Das dritte Kostüm - Irene Dorfner - E-Book

Das dritte Kostüm E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Die weibliche Leiche, die auf dem Pestfriedhof im oberbayrischen Kastl gefunden wurde, ist mit einem traditionellen Ulmer Faschingskostüm bekleidet. Das gleiche Kostüm wurde nur wenige Wochen vorher bei einem Banküberfall in Reischach benutzt, bei dem kein Geld erbeutet wurde und auch keine Personen zu Schaden kamen. Leo Schwartz' ehemalige Ulmer Kollegen helfen bei den Ermittlungen und finden heraus, dass insgesamt drei Faschingskostüme D'r Sevelinger Bauza gestohlen wurden. Während den Ermittlungen müssen sich die Beamten immer wieder mit Vorurteilen auseinandersetzen, denn die Tote ist eine Russin, die über eine dubiose Partnervermittlung in Waldkraiburg nach Kastl gelangt ist. Nicht nur bei den Kastlern stieß die Tote auf wenig Gegenliebe…

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Seitenzahl: 505

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Irene Dorfner

Das dritte Kostüm

Leo Schwartz ... und die Tote vom Pestfriedhof

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2015 Irene Dorfner

2. Auflage © 2017 Irene Dorfner

Copyright 3. Überarbeitete Auflage 2020

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

All rights reserved

Lektorat FTD-Script Altötting,

Earl und Marlies Heidmann, Erkelenz

Cover-Design: Vanja Zaric, D-84503 Altötting

VORWORT

“DAS VORURTEIL IST DAS KIND DER UNWISSENHEIT“

WILLIAM HAZLITT

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des elften Falles mit Leo Schwartz & Co.!!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

Ich danke dem Vorstand der Narrenzunft Ulm für die angenehme Zusammenarbeit und wünsche für die Zukunft immer ein friedliches „Zong raus!“.

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

Leo Schwartz fuhr mit einer Stinkwut im Bauch zum Tatort. Eigentlich hatte er längst Feierabend und endlich Urlaub, den er bitter nötig hatte. Er war müde, ausgelaugt und seine Nerven waren ganz schön angekratzt. Besonders der letzte Fall hatte ihn ordentlich geschlaucht. Über Weihnachten und Neujahr bekam er nicht frei, da sein Kollege Hans Hiebler noch uralten Urlaub abzufeiern hatte und mit seinem Urlaubsantrag nun mal schneller war. Aber nun war es so weit! Heute war der 9. Januar und zwei wundervolle, hoffentlich erholsame Wochen lagen vor ihm. Er musste diesen Urlaub ohne seine Viktoria verbringen, die keine Erholung und Ablenkung brauchte und wollte, denn sie war lange krank und in Kur gewesen; sie brannte darauf, so viel wie nur möglich zu arbeiten. Anfangs war er sauer, natürlich wollte er die freie Zeit mit seiner Freundin verbringen, aber so langsam gewöhnte er sich an den Gedanken und freute sich darauf, in den zwei Wochen tun zu können, was er wollte. Er fuhr vom Parkplatz der Polizeiinspektion Mühldorf quer durch die Stadt. An der letzten Ampel musste er warten, was ihm heute aber nichts ausmachte. Im Radio lief ein langweiliger Song, den die Radiostationen seit Wochen rauf und runter spielten und den er eigentlich hasste. Trotzdem pfiff er den Refrain mit; seine Laune war bestens.

Und dann kam dieser Anruf von Fuchs! Was der Leiter der Spurensicherung von ihm wollte, hatte er ihm nicht gesagt, aber er verlangte nach einem Beamten der Mordkommission und er war der einzige, der an sein Handy ging. Die Kollegen waren noch in einer Besprechung und nicht erreichbar. Der Chef bestand seit neuestem darauf, dass alle Handys während der Meetings ausgeschaltet wurden. Was hatte er für eine Wahl? Er musste zu diesem verdammten Tatort! Deshalb fuhr er rechts ran und rief zuerst die Sekretärin des Chefs, Frau Gutbrod an. Er bat sie, den anderen mitzuteilen, dass sie nach der Besprechung umgehend auf den Pestfriedhof in Kastl kommen sollten.

„Werde ich ausrichten Herr Schwartz. Um was geht es genau? Pestfriedhof klingt gruselig und spannend.“ Die gute Frau war ganz in ihrem Element: neugierig und geschwätzig.

„Keine Ahnung, Fuchs hat nur gesagt, dass es dort eine Leiche gibt. Mehr weiß ich noch nicht.“

Danach speiste er sein Navi: Pestfriedhof Kastl – aber das verdammte Navi kannte diesen Pestfriedhof nicht. Er beschloss, nach Kastl zu fahren und sich durchzufragen, irgendwie würde er den Tatort schon finden! Leo konnte sein Glück kaum fassen, als er in Teising einen Streifenwagen bemerkte, der mit Radarkontrollen beschäftigt war. Er parkte seinen Wagen vor einer Bank und ging die wenigen Meter zurück.

„Leo Schwartz mein Name, Kripo Mühldorf. Ich brauche ortskundige Hilfe.“ Er zeigte den misstrauischen Kollegen seinen Ausweis, worauf sie nun freundlicher wurden. „Ich suche den Pestfriedhof in Kastl.“

„Kein Problem.“ Einer der Männer machte sich einen Spaß daraus, ihm so umständlich und so dialektdurchtränkt wie möglich die Anfahrt zu beschreiben, was natürlich zur Belustigung der anderen Kollegen beitrug. Leo war gebürtiger Schwabe, was man sehr deutlich hörte. Er hatte sich in den knapp 1 ½ Jahren im bayrischen Mühldorf am Inn gut eingelebt, obwohl er immer noch mit der Sprache seine Probleme hatte. Mit seinen 50 Jahren und seinem außergewöhnlichen Kleidungsstil aus den 80-er Jahren, der aus Jeans, Cowboystiefeln und meist aus T-Shirts mit dem Aufdruck einer Rockband bestand, fiel er überall auf. Und natürlich mit seiner stattlichen Größe von 1,90 m. Leo blickte in die hämischen Gesichter der Uniformierten und musste dem Treiben endlich ein Ende setzen.

„Halten Sie endlich den Mund und reden Sie vernünftig mit mir. Wie ist Ihr Name?“, herrschte Leo den Mann an, der augenblicklich verstummte. Auch die anderen lachten nun nicht mehr und wandten sich ab.

„Mein Name ist Kobold. Und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen,“ sagte der Uniformierte geknickt, der heute besonders gute Laune hatte. „Ich habe heute vor, meiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen und bin vielleicht etwas aufgekratzt.“

Leo schämte sich für seine Ungeduld und den rauen Ton, trotzdem ging ihm dieser Typ mächtig auf die Nerven – Heiratsantrag hin oder her. Er konnte es sich nicht einfach so gefallen lassen, dass der Mann vor allen anderen so mit ihm umging, schließlich war er stellvertretender Leiter der Mordkommission Mühldorf am Inn und somit stand er einige Ränge über diesem Kobold. Außerdem brauchte man sich nicht über ihn und seinen Dialekt lustig machen; er war stolzer Schwabe und stand auch dazu.

„Wo ist jetzt dieser Pestfriedhof? Kastl kenne ich, aber nur den Kastler Forst beim Bahnhof, das Gasthaus am Dorfplatz und das Rathaus. Von einem Pestfriedhof habe ich noch nie gehört.“

„Der ist einfach zu finden. Sie nehmen nicht die zweite Ausfahrt nach Kastl, wo sie direkt beim Wirtshaus und am Rathaus landen, sondern nehmen nach Altötting gleich die erste Ausfahrt links. Bereits in der ersten, ziemlich scharfen Kurve steht links ein Schild mit dem Wegweiser Pestfriedhof, noch vor dem Pferdehof. Das können Sie nicht verfehlen.“

Leo bedankte sich und fuhr weiter. Er machte sich nun Gedanken darüber, was ihn auf dem Pestfriedhof erwartete. Fuchs war wie immer kurz angebunden und unfreundlich. Leo konnte ihn nicht leiden, denn der Mann war zu seiner Unfreundlichkeit auch noch pedantisch und kannte keine Freizeit. Immer wieder gab es Ärger wegen seiner Art, hauptsächlich mit seinen Mitarbeitern, die ganz schön unter Fuchs‘ Drill und Ansprüchen zu leiden hatten, aber bezüglich seiner Arbeit gab es nichts auszusetzen. Oft genug gab Fuchs einen entscheidenden Hinweis zur Lösung eines Falles und Leo hielt den Mann beruflich für ein Genie, was er ihm aber nie sagen würde, denn Fuchs war sowieso schon sehr abgehoben und von sich überzeugt, da musste er dessen Ego nicht auch noch bauchmiezeln.

Leo richtete sich genau nach Kobolds Anweisungen und fand tatsächlich den Wegweiser zum Pestfriedhof. Er fuhr nach links in den Feldweg und fluchte laut, denn der Weg war sehr uneben und durch die Schnee- und Regenfälle der letzten Tage besonders aufgeweicht. Leo erkannte die Fahrzeuge der Spurensicherung und atmete erleichtert auf, er war hier richtig! Als Ortsunkundiger in dieser knappen Zeit – er war mächtig stolz auf sich! Die Fahrzeuge der Spurensicherung parkten vogelwild und versperrten Leo die Weiterfahrt, er musste wohl oder übel seinen Wagen hier parken. Da es schon stockdunkel war, ließ er die Scheinwerfer seines Wagens eingeschaltet, um zumindest für die nächsten Meter sehen zu können, wo er hintrat. Bereits beim ersten Schritt versanken seine Cowboystiefel im Matsch und er fluchte erneut. Leo ging einige Meter und brauchte dann keinen weiteren Wegweiser zum Tatort, denn bereits nach wenigen Schritten bemerkte er die Beleuchtung der Spurensicherung etwa einhundert Meter von ihm entfernt und musste sich den Weg bis dorthin quasi ertasten. Bis er am Pestfriedhof eintraf, waren seine Stiefel nur noch Matschbrocken; Leos Laune war auf dem Nullpunkt.

„Sie kommen allein? Wo sind die anderen?“, begrüßte ihn Fuchs, wobei er mit einer ausladenden Geste deutlich machte, dass Leo nur bis zu dem Absperrband treten durfte. Wer sollte um die Uhrzeit außer der Polizei zum Fundort der Leiche wollen? Leo sah auf seine Uhr: 17.30 und es war stockdunkel. Hatte Fuchs dieses Absperrband etwa nur für die Kollegen angebracht? Seit dem letzten Fall mit den Holzperlen war Fuchs noch schlimmer geworden und hatte mit Hilfe des Chefs durchgesetzt, dass bis zur Tatortfreigabe einzig und allein Fuchs und seine Leute das Sagen hatten, was vor allem Fuchs bis aufs Äußerste ausreizte und sichtlich genoss.

„Die anderen sind noch in der Besprechung, sie kommen danach sofort hierher,“ murmelte Leo, der keine Lust hatte, sich vor diesem Fuchs zu rechtfertigen. „Um was handelt es sich?“

„Wenn Sie sich hierher bemühen würden,“ sagte Fuchs und ging auf der anderen Seite der Absperrung neben Leo her. „Eine Leiche in einem seltsamen Kostüm. Sehen Sie selbst. Es handelt sich um eine Frau.“

Leo war erschrocken und konnte kaum glauben, was er vor sich sah: eine Gestalt in einem traditionellen Ulmer Narrenkostüm, die er schon so oft gesehen hatte. Nicht, dass Leo scharf auf Fasching, Karneval oder wie man das auch immer nennt, wäre. Trotzdem kam man in manchen Gegenden nicht drum herum, davon Notiz zu nehmen. Seit seiner damaligen Versetzung zur Ulmer Polizei wurde er jährlich mit dem riesigen Faschingsumzug durch die Ulmer Innenstadt konfrontiert und er hatte beruflich ab und an mit dem einen oder anderen Narren zu tun. Dieses Kostüm vor seinen Füßen kannte er gut, denn es handelte sich dabei um ein traditionelles Kostüm der Ulmer Narrenzunft, welches genau, wusste er nicht. Aber er konnte seine langjährige beste Freundin Christine Künstle später dazu befragen, denn sie war sogar Mitglied in dieser Ulmer Narrenzunft. War sie nicht sogar in der Vorstandschaft? Fuchs wurde ungeduldig und räusperte sich mehrfach, wodurch er Leo aus seinen Gedanken riss.

„Ich bin mit meinen Leuten erst seit knapp einer Stunde hier, die Altöttinger Polizei hat uns gerufen. Zum Glück waren die Kollegen vorsichtig und haben uns nicht den ganzen Fundort zerstört. Mir kamen mehrere Punkte sehr merkwürdig vor und ich spürte, dass hier etwas nicht stimmt, deshalb habe ich die Mordkommission gerufen. Äußerlich konnte ich keine Gewalteinwirkung feststellen. Die Altöttinger Kollegen gingen sofort von einem Selbstmord aus, woran ich meine Zweifel habe. Kein Abschiedsbrief, keine persönlichen Dinge wie Handy, Geldbeutel oder Papiere. Und keine Fußspuren. Was aber vor allem fehlt ist ein Hinweis darauf, mit was sich die Frau umgebracht haben soll. Wir haben alles abgesucht, aber hier ist absolut nichts, alles sauber. Keine Medikamentenverpackungen, Spritzen, Giftampullen, Messer, spitze Gegenstände – einfach nichts! Verstehen Sie jetzt den Grund meines Anrufes?“

„Allerdings.“

„Die Maske war fest fixiert und ich kann Ihnen versichern, dass ich sie vorsichtig abgenommen habe. Zum besseren Verständnis und um zu verdeutlichen, wie die Tote vorgefunden wurde, habe ich die Maske nur lose aufgelegt. Ich hatte eigentlich mit mehr Publikum gerechnet, aber wenn außer Ihnen niemand kommt, dann muss ich wohl mit Ihnen vorlieb nehmen. Also was ist, können wir? Sind Sie bereit und aufnahmefähig?“

Leo nickte nur. Langsam, bedächtig und sehr umständlich nahm Fuchs die Kostümmaske ab und legte das Gesicht einer jungen, sehr hübschen Frau frei. Leo war erschrocken, damit hatte er nicht gerechnet. Er wäre gerne näher an die Leiche getreten, aber Fuchs hielt ihn zurück. Minutenlang untersuchte Fuchs zusammen mit einem Kollegen abermals die Leiche der Frau und schüttelte immer wieder den Kopf. Schließlich stand er auf und blickte um sich, ging dann vorsichtig auf und ab.

„Ich verstehe das einfach nicht. Zum einen konnten wir keine Todesursache hier vor Ort feststellen, ich kann nicht einmal eine Vermutung äußern. Und zum anderen: wie zum Teufel ist die Frau hier hergekommen?“, murmelte er vor sich hin, ließ sich eine größere Taschenlampe geben und suchte akribisch nach Spuren. „Das gibt es nicht, nicht die kleinste Spur, weder auf dem Boden, noch an den Schuhen der Toten. Die Stelle hier sieht aus, als wäre frisch gerecht worden, aber bei dem Licht kann ich mich auch täuschen.“ Fuchs war enttäuscht und verzweifelt, was nicht oft vorkam, so hatte Leo den Kollegen noch nie erlebt, er hatte für einen Moment fast menschliche Züge an sich.

„Todeszeitpunkt?“

„Ich schätze maximal 4 bis 5 Stunden, ungefähr rund um 13.00 Uhr, aber das ist nur eine vorläufige Einschätzung.“ Fuchs blickte auf Leos Stiefel. „Wie ich sehe, hatten Sie selbst Probleme mit dem morastigen Untergrund. Und Sie haben ganz schön tiefe Spuren hinterlassen. Meine Männer und ich selbst waren vorsichtiger und sind ab dem Feldweg bis hierher zum Pestfriedhof hintereinander nur dort gelaufen, wo definitiv keine Spuren vorhanden waren. Auch wenn wir Ihre Trampelspuren nachverfolgen, müssten zumindest dazwischen weitere Fußspuren vorhanden sein, was aber nicht der Fall ist, sehen Sie selbst.“ Fuchs hatte einen vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme und Leo bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Er hatte tatsächlich nicht aufgepasst und war einfach darauf losgelaufen; aber es hätte auch irgendjemand ein Wort sagen können! Fuchs kam mit seiner riesigen Taschenlampe hinter die Absperrung und zusammen leuchteten sie den Weg und vor allem Leos Spuren von der Absperrung bis zum Feldweg aus, was insgesamt geschätzt 20 Meter waren – nicht ein einziger anderer Fußabdruck war außer seinen eigenen zu sehen.

„Wie war das Wetter vor 4 Stunden? Könnte der Weg da besser gewesen sein?“

„Nein, das können Sie vergessen. Durch dieses Schmuddelwetter ist der Boden seit mindestens zwei Wochen schon so stark aufgeweicht. Viel Regen, wenig Schnee und es fehlt in diesem Winter bislang an Kälte. Wir hatten nur Plusgrade.“

„Vorhin kam im Radio, dass jetzt der Winter kommen soll, mit viel Schnee und Kälte.“

„Und was hat das mit dem Fall zu tun?“ Fuchs sah ihn fragend und überheblich an.

„Nichts, ich mein ja nur.“ Leo hatte sich hinreißen lassen, sich mit Fuchs normal zu unterhalten. Er hätte wissen müssen, dass sich Fuchs nur für seine Arbeit interessierte. Für Details, die nicht seine Arbeit betrafen und für normale Konversation war er nicht zugänglich, für ihn war das reine Zeitverschwendung.

Sie gingen wieder zurück zur Leiche, Fuchs hinter die Absperrung und Leo davor.

„Und was vermuten Sie als Todesursache?“

„Spekulationen sind nicht mein Ding, das müssten Sie doch langsam wissen. Ich werde mich an der Obduktion beteiligen, der Fall interessiert mich brennend. Es kommt nicht oft vor, dass ich es mit einer so seltsam kostümierten Leiche zu tun habe, deren Todesursache augenscheinlich nicht erkennbar ist und die offenbar hierher geflogen ist.“

Leo hätte den Kollegen Fuchs über die Kostümierung aufklären können, aber er unterließ es.

„Hatte das Opfer irgendwelche Papiere bei sich?“

„Hören Sie mir eigentlich zu Herr Schwartz? Ich bitte um Konzentration, schließlich habe ich besseres zu tun, als Ihre Fragen doppelt und dreifach zu beantworten. Wie gesagt, hatte die Tote keine persönlichen Dinge bei sich, das hatte ich bereits erwähnt.“

„Wie alt schätzen Sie die Frau? Ich denke, sie ist noch keine 30 Jahre alt.“

„Das denke ich auch, aber das ist schließlich keine Ratestunde, überlassen wir die Feststellung der Feinheiten Leuten, die sich damit auskennen. Der Mann dort drüben in dem fürchterlichen Jogginganzug hat die Leiche gefunden. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich mich gerne wieder an die Arbeit machen.“

Der 38-jährige Friedrich Fuchs war nicht mehr zu halten und gab lautstark Anweisungen an seine Leute.

„Mein Name ist Leo Schwartz, Kripo Mühldorf,“ stellte sich Leo dem Mann vor, der sehr ungeduldig schien, denn er sah fortwährend auf seine Uhr. Ein Kollege hatte ihm eine Decke gegeben, was aufgrund der Temperatur auch dringend notwendig war. Der drahtige Mann im neongelben Joggingoutfit war schon 73 Jahre alt und topfit, das musste Leo zugeben. Er selbst hatte schon lange keinen Sport mehr gemacht und schämte sich fast im Beisein des Mannes, der Leos Ausweis prüfte und ihn von oben bis unten musterte. Leo war dieser Mann sofort unsympathisch.

„Grindlmaier Franz,“ sagte der Mann knapp. „Wie lange soll ich eigentlich noch warten? Ich habe die Leiche kurz nach 16.00 Uhr gefunden, selbstverständlich sofort die Polizei gerufen und längst meine Aussage gemacht. Dieser Trottel dort hinten hat von meinen Joggingschuhen Abdrücke genommen. Hoffentlich bekomme ich die jemals wieder sauber! Ich könnte schon seit Stunden zuhause sein! Können Sie sich vorstellen, dass ich mich durch diese endlose Warterei erkälten kann?“ Grindlmaier war sauer und ungeduldig, außerdem sprach er so laut, dass jeder ihn hören konnte.

„Es tut mir leid, dass Sie warten müssen. Ich bitte um Ihr Verständnis, schließlich haben wir es mit einer Leiche zu tun und Ihre Angaben als erster am Fundort sind nicht unwichtig. Ihre Eindrücke sind noch frisch. Die Abdrücke Ihrer Schuhe brauchen wir zum Vergleich. Und keine Sorge, die Überreste gehen problemlos wieder ab.“ Leo wollte den aufgebrachten Mann beruhigen, denn er könnte ein wichtiger Zeuge sein und sollte sich so ruhig wie möglich an jede Kleinigkeit erinnern können.

„Behandeln Sie mich nicht wie ein kleines Kind. Sicher habe ich in gewissem Umfang Verständnis. Ich bin meiner Bürgerpflicht nachgekommen und habe sofort die Polizei gerufen, als ich die Leiche entdeckt habe. Und ich bin auch so lange geblieben, bis die Polizei eintraf und meine Aussage aufgenommen hat, die sehr dürftig ist. Ich habe die Leiche gefunden – mehr aber auch nicht. Ich habe nichts und Niemanden gehört oder gesehen, ich bin für Ihre weiteren Ermittlungen völlig unwichtig. Trotzdem lässt man mich nicht gehen. Ich sitze hier rum und friere. Warum? Ich bin ein unbescholtener Bürger und habe mit dieser Leiche nichts zu tun. Sind Sie jetzt fertig? Kann ich endlich gehen?“

„Sofort. Ich beeile mich, versprochen. Sie haben die Leiche also um kurz nach 16.00 Uhr gefunden. Wie ich sehe, haben Sie Sport gemacht?“

„Das sieht man doch! Ich jogge beinahe jeden Tag durch diesen Wald und nehme immer eine andere Strecke. Ich bin schon oft am Pestfriedhof vorbeigelaufen, das letzte Mal dürfte vor 3 Wochen gewesen sein, aber eine Hexe habe ich noch nie gesehen. Und dann auch noch eine tote Hexe. Ich möchte nochmals betonen, dass ich nichts angefasst habe, falls ihr Kollege mich nicht richtig verstanden hat.“

Auch diesem Grindlmaier gegenüber hielt Leo sein Wissen über das Faschingskostüm zurück. Leo sah sich um und konnte die Fußspuren des Joggers auf dem Feldweg sehr gut erkennen, die aus der anderen Richtung vom Wald her kamen. Außer diesen Spuren waren keine anderen erkennbar und die Spurensicherung hatte auch keine anderen gefunden.

„Sie sind also von dort gekommen?“

Grindlmaier nickte genervt, denn das hatte er einem Polizisten schon längst mitgeteilt.

„Und dann haben Sie die Leiche am Pestkreuz entdeckt?“ Leo lief auf und ab, bückte und streckte sich. „Wie haben Sie das gemacht? Von hier aus kann man das Pestkreuz nicht sehen, vor allem nicht bei den Lichtverhältnissen.“ Leo war skeptisch.

„Erstens war es noch nicht ganz so dunkel, als ich die Leiche entdeckt habe. Und zweitens musste ich pinkeln und wollte austreten. Wie gesagt, kenne ich den Pestfriedhof sehr gut und wenn ich mal muss, dann ist das hier meine bevorzugte Stelle. Man kann auf dem Weg ungehindert austreten, ohne durch Gestrüpp gehen zu müssen und ohne dabei gesehen zu werden.“

„Sie sind also hier in den Weg zum Pestfriedhof rein? Wie weit?“

„Na bis zum Pestkreuz eben. Da ist man weit genug vom Feldweg entfernt.“ Grindlmaier war genervt von dieser für ihn völlig uninteressanten Fragerei. „Wie gesagt, mache ich das immer so, schon seit Jahren.“

„Von Pietät haben Sie noch nie was gehört, oder? Man pinkelt doch nicht auf einen Friedhof! Der Wald ist schließlich groß genug.“ Leo schüttelte verständnislos den Kopf über das Verhalten.

„Was bilden Sie sich eigentlich ein, so mit mir zu reden? Ich war in leitender Position in einem großen Wirtschaftsunternehmen. Darüber hinaus war ich bis zu meiner Pensionierung ehrenamtlich in einigen öffentlichen Einrichtungen Altöttings tätig. Und glauben Sie mir, ich habe viel für die Gegend hier getan,“ schrie Grindlmaier und kam Leo dabei bedrohlich nahe. „Außerdem wurden die Kastler Pesttoten im 17. Jahrhundert hier bestattet und dürften sich nicht mehr daran stören, wenn ich hier ab und an meine Notdurft verrichte. Hunde dürfen doch auch überall hinpinkeln und hinscheißen, aber daran stört sich niemand.“

„Mir ist es völlig egal, wer oder was Sie sind oder waren,“ sagte Leo ruhig. „Mich interessiert nur, wer heute vor mir steht. Und für mich sind Sie eine pietätlose Drecksau, denn ein intelligenter Mensch mit Anstand pinkelt nicht auf einem Friedhof, ganz egal, wann Menschen dort bestattet wurden. Es gibt einfach Dinge, die macht man als halbwegs vernünftiger Mensch nicht! Sie können jetzt gehen.“

Grindlmaier schnaubte vor Wut und schimpfte, was das Zeug hielt, während Leo einfach weiterging. Ihn interessierte das Geschwätz dieses Mannes nicht. Er hatte dessen Aussage und die Personalien, mehr brauchte er nicht. Leo ging zum Fundort der Leiche zurück, wo Fuchs gerade dabei war, den Abtransport in die Wege zu leiten.

„Kann ich mir die Leiche jetzt anschauen?“

„Wenn Sie unbedingt wollen. Sie haben noch genau 10 Minuten, dann geht die Leiche in die Gerichtsmedizin nach München. Ich habe die dortigen Kollegen bereits informiert, auch die sind sehr an dieser Leiche interessiert. Also, beeilen Sie sich.“

„Zu gütig,“ sagte Leo. Er kniete vor der Leiche und dabei war es ihm egal, dass seine Hosen nun auch ruiniert waren. Das Gesicht der Frau, dieses Faschingskostüm und dann noch diese unwirkliche Umgebung ließen ihn erschauern. Langsam zog er sich die Handschuhe über und kramte in der zum Kostüm gehörenden Umhängetasche, aber diese war leer, wie Fuchs gesagt hatte. Noch einige Minuten besah sich Leo ungläubig die Leiche, während Fuchs in seinem Wagen saß. In Leos Kopf schwirrten die Gedanken wild durcheinander. Was wollte die junge Frau hier? Wie kam sie hierher? Wie kam sie ums Leben? Und was ist das hier für ein seltsamer Ort?

„Träumst du?“

Erschreckt zuckte Leo zusammen. Seine Vorgesetzte und Lebensgefährtin Viktoria Untermaier hatte sich unbemerkt neben ihn gestellt.

„Meine Güte, ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen!“, rief Leo erleichtert, als er in das vertraute Gesicht seiner Viktoria blickte. „Ich war völlig in Gedanken. Warum schleichst du dich an mich ran?“

„Habe ich nicht, du hast mich nur nicht bemerkt. Was machst du eigentlich hier? Du solltest doch längst zuhause sein und deine Koffer packen.“

„Die Leiche kam dazwischen. Aber jetzt, wo ihr endlich da seid, habe ich ab sofort offiziell Urlaub.“

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche zuerst?“

„Mir egal.“

„Also, die gute zuerst: Werners Frau hat eine kleine Tochter zur Welt gebracht. Die Kleine kam viel zu früh und Werner ist umgehend ins Krankenhaus gefahren, den hielt nichts mehr. Er machte sich riesige Sorgen um seine kleine Tochter und natürlich um seine Frau und möchte bei ihnen sein. Ich habe ihm frei gegeben, das versteht sich von selbst.“

„Natürlich freue ich mich für Werner. Unter den Umständen kann ich mir lebhaft vorstellen, was die schlechte Nachricht ist: Werner bleibt bei Frau und Kind, wodurch mein Urlaub vorerst gestrichen ist?“

„Du hast es erfasst. Es tut mir echt Leid Leo, du hättest dir deinen Urlaub wirklich verdient. Aber ich habe Werner grünes Licht gegeben und damit über deinen Kopf hinweg entschieden. Ich hoffe, das geht für dich in Ordnung und du hast Verständnis. Krohmer bemüht sich um eine Lösung, aber bis dahin bleibst du im Dienst.“

Leo blickte in die schuldbewussten Augen seiner Viktoria. Die 48-jährige, nur 1,65 m große und sehr hübsche Frau setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und Leo konnte nicht anders: Er war einverstanden. Natürlich freute er sich für seinen Kollegen Werner Grössert, dass er nun endlich Vater geworden ist, was viele nicht für möglich gehalten hatten, denn Werners Frau litt unter einer schweren Hautkrankheit und musste nicht nur viele Medikamente einnehmen, sondern auch immer wieder für längere Zeit in Spezialkliniken. Wie durch ein Wunder wurde die Frau trotz der Medikamente schwanger und alle bangten bis zum Schluss mit ihrem Kollegen Werner Grössert. Alle mochten Werners warmherzige Frau, die es in der Familie Grössert nicht leicht hatte. Sie wurde von den übermächtigen Eltern, die eine angesehene Anwaltskanzlei in Mühldorf betrieben, nicht akzeptiert, da sie aus einfachen Verhältnissen stammte. Und jetzt waren die beiden Eltern geworden! Leo freute sich riesig!

„Natürlich verstehe ich dich und es versteht sich von selbst, dass ich einverstanden bin.“ Leo hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, dass er sich sehr gerne um den Fall kümmern würde, denn für ihn passte auf den ersten Blick absolut nichts zusammen.

„Wie ich sehe, haben wir es mit einer kostümierten Leiche zu tun?“, fragte Hans Hiebler, der nun auch eingetroffen war und fasziniert auf die Leiche vor sich blickte. „Was zum Teufel ist das denn für ein Hexenkostüm?“ Den 53-jährigen, 1,80 m großen, sportlichen Kollegen umhüllte heute wieder ein angenehmer Herrenduft, der auch hier im Wald langsam um sich griff.

„Das ist kein Hexenkostüm,“ klärte Leo die beiden Kollegen auf. „Bei diesem Kostüm handelt es sich um ein Faschingskostüm der Ulmer Narrenzunft.“

„Wie bitte? Wie kommt das denn hier her? Bist du dir da ganz sicher?“

„Natürlich bin ich mir sicher, ich habe schließlich lange genug in Ulm gelebt und kam nicht umhin, auch beruflich mit Maskierten in diesen und ähnlichen Kostümen zu tun zu haben. Wenn ich mich nicht irre, ist Christine sogar Mitglied in diesem Verein. Jedes Jahr hat sie mich mit ihrer Faschingsbegeisterung genervt, aber ich habe damit überhaupt nichts am Hut. Ich kann nicht auf Kommando lustig sein. Für mich ist Fasching nur ein offizieller kalendarischer Grund, die Sau rauszulassen und sich volllaufen zu lassen. Eine Zeit, in der man jede Hemmung fallen lassen und sich gehen lassen kann. Das ist nichts für mich.“

„Du bist in der Beziehung ganz schön versnobt und voller Vorurteile. Dich hat der Geist des Faschings nur nicht gepackt. Ich finde diese närrische Zeit hervorragend und bedauere sehr, dass sie in unserer Gegend nicht ganz so ausgelassen gefeiert wird,“ sagte Hans Hiebler. „Ich hatte mal eine Freundin aus Köln. Und wenn du dort nicht von diesem Fieber angesteckt wirst, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Man kann sich nicht nur gehen lassen, sondern man darf sich über alles und jeden lustig machen, mal so richtig aus sich rausgehen. Und das Feiern unter Gleichgesinnten ist einfach nur herrlich!“ Hans schwärmte in den höchsten Tönen und nahm sich fest vor, den nahenden Fasching mal wieder so richtig zu feiern, die passenden Leute würde er dafür schon finden.

„Du verarschst mich jetzt, oder? Du findest Fasching wirklich gut? Vielleicht ab 2 Promille, das könnte ich akzeptieren. Und natürlich nur unter Gleichgesinnten.“

„Gemeinsame Interessen funktionieren nur unter Gleichgesinnten. Du gehst doch auch nicht mit einem Strickclub zum Fußball.“

Die beiden verstummten und sahen zusammen mit Viktoria zu, wie die Leiche vorsichtig in den Zinksarg gelegt wurde und dann abtransportiert wurde.

„Die Frau hatte keine Papiere bei sich. Wir müssen also zuerst herausfinden, mit wem wir es zu tun haben.“

„Wenn wir hier nichts mehr tun können, treffen wir uns im Präsidium. Krohmer hat Wind von dieser Leiche hier bekommen; ich tippe auf Frau Gutbrod. Er hat vorhin angerufen und erwartet uns zu einem ersten Bericht. Er möchte Fotos der Leiche sehen,“ verdrehte Viktoria Untermaier die Augen, die am liebsten nach Hause gefahren wäre, denn der Tag war lange und sie fror in ihren dünnen Gummistiefeln und der leichten Jacke. Vor allem hatten sie heute bereits eine Ewigkeit mit dem Chef zusammengesessen – und jetzt schon wieder! Viktoria und Hans wechselten an ihren Fahrzeugen die Schuhe, Leo hatte wie immer keine anderen Schuhe dabei und wischte mit Taschentüchern notdürftig und völlig aussichtslos seine verdreckten Cowboystiefel ab.

„Einen Moment noch,“ hörten sie die Stimme ihres Kollegen Friedrich Fuchs lautstark rufen. „Ich habe noch etwas für Sie, das wichtig sein könnte.“ Da Fuchs keine Anstalten machte, zu ihnen zu kommen, mussten sie wohl oder übel nochmals die Schuhe wechseln und wieder durch den Matsch zu ihm gehen. Vor allem Leo war stinksauer, denn er hatte keine Taschentücher mehr. Aber was sollten sie machen? Fuchs war stur und würde so lange warten, bis sie bei ihm waren.

„Ich hoffe für Sie, das ist wirklich wichtig,“ schnauzte Leo mit Blick auf seine Stiefel.

„Selbstverständlich. Würde ich Sie wegen einer Nichtigkeit rufen? Dieses Hexenkostüm ist bei einem Banküberfall in Reischach vor gut drei Wochen aufgetaucht, genauer gesagt am 18. Dezember. Wir wurden damals gerufen, weil der Bankräuber eben dieses Hexenkostüm anhatte, das wir dann in einem öffentlichen Abfalleimer an einer Bushaltestelle in Reischach nicht weit von der Bank entfernt gefunden haben. Das Kostüm befindet sich in der Asservatenkammer. Einer meiner Mitarbeiter hat mich darauf aufmerksam gemacht und ich entschuldige mich an dieser Stelle für meine Unaufmerksamkeit. Ich habe eben in meinen Unterlagen nachgesehen und sehen Sie selbst.“ Fuchs hielt ihnen seinen Laptop vor, auf dem das Bild des gleichen Faschingskostüms zu sehen war.

„Das ist ja interessant. Was war damals genau passiert?“

„Ich könnte Ihnen die Akte zukommen lassen, was aber nicht meine Aufgabe ist. Besorgen Sie sich die Unterlagen bitte selbst, denn ich habe noch jede Menge Arbeit vor mir. Ich kann nur so viel sagen, dass bei dem Banküberfall niemand zu Schaden kam. Nach meinen Informationen wurde nicht einmal Geld erbeutet. Aber bitte sehen Sie sich die Unterlagen selbst an. Ich bin weg.“ Wortlos reichte er Leo ein frisches Paket Taschentücher, die er dankbar annahm. Ab und zu zeigte Fuchs tatsächlich menschliche Züge, man glaubt es kaum. Fuchs startete seinen Wagen und sah zu, dass er den Abstand zum Leichenwagen, der bereits abgefahren war, so schnell wie möglich verringern konnte.

„Seltsam. Zwei dieser Ulmer Faschingskostüme in so kurzer Zeit hintereinander? Ich bin gespannt, was die Unterlagen über den Banküberfall hergeben.“

Kurz vor ihren Fahrzeugen ging Franz Grindlmaier mit energischen Schritten auf Leo zu.

„Und Sie,“ drohte er ihm mit dem Finger, „werden noch von mir hören. Ihre Unverschämtheiten werde ich nicht auf mir sitzen lassen. Sie werden mich noch kennenlernen. Sie kommen von Sachsen mit Ihren Stasimethoden hierher zur bayrischen Polizei und meinen, Sie können unbescholtene, angesehene Bürger beleidigen. Das wird ein Nachspiel haben. Ich werde mich über Sie beschweren. Ich habe Kontakte zu den höchsten Kreisen, unterschätzen Sie mich nicht. Sie werden noch sehen, was Sie mit Ihren Unverschämtheiten angerichtet haben, das wird Ihnen noch leidtun.“

Viktoria war erschrocken über die Schroffheit des Mannes, Hans hingegen war amüsiert, denn er kannte seinen Kollegen Leo Schwartz, der sich das nicht einfach so gefallen lassen würde.

„Erstens,“ sagte Leo ganz ruhig und trat einen Schritt näher an Grindlmaier ran, „bin ich kein Sachse, sondern Schwabe. Aber es kann schließlich nicht jeder so umfassend gebildet sein, das sehe ich Ihnen nach. Und zweitens können Sie sich gerne jederzeit über mich beschweren, das steht Ihnen frei. Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung und wiederhole mich gerne: wer auf einem Friedhof seine Notdurft verrichtet, obwohl er andere Möglichkeiten hätte, ist und bleibt für mich eine pietätlose Drecksau. Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen, bevor ich mich vergesse.“

„Sie haben es selbst gehört,“ schrie Grindlmaier beinahe hysterisch, „der Mann hat mich eben nicht nur wiederholt beleidigt, sondern auch noch bedroht. Sie beide sind meine Zeugen.“

„Ich habe nichts gehört,“ murmelte Viktoria, ging zu ihrem Wagen und wechselte die Schuhe. Was immer auch zwischen den beiden vorgefallen war, würde sie später erfahren. Jetzt sehnte sie sich danach, den Wagen zu starten und die Heizung auf höchster Stufe laufen zu lassen. Sie konnte es kaum erwarten, bis die Wärme sich in ihrem Körper breitmachte. Schade, dass sie keine Sitzheizung hatte, denn sie hatte neben kalten Händen und Füßen auch einen eiskalten Hintern.

„Sie haben wirklich dort drüben am Pestfriedhof Ihre Notdurft verrichtet? Habe ich das richtig verstanden?“ Hans glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Leo nickte. „Dann schließe ich mich den Ausführungen meines Kollegen an. Denn das geht überhaupt nicht, das macht man doch nicht. Pfui Teufel!“

Grindlmaier suchte nach Worten, fand aber keine. Hans und Leo ließen den Mann einfach stehen.

„Ich kann solche aufgeblasenen Typen einfach nicht leiden. Er meint, er wäre etwas Besseres und führt sich auf wie ein Schwein.“

„Ganz deiner Meinung. Trotzdem solltest du in Zukunft etwas vorsichtiger sein, irgendwann bekommst du wegen deiner schwäbischen großen Klappe riesigen Ärger.“

„Und wenn schon. Was wahr ist, darf auch gesagt werden.“

„Was haben wir,“ empfing Rudolf Krohmer, Leiter der Polizei Mühldorf am Inn seine Leute der Mordkommission. Mit einem missmutigen Blick registrierte er Leos verdreckte Schuhe. Natürlich! Wie immer war der Kollege Schwartz nicht vorbereitet und schleppte jetzt den halben Kastler Wald mit in das Besprechungszimmer der Polizeiinspektion Mühldorf.

Ausführlich schilderte Leo in den schillerndsten Farben die Leiche und den Fundort, wobei er kein Detail ausließ, auch nicht die Auseinandersetzung mit dem Zeugen Grindlmaier. Angewidert und fasziniert zugleich besah sich Krohmer derweil die Fotos der Leiche.

„Die Akte über den Banküberfall am 18. Dezember in Reischach haben wir durchgesehen, sie ist sehr dünn. Zum Glück wurde dabei niemand verletzt. Und Fuchs lag vollkommen richtig, der Bankräuber, der in demselben Faschingskostüm die Bank überfiel, hat kein Geld erbeutet. Den Zeugenaussagen zufolge hatte er den beiden Angestellten und einem Bankkunden nur einen gehörigen Schrecken eingejagt. Das Faschingskostüm fand man nur wenig später im Mülleimer der nächsten Bushaltestelle.“

Krohmer legte die Fotos vor sich auf den Tisch und konnte es nicht glauben.

„Zwei identische Faschingskostüme, das ist ja echt der Hammer. Ist das Kostüm echt oder nur eine billige Kopie?“

„Laut Aussagen der Spurensicherung handelt es sich bei dem Kostüm um ein Original. Leider konnten darin keine Spuren des Trägers sichergestellt werden.“

„Gut, gehen Sie der Sache bitte mit Hochdruck auf den Grund. Dieser Zeuge Grindlmaier wird sich ganz sicher bei mir über Sie beschweren, ich kenne solche Typen,“ winkte Krohmer ab. „Um den kümmere ich mich. Aber ich finde es seltsam, dass wir es gerade mit einem Ulmer Faschingskostüm zu tun haben, finden Sie das nicht auch merkwürdig?“

„Sie meinen, weil ich aus Ulm komme?“

„Natürlich, was denn sonst. Das kann doch kein Zufall sein.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, was das mit mir zu tun haben soll, das ist reiner Zufall. Wenn es Sie beruhigt, spreche ich später mit meinen Ulmer Kollegen, aber das steht jetzt nicht im Vordergrund. Für mich ist viel wichtiger herauszufinden, um wen es sich bei der Leiche handelt.“

„Dann haben Sie jede Menge Arbeit, legen Sie los. Und vielen Dank Kollege Schwartz, dass Sie für Herrn Grössert einspringen. Ich weiß das zu schätzen. Ich befürchte, dass Herr Grössert länger ausfällt und ich werde mich daher so schnell wie möglich um eine Lösung bemühen. Trotzdem möchte ich Sie bitten, zu allererst Ihre Schuhe zu säubern, Sie machen ja alles dreckig, das geht so nicht. Besorgen Sie sich endlich Gummistiefel für Ihren Wagen!“

Leo hatte keine Lust, seine Stiefel zu säubern, dafür war jetzt auch keine Zeit. Er zog sie einfach aus und lief auf Socken, was die anderen mit unverständlichem Kopfschütteln registrierten. Typisch für Leo Schwartz! Immer machte er, was er wollte und ging unkonventionelle Wege!

Es war zwar schon spät, trotzdem arbeiteten die drei auf Hochtouren. Sie gingen die Vermisstenmeldungen durch, sprachen mit Kollegen, die den Bankraub in Reischach bearbeitet hatten, und gingen Akten durch, bei denen Kostüme an sich aufgetreten waren. Hans war überrascht, wie oft irgendwelche Kostüme verwendet wurden, als er die Akten vor sich auf dem Tisch verteilt sah.

Es war weit nach 22.00 Uhr und Leo wählte die Handy-Nummer des Kollegen Fuchs, der über die Störung sehr ungehalten war.

„Gibt es schon irgendetwas, das für uns hilfreich sein kann? Für jede Kleinigkeit wäre ich dankbar, wir haben noch nicht herausgefunden, um wen es sich bei der Leiche handelt.“

„Nach so kurzer Zeit wollen Sie Informationen von mir? Wir sind noch mitten in der Obduktion! Sie müssen schon Geduld haben, schließlich will ja niemand, dass geschlampt wird.“

„Ich bitte Sie Herr Fuchs, irgendetwas können Sie bestimmt schon sagen. Das Alter der Frau, irgendwelche Merkmale, wodurch wir sie identifizieren können.“

Fuchs machte eine kurze Pause.

„Also gut, weil Sie es sind. Die Frau ist ca. 30 Jahre alt, 1,70 m groß und wie Sie gesehen haben, sehr schlank. Die blond gefärbten Haare sind ursprünglich mittelbraun.“ Diese Angaben wusste Leo bereits, der dunkle Haaransatz des Opfers war ihm aufgefallen. „Die Hände zeigen deutlich, dass sie über einen längeren Zeitraum schwere Arbeiten verrichtet hat. Dazu hat die Frau einige frische und auch ältere Hämatome. Mir waren diese Flecken schon aufgefallen, konnte sie aber nicht zuordnen. Aber hier bei sehr gutem Licht ist es klar: die Frau war entweder ungeschickt und hat sich überall gestoßen, oder wurde geschlagen. Weder das eine, noch das andere kann jetzt noch nachgewiesen werden. Außerdem hat der Pathologe anhand der Zähne festgestellt, dass die Frau keine Deutsche ist; er vermutet die Ukraine oder Russland.“ Diese Information hatte gesessen.

„Sind Sie sicher?“

„Die Methoden der Zahnbehandlung waren noch bis vor einigen Jahren länderbezogen sehr unterschiedlich, bis sich auch im Osten die westlichen Behandlungsmethoden durchgesetzt und angepasst haben. Einige ältere Zahnärzte behandeln auch heute noch nach den alten Methoden, vor allem im ländlichen Bereich.“

„Also suchen wir nach einer ca. 30-jährigen Frau, die offenbar sehr ungeschickt war oder geschlagen wurde. Vermutlich stammt sie aus Russland oder der Ukraine?“

„Spreche ich so undeutlich? Das ist genau das, was ich eben gesagt habe.“

„Konnte schon geklärt werden, wie die Frau ums Leben kam?“

„Hören Sie Herr Schwartz, die Pathologen hier sind keine Zauberer. In der kurzen Zeit ist das wirklich noch nicht möglich gewesen, dass dürfte auch Ihnen einleuchten. Sie müssen Geduld haben, die Leute hier tun ihr Möglichstes. Und wenn ich anmerken darf, sie arbeiten sehr ordentlich und gewissenhaft, ich bin sehr beeindruckt.“

„Vielen Dank Herr Fuchs, Sie haben uns sehr geholfen. Sobald die Untersuchung der Leiche abgeschlossen ist, melden Sie sich umgehend bei mir oder meinen Kollegen. Wir sind schon sehr gespannt darauf, wie die Frau ums Leben kam.“

Fuchs murmelte noch irgendetwas Unverständliches, das sich sehr unfreundlich anhörte. Leo hatte aufgelegt. Dieser Fuchs war zwar eine unangenehme Erscheinung, aber er machte seine Arbeit sehr, sehr gut. Niemals würde Fuchs Informationen weitergeben, wenn er sich derer nicht sicher wäre. Außerdem hatte Fuchs entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten freiwillig vorab Informationen genannt, das musste er ihm hoch anrechnen. Leo informierte sofort seine Kollegen.

„Dann haben wir jetzt zumindest eine vorläufige Personenbeschreibung, mit der wir durchaus etwas anfangen können. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir damit bei Meldebehörden nicht fündig werden. Heute können wir nichts mehr unternehmen, machen wir Schluss für heute,“ beschloss Viktoria, die die Nase gestrichen voll hatte. Sie hatte Hunger und war vollkommen übermüdet. Außerdem hatten Behörden und andere Stellen sowieso längst geschlossen. Leo und Hans ging es ähnlich, auch sie waren vollkommen fertig, obwohl beide aufgekratzt waren. Leo ging strumpfsockig mit seinen Stiefeln in der Hand zum Ausgang. Er schlug die Stiefel kräftig gegeneinander, wodurch die gröbsten Dreckbrocken weit davonflogen; der Rest würde bis zuhause von allein abfallen.

Viktoria duschte lange und ausgiebig, während Leo nochmals die Pizza in den Ofen schob, die sie unterwegs zum Glück gerade noch vor Schließung der Pizzeria bekommen hatten. Sie aßen beide mit großem Appetit und sahen noch etwas fern, um sich von dem heutigen Tag abzulenken. Beide waren von dem Tod der jungen Frau geschockt. An keinem Polizisten gingen solche Dinge spurlos vorbei, daran gewöhnt man sich nie. Bis zum Feierabend wurde keine weitere Vermisstenanzeige gestellt, die auf die Frau zutraf. Vermisste die Frau denn niemand?

Hans Hiebler ging es ähnlich. Er holte Brot, Käse und Schinken, hatte aber keinen Appetit. Immer wieder tauchte die Tote vor seinen Augen auf. Er öffnete eine Flasche Bier und rief seine Freundin an, die ihm geduldig zuhörte und an den richtigen Stellen die richtigen Fragen stellte. Nach einer halben Stunde ging es ihm besser und er konnte zu Bett gehen. Vor dem Gespräch mit seiner Freundin hätte er bestimmt keinen Schlaf gefunden.

Am nächsten Tag machten sich die drei umgehend an die Arbeit. Sie sprachen mit Meldebehörden in Altötting und Mühldorf, was sich in beiden Fällen als sehr kompliziert herausstellte, denn heute war Samstag und sie erreichten jeweils nur die Notbesetzung. Sie erfuhren, dass Meldebehörden grundsätzlich telefonisch keine Auskunft gaben. Sie hatten großes Glück, dass sich am heutigen Samstag jemand bereiterklärte, im Büro zu erscheinen und Auskunft zu geben – Hans hatte besonders bei der Dame in Mühldorf seinen ganzen Charme einsetzen müssen.

Daneben hatten sie aus dem Internet die Adresse eines russischen Vereines in Altötting und einem ukrainischen in Mühldorf ermittelt, aber auch hier wollte niemand am Telefon Auskunft geben. Es ging nicht anders, sie mussten persönlich vorstellig werden.

Viktoria Untermaier übernahm die Meldebehörden in Altötting und Mühldorf alleine, da sie jetzt nur zu dritt waren und sie sowieso nur auf einen Mitarbeiter traf. Den anderen passte das zwar nicht, aber es ging nun mal nicht anders. Krohmer hatte in der kurzen Zeit noch keinen Ersatz für Grössert gefunden, was auch so schnell nicht möglich war, denn solche Anträge dauerten oft mehrere Wochen. Er ließ seine Kontakte spielen, aber trotzdem war Hilfe noch in weiter Ferne. Bei den Meldebehörden musste Viktoria ihre ganze Überzeugungskraft einsetzen, um Auskünfte zu bekommen, denn die Mitarbeiter in beiden Behörden ließen sich ganz schön bitten. Erst, als sie ausführlich berichtete, um was es ging und diese Ausführungen mit Fotos der Toten untermauerte, wurde ihr sofort und unkompliziert geholfen. Vollkommen kaputt und genervt, aber mit 4 Namen und den dazugehörigen Adressen fuhr sie zurück ins Präsidium.

Leo und Hans übernahmen derweil die russischen und ukrainischen Vereine. Zuerst fuhren sie zum Mühldorfer Stadtplatz, wo der ukrainische Verein vor drei Jahren ein altes, leer stehendes Gebäude gemietet hatte. Sie hatten sich telefonisch beim Leiter Bohdan Makarenko angemeldet, der vor der Tür stand und auf sie wartete. Makarenko begrüßte die beiden überschwänglich und bat sie herein, er hatte sogar frischen Tee zubereitet und reichte dazu Gebäck, das hervorragend schmeckte. Hans konnte nicht anders und langte kräftig zu; er hatte nicht nur für Frauen eine Schwäche, sondern auch für Süßigkeiten.

„Wir haben eine weibliche Leiche, die nach vorläufigen pathologischen Untersuchungen aus der Ukraine oder aus Russland stammt. Sehen Sie sich die Fotos in Ruhe an. Kommt Ihnen die Frau bekannt vor?“

„Es tut mir leid, die bedauernswerte Frau gehört nicht zu unserem Verein und ist mir persönlich auch nicht bekannt. Nicht alle Ukrainer sind bei uns Mitglied, was wir natürlich sehr bedauern. Gerade hier in der Fremde ist die Eingewöhnungsphase viel einfacher, wenn man Hilfe von Menschen aus der Heimat bekommt. Aber bei dieser Frau muss ich leider passen. Wir haben morgen Abend das nächste Treffen, wir treffen uns jeden Sonntagabend. Wenn Sie es erlauben, würde ich die Fotos gerne herumreichen, vielleicht ist die Frau einem unserer Freunde bekannt.“

„Sehr gerne,“ sagte Leo, der einen zweiten Satz Fotos dabei hatte.

„Warum sprechen Sie so gut unsere Sprache? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nie darauf kommen, dass Sie aus der Ukraine kommen.“ Leo war beeindruckt, denn er verstand diesen Mann sehr viel besser als viele Bayern.

„Ich bin seit 7 Jahren in Deutschland. Als ich herkam, habe ich kein Wort gesprochen oder gar verstanden. Es war für mich selbstverständlich, dass ich zuerst die Sprache des Landes lernen muss, um hier zu leben und zu arbeiten. Vor allem aber ist die Sprache ein wichtiges Fundament, um in der Gesellschaft integriert und darin anerkannt zu werden.“

Die beiden Beamten waren sehr beeindruckt, nicht viele dachten und handelten wie Makarenko.

„Was genau macht Ihr Verein? Wie muss ich mir Ihre Arbeit vorstellen?“

„In erster Linie sind wir eine Anlaufstelle für Menschen aus unserer Heimat, die hier vollkommen fremd sind. Sie können sich nicht vorstellen, welchem Kulturschock man ausgesetzt ist, wenn man plötzlich hier in Bayern landet.“ Hans und Leo konnten sich das sehr gut vorstellen, selbst für Leo war die Umstellung von Ulm nach Mühldorf ganz schön krass. „Wie gesagt, helfen wir Ukrainern bei den Formalitäten. Wir bieten Sprachkurse an, organisieren Kindergartenplätze, helfen bei der Schulwahl, vor allem bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Darüber hinaus wollen wir der Bevölkerung unsere Kultur und unsere Mentalität näher bringen, das ist uns sehr wichtig, denn nichts wirkt angsteinflößender als das Fremde. Deshalb veranstalten wir regelmäßig Konzerte, Informationsabende, Straßenfeste und so weiter. Als der Krieg noch nicht in der Ukraine angekommen ist, haben wir gerne Reisen für unsere Freunde und Interessierte organisiert, aber das haben wir aufgrund der politisch schwierigen Lage vorerst zurückgestellt. Es macht uns traurig, dass sich unsere Heimat im Kriegszustand befindet.“

2.

Leo und Hans fuhren nach Altötting. Sie waren sich darüber einig, dass Makarenko ein sehr intelligenter und angenehmer Mensch ist. Beide nahmen sich fest vor, bei einer der nächsten Veranstaltungen teilzunehmen, die sie aus den Unterlagen lasen, die ihnen Makarenko bei der Verabschiedung in die Hand gedrückt hatte. Der hätte es nämlich sehr gerne gesehen, wenn sich die örtliche Polizei persönlich für ihren Verein interessierte. Dass Makarenko bereits eine Veranstaltung für seine Mitglieder gemeinsam mit den Mitarbeitern der Polizei im Hinterkopf hatte, ahnten die beiden nicht.

Ihre nächste Anlaufstelle befand sich in Altötting in der Neuöttinger Straße, die nicht weit vom Kapellplatz entfernt war. Leo parkte den Wagen wie früher auch in der Nähe des Kapellplatzes, was Hans nicht verstand.

„Warum fährst du nicht bis zur Neuöttinger Straße? Wir finden dort bestimmt in der Nähe des Hauses einen geeigneten Parkplatz, auch wenn heute Samstag und um die Uhrzeit bestimmt die Hölle los ist. Wir müssten nicht ewig weit laufen.“

„Beschwer‘ dich nicht mein Freund, etwas Bewegung wird dir guttun,“ lachte Leo, der in Wahrheit nur aus Gewohnheit hierher gefahren war. Beide kannten sich auch aufgrund des letzten Falles hier gut aus und besonders Leo hatte ein sehr mulmiges Gefühl im Magen, als er die Magdalenenkirche passierte. Er hielt kurz vor dem Kapuzinerkloster, an das er keine guten Erinnerungen hatte. Das Gesicht von Bruder Benedikt tauchte für einen Moment vor seinem Gesicht auf und er wurde traurig, denn dieser Bruder starb nach einem entbehrungs- und arbeitsreichen Leben, kurz nachdem Leo mit ihm gesprochen hatte.

„Trödel nicht rum,“ trieb Hans ihn an, der keinen weiteren Gedanken an die letzten Fälle verschwendete. Für ihn waren diese Fälle gelöst und längst vergessen, er hatte mit den Jahren gelernt, nur noch nach vorn zu schauen. Hans war grundsätzlich ganz anders als Leo. Er machte sich über andere Menschen kaum Gedanken, hing Vergangenem nicht hinterher – für ihn gab es nur das Jetzt und die Zukunft. Und die bestand darin, dass er sein Leben so lebte, wie er es für richtig hielt, ohne dabei andere zu verletzen. Nach dem gewaltsamen Tod seiner Doris vor über einem Jahr fiel er in ein tiefes Loch, aus dem er aber auch durch seine Einstellung unbeschadet wieder herauskam. Zum Glück, denn sonst wäre er für Lucrezia nicht offen gewesen, seine freche, vorlaute italienische Freundin, die er vor einigen Monaten während eines kniffligen Falles in Florenz kennen- und lieben gelernt hatte. Er hielt seine Beziehung vor seinen Freunden und Kollegen noch geheim, da er sich die Sprüche und Bemerkungen lebhaft vorstellen konnte, denen er dadurch ausgesetzt wäre. Lucrezia war seiner Meinung und ihre italienischen Kollegen vermuteten zwar, dass sie einen Freund hatte, aber sie genoss es, sie im Trüben fischen zu lassen. Beide hatten mehrere Beziehungen hinter sich und waren keine Teenager mehr, aber durch diese Heimlichkeiten hatten sie fast das Gefühl, nochmal so jung und unbefangen sein zu dürfen.

Nach nur zehn Minuten Marsch standen sie vor dem alten Haus in der Neuöttinger Straße, an dessen Tür nur eine schlichte, handgeschriebene Tafel mit dem Hinweis auf den russischen Verein angebracht war. Sie klingelten und klopften. Früher war das ein Einzelhandelsgeschäft gewesen, dessen Besitzer entweder aufgaben, oder keinen Nachfolger hatten, der das Geschäft weiterführen wollte. Leo war aufgefallen, dass es vielen Geschäften hier so zu gehen schien, denn alte Läden, die nach oder sogar noch vor dem Krieg voller Euphorie und Hoffnung geöffnet und geführt wurden, waren in den letzten Jahren geschlossen worden und standen leer. Aber so ist nun mal der Lauf der Zeit. Wenn man sich gegen die Konkurrenz nicht durchsetzen kann oder keinen geschäftstüchtigen Nachfolger hat, muss man gezwungenermaßen den Laden dicht machen.

Ein älterer Mann mit grauem Haar und Schnurrbart öffnete endlich vorsichtig die Tür. Leo und Hans stellten sich vor und bemerkten sofort das Misstrauen, das ihnen entgegenschlug.

„Herr Zwetkow? Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf, das ist mein Kollege Hiebler. Wir haben unseren Besuch telefonisch angekündigt.“

„Richtig, Sie haben mit mir gesprochen. Mein Name ist Sergej Zwetkow. Ich heiße Sie herzlich willkommen, bitte kommen Sie herein.“

Sie folgten dem Mann durch das leere Ladengeschäft in das Treppenhaus, das nur mit einer nackten Glückbirne beleuchtet war. Leo roch den Duft vergangener Zeit und konnte sich lebhaft vorstellen, welches geschäftige Treiben hier früher stattgefunden haben durfte. Die Stufen der Treppe waren stark abgenutzt und er stellte sich vor, wie viele Generationen hier Tag für Tag auf- und abgegangen sein mussten. Zwetkow bot ihnen in einem der oberen Räume in einem mit alten Möbeln bunt zusammengewürfelten Zimmer Platz an. Das hier war so gar nicht mit dem ukrainischen Verein in Mühldorf zu vergleichen. Zwetkow bemerkte wohl, dass Leo sich nicht gerade begeistert umblickte.

„Entschuldigen Sie bitte den Zustand des Hauses. Wir sind erst vor wenigen Monaten Besitzer dieser Immobilie geworden und sind vorerst nur notdürftig eingezogen. Wir hatten anfangs noch nicht die Mittel, alles hübsch zu renovieren. Aber die Gelder sind aufgrund großzügiger Spenden jetzt verfügbar und die Handwerker sind bestellt; in vier Wochen geht es los. Danach werden Sie das alte Haus nicht wiedererkennen. Die frühere Besitzerin war eine Damenschneiderin, die leider kinderlos verstarb. Die Erben haben sich viele Jahre um die Immobilie gestritten, bis sie schließlich versteigert wurde. Natürlich ist der Zustand nach der Zeit nicht sehr gut, aber wir haben wenig dafür bezahlt und freuen uns darauf, dass wir in absehbarer Zeit einen schönen Ort der Gemeinsamkeit haben werden, den wir dringend brauchen. Altötting hat sehr viele russische Zuwanderer, die unsere Hilfe und die Gemeinschaft Gleichgesinnter brauchen, mit denen sie ihre Freizeit verbringen können.“

„Verstehe ich nicht,“ sagte Leo, der keinen Sinn darin sah, dass sich Menschen aus dem gleichen Land auf der ganzen Welt immer zusammenrotten müssen, auch wenn sie sich nicht mochten. Egal, in welchem Land er bisher war, überall wurde er von Deutschen angesprochen und man erwartete, dass man sich zusammentat. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und die Eingewöhnung leichter macht, dann macht das Sinn, aber nur für die Freizeitgestaltung?

„Wir Russen sind hier Fremde und werden in Bayern nicht gerne gesehen. Es wird bestimmt weitere Generationen und viel Arbeit der Politiker benötigen, bis wir dazugehören. Auch wenn wir hier arbeiten und Steuern bezahlen, gehören wir doch nicht dazu. Es wird zwar immer Toleranz und Integration gepredigt, vor allem, wenn irgendwo schreckliche Übergriffe auf Migranten stattfinden. Aber im wahren Leben, im täglichen Miteinander sieht das immer noch ganz anders aus. Schon allein der Name stempelt uns als Russen ab, und wenn man dann noch einen Akzent in der Sprache hat, hat man verloren. Die Deutschen sind eben noch nicht so weit.“

Leo ärgerte sich über diese Einschätzung, auch wenn Zwetkow wahrscheinlich aus persönlicher Erfahrung sprach. Trotzdem konnte er das nicht einfach so stehen lassen.

„Es tut mir leid, wenn Sie den Eindruck von uns Deutschen haben. Aber das ist kein deutsches Problem, sondern ein weltweites. Wenn ich als Deutscher im Ausland bin, werde ich auch dort sofort abgestempelt. Alle anderen Länder haben auch gegen uns Deutsche Vorurteile, denen wir ausgesetzt sind. Es mag sein, dass die Migrations-Politik und die Toleranz noch nicht überall angekommen sind, aber ich bin stolz auf unseren Staat und unsere Politik, die für meine Begriffe in die richtige Richtung geht. Sicher gibt es Schwachpunkte, Politiker sind auch nur Menschen. Aber trotzdem möchte ich Ihre Einschätzung nicht pauschalieren. Meine Kollegen und ich, sowie auch meine Freunde sind Migranten gegenüber nicht negativ eingestellt, für uns zählt nur der Mensch selber, nicht die Herkunft. Ein Deutscher sagt gerne: der Russe! Oder die Russen! Das ist oft nicht abwertend gemeint. Ich bin nicht aus Bayern, sondern aus Baden-Württemberg und auch ich höre immer wieder: der Schwabe – und das verstehe ich nicht als Beleidigung, das sagt man nun mal so.“ Das stimmte so nicht ganz, denn Leo stieß mit seiner Herkunft auch immer wieder auf Abneigung, aber das interessierte ihn nicht. Die, die ihn wegen seines Dialekts sofort ablehnten, waren für ihn dumm und ungebildet, und mit denen wollte er sowieso nichts zu tun haben. Aber das waren wenige Ausnahmen, die er nicht ernst nahm und die er nicht an sich ranließ. „Und um das Ganze jetzt abzuschließen möchte ich noch anmerken, dass ich es nicht gut finde, dass es Ziel dieses Vereins ist, unter sich zu bleiben und gemeinsam die Freizeit zu verbringen. Gehen Sie raus! Laden Sie Bürger, Nachbarn, Arbeitskollegen ein! Dann werden Sie feststellen, dass es sehr viele gibt, die meine Meinung teilen und den Migranten, im Speziellen den Russen, offen gegenüberstehen. Nur was einem fremd ist, fürchtet man.“

„Und dumme Menschen können Sie nicht ändern, die können sie nur ignorieren,“ sagte Hans, der Leo in allem absolut Recht gab. Er hatte Freunde mit Migrationshintergrund, von denen er wusste, dass sie es auch schwer haben, ganz abgesehen von seiner italienischen Freundin. Aber die Zahl derer, die intelligent und offen mit Ausländern und Migranten umgingen, stieg zum Glück von Tag zu Tag. Erst gestern hatte er im Fernsehen gesehen, wie viele Menschen für Menschenrechte und Zuwanderung auf die Straße gingen und dem Fremdenhass und den damit verbundenen Vorurteilen entgegenzutreten. Leo hatte Recht, alles ging in die richtige Richtung. Aber alles braucht seine Zeit und geht nicht von heute auf morgen.

Zwetkow war sprachlos und sah die beiden Polizisten erstaunt an. Man konnte sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Lagen dieser komisch gekleidete, riesige Polizist und sein gutriechender und gutaussehender Partner richtig mit ihren Aussagen? Pauschalierte er aufgrund weniger persönlicher Erfahrungen und scherte alle Deutschen speziell die Bayern über einen Kamm? Machte er es sich vielleicht zu leicht? Der Ansatz dieses Herrn Schwartz war nicht so schlecht, das musste er bei nächster Gelegenheit mit seinen Freunden besprechen. Aber das würde er hier und jetzt nicht zugeben, das würde für ihn Schwäche bedeuten, die er nicht zeigen wollte.

„Ich danke Ihnen für Ihre ehrlichen, offenen Worte. Warum sind Sie hier? Wie kann ich Ihnen helfen?“

Leo zog die Fotos der Toten aus seiner Jackentasche.

„Wir haben diese Frau tot aufgefunden. Nach unseren Informationen handelt es sich bei der Frau um eine Russin oder Ukrainerin.“

Sergej Zwetkow besah sich die Fotos sehr genau und schüttelte schließlich den Kopf.

„Ich kenne die Frau nicht. Aber das heißt nicht, dass es sich nicht doch um eine Russin handelt. Nicht alle meiner Landsleute kommen zu uns, viele lehnen uns und unseren Verein ab.“ Zwetkow hatte in der Vergangenheit mehrfach neu eingereiste Landsleute angesprochen und eingeladen, aber vermehrt Absagen kassiert. „Haben Sie schon bei den Ukrainern nachgefragt? In Mühldorf gibt es einen Verein.“

„Dort waren wir schon. Herr Makarenko kennt die Frau ebenfalls nicht, möchte aber bei den morgigen Treffen seine Landsleute befragen. Kennen Sie Herrn Makarenko?“

Sofort veränderte sich der Gesichtsausdruck von Zwetkow und er wandte sich auch körperlich etwas ab, wodurch man die Abneigung sofort spürte.

„Das sind Ukrainer,“ sagte er nur.

„Das glaube ich jetzt nicht! Sie verurteilen die Deutschen, weil sie Sie nicht mit offenen Armen empfangen und mögen die Ukrainer nicht? Warum? Sie sitzen doch im gleichen Boot. Bevor Sie Toleranz und Integration fordern, würde ich lieber bei Ihnen selbst anfangen.“ Leo konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen und wollte nur noch weg hier. Der Tag war bisher beschissen gelaufen, er hatte sich mehr von den Befragungen versprochen. Er hatte genug und brauchte dringend eine Pause. „Wir lassen Ihnen die Fotos der Toten hier. Zeigen Sie sie ihren Landsleuten und melden Sie sich bei uns, wenn jemand die Frau erkennt.“

Leo ging davon und murmelte nur einen leisen Gruß, Hans folgte ihm. Auch er hatte genug, aber er war amüsiert über Leos Offenheit, mit der er diesem Zwetkow einheizte. Wer weiß, vielleicht musste dieser Schwabe kommen, um diesem Russen einen Spiegel vorzuhalten. Denn dass diese Klatsche gesessen hatte, war sicher. Schweigend gingen sie zurück zu ihrem Wagen, wobei Leo diesmal das Kapuzinerkloster und die Magdalenenkirche ignorierte, so sehr ärgerte er sich über diesen Zwetkow und seine Einstellung. Sie stiegen in den Wagen und fuhren nach Mühldorf.

„Jetzt beruhige dich endlich, du allein kannst die Welt nicht ändern,“ sagte Hans genervt, als er mehrfach versucht hatte, Leo in ein Gespräch zu verwickeln, und dieser aber nicht reagierte.

„Das weiß ich auch. Aber es regt mich tierisch auf, dass manche Toleranz erwarten, sie aber selbst nicht leben. Wie soll sich da irgendetwas ändern? Man muss sich kennenlernen und gegenseitig aufeinander ohne Vorbehalte zugehen.“

„Du bist und bleibst ein Traumtänzer. Ich bin auch der Meinung, dass unsere Gesellschaft in die richtige Richtung geht. Aber wir beide werden es nicht mehr erleben, dass Menschen verschiedener Herkunft, Kultur, politischer Richtung und vor allem unterschiedlicher Religion friedlich nebeneinander leben.“

„Schon alleine diese jahrhundertlangen Kriege um Religion. Für mich ist jeder Gott akzeptabel, solange es ein guter, gütiger Gott ist. Von mir aus darf jeder seinen Gott haben, es ist doch auf der ganzen Welt genug Platz dafür.“

Mit Leo war wirklich nicht mehr zu reden und da Hans am Steuer saß, lenkte er den Wagen auf den Parkplatz einer Pizzeria in Mühldorf.

„Keine Widerrede – du isst jetzt erst mal was, bevor du noch ausflippst. Du musst runterkommen und dich wieder beruhigen. Außerdem wird es Zeit, dass du endlich Urlaub bekommst, das ist ja nicht mehr zum Aushalten.“

„Du hast gut reden,“ sagte Leo, der für diese Ablenkung sehr dankbar war. Er war wirklich hungrig und bei diesem Italiener war er schon lange nicht mehr. „Du hast in letzter Zeit genug Ablenkung und freie Tage gehabt. Wie geht es Lucrezia?“

„Was? Wie? Du weißt von uns?“ Hans war erschrocken, denn bis jetzt war er sehr diskret gewesen und war sich sicher, dass niemand von ihm und seiner Lucrezia wusste.

„Denkst du, ich bin blöd? Ich weiß das schon seit dem Adlerholz-Fall. Ich kenne dich Hans, sogar besser, als du dir vorstellen kannst.“

Hans erzählte während dem Essen ausführlich von Lucrezia und seinen Aufenthalten in Florenz und den Besuchen seiner italienischen Freundin hier in Mühldorf; er ließ sich auch durch das Essen nicht unterbrechen. Es tat Hans sehr gut, endlich mit jemandem über seine Beziehung zu Lucrezia zu sprechen und Leo kam dadurch endlich auf andere Gedanken. Er freute sich für seinen Freund und Kollegen und bemerkte das Leuchten in seinen Augen, dass er seit der Zeit mit der getöteten Doris nicht mehr gesehen hatte. Damals hatte er sich um Hans große Sorgen gemacht, aber jetzt strahlte er wieder und war glücklich. Und Lucrezia war genau die richtige für ihn. Sie war voller Leben, dazu witzig, intelligent und sehr laut. Hans brauchte eine Frau, auf die er sich blind verlassen konnte und die mit seinem Tempo mithalten konnte – und das war für Lucrezia kein Problem, denn sie hatte ein Temperament, bei dem sich Hans ordentlich anstrengen musste, um ihr folgen zu können.

„Wo bleibt ihr denn so lange?“, empfing Viktoria ihre Kollegen. Sie hatte sich bereits Sorgen gemacht. Außerdem war sie es nicht gewohnt, so lange Zeit alleine im Büro zu arbeiten, diese Ruhe war fast unheimlich.

Leo erzählte ausführlich über die Gespräche mit Makarenko und Zwetkow - und regte sich erneut auf. Viktoria fand die richtigen Worte, um ihn zu beruhigen. Sie hatte keine Lust, mit ihm über Politik und die aktuelle Lage zu diskutieren, darin konnte Leo richtig aufgehen, wenn ihn ein Thema interessierte.