Zukunft ist ein guter Ort - Sina Trinkwalder - E-Book

Zukunft ist ein guter Ort E-Book

Sina Trinkwalder

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Digitalisierung und Automatisierung vernichten unsere Arbeitsplätze. Die dramatischen Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben: Millionen "überflüssiger" Arbeitnehmer, der Wegfall erheblicher Steuermittel, kollabierende Sozialkassen. Die wirtschaftliche Basis unserer Gesellschaft droht wegzufallen, Fortschritt und Freiheit sind in einem noch nie dagewesen Ausmaß bedroht. Doch Sina Trinkwalder sieht im Wandel auch große Chancen für ein neues Miteinander: Die Digitalisierung ermöglicht eine deutlich effizientere Ressourcenverteilung einerseits und einen zielgenauen und sinnvollen Einsatz der Arbeitskraft andererseits. So können wir unsere Arbeitszeit auf 30 Stunden und weniger pro Woche senken, Berufsbilder werden sich verändern und gesellschaftlich relevante Arbeit wird zusätzlich honoriert werden. Die Bestsellerautorin nimmt uns mit auf eine Reise in die Zukunft, in der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bestimmende Faktoren der Wirtschaft sind und wo es uns morgens nicht davor graut ins Büro zu gehen, weil jeder sein Auskommen durch eine erfüllende Tätigkeit verdienen wird. Wir alle können an dieser Vision mitarbeiten um unsere Zukunft sinnvoll und lebenswert zu gestalten. Sina Trinkwalder fängt einfach schon mal an und zeigt in ihrem Buch, wie wir diese Utopie verwirklichen können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 199

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sina Trinkwalder

Zukunft ist ein guter Ort

Utopie für eine ungewisse Zeit

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Digitalisierung und Automatisierung vernichten unsere Arbeitsplätze. Die dramatischen Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben: Millionen »überflüssiger« Arbeitnehmer, der Wegfall erheblicher Steuermittel, kollabierende Sozialkassen. Die wirtschaftliche Basis unserer Gesellschaft droht wegzufallen, Fortschritt und Freiheit sind in einem noch nie dagewesen Ausmaß bedroht.

Doch Sina Trinkwalder sieht im Wandel auch große Chancen für ein neues Miteinander: Die Digitalisierung ermöglicht eine deutlich effizientere Ressourcenverteilung einerseits und einen zielgenauen und sinnvollen Einsatz der Arbeitskraft andererseits. So können wir unsere Arbeitszeit auf 30 Stunden und weniger pro Woche senken, Berufsbilder werden sich verändern und gesellschaftlich relevante Arbeit wird zusätzlich honoriert werden. Die Bestseller-Autorin nimmt uns mit auf eine Reise in die Zukunft, in der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bestimmende Faktoren der Wirtschaft sind und wo es uns morgens nicht davor graut ins Büro zu gehen, weil jeder sein Auskommen durch eine erfüllende Tätigkeit verdienen wird.

Wir alle können an dieser Vision mitarbeiten um unsere Zukunft sinnvoll und lebenswert zu gestalten. Sina Trinkwalder fängt einfach schon mal an und zeigt in ihrem Buch, wie wir diese Utopie verwirklichen können.

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorwort von Harald Welzer

Einleitung

Gegenwart

Gegenwart

Zu dumm zum Weltretten?

Wunschzettel an das Wirkliche

Unser Wirtschaftssystem – der Kapitalismus

Schwindende Ressourcen

Die drohende Klimakatastrophe

Die Entsolidarisierung unserer Gemeinschaft

Die wachsende Ungleichheit

Weltretten muss Spaß machen

Zukunft

Zukunft

Zukunft braucht echten Lokaljournalismus

Zukunft braucht sechs demokratische Kompetenz-Kammern

Erste Kammer »Grundwerte«

Fünf fachliche Kompetenz-Kammern

Raus aus dem Beruf, rein in die Berufung

Relevanzkoeffizienten

Teilhabe schaffen und sichern

Sozialeinkommen durch Gemeinzeit

Zurück zur ursprünglichen Bildung

Von der Unwelt zur Umwelt

Die Zukunft (be)steuern

Danksagung

für euch.

für jeden einzelnen von uns.

Vorwort von Harald Welzer

Wer schon Gelegenheit hatte, Sina Trinkwalder argumentierend live zu erleben, wird beeindruckt gewesen sein. Beeindruckt von ihrer Fähigkeit, gleichzeitig Anekdoten zu erzählen, Sachfragen zu erwägen und Impulse zum Selbstdenken und -handeln zu zünden. Das können eh nicht viele, was aber bei Sina Trinkwalder noch hinzukommt, ist, dass sie merkwürdige Dinge macht, von denen ihr wohlmeinende Berater sofort abraten würden – wenn sie denn auf Berater hören würde. Das macht sie aber nur informationshalber, ihre Entscheidungen trifft sie selbst und gründet beispielsweise mit manomama ein Unternehmen, dass kein BWLer für aussichtsreich gehalten hätte, das aber wunderbar funktioniert. Wenn man das vorliegende Buch liest, bekommt man eine Idee, warum.

Weil die Autorin ein Ziel hat. Und dieses Ziel ist ein gutes Leben, nicht nur für sie selbst, sondern für alle. Wenn man so ein Ziel hat, muss man ziemlich viele Dinge unter einen Hut kriegen: wirtschaftliche Aspekte, Solidarität, eine stabile Finanzierung des Sozialsystems, Demokratie, eine intakte Biosphäre. Wenn jemand aus der Wissenschaft sich darangemacht hätte, ein Buch mit dem Titel »Zukunft ist ein guter Ort« zu schreiben und dabei all diese Dinge zu berücksichtigen, wären grob geschätzt mindestens 1400 eng bedruckte Seiten, 211 Schaubilder und 4354 Fußnoten dabei herausgekommen. Könnte sein, dass in so einem Buch dann vieles stimmt, es hätte aber den Nachteil, dass es niemand außer denen lesen würde, die selbst auch solche Bücher schreiben. Und den weiteren, dass die dann eh nur alle danach suchen würden, was falsch ist in dem Buch.

Sina Trinkwalders Buch über die Wiederentdeckung der Zukunft ist zum Glück viel kürzer, aber sie schafft es, eine Reihe guter Begründungen zu liefern, weshalb es notwendig und bereichernd, ja, lustvoll sein kann, an der Zukünftigkeit nicht nur »des Planeten«, sondern auch und vor allem unserer sozialen und politischen Praxis zu arbeiten. Dabei wird man nicht allen ihren Vorschlägen zustimmen, aber eine Demokratie ist ohnehin keine Gesellschaftsform des zustimmenden Nickens.

Aber man wird sich ermutigt fühlen, die Dinge mitgestalten zu wollen. Warum? Nicht nur wegen der Durchdachtheit und Rationalität ihrer Argumentation. Sondern auch, weil ihr Formulierungen gelingen, die man aus dem Buch nimmt und mit durch sein Leben tragen wird. Zum Beispiel: »Solidarität hat etwas gemeinsam mit Heimat. Sie muss vorhanden sein, um sie nicht zu brauchen.« Dass in so einem Satz das komplette Set an Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie enthalten ist, erschließt sich erst mit dem langen Nachhall, den solche Sätze haben. Eine nachhaltige Gesellschaft braucht – nachhaltige Gedanken. Und nachhaltige Gründe, diesen Gedanken auch Taten folgen zu lassen. So ein Buch ist das.

 

Harald Welzer, Berlin, im Oktober 2018

Einleitung

Jede Vision hat dieselben Eltern: den Zustand und die Zuversicht. Letztere ist, auch wenn es dieser Tage anders scheint, in unserem Sozialverhalten vorprogrammiert. Der Glaube an das Gute liegt in unseren Genen. Mit jedem einzelnen Lebewesen kommt die Hoffnung auf die Welt. Für diese Erkenntnis bekamen 1973 drei Verhaltensforscher sogar den Medizin-Nobelpreis. Die Namen der Wissenschaftler – Karl von Frisch, Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbeergen – scheinen ebenso vergessen wie die Tatsache, dass vielleicht auch uns Menschen, gleich den Tieren, das Gefühl der Hoffnung in die Wiege gelegt wird. Sie ist also erwiesenermaßen da, wenngleich wir in vereinzelten Momenten nicht an sie glauben, sie erfühlen oder sogar dem Irrglauben aufsitzen, sie verloren zu haben.

Weitaus schwieriger wird es mit dem anderen Elternteil: dem Zustand. Wie bei seinem Partner, der Zuversicht, stellt sich nicht die Frage nach der Existenz, denn: Er ist die Existenz. Das Hier und Jetzt. Ein Sammelsurium von äußeren Umständen und inneren Gegebenheiten, Daten und Fakten. Am wichtigsten aber: Wie gut oder schlecht ein Zustand ist, hängt von dem Blickwinkel und vom Ausgangspunkt der Betrachtung ab. Die Beziehung des Menschen zur Einschätzung des Zustands? Es ist kompliziert. Denn: Wir lassen uns von Gefühlen leiten, wo wir einen kühlen Kopf bräuchten. Selbst vermeintlich kluge Köpfe fallen in heutiger Zeit auf Fake News herein, statt sich an Fakten zu halten. Der Verstand scheint ausgedient zu haben, es lebe das Gefühl.

Gefühl jedoch ist nicht gleich Gefühl. Ein vernunftwidriges Bild auf Basis von Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien, Falschinformationen und Fehlinterpretationen kann niemals Partner der Zuversicht sein. Es ist die Angetraute der Angst. Das Ende jeden visionären Nährbodens. Dies scheint der Grund zu sein, warum wir vermehrt zurückblicken anstatt nach vorne gehen, warum wir ein offenes Miteinander lieber gegen eine geschlossene Gesellschaft eintauschen, warum immer mehr von uns beginnen, das Ist zu verteidigen, statt das Sein zu gestalten. Wir berufen uns auf ein falsches Bild des Zustands und haben die Zuversicht gegen Angst getauscht. Für Hoffnung aber gibt es gute Gründe, und sie ist das einzige Motiv für ein tragfähiges Morgen. Sie allein ist das irrationale Gefühl, das es braucht, um die Zukunft zu gestalten. Fehlt ihr jedoch das aktive Tun, trägt sie nicht ewig. Denn: Der Zustand bleibt, wie er ist, wenn wir nichts ändern. Die Hoffnung hingegen ändert sich, wenn der Zustand bleibt, wie er ist. Nur den Wunsch zu pflegen, dass die Welt eine bessere und die Zukunft eine schönere wird, lässt die Zuversicht mit der Zeit verkümmern. Mehr noch: Ein Hoffen ohne Handeln wird zur Hoffnungslosigkeit.

 

Der Zustand bleibt, wie er ist, wenn wir nichts ändern.

Die Hoffnung ändert sich, wenn der Zustand bleibt, wie er ist.

Ich war weder hoffnungslos, noch sah ich die Zukunft in romantischem Rosa. Visionen hatte ich keine, Bilder der Zukunft hingegen reichlich. Ich habe in der Werbebranche gearbeitet. Es war mein Job, den Menschen das Morgen in Hochglanz anzupreisen und Produkte zu verkaufen, mit deren Erwerb die Zukunft ins Kundenzuhause einzog. Die jeweilige Zielgruppenanalyse und das prognostizierte Konsumentenverhalten waren meine Daten und Fakten des Zustands. Und der war gut. Richtig gut. Ordentlich Kaufkraft und, noch viel wichtiger, eine ungebrochene Kauflaune. Deutschland kauft und konsumiert, Deutschland geht es gut!

Dass diese einseitige Betrachtung des Zustands aber einen erheblichen Teil an Menschen in unserer Gesellschaft schlichtweg ausgrenzte, fiel mir nicht auf. Bis zu einer eindrücklichen Begegnung mit einem Obdachlosen. Diese veränderte meinen Gemütszustand. Und mein Bild des Zustands unserer Gesellschaft.

Menschliche Begegnungen, die ungefilterten Informationen aus erster Hand sind genau die Referenz, die wir benötigen, um einen tatsächlichen Eindruck unseres Jetzt und Hier zu erhalten. Zu oft nämlich hören wir von allen Seiten von dem Land, in dem jeder gut und gerne leben kann. Oder eben jenem, unserem Staat, in dem alles und jeder kurz vor dem Exodus steht, wenn nicht bereits Pleite herrscht. Diese Zustandsgalerie der Extreme, gepaart mit schwindender Hoffnung, hinterlässt ein Vakuum an Visionen.

Genau zehn Jahre ist es her, als ich aufbrach, um zu handeln. Ich gründete in den vergangenen Jahren mehrere Unternehmen, die allesamt demselben Ziel dienten und bis heute dienen: Menschen wieder auf die Beine helfen, deren Zustand in unserer Gesellschaft unerträglich für sie selbst ist und ebenso inakzeptabel für uns sein sollte, die wir nicht betroffen sind: langjährige Erwerbslose, Obdachlose, Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen.

Das wohl bekannteste Unternehmen ist manomama, die Näherei, in der rund 150 Menschen mit »multiplen Vermittlungshemmnissen«, wie die Arbeitsagentur gerne den Zustand einer längeren Erwerbslosigkeit umschreibt, ihren Platz gefunden haben, um selbstständig wieder ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Es wurde viel mehr als eine Firma: Es ist seit Anbeginn ein soziales und gesellschaftliches Experiment. Jeder Moment, den ich mit meinen Ladys verbringe, jeder Ruf nach Hilfe, selbst ein einfaches Gespräch in lockerer Atmosphäre ergänzt bis heute mein Bild des Zustands unserer Gesellschaft. Die Antwort auf die Frage: »Wie ticken die Menschen in dieser Gesellschaft?«, ergibt sich direkt aus der Realität und nicht durch wissenschaftliche Erhebung.

Ich habe ausgetestet und probiert – das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zum Beispiel. Wie das Experiment verlief, wurde, wie viele weitere Eindrücke, zur Grundlage dieses Buches. Das Ende des Tests aber darf ich vorab verraten: Er scheiterte. Ebenso sei erwähnt, dass beide Lager des BGE irren: die Gegner, die den Standpunkt vertreten, dass bei Einführung eines solchen Grundeinkommens niemand mehr zur Arbeit erscheinen und unbeliebte Arbeiten niemand mehr machen würde. Ebenso falsch liegen die Befürworter. Die Wunschvorstellung, dass Menschen mit einem bestimmten Geldbetrag dazu animiert werden, Sinnvolles für sich oder andere zu tun, wird jäh von der heutigen Realität zunichtegemacht.

Jedes Mal, wenn eines meiner Experimente fehlschlug oder aber sich für mich völlig unerwartet positiv entwickelte, zog ich Wissenschaftler zurate, die mir, salopp gesagt, Tipps gaben, es in einer anderen Variante erneut zu versuchen. So handle ich seit nunmehr zehn Jahren im Trial-and-Error-Verfahren. Für eine bessere Welt. Die unzähligen Begegnungen in den letzten Jahren mit Menschen aus verschiedenen Schichten und unterschiedlichsten Lebenslagen vermittelten mir einen Zustand unserer Gesellschaft, dem ich glauben kann. Mein Handeln verschafft mir Hoffnung. Und daraus wuchs eine Vision. Eine Utopie, die uns inspirieren und Mut machen soll auf morgen. Eine Idee, die die Zukunft zu einem guten Ort macht und wir alle in guter Gesellschaft sein werden.

 

Augsburg, irgendwann gestern.

Gegenwart

Wachkoma

 

Wann fängt sie an,

wann hört sie auf,

die Zeit und deren Lauf?

 

Sie, die so geschäftig sind, und

wir, die so beschäftigt sind,

bis die Welt komplett entleert

in kalter Stille in sich kehrt.

 

Gegenwart

Niemand hat Furcht vor Spinnen. Unbestritten ist, dass zwei Drittel von uns Menschen Angst empfinden, wenn sie daran denken, wie sich die Spinne verhalten könnte. Der bloße Gedanke an die plötzlichen Bewegungen, die der Gliederfüßer im nächsten Moment tun könnte, treibt vielen von uns Schweißperlen auf die Stirn oder lässt uns erschaudern. Das Nichtvorhersehbare lähmt uns. Die Ungewissheit schürt Panik.

Bei aller evolutionären Entwicklung, die uns vom einfachen Primaten zum denkenden und bewussten Homo sapiens werden ließ, schleppen wir bis heute eine uralte Handlungssteuerung mit, die oftmals dann zum Einsatz kommt, wenn wir nur wenig oder keine Zeit für Entscheidungsabwägungen haben und unser eigenes Leben unmittelbar bedroht sehen: unseren Instinkt. Er schubst unser Hirn, ohne zu zögern, beiseite und übernimmt die Führung. Alarmstufe: Angst. Angst geht immer, denn Angst ist eines der ältesten und archaischsten Gefühle, und die Reaktion ist stets die gleiche: Flucht oder Angriff. Daher nehmen die einen laut Reißaus und verlassen oft schreiend das Zimmer, das sie sich eben noch mit Thekla geteilt haben, während die anderen den Pantoffel ziehen und viel öfter auf die Spinne eindreschen als notwendig. Dies alles nur, um wieder Sicherheit für unser Leben herzustellen, indem Unsicherheit getötet oder indem vor ihr geflohen wird.

 

Nun, wir leben in der sichersten aller Zeiten. Unsere Autos haben mehr Airbags als Sitze, das Gefährlichste am Fliegen ist der volle Magen des Fluggasts. In Martins-Laternen brennen nur mehr stromsparende LEDs, und der Kuchenbasar im Kindergarten scheitert an der Deklarationspflicht der Inhaltsstoffe. Die individuelle Bedrohung von Leib und Leben, mal abgesehen von Spinnen, hält sich im Alltäglichen in unserer modernen Zivilisation in Grenzen. Wir müssen uns nicht mehr auf die gefährliche Jagd nach wilden Tieren aufmachen, um zu überleben. Die einzige Schlange, die uns in vertrauter Umgebung Angst einjagen könnte, ist die an der Supermarktkasse, nachdem wir an der Frischetheke unser sauber zugeschnittenes Schnitzel abgeholt haben.

In echte Angstzustände bringen wir uns oftmals selbst, etwa wenn wir den besonderen Kick in der Freizeit suchen, beim Bungee-Jumping oder bei anderen, immer waghalsigeren Aktivitäten. Ernsthafte, lebensbedrohende Situationen, wie sie einst unsere Urahnen hatten, sind in unseren friedlichen und gesicherten Zeiten dankenswerterweise äußerst rar geworden. Daher ist die Antwort auf Angst mit steigender Zivilisation immer seltener eine der beiden originären Handlungsweisen, nämlich unmittelbare Flucht oder prompter Angriff.

Wir reagieren in einer modernen Gesellschaft aufgrund des Wissens um eine gesellschaftlich garantierte körperliche Unversehrtheit »zivilisiert« auf das Urgefühl: Wir schlucken sie wortwörtlich hinunter, ballen in der Hosentasche die Fäuste oder ignorieren sie gar. Schließlich ist unsere Gesellschaft eine Leistungsgesellschaft, eine Gemeinschaft der Gewinner. Angsthasen gehören nicht dazu, folglich zeigen wir sie nicht.

In jüngster Zeit hingegen sprechen immer mehr Menschen offen über ihre echten und unbegründeten Ängste, sie gehen bewusst mit ihren Panikattacken und Depressionen um. Vor allem geschieht dies, teils unter dem schützenden Deckmantel der Anonymität, in den sozialen Netzwerken.

Diese Entwicklung zeigt, dass wir Menschen langsam am Ende des stillen Ertragens angekommen sind. Ebenso verrät es, dass der Mechanismus, den eine funktionierende Leistungsgesellschaft von uns verlangt, knirscht: Wir emanzipieren uns vom Leistungsdruck und beginnen, uns unseren Ängsten zu stellen, wenngleich dies gerade in den sozialen Netzwerken zuweilen zu einem Wettbewerb der Betroffenen und Leidenden ausartet. Angst als Gefühl an sich also hat sich nicht verändert, wohl aber unsere Reaktion darauf. Außer bei Spinnen.

 

Angst ist viel mehr als das archaische Frühwarnsystem. Sie ist viel mächtiger als die Wut und tiefer als die Trauer. Alle drei sind zuweilen unangenehme, wenngleich wichtige Grundgefühle, die uns Stress verursachen und Erfahrungen lehren. Der effizienteste Lehrmeister der drei ist die Angst. Wir müssen sie nicht selbst empfinden, um daraus Erkenntnisse zu ziehen. Das macht sie so gefährlich. Ein berühmter Versuch der Forscher Mineka und Cook in den 1980er-Jahren mit Rhesusaffen zeigte die Macht der Angst. Affen, die zeit ihres Lebens im Labor verbrachten und fernab der natürlichen Umgebung aufgewachsen sind, zeigten keinerlei Angst vor Schlangen. Einer Gummiattrappe schenkten sie keinerlei Beachtung. Sie kannten sie schlichtweg nicht und waren deshalb nicht über die mögliche drohende Gefahr, die von Schlangen ausgeht, informiert. Gänzlich anders verhielten sich ihre Artgenossen in der freien Natur.

Die wild lebenden Rhesusäffchen in Indien zeigten sofort Angstreaktionen beim Anblick einer Schlange, denn ihr überlebenswichtiges Frühwarnsystem schlug an. Sie reagierten, wie die Evolution es vorsah, wenn sie auf eine Schlange trafen: Sie begannen zu zittern und traten panisch die Flucht an. Diese Furcht vor Schlangen erlernten die zahmen Rhesusaffen aus dem Labor dann sehr schnell. Allein die Beobachtung ihrer Artgenossen in freier Natur hat ausgereicht, um Angst zu übertragen und bereits nach wenigen Wiederholungen so auszuprägen, dass die Furcht in ihrer Intensität einer Phobie ähnelte. Es bedurfte also keiner persönlichen Erfahrung, um Angst zu erlernen.

Auch gingen die Forscher davon aus, dass die wilden Äffchen ihre Angst vor Schlangen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht selbst erfahren und erlernt hatten. Diese nämlich hätten sie nicht überlebt. Die Angst wurde folglich von Artgenossen zu Artgenossen weitergegeben.

Die These des Beobachtungslernens der Angst deckt sich ebenso mit den Erfahrungen auf einem anderen Kontinent, in Afrika. Nur umgekehrt. Wilde Tiere meiden von Natur aus den direkten Kontakt zu Menschen. Sie haben Angst. Dennoch kommt es, wenngleich selten, vor, dass ein halbstarker Löwe, ein heranwachsendes Raubtier, Menschen anfällt, ja sogar tötet. Dann beginnt die fieberhafte Suche durch die Prärie, denn die anschließende Aufgabe der Ranger im Serengeti-Park ist es, sofort das Tier zu finden und zu töten, bevor es seine Erfahrungen an das Rudel weitergeben kann. Angst also kann sehr schnell erlernt und ebenso schnell wieder verlernt werden.

Was bei Tieren nachgewiesen ist, ist auch bei uns Menschen möglich: Wissenschaftler sind sich einig, dass wir Menschen ebenso von Kindesbeinen an durch Beobachtung lernen. Das evolutionäre Erbe scheint uns die Bereitschaft des Angstlernens hinterlassen zu haben – und wir wenden instinktiv dieses Wissen an.

 

Das Gemeine an der Furcht ist ihr Tempo, mit der sie uns überkommt, ihre Mächtigkeit, mit der sie uns im Zaum hält. Angst wird ohne Vorbehalte angenommen. Selbst nach kurzem Bedenken liefern wir uns ihr lieber aus, als uns ihr entgegenzustellen. Um der Angst die Stirn zu bieten, brauchen wir Mut und das Gefühl, geliebt zu werden, zwei wunderschöne, jedoch äußerst träge Gefühlsgenossen. Gilt mit Geburt die Bedingungslosigkeit der Liebe, beginnen wir im fortschreitenden Alter, nicht zuletzt durch eigene Erfahrungen, sie zu hinterfragen und anzuzweifeln. Ob eine Liebe echt ist, diese Frage stellen wir uns als Baby nicht, als Erwachsene sehr wohl.

Ähnlich verhält es sich mit Mut. Mut ist, ihn zu zeigen, wenn er andere verlässt. Immer öfter jedoch gehören wir selbst zu den Verlassenen. Liebe braucht Vertrauen, um zu wachsen, und Mut benötigt Zeit, um zu gedeihen. Wenn wir also Vertrauen verlieren und immer weniger Zeit haben, sind Liebe und Mut auf dem Rückzug. Es entsteht ein Vakuum. Die Natur jedoch kennt keine leeren Räume. Und Angst ist schnell gesät.

 

Was hat nun Angst mit der Zukunft zu tun? Nichts. Denn so wie wir Angst vor Spinnen haben, empfinden wir Furcht vor der Zukunft. Niemand hat Angst vor der Zukunft. Unbestritten aber ist, dass zwei Drittel von uns Angst vor der Ungewissheit haben, was das Morgen für uns bereithalten könnte. Woher aber kommt diese Angst, und wieso lassen wir uns von ihr beherrschen? Für unsere Großeltern in Zeiten der Wirtschaftswunderjahre war Zukunft ein guter Ort, den es zu erlangen galt. Für uns wurde sie zur No-go-Area, die wir am liebsten meiden würden. Dass eines gewiss ist – dass Zukunft kommt, wissen wir, und so liefern wir uns ängstlich dem Nichtvorhersehbaren aus.

Faktisch gesehen gäbe es keinen einzigen Grund, vor den kommenden Jahren Angst zu haben. Wir leben im besten Jetzt aller Zeiten. Die wenigsten von uns haben einen Krieg erleben müssen, keiner von uns litt jemals an Hunger. Satt und sorglos genießen wir die Vorzüge einer spätmodernen Wohlstandsdemokratie. Und die Nachteile?

 

Wir Menschen sind alle soziale Wesen. Wir brauchen Kontakt zu und Erfahrungen mit Artgenossen für unser eigenes, individuelles Fortkommen. Mehr noch: Durch soziale Beziehungen und gemeinsame gesellschaftliche Werte können wir unser persönliches soziales Wesen bestimmen. Individualität eines Menschen ist erst in Bezug zur Gemeinschaft überhaupt möglich.

Ob unser Kleidungsstil unsere eigenständige Persönlichkeit unterstützt, zeigt sich beim Blick in die Menschenmenge. Ob wir zu laut lachen, zu schüchtern sind – was auch immer unsere eigene Persönlichkeit betrifft, wir brauchen die Gemeinschaft, um Unterschiede zu erkennen, die notwendig sind, unsere Einmaligkeit herauszufinden und sie freiheitlich und unabhängig weiterzuentwickeln.

Übrigens: Hier zeigt sich bereits das gesamte Dilemma unserer Zeit. Kein modernes Wirtschaftssystem, wie wir es bisher kennen, wird dem Anspruch des Menschen ernsthaft gerecht. Freiheit und Unabhängigkeit sind die Todfeinde des Sozialismus, dafür bot er ein, wenngleich durch Mangel und Zwang erzeugtes, starkes Kollektiv. Der Kapitalismus hingegen, wie wir ihn heute in seiner hyperglobalisierten, neoliberalen Ausprägung vorfinden, überhäuft uns nahezu mit Freiheit und Unabhängigkeit, vorausgesetzt, wir verfügen über das nötige Kleingeld.

Dafür kratzen wir gerade die letzten Überreste dessen zusammen, was wir einst Gemeinschaft nannten, und bringen unsere Demokratie in Gefahr. Je wohlhabender wir dank des Kapitalismus wurden, umso mehr haben wir das »Wir« abgeschafft, weil es dem »Ich« nicht mehr von Nutzen war. Die Gemeinschaft war nicht mehr notwendig, um jedem Einzelnen von uns das Überleben zu sichern. Wir kauften uns, was wir zum Leben brauchen.

Mit dem individuellen Wohlstand kam der gesellschaftliche Abstand. Das ursprüngliche Kümmern, das uns als soziale Wesen auszeichnet, verlagerte sich in Richtung Geldbeutel.

Wieso auch sollten wir Arbeitslosen in persönlichem Kontakt und Engagement helfen, wieder Anschluss an die Leistungsgesellschaft zu bekommen, wir zahlen doch dafür?! Weshalb sollten wir unsere Eltern pflegen, dafür gibt’s doch Pflegeheime! Wir haben Verantwortung externalisiert und uns freigekauft aus der Gemeinschaft, um uns konzentriert um eine Person zu kümmern: uns selbst.

Darüber hinaus hat die weltweite Schwächung der Gewerkschaften in den 1980ern ihr Übriges getan. Nicht nur der gestalterische Einfluss auf die Wirtschaft durch die Arbeiter ließ nach, auch die sozialen Räume, die direkt verknüpft waren mit der materiellen Existenz der Unter- wie Mittelschicht, wurden zerstört. Werkswohnungen, der Urlaub in Einrichtungen unternehmenseigener Sozialwerke, fachkundige Hilfestellungen bei familiären Problemen, ja selbst die wöchentliche Kegelgruppe fielen dem programmatischen Individualismus zum Opfer.

Margret Thatcher, die »eiserne Lady« der britischen Wirtschaft, brachte es auf den Punkt. Sie sagte: »There is no such thing as society« – es gibt keine Gesellschaft. Zumindest darf es sie im marktfundamentalen Neoliberalismus nicht geben. Ihre politische Arbeit waren eine umfassende Deregulierung des Finanzmarkts, die völlige Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und eine radikale Privatisierung der britischen Staatsunternehmen, wodurch sie den Einfluss der Gewerkschaften gänzlich zurückschraubte. Ihr Vermächtnis: eine kaputte Gesellschaft und ein zerstörtes Sozialwesen. Das war der Preis für immer mehr wirtschaftliches Wachstum.

 

Das soziale Wesen von uns Menschen hat sich also durch unseren Wohlstand verändert. Immer mehr von uns stehen sich selbst am nächsten, Soziologen sprechen von fortschreitender Entsolidarisierung, und nach Trump formuliert hieße es wohl: »Me first!«

Wir werden nun vielleicht mit dem Kopf nicken und denken: »Richtig. Der Nachteil an unserer modernen Wohlstandsgesellschaft ist, dass Menschen immer egoistischer sind!« Wir bekommen Angst, weil wir tief in uns spüren, dass wir Gemeinschaft benötigen, um uns selbst fortzuentwickeln, aber auch um die immensen Herausforderungen der Zukunft wie Klimakrise, Pflegenotstand, Altersarmut, Dieselskandal und Digitalisierung zu stemmen. Doch es gibt, wie bei jeder Medaille, eine andere Seite.

Aristoteles’ Erklärung vom sozialen Wesen des Menschen klingt heutzutage wie aus der Zeit gefallen: Er sprach vom Zoon politikon, dem politischen Menschen, der seine Vollkommenheit und seinen Daseinszweck, nämlich das »gute Leben« – damit meinte der Philosoph nicht »mein Haus, mein Auto, mein Boot« –, innerhalb einer Gemeinschaft besser verwirklichen kann. Deshalb, so die Vorstellung des antiken Gelehrten, investiert der Mensch sozial in eine Gemeinschaft, allein weil er weiß, dass sie ihn trägt, wenn er Hilfe benötigt. Eine Art Kräftekreditsystem, ein Solidarpakt ohne Gegenrechnung.

Es gibt Menschen, die auch heute, bei allem Wohlstand und gegen jede Erwartung, diese Theorie als Schaffensleitlinie nehmen. Sie engagieren sich für die Belange ihrer Gemeinschaft, weil sie wissen, dass sie von ihr abhängig sind. Allein in den vergangenen fünf Jahren haben sich jedes Jahr mehr Menschen ehrenamtlich engagiert. Nachbarschaftsnetzwerke schießen aus dem Boden, und Freundschaftsdienste nehmen wieder zu.

Wir sind viele. Und jeden Tag kommen neue hinzu, die Gemeinschaft entdecken und die beginnen, der Solidargemeinschaft eine Renaissance zu bescheren.

Warum aber glauben wir, dass genau das Gegenteil der Fall sei? Weshalb empfinden wir ein Fehlen an Zusammenhalt und Einigkeit in unserer Gemeinschaft? Weil es System hat. Weil es unser System braucht: die Beziehungslosigkeit und Oberflächlichkeit unter den Menschen. Wären Loyalität und Mitmenschlichkeit Kriterien, die einen Personaler leiteten, die unsere Kaufentscheidungen beeinflussten, würde der neoliberale, rein gewinnorientierte Kapitalismus längst nicht mehr existieren.