Club Paradies - Im Glanz der Macht - Caren Benedikt - E-Book
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Club Paradies - Im Glanz der Macht E-Book

Caren Benedikt

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Beschreibung

Ihr gehört ein bekannter Nachtclub in Berlin. Ihm die halbe Stadt. Nur etwas ganz Bestimmtes fehlt ihm noch … Der neue Zweiteiler von SPIEGEL-Bestsellerautorin Caren Benedikt.

Berlin, 1976: Der skrupellose Immobilienpatriarch Hanns Borchardt befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere – er ist der Mann, mit dem jeder Geschäfte machen will. Seiner Frau Maria und seinen beiden Kindern Holger und Hanna bietet er ein luxuriöses Leben. Doch die perfekte Fassade der Borchardts trügt: Hanna sehnt sich nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben, Holger begehrt gegen die Familie und die spießige Gesellschaft auf, und Maria denkt über Scheidung nach.
Hanns hat aber noch weitaus größere Probleme, denn mit all dem Ruhm und Reichtum geht auch eine Gier einher, die ihn eine verhängnisvolle Entscheidung treffen lässt. Welchen Preis ist Hanns bereit zu zahlen, um sein Lebenswerk zu retten? Und was hat Lea Stern, die Besitzerin von Berlins spektakulärstem Nachtclub, mit alldem zu tun?

"Club Paradies" von Caren Benedikt:
1. Im Glanz der Macht
2. Im Licht der Freiheit

Lesen Sie auch die spannende Familiensaga um »Das Grand Hotel« von Caren Benedikt.

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Buch

Berlin, 1976: Der skrupellose Immobilienpatriarch Hanns Borchardt befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere – er ist der Mann, mit dem jeder Geschäfte machen will. Seiner Frau Maria und seinen beiden Kindern Holger und Hanna bietet er ein luxuriöses Leben. Doch die perfekte Fassade der Borchardts trügt: Hanna sehnt sich nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben, Holger begehrt gegen die Familie und die spießige Gesellschaft auf, und Maria denkt über Scheidung nach.

Hanns hat aber noch weitaus größere Probleme, denn mit all dem Ruhm und Reichtum geht auch eine Gier einher, die ihn eine verhängnisvolle Entscheidung treffen lässt. Welchen Preis ist Hanns bereit zu zahlen, um sein Lebenswerk zu retten? Und was hat Lea Stern, die Besitzerin von Berlins spektakulärstem Nachtclub, mit alldem zu tun?

Autorin

Caren Benedikt ist das Pseudonym der Autorin Petra Mattfeldt. Sie liebt den Norden, eine steife Brise und das Reisen an die Orte, über die sie schreibt. Nach einer eher nüchternen Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten arbeitete sie als freie Journalistin. Inzwischen ist die Schriftstellerei ihr Hauptberuf, und sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem kleinen Ort in der Nähe von Bremen.

Von Caren Benedikt bereits erschienen:

Das Grand Hotel. Die nach den Sternen greifen. Band 1

Das Grand Hotel. Die mit dem Feuer spielen. Band 2

Das Grand Hotel. Die der Brandung trotzen. Band 3

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet

CAREN BENEDIKT

CLUB PARADIES

Im Glanz der Macht

Band 1

Roman

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© 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Diana Schaumlöffel

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: © SZ Photo / Gert Mähler / Bridgeman Images

© Shelley Richmond / Trevillion Images

NG · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27565-5V002

www.blanvalet.de

Ich widme dieses Buch meiner Familie! Ihr seid die Besten!

Prolog

Bahnhof Savignyplatz, Berlin-Charlottenburg

Heiligabend des Jahres 1976

Wer als Wolf unter Wölfen Schwäche zeigt, wird von den anderen gerissen.

HANNSBORCHARDT

Er stand auf dem Bahnsteig und wartete auf die S-Bahn. Den ganzen Tag über war es bedeckt gewesen mit vereinzelten Schneeregenschauern. Vor einer Stunde hatte es dann kräftig zu schneien begonnen, und die Flocken, die auf dem Weg von seinem Auto hierher auf seinen mit Fellkragen besetzten Wintermantel gefallen waren, schmolzen gerade erst. Er fand, dass es kälter geworden war, doch er mochte sich auch täuschen.

Auf dem Bahnsteig waren für einen Heiligabend überraschend viele Menschen. Oder vielleicht war es auch normal, nur wusste Hanns es eben nicht besser, war er doch in den vergangenen Jahren um diese Uhrzeit stets zu Hause gewesen.

Ein Stück von ihm entfernt stand eine junge Frau mit einem Kind an der Hand. Der Junge mochte nicht älter als vier oder fünf Jahre sein. Ein kurzes Lächeln kam über Hanns’ Lippen. Sein eigener Sohn war längst ein erwachsener Mann, doch irgendwie erinnerte ihn der Kleine, der sich immer wieder vorbeugte, um zu sehen, ob der Zug kam, an Holger. War er damals auch so blond gewesen wie der Kleine hier neben ihm? Nein, wohl doch ein wenig dunkler. Genau erinnerte er sich jedoch nicht daran. Wahrscheinlich, weil er zu wenig Zeit mit seinem Sohn verbracht hatte und ihm die Jahre, wie er nun erkannte, irgendwie durch die Finger geronnen waren. Er hatte gearbeitet, immer, unentwegt und fast rund um die Uhr. Alles andere hatte in seinem Leben dahinter zurückstehen müssen. Schließlich hatte er etwas erreichen wollen, und das war ihm gelungen. Er war wer, der Name Hanns Borchardt stand für etwas. Wer in Berlin und auch darüber hinaus seinen Namen nannte, verband damit Geld, Erfolg und Macht. Politiker, Bankiers, hochgestellte Persönlichkeiten und sogar der Adel gaben sich bei Hanns Borchardt die Klinke in die Hand und liebten es, an seiner Seite abgelichtet zu werden und ihr Konterfei neben dem seinen in der Presse wiederzufinden.

Hanns sah auf, als die Gleise zu vibrieren begannen und so die einfahrende S-Bahn ankündigten. Er trat weiter vor und sah in die Richtung des herannahenden Zuges, konnte sogar schon die Lichter erkennen. Nun musste er nicht mehr lange warten. Er blickte noch einmal kurz zu der Mutter mit dem Jungen, die diesen nun ein Stück zurückzog, damit das Kind nicht zu nah an die Gleise geriet. Hanns lächelte sie an, was sie erwiderte. Dann sah er wieder in Richtung der S-Bahn. Gleich war sie da. Zum Glück! Hanns konnte die Ankunft kaum mehr erwarten.

Im Monat zuvor …

1. Kapitel

Villa Borchardt, Koenigsallee 75, Berlin-Grunewald

Freitag, 19. November 1976

Ich bin der Marionettenspieler, und ihr seid die Puppen, die an meinen Strippen hängen und sich genauso bewegen, wie ich es will.

HANNSBORCHARDT

Alles war vorbereitet, er hatte an alles gedacht. Wie immer. Was er plante, gelang, dafür sorgte Hanns schon. Es hatte ihn tatsächlich einige Mühe gekostet, Maria über die Stunden zu beschäftigen und bei Laune zu halten, um sie möglichst weit und lange von zu Hause wegzubekommen. Natürlich hatte sie es ihm nicht abgeschlagen, immerhin hatte er ihr gesagt, dass es darum ging, ihr an ihrem fünfzigsten Geburtstag eine besondere Freude machen zu wollen. Also war er mit seiner Frau zunächst zur Damenausstatterin gefahren, wo eine Modenschau mit den neuesten Modellen an Tagesgarderobe und Abendkleidern für Maria veranstaltet worden war und sie sich nach Herzenslust hatte einkleiden können. Kurz war Hanns verärgert gewesen, meinte seine Frau doch, dass sie genug schöne Kleider besaß und sie eigentlich gar nichts hätte haben wollen. Natürlich hatte er ihre Argumente nicht gelten lassen. Was für ein Unsinn aber auch. Am Ende hatte sie dann zwei Kostüme und ein Abendkleid bestellt, und Hanns hatte, Marias Einwände ignorierend, noch einmal fünf weitere Modelle zusätzlich in Auftrag gegeben. Dann war er mit seiner Frau im Helikopter an die Nordsee geflogen, und sie hatten dort zu Mittag gegessen, weil Maria aus einem Dorf in der Nähe von Bremerhaven stammte und bis heute behauptete, dass man nirgendwo besser Fisch essen konnte. Hanns hatte es zwar missfallen, dass seine Frau sich lediglich eine gemischte Fischplatte bestellt hatte und den Hummer mit dem russischen Kaviar und den Austern, die Hanns geordert und extra vorbestellt hatte, ablehnte. Da es aber ihr Geburtstag war, sagte er nichts. Doch manchmal, so musste er feststellen, gelang es Maria einfach nicht, den provinziellen Mief des Gewöhnlichen hinter sich zu lassen, auch nach all den Jahren des Reichtums und Überflusses nicht. Aber er wollte sie an diesem Tage nicht dahingehend belehren.

Für den Abend, so dachte Maria, würde es ein gemütliches Essen zu Hause im engsten Familienkreis geben. Nur Hanns, Maria und die gemeinsamen Kinder Holger und Hanna. Das hatte seine Frau sich gewünscht. Doch natürlich hatte Hanns etwas ganz anderes geplant und würde seine Frau hiermit überraschen. Wenn sie gleich mit dem Helikopter landeten, würden bereits fast hundert Gäste auf sie warten. Immerhin zählte seine Familie zur besseren Gesellschaft, und mit dieser umgab man sich nun mal zu einem Anlass wie dem fünfzigsten Geburtstag, wenn man weiterhin dazugehören wollte. Und das wollte Maria schließlich auch, selbst wenn sie manchmal so tat, als würde ihr all das nichts bedeuten.

Hanns lenkte seine Frau ab, als sein Privatpilot Harald Flenske mit dem Helikopter zur Landung ansetzte. Schließlich sollte Maria nicht auf die vielen Autos aufmerksam werden, die im hinteren Bereich des Geländes und um das Grundstück herum abgestellt worden waren. Zwar war es zu dieser Jahreszeit in den Abendstunden bereits dunkel und die Fahrzeuge damit nicht auf den ersten Blick zu erkennen, doch er wollte lieber nichts riskieren. Zu ihrer Überraschung zog er seine Frau an sich und gab ihr einen langen Kuss, den er abbrach, als der Helikopter aufsetzte.

»Da sind wir«, verkündete er.

»Hanns«, sagte Maria und sah ihn glücklich an. »Du hast dir wirklich viel Mühe gegeben heute, und ich weiß, dass es für dich nicht leicht war, den ganzen Tag mit mir zu verbringen und deine Arbeit einfach liegen zu lassen.« Sie beugte sich vor und gab ihm noch einen Kuss. »Danke. Das bedeutet mir wirklich viel.«

»Für dich tue ich doch alles.« Er küsste sie noch einmal kurz und sah dann auf ihren Mund. »Du solltest deinen Lippenstift nachziehen, meine Liebe«, bemerkte Hanns.

»Ich glaube, unsere Kinder wird es nicht stören«, lachte Maria auf.

Aber Hanns kramte schon in ihrer Handtasche und holte den Lippenstift hervor. »Hier. Tu es für mich. Du bist viel zu schön, um nicht perfekt zu sein.«

Etwas zögernd ergriff sie den Lippenstift, nahm einen kleinen Spiegel zur Hand und zog sich die Lippen nach. »Besser?«, fragte sie.

Hanns sah seine Frau an. Ihre langen blonden Haare ließen sie jünger aussehen, und es hatte ihr über die Jahre gutgetan, nur die besten Pflegeprodukte nutzen zu können. Sie hatte kaum Falten, nur ein paar um die Augen, vor allem aber strahlte sie noch immer die überlegene Schönheit aus, wegen derer er sich damals in sie verliebt hatte. Ja, Maria war eine schöne Frau. Seine Frau. Und was sie ihm an Aussehen voraushatte, vermochte er heute mit Geld auszugleichen. Als er sie vor über siebenundzwanzig Jahren kennengelernt hatte, hatte er längst noch nicht so viel besessen. Doch Hanns war es trotzdem gelungen, Maria für sich zu gewinnen, denn eines konnte er wie kein zweiter: Verkaufen und die Menschen von sich überzeugen! Das hatte er schon früh bemerkt, ganz früh sogar, bei der alten Frau Schmelzer, deren Hof ein Stück von dem seiner Eltern entfernt gelegen war. Er hatte ihr eine Holzleiter verkauft, die er beim Spielen im Bach gefunden hatte. Wie diese dorthin gekommen war, wusste er nicht. Er war damals erst neun oder zehn Jahre alt gewesen und erinnerte doch immer noch, wie modrig das Holz gerochen hatte und wie glitschig es war, als er die Leiter herausgefischt hatte. Zunächst wusste er noch nicht, was er damit anfangen würde und hatte sie erst einmal mit einem Lappen gereinigt und eine Weile trocknen lassen. Dann war er auf die Idee gekommen, sie Frau Schmelzer anzubieten, und aus welchem Grunde auch immer, hatte die Bäuerin sich auf den Handel eingelassen. Zwei Mark fünfzig hatte er für die Leiter bekommen, und eigentlich war es ein gutes Geschäft gewesen. Nur dass das elende Ding so morsch gewesen war, dass die Stufen brachen, als Herr Schmelzer sie sich gegriffen hatte und daraufgestiegen war. Er war wohl unsanft auf dem Hosenboden gelandet, und im Grunde war nichts weiter geschehen, doch die Schmelzers hatten ein riesiges Theater veranstaltet, als sie zu Hanns’ Eltern gegangen waren und ihnen davon erzählten. Nicht nur, dass er von seinem Vater sofort eine schallende Ohrfeige bekommen und zu erklären gehabt hatte, woher die Leiter überhaupt stammte. Ärgerlicherweise hatte er auch die zwei Mark fünfzig zurückgeben müssen, was ihn weit mehr geschmerzt hatte als die Backpfeife. Sogar mehr als die zweite, die er kassiert hatte, als er sich zunächst weigerte, das Geld wieder herauszugeben. Er hatte es schlicht als ungerecht empfunden, war es doch ein fairer Handel gewesen, bei dem Hanns keinerlei Zusicherungen über die Stabilität oder Herkunft der Leiter gegeben hatte. Aber damals war er noch nicht gegen seinen Vater angekommen und hatte sich schließlich fügen müssen. Doch er hatte hierbei die Erkenntnis gewonnen, dass es ihm lag, die Menschen von sich zu überzeugen und ihnen etwas zu verkaufen. Und hierbei war es ihm völlig egal, was es war.

Nach seinem Volksschulabschluss hatte er dann erst mal auf dem elterlichen Hof gearbeitet, auch wenn ihm immer klar gewesen war, diesen keinesfalls übernehmen zu wollen. Doch er war noch nicht einmal volljährig gewesen und damit zu jung wegzugehen, konnte er doch nicht einmal einen Vertrag rechtssicher unterschreiben. Dann kam der Krieg, und er wurde eingezogen, doch er machte dort vollkommen andere Erfahrungen als seine Kameraden, die kampfwillig waren und letztendlich doch wie die Fliegen starben. Hanns hatte es geschafft, über die gesamte Zeit nicht einen einzigen Schuss abgeben zu müssen. Wenn er zurückdachte, fragte er sich, ob er überhaupt jemals ein Gewehr in der Hand gehalten hatte. Denn Hanns’ Kommandeur hatte sehr schnell mitbekommen, dass Hanns’ Talent ganz gewiss nicht darin bestand, mit der Waffe in der Hand dem Feind gegenüberzutreten. Hanns war ein Meister im Beschaffen von Gegenständen aller Art. So wurde er auch nicht an die Front geschickt, sondern in ein Arbeitslager bei Berlin, in dem er für die Organisation von Materialien und deren Verwaltung, Verteilung und die Logistik innerhalb Deutschlands zuständig war. Keine Frage, dass er sich hierbei einen recht ergiebigen eigenen Nebenhandel aufbaute und somit durch die schwärzeste Zeit des Landes tatsächlich nicht nur unverletzt kam, sondern sogar mit einem recht satten Gewinn herausging. Es war eher Zufall, dass er dort Benjamin Rebers, einen inhaftierten jüdischen Arzt kennenlernte, der ein Grundstück in Berlin-Grunewald besaß und dies Hanns anbot, wenn dieser ihm half, dessen Frau und Tochter aus dem Arbeitslager herauszuschaffen. Es war eine heikle Angelegenheit gewesen, doch zu dem Zeitpunkt verfügte Hanns bereits über ein so dichtes Netzwerk von Leuten, mit denen er regelmäßig Geschäfte machte, dass es nicht so schwer war, die Sache abzuwickeln, wie er anfangs dachte. Hanns hielt seine Zusage, Ava und Rachel Rebers wurden befreit, und er bekam das Grundstück samt Haus übertragen. Und zwar rückwirkend und unter falschem Datum, damit es so aussah, als hätte seinem Vater das Haus bereits im Jahr 1932 gehört und dass dieser es seinem Sohn schon im Jahr 1942 überschrieben hätte. Natürlich hatte sein Vater nicht die geringste Ahnung von diesem Handel und Hanns dessen Unterschriften schlicht gefälscht. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, dass sein alter Herr die Früchte seiner Machenschaften geerntet hätte. Doch so war Hanns in den Besitz seines ersten Hauses gekommen, dem weitere repräsentable Anwesen folgen sollten, nachdem die Sache mit Benjamin Rebers so hervorragend funktioniert hatte. Gleich nach der Überschreibung war Hanns dann in das frühere Rebers-Haus eingezogen und hatte dort sogar noch die ersten Ehejahre mit Maria und den Kindern gelebt, bevor es Hanns nicht mehr als angemessen erschien und er es schließlich verkaufte. Zu der Zeit war er schon gut im Immobiliengeschäft etabliert, und bis zum heutigen Tag hatte ihn nie jemand gefragt, wie es ihm gelungen war, an so viele Grundstücke und Immobilien zu kommen, deren Besitzer früher fast ausschließlich Juden gewesen waren. Es hatte Hanns vor allem zwei Dinge gezeigt: Wie einfach sich Menschen blenden ließen und – und das war für ihn noch viel wichtiger – dass man auch aus den schlechtesten Situationen stets ein gutes Geschäft herausholen konnte, wenn man sich nur anstrengte und mutig genug war.

»Warum ist denn das Haus so dunkel?«, fragte Maria etwas beunruhigt, als sie nun auf die stattliche Villa zugingen.

»Wahrscheinlich sind Holger und Hanna oben in ihren Zimmern«, gab Hanns zurück.

»Aber Frau Kasper lässt doch immer die Halle beleuchtet, bis wir ins Bett gehen«, hielt Maria dagegen.

»Nun hat sie heute aber mal alles ausgemacht, Maria.« Hanns nahm ihre Hand und legte sie in seine Armbeuge. »Mach dir doch nicht immer gleich Gedanken. Bestimmt ist Frau Kasper bei Monsieur Petit in der Küche und hilft ihm, ein wunderbares Essen für uns zu zaubern.«

Maria gab einen verächtlichen Laut von sich. »Du weißt genau, dass sie den Koch nicht leiden kann. Freiwillig würde sie ihm ganz sicher nicht helfen.«

Hanns bedachte seine Frau mit einem milden, wissenden Lächeln, ging aber nicht auf ihren Einwand ein.

Anders als sonst, wenn Frau Kasper, ihre Haushälterin, hörte, dass der Hubschrauber gelandet war, wurde heute nicht die Tür von dieser geöffnet, sondern Hanns ging darauf zu und schloss auf. Er konnte seiner Maria anmerken, wie eigenartig ihr auch dies erschien, doch sie sagte nichts.

»Tritt ein, Liebes«, forderte Hanns sie auf und zog sie sanft in die komplett dunkle Villa. Im nächsten Moment betätigte jemand den Lichtschalter, und die Gäste, die sich allesamt in der Eingangshalle versammelt hatten, riefen wie aus einem Munde: »Überraschung!«

Maria schlug erschrocken und verdutzt die Hand vor den Mund.

»Na, damit hast du nicht gerechnet, was?« Hanns lachte laut auf und sah seine Frau an, die noch immer nicht recht zu verstehen schien, was hier gerade geschah. Er umarmte sie und gab ihr schließlich einen Kuss. »Alles Gute zum Geburtstag, Liebling!«

Kaum, dass sie sich voneinander gelöst hatten, kamen die Gäste auf Maria zu und gratulierten. Hanns trat ein wenig beiseite, verschaffte sich einen Überblick. Der Konsul war zusammen mit seiner Ehefrau gekommen, außerdem der Bundestagsabgeordnete Seidel, der Bezirksbürgermeister, Bankiers, Rechtsanwälte, Unternehmer, allesamt in Begleitung. Ja, sie alle waren seiner Einladung gefolgt – genauso, wie Hanns es von ihnen erwartete. Er drehte sich um, sah Magdalena Kasper, die Haushälterin, die ein wenig abseitsstand. Auf einen kurzen Wink von ihm kam sie zu ihm herüber.

»Ist alles im Saal vorbereitet?«

»Selbstverständlich, Herr Borchardt. Alles genau wie von Ihnen gewünscht. Das Büfett steht bereit, ist jedoch noch abgedeckt. Sobald Sie das Zeichen geben, lasse ich die Abdeckungen entfernen.«

»Sehr gut, Frau Kasper. Wie viele Kellner haben wir?«

»Zwei männliche und vier weibliche Kellner und natürlich auch noch Anna«, gab sie Auskunft.

»Sorgen Sie bitte dafür, dass die Kellnerinnen mit besonderer Aufmerksamkeit die Bankiers um Herrn Huber bedienen, und lassen Sie reichlich Alkohol ausschenken.«

»Ja, Herr Borchardt.«

»Gut. Ich bin so weit zufrieden«, entließ er die Haushälterin.

»Vielen Dank, Herr Borchardt.«

Hanns wandte sich Gerhard Lohmüller zu, dem Bankdirektor, der soeben Maria gratuliert hatte und nun mit seiner Frau zu Hanns herüberkam.

»Hanns, darf ich dir meine Frau vorstellen? Viktoria, Hanns Borchardt.«

»Es freut mich wirklich sehr, Herr Borchardt, Sie kennenzulernen«, sagte Lohmüllers Frau. »Vielen Dank für die Einladung. Ihre Villa ist einfach überwältigend.«

»Bitte, einfach nur Hanns. Hanns mit Doppel-N.« Borchardt beugte sich vor und gab Viktoria Lohmüller einen Handkuss.

»Sehr gern«, erwiderte diese charmant lächelnd.

»Viktoria.«

Hanns betrachtete sie. Viktoria Lohmüller war vermutlich nicht älter als Ende zwanzig, höchstens Anfang dreißig, während Hanns ihren Mann und sich etwa gleich alt schätzte und damit auf Mitte fünfzig. Wie er wusste, war Viktoria nicht die erste Frau Lohmüller. Und so, wie er es anhand des Schmucks, den Viktoria Lohmüller trug, vermutete, ließ der Bankier es sich eine hübsche Stange Geld kosten, seine junge Frau bei Laune zu halten. Er erinnerte sich noch gut an die letzten Empfänge und Wohltätigkeitsveranstaltungen, zu denen Lohmüller beinahe jedes Mal mit einer anderen Frau erschienen war. Sie hatten nur gemeinsam, dass sie alle deutlich jünger und deutlich hübscher als der Bankdirektor waren. Hanns fand das durchaus nicht verwerflich oder auch nur ungewöhnlich, hatten doch viele Geschäftsleute, mit denen er zu tun hatte, weit jüngere Frauen, die darüber hinaus nach einigen Jahren auch wieder ausgetauscht wurden. Insoweit war eher Hanns in diesen Reihen der Exot, hatten Maria und er doch im letzten Jahr bereits ihre Silberhochzeit gefeiert. Aber tatsächlich gefiel es Hanns, dass er auf eine so lange Ehezeit zurückblicken konnte, strahlte dies für ihn doch auch ein gewisses Maß an Verlässlichkeit aus. Und hieran war ihm tatsächlich sehr gelegen, wollte er doch von seinen Geschäftspartnern als ein Mann wahrgenommen werden, der wusste, wie man Menschen dauerhaft an sich bindet.

»Die Überraschung ist dir aber wirklich geglückt«, befand Gerhard Lohmüller nun. »Deine Maria war ja ganz perplex.«

»Sie hat wirklich nichts geahnt«, bestätigte Hanns zufrieden und beugte sich dann etwas weiter vor. »Hast du dir die Pläne schon ansehen können, Gerhard?«

Der Bankier nickte. »Ja, aber nur kurz. Mir wurde ein bisschen schwindelig, als ich die Summe sah.«

»Das wird ein gewaltiges Ding, Gerhard. Das größte, das wir bisher in Angriff genommen haben.«

Gerhard Lohmüller sah sich um, als wollte er nicht, dass jemand ihn hören konnte. »Es braucht bei einer so großen Sache einiges mehr an Unterlagen, und ich kann die Entscheidung auch nicht allein treffen.«

Hanns zog die Augenbrauen in die Höhe, als wollte er so neben seiner Verwunderung ein gewisses Maß an Missbilligung zum Ausdruck bringen. Er lächelte kurz Viktoria an, als er einen Schritt weiter vortrat, um sich so ganz nah an Gerhard Lohmüllers Ohr zu bringen. »Ich wollte heute hier bekanntgeben, dass etwas Großes, Neues geplant ist. Bei aller Freundschaft, Gerhard, werde ich dich dann nicht erwähnen können, sodass Huber mit Sicherheit Morgenluft wittern wird.« Hanns deutete in die Richtung, in der Robert Huber von der Westbank stand, Gerhard Lohmüllers größter Konkurrent in Berlin.

»Entschuldigst du uns bitte kurz?«, bat Lohmüller nun an seine Frau gewandt. Viktoria zögerte, dann nickte sie und ging.

»Du musst mich verstehen«, zischte Lohmüller, als Viktoria außer Hörweite war. »Mensch, Hanns, wir bewegen uns hier im hohen zweistelligen Millionenbereich, am Ende womöglich eher im dreistelligen.«

»Und?«, entgegnete Hanns. »Wie viel verdient deine Bank jeden Monat mit mir, Gerhard?« Er streckte den Rücken durch.

Lohmüller zögerte. »Ich kann dir hier und jetzt keine Zusage geben«, erklärte er nun. »Doch wir haben schon so viel zusammen auf die Beine gestellt. Du weißt, dass ich alles tun werde, damit es auch dieses Mal funktioniert«, sicherte der Bankier nun zu.

Hanns musterte ihn. »Ich werde Ende der nächsten Woche in einem Pressegespräch die neuen Pläne bekanntgeben«, kündigte Hanns an. »Ich brauche bis spätestens Mittwoch kommende Woche Bescheid, ob deine Bank im Boot sein will oder nicht. Danach kriegt Huber den Zuschlag.«

»Danke, Hanns. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

Hanns hob erneut die Augenbrauen. »Ich will offen zu dir sein, Gerhard, ich hatte mehr von dir erwartet.«

»Aber Hanns, versteh mich doch. Wenn es nur meine Entscheidung wäre. Doch bei solchen Summen genügt mein Einverständnis nicht. Da müssen noch drei weitere aus dem Vorstand ihre Unterschriften daruntersetzen.«

»Geld ist Geld, Gerhard«, stellte Hanns entschieden fest. »Und ich baue schließlich im ganz großen Stil.«

»Ja, und die Förderung ist hier ja auch nicht ohne«, stimmte Lohmüller zu. »Doch die große Unbekannte ist und bleibt nun einmal die Rentabilität. Wenn du das Grundstück daneben hättest und wir hier in die weiteren Planungen gehen könnten«, erklärte Lohmüller. »Dann wäre es eine ganz andere Geschichte.«

»Ich habe dir gesagt, dass ich dran bin.« Hanns’ Stimme klang harscher, als er es beabsichtigt hatte.

»In aller Freundschaft Hanns, aber diese Stern wird dir das Grundstück nicht verkaufen, da bin ich sicher. Ganz gleich, was du ihr bietest.«

»Wenn ihr die Behörden endlich die notwendigen Lizenzen entziehen würden, hätte ich das Grundstück längst.« Die Verärgerung war Hanns’ Stimme deutlich anzuhören.

»Du weißt genau, was los wäre, wenn ihr die Schankgenehmigung so mir nichts, dir nichts, entzogen und ihr Club dichtgemacht würde«, hielt Lohmüller dagegen. »Wenn du die Stern nicht auf irgendeine andere Art überzeugst, wird das nichts. Und damit steht und fällt auch das ganze Bauvorhaben.«

Hanns ballte die Hand zur Faust, öffnete sie aber gleich wieder, weil er nicht wollte, dass man ihm die Verärgerung ansehen konnte. Er sah, wie der Bundestagsabgeordnete Seidel und dessen Frau auf ihn zukamen. »Entschuldige mich, Gerhard. Ich muss mich jetzt um die weiteren Gäste kümmern.« Er sah dem Bankier in die Augen. »Mittwoch nächste Woche habe ich deine Zusage, sonst macht das Geschäft ein anderer.«

Lohmüller war anzusehen, dass ihm noch eine Erwiderung auf den Lippen lag, doch er schluckte sie herunter.

»Mein sehr verehrter Herr Seidel, willkommen in meinem Hause«, begrüßte Hanns nun den Bundestagsabgeordneten und beachtete Lohmüller weiter nicht. Dieser kleine Feigling sollte sich ruhig so seine Gedanken machen und spüren, dass Hanns alles andere als erbaut war. Er brauchte dieses verdammte Bauprojekt und konnte es sich nicht leisten, dass die Sache kippte. Und tatsächlich bezweifelte er, dass Huber die Finanzierung bei der Westbank durchbrachte. Er würde ihn nachher, wenn Huber wie so oft dem Alkohol stark zugesprochen hatte, zu einem Gespräch bitten und versuchen, ihn zu überzeugen, doch große Hoffnung hatte er nicht. Und anderswo solche Summen zu bekommen war nahezu aussichtslos. Lohmüller musste es machen, daran führte kein Weg vorbei.

»Herr Borchardt, haben Sie vielen Dank für Ihre Einladung. Kennen Sie meine Ehefrau Rita?«

»Ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Hanns beugte sich vor und reichte Rita Seidel die Hand. »Hanns Borchardt, gnädige Frau. Herzlich willkommen. Ich hoffe, dass Sie sich wohl bei uns fühlen.«

Rita Seidel lächelte ihn an. »Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich wirklich sehr, hier zu sein. Bisher kannte ich Sie ja nur aus der Zeitung.«

»Es wurde wirklich Zeit, dass wir uns kennenlernen«, befand Hanns. »Bitte, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«

»Hanns, mein Lieber.« Bezirksbürgermeister Rippe kam zusammen mit seiner Gattin hinzu.

»Heinrich, Vera, wie schön, dass ihr hier seid! Ihr kennt doch den Bundestagsabgeordneten Helmut Seidel und seine Ehefrau Rita?«

Die Paare reichten einander die Hand, während Hanns seiner Haushälterin einen Wink gab. »Frau Kasper, unsere Gäste hier haben gar nichts zu trinken. Lassen Sie uns ein Tablett mit Champagner bringen.«

»Sehr wohl, Herr Borchardt«, sagte sie und ging sogleich wieder davon. Kurz darauf kam einer der Kellner mit einem Tablett voller Champagnergläser zu der kleinen Gruppe und reichte ihnen die Getränke. Hanns sah, dass Gerhard Lohmüller noch immer nur ein Stück weit entfernt stehen geblieben war.

»Gerhard!«, rief Hanns und bedeutete ihm dazuzukommen.

Der Bankier eilte sogleich herbei.

»Ich möchte dich mit dem Bundestagsabgeordneten Helmut Seidel und dessen reizender Ehefrau Rita bekanntmachen. Und unseren Bezirksbürgermeister kennst du ja?« Er lächelte ihnen zu. »Gerhard Lohmüller ist der Vorsitzende der Maximus Privatbank und ein sehr guter Freund, auf den ich mich immer verlassen konnte.« Er lächelte Lohmüller an, der sichtlich angetan war, dem Bundestagsabgeordneten und dessen Frau vorgestellt zu werden.« Hanns hob den Kopf. »Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich habe unseren Regierenden Bürgermeister Schütz noch gar nicht begrüßt.« Er prostete seinen Gästen zu, dann ging er und hörte, wie Lohmüller und Seidel lobende Worte über den Gastgeber sprachen.

Er selbst hieß sodann den Regierenden Bürgermeister und dessen Frau willkommen, dann einige Senatoren, Beamte der Stadtverwaltung und andere Gäste. Es dauerte eine Weile, bis alle Maria gratuliert hatten und Hanns sich schließlich an ihre Seite stellte, allen Gästen für die Überraschung, die sie seiner Frau beschert hatten, dankte und in den Saal bat, wo das Büfett bereitstand. Er gab Frau Kasper das Zeichen, worauf diese wiederum die Kellner anwies, nunmehr die Abdeckungen zu entfernen. Nach und nach begaben sich die Gäste in den Saal.

»Guten Abend, Hanns«, sagte nun Klaus Schröder, Hanns’ Rechtsanwalt, und schüttelte Hanns die Hand.

»N’ Abend, Klaus. Na, was sagst du? Hier ist jeder, der in Berlin Rang und Namen hat.«

Klaus sah zu Maria, die kurz den Kopf senkte.

»Ja, so ist es wohl«, erwiderte Klaus knapp, was Hanns auf eine gewisse Weise ärgerte. Klaus Schröder hatte nun wirklich schon gut an Hanns und dessen Geschäften verdient. Er konnte sich ruhig ein wenig beeindruckt zeigen.

»Ist Peter auch da?«, erkundigte sich Hanns nun.

»Ja, er muss irgendwo im Saal sein.«

»Sorg dafür, dass Hanna und er ins Gespräch kommen«, forderte Hanns. »Schließlich wird es langsam mal Zeit, dass die beiden sich näherkommen.«

»Ich habe da wenig Hoffnung«, gab Schröder zu bedenken. »Wenn du mich fragst, ist eure Hanna nicht besonders interessiert, und Peter scheint es ähnlich zu gehen.«

»Was soll das denn heißen?«, begehrte Hanns auf. »Glaubt dein Sprössling etwa, dass unsere Hanna nicht gut genug für ihn ist?«

»Aber das hat Klaus doch gar nicht gesagt«, brachte sich nun Maria ein. »Die jungen Leute lassen sich nicht mehr so einfach lenken wie früher.«

Hanns warf ihr einen warnenden Blick zu. »Solange unsere Tochter ihre Füße unter meinen Tisch stellt, entscheide immer noch ich, mit wem sie Umgang hat. Und Peter ist der Richtige für sie.«

Maria seufzte nur.

»Ich habe übrigens vor, gleich das neue Projekt bekanntzugeben«, wechselte Hanns nun abrupt das Thema. »Ich will, dass du dabei bist, sollte es Rechtsfragen hierzu geben«, erklärte er Klaus Schröder gegenüber. »Das wird das größte Ding, was wir je gemacht haben.«

»Bitte, Hanns, nicht«, wandte Maria nun eilig ein. »Du kennst meine Ansicht hierzu, und ich habe Klaus auch schon darauf angesprochen. Ich denke, nun – wie soll ich es sagen?«

Sie sah hilfesuchend zum Anwalt hinüber.

»Meinst du nicht, dass das eine Nummer zu groß für dich ist?«

Hanns’ Kopf fuhr herum. Die Wut, die in ihm aufstieg, konnte er kaum mehr im Zaum halten. Was fiel seiner Frau ein, ihn derart vor dem Anwalt bloßzustellen? Kurz musste er sich sammeln, um nicht die Contenance zu verlieren. Er beugte sich zu seiner Frau herunter. »Ich werde gleich dort hineingehen und das Großprojekt verkünden«, zischte er ihr leise, aber bestimmt ins Ohr. »Und du wirst dabei an meiner Seite sein und laut applaudieren und dich begeistert zeigen. Ist das klar?« Er trat etwas zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. Ihre Lippen waren nur noch ein schmaler Strich, und jede Farbe schien aus ihrem Gesicht gewichen zu sein.

»Komm, Hanns, deine Gäste warten bestimmt schon«, sagte nun Schröder und berührte ihn kurz am Jackett. Hanns fixierte Maria noch einen Moment lang mit den Augen.

»In Ordnung«, sagte er und stellte zufrieden fest, dass seine Einschüchterung funktioniert hatte, nahm Marias Hand und legte sie in seine Armbeuge. »Gehen wir hinein und verkünden Großes.«

2. Kapitel

Villa Borchardt, Koenigsallee 75, Berlin-Grunewald

Freitag, 19. November 1976

Ich habe alles und sollte glücklich sein. Doch das bin ich nicht. Nicht einen einzigen Tag.

MARIABORCHARDT

Sie hatte größte Mühe, die Fassung zu wahren, als sie am Arm ihres Mannes den Saal betrat. Das Lächeln, das sie wie eine Maske auf ihrem Gesicht trug, kam ihr unendlich falsch vor, und sie wäre am liebsten einfach in ihr Schlafzimmer gegangen und hätte sich unter der Bettdecke verkrochen, statt weiter und weiter lächeln zu müssen und so zu tun, als freue sie sich, den Abend mit diesen vielen fremden Menschen zu verbringen.

Sie hatte nur einen Wunsch gehabt, einen einzigen Wunsch zu ihrem Geburtstag, und das war ein gemeinsamer Abend mit ihrem Mann und ihren Kindern gewesen, an dem sie sich in aller Ruhe hätten unterhalten und all die Schwierigkeiten, die sich in letzter Zeit wie meterhohe Wellen aufgetürmt hatten, womöglich ein wenig hätten abbauen können. Nun jedoch hatte sie sowohl von ihrer Tochter als auch ihrem Sohn nur einen kurzen Glückwunsch und eine flüchtige Umarmung erhalten und diese dann in der Menge aus den Augen verloren. Ihr war wirklich zum Heulen zumute. Sie war jetzt fünfzig Jahre alt. Fünfzig! Und so wenig sie sonst auf die Zahl in ihrem Ausweis gab, war es nun doch etwas anderes. Nicht, weil sie sich ganz plötzlich alt fühlte, sondern vielmehr, weil sie nicht das Leben führte, das sie wollte. Sie fand in ihrem eigenen Leben überhaupt nicht statt, vor allem aber hatte sie das Gefühl, einen Teil ihrer Lebenszeit einfach vergeudet zu haben. Die Jahre waren an ihr vorbeigezogen, einfach so, und sie hatte es gar nicht wirklich bemerkt. Sie war damals so verliebt in Hanns gewesen, so beeindruckt von ihm und seinem Auftreten. Er wusste, was er wollte und machte keine Kompromisse. Hätte sie ihn gebeten, dass er ihr den Mond herunterholen sollte, er hätte es möglich gemacht. Und das hatte Maria so unglaublich anziehend gefunden, dass es nach ihrem Kennenlernen nur einige Tage gebraucht hatte, um zu wissen, dass sie diesen Mann und keinen anderen würde heiraten wollen. Und viele Jahre waren sie auch glücklich miteinander gewesen, überglücklich sogar. Natürlich hatte der Alltag auch bei ihnen Einzug gehalten. Vor allem seit Holger und Hanna geboren worden waren, hatte Maria für sich selbst kaum noch Zeit und die ersten Jahre quasi rund um die Uhr mit den Kindern zu tun gehabt. Doch sie hatte jeden Moment genossen. Es war ihr eine einzige Freude gewesen, jede Entwicklung ihrer Kinder miterleben zu können und ihnen eine rundum glückliche Kindheit zu ermöglichen. Und da war immer das Gefühl, dass dies nur deshalb möglich gewesen war, weil Hanns sich um alles andere gekümmert hatte und Maria, als Hanna gerade einmal drei Jahre alt gewesen war, sogar eine Haushaltshilfe an die Seite gestellt bekommen hatte. Ja, Hanns hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen und sein Möglichstes getan, damit es ihr und den Kindern an nichts fehlte. Und damals hatte Maria noch verstanden, weshalb ihr Ehemann keine Gelegenheit ausließ, um nur ja so viel Geld wie möglich zu verdienen. Kinder waren teuer, und auch wenn sie nicht viel über Hanns’ eigene Kindheit wusste und er es auch vermied, darüber zu sprechen, so war da doch dieses Gefühl in Maria, dass ihr Ehemann es als Kind nicht immer leicht gehabt hatte. Vor allem war es ihm wichtig, dass immer genug Geld da war, und er tat alles, um dies zu gewährleisten. So war Maria über die Jahre auch mehr als stolz auf ihn gewesen, wenn er immer mehr und mehr Grundstücke kaufte, darauf baute und diese dann überaus gewinnbringend wieder verkaufte. Damit hatte er sich über die Jahre einen überaus guten Namen in Berlin gemacht. Er galt als Immobilienmogul und Garant dafür, dass das, was Hanns Borchardt in die Hand nahm, am Ende für jeden der Beteiligten zu einem guten Geschäft wurde. Und gleichzeitig versuchte er auch noch, der Stadt etwas zurückzugeben. Er veranstaltete regelmäßig große Spendengalas für soziale Projekte und engagierte sich persönlich noch weit mehr. Doch irgendwann, so hatte Maria das Gefühl, war ihr Hanns falsch abgebogen. Dass er in den jungen Jahren der Kinder keine Zeit für diese hatte erübrigen können, weil er immer nur gearbeitet hatte, verstand Maria nur allzu gut. Doch dann später, als mehr und immer mehr Geld da war, hatte sie den Eindruck, dass es längst nicht mehr darum ging, sie, die Kinder und sich selbst zu ernähren. Hanns strebte vielmehr danach, alle um sich herum zu beeindrucken. Maria fand es geradezu absurd, dass ihr Mann darauf bestand, mit seinem eigenen Helikopter täglich ins Büro zu fliegen, statt die Strecke mit dem Auto zu fahren. Außerdem musste es auch auf den vielen Feiern und Empfängen immer nur das Beste vom Besten geben, und Hanns ließ das Essen oftmals aus der Eifel oder auch aus München einfliegen, obwohl doch Berlin über ebenso gute Restaurants verfügte. Doch um das Essen selbst schien es Hanns hierbei überhaupt nicht mehr zu gehen. Er wollte auffallen, wollte besonders sein. Er war wie besessen davon, dass man staunend über ihn sprach und ihn bewunderte. Vor allem aber wollte er Macht haben, immer mehr Macht, und sein größtes Glück schien darin zu bestehen, mit den wichtigsten Menschen der Stadt und des ganzen Landes in der Zeitung abgelichtet zu werden, ganz gleich, was der Anlass hierfür war.

Maria kam das alles inzwischen nur noch falsch vor. Sie hatte den Bezug zu ihrem gemeinsamen Leben mit Hanns verloren, und auch die Beziehung zu ihren Kindern wurde immer schlechter. Holger verabscheute den gelebten Kapitalismus seines Vaters so sehr, dass er es kaum eine Viertelstunde in einem Raum mit Hanns aushielt, und Hanna, die im Juli zwanzig geworden war, entglitt der Mutter auch immer mehr. Im März vor zwei Jahren war die Volljährigkeit von einundzwanzig auf achtzehn gesenkt worden, und Hanna galt somit als erwachsen. Genau das bereitete Maria jedoch gewisse Sorgen. Hanna war ihrer Meinung nach noch nicht so weit, aber von Gesetzes wegen konnte sie der Tochter keine Vorschriften mehr machen. Ihr Einfluss war auf das begrenzt, was Hanna selbst zuzulassen bereit war – und das war nicht viel. Immer öfter spürte Maria, dass Hanna nicht länger gewillt war, die Grenzen zu akzeptieren, die ihre Eltern ihr aufzeigten. Und Hanns’ polterige Art, sein Spruch, dass Hanna zu tun und zu lassen hätte, was er sagte, solange sie ihre Füße unter den elterlichen Tisch stellte, schien genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was Hanns sich erhoffte. Hanna wurde nur bockig und immer unzugänglicher. Maria spürte deutlich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ihre Tochter die Verbindung endgültig kappte und ihren eigenen Weg ging – fernab des gemeinsamen Zuhauses. Und bei ihrem Sohn Holger, der inzwischen dreiundzwanzig Jahre alt war, verhielt es sich sogar noch schlimmer. Holger und Hanns waren wie Hund und Katze. Es gab im Grunde nichts, in dem sie übereinstimmten, und keiner von beiden war bereit nachzugeben, wenn es darum ging, seine politische Einstellung zu vertreten. Auch wenn Maria es noch immer nicht ganz wahrhaben wollte, so wusste sie doch, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis Holger ihnen endgültig den Rücken zukehrte. Und hieran mochte sie nicht einmal denken.

Vor allem aber wusste Maria nicht, wie ihr eigenes Leben weitergehen sollte, sobald die Kinder aus dem Haus waren. Schon jetzt verbrachte sie nur noch selten Zeit mit ihnen. Und wann es das letzte Mal gewesen war, dass sie zu viert gegessen und sich in Ruhe unterhalten hatten, daran konnte Maria sich nicht einmal mehr erinnern. Deshalb war ihr ja auch das geplante Familienessen heute so wichtig gewesen. Aber diesen Wunsch, ihren einzigen Geburtstagswunsch hatte Hanns schlichtweg ignoriert. Einfach so, als zähle eben nicht, was Maria sagte. Diese bittere Wahrheit musste sie sich eingestehen: Sie zählte nicht, ihre Worte verhallten. Hatte Hanns sie früher des Öfteren um ihre Meinung, manchmal sogar ihren Rat gebeten, umgab er sich inzwischen nur noch mit Menschen, die ihm nach dem Mund redeten und ihre Bewunderung ihm gegenüber zum Ausdruck brachten. Da war für die Liebe seiner eigenen Ehefrau einfach kein Platz.

Sie erreichten das Podium im Saal, auf dem die von Hanns engagierte Band spielte, und Hanns half ihr hinauf. Wieder eine Rede, die er zu halten gedachte, wieder das Zurschautragen ihres einstudierten Lächelns, das sich so unendlich falsch anfühlte. Maria hätte laut schreien mögen, doch natürlich tat sie es nicht.

»Liebe Freunde«, begann Hanns und zog das Kabel des Mikrofons ein Stück näher zu sich heran. Maria stand an seiner Seite, lächelte über die Besucher hinweg. Sie erblickte Hanna, die sich recht weit hinten im Saal mit einem Mann unterhielt, den Maria noch nie gesehen hatte. Peter Schröder, der Sohn des Rechtsanwalts Klaus Schröder, mit dem vor allem Hanns die Tochter gern liiert gesehen hätte, war es nicht. Peter war zwei Jahre älter als Hanna und studierte Jura. Der Mann, mit dem Hanna sich so angeregt unterhielt, mochte jedoch eher um die vierzig sein. Am liebsten wäre Maria zu ihnen gegangen und hätte die beiden unterbrochen, doch das war natürlich ausgeschlossen. Aber es wurmte sie, gerade so gar nichts unternehmen zu können. Hanna war wirklich eine bildschöne junge Frau, und Maria wollte keinesfalls riskieren, dass sie sich mit dem Falschen einließ. Es mochte ja seit den Achtundsechzigern überall die Rede von freier Liebe sein und dies in gewissen Kreisen auch als schick gelten. Doch Maria war allein der Gedanke daran, dass ihre Tochter sich so billig hergab, ein Graus. Einer der wenigen Punkte, worin sie und ihr Ehemann sich einig waren.

»Ich danke euch allen von Herzen dafür, heute hierhergekommen zu sein und meiner Maria diese überwältigende Überraschung bereitet zu haben.« Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie kurz an sich. »Ihr habt es ja selbst gesehen, meine Maria hat nicht das Geringste geahnt.« Er lachte auf, und die meisten Gäste stimmten ein.

»Doch wir haben nicht nur auf Marias Geburtstag anzustoßen, sondern noch auf etwas Weiteres, das ich heute in dieser Runde bekanntgeben möchte.« Er legte eine bedächtige Pause ein, während der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. »Wie alle hier wissen«, fuhr er dann fort, »habe ich mich über viele Jahre bemüht, der Wohnungsknappheit in unserem schönen Berlin entgegenzuwirken und eine große Anzahl sozialer Projekte verwirklicht, die dazu beigetragen haben, auch Menschen, die nicht so auf Rosen gebettet sind wie wir hier, zu einem schönen, bezahlbaren Zuhause zu verhelfen.«

Einige Anwesende klatschten.

Hanns hob abwehrend die Hände, als wollte er den Applaus nicht zulassen.

»Es war mir ein persönliches Anliegen, im Märkischen Viertel und in Gropiusstadt funktionale Bauten zu errichten, die dem Wohl einfacher Leute zugutekamen. Oder aber Gebäude in der Nähe vom Kottbusser Tor zu sanieren und wiederaufzubauen, um auch dort den vielen eingewanderten Menschen einen guten Start in ihr neues Leben hier in unserer Metropole zu ermöglichen.« Wieder klatschten einige Gäste.

»Doch der Krieg, der so vieles in unserer schönen Stadt in Schutt und Asche gelegt hat, ist nun über dreißig Jahre her. Der Wiederaufbau ist uns gelungen, und ich denke, es ist an der Zeit, nunmehr wieder stärker auf das Schöne, das im Großen liegt, zu sehen, und sowohl die Kaufkraft innerhalb Berlins zu halten als auch Bauten entstehen zu lassen, die nicht nur groß, sondern etwas fürs Auge sind.« Er deutete zu einigen anwesenden Politikern hinüber. »Also haben wir beschlossen, ein Großprojekt zu realisieren, das seinesgleichen suchen wird.« Auf ein Zeichen Hanns’ wurde ein Rolltisch hereingefahren und in die Mitte des Raumes gestellt. Auf einen weiteren Wink von ihm zog einer der beiden Männer, die den Tisch hereingerollt hatten, das darüberliegende Laken herunter.

»Darf ich vorstellen: Berlins neues Einkaufszentrum mit Wohnungen direkt am Kurfürstendamm, mitten im Herzen von Berlin.«

Ah- und Oh-Rufe waren zu hören, begeisterter Applaus brandete auf. Hanns stieg vom Podium herab und ging zu dem Baumodell hinüber. Maria sah ihm etwas hilflos nach. Er hatte sie einfach stehen lassen, sie keines Blickes mehr gewürdigt. Nun begann er, am Modell den umstehenden Gästen die Planungen zu erklären, und Maria hörte, wie er immer wieder Millionenbeträge nannte, die in die einzelnen Bereiche investiert würden. Sie sah auf, als sie eine Bewegung weiter hinten wahrnahm. Holgers und ihr Blick trafen sich. Sie konnte die Wut über das Verhalten des Vaters in seinen Augen lesen. Dann verließ Holger den Saal. Hanna hatte es ebenfalls bemerkt, denn kurz sahen Maria und die Tochter sich an. Hanna wandte sich an ihren Gesprächspartner, dann folgte sie ihrem Bruder aus dem Saal heraus. Maria richtete ihre Augen wieder auf Hanns, der ganz und gar in seinem Element war und mit ausschweifenden Armbewegungen laut von seinem neuesten, größten bisher dagewesenen Projekt berichtete. Die Gäste hingen förmlich an seinen Lippen, und Maria kam sich in diesem Moment dort oben auf dem Podium so einsam vor wie noch nie in ihrem Leben. Es war ihr Geburtstag, alle im Saal waren aus diesem Grunde eingeladen. Doch die Einzige, die von niemandem Beachtung erhielt, war sie selbst. In diesem Augenblick überkam sie eine geradezu überwältigende Müdigkeit. Sie legte das Mikrofon, das Hanns ihr in die Hand gedrückt hatte, auf den Boden und stieg vom Podium. Kurz blickte sie noch zu der Menschentraube, die sich um ihren Ehemann gebildet hatte, dann verließ sie genau wie ihre Kinder den Saal und ging auf direktem Weg zur Treppe, die zum Obergeschoss führte. Oben angekommen, wandte sie sich nach links zu Holgers Zimmer und klopfte an die Tür.

»Herein!«, hörte sie die Stimme ihres Sohnes und öffnete.

Holger und Hanna saßen mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett und unterhielten sich. Maria drückte die Tür hinter sich ins Schloss und sah ihre Kinder an. Ihr war zum Heulen zumute.

»Komm her, Mama«, sagte Hanna, klopfte neben sich auf das Bett und rückte ein Stück näher an ihren Bruder heran, um Maria Platz zu machen. Kurz zögerte sie, dann ging Maria zu den beiden, setzte sich neben Hanna auf das Bett ihres Sohnes und lehnte sich wie ihre Kinder mit dem Rücken an die Wand.

»Na, hältst du die große One-Man-Show auch nicht mehr aus?«, fragte Holger.

»Ihr wisst doch, wie er ist«, sagte Maria nur.

»Für ihn ist alles immer nur eine Bühne«, gab Holger wütend von sich. »Es ist dein Geburtstag, Mama. Mal ehrlich: Wie viele von den Leuten, die da sind und dir gratuliert haben, kennst du überhaupt?«

Maria seufzte. »Ich hätte es mir auch anders gewünscht.«

»Wir hatten sogar überlegt, dich vorzuwarnen«, sagte Hanna. »Doch wir wussten, dass es nichts ändern würde und es nur Ärger gegeben hätte, wenn wir Papa in den Rücken gefallen wären.«

»Ist nicht so schlimm«, log Maria. »Fünfzig ist auch nur eine Zahl.«

»Darum geht es doch überhaupt nicht«, hielt Holger dagegen. »Ob nun fünfzig, einundfünfzig oder was weiß ich. Er hat dich einfach nur benutzt, Mama, wie er es mit jedem tut. Und als er eben auch noch erzählte, wie viel er für den sozialen Wohnungsbau getan hat, hätte ich kotzen können.«

»Holger!«, ermahnte Maria.

»Nichts Holger«, fauchte dieser. »Ist doch wahr. Du weißt selbst genau, dass der Erlös seiner großen Spendengalas für das überteuerte Büfett und die Band, die er extra einfliegen lässt, draufgeht. Mag ja sein, dass er soziale Bauten unterstützt, aber jetzt dieser kapitalistische Scheiß, den er mit dem Einkaufszentrum und den Snob-Wohnungen vorhat. Dadurch gehört den Reichen der Ku’damm, so wie alles andere. Und er lässt sich dafür auch noch feiern. Es geht ihm immer nur ums Geld, auch wenn die Leute um ihn herum verrecken. Aber das sieht er ja nicht, weil er sich mit Champagner zuschüttet und sich mit einem solchen Pöbel nicht abgibt«, schimpfte Holger weiter.

Maria seufzte schwer. »Ich habe das Gefühl, dass euer Vater unter einem gewaltigen Druck steht«, sprach Maria nun den Gedanken aus, den sie schon seit Wochen mit sich herumtrug. Sie beugte sich vor und sah erst Hanna und dann Holger an. »Ich habe die Befürchtung, dass er sich übernimmt.«

»Meinst du gesundheitlich oder finanziell?«, fragte Hanna.

»Finanziell«, antwortete Maria sofort und fragte im selben Atemzug erschrocken nach: »Weshalb? Denkst du, dass dein Vater krank sein könnte?«

»Krank im Kopf ist er auf jeden Fall«, schnaubte Holger.

»Bitte.« Maria zog die Stirn in Falten und sah nun wieder Hanna an. »Also, was meintest du damit?«

»Findest du nicht, dass Papa irgendwie schlecht aussieht?«, fragte Hanna. »Ich meine, er ist so aufgequollen und hat auch ziemlich zugenommen. Ist ja schön, dass ihr einen französischen Koch beschäftigt, der nun wirklich gesund und lecker kocht. Aber Papa isst ja vor allem außerhalb, und Holger hat schon recht: Er schüttet den Champagner ja nur so in sich rein, als wäre es Traubensaft.«

Maria überlegte kurz. Wenn sie so darüber nachdachte, hatte Hanns tatsächlich vor allem in den letzten Monaten noch einmal einiges an Gewicht zugelegt. Er war ein großer Mann und war auch immer schon kräftig gewesen, doch mit den Jahren war er mehr und mehr aus dem Leim gegangen. Aber sie hatte ihn deshalb nicht als ungesund betrachtet, sondern nur gedacht, dass er es sich einfach gut gehen ließ. War sie womöglich zu oberflächlich gewesen und hatte nicht bemerkt, dass er gesundheitliche Probleme hatte? Sie mochte den Gedanken nicht einmal zu Ende führen.

»Glaubt ihr, Papa könnte ernsthaft krank sein?«, fragte sie nun ihre Kinder und sah von einem zum anderen.

»Dir darf man aber auch wirklich nichts sagen«, stöhnte Hanna, »ohne dass du dir gleich die unmöglichsten Gedanken machst.« Sie griff Marias Hand. »Er ist nicht schwer krank oder so was«, beruhigte sie ihre Mutter. »Er lebt nur ungesund.«

Maria war tatsächlich ein wenig erleichtert.

»Schon aus Bosheit wird der uns alle überleben«, sagte Holger, und Maria wusste nicht einzuschätzen, ob es als aufmunternder Scherz gemeint war oder einfach eine bösartige Bemerkung.

»Was würdet ihr an meiner Stelle tun?«, fragte Maria und musterte ihre Kinder eindringlich.

»In Bezug worauf?«, hakte Hanna nach.

»Auf mein Leben.« Maria spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.

»Ach, Mama.« Hanna legte den Arm um Marias Schultern und zog diese kurz an sich. »Seien wir doch mal ehrlich, es ist sowieso egal, was wir sagen. Du würdest Papa nicht verlassen und allenfalls kurz aufbegehren, nur damit er dich dann wieder einlullt und alles nach kurzer Zeit wieder beim Alten ist.«

»Das denkst du?«

Hanna zuckte die Schultern. »Stimmt es denn nicht?«

»Er hat immer alles für die Familie getan«, wandte Maria ein.

»Pfff«, machte Holger. »Er hat immer genug Geld verdient, meinst du wohl?«

»Du bist undankbar. Euch hat es nie an etwas gefehlt«, widersprach Maria.

»Uns hat es an nichts gefehlt, weil du für uns da warst«, stellte Holger fest. »Und auch wenn es einfach scheint, das jetzt zu sagen, glaube ich doch, dass wir auch mit weit weniger Geld glücklich gewesen wären. Ich hätte mir einen Vater gewünscht, der nur ein einziges Mal mit mir Ball gespielt hätte oder bei meinen Schulaufführungen dabei gewesen wäre. Doch da warst immer nur du anwesend.« Holger hob abwehrend die Hände. »Keine Sorge, ich habe keinen psychischen Knacks davongetragen. Aber einen Vater, wie ich ihn mir gewünscht hätte, hatte ich nicht.«

Eine tiefe Trauer nahm von Maria Besitz. Sie hatte das Gefühl, dass nichts in ihrem Leben so geworden war, wie sie es sich ersehnt hatte. Und nun saß sie hier, mit ihren zwei erwachsenen Kindern, umgeben von Geld und Prunk und der Erkenntnis, nichts Eigenes zu haben, das sie erfüllte.

»Es tut mir leid, dass ihr nicht die Kindheit hattet, die ihr gebraucht hättet.«

»Ach, Mama.« Hanna zog sie erneut an sich. »Ist schon alles gut. Du hast getan, was du konntest, und das wissen wir.« Sie gab der Mutter einen Kuss auf die Wange. »Mach dir jetzt keine Gedanken darum. Heute ist dein Geburtstag, und unten sind deine Gäste, die sich bestimmt schon fragen, wo du abgeblieben bist.«

Maria presste die Lippen aufeinander, nickte und setzte sich dann an die Bettkante. »Vermutlich hast du recht«, sagte sie und stand auf. »Ich sollte wohl wieder runtergehen.« Sie warf einen Blick in den Spiegel und richtete ihre Haare. »Könntet ihr mir einen Gefallen tun?«

»Sicher«, sagte Holger sogleich. »Wenn du nicht verlangst, dass wir auch wieder runterkommen.«

Maria schüttelte den Kopf. »Nein, bleibt ruhig hier. Meine Bitte wäre, dass wir in Kürze mal wieder ein gemeinsames Essen haben, nur euer Vater, ihr beide und ich.«

Holger und Hanna tauschten einen Blick. »Bist du sicher, dass du das willst?«, fragte nun ihre Tochter. »Ich glaube kaum, dass das gut gehen wird.«

»Ich bin sicher«, bekräftigte Maria. »Bitte. Mir zuliebe.«

»Na, gut. Für dich, Mama.« Holger lächelte sie an, doch sie konnte in seinen Augen lesen, dass er mehr als skeptisch war.

»Danke.« Sie warf abermals einen Blick in den Spiegel. »Dann gehe ich mal wieder runter.«

»Mach das. Und immer schön lächeln«, riet Hanna ihr schelmisch.

Maria war wirklich zum Heulen zumute, als sie sich von ihren Kindern verabschiedete und wieder nach unten ging. Als sie in den Saal zurückkam, schien niemand auch nur bemerkt zu haben, dass sie für eine Weile verschwunden gewesen war. Der Tisch mit dem Bauprojekt war wieder entfernt worden, und die Musik spielte nun etwas lauter. Einige Gäste tanzten auch bereits. Hanns stand in der Nähe des Büfetts und unterhielt sich lautstark mit einigen Politikern.

»Na, genießt du deinen Abend?«

Hanns’ Rechtsanwalt Klaus Schröder war von Maria unbemerkt an ihre Seite getreten.

Maria sah ihn an. »Offen gesagt, nicht besonders, Klaus. Und du?«

»Kann ich dich kurz sprechen?«, fragte er und blieb ihr die Antwort schuldig.

»Sicher.«

»Komm«, bat Klaus. »Ich möchte nicht, dass uns jemand hören kann.« Zusammen verließen sie den Saal und gingen noch ein Stück in die leere Eingangshalle. Dann blieb Schröder stehen.

»Ich mache mir Sorgen, Maria.«

»Sorgen weshalb?« Maria fürchtete, dass nun womöglich auch der Rechtsanwalt etwas zu Hanns’ Gesundheitszustand äußern würde.

»Du hast völlig recht mit dem, was du vorhin zu Hanns sagtest. Das neue Bauprojekt«, setzte dieser nun an und schüttelte dann den Kopf. »Es ist selbst für Hanns eine Nummer zu groß und steht auf tönernen Füßen.«

»Wie meinst du das?«, fragte Maria beunruhigt.

»Ich dürfte gar nicht mit dir darüber sprechen«, erklärte der Rechtsanwalt. »Doch Hanns investiert gerade zu viel in etwas, das sich auch wieder nicht tragen wird.«

»Was meinst du mit auch wieder nicht?«, begehrte Maria zu erfahren.

»Ich habe im Grunde schon zu viel preisgegeben«, erklärte Schröder. »Wenn du das Gefühl hast, noch irgendeinen Einfluss auf deinen Mann zu haben, dann solltest du ihn stoppen.«

»Du machst mir Angst, Klaus. Soll das heißen, dass Hanns in finanziellen Schwierigkeiten steckt?«

Klaus Schröder suchte nach Worten.

»Ich hätte gar nichts sagen sollen. Ich bitte dich nur um eines, Maria: Egal, was dein Mann dir in nächster Zeit vorlegt, unterschreibe nichts.«

»Um Himmels willen, Klaus. Rede endlich Klartext mit mir! Was genau ist los?«

»Ich bin nicht befugt, dir weitere Informationen zu geben. Ich habe dir eh schon zu viel gesagt. Tu mir einfach den Gefallen, und lass meinen Namen da raus. Du weißt, wie dein Mann aufbrausen kann. Vor allem aber unterschreibe nichts.«

»Du weißt genau, dass ich in der Vergangenheit immer alles unterzeichnet habe, was er mir vorgelegt hat«, gab Maria nun aufgebracht zurück. »Sag mir bitte, ob das ein Fehler war.«

»Das musst du mit deinem Mann besprechen, Maria, nicht mit mir. Wenn er von unserem Gespräch hier erfahren sollte, bin ich ohnehin die längste Zeit sein Anwalt gewesen.«

»Er wird nichts davon erfahren, und ich bin nicht so dumm, ihn mit meinem Wissen zu konfrontieren.« Sie schüttelte den Kopf. »Obwohl man ja nicht mal von Wissen sprechen kann.«

Klaus Schröders Miene hatte sich verändert. »Ich wünschte wirklich, mehr tun zu können.« Er senkte den Blick. »Komm, gehen wir wieder hinein, bevor uns noch eine Affäre angedichtet wird.«

Maria nickte und hakte sich bei ihm ein, doch die Gedanken, die nun wie in einer Zentrifuge durch ihren Kopf wirbelten, wollten sich einfach nicht mehr beruhigen lassen.

3. Kapitel

Villa Borchardt, Koenigsallee 75, Berlin-Grunewald

Freitag, 19. November 1976

Ich weiß nicht, was vor mir liegt. Doch ich freue mich darauf.

HANNABORCHARDT

Hanna hatte noch etwa eine Stunde mit ihrem Bruder geplaudert, nachdem ihre Mutter wieder nach unten zu den Gästen gegangen war. Sie tat ihnen beiden einfach nur leid, war den Geschwistern doch vollkommen klar, dass sie sich nicht gegen den Vater würde durchsetzen können. Hatte dieser früher öfter mal gesagt, dass er doch alles nur für die Familie täte und einzig deshalb so viel arbeitete, war dies nun schon seit Jahren kein Thema mehr. Die Familie wusste, dass für Hanns nichts so wichtig war wie seine Arbeit, oder genauer, Geld und Macht. Alles andere hatte hintanzustehen.

So jedoch, wie er sich nun schon seit einigen Monaten aufführte, war es über all die Jahre nie gewesen. Er schien geradezu besessen zu sein, musste immer mehr und mehr erreichen, größere Häuser bauen und überall im Mittelpunkt stehen. Es war fast schon krankhaft, wie erpicht er darauf war, dass die Menschen um ihn herum ihn als DEN Macher wahrnehmen sollten, ganz so, als könnte er nicht mehr ohne diese Anerkennung leben.

Dass seine Familie hierbei auf der Strecke blieb, schien ihm entweder egal zu sein, oder aber er bemerkte es gar nicht. Wie auch immer man es drehte und wendete: Ihr Vater war in Hannas Augen einfach zu einem Menschen geworden, den sie nicht ausstehen konnte. Punkt!

Sie lag in ihrem Bett und blätterte noch in der aktuellen Bravo. Eigentlich hatte sie sich die Zeitschrift gar nicht kaufen wollen, weil auf dem Cover die Bands Bay City Rollers und The Sweet abgebildet waren und es in dieser Ausgabe vor allem darum ging, wer den Goldenen Otto, einen Preis, den die Zeitschrift auslobte, erhalten sollte. Weder die Bay City Rollers noch die Bandmitglieder von The Sweet fand Hanna besonders attraktiv. Und erst recht stand sie nicht auf Sänger wie Shaun Cassidy oder noch schlimmer, Chris Roberts, die regelmäßig den Titel der Zeitschrift zierten. Sie fand die Rolling Stones, vor allem Mick Jagger, aufregend und wäre nur zu gern zu dem Konzert gefahren, das die Band im Frühjahr in Frankfurt gegeben hatte. Doch das hatte ihre Mutter nicht erlaubt. Natürlich wusste Hanna, dass sie sich einfach darüber hätte hinwegsetzen können. Aber das hatte sie nicht getan. Ihrer Meinung, vor allem aber ihrem Gefühl nach, war ihre Mutter ohnehin schon unglücklich genug. Da wollte nicht ausgerechnet sie ihr weiteren Ärger bescheren.

Etwas lustlos überflog Hanna die Seiten. Am interessantesten fand sie ohnehin immer die Dr.-Sommer-Rubrik, bei der junge Leserinnen und Leser Fragen zu sexuellen Themen stellen konnten. Eigentlich, das wusste Hanna, war sie für diese Zeitschrift schon zu alt. Viele ihrer Freundinnen hatten bereits vor einem oder sogar zwei Jahren aufgehört, die Bravo zu lesen. Doch Hanna hatte das Gefühl, dass sie die Zeit, in der ihre Freundinnen ihre rebellischen und wilderen Phasen gehabt hatten, irgendwie übersprungen hatte und stets eher angepasst und ruhig gewesen war. Aber sie spürte, dass ihr Wunsch, aus diesem behüteten Leben auszubrechen, größer und größer wurde. Sie war im Gegensatz zu den meisten ihrer Freundinnen noch Jungfrau. Nicht, weil sie keine Gelegenheit gehabt hätte. Es hatte sich für sie einfach bisher nicht richtig angefühlt, weil sie schlicht in niemanden wirklich verliebt gewesen war beziehungsweise immer dann, wenn sich etwas Ernstes entwickelt hatte, die Sache auch schon wieder vorbei war, bevor es zum Äußersten kam. So las sie also nur über die Leidenschaften und Probleme junger Leute, statt sie selbst zu erleben.

In diesem Heft schrieb ein Junge (13, ohne Ortsangabe), dass er glaubte, schwul zu sein, weil es ihn erregte, nach dem Sport die anderen Jungen nackt zu sehen.

Die Antwort des Dr.-Sommer-Teams lautete: Nur weil du bei nackten Jungen ein steifes Glied kriegst, glaubst du, schwul zu sein? Wenn du erst mal Erfahrungen mit Mädchen gemacht hast, sieht die Sache gleich ganz anders aus. Also mach dir vorerst keine Sorgen.

Hanna hob die Augenbrauen. Was für eine dämliche Antwort. Sie war da völlig anderer Ansicht. Nicht, dass der Junge wirklich zwangsläufig schwul war. Nur sah sie, selbst wenn es so war, überhaupt kein Problem darin. Ob nun jemand auf das gleiche oder das andere Geschlecht stand, war doch vollkommen egal, und sie verstand nicht, weshalb darum ein solches Theater gemacht wurde. Sollte doch jeder lieben, wen und wie er wollte. Was scherte das die anderen? Es waren genau solche Ansichten, die sie nicht leiden konnte. Auch ihre Mutter neigte dazu, alles zu verbieten, was sich ihrer Ansicht nach für junge Menschen, besonders für junge Frauen, nicht gehörte. Und ihr Vater erst, der sie so schnell wie möglich mit einer »guten Partie«, wie er es nannte, verheiraten und sie damit in eine Rolle zwingen wollte, die ihrer Meinung nach so gar nicht zu ihr passte.

Sie las noch einige weitere Fragen und Antworten, blätterte dann aber um. Wahrscheinlich würde sie das Heft wirklich nicht mehr kaufen. Die Zeit hierfür war einfach vorbei.

Sie hörte von unten Stimmen heraufdringen. So, wie es klang, verabschiedeten ihre Eltern die letzten Gäste. Hanna sah auf die Uhr, es war bereits kurz vor zwei. Hoffentlich würde da unten bald Ruhe herrschen. Sie konnte absolut nicht einschlafen, wenn sie das Gefühl hatte, dass noch immer fremde Menschen im Haus waren, die darüber hinaus dann auch noch lärmten.

Das Knarren der Treppe war zu hören. Es war die dritte Stufe von oben, die dieses Geräusch machte. Ihr Vater hatte schon einige Male deshalb den Handwerker kommen lassen, doch das Knarren kam in regelmäßigen Abständen wieder durch. Hanna schmunzelte bei dem Gedanken. Es war eben doch nicht so, dass ihr Vater alles kontrollieren konnte. Ob er nun meckerte und den Handwerker beschimpfte – die Treppe ließ sich hiervon nicht beeindrucken.

»Bitte Hanns, nicht so laut«, hörte Hanna nun ihre Mutter zischen. »Die Kinder schlafen.«

»Die Kinder! Wenn ich das schon höre. Du tust, als hätten wir noch Babys im Haus. Bleib jetzt stehen!«

Hanna lauschte. Ihre Eltern standen offenbar unmittelbar vor ihrer Tür.

»Dein Benehmen war unmöglich!«, schnauzte ihr Vater nun. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich es nicht mitbekommen habe, wie du einfach so den Saal verlassen hast, als ich mein neues Projekt präsentierte.«

»Hanns, nicht so laut«, bat die Mutter erneut.

»Das ist mein Haus, und ich kann hier so laut reden, wie ich will.«

»Lass meine Hand los! Du tust mir weh.«

»Ach, ich tu dir weh? Du hast mich bloßgestellt. Was denkst du, wie es mir damit geht?«

»Ich bin überrascht, dass du überhaupt bemerkt hast, dass ich nicht mehr da war.«

Hanna hörte anhand der Stimmen, dass die Eltern weitergegangen waren.

»Was willst du damit sagen?« Hanns war lauter geworden, und offenbar hatten die beiden noch immer nicht ihr Schlafzimmer erreicht.

»Ich hatte einen Wunsch, Hanns. Einen einzigen Wunsch, und zwar ein Abendessen mit dir und den Kindern. Doch du musstest ja meinen Geburtstag zum Anlass nehmen und einen solchen Zirkus veranstalten, nur um dich und deine großen Pläne präsentieren zu können!«, schrie Maria ihren Mann an.

Hanna fragte sich, ob sie ihre Mutter jemals schreien gehört hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern.