Zukunft - Zoran Terzić - E-Book

Zukunft E-Book

Zoran Terzić

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Beschreibung

Das Nachdenken über diese oder jene Zukunft, über die Zukunft schlechthin – im Sinne eines Rätsels, dessen Ausläufer zu spüren sind – ist durch die als ewig sich hinziehend empfundene Zeit der Pandemie einer umso unwirklicheren Wahrnehmung unterworfen, als der stets verschobene Horizont der Erwartung nur von einem anderen Zeit-­Horizont abgelöst werden kann: Was jetzt? Was kommt? Und was danach?

 

Nach seinem »Standardwerk zum Idiotischen« entwickelt Zoran Terzić Grundzüge einer Kunst des Ungewissen, eines gewissermaßen retroaktiv wirksamen Zukunfts­bezugs – sei es als Futurologik, Futuropraxis oder Futurotopie. Denn in allem steckt Zukunft, auch dort, wo sie am wenigsten offensichtlich ist: im Veralteten und Vergilbten, ­Vergangenen und Vergessenen.


Für eine zunehmend im Online-Imaginarium ›entgegenständlichte‹ Beschäftigung mit der Zukunft gilt, was Adorno für das ästhetische Engagement voraussetzte: »Keiner geht in das Kunstwerk ein als das, was er ist, ein jeder wird so abgewandelt, dass sein eigener Umfang davon betroffen, die Bedeutung umfunktioniert werden kann.« – Die Zukunft verändert uns, insofern wir selbst auch Zukunft sind. Die Zukunft: eine Kunstform.

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Seitenzahl: 223

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Zukunft

Zoran Terzić

Zukunft

Kunst des Ungewissen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DIAPHANES

 

© DIAPHANES, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-0358-0460-7

Satz und Layout: 2edit, Zürich

Druck: Steinmeier, Deiningen

www.diaphanes.net

Inhalt

Futurama

Futuricon

Futurologik

Futurometrik

Futuritive

Futurotopia

Futuronomics

Futuropraxis

Futurazade

 

Literatur

Zitatnachweise

 

 

 

Was sein wird, ist bereits. Clarice Lispector

Wir stehen vor einem anonymen Kunstwerk namens »Zukunft«. Je weiter wir von ihm wegtreten, desto größer wird es, und je näher wir ihm kommen, desto kleiner wird es. Wenn wir uns ganz von ihm entfernen, nimmt es uns vollständig ein, und wenn wir an seine Stelle treten, verschwindet es… Dieses Buch wird zahlreiche Versuche unternehmen, das Werk zu deuten. Es soll aber nicht nur Erklärungen liefern, sondern auch das Rätsel dessen zutage fördern, warum uns diese Kunst anders belangt als andere Künste, warum sie überhaupt das Plateau der Erklärungen überschreitet. Das Rätsel »ist nicht zu lösen, nur seine Gestalt zu dechiffrieren« (Theodor W. Adorno). Doch die ­Gestalt gibt aller Vermutung Zeichen. Wer mit Gewissheit behauptet: Wir kennen die Zukunft nicht, sie kann nicht vorhergesagt werden, wir wissen nicht, was kommt… muss schon eine Vorstellung des Zukünftigen haben, um diese Verbote aussprechen zu können. Zukunft kann sehr wohl gewusst werden – die Intensität beispielsweise, mit der man sich einer Sache hingibt, führt zwangsläufig zur Voraussicht –, aber die These des Buches lautet, dass es nicht so sehr aufs Wissen ankommt, sondern eher auf die Kunst, mit dem Ungewissen umzugehen. Jedes Neue setzt eine gewisse Ahnungslosigkeit voraus ← neu ist, was überrascht. Die Kunst, die wir oben Zukunft nennen, und die Kunst, mit dem Ungewissen umzugehen, sind dabei Aspekte ein und desselben Vergnügens. Es verweist auf einen Übergang, der im Schreiben, im Bilden, im Erkennen, im Ahnen stattfindet. Anders gesagt: Solange es noch so etwas wie ästhetische Praxis gibt, wird sie uns eine Zukunft weisen. Die heutige Welt wird allerdings ­zunehmend von Vorgefertigtem und Vorgekautem beherrscht, bis sie keine Welt mehr ist und folglich auch keine Zukunft mehr kennt, auf ewig verstummt im zeitfernen Blick. Die folgenden Kapitel sollen dahingehend die Ästhetiken, Strategien und Programmatiken unserer Erwartungen aus unterschiedlichen Perspektiven zum Sprechen bringen:

 

Futurama stellt die Aktualität und die Multiplikationen des Zukunftsbegriffs dar: Zukunft als Rätsel, als Zäsurphänomen im Panorama der Zukunftsauffassungen, als das ständig Zukommende wie Festgestellte.

 

Futuricon beschäftigt sich mit Verortungen der Zukunft in Allegorien, Parabeln, Symbolen. Hier geht es um Bilder der Zeitmacht, Zeitmetaphoriken, Muster von Zirkularität, Linearität und Streuung als historische Vehikel unserer Zeitvorstellungen.

 

Die Kapitel Futurologik und Futurometrik erörtern die Bedin­gungen der Möglichkeit von Zukunftsschau, Zukunftswissen und die Frage des Maßes, das man ans Kommende an­legt. Hier stellen sich anhand eines kurzen historischen Abrisses die Ansprüche einer Futurologie als einer Kunst der Weissagung mit Wurzeln im alten Sehertum und antiken Orakeln dar. Man könnte sagen: Zukunftsseher und Zukunftsbestimmer sind alte Verwandte, und Zukunfts­stürmer kommen immer wieder zu Fall.

 

Futuritive zeichnet Dispositive der Zeitmacht: Voraus-Setzungen des Zukünftigen am Fließband einer technologischen Wunschmaschine. Die Endlichkeit des Menschen steht dabei nicht seiner technologischen Entäußerung entgegen, sondern begründet sich mit ihr und durch sie. Wir machen Zukunft durch die technologische Eroberung von Sinnes-Räumen.

 

Futurotopia analysiert die Formen, die unsere Ahnungen annehmen können und die vielen Zukunftsideologemen zugrunde liegen. Situationen, Bilder, Narrative, in denen sich Utopisches oder Dystopisches abspielt, zeugen von unterschiedlichen Konturen des Zukunftssinnes – seinen Futuritäten. Ich diskutiere vier Futuritäten: Zukunft als Prozess, Zukunft als Vision, Zukunft als Abgrund und Zukunft als Kunstform.

 

Futuronomics blickt auf Dynamiken des Zukunftsbetriebs als Symptomatik der Temporal-Ökonomie. Es beschreibt das Widerspiel der Futuritäten als Erfahrung der Vielzeitigkeit der Spätmoderne, die jegliche Erfüllung unendlich in die Zukunft verschiebt.

 

Futuropraxis befasst sich mit dem Sehen der Zukunft als einer Kunst des Ungewissen im Kontext von Improvisation. Die Kunst des Ungewissen steht nicht für etwas, das man sich ausdenken muss. Sie erfasst das Trägermedium des Kommenden auf immer neue Weise. Sie steht auch für die Fähigkeit, sich den üblichen Futuritäten der Gewissheit zu entziehen, die als Antwort auf die Frage der Kontingenz geschaffen wurden.

 

Futurazade steht statt eines resümierenden ­Schlusskapitels für einen mobilen Appell, der zum Anfang weist: Der Kampf um die Zukunft fordert schöpferische Energie, die wir aufbringen müssen, um uns über die Zeit zu retten. Es ist kein einsamer Kampf, sondern ein Kampf ums Gemeinsame. Wir improvisieren darin, um zu überleben und den Sinn des Überlebens wachzuhalten. Das Kunstwerk (der) Zu­­kunft sind wir selbst.

 

Die Frage bleibt, ob all diese Zugänge das anfangs vorgefundene Werk unverändert gelassen haben oder ob sich daraus eine neue Kunst und mit ihr ein neues Gemeinsames geschaffen hat. Diese Frage können nur wir Leser ­beantworten.

 

Futurama

»Ich denke nicht an Vergangenheit oder Zukunft«, schreibt Ludwig Wittgenstein – »Ganz so wie ein unmittelbares Zugreifen; wie ich ohne zu zweifeln nach dem Handtuch greife«. Zukunft ist gedankenlos da, aber doch nie ›der Fall‹. Wie über etwas sprechen, worüber wir schweigen müssten, es aber nicht können, da auch das Schweigen etwas dazu sagt? Welche Zukunft lauert am Ende dieses Buches? Oder in der Mitte oder jetzt am Anfang? Welcher Zukunftsgeschmack vermittelt sich? »Der Worte Schall […] ist verhallt, die Sache selbst aber ist mir geblieben«, schreibt Augustinus. Die Zukunft drängt, weil sie die Sache selbst der Menschen ist. Zukunft scheint einen Begriff von Zeit vorauszusetzen. Ließe sich aber nicht auch umgekehrt argumentieren, dass alle Vorstellung auf dem Zukunftssinn beruht, dass wir zuerst Zukunftsmenschen sind, bevor wir etwas anderes sind? Nur bedeutete Zukunft dann nicht etwas in der Zeit Feststehendes, keinen ortlosen Ort, keine Hoffnung, Erlösung, keine Technologie, sondern eher Flucht und Flüchtigkeit, Zeitmigration, die Kunst des Ungewissen. Es ist eine Frage der Zeit, sagen wir, wenn wir eigentlich meinen: Es ist eine Frage der Zukunft. Impliziert Was kann ich wissen? nicht stets Was werde ich wissen? — »Optimismus ist nur ein Mangel an Information«, so Heiner Müller, doch der Pessimismus wird vom selben Mangel gespeist. Wie spräche eine Fülle an Zukunftsinformationen zu uns? Meinen wir mit Zukunft überhaupt alle dasselbe? Denn nicht nur haben wir alle unterschiedliche Pläne, sondern wir spekulieren auch auf unterschiedliche Weise, und wir bewerten die Wirklichkeit dessen, was dann kommt, unterschiedlich. Wir blicken zwar metaphorisch nach vorne oder in Leserichtung, dort, wo das zukünftige Wort lauert und den Sinn des Satzes erschließen lässt, aber wir meinen mit diesem Vorne der Zukunft trotzdem Unterschiedliches: Technologie, Klima, Ziel, Risiko, Erfolg, Ideal, Rente, Ruhm… So, wie man den Weltbezug Heimat nicht nur auf einen Ort, sondern auch auf eine Zeit beziehen kann, so kann man fragen: Was ist das für eine Heimat – oder im Futurologen-Jargon: Was ist das für eine Domain –, die Zukunft heißt? Und was meinen wir mit Zukünften oder Futures, oder gibt es Zukunft nur im Singular, und wir pluralisieren nur, weil wir demokratisch das Pluralisieren gewohnt sind?

Der panoramische Anspruch an die Zukunft ist naturgemäß unvollständig. Futurama, der General-Motors-Pavillon der Weltausstellung 1939 in New York, sah das Massenmedium Fernsehen, aber nicht den folgenden Weltuntergang voraus. Und der Voraussageklassiker Die Welt in hundert Jahren (1910)sah das »Telefon in der Westentasche«, nicht aber den Gaskrieg kommen. Das Futurama, das ich hier avisiere, handelt nicht von einer farblichen Optimierung künftiger Szenarien – grüne Zukunft, rote Zukunft, goldene Zukunft –, sondern von der Form unserer Versprechungen, den Bedingungen ihrer Unmöglichkeit, dem, was bleibt oder ausbleibt, der Art und Weise, wie sich Richtungen der Zeit artikulieren, kurzum: den Bewegungen unseres Zukunftssinns. Es geht um die Transformationen dieses Sinns im Bewusstsein gegenwärtiger planetarischer Schwellenerfahrungen. Dabei entsteht die Herausforderung, dass man sich in Zukunftsfragen Denkmoden verweigern muss, ohne zugleich in überzeitliche Klischees zu verfallen. Es geht darum, Klischees, Modelle und Moden auf Grundbewegungen des ­Zukunftssinnes zurückzuführen. Nicht nur Zeitbilder, Technologien oder Soziotopien sind hier angesprochen, und auch was futuristisch anmutet, ist nicht ­unbedingt ­zukünftig, wie schon ein Blick in alte Sci-Fi-Filme zeigt, vielmehr stellt sich die Frage, was eine nicht-futuristische Zukunft sein kann, und was das für ein zukünftiges Handeln bedeutet, das eine Zeitgenossenschaft erzeugt, die keine Schicksals­gemeinschaft ist. Wenn man sich entweder an die Ewiggestrigen oder diejenigen hält, die ihrer Zeit voraus sind oder die für den Moment leben, fragt man sich, inwiefern der Anachronismus dieser Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsmenschen nicht selbst eine politische Signatur unserer Zeit ist, die keine einheitliche, sondern eher eine zerstreute Zeit zu sein scheint, ein Jahrhundert ohne Konturen. Die Kernfrage einer Futurosophie ist in diesem Sinne: Wie können wir nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich zueinander finden? Es lohnt dabei der Versuch, Vorbehalte, die sich in dem einen oder anderen Zeitgeschehen bereits jetzt abzeichnen, auszuleuchten, in der Hoffnung (ich kann gar nicht ohne ein Vorne denken), damit einen souveränen Umgang mit Zeit, die sich stets von einem Augenblick bis in die Unendlichkeit erstreckt, anzuregen.

Das Nachdenken über diese oder jene Zukunft oder über die Zukunft schlechthin – im Sinne eines Rätsels, dessen Ausläufer zu spüren sind – ist spätestens seit der globalen Pandemie 2020 der Ausgangspunkt einer Überlegung, die sich in zahllosen Debatten, Publikationen oder Projekten reproduziert hat. Im Ausnahmezustand schreibt jede/r am gleichen Buch oder fasst den gleichen Gedanken, geleitet von der Frage: »An welchem Punkt stehen wir?« (Giorgio Agamben) Das New Yorker Queens Museum rief in diesem Sinne 2020 als Year Of Uncertainty (YOU) aus. Der mit der sozialen Isolation einhergehende Zustand kursierte in den Medien als Languishing (schmachten, schwächeln), und der Leerraum zwischen Depression und Wohlergehen ließ an die Worte des Revolutionärs Victor Serge während der ­französischen Lagerhaft denken: »Die Unwirklichkeit der Zeit ist spürbar.« Und: »Die Gegenwart ist schwer vor Starre.« Kognitive Dissonanzen rufen nach Verarbeitungsstrategien. Berufsparanoiker lancierten die These vom Great Reset, einer vermeintlich von klandestinen Eliten organisierten Abschaffung der bürgerlichen Freiheiten – freilich ohne die Abschaffung des Kapitalismus, denn derlei kann sich selbst ein Paranoiker nicht ausmalen. Nicht nur Leugner und Verschwörer schlossen an eine prophetische Tendenz des letzten Jahrzehnts an: Das Great Reversal diente 2019 schon einem Harvard-Ökonomen angesichts der Monopolisierung des Plattformkapitalismus durch Amazon, Facebook oder Google als Steilvorlage zur Forderung nach einer Neoliberalisierung des Neoliberalismus. Auch Karl Polanyis Motiv der GroßenTransformation stand Pate, als die Pandemie etwa in einem Strategiepapier der McKinsey-Gruppe als Motor einer Großen Beschleunigung bezeichnet wurde, die das globale Feld in Loser und Winner aufteile. Je mehr man in Krisen empfindet, desto größer werden die Vokabeln und desto mächtiger die Diagnosen – man denke etwa an den Begriff Future Shock, der in den 1970er Jahren eine »zu große Veränderung in einer zu kurzen Zeit« (Alvin Toffler) auf eine Formel brachte. Was künstlerische Existenzen ohnehin durchleben, erfuhren alle anderen 2020 im Gleichschritt: Ungewissheit legte sich über Land und Leben, aber ohne ein Gefühl der Spannung, wie man es aus Filmen kennt. Die kollektive Ausnahmesituation kennt kein Als-ob. Sie ist das, was sie ist: ein Zeit-Reales, das nur von einem anderen Zeit-Realen abgelöst werden kann:

An dieser Schwelle entsteht ein bestimmter Horizont der Erwartung. Gemäß Paul Celans »Es ist Zeit, daß es Zeit wird« im Gedicht Corona lebt mit jedem Aufbrechen, jeder Absehbarkeit, Entscheidung oder Lösung eine Zukunft auf. Jede ausgerufene Stunde Null fordert den semantischen Raum einer Lösung: den Wiederaufbau, die Rehabilitierung, die Neubewertung, den Schuldenschnitt, den New Deal, das Heilmittel. Die erste Erfolgsmeldung zum Corona-Impfstoff ließ im November 2020 die Börsenkurse nach oben schnellen – das Ende der Spekulation markierte den Neustart des Spekulationsgeschäftes. Hier irgendwo weckt sich das Zukünftige als Phänomen sui generis. Sein Ungewisses erweist sich nämlich als etwas, das alle Probleme, Lösungen und Zahlen überragt. Selbst die existenzielle Gewissheit des Todes tut ihm nichts, wir wissen ja nicht, wann unsere letzten Minuten anbrechen. Dieses andere der Zukunft, das es zugleich vollumfänglich selbst ist – das Ungewisse, Fluide und Flüchtige –, drängt weiterhin ins Leben, reibt sich an der anvertrauten, angekündigten, festgestellten und feststellenden Zukunft. Dieses andere der Zukunft entspricht dem, was Jacques Derrida als L’avenir, das Kommende, bezeichnete, das Zeit-Reale des Zukünftigen: »Es gibt also eine programmierte vorhersagbare Zukunft [futur], die festgelegt, vorgeschrieben, d.h. geplant und absehbar ist« (­Derrida). Aber es gibt auch eine Zukunft als Kommendes [l’avenir], »das sich auf jemanden bezieht, der kommt, dessen Ankunft nicht vorhersehbar ist. Für mich ist das die wahre Zukunft. Das Unvorhersehbare. Das, was kommt, ohne dass ich es erwarte« (Derrida). Doch worin besteht die Wahrheit des unerwarteten Gastes? Was ist sein Geheimnis? Geht es um einen bestimmten Anderen oder einen unbestimmten Anderen, einen gar sich selbst unbekannten Unbekannten? Und können wir sicher sein, dass er als ­dieser Unerwartete kommen wird, oder ist das ungewiss? Ist die programmierte Zukunft tatsächlich so programmiert, wie es scheint, ist sie verlässlich, oder haben wir nicht allen Grund, den Algo­rithmen ihrer Vorhersagen grundsätzlich zu misstrauen? Diese Fragen werden sich durch dieses Buch ziehen. Es sind alte Fragen, die man schwer loswird. ­Derridas Unterscheidung, die im Französischen als futur und avenir kursiert, findet sich auf Deutsch schon bei Martin Heidegger: Die Zukunft ergebe »sich nicht durch eine Vorausberechnung des Gegenwärtigen«, ihr Wesen sei vielmehr »das Auf-die-Gegenwart in die Erinnerung zurück Zu-kommende […]«. Eine ähnliche Formulierung verwendet auch Edmund Husserl, nur versteht Heidegger phänomenologische Zeitwahrnehmung – das zeitliche Sickern im Gesichtssinn von vorne nach hinten – nicht bloß als »implizite Intentionalität« (Husserl), sondern auch als seinsgeschichtliches Motiv, als eigentliche Zeit, die sich gegen die moderne Entwicklung stemmt, die umgekehrt von hinten nach vorne strebt und die Heidegger gerne auch als Amerikanismus bezeichnet: Es ist die Produktion eines Neuen ohne Neugier als »das innere Gesetz der Wirklichkeit«, die der »Wesung des Seyns«, die sich in der Eigentlichkeit der Zukunft verbirgt, zuwiderläuft: »Das Neue wird immer neuer, täglicher, billiger, flüchtiger, beliebiger und daher notwendig lauter und aufdringlicher«. Deshalb sei »das jeweils Vorhandene innerhalb des Umkreises des planenden Vorausrechnens notwendig schon veraltet« (Heidegger).

Doch auch wenn die modernen Prognostiken mit Wahrscheinlichkeiten operieren, um einem Misstrauen gegen die »objektive Ungewissheit« (Søren Kierkegaard) zu begegnen, entstehen im Schatten dieser »grundlosen Aufdringlichkeit« (Heidegger) trotzdem unwahrscheinliche ­Horizonte, neue Zu­­gänge zur Welt, neue Ausdrucksformen, die das Festgestellte transformieren, die in einer geschichtlichen Periode stattfinden, die sich im Online-Universum zunehmend entgegenständlicht: Vielleicht ist es ein illustres Anzeichen dieser Verfassung, dass heute ein Internetnerd namens Beeple mit Hilfe digitaler Malereien zum weltweit drittteuersten lebenden Künstler avancieren kann. In einer Versteigerung bei Christie’s im Februar 2021 erzielte sein JPEG Everydays: The First 5.000 Days einen Verkaufspreis von über 69 Millionen Dollar. Die Pixel schlummern als non-fungible token (NFT) identitätsbewusst auf der Blockchain, zumindest solange sie der Strom trägt – elektrisch und eklektisch. Das Wesen des Spektakels, das aus der bloßen Tatsache hervorgeht, »daß seine Mittel zugleich sein Zweck sind« (Guy Debord), liegt aber zugleich in der Potenz seiner ständigen Selbstüberwindung, der Erzeugung neuer Mittel und Zwecke, neuer Überraschungen im Strom des Beliebigen. Um beim Beispiel zu bleiben: Viele sehen gerade in Blockchain einen Vorreiter für web3:eine egalitäre und emanzipatorische Plattform, die übliche monetäre Prinzipien umgeht und daher eine nachhaltige, d.h. gemeinschaftliche Zukunft verheißt. Zugleich fluten aber, getrieben von gestriger Gier, Kryptowährungen den Markt, die zu denselben Blasenverstimmungen wie andere Markthypertrophien zuvor führen werden. Dies ist am Börsensturz von 2018 – dem »Cryptocurrency Crash« – deutlich geworden, der mit einem 80%igen Wertverlust noch radikaler als das Zerbersten der Dot-Com-Blase von 2000 ausfiel. 2020 setzte daher ein systemtragender Aktivismus an: Nach Finanzspritzen mehrerer Investoren und Tweets von Elon Musk zugunsten von Bitcoin, Dogecoin und anderen stieg der börsennotierte Wert der Währungen auf ein Vielfaches, im Januar 2021 etwa verzeichnete Doge­coin einen Wertzuwachs von 800%. Die Währung begann als Onlinewitz und kann wohl als das erste ironische Zahlungsmittel der Geschichte gelten. Das tut allerdings der Überhitzung des Marktes ­keinen Abbruch. Trotz aller Emanzipationsbekundungen ist dezentrales Geld ein Traum für Möchtegern-Monopolisten. Man würde analog annehmen, dass sich in dezentralen Medien wie dem Internet unzählige Suchmaschinen den Cyberspace untereinander aufteilen. Die Realität ist, dass man heute googelt, anstatt nach etwas zu suchen.

So geschieht also Zukunft. Für die Beschäftigung mit dem Zusammenspiel von Zeit und Zeichen, Markt und Fluss im Futurama gilt, was Theodor W. Adorno für das ästhetische Engagement voraussetzte: »Keiner geht in das Kunstwerk ein als das, was er ist, ein jeder wird so abgewandelt, daß sein eigener Umfang davon betroffen, die Bedeutung umfunktioniert werden kann.« Die Zukunft ist in diesem Sinne eine Kunstform:

 

Etwas, das seine eigene Sprache spricht.

Etwas, das passiert und entsteht.

Etwas, das sich nur erspüren lässt.

Etwas, das ›nicht von dieser Welt‹ ist.

 

Der neueste Krypto-Trend, der neueste Roman, der neueste Prototyp, das neueste Klimamodell oder was sich sonst ökonomisch, technologisch, ästhetisch oder politisch bewegen lässt: Das alles ist im Kommen und daher ›nicht von dieser Welt‹. Vor diesem Horizont scheint nicht, wie etwa Marc Augé in The Future (2015), Bruno Latour im Terrestrischen Manifest (2020) oder Franco Berardi in Futurability (2011) ausführen, die Frage des Wissens wesentlich für die Definition oder auch Emanzipation der Zukunft, sondern eher die Frage der Transformation von Wissen und Nichtwissen, das Sehen des Strömungsganzen von Vernunft und Unvernunft. Nicht eine Frage des general intellect (Karl Marx), sondern eine Frage der general imagination. Wir brauchen daher nicht nur »einen Plan«, wie es die Zukunftsmacher im Band The New Possible (2021) nahelegen, als ob die letzten zwei Jahrhunderte nicht allein aus Plänen und den Versuchen ihrer Durchsetzung bestünden – oder um es mit Mike Tyson zu formulieren: »Jeder hat einen Plan, bis er einen auf die Schnauze kriegt«. Kämpferische Agilität setzt auch die Fähigkeit voraus, sich in entscheidenden Momenten wegzuducken. Ob es darum geht, »die Welt zu verändern«, wie Karl Marx meint, »die Welt zu interpretieren und zu verändern«, wie Jean-Luc Nancy meint, oder »die Welt zu verschonen«, wie Odo Marquard meint: Alle Aktivität bezieht sich auf eine zukünftige Welt. Sie ist inexistenter als ein Gott, und doch füllt sie jeden Lebensmoment bis zum Äußersten.

Für die Herausforderungen dieser Kunstwelt der Zukunft vertreten nicht nur Futurologen, Futuristen, Science-­Fiction-Autoren, Tech-Visionäre, Propheten, Entwicklungsforscher, Ökologen, Ökonomen und ihre Prognosemärkte den nötigen Kompetenzanspruch. Denn in allem steckt Zukunft, auch dort, wo sie am wenigsten offensichtlich ist: im Veralteten und Vergilbten, Vergangenen und Vergessenen. Überall erwächst Futuropolis – postindustrielle Bürolandschaften, Mittelschicht-Slums, ­Tech-Aristokratie, ­Milliardärs-Weltenräume… Diese transformierende, ­zwischen Möglichem und Unmöglichem pulsierende Bewe­gung ist ein Sammelbecken für selbsterfüllende und un­­erfüllte Prophezeiungen, das kleine und das große Geschäft, existenzielle Fragen, Menschheitsfragen, überhaupt die Frage, welche Wirkung das Unvollbrachte im Bezug zum Vollbrachten hat. Die Unterscheidung einer realen, flüchtigen von einer absehbaren, festgestellten Zukunft ist keine Leitformel, sondern eher das, was andauernd erkämpft und ausgehandelt wird – vielleicht heute mehr denn je.

In alten Zeiten machte sich Zukunftskompetenz am ­Gottes- ­bezug fest: »Wenn ein Prophet im Namen des HERRN verkündet und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann ist es ein Wort, das nicht der HERR gesprochen hat« (Dtn 18:21–22). Der Unterschied zwischen echten und falschen Propheten scheint allerdings in Zeiten der gesellschaftlichen Vereinzelung und des Online-Tribalismus anders relevant als im Altertum. So wird einerseits jegliches im Techno-Medium Ankommende im Moment seiner Ankündigung bereits vergessen oder ist sofort veraltet, wie der neueste Hype, der von einem noch neueren überflügelt wird. Die Frage der Zukunft wird andererseits umso dringlicher, je langfristiger und existenzieller menschliche Schicksale miteinander verwoben sind, je mehr sie sich der Futurologik großer Ereignisströme aussetzen, für die dann die Schuld aller ausschlaggebend ist. So kündet es von den Toren Jerichos: »Top Wissenschaftler sagen eine ›grausame Zukunft mit einem Massensterben‹ voraus« (The Guardian). Hier ragt die Verbindlichkeit über jedes erfahrbare Maß. Wir sind jetzt schon dessen schuldig, was die nächsten Generationen erleben werden. Ob Klimawandel, Zivilisationskollaps oder Verfallszeiten radioaktiven Materials: Die Beschränktheit des Lebens auf dem Planeten zwingt die Menschen, »mit einer fremdartigen Zukunft zu koexistieren« (Timothy Morton), dominiert von Hyperobjekten und anderen Monstrositäten der Deep Future. Objektiv überfordert und subjektiv schuldig: Die Diagnose führt zu Eskapismus, Ignoranz oder schlechtem Gewissen im Angesicht »einer Zukunft ›ohne uns‹« (Morton). Auch wenn das Vergehen des menschlichen Zwecks in nicht mehr allzu fern erscheinender ferner Zukunft die Metaphysik der Präsenz beendet und in der großen interobjektiven Vision der Posthumanities und ihren Worldlings aufgeht, bleibt die Frage nach dem Danach allen Wissens und Werdens, eine Frage, die sich zwischen das Beliebige und das Belangende setzt, zwischen Seinsform und Zeitform. Wir können nicht aus der Zukunft fallen, weil auch die Zukunftslosigkeit eine ihrer Versprechungen ist.

Im Wort Zu-Kunft steckt zweierlei: sowohl das (Zu-)Kommende, das L’avenir, als auch das Ankommende, die (Unter-)Kunft in der Zeit. Das spiegelt den biblischen Sinn des Begriffs, in dem Bewegung, Grund und Ziel in eins geraten, wenn sich z.B. die bevorstehende An-Kunft(lat. ad-ventus) Gottes ankündigt, die zugleich stets im Gang ist: Das Göttliche ist etwas, das kommt und einmal angekommen, immer schon da gewesen ist. Ihm geht das voraus, was Friedrich Schelling das Absolute nannte, den actus purus, der weder göttlich noch nichtgöttlich, weder zeitlich noch überzeitlich ist, oder wie Augustinus schreibt: »Alle Zeiten hast du erschaffen, und vor allen Zeiten bist du, und nie gab es eine Zeit, wo keine Zeit war.« Das ist absurd, aber als Unmöglichkeit real: Die Offenbarung richtet aus dieser kreisrunden Ewigkeit den Zeitpfeil, macht das Seiende zum Künftigen, und die Prophezeiung bestimmt die Choreografie der Erfüllung. So kann Jesus am Vorabend seiner Gefangennahme ankündigen, wer sich wie oft gegen ihn wenden wird, weil er die besagte Zeit bereits begangen hat, weil er ein Zukünftiger ist, und weil er nicht nur als Sterblicher, sondern auch als Sterbender geboren ist. In der spekulativen Annäherung von Werden und Sein kündigen sich auch Wiederauferstehung und Apokalypse an. Alles steht fest, ohne dass die Kontingenz der Welt in Frage stünde – oder wie es Duns Scotus, der mittelalterliche Scholastiker, verkündete: Wer Kontingenz leugne, »der sollte so lange gefoltert werden, bis er zugibt, es sei möglich, daß er nicht gefoltert werde.« Grausamkeit, Entzückung, Paradies, Vertreibung, Parusie, Weltuntergang, Neues Jerusalem: Dieses Untergehen und ­Auferstehen, ­dieses Spiel mit Gewissheit und Ungewissheit, hält über Jahrhunderte Gläubige auf Trab.

Gottfried Wilhelm Leibniz hat die sich hier aufzeigende Kontingenz des Künftigen (heute analytisch als future contingents gehandelt) und die damit verbundene Frage nach freiem Handeln so erklärt, dass, »obwohl Gott […] das Beste wählt, so hindert das nicht, daß das weniger Vollkommene an sich möglich ist und bleibt, selbst wenn es niemals geschehen wird« (Leibniz). Unternähme jemand also das Gegenteil seiner göttlichen Bestimmung, »so täte er damit nichts an sich Unmögliches, obgleich es […] unmöglich ist, daß solches geschieht«. Leibniz unterscheidet so Notwendigkeit von Gewissheit und definiert damit den Spielraum menschlicher Freiheit: Wir können jederzeit frei und kontingent handeln, doch im größten Rahmen betrachtet wird sich unser Handeln einer übergeordneten Notwendigkeit fügen. Hans Jonas hat diese Zirkularität von Fatalismus und Voluntarismus auch auf die revolutionäre ›Prophetie‹ angewandt. Wenn die Annahmen des wissenschaftlichen Sozialismus zutreffen – die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft durch sich selbst –, werden sie sich objektiv bewahrheiten, ohne dass es eines besonderen Willens bedürfte. Zugleich erwächst das revolutionäre Projekt nur als Tateinheit von Seinsollen und Sein. Daraus entsteht nach Jonas eine Verantwortung für die Zukunft, die zugleich von einer Enthebung von dieser Verantwortung unterfüttert wird. Dieser circulus vitiosus des Handelns gilt für alle Gesellschaftsentwürfe, die sowohl ein selbstbestimmtes Handeln wie auch eine objektive Geschichte voraussetzen, in der dieses Handeln Sinn machen soll. Bei der Frage der Kontingenz geht es im Grunde um einen Meta-Theismus: die Einsicht, dass es nichts gibt, das sich dem Werden entzieht, dass aber die Tatsache der Kontingenz selbst notwendig ist. Mein Handeln mag gewiss und frei, die Gottesnatur notwendig sein, doch ist die Tatsache, dass ich kontingent handeln kann, ebenso notwendig wie ein Gott.

Wenn nun aber mit dem Tod Gottes und in der Folge auch aller anderen, zukünftigen Götter in der von keinem Propheten jemals vorhergesagten Spätmoderne klar geworden ist, dass sowohl das diesseitige wie auch das jenseitige Glück ausbleiben werden, stellt sich die Frage der Zukunft auf ganz neue Weise: als eine Zukunft ohne Ankunft, ein Futurama ohne Aussicht, ohne die Erfüllung einer Versprechung, aber auch ohne ein Ziel, ein klaffendes Loch in der Zeit, das sich zur Höhle geweitet hat, die wir seit über 300 Jahren notdürftig ausstatten. Dies bezeichnet Jean-Luc Nancy in Umkehrung von Platons Gleichnis als »In-der-Höhle-sein«. Innerhalb der Höhle herrscht ein Zukunftsbetrieb, »durch den die Menschheit, zumindest die europäische, glaubte, sie bewege sich auf eine Verwirklichung ihrer selbst, des Wesens der Menschheit, zu, […] diese Art von Gefühl, das wir lange Zeit hatten, dass ›es geschehen wird‹« (Nancy). Doch hat sich dieses Gefühl in eine Reihe von Vermutungen aufgelöst: Ist die Zukunftserfüllung eine metaphysische, politische, ökologische, ökonomische oder eine technische Angelegenheit, oder ist sie alles zugleich? Bestimmt der rastlose Modus des ständigen Ausfüllens das, was wir jetzt schon als neue planetarische Bedingung ausmachen können? Verhindert gerade dieser Modus »das Einfallen des Kommenden in seiner notwendigen und absoluten Neuheit«? (Nancy) Erreicht uns das Kommende von sich aus, oder müssen wir es anstreben, damit es ›wie von selbst‹ passiert? Ist die Zukunftserwartung ein Nachbild, das sich aus vergangenen Eindrücken außerhalb der Höhle formt? Ein Augenlicht, das uns leitet? Werden wir von Prozessen in dem Glauben getragen, dass jeweils das, was zutrifft, auch genau das ist, was wir angestrebt haben?

Futuricon

Die Zukunft hat es nicht immer gegeben. Sie musste erfunden werden. Es bedurfte eines Willens zum Ziel, der die Totalität aller Lebensmomente übersteigt. Wenn es, wie ­Hannah Arendt in ihren Überlegungen zum Leben des ­Geistes (1979)feststellt, in der griechischen Antike keine philosophische Thematisierung und nicht einmal den Begriff eines Willens gibt, dann deshalb, weil in Athen zyklisches Denken das Leben und Handeln der Bürger bestimmt, »für die die Zeitlichkeit in den Kreisbewegungen der Himmelskörper bestand und in der ebenso zyklischen Beschaffenheit des Lebens auf der Erde: dem sich immer wiederholenden Wechsel von Tag und Nacht, Sommer und Winter, der ständigen Erneuerung der Arten durch Geburt und Tod« (Arendt). Dort, wo etwa Aristoteles einen Endzweck leugnet, platziert er ihn in die Dinge selbst. Er postuliert eine ihnen inhärente Möglichkeit und »leugnet indirekt die Zukunft als authentische Zeitform: die Zukunft ist nichts als eine Folge der Vergangenheit, und natürliche und von Menschen geschaffene Dinge unterscheiden sich nur darin, daß bei den einen die Potentialitäten notwendig verwirklicht werden, bei den anderen aber unverwirklicht bleiben können« (Arendt). Diese zukunftslosen Auffassungen werden topologisch deutlich, wo Kugel oder Kreis als geometrische Figurationen sowohl metaphysische, religiöse, historische wie auch politische Vorstellungen bestimmen. Man denke etwa an die stoische Konzeption der kosmischen Zyklen, gemäß derer sich jedes historische Ereignis unendlich oft wiederholt, oder an Polybios’ Anakyklose-Konzeption, die Herrschaftsformen in einer um sich selbst kreisenden zeitlichen Dynamik vorstellt. Es ist eine zirkuläre ­Dialektik der Macht, deren ­Phasen zwangsläufig ineinander übergehen: Monarchie → ­Tyrannei → Aristokratie → Oligarchie → Politie → ­Demokratie → Monarchie →… die ewige Wiederholung als Folge des Strebens nach einer vollkommenen Gemeinschaft. Heute gibt es für zyklische Ahnungen auch den Ausdruck des Iron Law