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Karl-Heinz Schwarze

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Beschreibung

Der Kulturkampf, ein Machtspiel zwischen Staat und katholischer Kirche, betraf und bewegte die Empfindungen der Katholiken in Deutschland, vor allem im Königreich Preußen, in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wie kein anderes Ereignis. Die Kleinstadt Werne war besonders betroffen von der Auseinandersetzung zwischen Berlin und Rom, zwischen Bismarck und Pius IX.. Priestern wurde unter harten Strafen verboten, ihre pastoralen Aufgaben zu erfüllen. Das Kapuzinerkloster wurde wie alle Klöster aufgelöst. Der Historiker Karl-Heinz Schwarze ordnet die Ereignisse vor Ort in den europaweiten Zusammenhang ein. Die katholischen Gläubigen, die geschlossen ihrer Kirche die Treue hielten, widerstanden dem staatlichen Druck mit zahlreichen Maßnahmen. Reichskanzler Otto von Bismarck hatte den Konflikt ausgelöst. Dieser fand weltweit so großes Interesse, dass der Begriff in anderen Sprachen zum Fremdwort wurde. Eine weitreichende negative Folge des Kampfes war, dass Bismarck im Bündnis mit den liberalen Parteien eine weitere parlamentarische Demokratisierung des Deutschen Reiches verhindern konnte. Für die katholische Kirche bewirkte der politische Druck des Staates und der liberalen Gegner, dass die dogmatische Fixierung und die Zentralisierung der katholischen Kirche durch Pius IX. sich langfristig verfestigte. Erst Papst Johannes XXIII. beauftragte das Zweite Vatikanische Konzil 1962, die Kirche durch Reformen in die neue Zeit zu führen.

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2021

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„Ein ungerechtes Gesetz ist gar kein Gesetz“

Thomas Aquin

Titelbilder: Portal der Klosterkirche in Werne, St. Christophorus in der Pfarrkirche (Ausschnitt), Karikatur „Zwischen Berlin und Rom“ (aus dem Kladeradatsch 1875)

Inhalt

Vorwort

Eröffnung: Die Fahndung nach dem Kapuziner-Pater Chrysostomus

Ein Machtspiel zwischen Papst Pius IX. und Reichskanzler Otto von Bismarck

Vor allem vor Wahlen eine polemisch geführte Auseinandersetzung in Presse und Literatur

„Verteidigung des religiösen Lebens gegen staatliche Gewalt“

Juristischer Lückenschluss und „gesetzwidriges“ Handeln der Priester

Zugriff auf Kirchenbücher, Siegel und Pfarrvermögen

Zahlreiche Prozesse gegen Vikar Spithöver und Kaplan Veltmann

Ein „revolutionärer Straßenauflauf“ in Werne gegen die „Zwangsausweisung“

Teilweise Entschärfung der „Volksgärung“ in Werne

Zwei Gegenspieler im Landkreis Lüdinghausen

Ein „demonstratives“ Jubelfest in Werne

Landrat Graf von Wedel in der Zwickmühle

„Rebellische Untertanen – fromme Bürger“

Behördliches und juristisches Nachspiel zum „Demonstrationszug“

Bischof Johann Bernhard Brinkmann unnachgiebig

Zug um Zug – Die Versteigerung der bischöflichen Habe als öffentliche Lustbarkeit

Der Bischof in Bedrängnis: Gefängnishaft und Flucht ins Exil – Huldigung des katholischen Volkes

Gegenwehr: Versteckspiele der Priester gegen preußische Kontrollen

Strategische Hartnäckigkeit des katholischen Volkes

Seelischer Notstand der Gläubigen

Der Werner Bürgermeister in der Zwickmühle

Im Zugzwang - Auflösung der Klostergemeinschaften

Die liberalen Parteien und ihre Presse: „Eisenbahnfahrplan statt eines Gebetbuches“

Die Maßnahmen gegen das Kapuzinerkloster in Werne: „Mit Riegel und Siegel“

Scheitern einer Behördenkontrolle im Kloster

Analyse der Kloster-Kontrolle

Kritik der Regierung in Münster an Bürgermeister und Rat der Stadt Werne

Nach der Klosterauflösung: Unnachgiebigkeit der Provinzregierung im Gegenzug

Die katholischen Priester: „Wir beugen den Nacken nicht!“

Reaktion der Priester, der Patres und des katholischen Volkes auf erneute Zugzwänge

„Versumpfung“ – Kulturkampf als Hängepartie

Radikale Forderungen der Gegenseite und die enormen Belastungen der Kirche und der Gläubigen

Friedensschritte

Erleichterungen Schritt für Schritt

Ungeduld der Gläubigen wegen der Verzögerung der Wiederzulassung des Klosters

Friedensschluss – ein Ausgleich in der Sicht Bismarcks und Leo XIII.

Der Volksmund: „Bismarck hat sich am Weihwasser die Finger verbrannt“

Sieg, Niederlage oder ein Remis?

Nach dem Ende des Kampfes: Provokation in religiösen Kunstwerken

Lebensläufe

Ein Ausblick

Literaturverzeichnis

Quellen

Fachliteratur

Bildnachweise

Register

Wahlergebnisse

Vorwort

Der Kulturkampf, ein Machtspiel zwischen Staat und katholischer Kirche, betraf und bewegte die Empfindungen der Katholiken in Deutschland, vor allem im Königreich Preußen, in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wie kein anderes Ereignis. Der Berliner Anatom und Abgeordnete der Fortschrittspartei, Rudolf Virchow, hatte den Begriff „Kulturkampf“ eingeführt. Er wurde von der liberalen Presse begeistert als Kampfbegriff aufgenommen, von der katholischen Presse verspottet.

Die Kleinstadt Werne war besonders betroffen von der Auseinandersetzung zwischen Berlin und Rom, zwischen Bismarck und Pius IX. Der Konflikt, vom Reichskanzler Otto von Bismarck ausgelöst, fand weltweit so großes Interesse, dass der Begriff „Kulturkampf“ in anderen Sprachen zum Fremdwort wurde (s. Morsey, 2000, S.6). Die bedrängten Bischöfe, Priester und auch das katholische Volk erhielten massenweise Sympathie- und Solidaritätsbekundungen aus zahlreichen Ländern, vor allem aus Belgien, aus den Niederlanden, aus England, aus Frankreich und aus den USA. Aus England, Österreich und den USA trafen viele Spenden für die Priester ein, denen der „Brotkorb“ entzogen war. Deutschsprachige Zeitungen wurden vor allem aus Luxemburg und den USA geschickt. Diese hoben den Informationsstand der katholischen Amtsträger und des Volkes sehr; denn die katholische Presse litt stark unter der staatlichen Zensur. Die Kritik am Kulturkampf im Ausland war so groß, dass die Alliierten diesen noch im Ersten Weltkrieg als Propagandainstrument gegen Deutschland einsetzten (s. Strötz, 2005, S.316).

Der Kampf hatte weitreichende Folgen. Bismarck konnte durch das Bündnis mit den liberalen Parteien eine weitere parlamentarische Demokratisierung des konstitutionellen Kaiserreiches verhindern. Die Katholiken im Kaiserreich schotteten sich in einer Lagermentalität gesellschaftlich ab. Da sie von Bismarck und den liberalen Parteien immer wieder als „Reichsfeinde“ und als „staatsgefährlich“ diffamiert worden waren, bemühten sie sich andererseits nach dem Ende des Kulturkampfes darum, ihre Staatstreue zu beweisen. Dies trug auch dazu bei, dass das Zentrum, die Partei der Katholiken, dem Ermächtigungsgesetz zustimmte, der Grundlage für Hitlers Machtergreifung.

Für die katholische Kirche bewirkte der politische Druck des Staates und der liberalen Gegner, dass die dogmatische Fixierung und die Zentralisierung der katholischen Kirche durch Pius IX. sich langfristig verfestigte. Pius IX. hatte den Katholizismus ganz auf Rom ausgerichtet. Zahlreiche Strömungen im Katholizismus hatte er als unkatholisch eingestuft (s. dazu Wolf, 2020, S. 3, 45, 70, 120). Erst Papst Johannes XXIII. erstrebte eine Erneuerung der Kirche im Sinne einer Anpassung an die moderne Welt. Das Zweite Vatikanische Konzil beauftragte er 1962, die Kirche durch eine Reform in die neue Zeit zu führen. Das Konzil benannte einige Leitsätze in bewusstem Gegensatz zu Ideen Pius’ IX. Die christliche Wahrheit sollte durch Dialog ausgesagt, die Kollegialität des Episkopats betont werden, dogmatische Sätze im Sinne ihrer Orientierung auf das Verständnis des gegenwärtigen Zeitalters aktualisiert werden. Das Konzil legte gezielt den Schwerpunkt auf die humane Botschaft des Neuen Testamentes. Trotz der umfassenden Reformen wirken die starken Spannungen zwischen Reform und Beharren innerhalb des Katholizismus auch nach dem Zweiten Vatikanum bis heute.

Das Buch basiert auf Arbeiten zu mehreren Schriften in verschiedenen Printmedien. Der Stoff ist neu konzipiert, teils erweitert und ergänzt unter Berücksichtigung neuerer Literatur.

Herzlich danke ich meiner Frau, Brigitte Schwarze, für das intensive Korrekturlesen und für vielfache sonstige Unterstützung.

Eröffnung: Die Fahndung nach dem Kapuziner-Pater Chrysostomus

Am 18. April 1874 hat die preußische Präsidialbehörde in Münster bei der Staatsanwaltschaft gegen den Kapuzinerpater Chrysostomus Branze ein Strafverfahren beantragt.1 Aufgrund dessen erreicht den Bürgermeister in Werne, Bernard Thiers, am 24. April 1874 eine Suchaufforderung des Landratsamtes aus Lüdinghausen. Werne ist damals Teil des Landkreises Lüdinghausen im Königreich Preußen. Der Landratsamtsverwalter, Graf Johann Wilhelm von Wedel, erbittet in einem mit „Vertraulich!“ gekennzeichneten und versiegelten Amtsbrief, dass Bericht über den Aufenthaltsort des Kapuzinerpaters Branze erstattet werde. Landrat und Bürgermeister sind im preußischen Königreich auch die Polizeichefs für Landkreis bzw. Stadt. Der Werner Bürgermeister meldet nun pflichtgemäß, dass ein Branze „unter dem Klosternamen ‚Chrysostomus’ dem hiesigen Kloster” angehöre.

Es lässt aufhorchen, dass ein Kapuzinerpater polizeilich gesucht wird, weil er – so heißt es in der Suchmeldung – „gesetzwidrig” gehandelt hat. Noch erstaunlicher klingt es, wenn man beim Weiterlesen in anderen Quellen erfährt, dass die Straftat des Paters darin bestanden habe, dass er in Olfen „gesetzwidrig” aushilfsweise die Heilige Messe gelesen, gepredigt und Beichte gehört hat. Messen zu zelebrieren, genau das sieht Pater Chrysostomus als seine Lebensaufgabe an. „Seelsorge” ist sein Amt, das ihm vom Kapuziner-Orden und vom Bischof in Münster übertragen worden ist. Seine Berufung ist „Seelsorge”, so steht es unter der Rubrik „Tätigkeit” in einer Liste der Klosterinsassen zu Werne.2 Schon mit der Wahl des Namens „Chrysostomus” beim Eintritt in den Kapuzinerorden hat sich Branze einem Ideal des Ordens, missionarischer Prediger zu sein, verschrieben. Sein Namenspatron, der Heilige Chrysostomos, Patriarch von Konstantinopel von 398 bis 403 n. Chr., war einer der bedeutendsten Prediger in der Geschichte der Kirche. Beim Eintritt ins Kloster im Jahre 1860 hatte Branze noch nicht ahnen können, dass er auch in einem anderen Verhalten seinem berühmten Vorbild folgen werde, und zwar im Konflikt mit der Staatsgewalt. Der heilige Chrysostomos wurde als Patriarch im Jahre 403 abgesetzt und verbannt, weil er durch seine freimütigen und sittenstrengen Predigten den Unwillen des Kaisers und der Kaiserin in Konstantinopel erregt hatte.

1 SA, LRLü 1115, 18./ 24./ 4. u. 10./ 12./ 20./ 5. 1874.

Ein Machtspiel zwischen Papst Pius IX. und Reichskanzler Otto von Bismarck

Es wird für viele Kapuziner in dieser Zeit zu einem strafbaren Vergehen, die Seelsorge in der Umgebung Wernes auszuüben. Wir befinden uns im Jahre 1874. Es ist die Zeit des Kulturkampfes. Staat und liberale Parteien auf der einen Seite und katholische Kirche auf der anderen stehen in erbitterter Feindschaft einander gegenüber. Otto von Bismarck, Reichskanzler des Deutschen Kaiserreiches und Ministerpräsident des Königreichs Preußen, verkörpert die Speerspitze des antikirchlichen Kampfes.3

Für Bismarck hat die monarchische Staatsautorität völligen Vorrang. Nach seiner Auffassung werde diese nun durch den Papst, also durch eine ausländische Macht, eingeschränkt. Dieser fremden Macht seien die deutschen Katholiken treu. Das vorrangige Ziel Bismarcks ist es somit, die deutschen Katholiken entgegen ihrer bisherigen kirchentreuen Haltung zu treuen Untertanen des preußischen Monarchen in Berlin zu machen. Als Ziel schwebt ihm eine Art Staatskirche vor.

Die monarchische Staatsautorität wird in Bismarcks Augen auch vor allem durch das Zentrum eingeschränkt. Das Zentrum ist die politische Partei, die vehement die Interessen der katholischen Bevölkerung vertritt. Nach Bismarck mache das Zentrum gemeinsame Sache mit „Reichsfeinden“4. Nach der Reichsgründung am 1. Januar 1871 setzt sich in Bismarck die Furcht fest, dieses neu geschaffene Deutsche Reich könne von innen und außen zerstört werden.

Es ist zu erwarten, dass die Kirche heftig reagiert. Papst Pius IX. betont in einem Brief an Wilhelm I., den deutschen Kaiser und preußischen König, jeder getaufte Katholik gehöre ihm, dem Papst, an.5 Pius IX., Papst seit 1846, führt den Konflikt rigoros. Er ist konservativ, beseelt von dogmatischer Glaubensstrenge und vertritt hartnäckig die Macht der Kurie und die Hierarchie der Kirche. Er ist antidemokratisch und sieht in der liberalen Bewegung eine große Gefahr für die Kirche.6

Mit der Enzyklika „Quanta Cura“ hat er 1864 seine Positionen veröffentlicht. In einer Auflistung von 80 Hauptirrtümern des Jahrhunderts (Syllabus Errorum) verdammt er den Liberalismus und alle Tendenzen der modernen Welt. Auf dem 1. Vatikanischen Konzil 1870 wird das Unfehlbarkeitsdogma beschlossen und verkündet, das von den Liberalen als Kampfansage gegen moderne Wissenschaft und Kultur verstanden wird.

Papst Pius IX. an der Spitze der Katholische Kirche hatte mit dem Syllabus Errorum und dem Unfehlbarkeitsdogma den universalen absoluten Machtanspruch der Kirche verfestigt gegen Demokratie und Moderne. Die harte Haltung Pius’ IX. ist auch eine Reaktion auf die rigorose antikatholische Einstellung des Liberalismus.7 Seit die Jakobiner in der Französischen Revolution einen „Kreuzzug” gegen die Kirche geführt hatten, sahen Kirchenvertreter im Liberalismus und im Sozialismus eine große Gefahr.

Bismarck benutzt die Aktionen des Papstes, um „den Kulturkampf vom Zaun zu brechen und die deutschen Katholiken als fünfte Kolonne Roms und vaterlandslose Gesellen zu diffamieren“ 8. Er hat dazu eine große Machtfülle. Nicht nur, dass er Gott um Rat fragt und für gewöhnlich feststellt, dass Gott sich seiner Meinung angeschlossen habe, wie es ein Kritiker ätzend formuliert.9 Das Deutsche Kaiserreich ist eine konstitutionelle Monarchie. Bismarck ist nicht von den Parlamenten abhängig, vielmehr wird er vom Kaiser ernannt, ihm ist er verantwortlich. Nur von dem kann er abgesetzt werden, und Kaiser Wilhelm I. lässt ihm weitgehend freie Hand. Beide Parlamente, Reichstag und Preußisches Abgeordnetenhaus, besitzen auch nicht die Gesetzesinitiative. Allerdings benötigt der Kanzler für die Gesetzesvorlagen eine Mehrheit. Im Kulturkampf findet er die bei den liberalen Parteien.

Für diese und die liberale Öffentlichkeit stellt die katholische Kirche damals ein Feindbild dar. Sie sehen sie als Hemmschuh auf dem Weg in ein industrielles Paradies.10 Ein Flügel des Linksliberalismus bekämpft die Religion an sich; der Rechtsliberalismus erstrebt eine Art unabhängige Nationalkirche. Das katholische Volk müsse von seinen „Verführern”, Priestern, Bischöfen und Papst, getrennt werden, so formuliert es die liberale Presse. Die Kirche mache ihre Gläubigen „unfrei, abhängig, schwach und hündisch“11. Die liberalen Parteien sind in ihrem Kampf gegen die Kirche ein recht enges Bündnis mit Bismarck eingegangen. Ihr Ziel ist es, die Katholiken mit politischem Zwang vom Papst zu lösen. „Los von Rom” wird die gemeinsame politische Kampfparole der beiden ungleichen Bündnispartner.

2 StAWe, C II 518, C VII 147/148.

3 Zum histor. Hintergrund s. Morsey, S. 7-30.

4 Morsey, S. 7.

5 Franz, S. 235.

6 Siehe Nipperdey, S. 325.

7 siehe Clark S. 651.

8 Wolf, S. 31, siehe auch S. 138, S. 3.

9 Zit. nach Clark, Preußen, S. 653.

Vor allem vor Wahlen eine polemisch geführte Auseinandersetzung in Presse und Literatur

Die wichtigsten Mittel im Kampf gegen die katholische Kirche sind Gesetze eines autoritären Machtstaates. Diese Gesetze werden im Preußischen Abgeordnetenhaus und im deutschen Reichstag beschlossen. In beiden Parlamenten haben die liberalen Abgeordneten die Mehrheit.

Vor den Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Abgeordnetenhaus befehden sich die Gegner äußerst heftig. Liberale Zeitungen greifen das Zentrum und dessen Führer diffamierend an: „Mit solchem Gesindel muss man sich herumschlagen“, „Man höre das „Zischen der Nattern Windthorst und Mallinckrodt“12, „ein Kampf ist nötig gegen das schwarze Gewürm“13. Es müsse verhindert werden, dass „die Herrschaft der Hierarchie der Kirche ... die Staatsordnung unter ihre Leitung“14 stelle. Die polemische Sprache verdeutlicht, dass die Liberalen die Auseinandersetzung unerbittlich betreiben.

Der „Westfälische Merkur”, die damals wichtigste und traditionsreichste Zeitung des Münsterlandes, sogar ganz Westfalens, ebenso der „Münsterische Anzeiger” reagieren „schroff“ und „kühn“ für die katholische Seite15. Das Vokabular der liberalen Presse und der liberalen Politiker sei perfide, es sei die Sprache der „Hölle und des Tollhauses“16, bestimmt durch „Lüge und Heuchelei“17. Man speie „Gift und Galle“. Die Liberalen führten „einen unversöhnlichen Kampf gegen die katholische Kirche“, um diese zu vernichten18. Der Liberalismus versinke im Sumpf des byzantinischen „Servilismus“.

Dieser Vorwurf beinhaltet, dass die liberalen Parteien die Politik des autoritär regierenden Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck unterstützten. Damit wird unterstellt, die Liberalen verrieten mit dieser angeblichen Untertänigkeit gegenüber der preußischen und der reichsdeutschen Regierung ihr ideales Ziel, freiheitliche Demokratie durchzusetzen. Die Liberalen begingen diesen Verrat an den eigenen Idealen nur, so lautet der Vorwurf der katholischen Presse, um die Kirche zu bekämpfen.

Für die Katholiken sind diese Zeitungen die Basis für die Teilnahme an den politischen Auseinandersetzungen. Die Presse wird in regelrechten Kampagnen fast schon mit modernen Mitteln der Massenbeeinflussung19 als Instrument des Widerstandes genutzt.

In der öffentlichen Kontroverse spielt zudem vor allem vielgelesene zeitgenössische Literatur eine große Rolle. Gustav Freytags historische Romane erzielen Auflagenrekorde. Diese sind die Lieblingsbücher des national-liberalen Bildungsbürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gustav Freytag ergreift in sehr polemischer Art Partei für die Liberalen gegen die katholische Kirche. Der Kulturkampf sei ein Kampf um „die Existenz des despotischen Papsttums, ... eine Schlacht zwischen Freien und Unfreien”. In diesem Kampf stünden „hier der moderne nationale Staat, dort die mittelalterliche absolute Herrschaft über die Seelen der Christenheit” wie Licht und Finsternis, Himmel und Hölle einander gegenüber.20

Ein anderer berühmter Erfolgsautor, bis heute ein Lieblingsautor aller Deutschen über alle Konfessionsgrenzen hinweg, ergreift anfangs auf Druck seines Verlegers ebenfalls Partei gegen die Katholiken, Wilhelm Busch. In dem „Pater Filuzius” werden die Jesuiten verhöhnt. Doch vordergründige und polemische Kulturkampfrhetorik passt nicht zu Wilhelm Busch, der gerade ohne jede weltanschauliche Parteibindung kleine und große menschliche Schwächen aller Art mit subtilem Humor aufs Korn nimmt. Er hat sich schnell von solchen spitzen politischen Streitschriften wie dem „Pater Filuzius” distanziert. In der „Frommen Helene” kritisiert er sowohl religiöse Heuchelei und selbstgefällige Tugendhaftigkeit in der Gestalt der Helene wie überhebliche Rechthaberei und selbstgewissen Hochmut in der Gestalt vom „Vetter Franz”, dem vehementen „liberalen” Gegner der katholischen Kirche.

„Schweigen will ich von Lokalen,

Wo der Böse nächtlich praßt,

Wo im Kreis der Liberalen

Man den Heil`gen Vater haßt.”

10 Siehe Morsey und Blackbourn.

11 Blackbourn, S. 23f.

12 StAMS, Merkur, 21.1.1874.

13 BAM, Sonntags-Blatt, 32. Jg. MS 1873, S.582.

14 Ficker, S. 285.

15 Massenkeil, S. 104.

16 StAMS, Merkur, 21. 1. 1874.

17 StAMS, Münsterischer Anzeiger, 30.8.1874.

18 StAMS, Merkur, 21.1.1874.

19 Weber, S. 38.

20 BAM, Sonntags-Blatt, 1873, Jg. 39, 28. Sept., S. 630.

„Verteidigung des religiösen Lebens gegen staatliche Gewalt“

Gesetze bilden die Basis des Kampfes. Sie werden fast ausnahmslos im Preußischen Abgeordnetenhaus beschlossen. Da die ersten im Mai 1873 angenommen worden sind, werden sie „Maigesetze” genannt. Ein Jahr später im Mai 1874 und dann wieder im Mai 1875 werden sie mit weiteren Verboten und erheblichen Strafmaßnahmen verschärft. Insgesamt gibt es etwa 22 davon.

Die liberalen Parteien sind im preußischen Parlament durch das Zensuswahlrecht deutlich begünstigt. Die Nationalliberalen haben bei der Wahl im Jahre 1873 im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin 175 Mandate, die linksliberale Fortschrittspartei 72 gewonnen. Damit haben sie von insgesamt 433 Sitzen in diesem Parlament mit 57 % die absolute Mehrheit. Somit können sie die Kulturkampfgesetze problemlos ohne weitere Koalitionen im Parlament durchbringen.

Die in den Parlamenten beschlossenen Gesetze unterstellen die katholische Kirche einem System staatlicher Aufsicht und Kontrolle. Eine sehr wichtige der zahlreichen Maßnahmen dieser „Zwangsgesetze” ist, dass jede priesterliche Stellenbesetzung vom Bischof den preußischen Behörden angezeigt und von den königlichen Beamten genehmigt werden muss. Die Ausbildung der Priester soll mit einem sogenannten staatlichen Kulturexamen vom Episkopat unabhängig und auf den Boden nationaler Bildung gestellt werden. Mit diesen Gesetzen will sich der Staat die Kontrolle über den Klerus bis hin zu Beförderungen sichern.

Die Verwirklichung dieser Gesetze würde die Zerstörung der römisch-katholischen Kirchenhierarchie bedeuten und eine Unterwerfung der Kirche unter die staatliche Aufsicht.21 In einer stufenweisen Eskalation folgen weitere Maßnahmen: Die kirchliche Disziplinargewalt wird aufgehoben. Im Gegenzug erhält ein eigens geschaffener königlicher Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten weitgehende Vollmachten. Der Austritt aus der Kirche wird erleichtert - es genügt eine Willenserklärung vor Gericht. Außerdem entzieht der Staat der Kirche die Schulaufsicht und die Aufgaben, die heute die Standesämter ausführen. In einer späteren Verschärfung wird vorgeschrieben, dass die Gemeinden ihren Priester wählen müssen.

Da die Selbstständigkeit und Hierarchie der Kirche mit fast allen dieser Maßnahmen zerschlagen werde, lehnen Papst, Bischöfe und Priester die Gesetze kategorisch ab. Sie bedeuteten die Aufhebung der Religions- und Gewissensfreiheit. Sie sehen in diesen Gesetzen einen „Vernichtungsfeldzug gegen kirchliches und religiöses Leben“.

Diese Gesetze stehen nicht nur im schroffen Gegensatz zu liberalen Idealen, sie widersprechen außerdem den Traditionen des preußischen Staates, der lange Zeit für seine religiöse Toleranz in Europa als Vorbild galt.22

Für die Bischöfe wiegt von allen Maßnahmen am schwersten, dass der Staat über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen entscheiden soll. Gefordert werden nicht nur ein staatliches Kulturexamen und die staatliche Aufsicht über die Priesterausbildung. Vielmehr muss jede Neubesetzung beim Regierungspräsidenten angezeigt werden. Erst, nachdem die staatliche Erlaubnis eingegangen ist, dürfte ein Geistlicher sein neues Amt antreten. Die Bischöfe schreiben in einer Kollektiveingabe nach Berlin, dass sie die Gesetze nicht anerkennen könnten. Wie alle verweigert auch der Bischof von Münster, Johann Bernhard Brinkmann, die vom Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtungen. In Hirtenbriefen rufen die Bischöfe offen zum passiven Widerstand gegen die Maigesetze auf. Werden Priester und Gläubige ihren Bischöfen folgen?