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Michael North

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Beschreibung

Michael North bietet einen eindrucksvollen Überblick über mehr als 3000 Jahre Weltgeschichte der Meere. Er schildert die Auseinandersetzung des Menschen mit den Herausforderungen und Gefahren der Ozeane und zeigt die Möglichkeiten, die sie uns eröffnen. Güter zu transportieren und damit reich zu werden oder existenzielle Nöte zu erfahren und alles zu verlieren, neue militärische Optionen zu nutzen und seine Macht über Kontinente auszudehnen – das alles war und ist bis heute mit der Beherrschung der Seefahrt, der Kunst des Schiffsbaus, der Nautik und der Herrschaft über die Seewege verbunden. Nicht zuletzt aber bildet das Meer gleichsam den Naturraum der Globalisierung, wie uns tagtäglich angesichts der Flüchtlingsströme ebenso bewusst wird wie angesichts der skrupellosen Zerstörung dieses einzigartigen Lebensraums –Prozesse, vor denen niemand die Augen verschließen kann. Über diese und viele weitere Themen informiert die neue Weltgeschichte der Meere.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Michael North

Zwischen Hafen und Horizont

Weltgeschichte der Meere

C.H.Beck

Zum Buch

Dieses Buch bietet einen eindrucksvollen Überblick über mehr als 3000 Jahre Weltgeschichte der Meere. Michael North schildert darin die Auseinandersetzung des Menschen mit den Herausforderungen und Gefahren der Ozeane und erhellt die Möglichkeiten, die sie uns eröffnen. Güter zu transportieren und damit reich zu werden oder existenzielle Nöte zu erfahren und alles zu verlieren, neue militärische Optionen zu nutzen und seine Macht über Kontinente auszudehnen – das alles war und ist bis heute mit der Beherrschung der Seefahrt, der Kunst des Schiffsbaus, der Nautik und der Herrschaft über die Seewege verbunden. Nicht zuletzt aber bildet das Meer gleichsam den Naturraum der Globalisierung, wie uns tagtäglich angesichts der Flüchtlingsströme ebenso bewusst wird wie angesichts der skrupellosen Zerstörung dieses einzigartigen Lebensraums – Prozesse, vor denen niemand die Augen verschließen kann! Über diese und viele weitere Themen informiert die neue Weltgeschichte der Meere.

Über den Autor

Michael North ist Professor für Allgemeine Geschichte der Neuzeit an der Universität Greifswald. Im Verlag C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Geschichte der Niederlande (42013); Geschichte der Ostsee. Handel und Kulturen (2011); Kleine Geschichte des Geldes. Vom Mittelalter bis heute (2009); Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick (Hg., 22005).

Inhalt

Einleitung

I.: Entdeckung des Meeres

1. Die Anfänge: Phönizier und Griechen

2. Thalassokratien: Athen, Alexandria, Karthago und Rom

3. Weizen, Wein und Edelsteine

4. Handbücher und Reiseberichte

5. Desintegration oder Reintegration?

II.: Nordsee – Ostsee – Schwarzes Meer

1. Die Wikinger

2. Handelsrouten

3. Schwerter, Schmuck und Runensteine

III.: Rotes Meer – Arabische See – Südchinesisches Meer

1. Die Voraussetzungen: Winde, Schiffe und Navigation

2. Von Ibn Battuta zu Marco Polo: Kaufleute und Häfen

3. Maritime Seidenstraße

IV.: Mittelmeer

1. Der Aufstieg der Seerepubliken

2. Die neue Handelsmacht in der Levante

3. Ein sicheres, aber teures Transportmittel: Die Galeeren

4. Handelsplätze und Netzwerke

5. Die Piraten: Raub und Lösegeldgeschäfte

V.: Nord- und Ostsee

1. Ein mächtiges Städtebündnis: Die Hanse

2. Metropolen an der Nordsee: Brügge, Antwerpen und Amsterdam

3. «Die Niederländer sind die Fuhrleute der Welt»

4. Bauern, Tuchmacher, Unternehmer und Künstler:Die Niederlandisierung des Ostseeraums

VI.: Indischer Ozean

1. Ein harter Konkurrenzkampf:Portugiesen, Niederländer und Engländer

2. Silber gegen Baumwollstoffe

3. Kaufmannsdynastien und das Leben auf See

4. Europa trifft Asien

VII.: Atlantik

1. Auf dem Weg in die Neue Welt

2. Die Rivalität zwischen Spaniern und Portugiesen

3. Zucker, Sklaven und Pelze:Niederländer, Engländer und Franzosen

4. Afrikaner und indigene Amerikaner

5. Matrosen, Bukaniere und Pastoren

6. Die Wahrnehmung des Atlantiks

VIII.: Pazifik

1. Entdeckung und Begegnung

2. Sandelholz, Seegurken und Seeotter

3. Zwischen Kanton und Kalifornien

4. Missionare und Forscher

IX.: Globalisierung der Meere

1. Vom Segel- zum Dampfschiff

2. Die Kommunikationsrevolution

3. Auswanderung und Ausbeutung

4. Schoner und Schleppnetz

5. Der Kampf um die Seeherrschaft

6. Die Neuentdeckung des Meeres

X.: Gefahren und Gefährdung

1. Pearl Harbor und Bikini

2. Flucht und Migration

3. Tanker und Tonnage

4. Kreuzfahrten und Bettenburgen

5. Ausbeutung und Zerstörung

6. Eutrophierung und Verschmutzung

7. Überfischung

Fazit

Nachwort

Anmerkungen

Einleitung

1. Entdeckung des Meeres

II. Nordsee – Ostsee – Schwarzes Meer

III. Rotes Meer – Arabische See – Südchinesisches Meer

IV. Mittelmeer

V. Nord- und Ostsee

VI. Indischer Ozean

VII. Atlantik

VIII. Pazifik

IX. Globalisierung der Meere

X. Gefahren und Gefährdung

Auswahlbibliographie

Bildnachweis

Register

Für Christopher

Einleitung

«Where are your monuments, your battles, martyrs?

Where is your tribal memory? Sirs,

in that grey vault. The sea. The sea

has locked them up. The sea is History.»[1]

Derek Walcott

In seinem Gedicht The Sea is History stellt der karibische Poet Derek Walcott das Meer in den Mittelpunkt der Geschichte. Das Meer birgt und verwahrt Erinnerungen, die wie die Seeleute, Sklaven, Fischer und Reichtümer auf seinem Grund liegen, bis die Menschen sie wieder ans Licht holen. Es ist das Anliegen des Historikers, diese Erinnerungen wiederzubeleben. Das Meer stellt also gleichermaßen Aufgabe und Herausforderung für den Historiker dar.[2]

Drei Viertel der Erdoberfläche sind von Wasser oder Meeren bedeckt. Daher liegt die Bezeichnung Wasser- oder Meerkugel näher als Erdkugel.[3] Viele Disziplinen – gerade historische – haben das Meer neu entdeckt: Die Wissenschaftshistoriker beschäftigen sich beispielsweise mit der Wissenschaft der Navigation, das heißt dem langen Weg zur Bestimmung der Längen- und Breitengrade.[4] Literaturwissenschaftler erörtern die Konzeption und Repräsentation des Meeres.[5] Sozialhistoriker nehmen die Hafenarbeiter, die Seeleute und die Piraten in den Blick,[6] während sich Wirtschaftshistoriker dem globalen Handel und der Schifffahrt zuwenden. Schließlich befasst sich die Umweltgeschichte mit den Meeren, den Tsunamis, den ökologischen Veränderungen wie Verschmutzung und Erwärmung. Angesichts des vermehrten Interesses an der Globalgeschichte sind die Meere und Ozeane ein Thema und es entsteht eine neue historische Meereswissenschaft (new thalassology).[7]

Damit erscheinen die von Kunst, Literatur und Philosophie vermittelten Vorstellungen vom Meer in einem anderen Licht. Hier dominiert in der westlich-europäischen Perspektive noch immer das Bild unwillkommener Wildheit, des Schreckens und des Irrationalen,[8] während das Meer in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel in den insularen Gesellschaften des Pazifiks oder Südostasiens, als vertrautes Element wahrgenommen wird.[9]

Das Meer fordert den Menschen in vielfältiger Weise heraus. Die Gewalt des Wassers verlangt Anpassung und Reflexion derjenigen, die vom Meer leben, und von denen, die von seiner Natur betroffen sind. Leben am Meer, Leben vom Meer und Leben mit dem Meer generiert eine Fülle von Vorstellungen und Praktiken, deren Untersuchung zu einer veränderten Sichtweise auf die Beziehung zwischen Meer und Land führen könnte.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das vorliegende Buch mit den verschiedenen Rollen des Meeres in der Geschichte.[10] Wir denken dabei in erster Linie an den Austausch von materiellen und immateriellen Gütern über das Meer sowie an die Migration von Personengruppen. Hier verbanden die Meere zur selben Zeit wie sie trennten; und die Menschen, die nicht die Meere überquerten, waren von den Folgen des Kontaktes betroffen. Ebenso prägte die Auseinandersetzung mit dem Meer die menschlichen Gesellschaften. Von alters her bot es dem Menschen Ressourcen für den Lebensunterhalt, unabhängig davon, ob diese auf dem Meeresgrund lagen, im Wasser schwammen oder sich in Gestalt von Schiffen auf dem Meer bewegten. Daher versuchten Staaten, sich die Meere anzueignen, indem sie die Reichtümer und Passagen für sich beanspruchten, aber gleichzeitig für deren Sicherheit sorgten.

Entsprechend schreiben Menschen und Gesellschaften dem Meer unterschiedliche Rollen zu: als Lebensgrundlage, als Transportmedium, als Kriegsschauplatz, als Sehnsuchts- und Erinnerungsort.[11] Wie die Meere in Gesellschaft und Kunst wahrgenommen, imaginiert und konstruiert werden, ist ebenfalls Thema dieses Buches.

Bei der Erforschung der Meere wirkt noch immer die Vision Fernand Braudels, der in seinem Werk La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II[12] erstmals eine Meeresregion in ihren naturräumlichen Bedingungen über die Jahrhunderte als Einheit darstellte, in der der Mensch dem Schicksal der Natur ausgeliefert war. Inspiriert durch Braudel haben verschiedene Historiker andere Meere nach dem Modell des Mittelmeeres konstruiert,[13] aber allmählich festgestellt, dass es nicht möglich und nicht sinnvoll ist, entsprechende Paradigmen auf den Atlantik[14] oder den Pazifik anzuwenden.[15] Darüber hinaus lässt eine Sichtweise, die ein Meer als geschlossenes System versteht, die Verbindungen auf globaler wie auf regionaler Ebene außer Acht. Die Netzwerke, die sich auf einem der Meere ausbilden, haben immer auch zur Anbindung an andere Meere geführt. Damit ergeben sich neue Perspektiven der globalen Geschichte.

Ich folge hier John Parry, der in seinem Buch The Discovery of the Sea bereits 1974 bemerkte: «Alle Meere der Welt sind ein Einziges. Denn sie sind alle miteinander verbunden. Alle Meere, abgesehen von den Eismeeren, sind schiffbar.»[16] Auch das hat sich inzwischen durch die Erwärmung der Erde geändert, die es ermöglicht, die Eismeere in Richtung Osten oder Westen zu durchfahren.

Wenn man eine Geschichte der Weltmeere schreibt, geht es wie bei der Globalgeschichte um Verbindungen und Vergleiche.[17] Dabei stehen die Menschen, die diese Verbindungen herstellten, im Mittelpunkt ebenso wie die Güter und Ideen, die von einer Welt in die andere Welt verschifft wurden. Der Vorteil einer solchen anderen Perspektive liegt darin, dass wir das Meer nicht länger aus dem nationalen Blickwinkel seiner Anrainer betrachten, sondern die Konnektivität der Meere in den Blick nehmen.

I.

Entdeckung des Meeres

«Sechs Tage speisten darauf die mir geschätzten Gefährten, nachdem sie sich von den Rindern des Sonnengottes die besten herbeigetrieben hatten. Doch als nun Zeus, der Sohn des Kronos, den siebenten Tag heraufgeführt, da legte sich alsdann der Wind, der im Sturme wütende, und wir stiegen alsbald auf das Schiff und fuhren auf die weite See, nachdem wir den Mastbaum aufgestellt und die weißen Segel aufgezogen. Doch als wir die Insel verlassen hatten, und da war kein anderes sichtbar von den Erdenländern, sondern nur Himmel und Meer, da stellte eine schwarzblaue Wolke Kronion über das gewölbte Schiff, und es verfinsterte sich unter ihr das Meer. Doch das lief nicht für gar lange Zeit dahin, denn es kam mit eins sausend der West, mit einem großen Sturmwind wütend, und der Wirbel des Windes zerriß die Vordertaue am Mastbaum beide, und der Mastbaum fiel nach hinten über, und das Takelwerk ergoß sich alles hinunter in das Bodenwasser. Der aber schlug am Heck des Schiffs dem Steuermann auf das Haupt und schmetterte das Gebein des Hauptes zusammen alles miteinander, und er, einem Taucher gleichend, stürzte von dem Verdeck herab, und seine Gebeine verließ der mannhafte Lebensmut. Zeus aber donnerte zugleich und warf in das Schiff hinein den Blitz. Das wurde ganz herumgewirbelt, geschlagen von dem Blitz des Zeus, und es war voll von Schwefeldampf. Da fielen die Gefährten aus dem Schiffe und, Wasserkrähen gleichend, wurden sie rings um das schwarze Schiff getragen von den Wogen, und es raubte ihnen ein Gott die Heimkehr.»[1]

Homer

Homer und seinem Protagonisten Odysseus verdankt die Weltliteratur die früheste Wahrnehmung des Meeres und der Gefahren der Seefahrt. Entdeckt wurde dieses Meer, das Mittelmeer, jedoch einige Jahrtausende zuvor (9. bis 8. Jahrtausend v. Chr.), als Jäger, Sammler und Bauern von Kleinasien aus die Inseln Zypern und Kreta besiedelten.

Von hier aus gelangten die Bauern auch auf das griechische Festland, insbesondere nach Thessalien. Jedoch bleiben die Anhaltspunkte für einen intensiven maritimen Handel begrenzt, wenn man einmal von Obsidianwerkzeugen von der Insel Melos und den als Schmuck populären Muscheln absieht.[2]

1. Die Anfänge: Phönizier und Griechen

Eine Intensivierung des Austausches ist im zweiten vorchristlichen Jahrtausend zu konstatieren, als zwischen den Küsten und den Inseln des (östlichen) Mittelmeeres Menschen freiwillig oder als Gefangene reisten und Waren hin und her bewegt wurden. Herrschaftszentren wie Avaris, das «Venedig am Nil», Ugarit im heutigen Syrien und Knossos auf Kreta kurbelten den Handel über weite Strecken an. So hatte das 1982 entdeckte bronzezeitliche Schiff von Uluburun neben Kupfer und Zinn, Glas aus Ägypten und zahlreichen Preziosen auch Bernstein von der Ostsee an Bord, an dessen magische Wirkung man im Mittelmeer glaubte.[3]

In der Vermittlung eine wichtige Rolle spielten die Bewohner der Kykladen, die mit geruderten Kanus den Kontakt zu anderen Inseln und den Festlandküsten herstellten. Eine Innovation war die Einführung eines – uns von Siegeln her bekannten – Segelschiffes mit tiefer liegendem Kiel, das schneller über größere Entfernungen bewegt werden und mehr Ladung transportieren konnte. Wie ein solches Schiff in See stach, beschreibt Homer in der Odyssee:

«Und Telemachos trieb die Gefährten und hieß sie das Gerät ergreifen. Und sie hörten auf ihn, wie er sie antrieb, und hoben den Mast aus Fichtenholz empor und stellten ihn in die Höhlung des Mittelbalkens und banden ihn mit den Haltetauen unten fest, und zogen die weißen Segel auf an gutgedrehten Lederriemen. Und es fiel der Wind voll mitten in das Segel, und die Woge brauste gewaltig, die purpurne, um den Bug des Schiffes, wie es fuhr. Und es lief über das Gewoge hin, seinen Pfad durchmessend.»[4]

Abb. 1: Schiffsdarstellung am Westhaus von Akrotiri auf Thera (Kykladen), Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr.

Lange Zeit stimulierten die neuen Schiffe Seefahrt und Handel ebenso wie die Anlage von Häfen. Im Zentrum dieser Aktivitäten sollte im zweiten vorchristlichen Jahrtausend zunächst das – nach seinem sagenhaften König sogenannte – minoische Kreta stehen, das günstig zwischen der Ägäis, Anatolien und Ägypten gelegen war. An seinen Küsten entstanden Palastsiedlungen wie Knossos, Malia und Phaistos, die aber um 1700 v. Chr. durch ein Erdbeben zerstört wurden. Man baute Knossos wieder auf und gründete zahlreiche neue Hafenstädte. Das archäologisch nachweisbare Warensortiment umfasst Kupfer aus dem heutigen Südrussland, Lapislazuli aus Zentralasien, Silber aus Attika sowie Gold und Elfenbein aus Ägypten. Die Güter wurden auf den traditionellen Routen nach Anatolien oder nach Ägypten und dann nach Kreta verschifft. Im Austausch lieferte Kreta Wollstoffe, Wein, Olivenöl, ätherische Öle sowie Heilkräuter und Holz, die die Ägypter nachfragten.

Eine Schnittstelle zwischen dem westlichen und dem östlichen Mittelmeer bildete die Palaststadt Mykene auf der Peloponnes. Von hier aus hatte man leichten Zugang zum Golf von Argos und nach Kreta; ebenso konnte die Adria über den Golf von Korinth sowie die Ägäis über den Saronischen Golf erreicht werden. Entsprechend finden wir mykenische Keramik sowohl im Westen wie im Osten. Neben der bemalten Keramik exportierten die Mykener Waffen und importierten dafür Kupfer und Zinn, die Bestandteile des Waffenrohstoffs Bronze. Das Kupfer kam aus Attika, Zinn wurde von der Iberischen Halbinsel auf einer mykenischen Flotte transportiert.[5]

Mit Mykene werden auch die Helden von Ilias und Odyssee verbunden, die sich rühmen konnten, die damalige bekannte Welt bereist zu haben. So brüstet sich Menelaos nach der Rückkehr von der siegreichen Belagerung Trojas:

«Freilich, viel habe ich gelitten, und viel bin ich umhergeirrt, […] und bin im achten Jahr gekommen, nachdem ich nach Kypros und Phoinike und zu den Ägyptern umhergeirrt bin, und bin zu den Aithiopen hingelangt und den Sidoniern und Erembern und nach Libyen […].»[6]

Den Griechen als Seevolk voran gingen historisch aber die Phönizier (griech. Phoinikes), die von Homer wegen ihres Geschäftssinnes verachtet wurden. Sie erhielten ihren Namen von dem Purpur, den man aus der an der Küste des östlichen Mittelmeeres vorkommenden Purpurschnecke gewann und mit dem sie handelten. Phönizien, das in seiner Ausdehnung etwa dem heutigen Libanon entsprach, besaß eine Reihe von Handelszentren, beispielsweise Ugarit im Norden (zerstört um 1190 v. Chr.), Byblos und Sidon. Neben dem Purpur wurden die einheimischen Zedern nachgefragt, die vor allem die Ägypter für den Schiffbau benötigten. So wird etwa in einem in Moskau aufbewahrten Papyrus von der Reise des Priesters Wenamun berichtet, der von dem Tempel des Amun in Theben (Oberägypten) um das Jahr 1075 v. Chr. auf die Reise geschickt wurde, um Zedernholz für das Schiff des Gottes Amun zu beschaffen.

Seine Erzählung und andere ägyptische Quellen geben Aufschluss über den Handel in Byblos sowie über die Waren, mit denen das Zedernholz aufgewogen wurde: goldene und silberne Gefäße, Kleidung aus Leinen, Papyrusrollen, Kuhhäute, Seile, Linsen und Fisch. Von Tyros aus, einem anderen phönizischen Zentrum, wurde Zypern kolonisiert, das insbesondere wegen seiner Kupfervorkommen interessant war. Weitere Handelsstützpunkte der Phönizier folgten auf Sizilien, Sardinien und in Nordafrika, wo sich Karthago als neues Zentrum entwickeln sollte.[7]

Um 800 v. Chr. drangen die Phönizier durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik vor und gründeten eine Niederlassung in Gadir (Cádiz) auf einer Insel an der Atlantikküste. Von dort aus breiteten sich phönizische Siedlungen in östlicher Richtung entlang der Küste aus, wobei neben dem Handel Landwirtschaft und Fischerei die Lebensgrundlage der Phönizier bildeten. Zeitweilig konkurrierten sie mit den Etruskern, die von ihrem Zentrum in Mittelitalien aus Wein in das heutige Südfrankreich verschifften.

Südlich der Straße von Gibraltar siedelten die Phönizier an der westafrikanischen Küste, wo Elfenbein, Straußeneier, exotische Tiere und Sklaven lockten. Diese Handelsplätze wurden später in das karthagische Netzwerk einbezogen.[8]

Dokumentiert ist die phönizische Präsenz durch Heiligtümer und kulturelle Gemeinsamkeiten. Verehrt wurde Melkart, der Hauptgott von Tyros, der die Schifffahrt und die Niederlassungen in der Fremde beschützte. So errichteten die Phönizier in der Mittelmeerwelt und in Gadir ebenso wie auf Zypern Melkartheiligtümer. Auch in den Gräbern einheimischer Iberer finden sich phönizische Figurinen, was auf das Vordringen ähnlicher Praktiken oder Glaubensvorstellungen unter den lokalen Eliten schließen lässt.[9] Für eine Beeinflussung der Lebensweise sprechen zudem die geschmückten, metallenen Trinkgefäße, die in verschiedenen «phönizischen» Werkstätten, sei es auf Kreta, in Anatolien oder Iberien, hergestellt wurden.[10]

Daneben vermittelten die Phönizier die Kontakte der «frühen Griechen» zur mediterranen Welt, was sich in den Grabbeigaben niederschlug. Auch das Alphabet, ohne das die Verschriftlichung der alten Erzählungen und Gesänge durch Homer nicht möglich gewesen wäre, wurde von den Phöniziern entwickelt und von den Griechen adaptiert.[11]

Nahezu gleichzeitig, um die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr., begannen die Griechen in die westliche Mittelmeerwelt vorzudringen. Dieser Kolonisation haben viele Städte wie Ampurias (Emporion), Marseille (Massalia), Nizza (Nikaia), Antibes (Antipolis), Neapel (Neapolis), Reggio (Rhegion), Syrakus (Syrakusai), Taormina (Tauromenion) und Palermo (Panormos) ihren griechischen Namen zu verdanken.

Karte 1: Griechische Auswanderung

Vor allem Sizilien und Süditalien wurden in unvergleichlicher Dichte besiedelt und daher als Großgriechenland (Magna Graecia) bezeichnet. Politische Institutionen brachten die Einwanderer ebenso mit wie ihre Götter und die jeweiligen Kulte. Eine der ersten und darüber hinaus archäologisch sehr gut erschlossenen Siedlungen ist Pithekussai auf Ischia, wo Eisenerzvorkommen lockten. Um 700 v. Chr. zählte der Ort 4000 Einwohner, die aus Etrurien, Sardinien, Phönizien, Nordafrika und dem griechischen Mutterland stammten.[12]

Schließlich trieb es die Griechen auf der Suche nach Metallen auch an die Südküste des Schwarzen Meeres. Vermutlich erreichten sie bald die großen Flüsse der eurasischen Steppe. In der Schwarzmeerregion lockten Fisch und Schiffbauholz und darüber hinaus die geringere Bevölkerungsdichte.

Mit der Fahrt in das Schwarze Meer überquerte man eine mentale Grenze, hinter der die Amazonen und der Hades nicht weit waren. Auf der Krim lebten die Taurer, die Iphigenie der Artemis geopfert hatten, und im Osten am Kaukasus lag Prometheus am Felsen angekettet, bis er von Herakles gerettet wurde. Dabei waren es vor allem die Stadtstaaten an der ionischen Küste, die, wie Milet, vom Handel (Getreide, Metalle, Fisch) mit dem Raum um das Schwarze Meer profitierten und die Durchfahrt durch Dardanellen und Bosporus kontrollierten. Die Kolonien Sinope an der Südküste, Dioskurias in der Nähe des heutigen Suchumi am Fuße des Kaukasus, Pantikapaion (heutiges Kertsch) am Eingang des Asowschen Meeres und Olbia an der Mündung des Bug eröffneten den Handel mit dem Hinterland. Im 5. Jahrhundert v. Chr. breiteten sich griechische Siedlungen laut Sokrates wie «Ameisen oder Frösche um einen Teich» aus, Segelschiffe fuhren entlang der Küste und Kanus auf den Flüssen. Dabei nahmen die Schwarzmeerkolonien einen wichtigen Platz in der griechischen Ökonomie ein. Bei gutem Wind konnte ein Schiff vom Asowschen Meer bis zur Insel Rhodos in der Ägäis in neun Tagen segeln und die ionischen Städte sowie das griechische Festland mit dem lebensnotwendigen Getreide versorgen – wenn nicht Sparta die Dardanellen blockierte. Fisch war ebenfalls reichlich vorhanden und wurde mit dem lokal gewonnenen Salz konserviert. Im Rom des 1. Jahrhunderts v. Chr. galt gesalzener Fisch vom Schwarzen Meer als Delikatesse. Daneben schätzte man exotische Tiere wie den Fasan, der von dort nach Griechenland und Italien gebracht und gezüchtet wurde.[13]

2. Thalassokratien: Athen, Alexandria, Karthago und Rom

Thalassokratia bedeutet im Griechischen Seeherrschaft. Hierunter versteht man nicht nur die «einfache» Seemacht, sondern die Errichtung eines Reiches, das über die See verstreute Gebiete mit Hilfe der Seefahrt zusammenfügt und damit einen bestimmten Herrschaftsraum schafft. Obwohl Thukydides das Wort nicht gebrauchte, dachte er an den legendären König Minos und sein von Kreta aus regiertes Reich, wohin nach der Legende die Athener regelmäßig als Tribut sieben Jungen und Mädchen schicken mussten, die dem Minotaurus zum Fraß vorgeworfen wurden. Eine Thalassokratie im nichtliterarischen Sinne war natürlich das aus den Perserkriegen aufgestiegene Athen, wo maritime und terrestrische Interessen miteinander Hand in Hand gingen. So weiteten die Athener ihren Landbesitz im 5. Jahrhundert v. Chr. aus, als sie Land in Euboia besetzten und dieses zur Nahrungsmittelversorgung nutzten. Darüber hinaus gab die Herrschaft über die ägäischen Inseln Athener Bürgern und Amtsträgern die Möglichkeit, als Verwaltungsfachleute Karriere zu machen oder zusätzlichen Landbesitz zu erwerben. Im Laufe der Zeit versuchten die Athener sogar vergeblich, sich Syrakus in Sizilien einzuverleiben.[14]

Das athenische Bündnissystem, der sogenannte Attische Seebund, weist gleichfalls auf die starke Bedeutung der Organisation von Politik und Kriegsführung über das Meer hin. Der Seebund war eine Folge der Perserkriege, die mit der Besetzung des Königreiches Lydien in Kleinasien begannen. Bei diesem Unternehmen konnte sich die persische Flotte für ihre Operationen im Mittelmeer auf phönizische Seeleute und Schiffe stützen. Als die ionischen Städte sich erhoben, kam es erneut zu einer persischen Invasion. Der Aufstand wurde rasch niedergeschlagen und endete mit der Einäscherung Milets (493 v. Chr.). Strafexpeditionen auf das griechische Festland folgten, aber eine Landungsexpedition der persischen Flotte sowie eines kleinen Heeres in Marathon wurden überraschenderweise zurückgeschlagen. Der nächste Einmarsch persischer Truppen im Jahre 480 v. Chr. konnte bei den Thermopylen nur für kurze Zeit aufgehalten werden. Jetzt zeitigte aber die von dem Politiker Themistokles propagierte Aufrüstung der Seestreitkräfte erste Erfolge. Die Athener siegten bei Salamis über die persische Flotte und ein weiteres Mal 479 v. Chr. bei Mykale. Es waren die Athener Kriegsschiffe, die den Ausschlag dafür gaben, dass sich die Perser für längere Zeit zurückzogen.

Athen beanspruchte den Ruhm für sich und gründete den Attischen Seebund als Verteidigungsbündnis, um die griechischen Städte und Inseln in der Ägäis dauerhaft zu schützen. Die Bundesgenossen zahlten einen festen Beitrag – die Ruderer mussten ja schließlich entlohnt werden – und beteiligten sich außerdem direkt mit Kriegsschiffen und Seeleuten an der gemeinsamen Flotte. Waren kleinere Inseln und Städte dazu nicht in der Lage, konnten sie dies mit Geldzahlungen kompensieren. Athen hatte die Führungsrolle inne und nutzte diese dazu, die Bundesgenossen zu disziplinieren und ein Seereich aufzubauen. Ein wesentlicher Punkt dabei war die ökonomische Vereinheitlichung. Diese wurde erreicht, indem man etwa Münzen, Maße und Gewichte nach dem attischen Münzfuß standardisierte. So entstand ein in sich geschlossener Wirtschaftsraum, dem sich aber immer wieder einige Städte bzw. Inseln zu entziehen versuchten. Als die Insel Thasos vom Bund abfiel, wurde sie durch eine Seeblockade 465–463 v. Chr. wieder zur Raison gebracht.

Die athenische Seeherrschaft konnte auch noch während des Peloponnesischen Krieges aufrechterhalten werden, obwohl die Athener ihren Hauptgegnern, den Spartanern, zu Lande unterlegen waren. Neutrale Inseln wie Melos wurden dabei in den Krieg gezogen und von Athen zwangsweise in den Bund integriert. Nach der Athener Niederlage gegen die von Lysander geführte spartanische Flotte bei Aigospotamoi in den Dardanellen folgte auf die athenische Thalassokratie die spartanische.[15] Im Jahre 377 v. Chr. unternahm Athen einen erneuten Versuch, mit Hilfe eines Seebundes seine Seeherrschaft wiederherzustellen. Man gab sich gegenüber den Bundesgenossen zwar partnerschaftlicher, konnte jedoch den Austritt zahlreicher Städte nicht verhindern.[16]

Inzwischen hatte sich die politische und ökonomische Landkarte im östlichen Mittelmeer durch den Aufstieg Makedoniens nachhaltig verändert. Die makedonische Expansion unter König Philipp II. und seinem Sohn Alexander machte am Schwarzen Meer nicht Halt, sondern zielte auf die Eroberung des Perserreiches und führte bis an die Küsten des Indischen Ozeans. Als Alexander auf dem Landweg am Indus angelangt war, ließ er eine Flotte bauen, die einen Teil der Truppen unter der Führung seines Vertrauten Nearchos den Indus hinab und dann über die Arabische See, den Persischen Golf und den Tigris hinauf brachte.

Nach dem Tod Alexanders 323 v. Chr. zerfiel seine Herrschaft in Teilreiche, wie das der Seleukiden in Persien und der Ptolemäer in Ägypten. Alexanders Vertrauter Ptolemaios hatte Ägypten zu einem selbständigen Staatswesen gemacht. Die herrschende Schicht war griechisch, das Heer makedonisch. Als für alle Ethnien attraktiv erwies sich die griechische Kultur in der hellenistischen Ausprägung, welche die Einwohner Ägyptens, Syriens, Karthagos, Etruriens oder der Iberischen Halbinsel ebenso anzog wie die jüdische Bevölkerung. So symbolisiert der als «Siebtes Weltwunder» gerühmte Pharos von Alexandria gleichsam die Rolle der Ptolemäerstadt als «Leuchtturm der mediterranen Kultur».[17]

Die Basis für Alexandrias ökonomische und kulturelle Vormachtstellung war der Handel im Mittelmeer, wobei Karthago im Westen und Rhodos im Osten wichtige Handelspartner darstellten. Rhodos, dessen Hafen mit dem Koloss ein weiteres Weltwunder aufwies, hatte nach dem Niedergang Athens die Chance genutzt, sich als Schifffahrtszentrum zu etablieren. Schiffe von Rhodos brachten Getreide aus Ägypten in den Norden und lieferten umgekehrt Wein, was aus den unzähligen Amphorenfunden in Alexandria, in der Ägäis und dem Schwarzen Meer bis hin nach Karthago und Sizilien hervorgeht.[18]

Zusätzlich legte Ptolemaios II. nach 275 v. Chr. einen weiteren Hafen an der Westküste des Roten Meeres an, den er nach seiner Mutter Berenike nannte. Über Berenike sollten in erster Linie afrikanische Kriegselefanten nach Ägypten gebracht werden, nachdem das Seleukidenreich die Lieferung indischer Kriegselefanten blockiert hatte.[19]

Die Regionalmacht im westlichen Mittelmeer war Karthago, das das Erbe der Phönizier weiterentwickelt, Niederlassungen in Sizilien gegründet und unter seinen Schutz gestellt hatte. Das lateinische «punisch», mit dem die Römer ihre Rivalen südlich des Meeres bezeichneten, bedeutet so viel wie «phönizisch». Als Karthago jedoch versuchte, eine Thalassokratie zu etablieren und Sizilien zu erobern, prallten die Interessen der nordafrikanischen Stadt auf die griechische und später römische Einflusssphäre. Syrakus und Karthago einigten sich schließlich auf die alte Aufteilung Siziliens, wobei der Westen von Karthago, der Osten von Syrakus kontrolliert wurde. Roms Interessen lagen dagegen zunächst in Etrurien, dessen Städte es in seine römische Einflusssphäre integrierte.

In den Blickwinkel Roms gelangte der Süden Italiens erst durch die Invasion des Königs Pyrrhos I., der sich von der griechischen Stadt Tarent gegen Rom zu Hilfe rufen ließ und Süditalien und Sizilien trotz verlustreicher Siege (sogenannte Pyrrhussiege) unter seine Kontrolle brachte. Obwohl sich Rom und Karthago zeitweise gegen Pyrrhos verbündeten, standen sie sich nur kurze Zeit später wieder auf dem Kriegsschauplatz in Sizilien gegenüber. Hieraus entstand der Erste Punische Krieg (264–241 v. Chr.), in dem die mit den griechischen Städten verbündeten Römer nicht nur zu Lande vorgingen, sondern auch auf dem Meer gegen die karthagischen Schiffe, die sie unter Verzicht auf die griechische Rammtaktik mit den berühmten Enterhaken kaperten. Im Friedensvertrag (241 v. Chr.) verpflichtete sich Karthago zur Zahlung einer Kriegsentschädigung und zur Räumung Siziliens, das 227 v. Chr. römische Provinz wurde. Auch Sardinien und Korsika wurden römisch, so dass Karthago sich in der Folge weiter westlich engagieren musste.

Die Expansion Hannibals auf der Iberischen Halbinsel löste den Zweiten Punischen Krieg (218–201 v. Chr.) aus, in dem Hannibal von Hispanien über die Westalpen bis nach Italien zog, aber trotz spektakulärer militärischer Erfolge sich nicht dauerhaft behaupten konnte. Nach dem Sieg Scipios über das punische Heer bei Zama (202 v. Chr.) wurde durch den Friedensvertrag das militärische Potential und der Aktionsradius Karthagos beschränkt, das fortan nur noch zehn Kriegsschiffe besitzen durfte. Im Folgenden wurden das von Hannibal zwischenzeitlich beherrschte Spanien und nach der Zerstörung Karthagos im Dritten Punischen Krieg (149–146 v. Chr.) auch Nordafrika in das Römische Reich eingegliedert; das griechische Korinth, das sich ebenfalls der römischen Expansion widersetzt hatte, teilte dieses Schicksal.[20] Damit entstand ein römisches bzw. von Rom beherrschtes Mittelmeer. Den Schlusspunkt bildeten in diesem Zusammenhang der Sieg Octavians in der Seeschlacht von Actium (31 v. Chr.) über die von Marcus Antonius geführte ägyptische Flotte und die Integration des Ptolemäerreiches in das Römische Imperium. Octavian etablierte eine ständige Flotte mit Stützpunkten in Misenum am Golf von Neapel und in Ravenna an der Adria. Mit der Zeit entstanden weitere Flotten in Ägypten, Syrien, Nordafrika, auf dem Schwarzen Meer sowie auf den Flüssen Rhein und Donau. Zum ersten und einzigen Mal umfasste eine Thalassokratie das gesamte Mittelmeer, was die Römer mit der Bezeichnung «Mare Nostrum» (unser Meer) zum Ausdruck brachten.[21]

Zwar hatte das Römische Reich seine Existenz nicht allein seiner Seemacht zu verdanken. Aber ohne den Zugang zum Mittelmeer hätte es ein anderes Aussehen und eine andere Gestalt erhalten. Zu der militärischen und politischen Kontrolle kam die ökonomische Erschließung durch den Handel. Mit den Siegen flossen Beute und Geld nach Rom, die die römischen Eliten zum Erwerb von Landgütern (Latifundien) verwendeten. Gleichzeitig hatten die Kriege die Bevölkerungsbasis getroffen, so dass die Arbeitskräfte auf dem Lande knapp wurden. Deshalb wurden die Latifundien mit Sklaven betrieben, die man in Karthago, Griechenland oder an anderen Küsten des Mittelmeeres gefangen genommen hatte. Kapitulierten Städte nicht rechtzeitig, wurde die Bevölkerung versklavt, so beispielsweise 55.000 Personen in Karthago (146 v. Chr.) und sogar 150.000 im griechischen Epirus (167 v. Chr.). Die Kriegszüge Cäsars ließen die Zahl der Sklaven, insbesondere aus Gallien (58–50 v. Chr.), anschwellen. Eine andere Quelle bildeten die Sklavenmärkte in der Ägäis. Nachdem diese durch den erfolgreichen Kampf des Pompeius gegen die Piraterie (67 v. Chr.) ausgetrocknet waren, mussten Sklaven in den Grenzräumen des Römischen Reiches erhandelt werden. Daneben vermehrten sich die Sklaven in den römischen Haushalten und auf den Gütern auf natürliche Weise. Haussklaven konnten dabei durchaus Karriere machen. Sie verwalteten die Güter, brachten den Kindern Griechisch bei oder wurden von ihrem Herrn als Agenten in andere Teile der damaligen Welt geschickt.[22]

Nicht nur die landlose Bevölkerung Italiens begab sich in die Metropole Rom, auch Bewohner der Provinzen versuchten, in der Hauptstadt Karriere zu machen. So entstanden Quartiere, in denen Griechen, Syrer, Afrikaner und Spanier lebten, wobei Griechisch, die dominante Sprache des östlichen Mittelmeeres, ebenfalls in Rom gesprochen wurde.[23]

3. Weizen, Wein und Edelsteine

Der römische Handel konzentrierte sich wie der Mittelmeerhandel insgesamt nicht mehr allein auf Luxusgüter. Im Gegenteil, die Massengüter Weizen und Wein verbanden Rom mit seinen Provinzen. Mit dem Getreide, das zunächst aus Sizilien und Sardinien und schließlich aus Nordafrika und Ägypten kam, stellten die Herrscher die Versorgung Roms sicher, da man seine Untertanen mit Brot und Spielen bei Laune halten musste.

Daneben spielte der Weintransport eine große Rolle, der ohne die Massenproduktion von Amphoren und Krügen nicht möglich gewesen wäre. Schiffswracks, wie etwa dasjenige aus der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. stammende in Madrague de Giens vor der Hafenstadt Hyères, beinhalteten rund 400 Tonnen Last und dabei 6000 bis 7000 Weinamphoren. Man hat geschätzt, dass über das Jahrhundert rund 40 Millionen Amphoren italienischen Weins nach Gallien transportiert wurden, was einem jährlichen Weinimport und -konsum von 100.000 Hektolitern entspräche. Der Weindurst der Gallier war sprichwörtlich und galt als lukratives Geschäft der italienischen Kaufleute. Neben dem Wein weisen andere Schiffsfunde auf Olivenöl aus Apulien und Farbstoffe hin, deren Exporteure teilweise durch die Namen auf den Amphorenscherben zu rekonstruieren sind.[24]

Dabei war die römische Periode des Mittelmeeres durch zahlreiche verschiedene Schiffstypen gekennzeichnet, die man hinsichtlich ihrer Größe, ihrer Ladungen und Segelrouten unterscheiden kann. So gab es kleine Küstenschiffe mit einer Tonnage von 2,5 bis 10 Tonnen, während man für größere Distanzen Schiffe mit einer Kapazität von 50 Tonnen nutzte. Die Bauweise dieser flachbodigen Schiffe spiegelt den Weintransport wider. Größer waren die Schiffe (200 bis 300 Tonnen), die Amphoren und Baumaterial oder sogar Obelisken transportierten (200 bis 500 Tonnen). Der Weizenexport von Ägypten (Alexandria) nach Rom verlangte ebenfalls große Schiffe. Diese hatten zwei Masten, einen für das Hauptsegel und einen für das Vorsegel. Schwerer Ballast senkte den Schwerpunkt des Schiffes. Darüber hinaus versuchte man, durch die Einführung von Bilgenpumpen die Getreideschiffe möglichst trocken zu halten.[25]

Mit dem maritimen Handel war der Landhandel verbunden, zum Beispiel im römischen Germanien, wo Kaufleute beiderseits der Grenze tätig waren. Römische Luxusgüter wurden von den germanischen Stammeseliten geschätzt, umgekehrt kauften römische Kaufleute Sklaven auf. Darüber hinaus bot die Rheinmündung die Möglichkeit, römische Waren entlang der Küsten zu verbreiten. Von hier aus müssen sie über germanische Netzwerke weiter in den Norden gekommen sein. So finden sich im heutigen Norwegen in großer Zahl Bronze- und Glasobjekte römischer Provenienz.[26]

Im Mittelmeer generierte der Ausbau des Imperiums und der Bauboom der römischen Kaiserzeit (1.–3. Jahrhundert) einen Bedarf an Luxuswaren und Dekorationsmaterialien. Griechische Statuen wurden ebenso nachgefragt wie Glas- und Metallarbeiten aus dem östlichen Mittelmeer. Daneben verlangte der Wohlstand der Eliten nach Seide, Parfüm und anderen Gütern von den Küsten des Indischen Ozeans. Hinzu kamen exotische Vögel, Papyrus und Medizin aus Alexandria. Ebenfalls über Alexandria und über Berenike am Roten Meer lief der Import von Pfeffer und Indischer Narde (aromatische Pflanzen). Dies bestätigen Ausgrabungen in Berenike, wo in einer Abfallgrube 7,5 kg Pfefferkörner gefunden wurden. Mit dem Gegenwert dieser Pfeffermenge hätte ein Römer seinen Weizenbedarf für zwei ganze Jahre decken können. Smaragd- und Diamantfunde weisen darüber hinaus auf den Edelsteinhandel hin. Dazu kamen Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung und die römischen Soldaten in der Region, insbesondere Fisch- und Olivenöl, sowie Schiffsproviant. Kaufleute wie der berühmte Nikanor aus Koptos hatten eine Reihe von Agenten am Roten Meer, die den Handel und die Transporte organisierten.

Wie diese im Einzelnen abliefen, zeigt ein in Wien erhaltener Papyrus aus der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, der einen Transport indischer Waren zum Gegenstand hat. Das in dem indischen Hafen Muziris in Gujarat vor Anker liegende Schiff «Hermapollon» sollte über die Arabische See und ins Rote Meer nach Berenike oder Myoshormos (nördlich davon gelegen) segeln. Von hier ging die Ladung, die aus Nardenöl, Elfenbein und Textilien bestand, auf dem Rücken von Kamelen weiter nach Koptos am Nil, von wo aus sie wiederum zu Schiff nach Alexandria transportiert werden sollte. In Alexandria mussten die Waren mit 25 % ihres Wertes verzollt werden, erst danach wurden sie weiterverkauft und eventuell nach Rom verschifft.[27]

4. Handbücher und Reiseberichte

Bisher stand bei der Wahrnehmung des Meeres die antike Literatur im Mittelpunkt. Es ging um die Gefahren, denen sich der Mensch aussetzte, wenn er sich auf das Meer begab und die Götter herausforderte. Mit der Zunahme der Seefahrt und ihrer Notwendigkeit wandelte sich das Bild, indem sowohl die Gefahren als auch die Aussichten angesprochen und gegeneinander abgewogen wurden. So trägt der Grabstein eines unbekannten römischen Kaufmanns folgende Inschrift:

«Wenn es dir nicht zu beschwerlich ist, Fremder, halte an und lies: Ich bin oft mit Schiffen unter vollen Segeln über das große Meer gefahren und habe viele Länder besucht, bis zu meinem Ende hier, das mir einst bei meiner Geburt die Parzen sangen. Hier habe ich alle meine Sorgen und Mühen abgelegt und fürchte weder die Sterne noch die Sturmwolken oder das wütende Meer. Ich fürchte auch nicht, dass mein Aufwand den Ertrag übersteigt. Gütiger Glaube, ich sage dir Dank, allerheilige Göttin, die du mich nach drei Unglücksfällen gerettet hast. Du bist würdig, dass alle Sterblichen dich ersehnen. Fremder, leb wohl, sollen deine Mittel immer deinen Aufwand übersteigen, da du diesen Stein nicht übersehen und ihn für würdig erachtet hast.»[28]

Für ihre Fahrten konnten Kaufleute und Seefahrer die sogenannten Periploi nutzen. Diese Schifffahrtshandbücher bzw. Berichte von Schiffsreisen beschrieben Häfen und Landmarken an der Küste, die den Seefahrenden als Orientierung dienen sollten. Mit der Zeit kamen Informationen zur Navigation, auch Angaben über Winde und Untiefen, hinzu. Zur Gattung dieser Periploi gehören verschiedene Handbücher, die oftmals nur bruchstückhaft überliefert sind. Ein Beispiel sind die Erlebnisse des Flavius Arrianus[29] im Schwarzen Meer; am meisten zitiert ist der Periplus Maris Erythraei. In dieselbe Kategorie gehört der Reisebericht des Griechen Pytheas aus Marseille, der sich im 4. Jahrhundert v. Chr. vom Mittelmeer in den Atlantik begab und seine Reisebeschreibung Über den Ozean veröffentlichte. Leider ist der Papyrus nicht erhalten geblieben, aber Pytheas’ Erlebnisse scheinen so wichtig gewesen zu sein, dass antike Geografen wie Plinius und Strabo aus Pytheas zitieren und somit Aufschluss über die Reise geben. Barry Cunliffe hat aus diesen Bruchstücken die Route rekonstruiert. Danach erscheint es plausibel, dass Pytheas nicht über die Meerenge von Gibraltar in den Atlantik gelangte, sondern über Land von Marseille bis zur Garonne-Mündung gewandert ist und sich dann mit den Schiffen der verschiedenen Küstenbewohner weiter in die Nordsee hat bringen lassen. Dabei mag er die Britischen Inseln umrundet haben und möglicherweise bis nach Island gefahren sein, denn er berichtet von einem Land «Ultima Thule», das sechs Tagesreisen von den Britischen Inseln entfernt lag. Strabo allerdings zweifelte seine Glaubwürdigkeit an:

«Über Thule ist die Kunde noch unsicherer wegen seiner Entlegenheit; ist dies doch die Insel, die man von allen namentlich genannten am nördlichsten ansetzt. Und dass das, was Pytheas über sie und die anderen Örtlichkeiten in dieser Region berichtet, fingiert ist, erhellt aus den Gegenden, die wir kennen: hat er darüber doch größtenteils Lügen erzählt, wie schon früher gesagt wurde; somit ist klar, dass er bei entlegenen Gegenden noch mehr gelogen hat.»[30]

Dagegen scheinen Plinius und andere Pytheas geglaubt und seine Beobachtungen als geografisches Wissen verbreitet zu haben. So schreibt beispielsweise der Astronom Geminus in seiner Einführung in die Phänomene:

«Bis in diese Gegenden scheint auch Pytheas von Massilia gekommen zu sein. Er sagt wenigstens in der von ihm verfassten Abhandlung über das Weltmeer: ‹Es zeigten uns die Eingeborenen den Ort, wo die Sonne zur Rüste geht. Es traf sich nämlich, dass in diesen Gegenden die Nacht ganz kurz war, an manchen Orten zwei, an anderen drei Stunden, sodass die Sonne, nachdem sie untergegangen, nach einer kurzen Zwischenzeit gleich wieder aufging.›»[31]

Möglicherweise bereiste Pytheas auch die Nordseeküste bis hin nach Jütland, zumindest schreibt er über die Bewohner und den dort vorkommenden Bernstein, der im gesamten Mittelmeerraum geschätzt wurde.[32]

Karte 2: Die Reisen des Pytheas

Während Pytheas’ Manuskript in den Regalen der Bibliothek von Alexandria verloren ging, hat sich der Periplus Ponti Euxini des Flavius Arrianus erhalten. Es handelt sich dabei um einen Teil des Berichtes, den der neue römische Präfekt Kappadokiens im Jahr 131 an Kaiser Hadrian schicken sollte. Die Römer hatten die Schwarzmeerregion lange Zeit sich selbst überlassen und erst nach der Expansion des Pontus-Reiches unter König Mithridates Interesse an der Region entwickelt und sie unter ihren Einfluss gebracht. Arrianus, der aus Bithynien in Kleinasien stammte, hatte sich als einer der wenigen Griechen in der römischen Armee emporgearbeitet. Zu seinen neuen Aufgaben gehörte die Überwachung der römischen Reichsgrenze im östlichen Schwarzen Meer und am Kaukasus. Entsprechend berichtete er von seiner Seereise, die von Trapezunt, dem letzten Hafen im römischen Herrschaftsgebiet, ausging und weiter nach Osten führte. Auf seiner Fahrt geriet er in Stürme, deren Erlebnis er beschrieb:

«Eine plötzlich aufziehende Wolke brachte einen heftigen Sturm, der unserem Kurs entgegenwehte und dessen fatalen Folgen wir nur knapp entkamen. Er löste fast augenblicklich hohe Wellen aus, die uns begruben. Die Situation war wirklich tragisch, denn so schnell wir das Wasser auspumpten, so schnell brach es wieder über uns herein.»[33]

Von der Unbill des Wetters ließ sich Arrianus jedoch nicht abschrecken und besuchte die alte griechische Kolonie Dioskurias. Hier war er überrascht, einen römischen Posten zu finden. Folgerichtig versuchte er, die römische Präsenz im Kontakt zu einheimischen Fürsten zu verstärken, und zog überall Erkundigungen über die Küsten und ehemaligen Handelszentren ein. Neben eigenen Anschauungen und Informationen aus zweiter Hand gab Arrianus ungeprüft mündlich wie schriftlich kursierende Legenden wieder, die man bereits von Herodot kannte. Über seine Tätigkeit als Administrator hinaus machte sich Arrianus als Historiker einen Namen, der sowohl über Alexander den Großen als auch über die Kriege Trajans schrieb.[34]

Das berühmteste Reisehandbuch ist der Periplus Maris Erythraei, der um ca. 50 v. Chr. in Alexandria entstand und von einem unbekannten griechischen Seefahrer verfasst wurde. Mit «erythräischer See» meint der Autor den Indischen Ozean, eine Bezeichnung, die erstmals von Plinius in seinem Werk Naturalis Historia (77 n. Chr.) verwendet wurde, der vom «mare Indicum», der indischen See, spricht, darunter aber den westlichen Teil, die heute sogenannte Arabische See, versteht.[35]

Der Periplus vermittelt Einsichten in die Häfen, Güter und Schifffahrtsrouten des Indischen Ozeans und ist damit zusammen mit Plinius eine wichtige Quelle für den expandierenden römischen Handel im ersten nachchristlichen Jahrhundert.

«1. Von den anerkannten [d.h. gewöhnlich besuchten] Ankerplätzen des Erythräischen Meeres und den an diesem liegenden Handelsplätzen ist Myoshormos [für die Indienfahrer] der erste [nördlichste] Hafen Aegyptens. Nach diesem folgt für die [weiter] Segelnden nach 1800 Stadien zur Rechten Berenike. Beider Häfen liegen in dem äussersten [südöstlichsten] Theile Aegyptens als Busen des Erythräischen Meeres.

2. An diese stösst rechts von Berenike die barbarische Gegend, und es gehört die Meeresküste den Ichthyophagen, die in Hürden, in Engpässen [Tiefthälern] errichtet, zerstreut leben, das Binnenland aber den Barbaren und hinter ihnen den Agriophagen und Moschophagen, die von Häuptlingen [Stammhäuptern] beherrscht werden, und ihnen liegt im Rücken im Binnenlande in den nach Westen gelegenen Gegenden die Meroe genannte Metropole.»[36]

Mit den Barbaren (Fremden) meint der Autor die Stämme, die zwischen der Küste des Roten Meeres und dem Niltal lebten, wobei er die Küstenbewohner («Fischesser») von denen des Binnenlandes («Fleisch- und Sprossenesser») unterscheidet. Die Stelle des Manuskriptes, an der möglicherweise über Meroe gesprochen wird, ist unleserlich, aber Meroe war ein in der Nähe des Sechsten Nilkatarakts gelegener Umschlagplatz für den Handel zwischen Ägypten und Zentralafrika.[37]

Darüber hinaus berichtet der Periplus ebenso wie Plinius, dass die griechisch-römischen Seeleute dieser Zeit bereits den Etesios- und den Hippalos-Wind kannten, die unschwer mit dem die Schifffahrt von Juni bis September bestimmenden Südwestmonsun zu identifizieren sind. Auch wenn der Periplus Skythien im Indus-Tal sucht, lassen sich doch seine Bemerkungen zum Warenhandel in bestimmten Häfen mit archäologischen Funden in Einklang bringen. Insbesondere der blühende Luxusgüterverkehr zwischen dem römischen Ägypten und der indischen Westküste wird dabei immer wieder anschaulich.

5. Desintegration oder Reintegration?

Cyprian Broodbank hat in seinem The Making of the Middle Sea einen langanhaltenden Integrationsprozess im Mittelmeer festgestellt, der im zweiten vorchristlichen Jahrtausend darin kulminierte, dass gemeinsame Dinge, Praktiken und Identitäten über große Distanzen verbreitet wurden. Sichtbar ist dies vor allem bei den Eliten, wo Wandmalereien im ägäischen Stil, geschnitztes Elfenbein und dekorierte Gold- und Silberschalen sich ebenso ausbreiteten wie die Rituale, Kulte und Kultstätten, die von zahlreichen Bevölkerungsgruppen aufgesucht wurden. Um 600 v. Chr. waren gemeinsame Praktiken, Sichtweisen, Geschmäcker, Gerüche und Klänge überall wahrnehmbar ebenso wie eine ähnliche Organisation des öffentlichen Lebens, der Kriegsführung, des Miteinanders und der Götterverehrung.[38]

Ausgehend von dieser vermeintlichen Integration sieht David Abulafia spätestens ab 400 n. Chr. eine Transformation und Desintegration des Römischen Reiches. Hierfür macht er einerseits das Christentum verantwortlich, das sich neben den alten Götterkulten und dem Judentum behaupten musste, bevor es Ende des 4. Jahrhunderts Staatsreligion wurde. Andererseits veränderte die Völkerwanderung, insbesondere die Züge der Vandalen über Spanien nach Nordafrika und von dort aus ins nördliche Mittelmeer, die Rolle Roms fundamental.

In der Folge übernahm Konstantinopel, das ursprünglich als griechische Kolonie um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. gegründet worden war, die Rolle Roms. Die Einwohner des von den Historikern später so genannten Byzantinischen Reiches bezeichneten sich als Romaioi (Römer). Vom alten Rom unterschied sich das Reich dadurch, dass es auf den hellenistischen Traditionen beruhte, die in den Zentren der Ägäis, des Schwarzen Meeres und des östlichen Mittelmeeres gepflegt wurden. Ein weiterer Unterschied bestand darin, dass sich Konstantinopel, an den Grenzen des Imperiums gelegen, immer wieder gegenüber Angriffen aus der Steppe behaupten musste. Das Byzantinische Reich kontrollierte den Bosporus und die Schwarzmeerregion ebenso wie das östliche Mittelmeer und strahlte als Zentrum des griechischen Christentums weit in die slawischen Gebiete im Norden und Westen aus.[39]

Mit der Entstehung des Westfränkischen Reiches in der Mitte des 9. Jahrhunderts kam ein weiterer stabiler christlicher Machtblock hinzu. Das Byzantinische und das Westfränkische Reich reintegrierten bzw. rekonfigurierten das Mittelmeer bzw. dessen Rolle. Während das östliche Mittelmeer und das Schwarze Meer über Byzanz und die russischen Ströme durch die Wikinger (Waräger) an Nord- und Ostsee angeschlossen wurden, war das westliche Mittelmeer über das Rhone-Delta und die Flusssysteme des Frankenreiches ebenfalls mit Atlantik und Nordsee verbunden. Im Süden bildete die Adria die Verbindung zwischen dem Franken- und dem Byzantinischen Reich, wobei Venedig zum Vermittlungszentrum aufstieg und die anderen Häfen Italiens die Kontakte zur muslimischen Welt herstellten.[40]

II.

Nordsee – Ostsee – Schwarzes Meer

«Es sind fast 350 Jahre, dass wir und unsere Väter diese herrliche Heimat bewohnen, und niemals zuvor hat ein solcher Terror Britannien heimgesucht, wie wir ihn jetzt von einem Heidenvolk erfahren haben, noch war daran zu denken, dass dieser von der See ausgehen könnte. Die Kirche des heiligen Cuthbert ist mit dem Blut der Priester Gottes befleckt und von allem Schmuck beraubt; der verehrungswürdigste Ort Britanniens ist den Heiden zur Beute überantwortet.»[1]

Alkuin von Tour

1. Die Wikinger

Nach der Antike waren die Wikinger oder Nordmänner das Bindeglied zwischen Nordsee, Ostsee und Schwarzem Meer; darüber hinaus drangen sie bis in den Nordatlantik vor. Sie tauchen erstmals in den Quellen des ausgehenden 8. Jahrhunderts auf, in denen Überfälle auf Klöster auf den Britischen Inseln und an der Loiremündung geschildert werden. So beklagt der am Hof Karls des Großen wirkende Gelehrte Alkuin die Plünderung des Klosters Lindisfarne (793) in einem Brief an den dortigen König Aethelred von Northumbria.

Für das plötzliche Auftreten der Wikinger gibt es verschiedene Erklärungen. Bevölkerungsdruck und Landknappheit, die die Menschen auf die See zwangen, werden ebenso erwähnt wie die Kampfeslust junger Männer und die Gier nach leichter Beute. Führungspositionen in den Stammesgruppen (Häuptlinge) mussten immer wieder neu gewonnen werden. Hierzu gehörten nicht allein Kriegsglück und Ruhm, sondern auch der Aufbau einer Gefolgschaft, die ein erfolgreicher Krieger nur durch ständige Entlohnung mit Beute an sich binden konnte.

Als lohnendes Ziel bot sich das Frankenreich an, das trotz der Bemühungen Pippins und Karls des Großen innerlich noch nicht gefestigt, geschweige denn überall zu verteidigen war. Voraussetzung waren Schiffe und nautische Kenntnisse, die die Wikinger in besonderem Maße besaßen. Mit ihren hochseetüchtigen Schiffen segelten bzw. ruderten sie über die offene Nord- und Ostsee. Sie orientierten sich bei der Navigation an Sonne und Sternen sowie an Meeresströmungen und Wasserfärbungen. Mit größeren und kleineren Schiffen drangen die Wikinger über die Flussläufe ins Landesinnere vor, wo kaum ein Hafen vor ihnen sicher war.[2]

Dabei profitierten sie von der Expansion des friesischen Handels an der Nordseeküste, dessen Reichtümer leicht abgeschöpft werden konnten. Mit Dorestad an der Rheinmündung und Domburg auf Walcheren waren Handelszentren entstanden, in denen friesische Bauernkaufleute die Schifffahrt nicht mehr im Nebenerwerb betrieben, sondern ausschließlich von Handel und Handwerk lebten. Die Friesen handelten mit Franken, Angelsachsen und Skandinaviern, wobei sie die Nordsee- und Atlantikküste ebenso befuhren wie den Rhein bis nach Köln, Mainz und Worms. Eines ihrer Handelsgüter waren Sklaven, die sie von den Britischen Inseln sowie aus dem Ostseeraum über Verdun in den Süden Europas und in die Mittelmeerregion verkauften. So ist ein friesischer Kaufmann belegt, der in London einen Sklaven erwarb, welcher vermutlich über Dorestad und über die Maas aufwärts nach Verdun – dem wichtigsten Sklavenmarkt – und dann weiter nach Süden gebracht wurde. Dort oder im Mittelmeerraum selbst erwarben die Friesen orientalische Waren, die sie weiter nach Norden verkauften.[3]

Über die Ostsee reichte der friesische Handel bis nach Haithabu und Birka, wo im 11. Jahrhundert sogar eine friesische Gilde[4] existiert haben soll. Ausdruck des intensiven Warenaustauschs sind die (anglo-)friesischen Sceatta-Münzen, die bis nach Skandinavien Verbreitung fanden.[5] In den 830er und 840er Jahren überfielen die Wikinger Dorestad regelmäßig. Dies rief das Frankenreich auf den Plan, dessen Könige versuchten, einerseits ihre Klöster und Handelsplätze zu schützen, andererseits die Herrscher der Wikinger politisch dadurch einzubinden, dass sie einige gegen ihre Rivalen unterstützten.

Nicht nur in Skandinavien, sondern auch in der Nordseeinselwelt bildeten die Invasoren Herrschaften. Insbesondere die dänischen Könige, die von Jütland aus Häuptlinge und Kleinkönige unterworfen hatten, kontrollierten zunächst die benachbarten Inseln sowie die Passage zwischen Ostsee und Nordsee. Sie dehnten ihren Einfluss im Norden bis nach Viken, der Gegend um den Oslofjord, und im Süden bis zur Kanalküste aus. Die Eroberung Englands war dann nur folgerichtig. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts nahmen die Dänen die Osthälfte Englands in Besitz, und York wurde das Zentrum der dänischen Wikingerkönige. Sie forderten die Norweger in Irland heraus, wo diese sich ebenso wie auf den Orkneys, Shetlands und Hebriden niedergelassen hatten. Dennoch blieb die dänische Bedrohung des Frankenreiches bestehen. Nach der Reichsteilung von 843 litt insbesondere das Westfrankenreich unter den Wikingereinfällen, die die Flüsse hochsegelten bzw. ruderten und Paris im Jahre 845 nur gegen eine Tributzahlung von 7000 Pfund Silber verschonten. Erst um 870erwiesen sich Schutz- und Befestigungsmaßnahmen als zunehmend erfolgreich.

Im Folgenden verlagerten sich die Wikingeraktivitäten stärker auf die Britischen Inseln, wo es den angelsächsischen Königen gelungen war, die dänische Herrschaft zeitweise abzuschütteln. Erst um die Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert stellten Sven Gabelbart und Knut der Große die dänische Oberherrschaft gegenüber Norwegern und Angelsachsen wieder her, die künftig jährlich einen Edelmetalltribut an Dänemark entrichten mussten. Dieses sogenannte Danegeld, das seine Vorläufer in den von Friesland und dem Westfrankenreich eingetriebenen Zahlungen hatte, wurde von 991 bis 1040 in acht großen Tranchen erhoben, die sich zusammen auf 248.647 Pfund Silber, umgerechnet fast 60 Millionen Pennies, beliefen.[6]

Weitere Möglichkeiten zu expandieren und Reichtümer anzuhäufen boten der Osten und der Ostseeraum. Bereits im 8. Jahrhundert bildeten Pelze aus dieser Region ein begehrtes Gut auf den westlichen Märkten. In der Folgezeit sollten dann die Ressourcen des Ostens systematisch erschlossen werden. Dies geschah vor allem von Schweden aus durch die Svear, die in den slawischen Quellen Rus’ oder Waräger (varjagi) genannt werden. Waräger ließen sich in Staraja Ladoga – ca. 15 km südlich der Mündung des Wolchow in den Ladogasee gelegen –, am Ilmensee und am Oberlauf des Dnjepr nieder, wo sie zusammen mit Slawen, Finno-Ugriern und Balten siedelten.[7] Über Don, Wolga oder das Kaspische Meer erreichten sie die arabische Welt, in der sie große Silbermengen erhandelten oder raubten. Arabische Quellen berichten über die Waräger:

«Sie unternehmen mit Schiffen Streifzüge gegen die Slawen, bis sie dort ankommen, diese gefangen nehmen und nach der Hauptstadt der Chasaren und nach Bolgar bringen, um sie dort zu verkaufen. Sie besitzen keine Saatfelder, sondern nehmen nur das als Nahrung zu sich, was sie aus dem Land der Slawen ausführen […] ihre Erwerbstätigkeit besteht aus dem Handel mit Zobeln, Eichhörnchen und sonstigen Pelzen. Sie verkaufen diese Pelze ihren Kunden und erhalten dafür ein stilles Vermögen in Münzgeld, das sie in ihre Gürtel binden.»[8]