Zwei Hälften des Lebens. - Eberhard Rathgeb - E-Book
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Zwei Hälften des Lebens. E-Book

Eberhard Rathgeb

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Beschreibung

Hegel und Hölderlin kamen 1770 auf eine Welt, die Schwäbisch sprach. Erst im legendären Tübinger Stift lernten sich die beiden angehenden Theologen kennen und schlossen Freundschaft. Jahre später wurden sie Hauslehrer, der eine hier, der andere dort. Von Anfang 1797 bis zum Sommer 1800 konnten sie sich wieder regelmäßiger sehen und über Philosophie, Dichtung und die Liebe reden. Dann liefen ihre Schicksalsbahnen, radikal und unerbittlich, in konträren Richtungen auseinander: Hölderlin, der sein Leben auf die wundersame Poesie setzte, landete als friedlicher Verrückter, der Verse schrieb, in einem Turm in Tübingen, und Hegel, der dem vernünftigen Weltgeist auf die Schulter klopfte, stieg zum gefeierten Berufsphilosophen auf, mit Sitz in Berlin.

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Seitenzahl: 668

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Zum Buch

Hegel und Hölderlin sind die zwei Hälften eines einmaligen geistigen Abenteuers um 1800, das keine Kompromisse zu kennen schien. Die beiden Schwaben, die 1770 auf die Welt kamen, fügten sich dem Willen ihrer Eltern und studierten Theologie im Tübinger Stift. Dort wurden sie Freunde und beschlossen, auf keinen Fall als Pfarrer zu enden. In der ersten Not, eigenhändig den Lebensunterhalt verdienen zu müssen, fanden sie sich darin, in die Fremde zu ziehen und Kinder zu unterrichten. Als sie in Frankfurt am Main ihre zweite Stelle als Hauslehrer antraten, sahen sie sich endlich wieder. Dann trennten sich ihre Wege für immer, Hegel stieg zum Starphilosophen in Berlin auf, gefeiert als der bedeutendste deutsche Systemdenker, Hölderlin endete einem Turm in Tübingen als seelischer Pflegefall in, dem erst nach seinem Tod der Ruhm zuteil wurde, einer der größten deutschen Dichter zu sein.

Vor dem lebendigen Porträt einer revolutionären Epoche, in der mit Geist und Gott aufs Ganze gehend gedacht und gedichtet wurde, erkundet Eberhard Rathgeb die Familiengeschichten und Lebensmuster der beiden abtrünnigen Theologen und erzählt, wo und wie ihre grandiosen Ideenwelten entstanden.

Zum Autor

Eberhard Rathgeb studierte Germanistik in München und Frankfurt und war Feuilletonredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihrer Berliner Sonntagsausgabe. 2013 erhielt er den aspekte-Literaturpreisfür seinen Debütroman Kein Paar wie wir. Sein viel gelobtes Sachbuch Am Anfang war Heimat. Auf den Spuren eines deutschen Gefühls erschien 2016 bei Blessing. Der Freitag schrieb darüber: »Rathgebs Spannweite und enormes poetisches Vermögen sorgen dafür, dass sein Buch dasmit Abstand scharfsinnigste (und einfühlsamste) der neuen Heimatliteratur ist.«

EBERHARD RATHGEB

Zwei Hälften des Lebens

Hegel und Hölderlin.

Eine Freundschaft

Blessing

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2019 by Eberhard Rathgeb

und Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-20775-5V002

www.blessing-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1: Die heimische und die fremde Welt

Ein Anfang für zwei schwierige Freunde

Werke und Taten

Einige, die von sich reden machten und machen werden, im und um das Jahr 1770

Nähe und Ferne

Württemberg und etwas von der Welt drum herum

Herkommen und Kindheit

Vom Geist drinnen und draußen

Irre schwierig

Was die Großen tun: Herder, Goethe, Schiller, Kant

Die Weite der neuen und die Enge der alten Welt

Schwierigkeiten mit Hegel

Erste, zweite und letzte Schritte

Jeder muss selbst wissen, was er tut

Aufklärer, Aufsteiger und Außenseiter

Selbstbehauptung und gefühlte Nähe

Der Wille der einen und der Tod der anderen Mutter

Etappensiege gegen die Armut und für die Armen

Denken und Dichten im Bann von Religion und Theologie

Erste Anzeichen vom unsichtbaren Zusammenhang der Dinge

Gute Schüler und bessere Lehrer

Intimität und Neugier

Die Welteroberung von Philosophie und Poesie

Neue Erfahrungen suchen eine Heimat

Kapitel 2: Die alte und die neue Welt

Vorteile der französischen Aufklärung

Probleme mit den großen Wörtern

Wenn Wind aufkommt

In Paris regt sich eine neue Welt

Die Scheu der Frauen vor den großen Wörtern der Männer

Die Begeisterung für das eigene Ich als Mittel zur Befreiung

Das Dunkel der ersten Monate und das Leid der frühen Jahre

Unüberwindliche Distanz und versuchte Nähe

Schritte aus dem Dunkel

Das Reich der Ideen und Ratschläge fürs Leben

Die deutsche Provinz im Jahr der Französischen Revolution

Die Französische Revolution und das Reich Gottes

Der Zug der hungrigen Frauen nach Versailles

Der schwierige Weg zu sich selbst

Spinoza und die Folgen

Eine Zeit der Entscheidungen und der Intellektuellen

Erste Reaktionen auf die Revolution in Frankreich

Gemüt und Geist auf unterschiedlichen Wegen

Krieg und Säuberungsaktionen

Im Strom der Geschichte oder am Ufer des Stroms

Stil des Gefühls und Stil des Wissens

Die Enge des Dienstes und das Ende der Diktatur

Die Pflicht, zu sich selbst zu kommen durch den Geist

Krise und Liebe

Spezialist und Automat

Kapitel 3: Der Nabel und das Ende der Welt

Vereinigung und Vereinzelung

Intuition und Wissenschaft

Das Eigene, das Fremde und das eigene Maß

Die sichtbare und die verborgene Seite des Lebens

Rätsel der Beziehungen und die Sprache der Poesie

Das esoterische Erbe der Philosophie

Flucht in die Heimat des eigenen Ich

Das Erbe der Theologie

Was die anderen in ihrem Eifer taten

Kapitel 4: Die eigene und die ganze Welt

In die Heimat und in die eigene Sprache

Der neue deutsche Volksgeist

Gelehrte als Volkserzieher und Menschenbildner

Der Völkerbildner Napoleon

Der Geist des Christentums

Ein verantwortungsloses Abenteuer

Theoretische Schizophrenie

Das Eigene in der Fremde bewähren und bewahren

Die Heimat der Poesie, die Heimatlosigkeit der Philosophie

Was von weither kommt, kommt nicht vollständig an

Ein Dichter gerät in einen Turm

Ein Philosoph legt den Grundstein seines Systems

Autobiographie eines Geistes

Einkehr in die Wiederkehr des Gleichen

Im modernen Reich Gottes

Schluss

Anmerkungen

Bibliographie

Personenverzeichnis

Kapitel 1

Die heimische und die fremde Welt

Ein Anfang für zwei schwierige Freunde

Hegel und Hölderlin sind zwei deutsche Extremisten. Sie kannten sich, sie waren in der ersten Hälfte ihres Lebens miteinander befreundet, in der zweiten gingen sie sich aus dem Weg. Aus dem einen wurde ein Philosoph, aus dem anderen ein Dichter. Beide hatten sehr hohe, radikale Ansprüche an ihr Amt. Darin glichen sie sich, aber das, was der eine erreichen wollte, schloss aus, was der andere sich vornahm. Zwei Könige in einem Reich konnte es nicht geben.

Sie sind schon lange tot, aber das Interesse, das ihr Werk weckt, erhält sie am Leben. Sie sind zu Buchstabenmenschen geworden, die sich regen und bewegen, wenn bei einem Leser das Gefühl auftaucht, dass er sie verstanden habe. Da sie nicht in der Lage waren, in einfachen Worten zu sagen, was sie dachten und fühlten, ist es auch für andere nicht einfach, sie zu verstehen. Einen Mitmenschen zu verstehen ist noch komplizierter, und doch gehen Menschen im Alltag so miteinander um, als sei es für sie leicht zu wissen, was in einem anderen vorgeht.

Die beiden Extremisten aus dem Herzogtum Württemberg studierten Theologie in Tübingen, aus ihnen sollten nach dem Wunsch ihrer Eltern Pfarrer werden. Am Ende konnten sich die Eltern nur mit dem Gedanken trösten, dass ihre Söhne nicht geworden wären, was sie schließlich wurden, wenn sie nicht Theologie studiert hätten. Die theologische Ausbildung hat insofern einen Sinn gehabt.

Hegel und Hölderlin gibt es zwei Mal, als Werk und Dokument einerseits, als Auslegung und Analyse andererseits. Die beiden Seiten hängen zusammen, die eine soll auf die andere passen wie ein Hut auf einen Kopf. Das setzt voraus, dass Werk, Dokument, Analyse und Auslegung eine gewisse Eindeutigkeit besitzen. Die Aufgabe der Forschung besteht darin, die Grundlagen für diese Eindeutigkeit herzustellen, die sich aber, allen Bemühungen zum Trotz, nie vollständig wird erreichen lassen. Wer kann schon mit Gewissheit sagen, wie ein Satz, der im Kontext von anderen Sätzen vor zweihundert Jahren auftauchte, gemeint ist.

Bei all den zupackenden Ergebnissen, auf die sich die Forschung berufen kann, sind Hegel und Hölderlin immer noch Objekte von Mutmaßungen. Wenn es anders wäre, hätten die beiden die Aufgabe, die sie sich stellten, verfehlt, einen verborgenen und einen letzten Sinn zu finden. Mit halben Sachen haben sie sich nicht abgegeben.

Dass die beiden zusammengehören, hängt nicht nur damit zusammen, dass sich ihre Lebensläufe verschränkten. Die innere Notwendigkeit ihrer Nähe liegt darin, dass sie ein Problem in zwei Richtungen ausreizten, das noch nach ihnen bestehen sollte. Sie haben es nicht gelöst in dem Sinne, dass andere sich nun mit anderen Problemen beschäftigen könnten, sie sind damit nur insoweit fertig geworden, als sie ihr Leben daran hängten, alle ihre Kräfte. Mehr hatten sie nicht zu sagen.

Das Problem, vor dem sie sich befanden, bestand darin, dass sie dem Wort sehr viel zutrauten, so wie das Theologen zu tun gewohnt sind, die von Gott nicht mehr in der Hand haben als das, was in der Bibel steht. Wenn die Wörter der Bibel einen Weg zu Gott ebnen sollen, dann müssen sie in bestimmter, auf eine Enthüllung drängende Weise verstanden und ausgelegt werden. Hinter und aus dem normalen Sinn der Wörter muss ein tieferer Sinn geborgen werden.

Als die Theologen von Dichtern und Philosophen bei der Aufgabe, für die Deutung des Ganzen zuständig zu sein, abgelöst wurden, mussten die neuen Welterklärer mit ihren Wörtern und auf ihre Weise versuchen, den vakanten höheren Sinn, einen ersten Grund und einen letzten Zusammenhang, zu finden. Die Sätze, die sie ins Gespräch ihrer Zeit brachten, waren gewichtig und kompliziert und der Sinn deutungsreich und schwer zu fassen. An den Wörtern hing eben alles.

Hegel und Hölderlin gaben ihr Bestes, der eine unterwarf die Wörter der Vernunft, der Logik und der Wissenschaft, der andere der Einbildungskraft, den Gesetzen der Poesie und dem Empfinden, aber welche Einsichten und Bilder ihnen auch gelangen, ihr Werk war für ein letztes Wort in dieser Angelegenheit immer noch nicht gut genug. Ein letztes Wort wird es nicht geben, weil Wörter für letzte Worte in diesem großen, umfassenden Sinne nicht gemacht sind.

Die beiden wuchsen gleichsam aneinander in die Höhe, in offenem und heimlichem Wettbewerb, bis sie irgendwo weit oben am Himmel verglühten. Unten auf der Erde stehen die kleinen biographischen, individuellen Behälter, in denen sie jenen festen Stand fanden, der notwendig war, damit ihr Flug gelingen konnte.

Jeder Mensch steckt in so einem Behälter, der nur dann sein ganzes Leben umfassen würde, wenn er daraus nicht herauskäme. Die kleinere oder größere Flugbahn, die er im Laufe seines Lebens beschreiben wird, ist eine Art Zeichen, ein Hinweis darauf, wo und wie die eigene Reise losging, auf verborgene Anfangsgründe und lebensgeschichtliche Neigungswinkel, die für den Reisenden selbst im Dunkel bleiben.

Hegel und Hölderlin würden, wenn sie sich selbst verstanden hätten, die Geschichte, die nun folgt, vielleicht ganz anders erzählen. Sie haben über die verborgene Hälfte ihres Lebens nichts gesagt und sie können darüber nichts mehr sagen. Sie haben ihr Werk vorgelegt, aber das ist, aufs Ganze gesehen, nicht genug.

Werke und Taten

Die beiden haben viel gelesen, Hegel mehr als Hölderlin. Aber wer liest Hegel, wer liest Hölderlin und warum? Komplizierte intellektuelle Charaktere landen irgendwann in den Seminaren der Universität, so wie komplizierte emotionale Charaktere, die im normalen Leben nicht zurechtkommen und professionelle Hilfe brauchen, eine Hand, die sie davor rettet, im eigenen inneren Meer unterzugehen, in den Institutionen der Seelenkunde landen, wo sich Mitarbeiter in besonderer Weise um sie kümmern werden.

In Zeiten der Not, wenn sich die Gedanken darauf konzentrieren müssen, für das Überleben zu sorgen, wenn die Angst um sich und andere die Muße verdrängt, in Zeiten des Krieges konnte sich die Hoffnung auf ein Gedicht von Hölderlin richten, dass es ein Wunder bewirken und die elende Welt im Glanz der lyrischen Schönheit für Augenblicke verschwinden lassen würde. Die Verse sollten ein bedrücktes Gemüt aus dem Schlamassel des irdischen Daseins erheben. So war das vor hundert, vor achtzig Jahren gewesen. Aber las einer im Schützengraben oder im Bombenkeller Hegel? Für ihn braucht auch ein trainierter Kopf innerliche und äußerliche Ruhe. Ein, zwei Verse mit großen Bildern von Hölderlin sind Flügel, die für Sekunden sich ausbreiten, Wärme, Schutz und Sinn spenden. Nur manche seiner Gedichte eignen sich dafür. Ein Satz von Hegel steht da wie ein Pferd, das den Weg nach Hause von alleine findet. Es muss sich nur einer draufsetzen, dann trabt es los. Hat einer in Bedrängnis und Eile noch so viel Zeit und Zuversicht?

Hegel wollte zuerst und vor allem den Geist, die Vernunft über sich selbst aufklären. Was er darunter verstand, lässt sich gut in seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaft nachlesen, in den beiden Bänden, die sich mit der Wissenschaft der Logik und der Philosophie des Geistes beschäftigen. Das wäre ein möglicher Anfang für alle, die keine Philosophen werden und nur wissen wollen, wie es bei Hegel zugeht. Hölderlin hat einen Roman über einen Jüngling mit großen Erwartungen und Idealen geschrieben, ein guter Anfang neben jenen Gedichten, die irgendwo, als fände sich ein bekanntes Gesicht in einem Deckenfresko, eine Lücke aufweisen, durch die ein Leser schlüpfen kann zu Bedeutungen, die ihn festhalten, ohne dass er einen philologischen Apparat mit sich führt.

Die Lebensgeschichte der beiden gibt auf den ersten Blick nicht viel her. Was haben sie getan? Sie studierten, sie schrieben. Auf den zweiten Blick sieht die Sache anders aus, da durchlaufen die beiden zwei Lebenswege, die genauso viel wiegen wie ihre Werke, weil die einen ohne die anderen nicht zu haben sind. Auch wenn Hölderlin und Hegel nur am Schreibtisch gesessen hätten, so hätten sie doch dabei einer Zeit den Rücken zugekehrt, die ihnen nicht erlaubte, so zu tun, als ginge sie nicht an, was hinter ihrem Rücken geschah. Sie haben sich, ob sie wollten oder nicht, in Beziehung gesetzt zur Welt um sie herum, so wie eine Figur nur im Kontext zu sehen ist, auch wenn sie ihn nicht zur Kenntnis nehmen möchte. Das Leben, das sie führten, ließ sich nicht wiederholen. Sie haben, was sie waren und zu werden sich bemühten, Tag für Tag in die Waagschale geworfen.

Die beiden haben so viel gesagt, wie sie zu sagen vermochten. Ihre Werke waren ihre größten Taten, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass alles, was sie schrieben, bedeutsam und wichtig sei, dass sie erst hier offenlegen würden, wer sie seien. In jedem Satz von Hegel, in jedem Vers von Hölderlin schlummert der ganze Hegel, der ganze Hölderlin. Ihre Werke waren ihre größten Taten auch in dem Sinne, dass sie auf andere Weise nicht hätten zeigen können, wer sie waren. Vor solchen Problemen der Größe, die sich nur bestimmter Mittel bedienen kann, um sich zu offenbaren, stehen nicht die laienhaften Menschen, die aufs Ganze nicht gehen müssen und sich gleichsam verstreuen, sondern die Professionellen, die sehr gut in einer Sache werden und dann alle Kräfte auf diese eine Sache setzen, mehr oder weniger ihr ganzes Leben, das dann hinter ihrem Werk verschwindet, als hätte ihr Leben nicht zu diesem Werk geführt, als sei es nicht eine notwendige Bedingung für dessen Gelingen gewesen, ein Ausdruck dessen, wer und was sie waren und wann und wie sie lebten.

Einige, die von sich reden machten und machen werden, im und um das Jahr 1770

Im Jahr 1770, und irgendeine Macht wird sich dabei etwas gedacht haben, Zufall, Götter, Schicksal, Sterne, kamen Friedrich Hölderlin und Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf die Welt, deren Lauf durch das Erscheinen und das Wirken der beiden nicht irritiert wurde. Die Welt ging ihren Weg weiter, als wäre nichts geschehen, sie zeigte, böswillig gesagt, den beiden, die sich später sehr darum bemühten, ihr auf die Schliche zu kommen, gleich die kalte Schulter. Der zukünftige Dichter traf im März ein, der zukünftige Philosoph erst im August, als hätte der Dichter einen Vorsprung vor dem Philosophen nötig gehabt, damit er bei dem Wettlauf, auf den hin diese Koinzidenz der Geburten angelegt zu sein schien, noch eine Chance habe zu gewinnen. Sie wurden in Württemberg geboren, der eine in dem Dorf Lauffen, der andere in der Stadt Stuttgart, und waren damit sofort Schwaben, zwei Neue unter fremden Eltern und unbekannten Landsleuten, die sie gemeinsam erziehen würden.

Andere, die wie die beiden ihr Leben dem Geist und der Kunst widmen würden, waren schon unterwegs oder würden demnächst mit ihrer Lebensbahn beginnen. Der zukünftige Held der deutschen Klassik, Johann Wolfgang Goethe, 21 Jahre alt, sehr selbstbewusst, war Anfang April 1770 in Straßburg angekommen, wo er sich auf sein Doktorexamen in Jura vorbereiten sollte. Der große Anreger und Ideengeber Johann Gottfried Herder, 26 Jahre, umtriebig, neugierig, traf im Herbst ebenfalls in Straßburg ein, um sich dort von einem Spezialisten ein Auge, das ständig tränte, operieren zu lassen. Die Operation wird sehr unangenehm und schmerzhaft verlaufen, Herder sehr tapfer sein, und solange er die Zähne zusammenbeißt und den Tag verflucht, da er die Entscheidung traf, sich einem Arzt anzuvertrauen, mag die Erinnerung daran sich ihm zur Seite stellen und ihm die Hand halten, dass in jenen Jahren, als die Geister hoch hinauf ausschwärmten, der Schmerz sie auf Erden wie ein Schatten verfolgte, nicht nur in den zahllosen Kriegen, sondern auch in den schönsten Idyllen einer gelungenen Lebensplanung, weil die medizinische Hilfe noch unbeholfen war und der Idee einer großen Linderung weit hinterherhinkte.

Goethe und Herder, die beiden jungen Männer mit unterschiedlichem Naturell, liefen sich in der fremden Stadt über den Weg und kamen ins Gespräch, später werden sie beide in dem kleinen Weimar wohnen, was nicht bedeutete, dass sie sich dort nicht hin und wieder aus dem Wege gingen, weil der Austausch mit dem Nachbarn nicht immer reibungslos verlief. Sie waren verschieden, und das Glück, das sich als Anerkennung, Geld und Karriere ungleich über sie verteilte, tat noch das Seine, um sie nicht Arm in Arm durch den Park und am Fluss entlanggehen zu lassen. Herder war aus Hamburg angereist, wo er sich mit zwei Dichtern, mit Gotthold Ephraim Lessing, 41 Jahre alt, und mit Matthias Claudius, 30 Jahre alt, getroffen hatte. Auch die Dichtkunst, wie jeder andere Beruf, Schuster, Maurer, Richter, produzierte Kollegen, die sich untereinander kennenlernen wollten, um sich über Erfahrungen, Ansichten und Projekte auszutauschen, um Rat und Hilfe für knifflige Fälle, und sei es das eigene Leben unter den Fittichen der Kunst, einzuholen.

Der zweite Held der deutschen Klassik, Friedrich Schiller, im schwäbischen Marbach am Neckar geboren, verfolgte andere, seinem Alter gemäßere Pläne, er war elf Jahre jung und besuchte die Lateinschule in der Garnisonsstadt Ludwigsburg, wohin sein Vater vier Jahre zuvor versetzt worden war und wo der Herrscher des Landes, Herzog Carl Eugen, täglich Soldaten auf dem Karlsplatz exerzieren ließ, um seinen Untertanen einzutrichtern, was er unter einem gut funktionierenden Volk verstand. Der junge Schiller wird damals noch grundsätzlich guter Dinge gewesen sein, er wurde nicht melancholisch und depressiv. Die angenehmen Zeiten, in denen er sich in dem Gefühl wiegen konnte, die Welt als ein Bündel aus Hoffnungen, Wünschen und guten Erfahrungen stünde ihm offen, werden für ihn bald vorbei sein. Der Schritt aus einer heilsam blauäugigen Kindheit ins frühe Erwachsenenleben unter einem despotischen Ausbildungsdrill glich einem Sturz ins kalte, ernüchternde Wasser. Der zukünftige Romantiker Novalis durfte sich noch zwei Jahre in Sicherheit wiegen, bevor er 1772 auf Schloss Oberwiederstedt in Sachsen-Anhalt auf eine Welt kam, von der sich schon damals sagen ließ, dass sie nicht gemacht zu sein schien für zarte, eigensinnige Seelen, die sich nicht abhandenkommen wollten und unter dem Druck der Entfremdung litten, den lebloses Wissen, mechanischer Verstand und ein trockener Beruf ausüben. Er wird nicht lange unter den Menschen bleiben, deren Haupteigenschaft der Wille zur Gewöhnung ist, er starb mit 28 Jahren, alt genug, um ein Werk zu hinterlassen, das seinen Namen durch die erwerbstüchtigen und kriegsreichen Jahrhunderte trug. Auch sein romantischer Mitstreiter, der unruhige, neugierige und draufgängerische Friedrich Schlegel, erreichte die Erde erst 1772, und zwar in Hannover.

In Königsberg saß Immanuel Kant, das Uhrwerk der deutschen Philosophie, nie zu spät, nie aus dem Rhythmus des Tagesablaufs zu bringen, 46 Jahre alt und gerade zum Professor für Logik und Metaphysik aufgestiegen. An ihm hingen viele Geistesfrüchte, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen werden. Auch die beiden frisch geborenen Schwaben Hegel und Hölderlin werden ihm zahlreiche Ideen und Anregungen zu verdanken haben. Nie mehr sollte in Deutschland, nachdem durch Kant ein neuer philosophischer Anfang gemacht war, ein Nachfahre ganz von vorne beginnen, nur aus eigener Kraft sich hoch- und hinausarbeiten müssen. Kant lebte ohne Frau und Kinder, ohne Ablenkung und Störungen, konzentriert auf seine Arbeit, als sei ihm klar gewesen, dass er eine Revolution in der Welt der Gedanken vom Zaun brechen und dafür Zeit brauchen würde. Königsberg hatte damals 40 000 Einwohner, von denen keiner ahnte, dass einer von ihnen, der nicht unangenehm auffiel, nicht durch große leere Reden, Selbstgefälligkeit, Hochmut, Angeberei, Trunkenheit, ein intellektueller Rädelsführer war, ein Anstifter zum geistigen Ungehorsam.

Der Freund von Hegel und Hölderlin, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der Hochbegabte, das Genie unter seinen Klassenkameraden, hatte noch fünf Jahre irgendwo im All-Einen zu warten, dann kam er 1775 auf die Bühne der Differenzen und Entfremdungen, Geist–Natur, Subjekt–Objekt, Ich–Welt, Freiheit–Notwendigkeit, in einem Haus im württembergischen Leonberg, als Sohn eines Gelehrten, eines Orientalisten, der auch Diakon und Lehrer war. Der in die alten Bücher und Sprachen vertiefte Vater wollte seinem Sprössling alles, was er wusste, sofort beibringen und fand in dem Kind zu seiner Freude einen willigen und hellwachen Schüler für sein gesammeltes Wissen. Eine zukünftige Karriere unter Wissenschaftlern konnte keine besseren Voraussetzungen haben.

Große Hoffnungen in die Philosophie und das Studium wird dereinst auch Heinrich von Kleist setzen, der auf Erden nicht glücklich wurde. Er hat 1770 noch sieben Jahre himmlische Ruhe vor sich, bevor er seinen Kopf in Frankfurt an der Oder in die Schlinge der Welt legt, aus der er sich schließlich nur mit einem Pistolenschuss in den Mund wieder befreien kann. Er ist, wie jederzeit und überall, nicht der Einzige, der freiwillig aus dem Leben scheidet, das er keinen Tag länger ertragen mag. Auch Gotthold Friedrich Stäudlin, ein Freund Hegels und Hölderlins, wird sich in jungen Jahren, erschöpft und aussichtslos, in einem Fluss ertränken.

Besucht hat der junge Hölderlin auch einmal Christian Friedrich Daniel Schubart, 31 Jahre alt, ein Dichter und Kritiker, der sich über die Herrschaften und ihre Taten aufregte und 1770 noch als Organist und Musikdirektor in Ludwigsburg zu Füßen der Mächtigen arbeitete. Das gute, unkritische Leben würde für ihn bald ein Ende haben, er landete 1777 für zehn Jahre im gefürchteten Kerker auf dem Hohenasperg, dem Wahrzeichen der württembergischen Despotie, weil er seinen Spott über den Lebenswandel seines Herzogs und dessen Mätresse zu weit getrieben hatte. Der Dichter im Kerker wird für viele Männer, die reimen und doch sagen möchten, was sie denken, zu einer Art ständigem Vorsitzenden der inneren Abteilung für Selbstzensur. Wer nicht Schubarts Schicksal teilen wollte, der musste aufpassen und seine Worte zügeln, sich mit Andeutungen und Bildern begnügen, in die versteckt werden konnte, was zu sagen nicht erlaubt und gefährlich war. Wenn in einem Gedicht der Rhein anschwoll und über seine Ufer trat, ein Strom, der alles mit sich forttrieb, konnte das unter den Hellhörigsten schon heißen, dass der Unmut des Volkes sich regte und ein Aufstand ersehnt wurde. Auch Hölderlin wird den Rhein nach 1 800 in einer Hymne rauschen lassen:

Im dunkeln Efeu saß ich, an der Pforte

Des Waldes, eben, da der goldene Mittag,

Den Quell besuchend, herunterkam

Von Treppen des Alpengebirgs,

Das mir die göttlichgebaute,

Die Burg der Himmlischen heißt

Nach alter Meinung, wo aber

Geheim noch manches entschieden

Zu Menschen gelanget; von da

Vernahm ich ohne Vermuthen

Ein Schiksaal, denn noch kaum

War mir im warmen Schatten

Sich manches beredend, die Seele

Italia zu geschweift

Und fernhin an die Küsten Moreas.

Jetzt aber, drin im Gebirg,

Tief unter den silbernen Gipfeln

Und unter fröhlichem Grün,

Wo die Wälder schauernd zu ihm,

Und der Felsen Häupter übereinander

Hinabschaun, taglang, dort

Im kältesten Abgrund hört’

Ich um Erlösung jammern

Den Jüngling, es hörten ihn, wie er tobt’,

Und die Mutter Erd’ anklagt’,

Und den Donnerer, der ihn gezeuget,

Erbarmend die Eltern, doch

Die Sterblichen flohn von dem Ort,

Denn furchtbar war, da lichtlos er

In den Fesseln sich wälzte,

Das Rasen des Halbgotts.

Die Stimme wars des edelsten der Ströme,

Des freigeborenen Rheins …

Und so noch gewaltige Strophen dahin.

Die Französische Revolution, das epochale Ereignis, das die Zeiten in ein Davor und ein Danach trennen sollte, würde erst in rund zwei Jahrzehnten nicht nur unter den Deutschen Hoffnung und Abscheu wecken. Noch ruhten die intellektuellen Gemüter auf der anderen, der rechten Seite des Rheins in sich und wurden nicht vom Lauf der Ereignisse mitgerissen.

Der Sprachforscher und Bildungspolitiker Wilhelm von Humboldt, der nicht nur am Schreibtisch saß, sondern wie der lyrische Held in Goethes Gedicht »Willkommen und Abschied« auf einem Pferd durch die Nacht zu galoppieren verstand, erfüllt vom Bild der Geliebten, war 1770 drei Jahre alt und stand noch nicht lange auf den eigenen Beinen. Er konnte schon sprechen, sein Bruder Alexander, ein Jahr jung, hinkte ihm sprachlich sicherlich etwas hinterher, er würde dafür später weiter herumkommen als der Ältere, Asien und Südamerika erforschen, Erkenntnisse über die wundersame und wunderreiche Erde mit nach Hause bringen und seinen Zeitgenossen, die voller Bewunderung für seine Taten waren, ausführliche Reiseberichte vorlegen. Die begabten Brüder, denen eine ungewisse bürgerliche Zukunft nicht wie ein schwerer Stein auf dem Herzen lag und die sich mit der wackeligen, gebrechlichen Welt zu ihrer Zufriedenheit zu arrangieren wussten, wohnten auf Schloss Tegel bei Berlin, es ging ihnen gut, blendend, sie wurden versorgt und gefördert, was konnte da schiefgehen.

Einer, der den Zauderern, die lieber daheim blieben, vormachte, was es hieß, früh in die Ferne zu schweifen und mit Reichtümern unterm Arm und Anschauungen im Kopf zurückzukehren, war der spätere Weltumsegler Georg Forster. Er war 1770 sechzehn Jahre jung und lebte mit seiner Familie sehr karg und schlecht in London. Sein Vater, ein Theologe, der sich mehr für die Natur und fremde Länder als für die Verkündung von Gottes Wort interessierte, verdiente wenig Geld, weshalb der Sohn als Übersetzer einspringen musste. Die beiden waren ein festes Gespann, der Vater hielt die Zügel straff in der Hand, der Sohn musste ihm folgen. Sie werden zusammen auf große Reisen gehen und sich durch unmittelbare Erfahrungen bilden.

Die Welt konnte ein bedeutender Lehrer sein. Wen die Not nicht trieb, wer keinen Mut fand und die Abenteuerlust nicht kannte, der las daheim die Reiseberichte von anderen und fuhr mit dem Finger auf der Landkarte die Meere und Länder ab. Kant, Hegel und Hölderlin gehörten zu denen, die sesshaft waren, sie waren Wühler auf der Stelle, die sich gedankenschwer in sich und alles hinein gruben. Wenn sie sich vom Fleck bewegten, dann auf Bahnen, die ihnen vorgegeben waren, Hofmeister, Lehrer, Redakteur, Professor. Philosoph oder Dichter zu werden war keine ausgefallene Option im sich entwickelnden bürgerlichen Berufsfeld, keine Erfindung der beiden.

Schwieriger als sie hatte es Johann Gottlieb Fichte, der von Kindheit an mit Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit sich erobern musste, was die persönlichen sozialen Umstände ihm nicht schenkten. Er hat sich durchgeboxt und aus sich etwas gemacht, sich Wissen angeeignet, die Konkurrenz gemeistert und sich einen Platz erobert. Seine Philosophie vom absoluten Anfang im Ich spiegelt den Selbstbehauptungstrieb eines jungen energischen Mannes wider, der schon in seiner Kindheit und frühen Jugend erfahren hatte, dass er sich selbst erfinden, sich selbst in die Hand nehmen musste, wollte er aus sich mehr machen, als die Verhältnisse, in denen er aufwuchs, für ihn vorgesehen hatten. Damals, 1770, war er acht Jahre jung, er wohnte bei seinen armen Eltern, die Leinenweber waren, in der Oberlausitz und stand wegen seines auffallend guten Gedächtnisses, das ihn für den Beruf eines Gelehrten, eines Archivs auf zwei Beinen, prädestinierte, und dank dem Wohlwollen eines Gönners vor einer entscheidenden Wende seines Lebens. Auf dem Weg, den er einschlug und der ihn in die gelehrte Welt hinausführen sollte, gelangte er zu großem Ruhm. Es wird Jahre geben, da flogen ihm die aufgeregten, unsteten Geister von jungen Männern zu, die etwas Neues aus sich machen wollten, die das Gefühl zu ihm trieb, es würde, was aus ihnen werden könne, in ihrer Hand liegen, ein einziges Mal, bevor die Not, Geld zu verdienen, sie eines Besseren belehren und in die Fron der Lohnarbeit zwingen würde. Einer von denen, die mit Elan zu Fichte nach Jena pilgerten, um die Verheißung vom absoluten Ich aus der Nähe kennenzulernen, war Hölderlin. Die jungen Intellektuellen, die sich der Buchstabenwelt verschrieben und dort ihr Glück zu erobern versuchten, fuhren nicht nach Italien, wo die Sinne über das gewöhnliche Maß gereizt wurden, sondern blieben im Norden, wo die Kühe einen wachen Geist daran erinnerten, dass die Gedanken wiedergekäut werden mussten, bevor sie verstanden waren.

Jean Paul, aus dem einmal ein von Ideen überquellender Erfolgsschriftsteller und ein großer Biertrinker werden sollte, wuselte 1770 im kindlichen Glück seiner sieben Jahre in Wunsiedel durch die Gegend, einem Dorf im Fränkischen, und sammelte alle Eindrücke, die er auffangen konnte, er graste die Welt ab, eine Lust und Angewohnheit, die dazu führten, dass er später, als er seine Romane schrieb, durch alles und jedes die Fäden der Beziehungen kreuz und quer ziehen konnte, sodass kein Satz war, in dem nicht viele andere steckten. Hegel, der auf seine Weise keinen Begriff allein stehen lassen konnte und in allem alles, im Ganzen die Teile, in den Teilen das Ganze unterbrachte, sodass sich eins aus dem anderen ergab und nichts sich zeigte, was nicht schon geworden war, hat den fränkischen Schriftsteller sehr gemocht und war dabei behilflich, ihm in Heidelberg einen Ehrendoktor zu verschaffen.

Der spätere Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher, mit dem sich Hegel in Berlin, als er es dort zu Amt und Würden geschafft hatte, in den Haaren liegen wird, war 1770 zwei Jahre jung und lebte, weltverdauend und wörtersuchend, in Breslau, wo auch Lessing einst fünf Jahre lang als Sekretär eines Grafen seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Breslau hatte 45 000 Einwohner. Aus Schleiermacher, einem Pfarrhauskind, wurde, intellektuell gesehen, das Gegenteil von Hegel, kein Fahnenflüchtling der Theologie, kein Philosoph, der die Theologie durch Logik und Geschichtsphilosophie usurpierte, sondern ein Theologe, der die Philosophie an grundlegende theologische Probleme band. Er hat die Hermeneutik als Lehre vom anschmiegsamen Verstehen berühmt gemacht, die behutsamen Kreisbewegungen des vorsichtig sich vorantastenden Geistes, Hegel dagegen die alles erfassende Wissenschaft der spekulativen Logik, das konsequente Fortschreiten des subjektiven und objektiven Geistes durch die unerbittliche Selbsterkenntnis der Vernunft. Schleiermacher traute den Wörtern nicht, wenn sie sich zusammentun, um einen Satz und einen Sinn zu ergeben. Sie stehen in seinen Augen nicht von alleine auf einer Seite, irgendjemand hat sie dort hingestellt, mit Absicht, und es ist für ihn nicht selbstverständlich, dass die Wörter so gemeint sind, wie er sie versteht, dass sie so verstanden werden wollen, wie er meint. Jeder Satz, auch und vor allem der gesprochene, hat einen Haken, an dem mehr als eine Bedeutung hängt. Und auch wenn es ihm als Zuhörer und Leser gelänge, dem Sinn auf die Schliche zu kommen, so wüsste er nicht, ob der Urheber des Satzes in der Lage war, mit jenen Wörtern auszudrücken, was er sagen wollte, oder ob er selbst sein Anliegen nicht verfehlte und etwas anderes sagen wollte. Bei Schleiermacher hätten die Therapeuten, wenn es sie damals schon gegeben hätte, Grundlegendes über die Schwierigkeiten der Kommunikation lernen können.

In einem Jahr kommt Rahel Varnhagen auf die Welt, in deren Salon in Berlin sich die klugen Köpfe treffen werden, auch Hegel kreuzte dort auf, ebenso Schleiermacher. In der preußischen Hauptstadt, wie überall sonst, schwingen ausschließlich Männer ihre Reden und bemühen sich zu zeigen, was sie können, was in ihnen steckt. Berlin mit seinen 130 000 Einwohnern war glücklicherweise groß genug, dass dort, hinter verschlossenen Türen, fern der Öffentlichkeit, Frauen zu Wort kommen konnten und durch eine Brillanz und Intelligenz bestachen, die sich schriftlich nur in ihren Briefen zeigen würde. Rahel Varnhagen wird sich in den politischen Publizisten Friedrich Gentz verlieben, der 1770 sechs Jahr alt war und, wie Schleiermacher, in Breslau wohnte. Später ging auch er nach Berlin, wo er die Nächte wild durchlebte, um sich auf diese wenig originelle Weise für seine trockene, langweilige Arbeit in der preußischen Bürokratie zu entschädigen. Das müde Leben in den Amtsstuben hielt er nicht lange aus. Er wurde ein vehementer Gegner der Französischen Revolution, übersetzte Edmund Burkes Buch über den Umsturz in Frankreich, die erste heftige, durchschlagende Kritik der französischen Ereignisse, ins Deutsche und wurde ein unerbittlicher Gegner Napoleons.

Ein Opfer der Revolutionskriege wird Caroline Schlegel-Schelling. Sie war 1770 sieben Jahre alt und wohnte in Göttingen, ihr Vater war Professor für Theologie und Orientalist. Auf die Tochter kamen, kaum dass sie das Elternhaus verlassen hatte, harte Zeiten zu, der Ehemann starb früh, und sie blieb mit einer Tochter und einer sehr ungewissen Zukunft allein zurück. Dann aber ging es mit der jungen alleinerziehenden Mutter wieder bergauf dank der Hilfe von August Wilhelm Schlegel, dem Bruder von Friedrich Schlegel. Schließlich landete sie an der Seite Schellings, der viele Jahre jünger war als sie, was die beiden nicht davon abhielt, ein Paar zu werden. Frauen durften damals die Universität nicht besuchen, wenn sie etwas wissen wollten, mussten sie es sich selbst beibringen, oder sie waren von der Gunst und Gnade der gelehrten Herren abhängig, die den öffentlichen Geist prägten. Zu einer wahren Meisterschaft und allseitiger Anerkennung in einer Wissenschaft konnte es auf diese Weise und unter diesen Umständen keine Frau schaffen.

Zu den bedeutenden Intellektuellen, die damals mitten im Leben standen, gehörte der Philosoph und Schriftsteller Johann Georg Hamann, 40 Jahre alt, kein Alter, um am Alter zu verzweifeln. Er arbeitete in Königsberg bei der preußischen Zollverwaltung. Kant hatte ihm die Stelle vermittelt, aber glücklich wurde Hamann dabei nicht. Ein Kopf wie er, das wusste er, das wusste sicherlich auch Kant, konnte bei der preußischen Zollverwaltung, wo die Phantasie schon am Vormittag auf der Strecke blieb, sein Glück nicht finden. Aber er hatte eine Frau, und er hatte Kinder, er musste Geld verdienen, und er fügte sich deshalb in sein Los, Ernährer der Familie zu sein. Hamann hat sich um den jungen Herder gekümmert, der als Student in alle Vorlesungen ging, die der sesshafte Kant über fremde Völker und Sitten hielt, bevor der später sehr berühmt gewordene Philosoph die fremden Völker und Sitten sich selbst überließ und sich ausschließlich der Kritik der reinen Vernunft widmete, für die sich dann weder Hamann noch Herder begeistern konnten, die religiöse Gemüter besaßen und einen tiefen Sinn für die christliche Offenbarung, die Kräfte der Gefühle und die metaphysischen Erfahrungen. Kant machte sich mit seiner Kritik der reinen Vernunft nicht überall Freunde, vor allem dort nicht, wo die Religion und die Theologie sich durch die Argumente Kants nicht einschüchtern ließen und der Glaube darauf beharrte, sich auf Erfahrungen und Erlebnisse berufen zu können, zu denen der Philosoph aus Königsberg offenbar keinen Zugang hatte. Es gab Bereiche, im Menschen und in der Welt, die sich nicht durch Logik erschließen ließen und die sich deswegen nicht infrage gestellt sahen. Ein Lebensgefühl, das einen Menschen und eine Gemeinschaft tragen konnte, ließ sich nicht philosophisch zergliedern und eventuell abschaffen.

Vom philosophischen und vom poetischen Geist hingerissen wurde der Kaufmann und Freimaurer Friedrich Heinrich Jacobi, der damals, 27 Jahre alt, auf seinem Gut in Pempelfort bei Düsseldorf lebte und die Zuckermanufaktur seines Vaters leitete. In zwei Jahren wird er seinen Beruf aufgeben, um sich ganz der Literatur und der Philosophie zu widmen. Der freie Geist wirkt anziehend, vor allem wenn genug Geld da ist, um ihm mit Muße und Hingabe folgen zu können, und wenn die Zeit für Entdeckungen und neue Ideen reif ist. Jacobi wird nicht nur daheim sitzen und lesen und Briefe schreiben, sondern einflussreiche philosophische Bücher verfassen, die auch beim jungen Hegel und beim jungen Hölderlin einen großen Eindruck hinterlassen. Der junge abtrünnige Kaufmann hatte nicht Philosophie an der Universität studiert, er war ein begabter Autodidakt, ein Quereinsteiger aus Interesse und Leidenschaft, der bewies, dass die Aufgabengebiete des Geistes nicht endgültig abgesteckt waren, im Gegenteil, es sah so aus, als stünde Überliefertes und Bewährtes auf dem Prüfstand und als müsste das Gespräch über grundlegende Fragen, die Gott, Mensch und Welt, Wissen und Glauben, Gefühl und Vernunft betrafen, neu entfacht werden. Sein Landgut in Pempelfort wurde zu einem Anziehungspunkt für Intellektuelle.

Zehn Jahre älter als Jacobi war der Schriftsteller Christoph Martin Wieland, der den Teutschen Merkur herausgab und vor allem mit dieser Publikation zum Statthalter der politischen Vernunft in Deutschland avancierte. Er schrieb Romane, übersetzte Shakespeare und lehrte damals an der Universität in Erfurt. Aus ihm wurde der Prototyp des aufgeklärten deutschen Intellektuellen, der politisches Augenmaß, scharfen kritischen Sinn und poetischen Verstand bündelte und am Schreibtisch irgendwo im Grünen, Abseitigen, wo er seinen Berufungen ungestört nachgehen und sein öffentliches Amt als Beobachter, Anreger und urteilsfreudiger Begleiter des Zeitgeistes wahrnehmen konnte, seine intellektuelle Energie verausgabte. Auch Herder, der freigiebige Ideengeber, der den Volksgeist und die Volkspoesie pries, schwärmte schon in frühen Jahren für Shakespeare, als dessen große Zeit unter den deutschen Dichtern noch gar nicht angebrochen war. Er legte Goethe, als sich in Straßburg ihre Wege kreuzten, den englischen Dramatiker der Leidenschaften als ein originäres Genie ans Herz, das beim Dichten nicht überkommenen Regeln folgte, sondern sich sein eigenes poetisches Gesetz zu geben verstünde. Wer sich auf die Seite Shakespeares, auf die Seite einer nationalen Poesie schlug, der war als Dichter vor der Übermacht der griechischen Dramatiker etwas geschützt und gewann jene Selbstständigkeit und Originalität, die die antiken Vorbilder ihm andernfalls nahmen, wenn er ihnen nur nachzueifern versuchte und sie ihm die Sicht auf die eigene Zeit und die poetischen Erfordernisse verstellte.

Zu den Außenseitern der deutschen Literatur und Philosophie, die sich widrigen Umständen zum Trotz mit einem Werk durchsetzen konnten, auch wenn sie selbst dabei mehr oder weniger vor die Hunde gingen, gehörte der damals vierzehnjährige Karl Philipp Moritz, der durch den religiösen Fanatismus seiner Eltern ganz kirre und melancholisch gemacht wurde. Er quälte sich als Lehrling bei einem Hutmacher in Braunschweig durch die dunklen Tage langweiliger und mühseliger Arbeiten. Die bedrückenden Verhältnisse, in denen Geist und Seele verkümmerten, wird er nicht lange aushalten, er wird abhauen. Alles wird dadurch besser, und nichts wird dadurch besser. Er weiß in seiner Not nicht, wohin mit sich, springt in einen Fluss, um sich das elende Leben zu nehmen, wird mit Mühe aus dem Wasser gezogen und muss seinen Leidensweg wiederaufnehmen. Karl Philipp Moritz wird sich aus Armut und Missachtung hocharbeiten und in Berlin ein angesehener Professor werden, ein Amt, das Hölderlin erstrebte, aber nicht erlangte. Mit rechten Dingen aber wäre es nicht zugegangen, wenn Hegel nicht zu diesem ersehnten Ziel gekommen wäre, das wie für ihn aufgestellt zu sein schien. Nirgendwohin hätte dieser großartige Systembauer besser gepasst als an eine Universität, die dem Ruhm und der Würde der Wissenschaften dienen sollte. »Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein«, heißt es in der Vorrede zu Hegels Phänomenologie der Geistes, seinem ersten Buch. »Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme – dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein –, ist es, was ich mir vorgesetzt. Die innere Notwendigkeit, daß das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst.« Das klang wie ein Bewerbungsschreiben und war doch reine Absicht, die der inneren Notwendigkeit folgte und mit den Bedürfnissen eines wissenschaftlichen Zeitalters Hand in Hand ging.

Viel weniger Glück als Moritz wurde Jakob Michael Reinhold Lenz zuteil. Im Gouvernement Livland geboren, war er 1770 neunzehn Jahre alt, ein Student der Theologie in Königsberg, der bei Kant Vorlesungen hörte. Er reiste 1771 nach Straßburg und lernte dort Goethe kennen, einen Günstling der sozialen Verhältnisse. Ihre Freundschaft wird in Weimar ein abruptes Ende finden. Danach ging es mit Lenz bergab, und keiner war da, anders als bei Hölderlin, der ihn aufgefangen und sich um ihn gekümmert hätte. Er fiel durch die weiten und dünnen Maschen des kulturellen und mitmenschlichen Netzes, keine Institution bot ihm Schutz und ein Unterkommen. Im Leben zu scheitern, das war eine Aussicht, vor der alle standen, die glaubten, sich ausschließlich der Literatur und der Philosophie widmen zu können, und die auf kein Erbe zurückgreifen konnten, mit dem sie sich in Sicherheit hätten bringen können.

Gotthold Ephraim Lessing, 41 Jahre alt, hatte es in stabile Verhältnisse geschafft, er war Bibliothekar in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel geworden und würde dort bis zu seinem Tod bleiben. Auch für einen Dichter war es nicht einfach, im bürgerlichen Leben von einem Ort zum anderen zu wechseln. Die meisten wurden sesshaft, wenn sie eine gute Stelle erwischt hatten. Goethe und Herder, einmal in Weimar beruflich untergekommen, gingen nicht mehr aus Weimar weg. Hegel, einmal zum Professor der Philosophie in Berlin ernannt, ging nicht mehr aus Berlin weg. Hölderlin mit seinen hochfliegenden dichterischen Plänen irrte umher, fand, beruflich gescheitert, Zuflucht in der Heimat, bei der Familie, und schlüpfte, Schutz suchend, bei Freunden unter.

Nähe und Ferne

Die beiden, Hegel und Hölderlin, waren von Anfang an nicht allein und würden es nie sein, auch wenn sie sich in manchen Stunden einsam gefühlt haben. Sie schliefen allein in ihrem Bett, sie machten allein ihre Hausaufgaben, sie gingen allein durch die Gegend, sie saßen allein vor einem Buch, aber um sie herum, unsichtbar, nah oder weit weg, waren andere, Verwandte, Freunde, Bekannte und Fremde. Die Kreise der Gemeinsamkeiten wurden im Laufe des Lebens immer größer, auf die Familie folgte die Schule, dann die Universität und der weitläufige Zirkel der mehr oder weniger bedeutenden Geister. Die beiden machten, was alle machen: träumen, reden, schlafen, essen, denken, trinken, Vorgänge, die sich ganz von allein einstellen, einem Trieb, Antrieb, Drang, Bedürfnis gehorchen und durch die sie mit den anderen, Handwerkern, Bauern, Beamten, im großen Maßstab eine Gemeinschaft bildeten, ohne die ein Leben nicht gelingt, und im kleinen Maßstab Gruppen, die sie suchten oder flohen, um sie durch andere zu ersetzen. Sie waren den Leuten, die um sie herum lebten, in gewisser Weise ähnlich, ganz anders als sie waren die beiden nicht, nur eigenartig, das heißt, sie waren auf ihre besondere Art und Weise so wie alle, wiedererkennbar. Mein Sohn, sagt die Mutter, sagt der Vater, mein Freund, sagt der Freund. Alle suchen untereinander Nähe, trotz der Ferne, die zwischen ihnen ist, oder sie setzen Nähe voraus und vermeiden die Ferne, dass sie einander fremd werden und sich aus dem Blick verlieren.

Später, nachdem aus Menschen Werke geworden sind, wird versucht, in den Werken wieder die Menschen, die sie schufen, zu finden und zu erkennen, damit sich sagen lässt, als ginge das Gespräch um einen Nachbarn, »der« Hölderlin oder »der« Hegel, und fällt dann ein Satz, den sie schrieben, dann wird es heißen: Das kann nur der Hölderlin, das kann nur der Hegel gesagt und gedacht haben. Aus den vielen Buchstaben, die sie aufgeschrieben haben, soll der Geist wiedererstehen, der sie setzte, nicht nur ein Sinn und eine Bedeutung, die durch die Leser sickern wie Wasser, sondern eine Gestalt, eine Einheit, etwas in sich Geschlossenes, Gelungenes, das aussieht wie eine Art Buch, ein künstliches Gebilde.

Um diese Art Wiedererkennbarkeit durch den Buchstaben haben die beiden sich früh bemüht. Als sie in der Schule saßen und Lesen und Schreiben lernten, fädelten sie sich in eine Kultur ein, in der Gedichte, Romane, Theaterstücke, Aufsätze und Abhandlungen zu schreiben ein Beruf sein konnte, vorausgesetzt, dass gelesen wurde, was sie verfassten. Sie müssen ein gutes, nahes, ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Buchstaben entwickelt haben, wie es nur entsteht, wenn das Lernen leichtfällt und wenn eine Innenwelt sich herausbildet, die sich wiedererkennt in diesen filigranen Gebilden auf dem Papier, die sie braucht, um sich darin zu finden wie in einem Selbstgespräch. Das Schreiben ist ein Weg zu sich selbst, und zur Welt. Andere haben Bilder gemalt, sich für Formen und Figuren, für Farben entschieden. Bei Hegel und Hölderlin gab es nie Irritationen über die Ausdrucksmöglichkeiten, keinen Wechsel vom Schreiben in die Musik, in die bildende Kunst, sie blieben bei dem, was sie als Kinder in der Schule gelernt hatten, beim Buchstaben, und traten ein in eine Welt, die aus Buchstaben gemacht war.

Auf diesen Übertritt werden sie unterschiedlich reagiert haben, je nachdem, wie eng sie mit der Natur verbunden waren. Hölderlin wuchs nicht in Stuttgart auf wie Hegel, sondern auf einem Dorf, in unmittelbarer Nachbarschaft mit Bäumen und Feldern. Er tauschte einen großen Reichtum an Farben, Düften, Bewegungen, Formen ein gegen den dürren, starren Zaun der Buchstaben, hinter dem die Welt, die sich dort verbarg, nur durch die eigene Einbildungskraft zum Leben erweckt werden konnte. Tal, Hügel, Flusslauf, Wiese und Wald verschwanden, und übrig blieben die Kammer, ein Schreibpult, Papier und sich hinziehende Zeilen aus Wörtern. Aus den Tagen draußen, unter freiem Himmel, wurden Tage der Versenkung hinter Mauern. Hegel wird diesen Wechsel besser ertragen haben, er tauschte Eindrücke, die kamen und schwanden, gegen ein Wissen, das blieb und in eine Ordnung gebracht werden konnte. Für jemanden, von dem es früh hieß, dass er ruhig und beständig war, musste dieser neue Ausblick verlockend gewesen sein.

Württemberg und etwas von der Welt drum herum

In Württemberg regierte Herzog Carl Eugen. Der Göttinger Physiker und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg nannte ihn einen Wahnsinnigen. Der Herzog schnappte sich die jungen Frauen, wie es ihm gefiel, und setzte 150 bis 200 Kinder in eine Welt, die sich von ihm und seinesgleichen nicht zu befreien wusste.

Von 1770 an musste er seinen absolutistischen Drang zügeln. Die Landschaft, eine politische Institution, in der keine Adligen, sondern nur Bürger und Geistliche saßen, die auf die Geschicke des Landes Einfluss nehmen wollten, hatte ihn beim Reichshofrat in Wien wegen seiner ständigen Verfassungsbrüche verklagt und endlich recht bekommen. Der Herzog sah sich gezwungen, nachzugeben und die Schulden, die er gemacht hatte, zu begleichen. Er gab sich reumütig, als wollte er sich bemühen, ein guter Landesvater für seine Landeskinder zu sein, und gründete die Carlsschule, die später in den Rang einer Universität erhoben wurde und den Namen Hohe Carlsschule erhielt. Das Projekt hatte der Herzog auch aus eigennützigen Überlegungen ins Leben gerufen, er hoffte, aus den begabten Kindern seiner Untertanen, die er, auch gegen deren Willen, an die Schule zog, ein gut ausgebildetes Personal zu seinem eigenen Wohl und Nutzen zu machen.

Unter seiner Fuchtel lebten 650 000 Menschen, 15 000 davon in Stuttgart. Dort, im Haus mit der Nummer 1345 Auf dem Graben, heute Eberhardstraße 53, wurde Hegel am 27. August 1770 geboren. Hölderlin war seit dem 20. März unter den wenigen Bewohnern von Lauffen, acht bis neun Stunden Fußweg von Hegel entfernt, eine Stunde mit dem Auto heute. Die beiden führte nicht der Zufall einer Feier in der Stadt, eines Ausfluges auf dem Land zusammen. Dass sie sich kennenlernten, verdankten sie vor allem der Infrastruktur Württembergs, das die wachen Geister, wo immer sie sich zeigten, zu sammeln versuchte, um sie in Bahnen zu lenken, in denen sie der Gemeinschaft, auf deren Feldern sie entstanden waren, wieder zugutekommen konnten, eine Art intellektuelle Kreislaufwirtschaft.

Um Württemberg herum erstreckte sich eine weite Welt, die sich bemerkbar machte, Einfluss nahm und im schlimmsten Fall bewaffnet vor der Tür stand und durch das Land zog. Zu den unverhofften, gut ausgerüsteten ungebetenen Gästen wird eines Tages Napoleon zählen. Im Jahr 1770 ist er noch sehr weit weg von Stuttgart und Umgebung. Gerade ein Jahr alt, lebt er in Ajaccio auf Korsika bei seinen Eltern und döst in der Sonne durch den Tag. Erst einige Jahre später wird er auf etwas Großes warten, das in seinem Leben passieren muss, damit aus ihm ein bedeutender Mann werde. Das sind die Träume von Jungen. Den Mädchen kamen solche Wünsche, dass aus ihnen eine einflussreiche Frau werde, gar nicht in den Sinn. Im schlimmsten Fall träumten auch sie von einem großen Mann, an dessen Seite sie ihr Leben verbringen konnten.

Einhundertzwanzig Stunden Fußweg von Stuttgart entfernt, in Paris, lebte damals noch Jean-Jacques Rousseau, 58 Jahre alt, der Schriftsteller, dessen Abhandlungen über Kultur, Staat, Leben und Erziehung entscheidend dazu beitrugen, die alte Welt der Monarchien aus den Angeln zu heben, und der allen zeigte, dass Philosophen nicht nur analytische Köpfe sind, sondern auch empfindsame und empfindliche Seelen, durch die sie mit ihren Mitbürgern in ganz persönliche Verwicklungen, wie Verrat, Betrug und Verfolgungswahn, geraten können. Aber sollte deswegen ein Mensch aufgeben, der zu sein, der er war? Auf eine Wahrheit konnten sich im besten Fall alle verständigen, wenn sie sich ihrer Vernunft bedienten, aber die Wahrhaftigkeit eines Einzelnen war allein seine Sache, die es gegen die anderen zu bewahren galt. Am Ende eines Lebens, das ganz dem eigenen Herzen folgte und die Welt im Spiegel der eigenen Seele sah, standen deswegen Bekenntnisse. Hegel, der Rousseau schätzte und sich mit dem Muster eines Lebenslaufs begnügte, wie er bei Bewerbungen üblich war, hätte sich nie zu solch ausführlichen autobiographischen Eröffnungen hinreißen lassen. Hölderlin hat Rousseau eine Ode gewidmet, die mehr von ihm selbst, dem Traum vom einsamen Seher, der erkennt, was die Götter planen und die Zeit geschlagen hat, als von Rousseau verrät. Die letzten vier der hochgestimmten bekenntnishaften Strophen lauten:

Du hast gelebt! auch dir, auch dir

Erfreuet die ferne Sonne dein Haupt,

Die Stralen aus der schönern Zeit, es

Haben die Boten dein Herz gefunden.

Vernommen hast du sie, verstanden die Sprache der Fremdlinge,

Gedeutet ihre Seele! Dem Sehnenden war

Der Wink genug, und Winke sind

Von Alters her die Sprache der Götter.

Und wunderbar, als hätte von Anbeginn

Des Menschen Geist, das Werden und Wirken all,

Des Lebens alte Weise schon erfahren

Kennt er im ersten Zeichen Vollendetes schon,

Und fliegt, der kühne Geist, wie Adler den

Gewittern, weissagend seinen

Kommenden Göttern voraus, […]

Ebenfalls in der französischen Hauptstadt arbeitete im Jahr 1770 der Schriftsteller und Philosoph Denis Diderot, 57 Jahre alt. Er gehörte zum Zentralkomitee der Aufklärung und saß mit gleichgesinnten Kollegen an einer Enzyklopädie des Wissens. Noch schien es für einzelne Intellektuelle möglich, sich auf vielen Feldern der Praxis und der Theorie der gegenwärtigen Verhältnisse kundig zu machen und die Informationen zu einem verständlichen Artikel zu bündeln. Diese Erfahrung, dass die Welt begreifbar war, muss einen kritischen Geist beflügelt haben, es mit der Gesellschaft insgesamt aufzunehmen. Solange sie sich überschauen und verstehen ließ, erhielt sich die Hoffnung, sie mit den eigenen intellektuellen Kräften beeinflussen, sie lenken und in eine bestimmte Richtung steuern zu können.

Einer, der diese Hoffnung in rund zwei Jahrzehnten in die Tat umsetzen würde, war der zwölfjährige Maximilien de Robespierre, Stipendiat am Collège Louis Le Grand in Paris. Seine Mutter war vor sechs Jahren, 1764, im Kindbett gestorben, seinen Vater wird er in sieben Jahren verlieren. In der Revolution, die aus den von den Umwälzungen unmittelbar Betroffenen mehr, Schlimmes, Entsetzliches, Heroisches, herausholen wird, als sie glaubten, dass in ihnen stecke, wird aus ihm ein berühmter und gefürchteter Staatsterrorist, der dem Wahn, eine Gesellschaft wie Knete in der Hand nach seinen Vorstellungen formen zu können, zum Opfer fällt. Für alle Intellektuellen, Philosophen und Dichter wurde Robespierre zum zeitgenössischen Prototypen einer selbstgerechten, illegitimen Souveränität, die sich nicht, wie der Adel, wie die Monarchie, auf Blut und Abstammung, sondern auf einen autonomen, gemeinschaftsfernen Geist und seine Prinzipien gründete. Hölderlin und Hegel werden intensiv über die gemeinschaftsstiftende Kraft der Religion nachdenken, nachdem sie dem Tübinger Stift und der dort herrschenden Theologie den Rücken gekehrt haben. Sie sind nicht die Einzigen, die sich darüber Gedanken machen, mit welchen geistigen Mitteln eine neue, tragfähige Einheit im Volk hergestellt werden kann. Bei all diesen Konzepten schimmern die Erfahrungen, die mit der Französischen Revolution gesammelt wurden, am Horizont auf und verschlingen sich mit den entsprechenden philosophischen Problemen, die um Fragen der Moral, der Trennung von Ich und Natur, der Geschichtsphilosophie kreisen.

Der spätere König Ludwig XVI. heiratete am 16. Mai 1770 mit fünfzehn Jahren Marie Antoinette, die ein Jahr jünger war. Er dachte nicht im Traum daran, dass mit ihm in Frankreich eine Epoche zu Ende gehen, dass er Zeuge und Opfer von verheerenden Ereignissen sein würde. Das Königspaar wird in etwas mehr als zwei Jahrzehnten geköpft, und die Revolutionäre, die sie auf das Schafott gebracht haben, klatschen Beifall. Aberhunderte Franzosen sind in den revolutionären Unruhen und Exzessen zu diesem Zeitpunkt schon gestorben, aber erst jetzt, da der König und die Königin auf die Guillotine steigen mussten, reagierte das Europa der Adeligen und der Adel des Geistes einhellig und laut mit Entsetzen und Abscheu. Ein König mochte ein Mensch sein, aber nicht jeder Mensch war ein König. So weit im demokratischen Selbstverständnis waren die Geister in Europa noch nicht gekommen.

Einig waren sich die Europäer, vor allem Spanier, Franzosen, Engländer, Portugiesen und auch Deutsche, immer darin gewesen, dass sie die Welt erkunden, vermessen, erobern und ausbeuten dürften. Die Vorbereitungen dazu trafen die Entdecker und die Wissenschaftler, die mit der Mannschaft an Bord gingen. James Cook war am 26. August 1768 in See gestochen, auf seine erste Reise in die Südsee. Im April 1769 landete er auf Tahiti, am 29. April 1770 betrat er Australien. In Nordamerika begannen Franzosen und Briten damit, den Indianern systematisch, mit Gewalt und juristischen Tricks, das Land wegzunehmen. Die christlichen Siedler, die für sich wirtschaftlich keine Zukunft in ihrer Heimat sahen, und ihre gierigen Regierungen gingen dabei so geschickt, brutal und effizient vor, dass den Indianern Jahrzehnte später von dem riesigen Land nicht mehr übrig blieb als einige Reservate, in denen sie zusammengedrängt leben sollten. Der Handelsgeist, der ohne expansive Rationalität nicht siegreich gewesen wäre, und die nie zu befriedigende Gewinnsucht erschufen sich ihre eigene Welt der reinen Kalkulation und praktischen Kriege.

Herkommen und Kindheit

Bei Hölderlins Vater, Heinrich Friedrich, Klosterhofmeister in Lauffen, stockte das Uhrwerk des Lebens eines Tages völlig überraschend. Er starb 1772 mit 36 Jahren an einem Schlaganfall. Mit seinem Tod zog die Trauer in das Haus ein. Doch die Mutter, so schwer der Verlust auf ihr lastete, gab nicht auf. Sie hatte keine andere Wahl, sie musste weitermachen, schon wegen der Kinder.

Die Familie des zukünftigen Dichters, der ein hohes Alter erreichen wird, ein Jahr mehr als zwei Mal 36 Jahre, zwei Hälften eines Lebens, gehörte zur angesehenen Schicht der württembergischen Ehrbarkeit. Das Haus, in dem sie lebten, war groß, im Wohnzimmer schmückte Stuck die Decke, Porträts in Ölfarbe von Vater und Mutter hingen an der Wand, und im Keller lagerte Wein. Sie besaßen Land und einige Tiere. Die Bedingungen für einen guten Anfang waren erfüllt, dass aus einem Kind etwas wurde, da Hunger, Armut und Sorgen es nicht zu Boden drückten.

Die Mutter stammte aus einer Pfarrersfamilie, eine Mitgift, die für ihren ältesten Sohn noch leidvolle Folgen haben würde. Der Vater hatte in Tübingen Jura studiert, wie schon der Großvater, der dem Sohn das Amt des Klosterhofmeisters übergab, als wäre es ein Unternehmen, das in der Hand der Familie bleiben sollte. Wäre der Vater länger am Leben geblieben, Hölderlin wäre ihm sicherlich in diesem Amt gefolgt und dann wäre aus ihm ein anderer geworden, er hätte Jura studiert, ein weltliches Fach, wie für eine gute Stellung im bürgerlichen Leben gemacht, und nicht Theologie, durch die er zu einem Diener ausgebildet werden sollte, zu einem Stein im Bau der im Land weithin sichtbaren und einflussreichen württembergischen Kirche.

Als der Vater starb, hinterließ er ein stattliches Erbe. Hölderlin hätte sich mit dem Anteil, der ihm im Alter von 25 Jahren zustand, eine gesicherte Existenz aufbauen können. Er hat sich aber das Geld von seiner Mutter nie auszahlen lassen.

Bereits Halbwaise, hat Hölderlin 1772, im Todesjahr seines Vaters, eine zweite Schwester bekommen, sie hieß Maria Eleonora Heinrike. Seine erste Schwester wurde 1771 geboren, sie hieß Johanna Christiana Friederica und war nach nur vier Jahren gestorben. Friedrich Hölderlin hat zwei weitere Vornamen erhalten, Johann und Christian. Auch Hegel hatte drei Vornamen.

Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes wird die junge Mutter wieder heiraten. Ihr neuer Mann, drei Monate jünger als sie, war Kammerrat Johann Friedrich Gok, dessen finanzielle Ausstattung bescheiden war. Er wird etwas aufsteigen und als Dritter Bürgermeister von Nürtingen das Ende einer kleinen Karriere erreicht haben. Die Stadt war ein großes Dorf mit 2 700 Einwohnern. In solch übersichtlichen Verhältnissen spielte die Gemeinschaft eine wichtige Rolle, jeder kannte in irgendeiner Form jeden, und sei es nur vom Sehen und Grüßen und vom Klatsch der anderen, und das Gefühl war da, eine Art öffentliches Leben zu führen, wo jeder wusste, wie es den anderen erging, ob sie fleißig und reich waren oder faul und arm, ob sie am Sonntag in die Kirche gingen oder krank im Bett liegen mussten. Der Pfarrer und das eigene Gewissen kontrollierten das innere Leben, die vielen Augen der kleinen Gemeinschaft das öffentliche. Dieser mal sanften, mal rigorosen Überwachung konnte ein Bewohner des Dorfes nur entkommen, wenn er in die Natur ging und sich dort seinen Eindrücken überließ, wenn er das Schwärmen lernte, mit dem sich die Pflichten und Ermahnungen für Augenblicke vergessen und vom Tisch wischen ließen.

Hölderlins Mutter zog mit den Kindern zu Gok nach Nürtingen. Bis dorthin waren es 13 Stunden Fußmarsch. Sie werden nicht gelaufen sein, sie sind mit einem Fuhrwerk gefahren, mit etwas, das rollte und von Tieren gezogen wurde. Das neue Paar hat sich dort ein großes Anwesen gekauft, den Schweizer Hof, mit dem Geld, das Hölderlins Mutter in die Ehe brachte.

Dem Stiefvater wurde im August eine Tochter geboren, die vier Monate später starb, und im Oktober 1776 ein Sohn geboren, Carl Christoph Friedrich Gok. Die Mutter war 28 Jahre alt. Sie wird eine entscheidende Rolle in der Familie gespielt haben, sie war Witwe, sie hatte zwei Kinder aus ihrer ersten Ehe, sie besaß mehr Geld als ihr neuer Mann und sie war etwas älter als er. Das waren gute Voraussetzungen, um darauf zu bestehen, wie etwas zu laufen hatte, um sich durchzusetzen. Der neue Ehemann soll ein von Herzen guter Mensch gewesen sein.

Hölderlin wurde im Jahr 1776 eingeschult. Die Mutter führte seinen Lebensplan. Es war ihr Kind, wer sollte ihr dazwischenreden und sie davon abhalten, aus dem Jungen das zu machen, was sie sich vorgenommen hatte, was sie für angemessen und sinnvoll hielt. Die Familie, aus der sie kam, die pietistische Tradition, in der sie aufgewachsen war, spielten bei ihren Plänen für den Sohn eine entscheidende Rolle, und sie konnte davon ausgehen, dass ihre Familie im Hintergrund bereitstand, ihr zu helfen, wenn sie Hilfe benötigte. Kontinuität im Sinne der Familientradition war wichtiger als Wandel, Brüche, die nur eine Individualität, eigensinnige Wünsche pflegen würden.

Der Junge war folgsam und besuchte die Lateinschule in Nürtingen, er erhielt auch Privatunterricht, der ihn besser auf das Landexamen vorbereiten sollte, das er bestehen musste, damit er von einer der Klosterschulen aufgenommen wurde. Er hat von Anfang an viel lernen müssen, Dinge, die in seinen Augen sehr wenig Sinn machten, wie lateinische Vokabeln und lateinische Grammatik. Lernen hieß, sich in einem fernen und fremden Land zu bewegen, wohin täglich und aus eigenem Antrieb aufzubrechen keinem der Kinder, die hier in der Schule zusammensaßen und büffelten, eingefallen wäre. Die Welt der Erwachsenen, Unterricht, Gottesdienst, Ordnung, Pflichten, beten, lernen, aufräumen, gehorchen, war wie trockenes Brot. Später hat er von den Tagen seiner Kindheit, die er in der Natur, fern der Menschen, verbringen durfte, geschwärmt wie von einem Paradies, aus dem er mit dem Sündenfall der Schule und mit der Erziehung zum toten Wissen und zum bürgerlichen Leben vertrieben wurde.

Da ich ein Knabe war,

Rettet’ ein Gott mich oft

Vom Geschrei und der Ruthe der Menschen,

Da spielt’ ich sicher und gut

Mit den Blumen des Hains,

Und die Lüftchen des Himmels

Spielten mit mir.

Und wie du das Herz

Der Pflanzen erfreust,

Wenn sie entgegen dir

Die zarten Arme streken,

So hast du mein Herz erfreut,

Vater Helios! und, wie Endymion,

War ich dein Liebling,

Heilige Luna!

O all ihr treuen

Freundlichen Götter!

Daß ihr wüßtet,

Wie euch meine Seele geliebt!

Zwar damals rieff ich noch nicht

Euch mit Nahmen, auch ihr

Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen,

Als kennten sie sich.

Doch kannt’ ich euch besser,

Als ich je die Menschen gekannt,

Ich verstand die Stille des Aethers,

Der Menschen Worte verstand ich nie.

Mich erzog der Wohllaut

Des säuselnden Hains

Und lieben lernt’ ich

Unter den Blumen.

Im Arme der Götter wuchs ich groß.