief durch, versuchte mich zu beruhigen, damit die Luchse keinen Verdacht schöpften, und öffnete die Pforten. Mit hocherhobenem Haupt und sicherem Schritt ging ich an den Wachen vorbei. Ich hielt die Luft an, damit mein Herzschlag ruhig blieb, und gab mir den Anschein, sie nicht zu beachten.

Als ich um die Ecke bog, blieb ich kurz stehen, atmete erleichtert durch. Ich fühlte ein Lächeln auf meinem Gesicht. Ich hatte es geschafft. Mit neuem Mut ging ich hinauf in mein Zimmer.

***

Linda erwartete mich schon. Sie sah abgespannt und müde aus. Unter ihren Augen lagen tiefe, dunkle Ringe. »Prinzessin! Wo wart Ihr? Ich habe Euch gesucht.«

»Guten Morgen, Linda, ich war bei meinem Vater. Das … das mit den Slums, ich verstehe es nicht.«

Betrübt nickte Linda. »Grässlich, was dort passiert ist. Es gibt kaum Überlebende. Doch diese wünschen sich, sie wären tot. Viele haben Verletzungen von den Bränden und kein Geld, um diese behandeln zu können.«

Mir stockte der Atem. Das war grausam. Ich atmete tief durch. »Linda, meinst du, wir können in die Slums gehen und den Wesen helfen? Unentgeltlich natürlich?«

Überraschung flackerte über ihr Gesicht, doch schnell überwog die Erleichterung und sie nickte. »Ich hatte gehofft, dass Ihr das sagen würdet. Ich war bereits gestern Nacht da und bin von dort direkt hergekommen. Aber ich denke, es wäre besser, wenn wir Euer wahres Ich verbergen. Vielleicht könntet Ihr meine Nichte sein?« Sorge trübte ihre Augen.

Ich nickte und auf einmal schien sie wieder voller Motivation zu sein. Mich beunruhigte ihre Vorsicht etwas. Glaubten die Wesen etwa, dass ich damit etwas zu tun hatte?

»Ich kümmere mich um angemessene Kleidung und während Ihr Euch anzieht, besorge ich vom Arzt Medizin und Heilmittel.«

Wieder nickte ich. Ich war vollkommen überrumpelt von Lindas Benehmen. So aufgeregt hatte ich sie noch nie gesehen.

Als sie loslief, um die Sachen zu holen, schnappte ich mir einen Beutel und steckte das Geld hinein. Linda durfte nichts davon mitbekommen, sonst würde sie der Tod ebenso erwarten wie mich.

Zwei Wachen begleiteten Linda in mein Zimmer und halfen ihr beim Tragen. »Bringt die Medizin schon einmal nach unten in den Hof. Ich werde gleich dorthin kommen«, sagte sie zu den Wachen.

Diese wandten sich ab und schlossen die Tür hinter sich. Linda lauschte auf die sich entfernenden Schritte. Mit einem Lächeln kam sie mir entgegen und holte unter ihrem Kleid einen flachen Beutel heraus, den sie mir reichte.

»Ich habe gedacht, Ihr wolltet sicherlich kein Kleid für Eure Aufgabe«, sagte sie mit einem Zwinkern.

Erstaunt sah ich sie an. Woher wusste sie …? Doch ich überging ihre Worte, tat, als hätte ich sie nicht gehört. Sie konnte nichts ahnen – woher denn auch? Schnell zog ich mich aus und holte die neuen Anziehsachen von Linda heraus. Es waren schwarze, grobe Ledersachen. Dazu ein grünes Baumwollhemd und ein ebenso grüner Umhang. Ich schmunzelte. Es war perfekt.

Die Lederhose und die Stiefel saßen wie angegossen, während das Hemd ein wenig zu groß war. Dafür war die schwarze Weste, die einen eckigen Ausschnitt hatte, wieder perfekt. Der Umhang war lang genug, sodass er knapp über den Knöcheln endete, und die Kapuze so groß, dass ich meine Ohren darunter verbergen konnte. Unauffällig schnappte ich mir den Beutel voller Gold und befestigte ihn an der Hose.

Fertig angezogen sah ich zu Linda hinüber. Sie lächelte. »Ihr seht wundervoll aus, Prinzessin.«

»Danke. Aber wenn ich deine Nichte sein soll, wirst du mich von nun an duzen müssen. Dazu benötige ich noch einen Namen, Xara kennt jeder.«

»Meine Nichte heißt Nelda und ist ebenfalls eine Löwin. Sie lebt jedoch an den Wasserfällen, also weit genug entfernt, dass sie hier relativ unbekannt sein dürfte. Ihr … Du darfst die Kapuze nur nicht abnehmen.«

***

Gemeinsam liefen wir durch den Palast. Doch als Linda mich zu den Dienstboteneingängen zog, sah ich sie verwirrt an.

»Wollt Ihr etwa, dass Euer Vater spitzbekommt, dass Ihr gegen seinen Willen handelt?«, fragte sie aufgebracht, als ich nachhakte, wieso. Sie hatte recht. Ich würde sie machen lassen müssen. Sie würde wissen, was richtig war und was nicht.

Vor einem Ausgang nach draußen blieben wir stehen. »Ich muss durch den Hauptausgang gehen, Ihr hingegen werdet durch den Garten laufen, dann auf den Baum beim Pavillon klettern und über die Hecke springen. Ich warte auf der anderen Seite auf Euch.«

Ich folgte kommentarlos ihrem Befehl. Den Baum zu finden, den Linda meinte, war nicht schwierig. Dort hatte Mutter mir das Klettern beigebracht, so wie ich genau an derselben Stelle Tristan diese Fertigkeit gelehrt hatte.

Im Nu war ich über die Hecke entkommen und wartete dort auf Linda. Kurz nach mir erschien sie. Sie hatte die schweren Körbe allein getragen. Ich nahm ihr einen ab. Es musste aussehen, als würde ich meiner Tante helfen.

***

Gemeinsam gingen wir durch Illominus und versuchten wie normale Wesen auszusehen. Die Häuser waren alle aus Lehm gebaut und mithilfe der Begabten geformt worden. Überall in der Stadt waren unterirdisch Rohre verlegt, damit jeder Haushalt frisches Wasser hatte. Die meisten Häuser hatten zwei Etagen. Nur selten waren Häuser mit mehr zu sehen, aber auch die gab es, wenn Familien so groß waren, dass sie diese benötigten. Es gab Straßen, die gerade so breit waren, dass zwei Kutschen nebeneinanderher fahren konnten. Rechts und links entlang der Straße verlief ein Weg für die Fußgänger, dort standen die Laternen mit den Leuchtsteinen. Die Wesen gingen zielstrebig und ein wenig gehetzt an uns vorbei.

Hier sah man noch keinerlei Anzeichen der Zerstörung, die mein Vater angerichtet hatte, obwohl die Wesen nervöser wirkten als sonst. Linda und ich marschierten weiter.

Vorher war die Grenze zwischen den Slums und dem besseren Stadtteil fließend. Doch jetzt erkannte ich die harte Grenze, die das an sich harmonische Bild der Stadt trübte. Der Anblick raubte mir den Atem. Jedes Detail bohrte sich in mein Innerstes und ich wusste, dass ich ihn niemals mehr vergessen könnte.

Die Slums, die vorher schon nicht schön gewesen waren und immer vernachlässigt ausgesehen hatten, waren nun zum größten Teil zerstört. Manche Häuser waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt, bei anderen fehlte das Dach. Aber alle waren nicht mehr lehmfarben, sondern vom Ruß geschwärzt. Mit vor Schreck geweiteten Augen lief ich durch die Gassen. Überall sah ich Leid und Elend. Wesen, die in halb zerfetzten, zerrissenen oder gar verbrannten Kleidern auf dem Gehweg saßen und verloren vor sich hinblickten.

Linda führte mich zu einem großen Haus, das halbwegs unbeschadet war. Als wir hineingingen, musste ich mich anstrengen Luft zu holen. Der Geruch nach Blut, Urin und Verbrennungen dominierte den Raum. Sie zog mich am Arm immer näher zu der Quelle dieses Geruchs hin – und Übelkeit überkam mich.

Wir liefen in einen großen Raum, in dem viele provisorisch aufgebaute Betten standen, die aussahen, als würden sie diejenigen, die sich darauf befanden, nicht mehr lange halten können. Mir schnürte es die Kehle zu, die Wesen zu sehen, die zusammengekauert darauf lagen oder saßen. Mitleid überrollte mich. Linda ging zielstrebig zu einem Wolf, der geschäftig durch die kleinen Gänge zwischen den Betten lief. Ich zögerte, dann folgte ich ihr. Hier war ich ziemlich nutzlos. Ich hatte keine Ahnung vom Heilen. Aber ich konnte vielleicht da sein und anderen das Notwendige geben. »Daniel!«, rief Linda und das Wolfswesen drehte sich um. Er breitete strahlend die Arme aus.

»Linda, Lilenya schickt dich! Aber ich dachte, du musst arbeiten?«

»Die Prinzessin erlaubt mir, meine Pflichten zu vernachlässigen, um dir zu helfen. Ich habe auch Verstärkung mitgebracht. Das ist Nelda, meine Nichte.« Sie sprach die letzten beiden Worte mit Nachdruck aus und deutete auf mich.

Ich schritt ein wenig näher. Prüfend begutachtete mich der grauhaarige Wolf. Seine Augen glänzten gelb, die Ohren waren, genauso wie die Haare und sein wuscheliger Schwanz, grau. Er hatte über einem blauen Baumwollhemd einen weißen Kittel an, den die Ärzte bei uns im Palast ebenfalls trugen.

»Die Prinzessin gehört zu dem Bastard, der die Schuld an dem ganzen Schlamassel trägt«, schnaubte er.

Bei seinen Worten zuckte ich zusammen. Linda hatte so etwas Ähnliches angedeutet, aber es klar und deutlich aus dem Mund eines Wesens zu hören … das tat weh. Ich wollte schon etwas sagen, als Linda meinen Arm drückte. Nelda kam von weit her, sie kannte die Prinzessin wahrscheinlich gar nicht.

»Daniel, Prinzessin Xara wusste von dem Befehl ihres Vaters nichts.«

Wieder zuckte ich zusammen. Ich hatte von dem Befehl gewusst. Nur hatte ich gehofft, dass Vaier die Katastrophe aufhalten konnte. Zumindest für ein paar Tage.

Daniel zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich von den ganzen Sachen halten soll. Auch wenn du sie aufgezogen hast, ist sie immer noch die Tochter dieses Tyrannenkönigs.«

»Eben, ich habe sie aufgezogen und sie ist immer noch die Tochter der Königin, die auch du sehr mochtest! Xara kann nichts dafür. Genauso wenig wie Tristan.«

»Lassen wir das Thema. Ich kann eure Hilfe gut gebrauchen. Die Kraft, die wir mit dem Streit vergeuden, können wir besser für die Verletzten nutzen, die Darius noch gefunden hat.«

Linda nickte und wir folgten Daniel.

Dieser führte uns in einen kleineren Raum, in dem wir auch Verletzte vorfanden. »Linda, kümmerst du dich um diesen Raum?«

Sie nickte, krempelte die Ärmel hoch. Daniel ließ uns allein.

»So, Nelda, dann lass uns mal beginnen. Stell den Korb erst mal dorthin. Wir holen etwas, wenn die Verwundeten es benötigen.«