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Plötzlich war der Krieg zu Ende. US-Truppen besetzten am 29. April 1945 Moosburg und befreiten das Kriegsgefangenenlager Stalag VII A mit mehreren zehntausend Insassen. Die Tage des Umbruchs zwischen Hakenkreuz und Sternenbanner waren der Auftakt eines langen, wechselvollen Weges hin zu einer neuen Normalität - ein Alltag zwischen Krieg und Frieden begann. Der Autor beschreibt die letzten Tage des Dritten Reichs, das Kriegsende und die verschiedenen Aspekte der Lebensumstände in der Nachkriegszeit. Er stützt sich dabei nicht nur auf zahlreiche Quellen vor Ort, sondern auch auf umfangreiches, bisher unveröffentlichtes Material in den National Archives in Washington.
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Seitenzahl: 515
Veröffentlichungsjahr: 2020
Vorwort
Einleitung
Quellenlage
Das Kriegsende in Moosburg
Als der Krieg nach Hause kam – Bombardements und Tieffliegerangriffe im Frühjahr 1945
Die letzten Tage des Dritten Reichs
Vom Krieg zum Frieden: Die ersten Tage der Nachkriegszeit
Das Leben in der Nachkriegszeit 1945-1949
Befreite Kriegsgefangene und Displaced Persons in Moosburg
Stadtverwaltung
Versorgung – Ernährung, Wohnen, Verkehr und Post
Eine jüdische Gemeinde in Moosburg
Wirtschaftliche Verhältnisse
Gesundheit und soziale Fürsorge
Die Amerikaner in Moosburg
Unsichere Zeiten
Entnazifizierung
Lockdown 1945 – fast ein halbes Jahr keine Schule
Sport, Kultur und Freizeit
Flüchtlinge und Heimatvertriebene
Die Neustadt
Bürgermeister, Parteien, Bundestagswahl – Demokratie in der Nachkriegszeit
Quellen- und Literaturverzeichnis
An dieser Stelle gilt es all jenen zu danken, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben:
dem Verein Stalag Moosburg e.V., der eine Archivreise zu den National Archives in Washington finanziert hat; Kurt Bauer für die Begleitung und intensive Mitarbeit bei der Recherche in Washington; den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der National Archives, des Bundesarchivs-Militärarchiv in Freiburg und des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in München für die wertvollen Hinweise bei der Recherche; den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt Moosburg, ganz besonders Herrn Stadtarchivar Wilhelm Ellböck für die großartige Unterstützung; Herrn Stadtpfarrer Reinhold Föckersperger und den Mitarbeiterinnen im Pfarrbüro für den Zugang zum Pfarrarchiv; Martin Pschorr für die Beratung vor allem zum Thema Neustadt; Karl A. Bauer, der viele Bilder aus einem umfangreichen Archiv (www.alt-moosburg.de) zur Verfügung gestellt hat; Karl Rausch für die Korrektur des Manuskripts; Christine Fößmeier für die Beratung beim Layout; Günther Strehle für die digitale Aufbereitung der in den National Archives gesammelten Daten und das Layout, die Buchgestaltung und die Bearbeitung der Bilder;
Ein besonderer Dank gilt meiner Frau, Christine Metterlein-Reither, die die Entstehung der einzelnen Kapitel kritisch begleitet und das Manuskript akribisch überarbeitet hat.
Am 29.04.1945 besetzten amerikanische Truppen Moosburg. Am 14.08.1949 fanden hier, wie überall in der gerade entstehenden Bundesrepublik, die Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag statt. Zwischen April 1945 und August 1949 liegen nur etwas über vier Jahre. In dieser Zeit änderten sich die Lebensbedingungen in Deutschland, aber auch in Moosburg in vielfältiger Weise. 1945 ging die Terrorherrschaft eines Unrechtsregimes in einem allgemeinen Zusammenbruch zu Ende. Es entstand in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmesituation. Diese vier Jahre waren gleichzeitig eine Phase der Umbrüche und Gegensätze. Manches änderte sich grundlegend, manches blieb bestehen, in manchen Bereichen wurde an die Zeit vor 1933 angeknüpft, inhaltlich und personell. Die Veränderungen und Umbrüche betrafen auch nicht alle Menschen in gleicher Weise. Während Flüchtlinge und Heimatvertriebene im wahrsten Sinne des Wortes in vielen Bereichen bei Null anfangen mussten, änderte sich für manch eingesessenen Moosburger, der vergleichsweise glimpflich durch den Krieg gekommen war, eher wenig. Trotzdem konnte sich keiner den vielfältigen Verwerfungen vollständig entziehen.
Außerdem wurden gerade in Moosburg in diesen Jahren die Weichen für die Zukunft gestellt. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen waren über Jahrzehnte spürbar.
Diesen Veränderungen nachzuspüren, wie die Menschen in Moosburg sie erlebten, wie sie ihren Alltag bewältigten, darum geht es in diesem Buch. Das erste Kapitel zeichnet die Ereignisse bei Kriegsende nach, das zweite Kapitel beschreibt die Situation in Moosburg in den ersten Tagen nach der Besetzung, sozusagen den Übergang vom Krieg zum Frieden in der Stadt und das dritte Kapitel greift verschiedene Aspekte des Lebens in Moosburg zwischen 1945 und 1949 auf.
Über die letzten Kriegs- und ersten Friedenstage liegen mehrere Zeitzeugenberichte vor, die das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Der Kommandant des Stalag VII A, Oberst Burger, hat die Ereignisse während der letzten Apriltage beschrieben, August Alckens, damals Dolmetscher im Lager, berichtet vor allem über die Situation in der Kaserne der Wachmannschaften während der Befreiung des Lagers, Major Rudolf Koller, Kommandeur des Landesschützenbataillons 512 (Wachmannschaften des Stalag) und Kampfkommandant von Moosburg, stellt die militärischen Abläufe und den Einmarsch der US-Truppen in Moosburg dar und der damalige Stadtpfarrer Schiml beschreibt die letzte Phase des Krieges in Moosburg und die Situation der Zivilbevölkerung in der Stadt während und nach dem Einmarsch der Amerikaner. Eine amerikanische Stiftung1 hat auf der Basis zahlreicher Zeitzeugenberichte von US-Offizieren und Soldaten, die an der Besetzung der Stadt und der Befreiung des Stalag beteiligt waren, die Abläufe aus der Perspektive der amerikanischen Armee dargestellt. Zwar decken sich nicht alle Angaben was Abläufe und Zeitangaben anbelangt, doch ergibt sich in der Zusammenschau ein relativ detailliertes Bild der Ereignisse. Hinzu kommen noch umfangreiche Unterlagen der an den Kämpfen beteiligten US-Einheiten sowie in geringem Umfang Aufzeichnungen der Wehrmacht.
Über die Situation in der Nachkriegszeit liefern die Akten der Stadtverwaltung und das Nachrichtenblatt für Moosburg, das von 1945 bis 1949 als Zeitungsersatz diente, viele Informationen, ebenso die zahlreichen und umfangreichen Berichte der verschiedenen Dienststellen der amerikanischen Militärregierung, die sich im Nationalarchiv in Washington befinden.
Weiteres Material existiert im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und im Pfarrarchiv in Moosburg. Zahlreiche Fotos aus der Kriegs- und Nachkriegszeit haben Karl A. Bauer und Martin Pschorr gesammelt. Einzelne Filmsequenzen zum Kriegsende in Moosburg von Filmteams der US-Armee liegen im Nationalarchiv in Washington.
1 Army Historical Foundation, eine Stiftung, die in Kooperation mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium Spenden für ein nationales Museum der US-Army sammelt.
Im Frühjahr 1945 war das Kriegsende abzusehen. Bomben- und Tieffliegerangriffe gehörten zum Alltag der Menschen. Gleichzeitig rückten die Fronten näher. Während schneidige Befehle und Durchhalteparolen den Endsieg beschworen, dachten die Entscheidungsträger vor Ort darüber nach, wie Stadt und Stalag ohne Blutvergießen an die vorrückenden Amerikaner übergeben werden könnten. Schließlich überschlugen sich in den letzten Apriltagen die Ereignisse in Moosburg.
Im Frühjahr 1945 wurde auch für die Moosburger der Krieg zur unmittelbaren Realität. Waren Kampfhandlungen bis dahin weit weg und nur Gegenstand der Zeitungslektüre gewesen, brach nun das Kriegsgeschehen mit Bombardements und Tieffliegerangriffen in die eigene Lebenswirklichkeit ein.
Bombenangriffe auf München und Landshut
Bis in die letzten Kriegsmonate hinein war auch der Bombenkrieg für die Moosburger keine unmittelbare Gefahr, gab es doch Angriffe in den ersten Kriegsjahren vor allem auf Großstädte und Rüstungszentren. So hatten die Alliierten seit 1940 auf München 73 Angriffe geflogen. Dabei waren insgesamt 6.700 Menschen ums Leben gekommen. Auch die Sachschäden waren immens. 300.000 Münchener wurden obdachlos. München war bei Kriegsende zu 45 %, die Innenstadt sogar zu 60 % zerstört.2 Die Moosburger konnten den Feuerschein der nach den Angriffen brennenden Landeshauptstadt am Horizont erkennen. Die Feuerwehr der Drei-Rosen-Stadt half während des Krieges insgesamt 33 Mal bei den Lösch- und Aufräumarbeiten nach solchen Angriffen. 3
Seit Ende 1944 wurde auch Landshut von den Bomberflotten der Alliierten attackiert. In der Nacht vom 28. auf den 29.12.1944 kamen bei einem Angriff auf den Bahnhof 80 Menschen ums Leben. Am 13.03.1945 zerstörten sieben Bomber das Bahnhofsgebäude. Der schwerste Angriff ereignete sich wenige Tage später am 19. März. 476 amerikanische Bomber vom Typ B17 „Fliegende Festung“, die jeweils 4.700 kg Bomben tragen konnten, warfen in 47 Wellen ihre tödliche Fracht auf das Bahnhofsviertel ab. Obwohl der Bahnhofsvorsteher kurz zuvor die Gleise von Personenzügen hatte räumen lassen, um die Menschen vor den Bomben in Sicherheit zu bringen, gab es etwa 400 Opfer. Ein weiterer Angriff auf Landshut erfolgte am 16.04.1945.4 Die Druckwellen der Detonationen waren angeblich sogar noch in Moosburg zu spüren.5
18.04.1945 – Angriff auf Freising
Gegen Kriegsende attackierten die alliierten Flugzeuge dann auch zunehmend kleinere Städte. Wichtige Ziele waren dabei Bahnhöfe und Gleisanlagen, um Truppenverlegungen und Nachschub für die deutsche Front zu unterbinden und so den eigenen Vormarsch zu erleichtern.
Die letzten schweren Bombenangriffe in der Umgebung erfolgten am 18.04.1945 auf Freising und Erding. Über den Einsatz in Freising liegen umfangreiche Unterlagen der amerikanischen Streitkräfte vor. Es sind detaillierte Einsatzpläne mit Zeitangaben, Sammelpunkten, vorgeschriebener Flughöhe und Warnungen vor deutscher Flugabwehr sowie zahlreiche Einsatzberichte mit Informationen zu den Wetterverhältnissen, technischen Daten zum Einsatzablauf, Flugrouten, Gliederungen der Formationen und sogar mit den Namen der Flugzeugbesatzungen erhalten.
Flugzeuge der 401. und 457. US-Bombergruppe griffen Freising mit 50 B 17-Bombern in fünf Staffeln an. Die Maschinen starteten von mehreren Stützpunkten nördlich von London und hatten Jäger als Begleitschutz. Erstes Ziel der Flugzeuge war Traunstein, Freising war Ausweichziel. Der Hintergrund für dieses Vorgehen war die amerikanische Strategie im Luftkrieg. Konnte das eigentliche Ziel zum Beispiel wegen schlechten Wetters nicht angegriffen werden, warfen die Flotten ihre Bomben auf sogenannte Ausweichziele ab, statt sie wieder auf die Heimatbasen zurückzubringen. Diese Ausweichziele waren vorher im Rahmen der Einsatzplanung festgelegt worden. So hing es oft vom Zufall ab, wann welches Ziel attackiert wurde.
Eine Staffel der 401. Bombergruppe griff Traunstein an, wobei eine Maschine durch Flugabwehrfeuer verloren ging. Der Staffelkommandant konnte beobachten, wie das Flugzeug an Höhe verlor, obwohl es bereits seine Bomben abgeworfen hatte, um Gewicht zu reduzieren. Schließlich sprang die Besatzung mit dem Fallschirm ab. Die zwei anderen Staffeln mit 20 Bombern waren wegen des bewölkten Himmels nicht in der Lage, den Angriff durchzuführen und wandten sich daher Freising als dem zweiten Ziel zu. Die Flugzeuge konnten die Bomben in Freising auf Sicht abwerfen. Die Besatzungen konstatierten eine sehr gute Trefferquote. Gegen 19 Uhr landeten die Bomber wieder in Großbritannien.6
Auch die drei Staffeln der 457. Bombergruppe, die um 09:00 Uhr in Großbritannien gestartet waren, versuchten mit ihren 30 Flugzeugen einen Angriff auf Traunstein, konnten jedoch wegen des schlechten Wetters keine Bomben platzieren. Sie wandten sich daher ebenfalls dem Ziel Nummer zwei, Freising, zu. Ein weiteres Flugzeug warf nur Flugblätter ab. Zwei Staffeln griffen um 14:57 Uhr, die dritte um 15:12 Uhr an. Die Bomber stießen nur auf leichten Widerstand der Flugabwehr. Deutsche Jäger traten nicht auf. Zwischen 18:55 Uhr und 19:21 Uhr kehrten die Bomber auf ihre Basis zurück.7
Die Attacken gehörten zu den letzten der beiden Bombergruppen. Sie beendeten ihre Kampfeinsätze im Zweiten Weltkrieg am 20.04.1945.
Insgesamt dauerte der Angriff, der unter dem Kommando der 8. US Air Force stand, von 14:53-15:12 Uhr. Die Flugzeuge warfen 168 500-Pfund-Bomben und 860 350-Pfund-Bomben ab. Mehr als 500 Einschläge wurden unter anderem auf dem Bahnhof und dem Bahnhofsgelände, einer angrenzenden Industrieanlage und einem Militärdepot festgestellt. Der Passagierbahnhof erhielt drei direkte Treffer, der Güterbahnhof vier, mehr als 60 Bomben fielen auf die Gleise.8 Auch die Moosburger Feuerwehr war bei den Löscharbeiten in Freising eingesetzt.9
In den nächsten Tagen betrieben die Amerikaner intensive Luftaufklärung. So konnten sie am 20.04.1945 erkennen, dass an den Bahnanlagen bereits Reparaturarbeiten im Gange waren. Zahlreiche Arbeitskräfte waren damit beschäftigt, Bombenkrater zu füllen und Gleise zu flicken.10 Am 24.04.1945 stellte die amerikanische Luftaufklärung fest, dass die Schienen repariert, die Bahnhofsgebäude jedoch zu zwei Dritteln zerstört waren. Außerdem waren zehn Waggons zerstört oder zumindest schwer beschädigt worden. 11
Diesen geringen militärischen Effekten standen erhebliche Opfer vor allem unter der Zivilbevölkerung gegenüber. Insgesamt starben 224 Menschen direkt oder an den Folgen des Angriffs. In den Lazaretten auf dem Domberg, die zu einem großen Teil mit alliierten Kriegsgefangenen belegt waren, brach Panik aus. Dort wurden eine Kapelle und ein Gebäude zerstört. Im Seminargarten auf dem Domberg lagen Leichen und Leichenteile. Neben dem Bahnhof wurden Fabrikanlagen der Firmen Schlüter und Steinecker, Wohnhäuser sowie die evangelische Christi-Himmelfahrtskirche zerstört oder beschädigt. Strom-, Wasser- und Gasleitungen waren teilweise unterbrochen. Noch heute finden sich an einer Brücke über die Moosach Schäden von Bombensplittern. 12
Angriff auf Erding
Ebenfalls am Nachmittag des 18.04.1945 wurde Erding von Flugzeugen der amerikanischen Luftwaffe angegriffen. Diese warfen innerhalb von nur wenigen Sekunden etwa 50 Bomben auf die Innenstadt ab. Mindestens 120 Menschen waren sofort tot, 24 erlagen in den folgenden Tagen ihren Verletzungen. Da zu früh Entwarnung gegeben worden war, hatten viele Erdinger ihre Luftschutzkeller schon verlassen, als die Bomben fielen und waren dem Inferno schutzlos ausgeliefert. Tagelang bemühten sich Bergungskommandos, Verschüttete aus den Trümmerhaufen zu graben, Rettungskräfte und Ärzte mussten hunderte Verletzte behandeln. Strom und Wasser fielen mehrere Tage aus. Zahlreiche Häuser wurden zerstört oder schwer beschädigt. Der Grund für den Angriff auf Erding ist unklar. Vielleicht war Erding nur ein Ausweichziel für Bomber, die ursprünglich Pilsen angreifen sollten. Es gibt auch die Vermutung, dass die Bomberpiloten Erding mit dem nahe gelegenen Freising verwechselt hatten.13
Bombenangriffe auf Moosburg
Im Verlauf des Krieges flogen immer wieder feindliche Bomberverbände auf dem Weg von oder zu ihren Zielen über die Stadt. Die Moosburger begaben sich in der Regel nicht in die Luftschutzkeller, wenn die Bomberstaffeln über die Stadt zogen.14
Allerdings versuchte man auch in Moosburg, sich auf Bombenangriffe vorzubereiten. Eine Meldestelle, die den Luftraum überwachen sollte, war im Bereich des Kapellenackers bei der Konradkapelle eingerichtet, eine weitere bei der Firma Steinbock. Sie gaben ihre Wahrnehmungen an eine Auswertestelle in Landshut weiter. Wenn Alarm ausgelöst wurde, warnten Sirenen auf dem Rathaus und den Steinbock- und Südchemie-Gebäuden die Moosburger Bevölkerung. Vor allem im April 1945 kam es wegen der Bombenangriffe auf Erding, Freising, Landshut und München immer häufiger zu Fliegeralarm auch in Moosburg. In der Stadt gab es vier öffentliche Luftschutzkeller, unter anderem am Feuerwehrhaus auf dem Plan (heute Stadtbücherei). Manche Moosburger hatten auch in ihren Gärten Schutzgräben ausgehoben.15
Moosburg blieb allerdings von großen Bombenangriffen verschont. In den letzten Kriegsmonaten fielen zwar einige Brandkanister in die Nähe des Bahnhofes, ohne jedoch Schaden anzurichten. Jedoch war auch in Moosburg ein Bombenopfer zu beklagen. Am 24.03.1945 flog ein Verband von rund 120 Bombern über die Stadt. Bei einem geriet der linke Motor in Brand, worauf das Flugzeug, mutmaßlich um Gewicht zu verlieren, vier Bomben abwarf. Diese fielen in die Nähe der Amperbrücke, wobei ein Landwirt ums Leben kam. Er hatte sich nach Hause geflüchtet und war dort tödlich getroffen worden.16
Warum Moosburg nicht angegriffen wurde, ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Der damalige Moosburger Stadtpfarrer führte dies auf das Stalag VII A zurück, das sich in unmittelbarer Nähe zur Stadt befand.17 Allerdings hielt die Anwesenheit von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern die alliierten Bomberflotten nicht davon ab, zum Beispiel Memmingen anzugreifen (Standort von Stalag VII B), Freising mit seinen Lazaretten, die auch von Kriegsgefangenen belegt waren, oder München, wo viele Arbeitskommandos aus alliierten Kriegsgefangenen tätig waren und die Angriffe zahlreiche Opfer unter Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern forderten. Vielleicht war Moosburg aus Sicht der Alliierten von so geringer militärischer Bedeutung, dass es nicht einmal als Ausweichziel bestimmt wurde, oder der „Ausweichfall“ trat nicht ein.
Vor Bombenabwürfen war man jedoch bei Kriegsende nirgends sicher, wie ein Vorfall vom 27.02.1945 aus Enghausen bei Mauern zeigt. Ein beschädigter Bomber warf seine Bomben ab und traf dabei den kleinen Ort, in dem eine Frau getötet und mehrere Bauernhöfe beschädigt wurden.
Tieffliegerangriffe
Viel stärker als von Bombenangriffen waren die Moosburger von Tieffliegerangriffen betroffen. Im Frühjahr 1945 hatten die Alliierten die Lufthoheit über dem Reichsgebiet errungen und konnten, kaum behindert von deutschen Abfangjägern oder Flugabwehr, Angriffe auf beliebige Ziele fliegen. Sie setzten Jagdflugzeuge ein, um Militärkonvois und Eisenbahnzüge anzugreifen und so Truppenverlegungen und Nachschub der deutschen Truppen zu unterbinden. Gegen Kriegsende feuerten die Piloten dann buchstäblich auf alles, was sich bewegte. Sie griffen Personenzüge, einzelne Fahrzeuge, aber auch Zivilisten wie Bauern auf dem Feld oder Passanten auf der Straße an.
Auch in der Umgebung von Moosburg kam es im Frühjahr 1945 zu zahlreichen Tieffliegerangriffen. Die Angriffe auf Züge forderten viele Opfer. Im Frühjahr 1945 kam es zu einem amerikanischen Tieffliegerangriff bei Isareck auf einen Zug mit insgesamt 18 Toten und 25 Verletzten.18
Wegen der geraden Streckenführung und der freien Sicht waren die Bahnlinie und die Straße zwischen Langenbach und Marzling besonders beliebte Ziele bei den amerikanischen Piloten. Fast jeden Tag ab etwa 08:00 Uhr beschossen sie hier Züge und Fahrzeuge. Relativ sicher waren nur die Zeiten vor 08:00 Uhr und abends. Am 22.02.1945 wurde auf dieser Strecke ein ungarischer Lazarettzug nach Freising attackiert, wobei es vier Tote und 21 Verletzte gab.19
Zugpassagiere und Fahrzeuginsassen mussten sich bei Angriffen in Straßengräben oder ins Gebüsch retten. Betroffen waren auch Moosburger Fahrschüler auf dem täglichen Schulweg mit dem Zug von oder zum Domgymnasium. So beschossen am 13.03.1945 zwei amerikanische Jagdflugzeuge bei Marzling einen Personenzug, in dem sich auch Fahrschüler aus Moosburg auf dem Weg nach Hause befanden, da wegen Fliegeralarm die Schule ausgefallen war. Es gab zahlreiche Verletzte, sieben Menschen starben, darunter drei britische Kriegsgefangene auf dem Weg zum Stalag VII A. Tragischerweise waren sie beim Anflug der amerikanischen Maschinen nicht in Deckung gegangen, sondern hatten versucht, die amerikanischen Piloten mit Winken darauf aufmerksam zu machen, dass sich alliierte Gefangene im Zug befanden.20
So trafen die Alliierten bei diesen Attacken auch die eigenen Leute. Am 13.03.1945 fiel ein weiterer britischer Kriegsgefangener aus dem Stalag VII A auf Arbeitseinsatz einem Tieffliegerangriff bei Marzling zum Opfer. Als Todesursache ist „Bordwaffenbeschuss“ vermerkt.21
Teilweise wurden Lastwagen sogar mehrmals umkreist und dabei beschossen, bis sie in Flammen aufgingen. Am 26.04.1945 lagen an der Straße zwischen Freising und Moosburg Trümmer von Fahrzeugen, die bei Fliegerangriffen zerstört worden waren.22
Erst mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen in den Landkreis am 29.04.1945 konnte die Bevölkerung aufatmen. Jetzt endete die Gefahr von Bombardements und Tieffliegerangriffen.
Abb. 1: Luftbild von Freising direkt nach der Bombardierung. In der Mitte das brennende Bahnhofsviertel, rechts die Isar, links oberhalb der Rauchwolken der Domberg, dann die Altstadt (Nationalarchiv Washington).
Im März und April 1945 war das Kriegsende in Bayern absehbar. Die Front rückte näher, Kommandostrukturen lösten sich auf und die Befehle der deutschen Führung zeigten, dass der Untergang des Dritten Reiches bevorstand. Nun war auch für die Menschen in Moosburg offensichtlich, dass der Krieg zu Ende ging. Die Entscheidungsträger vor Ort mussten handeln.
Moosburg Ende April 1945
In der letzten Aprilwoche 1945 zeichnete sich in Moosburg wie überall in Bayern das Kriegsende ab. Die Lage der deutschen Truppen in Bayern wie auch im Reich war aussichtslos. Zusammengeschrumpfte und ungenügend ausgerüstete Einheiten standen einer an Menschen und Material erdrückenden alliierten Übermacht gegenüber, die inzwischen zudem über die uneingeschränkte Lufthoheit verfügte.
Die Lage im Reich
Seit Sommer 1944 waren deutsche Truppen im Westen, im Süden und im Osten auf dem Rückzug und bald an die Reichsgrenzen zurückgedrängt worden. Am 21.10.1944 konnten die amerikanischen Streitkräfte mit Aachen die erste deutsche Großstadt besetzen. Im Januar 1945 hatte die Rote Armee die Oder erreicht, am 07.03. die US-Army den Rhein überquert. Die Verteidigung im Westen war zusammengebrochen, eine Stadt am Rhein nach der anderen wurde von Amerikanern und Briten besetzt. Nach ihrem Durchbruch an der Oder hatte die Rote Armee seit dem 25.04.1945 Berlin vollständig eingeschlossen. An der Elbe trafen sich am selben Tag bei Torgau amerikanische und sowjetische Truppen – Deutschland war damit in zwei Hälften geteilt. 23
Die Lage in Bayern
Auch Bayern war Ende April 1945 längst Kampfgebiet. Nach der Überquerung des Rheins waren amerikanische Truppen entlang von Rhein und Main nach Süden und Osten vorgerückt. Am 25.03.1945 betraten die amerikanischen Streitkräfte bei Aschaffenburg bayerischen Boden und besetzten seitdem Bayern von Nord nach Süd. Die 7. Armee unter General Patch überquerte nach der Eroberung Frankens am 22. April bei Dillingen die Donau und erreichte damit das Gebiet des Wehrkreises VII (München). Sie begann nun mit der Eroberung der westlichen Teile des südbayerischen Raums mit Ziel München, während sich die 3. US-Armee unter General Patton dem bayerischen Südosten zuwandte. Französische Truppen operierten in Schwaben.24
Die amerikanischen Streitkräfte rückten auch in Bayern rasch vor. Sie konnten deutsche Widerstandsnester schnell umgehen oder mittels überlegener Luftstreitkräfte zerschlagen. Die von Flüchtlingen, Angehörigen evakuierter Dienststellen und versprengten Soldaten verstopften bayerischen Landstraßen stellten nach Meinung mancher Historiker ein größeres Hindernis für den Vormarsch dar als die deutschen Truppen.25
In dieser Situation herrschten in Bayern vielerorts chaotische Machtverhältnisse. Die Dienststellen der Wehrmacht waren mit der Situation überfordert und wegen der häufigen Stellungswechsel nur schwer zu erreichen, eine effektive militärische Führung war kaum mehr gegeben. Am 20.04.1945 teilte sich der Wehrmachtsführungsstab in die Gruppen A und B. A war für den Nordraum zuständig. Die Gruppe B verlegte aus dem eingeschlossenen Berlin bis zum 23./24.4.1945 nach Berchtesgaden. Die militärischen Aktionen oder besser die Abwicklung der Reste der deutschen Streitkräfte liefen nun getrennt ab. Der Wehrkreis VII unterstand seit Mitte März dem Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Kesselring. Dieser lehnte noch im April eine Einstellung der Kämpfe ab. 26 Staatliche und kommunale Behörden, Dienststellen des Reiches, die in den Süden verlegt worden waren, Gliederungen und Organe der Partei wie HJ und Gauleiter, Polizeiführer, Volkssturm und diverse SS-Einheiten übten, gemeinsam oder gegeneinander, Herrschaft aus und organisierten „Verteidigungsmaßnahmen“. In diesem Gewirr unübersichtlicher Machtstrukturen, oft verschärft durch den raschen Zusammenbruch der deutschen Verteidigungslinien, eröffneten sich immer wieder Spielräume für einzelne Amtsträger und Offiziere, um eigenständige und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Allerdings bestand jederzeit die Gefahr der standrechtlichen Erschießung, wenn ein anderer Befehlshaber oder Machtträger einen Befehl als Verrat oder Feigheit vor dem Feind einschätzte. 27
Diese Situation lässt sich auch im Bereich des Wehrkreises VII nachvollziehen, in dessen Gebiet Moosburg lag. Auch das Wehrkreiskommando (auch als stellvertretendes Generalkommando bezeichnet) 28 begann Anfang April mit den Vorbereitungen für eine Verteidigung des südbayerischen Raumes. Schon am 06.04.1945 hatte der für Süddeutschland zuständige Kommandeur der Heeresgruppe G befohlen, die Donaubrücken zur Sprengung vorzubereiten, da ein Überschreiten des Flusses durch die Amerikaner und ein Vorstoß auf München befürchtet wurden. Das stellvertretende Generalkommando ordnete an, die Verteidigungsstellungen an der Donau zu besetzen und Werfer und Artillerie in Stellung zu bringen. Einen Tag später, am 07.04.1945, war der Wehrkreis VII der Heeresgruppe G unterstellt und der Wehrkreis beauftragt worden, unter Heranziehung von Zivilarbeitern eine Sperrzone an der Donau zu errichten. 29
Noch am 20.04.1945 befahl das stellvertretende Generalkommando des VII. Armeekorps, dass die beiden ihm unterstellten Divisionen unter anderem Auffangstellungen für die sich aus dem Kampfgebiet an die Donau zurückziehenden Feldtruppen schaffen sollten, um die vorrückenden Amerikaner hier zum Stillstand zu bringen. Dazu sollten auch Zivilverwaltung und Parteigliederungen herangezogen werden. Das Korps forderte, „dass Bayern an Iller und Donau verteidigt und dem Gegner hier ein endgültiger Halt geboten werden muss“.30
In den folgenden Tagen zeigten die Lageberichte, die beim stellvertretenden Generalkommando eingingen, dass die US-Truppen weitgehend ohne Rückschläge oder längere Verzögerungen in Franken und Schwaben in Richtung Süden vorrückten. Meldungen über Luftangriffe zeigen die Luftherrschaft der Airforce. Entsprechend erging am 22.04.1945 der Befehl, dass, zur Vermeidung weiterer Fahrzeugverluste durch Jagdfliegerangriffe, jeder KFZVerkehr bei Tage verboten war, außer es handelte sich um Einsatzfahrten, die ausdrücklich angeordnet waren.31 In München wurde am 23. und 24. April der Volkssturm aktiviert.32
Dass zunehmend Chaos ausbrach, zeigt beispielsweise die Flut von teilweise widersprüchlichen Befehlen, die auf das Stellvertretende Generalkommando VII niederging: Dieses war, zunächst der Heeresgruppe G taktisch, dann dem Oberbefehlshaber West direkt unterstellt, mit der Verteidigung der Donau beauftragt, und zwar vom 18.04.1945 bis zum 23.04.1945 im Bereich von Neustadt/Ulm bis Straubing, ab dem 24.04.1945, nach Übergabe des bisherigen Einsatzgebietes an die 1. und 19. Armee und die SSDivision „Nibelungen“, mit dem Abschnitt von Günzburg bis Straubing. Ab dem 25.04.1945 sollte sie den Bereich von Straubing bis Passau und ab dem 26.04.1945 von Deggendorf bis Passau verteidigen. Außerdem hatte das Korps den Befehl, ab dem 25.04.1945 einen Sperrriegel Isar-Amper-Glonn-Ammersee aufbauen. Ab diesem Zeitpunkt sollten die beiden Divisionen des VII. Armeekorps wieder schwerpunktmäßig Ausbildungs- und Ersatzeinheiten sein. Allerdings verfügte das stellvertretende Generalkommando des VII. Armeekorps, für Ausbildung und Ausrüstung zuständig, nur über Ausbildungs- und Ersatzeinheiten, nicht über Kampftruppen im eigentlichen Sinn. Ebenso änderten sich die Einzelheiten der den einzelnen Truppenteilen zugewiesenen Aufgaben teilweise stündlich. Insgesamt zeigt dieses Vorgehen eine völlige Verkennung der Lage.33 Ab dem 18.04.1945 hatte die Gauleitung München-Oberbayern dem VII. Armeekorps Volkssturmkompanien zur Verfügung gestellt. Die HJ-Gliederung „Hochland“ betrieb die Aufstellung von Panzernahkampftrupps, bestehend aus je drei Mann.34
Außerdem scheinen sich auch die militärischen Kommandostrukturen im Wehrkreis aufgelöst zu haben. So sah sich der Befehlshaber des Wehrkreises VII am 18.04.1945 veranlasst, „auf das Energischste auf den militärischen Dienstweg“ zu verweisen. Er werde in Zukunft gegen Verstöße gegen die militärische Disziplin persönlich einschreiten. Auch das Wehrkreiskommando VII in München war kaum mehr Herr der Lage: Es sollte Einheiten für den Kampf aufstellen, die Verteidigung organisieren und im Chaos der näher rückenden Front versprengte Soldaten sammeln. Gleichzeitig musste es sich mit SS und Parteidienststellen ins Benehmen setzen, die inzwischen wesentliche Kompetenzen in den Bereichen Ersatzheer und Volkssturm übernommen hatten. 35
Abb. 2: Von Truppen der 14. US-Panzerdivision nördlich von Moosburg gefangen genommene deutsche Kindersoldaten im Alter zwischen 13 und 16 Jahren (Nationalarchiv Washington).
Die Amerikaner an der Donau
Am 22.04/23.04. konnten Truppen der 7. US-Armee bei Dillingen und Höchstädt die Donau überschreiten und am südlichen Donauufer Brückenköpfe errichten. Bereits in den Morgenstunden des 24.04. verfügten die Amerikaner bei Dillingen über zwei Pontonbrücken und konnten ihren Brückenkopf erweitern. Auch westlich von Regensburg gelang es den US-Truppen am 24. April bis zur Donau vorzustoßen.36
Einige Zahlen verdeutlichen den Zusammenbruch der deutschen militärischen Strukturen. Im Zeitraum vom 26. März bis zum 26. April machte die 3. US-Armee durchschnittlich täglich 5.800 Gefangene. Die Analyse, wer aus welchen Einheiten gefangen genommen worden war, zeigt, dass von den rund 185.000 Gefangenen 175.000 nicht aus regulären Panzer- oder Infanteriedivisionen stammten, sondern aus Ersatzeinheiten oder schnell aufgestellten, improvisierten Verbänden. Die Amerikaner schlossen daraus, dass das Ersatzsystem der Deutschen zusammengebrochen war, ebenso deren Kommunikationswege. Verstärkung und Nachschub waren von den vorrückenden US-Truppen häufig überrannt und abgeschnitten worden, die deutsche Führung musste ad hoc Einheiten aus Ersatzsoldaten aufstellen, die dann in großem Umfang und schnell in Gefangenschaft gerieten. Unter den Gefangenen waren alle Arten von Versehrten, Geisteskranke, 15-17-jährige Jungen und sogar etwa 500 Frauen. Die 17. SS-Panzergrenadier-Division verlor zum Beispiel im Zeitraum von 24 Stunden 153 Männer, die 352. Volksgrenadierdivision 45 Männer und drei Offiziere.37 Allein am 26. April machte die 3. US-Armee über 7.000 Gefangene.38
Am 26. April verlief die Front an der Donau, mit einem Bogen um Regensburg. Der 3. US-Armee stand das XIII. SS-Korps gegenüber, das der 1. Deutschen Armee angehörte, die die Donau und den süddeutschen Raum verteidigen sollte. Dem XIII SS-Korps war das Gebiet zwischen Freising und Dingolfing zugeteilt. Zu diesem Korps gehörte auch die 38. SS-Grenadier-Division „Nibelungen“, die am 29. April das Gebiet um Moosburg verteidigen sollte. Sie bestand weitgehend aus 16- und 17-jährigen Hitlerjungen, die jedoch mit großem Fanatismus kämpften.39
Die Amerikaner betrieben intensive Luftaufklärung. Eine Analyse des Generalstabs der 3. US-Armee stellte fest, dass den amerikanischen Truppen weit verstreute deutsche Infanterie in geringer Zahl gegenüberstand, die nicht mehr in der Lage war, eine einheitliche und geschlossene Verteidigungslinie zu bilden. Organisierter Widerstand war nicht mehr möglich, Feldartillerie so gut wie nicht mehr vorhanden. Die deutsche Luftwaffe wurde nur noch vereinzelt tätig, es gab kaum noch Aktivitäten von Panzern und Artillerie. Südlich der Donau fand noch moderater Eisenbahnverkehr statt. Die deutschen Soldaten, die den Amerikanern gegenüberstanden, waren weitgehend unerfahren, einige Einheiten sollen auch direkt kapituliert haben, anstatt zu kämpfen. Die Amerikaner gingen zwar davon aus, dass die zugeführte Verstärkung die Kampfkraft der deutschen Truppen nicht würde steigern können, hatten jedoch die Befürchtung, dass der Widerstand zunehmen würde, je weiter die amerikanischen Truppen nach Süden vorstießen. 40
Es fällt auf, dass die Amerikaner angesichts der schnellen deutschen Umgruppierungen, Verlegungen, Umbenennungen von Truppen und Unterstellung unter neue Kommandostrukturen Schwierigkeiten hatten, den Überblick zu behalten. Dies galt insbesondere dann, wenn neue Einheiten aus den Resten alter Einheiten zusammengestellt wurden.41
Für den 26. April schätzte das Hauptquartier der 14. US-Panzerdivision (Armored Division), einer Einheit des 2. Corps der 3. US-Armee, die am 29.04.1945 Moosburg erobern sollte, in Forchheim das weitere Vorgehen der deutschen Truppen in ihrem Frontabschnitt dahingehend ein, dass sie Verteidigungslinien entlang der Donau einnehmen und den amerikanischen Vormarsch südlich der Donau verlangsamen werde. Außerdem nahm das Hauptquartier an, dass sich die deutschen Verbände auf befestigte Stellungen zurückziehen könnten, um von dort aus den Endkampf zu führen. Generell würde nur leichter Widerstand geleistet, wobei der Vormarsch mittels gesprengter Brücken und blockierter Straßen verzögert werde. Deutsches Artilleriefeuer konzentrierte sich besonders in der Gegend der Städte an der Donau und auf amerikanische Brückenköpfe. Die Brücken über die Altmühl waren gesprengt, Straßen mit Minenfeldern blockiert. Die Truppen der 14. US-Panzerdivision sahen sich unter anderem Teilen der 38. SS-Grenadier-Division und der 17. SS-Panzergrenadier-Division gegenüber. Am 26. April erfuhr der Stab der 14. US-Panzerdivision von einem entlassenen britischen Gefangenen, dass sich bei Moosburg 30.000 alliierte Kriegsgefangene befänden. 42
Am Abend des 26. April überquerten Truppen des 3. US-Corps, das der 3. US-Armee unterstellt war, die Donau nach der Einnahme Ingolstadts ohne größere Schwierigkeiten. Ein deutscher Gegenangriff konnte leicht zurückgeschlagen werden.43
Mit der Überquerung der Donau war das letzte natürliche Hindernis auf dem Weg nach Moosburg überwunden. Die Amerikaner waren damit nur noch gut 60 Kilometer von der Stadt entfernt. Der Weg nach Moosburg stand ihnen nun offen.
Moosburg im April 1945
Verschiedene Faktoren machten für die Menschen in Moosburg den Krieg auch schon vor dem Einmarsch der Amerikaner erfahrbar.
Schon während des Jahres 1944 waren Evakuierte nach Moosburg gekommen. Es handelte sich dabei um Personen, die man aus den bombengefährdeten Gebieten des Reiches, insbesondere den großen Städten, aufs Land gebracht hatte. Bis Januar 1945 kamen auf diese Weise 954 Männer, Frauen und Kinder nach Moosburg. Außerdem erreichten nun schon die ersten Flüchtlinge die Stadt. Es waren Bewohner der Gebiete östlich von Oder und Neiße, die aus Furcht vor der Roten Armee ihre Heimat verlassen hatten. Für sie errichtete man 1944 mehrere Behelfsheime in der Bonau, unter anderem an der Stadtbadstraße.44
Im Januar 1945 hielten sich in Moosburg insgesamt 7.463 Personen auf, neben den Evakuierten rund 1.000 Heeresangehörige.45 Ein Teil des Landesschützenbataillons 512, das das Stalag bewachte, war im Gasthof Unterleiss (Herrnstraße, heute Geschäftshaus) untergebracht. Ab September 1942 bis zum Kriegsende befanden sich dort die Zahlmeisterei, die Verpflegung, die Schusterei, die Bekleidungskammer und die Marketenderei. Vorher waren diese Stellen in der Knabenschule (heute Anton-Vitzthum-Grundschule) untergebracht.46
Außerdem hatte man wertvolle Gegenstände und Sammlungen aus München nach Moosburg und Umgebung ausgelagert. Nach Freising waren zahlreiche Kulturgüter in Sicherheit gebracht worden. So hatte man die Bibliothek und Präparate der zoologischen Staatssammlung, Gesteinssammlungen des Geologischen Instituts München, Röntgenaufnahmen der Poliklinik München und Archivalien und Kunstwerke des erzbischöflichen Ordinariats dorthin transportiert. Die Rückführungen begannen bereits im September 1945, zogen sich aber bis Februar 1947 hin.47
Auch in die Umgebung waren Kunstgegenstände evakuiert worden. Möbel des Bayerischen Nationalmuseums und Bücher der Universitätsbibliothek München befanden sich auf Schloss Bruckberg, Sammlungen des Armeemuseums in Inkofen, Bestände von Armee- und Nationalmuseum auf Schloss Isareck, nach Wolfersdorf wurden kirchliche Gegenstände aus Regensburg ausgelagert, nach Gaden Akten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs.48 Die Bestände waren jedoch auch auf dem Land nicht immer sicher: Nach Moosburg hatte man während des Krieges eine nicht näher genannte Bibliothek aus München evakuiert. Im Rahmen der Plünderungen nach Kriegsende wurde eine Kiste mit Büchern, die die Reihe Brehms Tierleben und neun Bände einer Weltgeschichte enthielt, gestohlen.49
Abb. 3: Kriegerdenkmal Auf dem Plan 1940 mit Gedenkkreuzen und Kränzen für gefallene Moosburger (Archiv Karl A. Bauer).
Viele junge Moosburger waren zur Wehrmacht eingezogen, manche schon seit Jahren. Bis Ende April 1945 waren über 200 von ihnen bereits gefallen und über 100 weitere vermisst. Es ist davon auszugehen, dass sie ebenfalls im Krieg umkamen, ihr Tod jedoch im Chaos der Kämpfe vor allem während des Zusammenbruchs der deutschen Fronten ab Sommer 1944 nicht mehr dokumentiert werden konnte. Für die Gefallenen stellten die Angehörigen Gedenkkreuze am Kriegerdenkmal Auf dem Plan auf – täglich wurde damit den Moosburgern vor Augen geführt, wie viele Mitbürger bereits im Krieg ihr Leben verloren hatten.50
Im Frühjahr 1945 zeichnete sich das nahende Kriegsende auch in Moosburg und Umgebung ab. Dass die Fronten näher rückten, zeigte sich unter anderem daran, dass in den letzten Kriegsmonaten mehrere Lazarette aus Schlesien nach Freising verlegt wurden. Im April 1945 brachte man kranke Gefangene aus dem Oflag 5a bei Stuttgart in Lazarette auf den Domberg.51
Abb. 4: Kriegerdenkmal Auf dem Plan 1944 bereits dicht bedeckt mit zahlreichen Gedenkkreuzen für gefallene Moosburger (Archiv Karl A. Bauer).
Im März hatte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes außerdem einen Stützpunkt in Moosburg eingerichtet. Mehrere Züge brachten Lebensmittel in die Stadt, die mit Lastwagen auf verschiedene Lager verteilt wurden. Da das Rote Kreuz die Lebensmittelpakete in der Stadt lagerte, vermutete Pfarrer Schiml, dass die Stadt auch in den letzten Kriegsmonaten von Bombenangriffen verschont blieb.52
Situation im Stalag
Auch im Stalag machte sich das Kriegsende bemerkbar. Die deutsche Führung ließ Kriegsgefangenenlager vor allem vor der zusammenbrechenden Ostfront evakuieren, damit keine Gefangenen dem Feind in die Hände fielen. Daher kamen seit Ende 1944 tausende Gefangene nach Moosburg. Unter ihnen waren etwa 12.000 Offiziere, zum Beispiel 2.000 Fliegeroffiziere aus Stalag Luft III (Sagan in Schlesien) sowie das komplette Offizierslager Eichstätt. Weil der Eisenbahnverkehr teilweise zusammengebrochen war, mussten sie häufig lange Strecken bei unzureichender Versorgung marschieren und kamen dementsprechend entkräftet und oft auch krank im Stalag an.53 In der Nacht vom 27. auf den 28.03.1945 erging an den Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis XIII ein fernmündlicher Befehl des Generalobersten Jodl, nach dem jeder Kommandeur eines Gefangenenlagers, der auch nur einen Gefangenen dem Feind überlasse, „mit seinem Kopf dafür haftet“.54 Mit Befehl vom 22.04.1945 verbot der Oberbefehlshaber West, dass Gefangenentransporte zum Schutz gegen Tieffliegerangriffe mit weißer Fahne marschierten.55 Diese Anordnungen zeigen, dass sich die Situation zuspitzte.
Abb. 6: Stalag VII A: Gefangene werden wegen Platzmangels in Zelten untergebracht (Nationalarchiv Washington).
Die Zahlenangaben, wie viele Gefangene sich bei Kriegsende im Lager befanden, schwanken: Ein erster Bericht der Aufklärungsabteilung (G2) der 3. US-Armee spricht von 12.000 Gefangenen56, die 14. US-Panzerdivision meldete direkt nach der Befreiung 27.00057, Major Koller nennt eine Zahl von 33.00058, das Rote Kreuz 37.00059, Pfarrer Schiml 40.000 Gefangene60 , nach dem Krieg war zum Teil von 40.000 Gefangenen die Rede61, zum Teil von 60.00062. Oberst Burger nennt sowohl 60.000 als auch 70.00063, der Lagergeistliche Prof. Dr. Ziegler 70.00064. Nach dem Krieg wurde auch die Zahl von 80.000 angegeben65, eine Ausgabe der amerikanischen Armeezeitung Army Times nennt sogar 130.00066, wobei letztere wohl nicht nur die Gefangenen des Stammlagers, sondern auch von Außenlagern beinhaltet.
Abb. 7: Gefangene US-Soldaten in einer Baracke im Stalag VII A (Nationalarchiv Washington).
Die Zahl von 70.000-80.000 dürfte realistisch sein und zwar aus folgenden Gründen: Zum 01.12.1944 befanden sich 75.400 Gefangene im Bereich des Stalag, davon 56.350 auf Arbeitseinsatz. Nach der letzten Belegungsmeldung für Stalag VII A waren am 01.01.1945 ca. 76.000 Gefangene im Bereich des Stalag, also im Lager selbst und in den Außenlagern.67 Das heißt, noch bevor wegen der Evakuierungen eine große Zahl von Gefangenen zusätzlich ins Stalag kam, befanden sich dort bereits etwa 20.000 Insassen. Um dann die Neuankömmlinge beherbergen zu können, beschlagnahmte die Lagerleitung Zelte für 30.000 Personen.68 Zeitzeugen berichten außerdem von einer kompletten Überfüllung des Lagers, was durch Bilder bestätigt wird, die zeigen, wie sich zahlreiche Gefangene auf dem Lagergelände zwischen Baracken drängen und dort offensichtlich im Freien campieren müssen.69 Bedenkt man, dass sich auch 1943/44 immer wieder bis zu 20.000 Gefangene im Lager aufgehalten haben,70 dass die Belegungsdichte in den Baracken seit Ende 1944 deutlich erhöht wurde,71 die Lagerleitung noch Zelte für 30.000 Gefangene auf den freien Flächen wie dem Sportplatz aufstellen ließ und dennoch Gefangene im Freien übernachten mussten, dann kann eine solche bedrängende Belegung nur durch eine Zahl von 70.000-80.000 Gefangene verursacht worden sein.
Abb. 8: Stalag VII A: Gefangene kochen Essen mit improvisierten Öfen und über Erdlöchern (Nationalarchiv Washington).
Von den 70.000-80.000 Gefangenen befanden sich 1.200 im Lagerlazarett. Außerdem wurden im März 1945 im Freisinger Reservelazarett der Wehrmacht neben 250 deutschen Soldaten 800 Kriegsgefangene behandelt.72
In Zeiten einer zunehmend chaotischeren Situation musste die Lagerleitung eine immer größere Zahl von Menschen versorgen. Da wegen der großflächigen Zerstörung der Verkehrsinfrastruktur und der Tieffliegerangriffe nur schwer Nachschub ins Stalag gebracht werden konnte, waren die Lebensmittelpakete des Roten Kreuzes besonders wichtig.73
Gleichzeitig versuchte die Lagerleitung die Ruhe im Lager aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass Gestapo oder SS Zugriff auf das Lager bekamen. Der Lagerleitung standen 2.000 Mann an Wachtruppen für das Lager und für die 80.000 Gefangenen in Außenlagern weitere 8.000 Mann an Wachmannschaften zur Verfügung.74
Die Situation gewann zunehmend an Dynamik. Täglich kamen neue Transporte mit Gefangenen an. Außerdem änderte sich in den letzten Kriegstagen die Lage laufend von Tag zu Tag.75
Die Lage Ende April
Abb. 9: Major Rudolf Koller (Archiv Karl A. Bauer).
In den letzten Apriltagen wurde die Lage in Moosburg immer unübersichtlicher. Dies spürte vor allem Major Koller, Kommandant des Landesschützenbataillon 512, das die Wachmannschaften des Stalag stellte. Durch die zahlreichen Luftangriffe gegen Kriegsende waren die Telefonverbindungen mit den Kommandos des Bataillons in Erding, Ingolstadt, Schrobenhausen und Mainburg unterbrochen. Der Kontakt musste mit Meldefahrern aufrechterhalten werden, damit Koller wenigstens einen ungefähren Überblick über die Lage hatte. Mit den Gefangenen, die bei Kriegsende aus anderen Lagern zum Stalag gebracht worden waren, kamen auch deren Wachmannschaften mit. So wuchs das Bataillon von ursprünglich sieben auf 12 Kompanien. Diese neu zugeordneten Einheiten brachte man neben den regulär in Moosburg stationierten Kompanien in der näheren Umgebung unter. In den neuen Kompanien waren viele Luftwaffenangehörige, der Ausbildungsstand war mäßig. Permanent gingen beim Kommando des Landesschützenbataillons Befehle übergeordneter Dienststellen ein. Den befehlshabenden Offizieren vor Ort war klar, dass der Krieg zu Ende ging. Major Koller, als Kommandeur des Landesschützenbataillons zugleich Kampfkommandant von Moosburg, war sich bewusst, dass Widerstand bei dem geringen Kampfwert seiner Truppen aus meist nur eingeschränkt dienstfähigen Männern aussichtlos war. Zeitweise kamen von vorgesetzten Dienststellen kaum mehr aussagekräftige Informationen über die Situation und die weiteren Pläne und auch keine Anweisungen mehr. Der Befehlshaber des Wehrkreises VII hatte sich ins Lazarett begeben, ebenso ein weiterer leitender Offizier. Major Koller hatte den Eindruck, dass die Offiziere im Wehrkreiskommando keinen Überblick über die Situation mehr hatten, geschweige denn zu einer realistischen Beurteilung der Lage und der sich daraus ergebenden Konsequenzen willens und fähig waren. So lief in diesen Tagen vor dem 26.04.1945 ein Befehl von General Greiner, neuer Befehlshaber des Wehrkreises VII ein, in dem er die Wiederherstellung der Front an der Isar-Linie anordnete. Major Koller unterließ es, diesen Befehl anweisungsgemäß zu verlesen – er hatte Angst, sich angesichts der Lage lächerlich zu machen. Auf Befehl des Wehrkreiskommandos rückten Brückensprengkommandos an. Major Koller und ein Ingenieur der Mittleren Isar AG konnten sie aber teilweise von der Sinnlosigkeit der Sprengungen überzeugen. Koller war auch der Volkssturm unterstellt, die Zusammenarbeit mit der dortigen Leitung war gut.76
Der Verkehr auf der Straße von Landshut nach München hatte in den letzten Apriltagen einen ungewöhnlich großen Umfang angenommen. Lange Militärkonvois passierten Moosburg. Große Truppenverbände fluteten zurück. Ihre Verfassung bewies nach Ansicht Kollers die völlige Auflösung der Front. An einem Tag fuhren elf Generäle mit ihren Stäben durch Moosburg Richtung Garmisch. Flüchtlinge strömten durch die Stadt.77
26.04.1945 – Die Lage spitzt sich zu
Am 26. April spitzte sich die Lage zu. Der Verkehr auf der Straße Landshut-Moosburg-München ließ nach, für Major Koller das Zeichen, dass sich nun die Front in unmittelbarer Nähe befand. Nach dem Donauübergang der Amerikaner bei Donauwörth konnte Koller nachts bereits Geschützfeuer vernehmen, dagegen ließen die Aktivitäten der amerikanischen Luftwaffe nach. Ab dem 25./26. April gab es für Koller kaum noch Verbindungen zur Führung, er war auf sich alleine gestellt. Koller erhielt von Oberst Burger den Auftrag, für Ruhe und Ordnung in der Stadt zu sorgen, Plünderungen zu vermeiden und besonders die Depots mit den Rot-Kreuz-Paketen, das Benzindepot und die Bäckereien zu sichern. Alle nicht benötigten Soldaten des Bataillons wurden in die Richtung Erding/Ebersberg abkommandiert.78
Die Moosburger begannen jetzt bereits heimlich mit den Vorbereitungen für den Einmarsch der Amerikaner.
27.04.1945 – Der Tag der Entscheidung in Moosburg
Nachdem bereits am 26.04.1945 die ersten Einheiten der 3. US-Armee die Donau bei Ingolstadt überquert hatten, setzte die 3. US-Armee am 27.04. an weiteren Stellen über den Fluss. Ihre Einheiten rückten nun nach Süden vor, darunter die 14. US-Panzerdivision in Richtung Moosburg. Die Akteure in der Stadt mussten nun über das weitere Vorgehen entscheiden.
Die Lage an der Donau
Am 27. April besetzten die Amerikaner Regensburg und Umgebung und überquerten die Donau an zahlreichen Stellen, darunter bei Neuburg an der Donau und bei Ulm. Die US-Truppen machten alleine am 27. April fast 15.000 Gefangene.79 Der Druck der Amerikaner gegen die Donaulinie von Ulm bis Deggendorf hielt an. Bei Dillingen konnten die Amerikaner ihren Brückenkopf erweitern und nach heftigen Kämpfen in Ulm eindringen. Die Realität hatte damit die Planungen der deutschen Wehrmacht zu Verteidigungslinien an der Donau schon überholt. Generell wurde den amerikanischen Einheiten, die den Fluss überquert hatten, nur noch desorganisierter, aber teilweise erbitterter Widerstand geleistet, vereinzelt gab es heftigere Artillerieattacken. 80
Noch am 27.04.1945 begann der amerikanische Vormarsch auf Moosburg. Das 48. US-Panzerbataillon, Teil der 14. Panzerdivision, hatte am 27. April über die Donau gesetzt. Ziel des 48. Panzerbataillons war es nun, die Isarübergänge bei Moosburg und Landshut zu sichern. 81
Strategie der 3. US-Armee
In einer Lageanalyse vom 28.04.1945 versuchte der Leiter der Stabsabteilung G-2 der 3. US-Armee, die Pläne der Wehrmacht in seinem Operationsgebiet zu ergründen. Er ging davon aus, dass es Ziel der deutschen Truppen sei, einen Korridor in die bayerischen Alpen offen zu halten. Diesen verortete er im Bereich zwischen Passau und Linz. Der US-Offizier vermutete, dass die Wehrmacht plante, über diesen Korridor Truppen aus der Tschechoslowakei von der Roten Armee weg in die Alpenfestung zu holen. Dabei ist auch zu bedenken, dass in Böhmen und Mähren noch die weitgehend intakte Heeresgruppe Mitte mit zuletzt 1,2 Mio. Soldaten stand. Außerdem wurden in großem Umfang Truppen (vor allem SS-Verbände) aus Böhmen und Mähren sowie aus Sachsen in Richtung Südbayern verlegt. 82
Auf Basis dieser Annahmen prognostizierte der amerikanische Offizier die zukünftigen Manöver und die Strategie der Wehrmacht in seinem Bereich. Im Westen des Operationsgebiets der 3. US-Armee würde die Wehrmacht versuchen, durch den eiligen Aufbau von Verteidigungslinien an Isar und Inn den Vormarsch der Amerikaner zu verlangsamen und so den Druck vom Korridor zu nehmen. Dies schloss er aus einer erbeuteten Karte mit entsprechenden Stellungen an den Flüssen und aus Truppenbewegungen, unter anderem dem Auftauchen einer 467. Mob-Division83 nördlich von Landshut. Der Offizier stellte fest, dass in der vergangenen Woche der Organisationsgrad der deutschen Truppen zugenommen hatte. Er befürchtete, dass weitere feindliche Einheiten in das Operationsgebiet der 3. US-Armee verlegt werden könnten, unter anderem Verbände, die vor dem sowjetischen Vormarsch nach Westen ausweichen würden, um den Korridor offen zu halten. Er ging hier von drei SS-Panzerdivisionen aus, wobei er die Kampfkraft von zwei dieser Divisionen zusammen wie ein US-Panzerbataillon einschätzte.
Der Offizier rechnete damit, dass je weiter die Amerikaner in den bayerischen Südosten vorstießen, desto stärker der Widerstand werde, gemessen an Intensität, Zahl und Organisationsgrad. Dies liege am entsprechenden Gelände, aber auch daran, dass die deutschen Truppen, die in dieser Gegend zusammengezogen würden, erbitterte Fanatiker seien. Falls es wirklich zum Endkampf in den Alpen kommen sollte, stehe dieser unmittelbar bevor und die Möglichkeiten des Feindes, Widerstand zu leisten, dürften trotz allem nicht unterschätzt werden. Andererseits müsse man sehen, ob der Feind wirklich ein „Walhalla-Finale“ (Zitat) anstrebe.84
Tatsächlich sah man im Führungsstab B des OKW die Lage ähnlich. Dort herrschte die Sorge, dass Böhmen mit den dortigen Truppen abgeschnitten werden könnte. Daher erging am 24.04.1945 der Befehl, eine SS-Division nach Passau zu verlegen, eine andere sollte die feindliche Nordflanke angreifen.85
In der G2-Lageanalyse wurden auch die aktuellen Fähigkeiten der Wehrmacht aufgezeigt. Danach sei die Wehrmacht noch zu hinhaltendem, den weiteren Vormarsch verzögernden Widerstand und kleinen Gegenangriffen mit einigen Panzern in der Lage, vor allem in die Flanken der vorrückenden Einheiten, ebenso zu kleineren Luftangriffen. Die Wehrmacht könne noch Verstärkung mittels verschiedener Einheiten und Kampfgruppen herbeiführen, in der Stärke von etwa einer Infanterie- oder Panzerdivision. Außerdem sei sie in der Lage, schnell Verteidigungspositionen entlang von Isar, Inn und Donau aufzubauen, um den Vormarsch der Amerikaner in das Gebiet der Alpenfestung zu verzögern. Allerdings habe der Feind zu größeren Offensiven nicht mehr die Kraft.
Daraus ergab sich die Strategie der 3. US-Armee. Es ging darum, möglichst schnell in das Gebiet von Passau und Linz vorzustoßen und den Korridor in die Alpen zu besetzen, um so den in Böhmen und Mähren stehenden deutschen Truppen den Weg in die Alpenfestung abzuschneiden. Um schnell vorrücken zu können, war die Sicherung der Flussübergänge über Isar und Inn das zentrale Etappenziel der amerikanischen Truppen, um den Aufbau von Verteidigungslinien an den Flüssen zu unterlaufen und die Brücken über die Flüsse unbeschädigt zu besetzen.86
Die Befehlslage in Moosburg
Ungeachtet der prekären militärischen Situation war die Befehlslage der Offiziere in Moosburg auf eine Fortsetzung des Krieges ausgerichtet.
Ende April hatte Oberst Burger die Anordnung erhalten, mit den gefangenen Offizieren in den Süden zu marschieren. Zeitweise gab es den Befehl, die amerikanischen Gefangenen in den Ebersberger Forst und weiter nach Mittenwald marschieren zu lassen und die anderen den Amerikanern zu übergeben. Wahrscheinlich sollten sie als Faustpfand bei möglichen Verhandlungen mit den Alliierten dienen. Die Anweisung lautete weiterhin, die Lagergebäude zu sprengen, um dem Feind keine Unterkünfte in die Hände fallen zu lassen. Alle nicht direkt zur Bewachung nötigen Soldaten mussten der Kampftruppe eingegliedert werden. An Isar und Amper war eine Verteidigungslinie aufzubauen.87
Nachdem die Donaulinie gefallen war, kam es am Tag darauf zum nächsten Durchhaltebefehl. Am 27.04.1945 erging um 20 Uhr 30 Anweisung des Oberbefehlshabers West an den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe G, unter anderem eine Verteidigungslinie Isar-Amper-Glonn-Ammersee-Schongau als rückwärtigen Riegel vorzubereiten.88 Der auch für Moosburg gültige Verteidigungsbefehl lautete:
„Die Stunde der Entscheidung ist gekommen. Es geht um den letzten Widerstand und den Sieg. Die Isar-Amper-Glonn-Linie ist die letzte Verteidigungsstellung. Sie muss gehalten werden. Von hier aus beginnt die große Offensive. Neue, bestausgerüstete Divisionen sind bereitgestellt. Entscheidungbringende bisher unbekannte Waffen kommen zum Einsatz.“ Gegen Meuterer und Deserteure sei rücksichtslos vorzugehen, jedermann habe die Pflicht, versagende Offiziere zu entfernen, um selbst die Führung zu übernehmen.89 Der Hinweis auf neue Divisionen und angebliche Wunderwaffen war eine eindeutige Lüge und zeigt eindringlich, mit wie wenig Verantwortungsbewusstsein die Spitzen der Wehrmacht in den letzten Kriegstagen gegenüber den ihnen unterstellten Truppen handelten.
Von einer realistischen Lagebeurteilung war man beim Oberbefehlshaber West generell weit entfernt. In diesen Tagen waren die deutschen Truppen weder personell noch materiell in der Lage, eine effektive Verteidigungslinie zu bilden und mit ihr Widerstand zu leisten. Moosburg lag in den letzten Kriegstagen im Operationsgebiet der 1. Deutschen Armee. Diese bestand aus einem Sammelsurium von Resteinheiten der Wehrmacht, der Waffen-SS und des Volkssturms. Im Gebiet um Moosburg kämpften Teile der 38. SS-Grenadier-Division und der 352. Volksgrenadier-Division. Der Wehrkreisbefehlshaber VII verfügte über drei Divisionen um seinen Verteidigungsabschnitt zu sichern. Eine davon, die einen Bereich von 14 km verteidigen sollte, bestand aus einem Oberst als Divisionskommandeur, seinem Fahrer und seinem Burschen. Der Divisionskommandeur sollte seine Einheit mit zurückflutenden Soldaten auffüllen. 90
Abb. 10: Bürgermeister Dr. Hermann Müller (Archiv Karl A. Bauer).
Eine mutige Entscheidung
Angesichts der aussichtlosen Situation war bei den Beteiligten vor Ort, Oberst Burger, Major Koller und Bürgermeister Müller schon in den letzten Tagen die Entscheidung gereift, Moosburg nicht zu verteidigen und das Stalag den Amerikanern zu übergeben.
Etwa eine Woche vor dem Einmarsch der Amerikaner hatte Bürgermeister Müller dem Stadtpfarrer mitteilen lassen, dass er die Stadt kampflos übergeben wolle.
Abb. 11: Oberst Otto Burger, Kommandant des Stalag VII A (Archiv Karl A. Bauer).
Angeblich fuhr er auch mit einem Parteimitglied nach Freising, um dort beim Kreisleiter die kampflose Übergabe zu erreichen. Letzteres ist eher unwahrscheinlich. Die Entscheidung über eine Übergabe war letztlich eine der Wehrmacht, da diese über die Kampfmaßnahmen zu bestimmen hatte. Außerdem war ein hochrangiger Vertreter der Partei eine denkbar schlechte Adresse für solch ein Begehren. Vielmehr musste Bürgermeister Müller damit rechnen, dass ein überzeugter Nationalsozialist wie der Kreisleiter ein solches Ansinnen nicht nur ablehnen, sondern ihn auch verhaften würde. 91
Oberst Burger hatte sich entschlossen, mit dem gesamten Stalag-Personal zu bleiben und das Lager den Amerikanern zu übergeben. Er lehnte die Ausführung des Befehls, mit den Gefangenen abzurücken, ab. Da keine Unterkünfte, Verpflegung und medizinische Versorgung sowie keine ausreichende Bekleidung vorbereitet oder vorhanden waren, musste ein solcher Marsch in einer Katastrophe enden. Außerdem würde die Entscheidung, die Gebäude des Stalag zu sprengen und die Gefangenen sich selbst zu überlassen, zu chaotischen Zuständen in Moosburg und Umgebung führen.92
Major Koller, dem neben dem Volkssturm in Moosburg auch der Volkssturm in Nandlstadt und Bruckberg unterstand, hatte die Volkssturmleute angewiesen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, jedes Blutvergießen zu vermeiden und niemanden an die Kriegsgefangenen heranzulassen. Sollte von einer anderen militärischen Dienststelle oder von politischer Seite eine anderslautende Anweisung erteilt werden, sollte der Volkssturm nur zum Schein darauf eingehen. 93
Spätestens am 27. April kamen die drei Akteure überein, die Stadt nicht zu verteidigen. Ob die beiden Offiziere, Burger als Lagerkommandant, Koller als Kampfkommandant von Moosburg zunächst jeder für sich den Entschluss zur kampflosen Kapitulation fassten oder diesen Plan gemeinsam entwickelten, geht aus den Berichten der zwei Wehrmachtsangehörigen nicht hervor. Koller und Burger nennen sich in ihren Berichten über das Kriegsende aber oft gegenseitig und beschreiben die intensive Zusammenarbeit, Bürgermeister Müller wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt.
Jedenfalls kam es jetzt zum Schwur. Beide Offiziere verweigerten den Befehl, mit den Gefangenen abzumarschieren und den eindeutigen Befehl, sich am Aufbau einer Verteidigungslinie zu beteiligen und dokumentierten das auch nach außen.
So gab Major Koller am 27.04. einer Kompanie der Landesschützen in Landshut den Befehl, sich über Kumhausen nach Süden abzusetzen und die Gefangenen in Landshut zu übergeben.
Oberst Burger versuchte nun, das Wehrkreiskommando davon zu überzeugen, den Raum um Moosburg zum neutralen Gebiet zu erklären, in dem keine Kampfhandlungen stattfinden sollten. Im Wehrkreiskommando war man diesem Vorschlag nicht abgeneigt, bevor jedoch eine Entscheidung erging, wurde der Verteidigungsabschnitt um Moosburg dem XIII. SS-Armeekorps (bestehend aus der 38. SS-Grenadier-Division „Nibelungen“ und der 352. Volksgrenadierdivision) unterstellt, das Wehrkreiskommando war daher für Entscheidungen die Verteidigung von Moosburg betreffend, nicht mehr zuständig. Die SS-Division „Nibelungen“ sollte mit drei Regimentern den Raum um Moosburg verteidigen.94
Das Wehrkreiskommando hatte inzwischen nach Pfarrkirchen verlegt. Ab dem 27.04., 8 Uhr, befand sich dort der Korpsgefechtsstand. Weder mit dem Wehrkreiskommando noch mit der Leitung des SS-Armeekorps hatte Burger nun noch Kontakt. 95Jetzt eröffneten sich für die Akteure in Moosburg Handlungsspielräume.
Auch die Einwohner Moosburgs begannen nun konkret, eine friedliche Übergabe vorzubereiten. In der Nacht vom 27. auf den 28. April gab es eine Besprechung vom Moosburger Bürgern unter Beisein des Stadtpfarrers, die diskutierten, wie im Fall einer kampflosen Übergabe Aktionen fanatischer Nazis, insbesondere Brückensprengungen, verhindert werden könnten. 96
Todesmärsche
Kurz vor Kriegsende wurde den Moosburgern das Wesen des Dritten Reiches eindringlich vor Augen geführt.
Am 26.04.1945 war bereits ein Zug von KZ-Häftlingen durch Moosburg gezogen, in „erbarmungswürdigem Zustand“, wie Koller schreibt. Es handelte sich um Insassen des KZ Flossenbürg. Um zu verhindern, dass die Häftlinge den vorrückenden Amerikanern in die Hände fielen, evakuierte die SS im April 1945 das Lager. Die meisten Häftlinge mussten zu Fuß zum KZ Dachau marschieren. Es handelte sich um Todesmärsche, da zahlreiche Häftlinge nach den Strapazen der Lagerhaft vor Erschöpfung auf dem Weg starben. Viele, die nicht mehr weiterkonnten, wurden von den Wachmannschaften auf dem Weg erschossen oder erschlagen. Dies war auch in Moosburg der Fall. Neben der Straße nach Thonstetten wurden diejenigen verscharrt, die völlig entkräftet gestorben oder von den Wachen umgebracht worden waren. Im Gemeindegebiet von Thonstetten gab es sechs Opfer. Verwundete gab es nicht, schreibt Pfarrer Schiml. 97
Die Zahlen dieses ersten Todesmarsches durch Moosburg sind unklar. Oberst Burger erinnerte sich nach dem Krieg an einen Zug von 800 Personen. Burger ließ nach eigenen Angaben diesen ersten und Teile eines zweiten Zuges von 80-100 Personen verpflegen98. Nach Angaben von Pfarrer Schiml zogen jeweils mehrere Tausend ausgemergelte Menschen durch Moosburg. Koller spricht zwar in seinen Erinnerungen nur von einem Zug von KZ-Insassen aus Straubing. Er meint wohl den Zug aus Flossenbürg, jedenfalls war er am 27.04. zumindest abends nach eigenen Angaben in Landshut und nicht in Moosburg.99
Am 27.04.1945 passierte ein zweiter Todesmarsch die Stadt. Er hatte seinen Ausgangspunk im Zuchthaus Straubing. Dieser Zug ist besser dokumentiert. Es liegen zwei Berichte von Häftlingen vor, die mitmarschierten. Ein Teilnehmer des Zuges spricht von 1.300 Häftlingen. Seinen Angaben nach seien vorwiegend Kriminelle von Straubing aus in Marsch gesetzt worden. Nur bei einem kleinen Prozentsatz habe es sich um politische Häftlinge gehandelt.100 Ein anderer Teilnehmer berichtet vom eigentlichen Ausgangspunkt des Zuges. Im März 1945 waren rund 2.000 Insassen des Zuchthauses Kassel in Viehwägen mit der Bahn nach Halle transportiert worden und gerieten dort in einen schweren Bombenangriff, der zahlreiche Opfer unter den Häftlingen forderte. Gefangene, die sich in Sicherheit bringen wollten, wurden teilweise wegen angeblichen Fluchtversuchs erschossen. Nach einem Zwischenhalt brachte man die Häftlinge per Bahn nach Straubing. Dort wurde der Zug abgewiesen, weil das Zuchthaus bereits überfüllt war. Im Lager Prien, dem nächsten Ziel, wies man die Häftlinge ebenfalls wegen Überfüllung ab. Nun führte der Weg zurück nach Straubing. Nach fünf Tagen in Viehwaggons, ohne Waschgelegenheiten und nur mit unzureichender Verpflegung, nahm die Anstaltsleitung die inzwischen geschwächten und teilweise erkrankten Häftlinge doch noch ins Zuchthaus Straubing auf. 5-6 Mann belegten eine Zelle mit 12 Quadratmetern. Vor den anrückenden Amerikanern wurden rund 4.000 Häftlinge des Zuchthauses am 20. oder 21. April Richtung Süden in Marsch gesetzt. Ab dem zweiten Tag trat Ermüdung ein durch schlechtes Schuhwerk (Holzpantinen), unzureichende Ernährung und anstrengendes Marschieren. Ab dem dritten Tag fuhren hilfsbereite Landwirte diejenigen, die nicht mehr laufen konnten, auf Wägen von Ort zu Ort. Die Kranken brachten die Wachen in den Gefängnissen am Weg unter. Als der Verpflegungswagen ausblieb, wurde die Lage dramatisch. Gefangene, die versuchten, Mieten mit Rüben oder Kartoffeln am Wegesrand zu plündern, wurden von den Wachen mit Gewehrkolben zusammengeschlagen. Da die Häftlinge im nasskalten Aprilwetter unter freiem Himmel schlafen mussten, traten Erkältungskrankheiten auf. Häftlinge starben unterwegs oder wurden von den Wachen am Wegesrand erschossen. Feindliche Flieger erkannten den Elendszug, grüßten, indem sie die Flügel schwenkten und versuchten, den weiteren Vormarsch dadurch aufzuhalten, dass sie die Wagen auf der Straße vor dem Zug in Brand schossen. Am 27. April erreichte der Zug Moosburg. Dort gerieten die Häftlinge in ein heftiges Unwetter, außerdem waren sie ohne Nahrung, weil der Verpflegungswagen nicht mitgekommen war. In Moosburg verbrachten die Häftlinge die Nacht. Kriegsgefangene und die einheimische Bevölkerung versorgten die Häftlinge gelegentlich mit Rauchwaren und Lebensmitteln. Die Wachen schritten jedoch dagegen streng ein und versuchten, dies zu verhindern. Am 28. wurde der Marsch fortgesetzt und als Ziel Dachau ausgegeben. Dieses Ziel sollten die Häftlinge noch am selben Abend erreichen. Angetrieben von Kolbenschlägen der Wachen marschierte der Zug über Langenbach und Marzling bis etwa zwei Kilometer hinter Freising. Dort kam dem Zug ein Kradfahrer entgegen, der den Wachen mitteilte, Dachau sei bereits besetzt. Diese Nachricht löste Jubel und Hochstimmung unter den Häftlingen aus. Die ersten Wachen verließen den Zug. Nun kehrten die Gefangenen um und machten Station in Freising in der Nähe des Bergkaffees. 101
Für viele Moosburger waren die Züge ein Schock. Offensichtlich wurde nun vielen klar, was Nationalsozialismus bedeutet: „Jeder Zug mehrere tausend Jammergestalten, auch Frauen darunter. Bei ihrem Anblick krampft sich das Herz zusammen. Die Moosburger beeilten sich, den daher wankenden, ausgemergelten, leichenähnlichen Gestalten Brot zuzustecken und Wasser zu geben – trotz der strengen Bewachung. Mit lauten Worten gaben die Leute, die das Elend sahen, ihrer Empörung Ausdruck“, schreibt Stadtpfarrer Schiml in einem Bericht über das Kriegsende in Moosburg.102
28.04.1945 – Übergabeverhandlungen
Am 28.04.1945 näherten sich Teile der 14. US-Panzerdivision Moosburg bis auf wenige Kilometer. Deutsche und Amerikaner versuchten nun, eine friedliche Übergabe von Stadt und Stalag auszuhandeln.
Die Lage in Moosburg
Weitere Einheiten der 14. Panzerdivision überquerten am 28. April bei Ingolstadt in anderthalb Stunden nahezu ungehindert die Donau und rückten auf das (Tages-)ziel der Division vor, Moosburg.103
Die 38. SS-Grenadier-Division „Nibelungen“, Teil des XIII. SS-Armee-Korps, wurde von den Amerikanern nun weiter nach Westen in Richtung Moosburg abgedrängt.104 Nach Angaben eines deutschen Gefangenen hatte sich die 352. Volksgrenadierdivision auf Freising zurückgezogen. Weitere deutsche Truppen, darunter die 17. SS-Panzergrenadier-Division und die 719. Infanteriedivision, marschierten nach Moosburg, um dort den Fluss zu überqueren.105
Am 28.04.1945 trafen die ersten Verbände des XIII. SS-Armeekorps, dem die Verteidigung des Raumes um Moosburg übertragen worden war, in ihrem Operationsgebiet ein. Es handelte sich um drei Regimenter der 38. SS-Grenadierdivision „Nibelungen“ oder vielmehr das, was von diesen noch übrig war und es bis Moosburg geschafft hatte. Ein Regiment der Division ging in der Stadt in Stellung. Ein weiteres Regiment stand nördlich, ein anderes südlich der Stadt.106
Abb. 12: Generalmajor Albert C. Smith, Kommandeur der 14. US-Panzerdivision (Nationalarchiv Washington).
Der Aufmarsch der Truppen zog sich allerdings angesichts der chaotischen Verhältnisse im Zuge der sich auflösenden deutschen Fronten hin. So kamen zum Beispiel Teile einer Kompanie des 3. Bataillons des 96. Regiments der 38. SS-Grenadier-Division erst am Abend in Moosburg an. Der Zustand dieser Kompanie war wohl typisch: Sie bestand aus etwa 50 Soldaten im Alter zwischen 16 und 17 Jahren. Diese Truppe kam aus Geisenfeld und marschierte über Mainburg und Mauern nach Moosburg. Bewaffnet war sie mit Karabinern vom Typ K98, Maschinenpistolen, Sturmgewehren, Handgranaten, Pistolen und einigen Panzerfäusten. Über schwere Waffen verfügte sie nicht, außerdem nur über wenig Munition. Auf dem Weg nach Moosburg stießen auch andere versprengte Soldaten und Wehrmachtsgefolge zu dieser Kompanie.107 Nach Angaben des Stadtpfarrers boten die einrückenden Soldaten einen jammervollen Anblick. 108
Der für Moosburg zuständige SS-Kommandeur war entschlossen, mit seinen Truppen und den Wachmannschaften des Stalag Moosburg „nachhaltigst“ zu verteidigen. Der Kommandeur des in Moosburg stehenden Regiments forderte Oberst Burger daher auf, alle entbehrlichen Soldaten (2.000 Mann an Wachmannschaften und Stalag-Personal) zur Verfügung zu stellen und mit den gefangenen Offizieren abzumarschieren. Die SS begann nun, sich an der Amperbrücke und den Höhen Richtung Zieglberg zu verschanzen, um den von Mauern her erwarteten Vormarsch der Amerikaner aufzuhalten. In einem Haus bei der Amperbrücke richtete die oben genannte Kompanie am frühen Morgen des 29.04. einen Gefechtsstand ein. 109
Die Akteure in Moosburg verfolgten eine andere Strategie. Wie in einer Besprechung am Vorabend vereinbart, bereiteten sie die kampflose Übergabe vor. Major Koller instruierte, wie auch schon in den vergangenen Tagen, die Kommandanten des Moosburger Volkssturms dahingehend, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, Plünderungen und vor allem jegliches Blutvergießen zu vermeiden und die Gefangenen zu schützen. Sie sollten jedoch keine Vorbereitungen für Kampfhandlungen treffen. Der Waffenmeister des Volkssturms machte dessen zehn Panzerfäuste unbrauchbar. Auch die Landesschützen begannen nun, die kampflose Übergabe der Stadt vorzubereiten. Der Stab des Bataillons vernichtete noch am 28. April alle sensiblen Unterlagen. Von seinen sieben regulären Kompanien standen Koller am 28. April nur zwei zur Verfügung, nämlich eine in Thonstetten und eine für Moosburg in der Turnhalle, außerdem sein Stab und der Volkssturm. Zwei Kompanien befanden sich im Stalag, eine in Landshut und die übrigen bei den Außenkommandos. Mit den auswärtigen Kompanien hatte Koller kaum noch Kontakt.
Am 28.04. hörte auch der seit Tagen anhaltende Flüchtlingsstrom auf, der Kanonendonner kam näher. 110 Die Front bewegte sich auf Moosburg zu.
Die Lage im Stalag
Am Morgen des 28. April versammelte Oberst Burger das gesamte Stalag-Personal und die Wachtruppen, die sich bereits zum Abmarsch mit den Gefangenen in den Süden oder für einen Einsatz an der Front vorbereitet hatten, zu einem letzten Appell. Er gab bekannt, dass die Gefangenen nicht abtransportiert, Moosburg nicht verteidigt und die Wachmannschaften nicht der Kampftruppe eingegliedert würden. Er wolle das Lager an die Amerikaner übergeben. Dies erklärte er dann auch den Gefangenen. Damit hatte Oberst Burger öffentlich einen Befehl verweigert. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Befehlslage begaben sich damit er und seine ihn unterstützenden Männer in Lebensgefahr. Ihnen drohte die standrechtliche Erschießung. Burger und Major Koller setzten nun die Maßnahmen für eine kampflose Übergabe des Lagers fort.111
Im Moosburger Gerichtsgefängnis waren noch einige englische Offiziere als Spione inhaftiert, die vom SD (Sicherheitsdienst, Geheimdienst der SS) aus Verona nach Moosburg gebracht worden waren. Oberst Burger ordnete ihre Verlegung ins Stalag an, um sie vor der SS in Sicherheit zu bringen.112
Die Nachricht von der Freiheitsaktion Bayern (FAB), einem Aufstandsversuch einiger Wehrmachtseinheiten im Raum München gegen die nationalsozialistischen Machthaber mit dem Ziel, den Krieg zu beenden, löste laut Oberst Burger am 28.04.1945 zunächst eine Hochstimmung aus, der nach Bekanntgabe der Niederschlagung des Aufstands Ernüchterung folgte. Diese Aussage wird durch die Tatsache nachvollziehbar, dass die Freiheitsaktion Bayern auch Kontakt zu einer Widerstandsgruppe aus Dolmetschern des Stalag VII A und zu weiteren Gruppen im Freisinger Raum hatte.113
Es taten im Stalag außerdem mehrere Aktivisten der Süddeutschen Freiheitsbewegung und der Bayerischen Heimatbewegung Dienst. Über beide Gruppen ist wenig bekannt, die wenigen Informationen stammen von Mitgliedern dieser Gruppierungen.