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Die Kerzenzieherin 1 E-Book

Caren Benedikt

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Beschreibung

Eine mutige Novizin und eine dunkle Verschwörung. - Teil 1 des sechsteiligen Serials »Die Kerzenzieherin« Hattingen, 1225: Das Leben der Novizin Ellin gerät völlig aus den Fugen, als sie zufällig ein Gespräch zwischen zwei Männern belauscht, die eine Verschwörung gegen den Erzbischof von Köln planen. Ellin muss fliehen: Sie legt ihr Novizinnengewand ab und schafft es, sich in Bremen als Kerzenzieherin ein neues Leben aufzubauen. Doch schon bald holt sie ihre Vergangenheit wieder ein, und Ellin begreift, dass ihr Wissen sehr gefährlich und der Alptraum noch lange nicht vorbei ist.

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Seitenzahl: 115

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Caren Benedikt

Die Kerzenzieherin

RomanSerial Teil 1

Knaur e-books

Über dieses Buch

Hattingen, November 1225

Inhaltsübersicht

WidmungEinleitung1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel
[home]

Für Iny und Elmar,

zwei gute Freunde, die mir halfen, meinen Weg zu finden

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Es war ein einziges Schlachtfeld. Das viele Blut konnte in dem eisigen Boden nicht versickern und fügte sich zu einer breiigen Masse zusammen. Das Bild, das sich ihm bot, glich einem Kriegsschauplatz. Das hätte nicht geschehen dürfen. Einer seiner Männer hatte während des Überfalls einen Arm eingebüßt. Das Blut strömte ihm unaufhörlich aus dem Rumpf direkt unterhalb des Schultergelenks, wo ihm der Arm in ganzer Länge abgetrennt worden war.

Er sah den Verwundeten und wusste, dass auch er sterben würde. Nicht irgendwann, sondern heute. Es gab kein Entkommen, kein Entrinnen, kein Verhandeln oder Feilschen. Schon am Morgen beim Aufstehen hatte er gemeint, etwas Eigenartiges, Fremdes zu spüren. Eine Unruhe und doch gleichzeitig die Gewissheit, nichts an dem, was folgen würde, ändern zu können.

Nun lag er hier, mitten im Dreck und ohne jede Würde, die er sich zeitlebens zu eigen gemacht hatte. Die wilden Rufe um ihn herum wurden leiser, und er hörte die Stimmen nur noch, als hätte sich eine dicke wollene Decke um seinen Kopf gelegt. Sein Herz pochte heftig, schien sich der Endlichkeit widersetzen zu wollen.

Lateinische Worte gingen ihm durch den Kopf. Krampfhaft versuchte er, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen. Nicht mehr lange, dann würde er seinem Schöpfer gegenübertreten. Die richtigen Worte. Die richtigen Worte. Er musste sie finden. Ein kurzer, heftiger Schmerz fuhr durch seine Brust. Es würde nicht mehr lange dauern, er spürte es. War sein Weg immer richtig gewesen? Würde der Herr ihn empfangen und ihm einen Platz in seinem himmlischen Reich gewähren?

Und am Ende ist man doch allein und liegt, gleichgültig ob Bauer oder König, still in der Erde. Er erinnerte diese Zeilen, wusste aber nicht mehr, wo er sie einst vernommen hatte. Die richtigen Worte, er wollte sie sprechen. Seine Lippen formten ein Gebet, doch keiner außer Gott konnte ihn jetzt noch hören. Er hatte seine irdene Hülle längst verlassen.

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1. Kapitel

Drei Tage zuvor, Burg Isenberg am 4. November 1225

Der Anstieg war steil, und bei jedem Ausatmen entstiegen Ellins Mund kleine Atemwölkchen. Ihr machte die Anstrengung nichts aus, obwohl der nahende Winter schon jetzt sein eisiges Tuch über das Land gebreitet hatte. Jonatha hingegen, die beleibte Novizin, mit der sie gemeinsam den geflochtenen Korb zur Burg hinauftrug, war die Mühe deutlich anzusehen. Sie schnaufte und keuchte, bat Ellin ein ums andere Mal, eine kurze Rast zum Durchatmen einzulegen, und musste manch gotteslästerlichen Fluch hinunterschlucken, wenn sie auf dem glatten Untergrund den Halt zu verlieren drohte.

»Ich kann den Korb das letzte Stück allein tragen, Jonatha. Lass gut sein.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Ellin nach dem anderen Henkel und zog das Behältnis ganz zu sich herüber.

»Danke.« Jonatha keuchte noch immer. »Aber sag, wenn es dir zu viel wird.«

»Es ist ja nicht mehr weit.«

Obwohl sie den Korb nun ganz allein trug, schien es Ellin, als hätte sich ihre Last insgesamt dennoch verringert, da sie Jonatha, die mehr am Korb gehangen, als dass sie ihn getragen hatte, nun nicht mehr hinter sich her den Berg hinaufziehen musste. Einzig störte sie sich an ihrem Kleid, dessen Saum beim Überqueren der flachen Furt gierig das Eiswasser in sich aufgesogen hatte. Kühl und nass klebte der Stoff nun an ihren Waden, und langsam kroch die Kälte bis zu ihren Schenkeln hinauf.

Ein dumpfes Grollen über ihnen ließ Jonatha ängstlich zum Himmel hinaufsehen.

»Dass jetzt nur nicht noch ein Unwetter aufzieht.«

Ellin folgte ihrem Blick. Die Wolken hatten sich zu einer quellenden, dunkelgrauen Masse zusammengezogen. »Wenn wir uns nicht beeilen, werden wir die Burg gewiss nicht mehr erreichen, bevor der Regen auf uns niederprasselt.«

Sie beschleunigte ihren Schritt und kam trotz des schweren Korbes schneller voran als Jonatha, die ihr mit immer größer werdendem Abstand folgte.

Kurz bevor Ellin das Burgtor erreichte, setzte ein gewaltiger Schauer mit Hagelkörnern ein, die teilweise hühnereigroß waren. Heftig trommelte sie gegen das Tor.

»Öffnet! Wir bringen die georderten Waren aus dem Kloster!«

Sofort wurde der Riegel beiseitegeschoben, und ein Wachmann ließ sie eintreten.

»Nun komm schon, Jonatha!« Es klang harscher, als sie es beabsichtigt hatte, doch verfehlte die Aufforderung ihre Wirkung nicht. Die Angesprochene hob den Rock und rannte das letzte Stück.

Sofort schloss die Wache hinter ihnen wieder das Tor und brachte den Riegel an. Das Gesinde, das im inneren Burghof seinen Arbeiten nachkam, versuchte, sich vor den niederprasselnden Eisklumpen in Sicherheit zu bringen, und die beiden Novizinnen stießen ein ums andere Mal mit jemandem zusammen, während sie sich mühten, zum Eingang des Küchengebäudes zu gelangen. Fast hätte Ellin nach einem Stoß in den Rücken den Korb fallen lassen, konnte jedoch im letzten Moment noch nachfassen. Atemlos erreichten die Novizinnen den Schutz spendenden Torbogen des Wirtschaftsgebäudes.

»Hast du so etwas schon einmal gesehen?« Vorsichtig streckte Ellin den Kopf vor und spähte hinaus. Das Unwetter schien noch mehr an Kraft zu gewinnen, und die Eiskugeln bildeten schon eine fast geschlossene weiße Fläche im Innenhof.

»Mir ist das unheimlich«, brachte Jonatha hervor und rieb ihre Arme.

Ellin sah sich um. Aus sämtlichen Burgöffnungen lugten Gesichter hervor, um das launige Wetterschauspiel zu beobachten, das sich ihren Augen bot. Die einen ängstlich, die anderen erstaunt, sahen sie zu, wie der Himmel wütend seine Schleusen öffnete und seine eisigen Geschosse gen Erde schleuderte.

»Komm.« Ellin drehte sich um und ging auf dem langen Gang in Richtung Küche. Jonatha löste ihren Blick von dem Geschehen und folgte ihr.

Aus der Gesindeküche drangen Stimmen. Ellin bedeutete Jonatha mit einer Kopfbewegung, ihr die Tür zu öffnen. Doch die wurde just in diesem Moment aufgerissen, als einer der Knechte herauskam. Rasch machte er einen Schritt zur Seite und ließ die Frauen eintreten. Sie dankten es ihm mit einem stummen Kopfnicken.

»Ah, da seid ihr ja!« Agnes, die Haushälterin der Burg, kam ihnen entgegen und nahm Ellin den Korb ab. »Und das bei diesem Unwetter. Wärmt euch erst einmal am Feuer.«

»Danke.« Ellin rieb sich die Hände, deren Finger von den Tragegriffen des schweren Korbes tiefe Einkerbungen aufwiesen und vor Kälte blau angelaufen waren. Sie ging zur Feuerstelle und streckte die Arme in Richtung der Flammen aus, während Jonatha an ihre Seite trat.

»Wir warten aber doch den Hagel ab und gehen nicht sogleich wieder zurück, oder?« Obwohl Jonatha die Ältere von ihnen beiden war, fügte sie sich wie selbstverständlich Ellins Entscheidungen. Da meldete sich Agnes zu Wort.

»Gleich wird nach und nach das Gesinde eintreffen, um zu essen. Dann wird es hier sehr voll. Wenn ich euch einen Rat geben darf: Gönnt euch jetzt eine Kelle Suppe, und danach überlasse ich euch eine kleine Kammer, in der ihr warten könnt, bis sich das Wetter wieder beruhigt hat.«

»Das wäre wirklich sehr freundlich, Agnes. Aber wir wollen dir keine Mühe machen.«

»Das ist doch keine Mühe.« Die Haushälterin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die Kammer wird sowieso nie benutzt. In ihr stehen nur eine Truhe mit Decken und ein Bett. Geheizt wird dort nicht.«

»Dann nehmen wir deinen Vorschlag gern an und danken dir.« Ellin lächelte Agnes zu, die sich schon wieder umdrehte und in dem großen Topf über dem Feuer rührte.

»Ich füll jetzt die Suppe ein. Die wird euch guttun.«

Die Novizinnen setzten sich auf eine lange Bank neben dem Tisch. Zusammen mit der Haushälterin waren sie die Einzigen im Raum, und wieder einmal fiel Ellin auf, wie angenehm sie es empfand, dem Klosterleben eine Zeitlang entflohen zu sein. Schon oft hatte sie darüber nachgedacht, ob sie das Ordensgelübde tatsächlich ablegen sollte. Doch hatte sie überhaupt eine Wahl? Solange sie zurückdenken konnte, lebte sie im Kloster. Wer sie einst dort abgegeben hatte, wussten nicht einmal die älteren Schwestern zu sagen. Eines Tages war sie einfach da gewesen, allerdings nicht mehr im Wickelalter, wie es immer wieder einmal geschah, wenn eine verzweifelte Frau ihr Neugeborenes vor dem Klostertor ablegte. Ellin hatte schon laufen können. Offenbar hatte ihre Mutter sie bis zur Klosterpforte gebracht, dort angeklopft und war danach einfach gegangen. Seitdem, und sie mochte bereits an die siebzehn Jahre alt sein, war nicht ein einziger Tag vergangen, an dem sie sich nicht fragte, was sie in ihren jungen Jahren nur so Schreckliches getan haben konnte, dass ihre eigene Mutter ihrer überdrüssig geworden war. Sie seufzte und fuhr zusammen, als sie bemerkte, wie tief sie in Gedanken versunken war.

»Ist dir nicht wohl?« Jonatha sah sie besorgt an, und es rührte Ellin, als ihr bewusst wurde, dass die Novizin ein Mitglied der einzigen Familie war, die sie je gehabt hatte.

Kurz griff sie nach der Hand der Älteren. »Es ist alles gut. Danke.«

Jonatha schien verdutzt angesichts der plötzlichen Geste, sagte aber nichts.

In diesem Moment stellte Agnes die Suppenschalen auf den Tisch. »So, nun lasst es euch schmecken.«

»Danke.« Jonatha nahm rasch den Löffel auf und genoss sichtlich die warme Mahlzeit.

»So etwas Gutes hätten wir im Kloster nicht bekommen. Danke, Agnes. Du bist eine wunderbare Köchin.«

»Ich freu mich immer, wenn es allen schmeckt«, gab diese lächelnd zurück.

Vor der Tür wurden Stimmen laut, und im nächsten Augenblick traten zwei Mägde ein. Kurz zögerten sie beim Anblick der Ordensschwestern, nahmen auf einen Wink von Agnes dann aber ebenfalls am Tisch Platz.

Unsicher sahen die vier Frauen einander an. Keine sagte ein Wort, und eine drückende Stille machte sich breit.

»So, hier!« Agnes gab auch den Mägden je eine Suppenschale.

»Danke, Agnes!« Die jüngere der beiden sah auf und warf einen raschen Blick auf Ellin. Kurz überlegte sie, ein Gespräch zu beginnen, doch schien ihr der Gedanke schon im nächsten Augenblick unpassend. Sie war eine einfache Magd, nicht so gebildet wie die Ordensschwestern. Wahrscheinlich würden diese es als aufdringlich empfinden, wenn sie als Erste das Wort an sie richtete.

Noch einmal blickte sie verstohlen zu Ellin hinüber und fuhr zusammen, als diese es bemerkte.

»Arbeitet ihr immer in der Burg oder nur während der Wintermonate?«, durchbrach Ellin die beklemmende Stille.

Die junge Magd ging dankbar auf das Gesprächsangebot ein. »Erst ab dem Herbst, wenn die Felder abgeerntet sind«, teilte sie mit. »Wir haben nicht so viel Glück wie Agnes, die das ganze Jahr hier verbringen kann.«

»Dass es immer ein Glück ist, würde ich nicht sagen«, mischte Agnes sich ein. »Aber es stimmt schon, dass ich froh bin, hier stets gebraucht zu werden.«

Daraufhin erstarb das Gespräch, und die junge Magd überlegte fieberhaft, mit welcher Frage sie die Stille erneut durchbrechen könnte. »Gefällt Euch das Leben im Kloster?«

Ellin und Jonatha warfen sich einen Blick zu, den die Magd nicht zu deuten vermochte.

Jonatha zuckte mit den Schultern. »Es ist wohl das beste Leben, das man sich als Weib erwarten darf.«

»Unsinn!«, widersprach Ellin heftig und erschrak selbst darüber, wie schroff ihre Erwiderung ausgefallen war. Jonatha blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Unsinn?«

Versöhnlich griff Ellin nach ihrer Hand. »Nicht deine Worte, meine Liebe.« Ellin seufzte. »Doch ich glaube einfach, dass Gott uns Frauen etwas mehr zugesteht, als nur demütig die Anordnungen der Männer zu befolgen.«

»Eine waghalsige Ansicht für eine Novizin!« Sorge schwang in Agnes’ Stimme mit.

»Ich weiß.« Ellin senkte den Blick. »Verzeih bitte.«

Die junge Magd räusperte sich, unsicher, ob sie noch weiter in die Novizin dringen sollte. Ihre Neugierde siegte schließlich. »Hier hört uns niemand, und wir können schweigen. Würdet Ihr daher genauer erklären, was Ihr damit meintet?« Sie lächelte aufmunternd.

Ellin sah auf. Sie ärgerte sich über ihren Gefühlsausbruch.

Jonatha drückte kurz ihre Hand. »Obwohl wir nun schon so lange zusammen im Kloster leben, habe ich dich noch nie zuvor so etwas sagen hören.«

»Glaubst du denn, der Mutter Oberin würde das gefallen?«

Jonathas Lächeln verriet, dass sie Ellins Zweifel gut verstehen konnte.

»Wisst Ihr«, sagte die junge Magd, »ich dachte immer, dass Nonnen ganz und gar zufriedene und glückliche Menschen wären. Ich selbst hingegen fühle mich oft wie ein gehetztes Tier, das kein Entkommen aus seiner täglichen Mühsal von Arbeit und Schweiß zu finden vermag. Und es gibt niemanden, der dort draußen auf mich wartet, um mir mit Liebe einen Ausweg zu zeigen.« Kurz sah sie die Novizinnen an, als wöge sie ab, ob sie noch weitersprechen oder lieber schweigen sollte. »Ihr Ordensschwestern hingegen tragt stets so ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, dass ich mich schon manches Mal gefragt habe, ob ein Leben im Kloster nicht auch für mich das Richtige wäre.«

»Hör auf die Stimme in dir. Sie wird dir den richtigen Weg weisen.« Ellin nickte der Magd zu.

Doch die schüttelte darauf nur traurig den Kopf. »Ach, selbst wenn ich es mir wünschte, ich hätte gar nicht die Mittel, um dem Kloster beitreten zu können.« Kurz überlegte sie. »Aber Ihr sagtet eben, dass Ihr glaubt, Gott würde auch den Frauen ein gewisses Maß an Glück zugestehen.«

»Davon bin ich überzeugt«, bekräftigte Ellin.

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Magd. »Auch einer ganz einfachen Frau wie mir?«

»Gerade den einfachen, deren Seelen nicht von Habgier zerfressen, sondern die reinen Herzens sind, schenkt der Herr sein Wohlwollen.«

Die Magd strahlte über das ganze Gesicht. »Dann werde ich also mein Glück finden?«