Das Barnabas-Evangelium - Irene Dorfner - E-Book

Das Barnabas-Evangelium E-Book

Irene Dorfner

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In Uppsala (Schweden) wird eine 2000 Jahre alte Bibel auf brutale Art und Weise geraubt. Nach einem verheerenden Bombenanschlag auf dem Altöttinger Christkindlmarkt wird diese Bibel in der Wohnung von Bischof Plankl abermals gestohlen. Wie gelangte sie dort hin? Wer hat die Bibel? Leo Schwartz und seine Kollegen verfolgen die tödliche Spur der Barnabas-Bibel bis in den Vatikan…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 327

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irene Dorfner

Das Barnabas-Evangelium

Leo Schwartz ... und die Bibel-Morde

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Vorwort

Anmerkung

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2016 Irene Dorfner

Copyright 3. Überarbeitete Auflage 2021-

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

All rights reserved.

Lektorat:: FTD-Script Altötting,

Earl und Maries Heidmann, Spalt

Vorwort

„Wer glaubt, ein guter Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, der irrt. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in die Garage geht.“

Albert Schweitzer (1875-1965)

***************

Anmerkung

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Auch der Inhalt des Buches ist reine Phantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

Vielen Dank an alle, die mir mit Rat und Tat bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben!

Viel Spaß beim Lesen des 15. Falles!

Irene Dorfner

1.

Uppsala/Schweden, Hauptbibliothek Carolina Rediviva – 9. November, 22.00 Uhr

Vier schwarz gekleidete Männer stiegen aus ihrem Fahrzeug, sprengten in wenigen Augenblicken die Tür der alten Bibliothek und gingen zielstrebig ins Zimmer 12 der ersten Etage, deren Tür einer der Männer mit einem heftigen Fußtritt aufbrach. Die Sirene der Alarmanlage kümmerte sie nicht. Mit einem Stemmeisen schlug einer der Männer den klimatisierten Schaukasten ein, entnahm das darin aufbewahrte Buch, legte es vorsichtig in den mitgebrachten Koffer und übergab ihn dem Auftraggeber, der sich geschickt vor den Überwachungskameras verdeckt aufhielt und sich nicht aktiv beteiligte. So schnell die Männer gekommen waren, waren sie auch wieder verschwunden. Mit hoher Geschwindigkeit fuhren sie durch die Innenstadt, ohne auf Verkehrszeichen oder Passanten zu achten. Dabei kamen ihnen einige Polizeiwagen mit eingeschalteten Blaulichtern entgegen, die ganz bestimmt auf dem Weg in die Hauptbibliothek waren.

Als sie endlich aus der Innenstadt Uppsalas heraus waren, drückte der Fahrer das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Sie mussten weg, und zwar so schnell wie möglich. Die Überwachungskameras hatten drei von ihnen ganz sicher von allen Seiten aufgenommen und für die schwedischen Behörden würde es leicht werden, sie zu identifizieren. Bis auf den Jüngeren der vier Männer, den Auftraggeber, waren alle strafrechtlich bereits aktenkundig. Trotz der Umstände waren sie bester Laune, obwohl noch knapp vier Stunden Fahrtzeit vor ihnen lag. Dann hatten sie es geschafft und sie waren reich, sehr reich.

Der 32-jährige Auftraggeber, der seinen Namen nicht genannt hatte und den die anderen daher nur den Jüngeren nannten, hieß Lorenzo Giancomelli. Er hatte die Männer angeworben. Durch seine Kontakte kam er an schwedische Polizeiakten und suchte gezielt nach furchtlosen Männern, die dringend Geld brauchten. Er hatte darauf geachtet, dass sie keine Familie hatten, schließlich war er kein Unmensch. Giancomelli konnte aus dem Vollen schöpfen, denn die Männer, die er suchte, gab es wie Sand am Meer. Er hatte sich trotzdem Mühe gegeben, alle Kriterien zu berücksichtigen, die für ihn wichtig waren. Dann suchte er die Männer persönlich auf und bot ihnen den Job an. Es war leicht gewesen, sie für das Vorhaben zu gewinnen, schließlich bot er jedem von ihnen sehr viel Geld. Giancomellis Bedingung war: Keine Fragen. Dafür verlangten die Männer, nach dem Auftrag außer Landes geflogen zu werden, was Giancomelli sehr entgegenkam. Dadurch würde die ganze Sache einen runden Abschluss bekommen.

Alles lief wie geplant und Giancomelli war sehr zufrieden. Sie hatten es geschafft, das Buch befand sich in seinen Händen. Er war glücklich und sprach ein stilles Gebet.

Endlich waren sie an ihrem Ziel angekommen: Der kleine Flughafen in Sundsvall-Timra, der vier Stunden von Uppsala entfernt lag. Nur ab und zu hob ein kleineres Passagierflugzeug ab, größere sah man auf diesem Flugplatz selten. Die Männer parkten den Wagen. Sie gaben sich keine Mühe, die Nummernschilder zu entfernen oder ihn abzuschließen. Die Arbeit war erledigt und sie würden nie wieder schwedischen Boden betreten. Sie gingen zielsicher zum Rollfeld. Hier stand ein Sportflugzeug für die drei Schweden bereit, um sie außer Landes zu fliegen. Die Stimmung unter den Männern wurde gelöster und man spürte, wie die Anspannung von ihnen abfiel. Giancomelli übergab jedem einen dicken Umschlag, der mit Geldscheinen prall gefüllt war. Es war selbstverständlich, dass die drei sich erst von der Summe überzeugten, bevor sie beschwingt in das Sportflugzeug stiegen, das von einem zwielichtigen, verschlagenen Mann geflogen wurde, der Giancomelli kräftig über den Tisch gezogen hatte. Giancomelli bedankte sich bei jedem per Handschlag und verabschiedete sie mit warmen Worten, auch bei dem Piloten, der sich über die Dummheit des Italieners freute. Giancomelli selbst blieb mit dem Koffer zurück, er hatte andere Pläne. Er winkte dem Sportflugzeug hinterher und sah ihm beim Start zu. Als das Flugzeug fast schon außer Sichtweite war, nahm Giancomelli einen Sender aus der Tasche, schloss die Augen und drückte ab. Ein heller Feuerball erschien im dunklen Himmel der sternklaren Nacht. Giancomelli kniete nieder und sprach ein Gebet. Diese Opfer mussten sein, er konnte keine Mitwisser brauchen, das war Teil des Plans. Auf das Geld, das unwiederbringlich ebenfalls verloren war, konnte er gerne verzichten. Es ging nicht um das Geld, davon gab es genug. Es ging nur um das Buch.

Noch bevor die Rettungsteams alarmiert wurden, ging Giancomelli zu den Schließfächern, entnahm eine Tasche und lief damit zu den Toiletten. Er musste sich beeilen, er war spät dran. Nach wenigen Minuten kam er mit einer schwarzen Soutane bekleidet und dem weißen Kollar, dem römischen Kragen, heraus und ging zielstrebig auf eine Gruppe zu, die auf ihn zu warten schien.

„Endlich Monsignore, wir warten schon auf Sie. Unser Flug wurde bereits aufgerufen,“ lief ihm ein Mann entgegen und übergab ihm das Flugticket. Die Gruppe bestand aus insgesamt vierzehn Personen, die alle an einem Symposium teilgenommen hatten. Die Teilnehmer waren anfangs überrascht, dass sich ein katholischer Priester anschloss, denn das Thema aus der Astrologie war sehr spezifisch aufgebaut und eigentlich stand die katholische Kirche dem Thema skeptisch gegenüber. Trotzdem wurde Giancomelli rasch in die Gruppe integriert, obwohl er sich nicht wirklich für das Thema interessierte. Für ihn war die Teilnahme an diesem Symposium eine sehr gute Möglichkeit, ohne großes Aufsehen in Schweden ein- und auch wieder ausreisen zu können.

Die inzwischen heulenden Sirenen drangen bis in die Abflughalle. Die wenigen Personen spürten, dass etwas passiert sein musste, denn die Sicherheitskräfte rannten durcheinander. Das Gerücht eines Flugzeugabsturzes machte die Runde und löste Diskussionen und schließlich auch Panik aus. Beinahe alle drängten sich an den Fenstern. Das Flughafenpersonal war heillos überfordert und winkte die Gruppe, in der Giancomelli stand, einfach durch.

Erst, als das Flugzeug mit Giancomelli an Bord das schwedische Hoheitsgebiet verlassen hatte, wurden die Fahndungsbilder der Diebe veröffentlicht. Von Giancomelli gab es nur eine verschwommene Aufnahme, durch die man nie auf ihn kommen würde. Auch dieser winzig kleine Flughafen würde nie im Zusammenhang mit dem Diebstahl stehen; warum auch? Die Namen der drei Ganoven tauchten nirgends auf. Das war die Bedingung an den Piloten gewesen, als der ihm seinen völlig überzogenen Preis nannte. Jetzt waren sie tot und in tausend kleine Stücke gerissen. Es war klar, dass die Explosion des Flugzeugs als Unfall eingestuft werden würde, was aufgrund des maroden und in die Jahre gekommenen Flugzeugs nahelag. Der Plan hatte funktioniert und er hatte es geschafft, das Buch ohne einen Mitwisser in seinen Besitz zu bringen. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück und verließ seinen Platz erst, als das Flugzeug auf dem italienischen Flughafen Leonardo da Vinci in Fiumincino nahe Rom landete. Freundlich ließ er den anderen den Vortritt und zog dann den Koffer unter seinem Sitz hervor, den er dort sicher verstaut und auf den niemand geachtet hatte. Nachdem er seine Reisetasche vom Kofferband genommen und sich von allen Teilnehmern der Gruppe verabschiedet hatte, stieg er in die Limousine, die am Ausgang auf ihn wartete.

„Hast du das Buch?“

„Ja, Vater.“

„Ich bin sehr zufrieden mit dir. Gab es Probleme?“

„Nein. Es lief alles wie geplant.“ Die Einzelheiten verschwieg er. Nur zwei Personen waren in den Plan eingeweiht, das genügte.

Es dauerte eine gute halbe Stunde, dann fuhren sie durch das Tor des Vatikans, wo Giancomelli bereits trotz der frühen Morgenstunden ungeduldig von acht Männern erwartet wurde, unter ihnen der berüchtigte Kardinal Alberto Varese. Er war extra aus Spanien gekommen, um das Buch persönlich in Augenschein zu nehmen und zu entscheiden, wie weiter damit verfahren werden sollte. Varese war erschrocken über den Zustand des Buches. Konnte das eine Fälschung sein? Konnten sie es jetzt nach dem Diebstahl überhaupt noch auf die Echtheit überprüfen lassen? Nein, dafür war jetzt nicht der richtige Moment. Was, wenn es Fotos oder Abschriften des Buches gab? Das war ganz sicher so, aber ohne das Original brachten die ganzen Kopien und Abschriften nichts.

Jeder der Männer begutachtete das Buch und nach zwei Stunden entbrannte eine heftige Diskussion, während derer die wildesten Vorschläge in den kleinen Raum geworfen wurden. Kardinal Varese sprach ein Machtwort: Dieses Buch durfte nicht an die Öffentlichkeit gelangen, zumindest noch nicht. Die Stimmung im Vatikan war momentan so schlecht wie nie und es wäre jetzt sehr ungeschickt, das Buch zu präsentieren. Als Kardinal Varese vor einigen Monaten den Auftrag erteilte, das Buch zu besorgen, war alles noch in bester Ordnung. Er hatte sich einen kleinen Fehler erlaubt und war daraufhin gerüffelt worden. Durch die Einladung eines Fernsehsenders und der damit verbundenen, sehr großzügigen Spende wurde ihm seine Eitelkeit zum Verhängnis. Ohne groß darüber nachzudenken hatte er zugesagt, ohne Rücksprache mit dem Vatikan zu halten, der bei solchen öffentlichen Auftritten gerne vorher informiert werden wollte. Der Kardinal hatte sich während der Sendung anfangs sehr gut geschlagen und ließ sich von den anderen nicht aus der Reserve locken. Von Anfang an hatten es zwei der Teilnehmer auf den Kardinal und die katholische Kirche abgesehen und provozierten ihn, wo sie nur konnten. Am Ende der Sendung ließ sich der Kardinal zu einigen Äußerungen hinreißen, die im Vatikan nicht gut ankamen und ihm eine gehörige Standpauke bescherten. Sein gutes Ansehen hatte einen Kratzer bekommen. Längst hatte er nicht mehr an die Möglichkeit gedacht, dass dieser Giancomelli es tatsächlich schaffen würde, das Buch zu besorgen. Er war erstaunt, als er die Nachricht erhielt und flog sofort in den Vatikan, um es persönlich in Augenschein zu nehmen.

„Hast du es auf dem Schwarzmarkt gekauft Lorenzo?“

„Nein Eminenz. Ich musste es stehlen.“

Der Kardinal atmete tief durch. Ein gestohlenes Buch konnte er weder den anderen, noch dem Papst präsentieren.

„Wie seid ihr vorgegangen?“

„Der Diebstahl wird morgen in allen Medien erscheinen. Es tut mir leid Eminenz, es gab keine andere Möglichkeit, das Buch zu beschaffen.“

„Mitwisser?“

Giancomelli schüttelte nur den Kopf und der Kardinal wusste, was das bedeutete und wollte keine Einzelheiten wissen. Es war besser, abzuwarten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Und bis dahin musste das Buch sicher aufbewahrt werden. Trotz allem war Kardinal Varese sehr zufrieden, dass dieses unsägliche Buch im Vatikan war und kein Unheil mehr anrichten konnte. Varese konnte getrost zurück nach Spanien reisen.

Giancomelli selbst brachte das Buch in die Bibliothek im Keller des Vatikans und verstaute es in einem klimatisierten Safe. Er fühlte sich nicht wohl dabei. Er hatte dieses Buch mit langer Vorbereitung, sehr großem Aufwand und den schrecklichen, unvermeidlichen Opfern besorgt. Und jetzt sollte er es einfach in dem Safe verschwinden lassen? Giancomelli war durcheinander. Wenn das Buch echt war, und danach sah es aus, dann war das für die katholische Kirche eine Katastrophe. Er bekam eine Gänsehaut. War das Buch nicht doch eine Fälschung? Optisch sah es durchaus echt aus, aber das konnte auch täuschen. Das Buch bestand aus dunkelbraunem Leder und die aramäischen Texte wurden mit Gold geschrieben. Warum wurde das Buch nicht einfach geprüft? Wenn es eine Fälschung war, müsste man sich nicht darum sorgen. Aber die anderen waren dagegen. Fürchteten sie die Echtheit? Man hatte beschlossen, das Buch einzuschließen und Giancomelli fügte sich der Anweisung, obwohl er damit nicht einverstanden war. Aber was sollte er machen? Er hatte das Buch zwar gestohlen, aber einem Kardinal widersprach man nicht, vor allem nicht Kardinal Varese. Schon der Blick und die tiefe Stimme der Eminenz waren gefürchtet. Das Buch war unter vorgehaltener Hand schon seit vielen Jahren Thema im Vatikan. Im Jahr 2000 soll es bei einer Schmugglerbande gefunden worden sein, Einzelheiten waren nicht bekannt. Hinter vorgehaltener Hand kursierten auch hier immer wieder Gerüchte. Erst in den letzten Monaten erschienen in Fachzeitschriften einige Artikel, die auf dieses Buch hinwiesen: Das Barnabas-Evangelium. Niemand wusste genau, was darin stand und was es damit auf sich hatte. Es schien, als wäre dieses Buch nicht existent. Bis vor zwei Wochen. Die Nachricht machte die Runde, dass das Barnabas-Evangelium in der Hauptbibliothek Carolina Rediviva in Uppsala geprüft werden sollte, die dafür extra vier hochkarätige Spezialisten angefordert hatte. Diese Gelegenheit war einmalig, denn bis dahin hatte Giancomelli nicht die leiseste Ahnung, wo dieses Buch aufbewahrt wurde. Schweden! Das war endlich eine Chance, um das Buch in die Finger zu bekommen. Giancomelli war glücklich gewesen, als er im Frühsommer eine Nachricht auf seinem Zimmer vorfand. Er solle diese Bibel unter allen Umständen besorgen. Einzelheiten wollte man nicht wissen, man überließ ihm die Organisation und die Durchführung der Aufgabe. Der Nachricht war eine Kontonummer eines Bankkontos beigefügt, das eigens für diese Aktion eingerichtet worden war. Die Summe war nicht begrenzt. Wer hatte ihn beauftragt? In der Nachricht wurde kein Name genannt und man verlangte Stillschweigen von ihm. Von da an war das seine Hauptaufgabe. Der Sicherheitschef des Vatikans, Carlo Fumagalli, kam kurz darauf auf ihn zu und bot ihm seine Hilfe an. Für Giancomelli war sofort klar, dass er ebenfalls damit beauftragt worden sein musste. Woher sonst wusste er davon? Gemeinsam planten sie das Vorhaben, schmiedeten Pläne und verwarfen sie wieder. Es war nicht sicher, wo sich das Buch befand, und Giancomelli unternahm viele unsinnige Reisen auf vage Aussagen hin, die sich aber dann alle zerschlugen. Bis vor zwei Wochen bekannt wurde, dass das Buch in Uppsala war. Jetzt musste alles schnell gehen. Giancomelli nutzte seine vielen Kontakte und bekam so Zugang zu den Akten der schwedischen Polizei. Fumagalli kam auf die brillante Idee mit der Teilnahme an dem Symposium. Alles war perfekt geplant und konnte nicht schiefgehen. Trotzdem hatte Giancomelli Gewissensbisse wegen dem geplanten Mord an den drei Männern, die zusammen mit dem Piloten in die Luft gesprengt werden sollten. Fumagalli hatte das geplant und würde die Organisation übernehmen. Giancomelli brauchte lediglich auf den Knopf des Senders drücken. Er war erschrocken von dieser Idee. Aber er ließ sich überzeugen, Fumagalli war ein brillanter Redner und hatte sehr überzeugende Argumente. Es war wirklich besser, wenn es keine Mitwisser gab. Bis zuletzt saßen die beiden über dem Plan und gingen alle Einzelheiten mehrfach durch. Der Diebstahl musste klappen, bevor die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt wurden.

Alles war wie geplant verlaufen und hatte vier Menschenleben gekostet. Und jetzt sollte die Bibel in dem Safe schlummern. Nicht mehr lange, und sie würde in Vergessenheit geraten.

Als Giancomelli die Tür der Bibliothek schloss, fühlte er sich schlecht. Dieses Buch, das die Fundamente der Kirche ins Wanken bringen könnte, lag dort hinten im Safe und war existent und deshalb immer noch sehr gefährlich. Hätte er es nicht einfach verbrennen sollen, als er noch in der Lage dazu war?

Der schwedische Polizist Malte Hedlund war außer sich, als er die dreisten Einbruchspuren in der Hauptbibliothek Uppsala in Augenschein nahm. Es ging den Dieben also nur um dieses Buch, an anderen Dingen hatten sie kein Interesse. Die Diebe sind bei ihrem Einbruch sehr rabiat vorgegangen. Warum diese Gewalt? Die Explosion hatte die uralte Holztür des historischen Gebäudes komplett zerstört und die herumfliegenden Trümmerteile hatten weitere Schäden an umliegenden Gebäuden und parkenden Fahrzeugen verursacht. Und alles nur wegen dieses Buches, das laut Angabe der Leiterin der Bibliothek eine alte Bibel sein soll. Die Existenz des gestohlenen Buches, das im Jahr 2000 bei einer Schmugglerbande gefunden worden sein soll, wurde fast täglich in den Medien thematisiert. Wilde Spekulationen wurden ausgesprochen, das Interesse der Bevölkerung an dem Inhalt war immens groß. Jetzt war es weg. Gestohlen auf brutale Art.

„Was ist so besonders an diesem Buch?“ Der Leiter der Bibliothek befand sich auf einer Informationsreise in Asien und deshalb musste er mit dessen Stellvertreterin Hala Magnusson sprechen, die sofort zur Stelle war, als die Polizei sie über den Diebstahl informierte. Unter ihrem dicken Mantel trug die 56-jährige, unscheinbare Frau noch ihren Schlafanzug, dicke Wollsocken und Gummischuhe. Man sah an ihrer ungekämmten Frisur, dass sie vor kurzem noch im Bett war. Es schien die Frau nicht zu interessieren, wie sie aussah und dass die Polizisten über sie lachten.

„Es handelt sich bei dem Buch um eine Bibel, die das Evangelium von Barnabas enthält. Da unser Haus für die Prüfung historischer Schriften perfekt ausgerüstet ist, wurde angefragt, ob wir die Echtheit des Buches prüfen könnten. Dafür haben wir vier hochrangige Experten hinzugezogen, um einen Übersetzungsfehler auszuschließen. Seit Donnerstag letzte Woche sind die Experten bei der Arbeit. Und jetzt das. Wissen Sie, was das für unser Haus bedeutet? Man wird uns verspotten, weil ein so wertvolles Buch bei uns nicht sicher ist. Man wird uns nie wieder solch ein Exemplar anvertrauen.“ Waren das tatsächlich Tränen in ihren Augen? Wegen dem Diebstahl des Buches und den zu erwartenden Folgen? Für Malte Hedlund war diese Reaktion nicht nachvollziehbar. Es gab wahrlich Schlimmeres. Es ging also um eine Bibel, genauer gesagt um ein Barnabas Evangelium. Malte war kein sehr gläubiger Mensch.

„Vielleicht bin ich ein Banause oder nicht intelligent genug, um Ihnen folgen zu können. Es könnte auch an der späten Stunde liegen. Ich verstehe immer noch nicht, was dieses Evangelium von Barnabas, von dem ich noch nie gehört habe, anrichten könnte.“

Hala Magnusson verdrehte verständnislos die Augen. Sie war genervt von dem Polizisten, der sie nicht verstand, obwohl sie sich Mühe gegeben hatte, alles so einfach wie möglich zu erklären.

„Diese Bibel ist ein wertvolles Relikt aus der Zeit, als Jesus lebte. Wir bekommen mithilfe der Bibel vielleicht einen detaillierten Einblick über die damalige Zeit und das Leben Jesu. Viellicht hätte der Inhalt auch völlig neue Informationen geliefert, die die heutige Bibel, wie wir sie kennen, ins Wanken bringen könnte. Zumindest waren die Experten davon überzeugt, dass das durchaus der Fall sein könnte. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn wichtige Stellen der Bibel in Frage gestellt werden. Wenn zum Beispiel die Kreuzigung Jesu so nicht stattgefunden hat, wie sie überliefert wurde. Oder die Auferstehung nicht einmal erwähnt wird?“ Hala Magnusson war völlig in ihrem Element. Sie brannte für Geschichte und für die Möglichkeit, durch alte Artefakte und vor allem Schriften Wahrheiten an die Oberfläche zu schwemmen. Malte war das gleichgültig. Was würde das ändern? Eine weitere Diskussion über mögliche neue Informationen aus dem Leben von Jesus, die doch nicht zu beweisen waren.

„Ich möchte mit den Experten sprechen.“ Hala Magnusson notierte die Adresse des teuersten Hotels in Uppsala. „Bringen Sie ihnen die schreckliche Nachricht schonend bei.“

Hedlund stöhnte auf. Dieser Diebstahl schmeckte ihm nicht und er fluchte. Warum musste die Bibel gerade dann gestohlen werden, wenn er Bereitschaft hatte?

„Finden Sie die Bibel, sie ist sehr wertvoll,“ sagte Hala Magnusson und sah ihn dabei flehend an.

„Wie hoch ist ihr Wert?“, fragte Hedlund, der sich noch keine Gedanken über den finanziellen Wert gemacht hatte.

„Mit ihrer Anlieferung wurde uns der Versicherungsschein übergeben. Sie wurde für 14 Millionen Britische Pfund versichert.“

Hedlund pfiff durch die Zähne. Das änderte alles. Der Diebstahl könnte nicht nur einen religiösen, sondern auch einen finanziellen Hintergrund haben.

Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras standen bereit und Hedlund sichtete sie sorgfältig. Warum hatten die Täter keine Masken auf? Drei der Diebe gingen sofort in die Fahndung. Bis auf den einen Mann, der auf keiner der Aufzeichnungen klar erkennbar war.

Nun fuhr Hedlund ins Hotel, um mit den Experten zu sprechen. Alle vier saßen im Frühstücksraum, die Nachricht über den Einbruch in der Hauptbibliothek hatte sich herumgesprochen. Als sie erfuhren, dass die Bibel gestohlen wurde, waren sie entsetzt. Es folgte eine heftige Diskussion, die Hedlund unterbrechen musste. Er war müde und genervt.

„Was haben Sie bis jetzt herausgefunden? Ist die Bibel echt? Was steht darin?“

„Wie stellen Sie sich das vor junger Mann? Dass wir eine 2000 Jahre alte Schrift einfach so übersetzen können? Das dauert Jahre.“

„Was wir mit Sicherheit bis jetzt sagen können ist, dass die Schrift aus der damaligen Zeit stammt. Auch das Leder, auf dem geschrieben wurde, kann in die damalige Zeit datiert werden.“

„Das ist alles? Mehr haben Sie nicht?“

„Sie sind ein Banause! Schämen Sie sich! Sie brauchen für Ihre Arbeit Ihre Zeit, so wie wir unsere brauchen. Wir dürfen uns bei unserer Arbeit keinen einzigen Fehler erlauben und prüfen mehrfach jedes Ergebnis, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen. Fehler, wie sie in der Vergangenheit durch vorschnelle Veröffentlichungen geschehen sind, dürfen wir uns nicht erlauben. Jetzt können wir unsere Arbeit beenden und nach Hause fahren.“

„Gibt es keine Fotos der Bibel?“

„Sie meinen, wir sollten den Text anhand der Fotos übersetzen? Sie verstehen wirklich nichts von unserer Arbeit. Nein, wir können die Arbeit auf diese Art und Weise nicht fortführen. Wir arbeiten nur an Originaldokumenten und nur diese Übersetzungen und Expertisen werden anerkannt. Man würde uns überall auslachen, wenn wir als Grundlage unserer Arbeit Fotos auf den Tisch legen, statt des erwarteten Originals.“

„Zusammenfassend kann ich davon ausgehen, dass die Bibel echt ist?“

„Hören Sie genauer hin! Mein Kollege sagte vorhin, dass das Leder aus der Zeit vor 2000 Jahren stammt und auch die Schrift in die damalige Zeit passt. Diese beiden Aussagen können wir vertreten, mehr aber nicht. Dazu bräuchten wir die Originalbibel und viel mehr Zeit.“

Malte Hedlund verabschiedete sich von den arroganten Herren und hoffte, sich nie wieder mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Er hasste seinen Job und spürte, dass dieser Fall noch lange nicht zu Ende sein würde.

2.

Altötting/Deutschland, 27. November

Die Weihnachtsfans fieberten auch in diesem Jahr wieder dem Altöttinger Christkindlmarkt entgegen, der heute endlich startete. Gut drei Wochen lang konnte man den Duft des Glühweins, der Bratwürste und der Zuckerbäckerei wieder genießen, während man die besondere Stimmung des Christkindlmarktes, der eingebettet in prächtige Barockgebäude am berühmten Kapellplatz jedes Jahr stattfand und weit über die Stadtgrenze hinaus berühmt und beliebt war. Wer könnte sich dem Zauber der Besinnlichkeit und der Ruhe, gepaart mit geschäftigem Treiben entziehen? Hans Hiebler, Kriminalhauptkommissar der Mühldorfer Kriminalpolizei, jedenfalls nicht. Der 54-jährige, sportliche, attraktive Junggeselle mit dem besonderen Faible für Frauen schlenderte mit seiner neuesten Eroberung Rita über den Christkindlmarkt und war glücklich. Die junge Rita war wie eine frische Brise in seinem Leben und er ließ sich von ihr und ihrem Temperament gerne mitreißen. Beruflich war es in den letzten Wochen sehr ruhig gewesen. Es gab fast nur Routinearbeiten, alles war friedlich in seiner beschaulichen oberbayrischen Heimat. Er kaufte Rita ein Lebkuchenherz mit einem kitschigen Spruch, über den sich beide amüsierten.

„Ich bin dir noch einen Glühwein schuldig,“ strahlte ihn Rita an. „Warte hier und halte mir ein Plätzchen frei. Bin gleich zurück.“

Hans stellte sich an einen Tisch und sah der für ihn viel zu jungen Frau hinterher. Rita war erst 32 Jahre alt, er war also über 20 Jahre älter als sie. Was sollte ihn an ihrem Alter stören? Die anderen tuschelten über sie, das hatten sie längst bemerkt. Hans war es egal, was andere über ihn dachten. Er genoss die Zeit mit ihr. In ihrer Gegenwart fühlte er sich jung und frisch; was sollte daran verkehrt sein?

Dann gab es einen fürchterlichen Knall!

Hans ging in Deckung, viele Dinge flogen ihm um die Ohren. Was war passiert? Qualm und Rauch füllte die Luft und die Sicht war gleich Null! Schreie, fürchterliche Schreie folgten und wurden immer mehr. Dann brach Panik aus. Hans rettete sich neben den Eingang einer Verkaufsbude, sonst hätten ihn die Menschen umgerannt. Was zum Teufel war hier los? Hans rief seine Kollegen in Mühldorf an und hatte keine Ahnung, dass sein Chef Rudolf Krohmer am anderen Ende der Leitung war. Der Lärm um ihn herum war zu groß. Hans hatte keine Chance, auch nur ein Wort zu verstehen. Er musste einen Platz finden, von dem aus er telefonieren konnte. Er lief einfach los und suchte Schutz in der Stiftskirche.

„Feuerwehr und mehrere Krankenwagen zum Kapellplatz Altötting. Schnell!“, rief Hans ins Handy und seine Worte hallten in der Kirche wider. Viele Personen hatten ebenfalls Schutz in der Stiftskirche gesucht, aber Hans nahm sie nicht wahr.

Rudolf Krohmer, Chef der Mühldorfer Polizei, verstand seinen Kollegen nun viel besser und gab sofort die Anweisung weiter.

„Was ist passiert?“

„Das weiß ich noch nicht. Ich vermute eine Bombe.“ Hans hatte aufgelegt und ging wieder nach draußen. Rita! Wo war sie?

Krohmer war geschockt. Eine Bombe auf dem Christkindlmarkt Altötting war eine Katastrophe! Nachdem er Feuerwehr und Rettungswagen angefordert hatte, rief er umgehend den Kollegen Schenk an. Der Chef der Altöttinger Polizei war ein unsympathischer, schwieriger Charakter, mit dem er regelmäßig aneinandergeriet. Jetzt ging es nicht um persönliche Aversionen, es gab Wichtigeres.

„Es stimmt also wirklich? Eine Bombe auf dem Christkindlmarkt? Woher haben Sie Ihre Informationen?“

„Einer meiner Leute ist privat vor Ort. Es herrscht Panik. Ich habe ihn kaum verstanden. Feuerwehr und Rettungskräfte sind unterwegs. Ich fahre sofort los, wir müssen umgehend einen Krisenstab einrichten.“

Waldemar Schenk lehnte sich zitternd zurück. Eine Bombe in seinem beschaulichen Altötting! Und dann noch auf dem Christkindlmarkt! Für einen kurzen Moment war er versucht, einfach davonzulaufen. Er war überfordert. Reiß dich gefälligst zusammen! Er öffnete das Fenster, atmete tief durch, und ging wieder an seinen Schreibtisch. Jetzt galt es, die Nerven zu bewahren!

Rauch und Qualm lichteten sich nur langsam und Hans konnte das Ausmaß immer noch nur erahnen. Es war schwer, in der Luft zu atmen und er hielt sich den Schal vors Gesicht. Er näherte sich dem Zentrum des Unheils. Wo war seine Rita? Er betete inständig, dass sie in Sicherheit war. Ganz bestimmt war sie das! Hans ging weiter und stand vor der Stelle, an der vor wenigen Minuten noch eine Bude stand. Nichts war von ihr übriggeblieben. Die beiden Nachbarbuden hatten auch ordentlich was abbekommen, aber sie standen noch. Hans hörte die Sirenen. Hilfe nahte.

„Rita? Rita!“ Hans rief mehrmals ihren Namen. Anfangs laut und ruhig, dann immer hektischer, bis er schließlich hysterisch wurde. Er suchte in jedem Winkel und jedem Eck. Wo war sie nur? War sie tatsächlich so weit weggelaufen? Verständlich, nach so einer heftigen Explosion. Hans wusste nicht mehr, wie lange er nach ihr suchte, er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Leo Schwartz war wenige Minuten nach Krohmers Anruf auf dem Christkindlmarkt eingetroffen. Er wartete auf die Sprengstoffspürhunde, die nach einer halben Stunde eintrafen und ihre Runden drehten. Krohmer und Schenk mussten ausschließen, dass sich eine weitere Bombe auf dem Gelände befand, bevor sie den Rettungskräften erlauben konnten, bis ins Zentrum der Explosion vorzudringen. Bis dahin kümmerten sie sich um die Verletzten, die sich in Sicherheit gebracht hatten. Endlich gaben die Hundeführer Entwarnung, was Leo mit Erleichterung aufnahm. Der 50-jährige, 1,90 m große Schwabe stand fassungslos vor der zerstörten Bude. Zwei Sanitäter waren ihm gefolgt und fanden zum Glück keine Verletzten mehr, Passanten hatten sie in Sicherheit gebracht. Über drei Leichen waren von unerschrockenen Helfern Tücher gelegt worden. Leo wies sich dem überforderten Uniformierten gegenüber aus und besah sich die Gesichter der Leichen. Die waren so sehr entstellt, dass man nur aus den Kleidungsfetzen erkennen konnte, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Sie hatten es mit zwei toten Männern und einer Frau zu tun. Um wen es sich dabei handelte, musste später festgestellt werden. Leos Kollege Werner Grössert war nun ebenfalls vor Ort und übernahm die Aufgabe, die verstörten Zeugen zu befragen. Der 40-jährige Werner hatte auch heute wieder einen sehr teuren Anzug an und passte optisch nicht in dieses chaotische Umfeld.

Friedrich Fuchs, Leiter der Spurensicherung, hatte den Tatort weiträumig abgesperrt und machte sich mit seinen Leuten sofort an die Arbeit. Es war lange her, dass er es mit einer Bombe zu tun hatte. Jetzt galt es, jede noch so kleine Kleinigkeit zu sichern, um damit eventuell die Herkunft einzelner Bauteile nachweisen zu können. Jeden Polizisten, der ihn mit Fragen löcherte und ihn bei seiner Arbeit störte, verwies er schroff hinter die Absperrung und verweigerte jegliches Gespräch. Sahen die nicht, dass seine Arbeit wichtig war?

Leo kannte Fuchs schon lange und ließ ihn in Ruhe. Wo war Hans? Hatte Krohmer nicht gesagt, dass er den Christkindlmarkt besucht und die Detonation mitbekommen hatte? Leo sah sich um. War das dort hinten nicht sein Freund und Kollege? Doch! Das war er. Zielstrebig lief er auf ihn zu und blieb wenige Schritte vor ihm stehen. Was war los mit Hans? Er rief ununterbrochen den Namen Rita und schien sie überall zu suchen.

„Hans? Was ist los mit dir?“

„Ich kann meine Rita nicht finden. Sie wollte uns einen Glühwein holen, weil sie eine Wette verloren hat. Sie ist verschwunden. Ich muss sie doch finden!“ Hans war vollkommen aufgelöst.

„Wo wollte Rita den Glühwein holen? Von welcher Bude?“

„Die gibt es nicht mehr, dort habe ich schon nachgesehen. Rita war nicht dort. Sie hat sich ganz bestimmt erschrocken und ist davongelaufen.“

„Sie wird schon auftauchen, keine Sorge. Sieh mich an. Hans? Bist du in Ordnung?“ Jetzt, wo er in das vertraute Gesicht seines Freundes und Kollegen Leo sah, beruhigte er sich. Er nahm den Schal vom Gesicht und atmete mehrmals durch. „Geht es wieder? Bist du in der Lage, die Arbeit aufzunehmen?“

Hans nickte nur. Natürlich musste er arbeiten. Bis jetzt hatte er nur nach seiner Freundin gesucht und schämte sich jetzt fast dafür. Leo hatte Recht. Rita war irgendwo in Sicherheit und er musste dringend seiner Arbeit nachgehen.

„Ich habe mit dem Einsatzleiter da vorn gesprochen. Wir haben es mit 14 Verletzten zu tun, vier davon schwer.“

„Keine Toten?“

„Drei Leichen. Zwei Männer, eine Frau. Sie liegen noch am Tatort. Willst du sie sehen?“

„Muss nicht sein, es gibt Wichtigeres.“ Leo und er schlossen sich Werner an, der allein mit den Befragungen der Zeugen überfordert war. Viele behaupteten, weder etwas gesehen, noch gehört zu haben. Die meisten von ihnen waren total geschockt. Erfahrungsgemäß fielen dem einen oder anderen doch einige Kleinigkeiten auf, die für die Ermittlungen von enormer Wichtigkeit sein konnten. Nach zwei Stunden war der Christkindlmarkt wie leergefegt. Alle Zeugen, Besucher, Verletzte und Schaulustige waren verschwunden. Nur noch die Polizeibeamten waren bei der Arbeit. Schenk und Krohmer hatten veranlasst, dass die spontan verlassenen Buden bewacht wurden, da sie Plünderungen nicht auch noch brauchen konnten. Vor allem musste die Presse davon abgehalten werden, sich dort herumzutreiben. Nein, es war besser, den ganzen Kapellplatz abzusperren und bewachen zu lassen.

Dann wurden die Leichen abtransportiert. Leo, Hans und Werner standen zusammen und beobachteten die Arbeit. Von einer Bahre rutschte etwas herunter. Es fiel nur zwei Meter entfernt von den Kripobeamten auf den Boden.

„Was ist das?“ Werner griff danach. „Ein Lebkuchenherz. Gehört wohl der Toten.“

Hans hatte das Lebkuchenherz sofort wiedererkannt. Er ging zu der Toten und schlug das Tuch zur Seite: Rita!

3.

„Was haben wir?“, fragte Krohmer Fuchs, der endlich den Bericht fertig hatte. Es war 5.30 Uhr des 28. Novembers und allen war die Anstrengung der vergangenen Nacht anzusehen.

Fuchs holte weit aus und warf mit Fachbegriffen um sich. Er war stolz auf die Arbeit seiner Leute, die ohne eine Pause gearbeitet hatten. Trotzdem waren die anderen genervt von den langen Ausführungen.

„Wir haben es also mit einer selbstgebastelten Rohrbombe zu tun, die hinter der Bude platziert wurde. Konnten Teile davon sichergestellt werden, die auf den Täter schließen lassen?“

„Nein.“

„Braucht man Fachkenntnis für diese Bombe?“

„Nein. Anleitungen hierzu findet man zuhauf im Internet.“

„Das sollte verboten werden!“ Werner Grössert war außer sich. Er ärgerte sich schon lange über die frei zugänglichen Seiten des Internets, die mit gefährlichem Inhalt voll waren.

Krohmer und Schenk gingen nicht darauf ein. Auch ihnen waren diese Internetseiten ein Dorn im Auge. Aber wie sollten sie denen zu Leibe rücken? Die meisten Server befanden sich im Ausland und mit den dortigen Behörden zu arbeiten war ein Witz. Bis Anträge und Zuständigkeiten durch waren, befanden sich die betreffenden Seiten längst nicht mehr online, dafür wurden andere freigeschaltet. So segensreich das Internet auch war, so unheilbringend war es auch.

„Gab es Bekennerschreiben? Irgendwelche Hinweise auf ein bevorstehendes Attentat?“

„Nichts, rein Garnichts,“ sagte Schenk verzweifelt. Er hatte sich zusammen mit Krohmer die ganze Nacht damit beschäftigt. Sie befürchteten, irgendwas übersehen oder nicht ernst genommen zu haben und beide somit eine Mitschuld an dem ganzen Desaster zu haben. Aber das war nicht der Fall.

„Das kann doch nicht sein,“ schrie Hans verzweifelt. „Solche Bombenanschläge werden entweder angekündigt oder es bekennt sich jemand nach dem erfolgreichen Anschlag dazu. Irgendjemand muss doch die Verantwortung übernehmen.“

„Das ist nicht immer so Hans,“ sagte Leo, der großes Mitleid mit Hans hatte. „Denk doch an den Bombenanschlag 1980 während des Oktoberfestes in München. Bis heute weiß man nicht, wer tatsächlich dahintersteckt. Eine Sonderkommission hat die Ermittlungen erst kürzlich neu aufgenommen, weil damals nicht alle Spuren verfolgt wurden.“

„Stimmt, der Kollege Schwartz hat Recht! Wir müssen nochmals mit allen Zeugen sprechen. Mehr haben wir nicht.“

„Was ist nun mit dem Christkindlmarkt Altötting? Die Veranstalter und die Stadt selbst haben mehrfach angefragt, ob trotz allem der Christkindlmarkt weiterlaufen soll.“

„Spinnen die? Es sind drei Menschen getötet worden und viele wurden verletzt. Und die wollen einfach so tun, als wäre nichts passiert?“

„Seien Sie nicht ungerecht, Kollege Hiebler. Sollen wir uns dem Terror geschlagen geben? Sollen Spinner unser Leben so weit beeinflussen, dass wir uns nach denen richten? Ich für meinen Teil gebe grünes Licht, dass der Christkindlmarkt weiterlaufen soll. Warum auch nicht?“ Krohmer war kein Freund davon, sich von einzelnen Idioten einschränken zu lassen. Natürlich war das viel verlangt und kam bei vielen auch bestimmt nicht gut an. Es entbrannte eine heftige Diskussion darüber. Einige waren dafür, andere dagegen. Schlussendlich musste Schenk als zuständiger Polizeichef die Empfehlung an die Stadt Altötting und die Veranstalter übergeben. Wie die zuständigen Stellen letztendlich entschieden, war dann deren Problem.

„Ich stimme dem Kollegen Krohmer zu. Auch ich plädiere dafür, dass der Christkindlmarkt fortgeführt wird und werde das auch so weiterleiten. Allerdings unter der Auflage einer starken Polizeipräsenz und mit Einsatz von Sprengstoffspürhunden.“

Krohmer hob die Besprechung auf, bat aber noch um ein Gespräch unter vier Augen mit dem Kollegen Hans Hiebler.

„Ich habe erfahren, dass Ihre Freundin eines der Todesopfer ist. Mein aufrichtiges Beileid Herr Hiebler. Ich hoffe Sie verstehen, dass ich Sie nicht bei den Ermittlungen dabeihaben möchte. Sie sind befangen und ich fürchte, dass Sie dem was folgt nicht gewachsen sind. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus.“

„Das können Sie vergessen Chef. Klar schmerzt mich der Verlust meiner Freundin, keine Frage. Aber ich möchte denjenigen finden, der das zu verantworten hat. Sie können und dürfen mich nicht außen vorlassen. Das ertrage ich nicht! Und was soll ich zuhause machen? Rumsitzen und Trübsal blasen?“

„Ich verstehe Ihre Lage, aber mir sind die Hände gebunden. Wenn der Staatsanwalt davon erfährt, bekomme ich riesigen Ärger. Sie wissen genau, dass ich mit Eberwein auf Kriegsfuß stehe.“ Es war wirklich kein Geheimnis, dass sich Krohmer und Eberwein regelmäßig überwarfen, und viele amüsierten sich darüber. Es war nicht selten, dass sich die beiden auch privat über den Weg liefen und auch bei diesen Gelegenheiten hielten sie sich mit ihrer Antipathie nicht zurück.

Hans war verzweifelt. Er stand kurz davor, untätig zuhause sitzen zu müssen, während seine Kollegen den Wahnsinnigen suchten, der seine Rita auf dem Gewissen hat. Er musste den Chef umstimmen. Denk nach!

„Wir sind durch den Weggang von Viktoria nur noch zu dritt. Wenn ich jetzt auch noch gehe, sind Leo und Werner völlig aufgeschmissen. Diesen Anschlag zu zweit zu bearbeiten wäre der Wahnsinn!“ Krohmer begann zu überlegen und Hans setzte noch einen drauf. „Machen wir einen Deal: Bis Verstärkung kommt, bin ich dabei.“

„Einverstanden. Sie versprechen mir, dass Sie sich klaglos zurückziehen, wenn Verstärkung hier ist?“

Hans nickte und wusste genau, dass er sich sowieso nicht daran halten würde. Offiziell war er jedenfalls noch dabei, danach würde er weitersehen.

4.

Der Bombenanschlag zur Eröffnung des Christkindlmarktes Altötting schlug riesige Wellen. Die Tageszeitungen waren voller Bilder, Kommentare und Zeugenberichten. Viele Fernseh- und Radioübertragungswagen waren vor Ort, belästigten alle möglichen Passanten und verstopften mit ihren Fahrzeugen die sowieso schon enge Innenstadt. Der Termin der Stadtratssitzung zur weiteren Vorgehensweise im Falle Christkindlmarkt war durchgesickert und das Rathaus war voller Journalisten und Fernsehteams.

Waldemar Schenk war der Einladung des Bürgermeisters zu der außerordentlichen Sitzung gefolgt. Er hatte darum gebeten, dass ihn Krohmer begleitete. Unter den Anwesenden herrschte Hektik und Unbehagen. Es war offensichtlich, dass alle durch den Anschlag völlig überfordert waren. Schenk und Krohmer hörten sich die Vorwürfe und Seitenhiebe an, die allesamt total daneben waren. Wie hätte die Polizei diesen Anschlag im Vorfeld verhindern sollen? Nichts wies darauf hin.

„Wir beruhigen uns jetzt alle. Mit Schuldzuweisungen kommen wir doch nicht weiter. Wie wir bereits mehrfach betont haben, lagen der Polizei keine Hinweise auf einen Anschlag vor.“

„Hätte eine stärkere Polizeipräsenz das nicht verhindern können?“, rief ein Stadtrat aufgebracht ein.

„Warum hätten wir präsenter sein sollen? Nochmals: Wir hatten zu keiner Zeit einen diesbezüglichen Hinweis vorliegen. Können wir uns darauf einigen, dass auch wir von den Ereignissen völlig überrascht wurden? Einen solchen Anschlag gab es in unserem Zuständigkeitsbereich noch nie. Wir sollten uns jetzt alle beruhigen und überlegen, wie wir weiter verfahren. Wie gehen wir mit den Medien um?“ Krohmer war wie sein Kollege Schenk nicht scharf darauf, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Das kostete nur unnötig Nerven und Zeit. Außerdem hatten sie beide schon die Erfahrung gemacht, dass nur das gesendet wird, was interessant genug und oft völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde.

„Das übernehme ich,“ sagte der Stadtrat Krautwein, dem außer einer gutgehenden Gaststätte auch noch viele Immobilien in der Innenstadt gehörten. Krautwein war mediengeil und nutzte jede Gelegenheit, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Die anderen reagierten genervt. Immer dieser Krautwein! Eigentlich wäre das die Aufgabe des Bürgermeisters gewesen, der aber ebenfalls gerne darauf verzichtete.

„Gut, dann kümmern Sie sich darum Herr Krautwein,“ sagte Schenk, dem ganz andere Dinge wichtig waren. „Was haben Sie für die Fortführung des Christkindlmarktes geplant? Ich habe mich mit dem Kollegen Krohmer auseinandergesetzt und von unserer Seite geben wir grünes Licht.“

Jetzt entbrannte abermals eine heftige Diskussion unter den Anwesenden. Die einen waren für einen Abbruch und fanden schon allein die Idee der Fortführung als Affront den Toten und Verletzten gegenüber. Andere wollten die Fortführung mit allen Mitteln erzwingen.

Schenk und Krohmer war die Diskussion zuwider. Die Entscheidung war nicht ihr Problem, sie mussten nur mit ihr leben. Wenn der Christkindlmarkt fortgeführt wurde, bedeutete das eine höhere Polizeipräsenz.