Die Spur führt nach Altötting... - Irene Dorfner - E-Book

Die Spur führt nach Altötting... E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

2. Auflage 2016. Mario Pini kommt nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt wieder zurück nach Deutschland und möchte seine Familie in Pfullingen bei Reutlingen überraschen. Aber die ist bei Nacht und Nebel mitsamt dem Inventar des Hauses spurlos verschwunden. Mit der alten Nachbarin Frieda Votteler macht er sich auf die Suche, denn auch ihr kommt das Verschwinden der Familie seltsam vor. Sie beginnen die Suche. Durch List kommen sie an Informationen, die sie schließlich nach Altötting führen. Dort stoßen sie auf Widerstände und Ungereimtheiten. Auch die Kriminalpolizei möchte, dass die beiden die Suche einstellen. Aber dennoch lassen sie sich nicht abwimmeln. Leo Schwartz ermittelt undercover, auch er sucht die Familie Pini. Dabei kommen ihm die beiden Amateure in die Quere...

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Seitenzahl: 433

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Irene Dorfner

Die Spur führt nach Altötting...

Leo Schwartz ... und das Schweizer Konto

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

Liebe Leser!

1.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

5. überarbeitete Auflage 2021 Copyright © Irene Dorfner

Cover und Text Copyright ©:

Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

All rights reserved

www.irene-dorfner.com

Lektorat: FTD-Script, Altötting,

Felicitas Bernhart, Engelsberg

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

VORWORT

Zwischen unserer Geburt und dem Tod gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten, das formt uns. Verschiedene Personen queren unseren Weg und beeinflussen uns, ob bewusst oder unbewusst. Und oftmals werden wir vor Entscheidungen gestellt, die unseren weiteren Lebensweg bestimmen. Das alles macht unseren Charakter aus und den Menschen, der wir sind.

Für Frank und Tommy!!

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen!!

Viele Grüße aus Altötting,

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

„Nein, die Sache bleibt streng geheim. Zu niemandem ein Wort, auch nicht zu Ihren Ulmer Kollegen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie sich die Medien in ihren Berichten überschlagen. Nichts soll an die Öffentlichkeit gelangen! Es hat keinen Sinn, länger darüber zu diskutieren. Meine Entscheidung steht.“ Die Worte des Stuttgarter Polizeichefs Bösel waren deutlich. Schon seit Stunden wurde heftig diskutiert.

Leo Schwartz war nicht seiner Meinung. Ermittlungen in diesem Umfang waren für einen Einzelnen kaum zu stemmen. Aber Bösel bestand darauf und ließ nicht mit sich reden. Ob er vom anwesenden Dr. Biedermann, dem Vorsitzenden der ZB-Bank Stuttgart und der Versicherung, unter Druck gesetzt wurde? Leo versuchte es trotzdem noch einmal.

„Die Sache ist für einen Ermittler viel zu groß und umfangreich.“

„Sie machen das schon, Kollege Schwartz. Sie kennen Knoblich sehr gut. Nur Sie können sich in den Mann hineinversetzen. Wir sind sicher, dass Sie ihn finden werden. Sie haben unser größtes Vertrauen.“

Leo Schwartz war von Bösel für diesen Fall nach Stuttgart angefordert worden und dummerweise hatte er voreilig zugesagt. Als er hörte, dass es um Jürgen Knoblich ging, konnte er nicht anders. Er kannte Knoblich tatsächlich sehr gut. Als er erfuhr, was ihm nach der Haftstrafe zur Last gelegt wurde, war Leo erschrocken. Knoblich war noch tiefer gerutscht, als er es sich das hätte jemals vorstellen können.

Leo ging und hatte Bauchschmerzen. Welchen Anhaltspunkt hatte er? Knoblich war seit dem Überfall auf den Geldtransporter, bei dem ein Mann getötet und einer schwer verletzt wurde, nicht mehr gesehen worden. Wo sollte er anfangen? Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als alle Freunde, ehemaligen Komplizen, Haftkumpane und einschlägigen Kneipen aufzusuchen. Das war die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.

Trotz Bösels Anweisungen informierte er seinen Ulmer Chef Michael Zeitler. Der hörte sich an, was Leo Schwartz zu sagen hatte und war sauer. Wie konnten diese Ermittlungen einem einzigen Beamten übertragen werden?

„Wenn Bösel das so entschieden hat, müssen wir uns daran halten. Sie können sich auf mich verlassen. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, melden Sie sich. Viel Glück.“

Zeitler sah seinem Mitarbeiter hinterher. Abgesehen davon, dass er jetzt ohne ihn auskommen musste, machte er sich Sorgen. Mit Knoblich war nicht zu spaßen. Wenn er wirklich für den schrecklichen Überfall verantwortlich war, war er zu allem fähig. Und Leo Schwartz stand völlig alleine da.

2.

„Käse oder Schinken?“

Mario Pini erschrak und starrte die Stewardess verwirrt an. Er war mit den Gedanken sehr weit weg und dies waren nach fast drei Jahren die ersten deutschen Worte, die persönlich an ihn gerichtet wurden. Mit einem aufgesetzten Lächeln wiederholte sie gelangweilt ihre Frage. Sie hielt ihm das pappige Brötchen direkt vor die Nase und er lehnte dankend ab. Er hatte panische Angst vorm Fliegen und auf dem Flug von Caracas in Venezuela nach Frankfurt hätte er sich unter keinen Umständen abgeschnallt oder sich auch nur einen Millimeter von seinem Sitz entfernt. Auch nicht zum Pinkeln, was ihm nun mehr und mehr Sorge bereitete, denn das wurde langsam zum Problem. Sofort nach der Landung in Frankfurt, bei der er Todesängste ausgestanden hatte, schnallte er sich bereits ab, obwohl das noch nicht erlaubt war. Er nahm seine wenigen Habseligkeiten und drängelte an allen Passagieren vorbei, die ihm im Weg standen. Er hatte es jetzt sehr eilig, zu einer Toilette zu kommen. Der Aufenthalt in Frankfurt am Main war sehr kurz und bei dem Start mit der nächsten Maschine nach Stuttgart hätte er am liebsten vor Angst in den Vordersitz gebissen, denn er war nun völlig übermüdet, hungrig, leicht reizbar und mit den Nerven am Ende. Zum Glück saß neben ihm nur ein Fluggast, der in eine Zeitung vertieft war und ihn nicht beachtete.

„Wie lange haben wir noch bis Stuttgart?“, fragte er die Stewardess, die deutlich jünger und auch freundlicher war als die auf dem letzten Flug.

„Noch eine knappe halbe Stunde.“

Nicht mehr lange, und er hatte endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Dann war er wieder in Deutschland. Vor drei Jahren hatte er die Schnauze voll gehabt von seinem Beruf als Bankkaufmann und erfüllte sich mit 37 Jahren den schon lange gehegten Wunsch, einmal den Jakobsweg zu gehen. Bis dahin hatte er alles, was er an Infos darüber bekommen konnte, verschlungen und sich nicht nur mental, sondern auch konditionell auf sein großes Ziel vorbereitet. Er hatte sich mit einer großen Party von Familie und Freunden verabschiedet und wollte eigentlich nach drei Monaten wieder zu Hause sein – eigentlich. Wie das Leben so spielte, hatte er auf dem Jakobsweg nette Menschen kennengelernt, die ihn nach Venezuela eingeladen hatten. Er hatte spontan zugesagt. Warum auch nicht? Er war ungebunden und frei in seinen Entscheidungen. In Venezuela blieb er hängen. Er und seine neuen Freunde lebten gemeinsam als Selbstversorger auf einem Bauernhof und je länger er dort war, desto klarer wurde ihm, dass das genau sein Ding war. Zwar musste er körperlich hart arbeiten, aber eigentlich lebten er und seine Freunde in den Tag hinein, feierten, tranken, aßen und genossen ihr Leben in vollen Zügen. Ja, er liebte dieses Lotterleben, kam aber in letzter Zeit ins Grübeln. In drei Monaten hatte er Geburtstag. Die magische vierzig! Sollte das schon alles gewesen sein? Verlangte er nicht viel mehr vom Leben als in den Tag zu leben und nur so viel zu arbeiten, dass man gerade so über die Runden kam? Nachdem er nicht der einzige in der Gruppe war, der so dachte, beschloss er, dass es nun wieder an der Zeit war, in die alte Heimat zurückzukehren. Hier wollte er wieder ein normales Leben führen und freute sich darauf. Vor allem aber freute er sich auf seinen Onkel Giuseppe, Tante Melanie und seine beiden Cousinen Laura und Maria, die er alle schrecklich vermisst hatte. Endlich konnte er sie nach so langer Zeit wieder in die Arme nehmen, schließlich waren sie seine einzige Familie. Auf die Gesichter war er schon gespannt, denn er hatte seinen Besuch nicht angekündigt und wollte sie überraschen. Er war sich sicher, dass sein Platz in Zukunft in Deutschland war und das wollte er natürlich zuerst seiner Familie mitteilen. Von Venezuela aus hatte er sich im Internet über den Kauf eines Bio-Bauernhofes in der Nähe der Familie informiert und die interessantesten Objekte rausgesucht. Er wollte sesshaft werden und eine eigene Familie gründen, die richtige Frau würde er ganz bestimmt noch finden. Bei dem Gedanken dachte er an Conzuela, die er immer Conny genannt hatte und die das aber nicht mochte. Conny brachte ein Mal pro Woche Brot, das in dem vier Kilometer entfernten kleinen Dorf gebacken wurde und wunderbar schmeckte. Als er jetzt an sie dachte, spürte er den Geschmack des Brotes in seinem Mund. Conny! Die Verabschiedung von ihr war sehr schmerzhaft gewesen. Sie hatten sich ein paar Mal getroffen, gingen spazieren, tanzten und lachten. Mit ihr konnte er sich stundenlang unterhalten. Sie hatte einen köstlichen Humor, den er sehr mochte. Es war nichts Tieferes daraus entstanden, was er auch nicht zulassen wollte. Conny war in ihrer Heimat mit ihrer riesigen Verwandtschaft tief verwurzelt und er beneidete sie darum. Und seine Wurzeln lagen nun mal hier in Deutschland bei seiner Familie, davon war er überzeugt.

Die Landung am Stuttgarter Flughafen riss Mario jäh aus seinen Erinnerungen und verlangte ihm wieder sehr viel ab. Er war überglücklich, als er das Flugzeug endlich verlassen konnte. Das würde auf jeden Fall für ihn für lange Zeit der letzte Flug gewesen sein. Mario trat aus dem Flughafengebäude, atmete tief die frische Luft ein, die nach nasser Erde und auch nach Abgasen roch. Er nahm den riesigen Geräuschpegel um sich herum wahr, der ihn zu Anfang in Frankfurt erschreckte. Die ersten schwäbischen Brocken drangen zu ihm durch und er musste schmunzeln. Obwohl er so lange weg war, fühlte er sich nicht fremd. Er bestieg den Bus nach Reutlingen, der nächsten Etappe seiner Reise. Er sah aus dem Fenster und vieles kam ihm vertraut vor. Die saftigen Wiesen, die grünen Hügel und auch an dem Straßenverkehr konnte er sich kaum sattsehen. Schließlich entdeckte er die Achalm, die Burgruine hoch über Reutlingen, auf der er als Schulkind zu den Wandertagen und auch mit seinen Freunden zum Indianerspielen unzählige Male gewesen war. Erst jetzt spürte er, wie sehr er seine Heimat vermisst hatte, und langsam verblassten die Gedanken an Venezuela und an Conny. Damals vor drei Jahren war er innerlich völlig ausgelaugt und an einem Punkt angelangt, an dem er einfach nicht mehr konnte. Dafür gab es ein Wort, mit dem man mittlerweile sehr viel offener umging: Burnout. Sein Arzt hatte ihm diese Diagnose gestellt, die sein Umfeld nicht wahrhaben wollte. Für sie war er einfach nur ausgelaugt. Manche meinten auch, er bilde sich nur etwas ein. Er spürte, wie hinter seinem Rücken getuschelt wurde. Anfangs ärgerte er sich darüber, irgendwann war ihm das gleichgültig. Er haderte mit seinem Leben. Er war sich nicht mehr sicher, ob das, was er bis dato tat, alles so richtig war oder ob er irgendetwas versäumt hatte. Eines Tages schmiss er alles hin. Er kündigte seinen guten Job. Seine Freunde hielten ihn für völlig verrückt. Aber was andere von ihm dachten, war ihm gleichgültig. Ja, er hatte es beruflich weit gebracht und hatte hart dafür gearbeitet, aber das war ihm nicht mehr wichtig. Waren seine Freunde überhaupt seine Freunde? Er kündigte den Mietvertrag für die riesige, moderne Wohnung mitten in Reutlingen mit dem herrlichen Blick über die Innenstadt. Viele hatten ihn beneidet. Als er dann auch noch seinen Porsche verkaufte, den er heiß und innig liebte, wendeten sich viele von ihm ab. Aber er selbst war sich so sicher, dass er das Richtige tat, und war heute sehr dankbar dafür, dass er damals den Mut aufbrachte und sich so entschieden hatte. In den letzten Jahren hatte er erkannt, was er falsch gemacht hatte und warum er so unzufrieden war. Natürlich hatte er sich einen gewissen Wohlstand erarbeitet, war Mitglied in mehreren Vereinen und hatte einen sehr großen Freundeskreis, aber das erfüllte ihn nicht. Er wollte ein anderes Leben führen und ihm war es egal, was andere von ihm dachten und von ihm erwarteten. Er wollte sich nicht mehr dem Diktat anderer fügen, sondern nur noch seinem Instinkt folgen. Nur Onkel Giuseppe, Tante Melanie und die beiden Cousinen Laura und Maria hielten zu ihm und verstanden ihn. Sie standen hinter ihm und machten ihm keine Vorwürfe oder gar Vorschriften. In den letzten drei Jahren hielt er immer Kontakt mit seiner Familie, was nicht immer einfach war. Vor einigen Monaten hatte er das letzte Mal mit ihnen telefoniert, danach gab es Probleme mit den Telefonverbindungen. Jeder Versuch, seine Familie anzurufen, scheiterte. Aber jetzt war er hier und konnte persönlich mit ihnen sprechen.

Der Bus stoppte in Reutlingen, er war fast an seinem Ziel angekommen. Trotz der langen Reise und dem Schlafmangel stieg er beschwingt aus, atmete tief die Luft der Stadt mitsamt dem Dreck ein, nahm die betriebsame Hektik um sich herum wahr und fühlte sich sofort zuhause. Er ging auf direktem Weg zum Busbahnhof und stieg nach wenigen Warteminuten in den Bus nach Pfullingen, dem Ziel seiner Reise. Dort lebte seine Familie in einem schönen, alten Einfamilienhaus.

Pfullingen! Endlich! Nur noch wenige Meter und er musste aussteigen. Mario lief durch die vertrauten Straßen und Gassen bis in die Münsinger Straße und hatte nur noch wenige Schritte vor sich. Er rannte beinahe, die Vorfreude auf seine Familie nahm ihm fast die Luft. Dann stand er mit klopfendem Herzen vor der Tür. Er klingelte und wartete – nichts. Er klingelte mehrmals, aber wieder rührte sich nichts. Seltsam. Es war fast achtzehn Uhr und eigentlich war um die Zeit immer jemand zuhause. Seine Familie konnte nicht im Urlaub sein, es war Mai, dazu noch ein Montag. Beide Mädchen waren noch schulpflichtig. War heute ein Feiertag? Nein, ganz sicher nicht. Erst jetzt bemerkte Mario, dass kein Klingelschild angebracht war. Erst jetzt bemerkte er den verwilderten Vorgarten. Ein Zustand, den es bei seinem Onkel Giuseppe niemals gab. Hier stimmte etwas nicht. Aufgewühlt ging er in den Garten. Auch hier das gleiche Bild: Der Rasen war nicht gemäht worden und alles schien sehr ungepflegt. Er blickte durch das Fenster der Garage – die war völlig leer. Auch ein Zustand, den es niemals gab, denn die Garage war immer voll mit Fahrrädern, Mülltonnen und Gartengeräten, sodass Tante Melanie Mühe hatte, mit ihrem Kleinwagen Platz zu finden. Die Fenster des Hauses waren mit Gardinen zugehängt und obwohl er in jedes einzelne Fenster spähte, konnte er nichts erkennen. Wohnte seine Familie nicht mehr hier? Das konnte nicht sein, Giuseppe hätte ihm davon in Kenntnis gesetzt. Ja, die Telefonverbindung war schwierig, aber die Post funktionierte.

Mario war völlig durcheinander. Was war hier los? Er stellte seinen großen Rucksack auf der Terrasse ab und beschloss, sich in der Nachbarschaft durchzufragen. Er klingelte in den Häusern reihum, aber niemand wollte dem Fremden Auskunft geben. Erst im fünften Haus hatte er Glück, im ersten Stock öffnete sich ein Fenster.

„Grüß Gott, mein Name ist Mario Pini. Ich bin auf der Suche nach der Familie Pini in der Nummer 12, wir sind verwandt.“

„Die Familie kannte ich gut, die wohnen hier nicht mehr.“ Die alte Frau war sehr freundlich. Sie bemerkte Marios Gesicht und die Enttäuschung darin.

„Warten Sie junger Mann, ich komme runter.“

Sie öffnete die Tür, sah ihn lange an und lächelte.

„Ja, Sie sind mit Giuseppe verwandt, das sehe ich deutlich, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Außerdem habe ich Sie früher ab und zu mit einem Sportwagen hier gesehen. Habe ich Recht?“

„Ja, das stimmt, der mit dem Sportwagen war ich. Giuseppe Pini ist mein Onkel. Habe ich Sie eben richtig verstanden? Die Familie Pini wohnt nicht mehr hier? Seit wann? Das kann nicht sein, das hätten sie mir doch gesagt.“

„Mein Name ist Frieda Votteler. Kommen Sie erst mal rein, Sie sind ja vollkommen außer sich.“

Verstört folgte Mario der freundlichen Frau Votteler und setzte sich an den gemütlichen Küchentisch in der altmodischen Küche. Er sah ihr zu, wie sie Wasser auf den Gasherd stellte und Tee zubereitete.

„So Mario, ich darf doch Mario sagen? Jetzt trinken Sie erst mal einen Schluck Tee. Ich weiß von Melanie und Giuseppe, dass Sie vor drei Jahren ausgewandert sind. Ich habe versucht, Sie über eine Handynummer zu erreichen, die mir Melanie einmal für Notfälle gegeben hatte. Leider habe ich Sie nicht erreicht. Das mit der Familie Pini versteht hier in der Nachbarschaft niemand, ich am allerwenigsten. Überaus liebe und hilfsbereite Menschen. Auch die Mädchen, so hübsch und gescheit, waren überall beliebt. Vor rund vier Monaten sind sie einfach so über Nacht weggezogen, ohne sich zu verabschieden oder irgendjemandem etwas davon zu erzählen. Und wenn ich sage über Nacht, dann meine ich das auch so. Am Abend waren sie noch da und alles war in Ordnung. Am nächsten Morgen waren sie weg, und zwar mit Sack und Pack. Ich habe in der Nacht einen Lkw gehört, habe mir aber nichts dabei gedacht. Keiner weiß, wohin sie sind und vor allem, warum sie weg sind. Wissen Sie, gewisse Nachbarn wachsen einem ja ans Herz und ich vermisse sie sehr. Giuseppe und Melanie gingen mir immer gerne zur Hand und halfen, wo es nur ging, auch bei anderen Nachbarn. Im Gegenzug habe ich auf die Mädchen aufgepasst, als sie noch klein waren oder habe nach dem Rechten gesehen, wenn sie in Urlaub fuhren. In den letzten eineinhalb Jahren hat Melanie hier im neuen Supermarkt gearbeitet und ich habe das eine oder andere Mal für sie gekocht und gebacken, was mir sehr viel Freude bereitet hat. Wir haben oft zusammen gegessen, hier oder drüben. Ich kann behaupten, dass wir befreundet waren, und zwar gut befreundet. Und jetzt sind sie einfach weg und wer weiß, wo sie jetzt sind und wie es ihnen geht.“

Mario hörte fassungslos zu und begriff nur langsam, denn die Informationen sprudelten nur so aus Frau Votteler heraus. Er spürte, dass sie sich große Sorgen machte und die Pinis sehr mochte.

„Sie meinen, meine Familie ist einfach so Hals über Kopf weg? Das kann doch nicht sein, das passt überhaupt nicht. Lassen Sie mich überlegen. Ich habe das letzte Mal Anfang Januar mit ihnen telefoniert, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, aber es muss kurz nach Silvester gewesen sein. Wir haben uns gegenseitig alles Gute für das neue Jahr gewünscht, das weiß ich genau, also muss es Anfang Januar gewesen sein. Wann sind sie weggezogen?“

Frau Votteler war aufgestanden und holte aus der Schublade einen dicken Kalender, dessen Seiten mit handschriftlichen Vermerken übersät waren. Sie blätterte zurück bis Januar.

„Hier steht es, es war der 14. Januar, sehen Sie selbst.“

„Wie bitte? Wenn sie vorgehabt hätten, umzuziehen, hätten sie mir doch etwas gesagt. Nein, das kann nicht sein, da stimmt etwas nicht.“

„Das ist genau meine Rede. Ich war sogar schon bei der Polizei. Aber dort sind, entschuldigen Sie den Ausdruck, nur überhebliche Trottel. Die hat das überhaupt nicht interessiert, was ich zu sagen hatte. Sie haben mich ausgelacht und mich als senile Alte hingestellt, die sich in fremde Angelegenheiten einmischt. Ich war von Anfang an der Meinung, dass da irgendetwas nicht stimmt, denn mir hätten sie doch bestimmt etwas erzählt, da können Sie Gift darauf nehmen. Und nachdem Sie nur wenige Tage vorher miteinander telefoniert haben und sie Ihnen ebenfalls nichts erzählt haben, bestärkt mich das in meiner Annahme.“

Mario tat diese Frau sehr gut und er fand sofort eine Verbündete in ihr. Sie hatte vollkommen Recht, das stank zum Himmel. Seine Familie würde niemals so ohne weiteres aus Pfullingen verschwinden. Er wusste, dass sie sich hier sehr wohl fühlten und auch die Mädchen niemals aus dem gewohnten Umfeld herausreißen würden. Und wer um alles in der Welt zieht mit Sack und Pack bei Nacht und Nebel aus? Ihn beschlich ein sehr mulmiges Gefühl und sein Magen krampfte sich zusammen. Die Familie Pini hatte ganz offensichtlich seine Hilfe gebraucht und er war nicht hier gewesen, er war nicht mal erreichbar. Großspurig hatte er vor drei Jahren sein Handy am Flughafen vor seinem Abflug nach Spanien zum Abenteuer Jakobsweg in den Müll geworfen. Hätte er sein Handy behalten, dann wäre er erreichbar gewesen. Er hasste sich für sein großspuriges Verhalten und seinen Egoismus.

Frau Votteler spürte Marios Gemütszustand.

„Jetzt machen Sie sich keine Sorgen und vor allem keine Vorwürfe, das ist jetzt die reinste Zeitverschwendung. So wie es ist, ist es nun mal. Was wollen wir nun unternehmen?“

Mario musste fast lachen, als er in das gutmütige, runde und entschlossene Gesicht der kleinen, stämmigen 68-jährigen Frau blickte, die ihm hier in einem geblümten, weiten Kleid mit dicker Strumpfhose und bequemen Schlappen gegenübersaß. Die Frisur, die Pausbacken und die wachen Augen erinnerten ihn irgendwie an die alten Filme von Miss Marple.

„Waren Sie schon im Haus drin und haben sich umgesehen?“

„Nein, das ging nicht. Natürlich habe ich es versucht, ich habe einen Hausschlüssel. Aber die Schlösser wurden ausgetauscht.“

„Haben Sie ein Brecheisen?“

„Im Keller bestimmt, kommen Sie mit.“

Er folgte ihr in den völlig vollgestopften Keller, fand aber das Werkzeug auf Anhieb.

„Brechen wir jetzt ein?“ Frau Votteler war aufgeregt und zitterte am ganzen Leib.

„Ich breche dort ein und Sie bleiben hier, haben wir uns verstanden?“

Mario versuchte, so etwas wie Autorität auszustrahlen, was ihm aber misslang. Bei seiner Körpergröße von 1,67 Meter, der hageren Statur, den schulterlangen, ungepflegten Haaren und dem Hippy-Outfit nahm ihn nicht einmal die gute Frau Votteler für voll.

„Noi Mario, das kommt ja überhaupt nicht in Frage. Entweder wir gehen gemeinsam in das Haus, oder ich rufe die Polizei.“ Das hatte gesessen. Mario verschlug es fast die Sprache.

„Das ist Erpressung.“

„So sieht es aus. Sie werden meine Hilfe schon noch zu schätzen wissen.“

Sie zog Straßenschuhe an, nahm eine Strickjacke von der Garderobe und ging ihm voraus. Mario hatte keine andere Wahl, er musste das mit ihr gemeinsam durchziehen. Es war inzwischen halb acht geworden, aber noch viel zu hell.

„Wir sollten warten, bis es dunkel ist,“ schlug Mario flüsternd vor, als sie auf der Terrasse standen.

„Von hier aus kann uns nur Frau Reinhardt sehen. Die sitzt gerade vorm Fernseher, weil ihre Lieblingsserie läuft. Und dort wohnt Herr Scherer, der nicht nur schwer hört, sondern fast blind ist. Auf uns achtet niemand, glauben Sie mir. Fangen Sie endlich an.“

Mario war handwerklich sehr ungeschickt. Mit zitternden Händen setzte er das Brecheisen an. Machte er das überhaupt richtig? Woher hätte er das wissen sollen, niemals zuvor war er irgendwo eingebrochen. Er brauchte eine Ewigkeit, bis die Terrassentür endlich nachgab, wobei er sie erheblich demolierte. Frau Votteler war sehr ungeduldig und trieb ihn immer wieder mit unangebrachten Kommentaren an. Sie traten über Glassplitter durch die Terrassentür ins Hausinnere und sahen sich in dem völlig leeren Wohnzimmer um. Schweigend und fassungslos gingen die beiden von einem Zimmer ins nächste. Bis auf die Vorhänge an den Fenstern war nichts, auch nicht das Geringste, im Haus verblieben.

„Das kann doch alles nicht wahr sein,“ rief Frau Votteler aufgebracht, „sie haben alles mitgenommen? Sogar die Küche ist abgebaut worden. Das müssen ja mitten in der Nacht Massen von Helfern gewesen sein. Das glaube ich alles nicht.“

„Lassen Sie uns gehen,“ entschied Mario, der diese Leere nicht mehr ertragen konnte. Schweigend saßen die beiden noch lange an Frau Vottelers Küchentisch und tranken einen Beruhigungsschnaps nach dem anderen.

„Und jetzt?“, durchbrach Frau Votteler die Stille.

„Wir suchen natürlich weiter, das ist klar. Arbeitsstelle, Kollegen, Schule, und so weiter. Es gibt viele Stellen, die man abklappern kann. Wir fangen aber erst morgen damit an. Sie gehen jetzt erst mal ins Bett und schlafen sich aus. Ich muss mir noch ein Hotelzimmer suchen.“

„Das kommt ja gar nicht in Frage, Sie bleiben hier, ich habe ein Gästezimmer für Sie. Ich ahne schon, was Sie vorhaben. Sie wollen das alles ohne mich machen. Aber das können Sie vergessen. Versprechen Sie mir sofort, dass wir gemeinsam auf die Suche gehen!“ Frau Votteler sah ihn flehend an und Mario konnte nicht anders.

„Wie könnte ich ohne meine Miss Marple auf die Suche gehen? Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, dass wir gemeinsam nach meiner Familie suchen.“

Die leicht angeschwipste Frau Votteler lächelte zufrieden. Sie schlurfte ihm voraus und öffnete eine Tür am Ende des Flures.

„Hier ist Ihr Reich junger Mann, Bettwäsche ist im Schrank, nebenan ist das Bad. Sie finden schon, was Sie brauchen. Ich muss jetzt ins Bett. Gute Nacht.“

Mario schmunzelte. Ihm gefiel die alte Dame - und die Tatsache, dass sie so ein Gottvertrauen zu ihm hatte. Er hatte keine Lust, das Bett zu beziehen, und zog seinen Schlafsack aus dem Rucksack. Nach einer ausgiebigen Dusche in dem ebenfalls altmodischen Badezimmer fiel er in einen unruhigen Schlaf.

„Es wurden Aktionen im Haus Pini gemeldet. Kümmern Sie sich darum.“

Die wenigen Worte schreckten Leo Schwartz auf. Bei der Suche nach Jürgen Knoblich hatte er herausgefunden, dass dieser eine Schwester hatte: Melanie Pini. Seitdem ließ er das Haus überwachen. Leo war nur selten in seinem Büro in Stuttgart, das ihm zur Verfügung gestellt wurde. Er arbeitete lieber von zuhause aus, was ihm sehr viel angenehmer war. Er war in Stuttgart bei den dortigen Kollegen nicht gerne gesehen. Niemand wusste, warum er hier war, Gerüchte machten die Runde. Was lief hinter ihrem Rücken ab? Und warum wurde ein Kollege aus Ulm geholt? Waren sie selbst nicht in der Lage, dessen Arbeit zu machen? Misstraute ihnen der Chef? Leo spürte die Ablehnung. Außerdem machten sich viele hinter seinem Rücken über ihn lustig, was seinen Kleidungsstil betraf: Mit seiner Körpergröße von 1,90 Meter trug er stets Jeans, Cowboystiefel, eine alte Lederjacke und T-Shirts mit dem Aufdruck von längst vergessenen Rockstars. Leo liebte diese T-Shirts, für die er ein Heidengeld bezahlte.

Leo arbeitete seit zwei Wochen an dem Fall Knoblich. Die einzige Spur, die er bislang hatte, war Melanie Pini. Längst hatte er nicht mehr an diese Spur geglaubt, bis er diese Nachricht bekam.

Endlich kam wieder Bewegung in die Sache. Er musste so schnell wie möglich mit Zeitler sprechen. Der reagierte sofort.

„Finden Sie heraus, was es damit auf sich hat. Wir müssen Knoblich endlich aus dem Verkehr ziehen.“

3.

„Guten Morgen, Mario. Ich dachte schon, Sie stehen überhaupt nicht mehr auf. Setzen Sie sich und langen Sie kräftig zu, wir haben heute viel vor.“

Fröhlich begrüßte ihn Frau Votteler an einem reich gedeckten Frühstückstisch und schenkte dampfenden Tee ein. Es war erst kurz nach sechs, Frau Votteler war offensichtlich eine Frühaufsteherin. Ganz im Gegensatz zu Mario, der üblicherweise vor zehn Uhr niemals aufstand. Aber Frau Votteler hantierte so laut in der Küche, dass er dadurch aufwachte und sich genötigt fühlte, aufzustehen. Er war sich sicher, dass sie das mit Absicht gemacht hatte, um ihn zu wecken.

„Guten Morgen, Frau Votteler, Sie sind echt früh auf. Und Sie waren schon sehr fleißig, das Frühstück sieht himmlisch aus.“ Mario hatte großen Appetit und sein Ärger über das frühe Aufstehen verflog im Nu.

„Jetzt lassen wir mal die Frau Votteler weg. Ich bin die Frieda und du bist der Mario, das ist einfacher. Schließlich sind wir beide nun Komplizen und haben eine gemeinsame Mission zu erfüllen. Iss, Junge, damit du mir nicht verhungerst. Für einen Mann deines Alters und deiner Größe bist du viel zu mager. Ich mache mich fertig und dann können wir los.“

Mario ließ es sich schmecken und war pappsatt. Es war lange her, dass er ein deutsches Frühstück genoss. Vor allem die Brezeln hatten es ihm angetan und er konnte nicht genug davon bekommen. Er hatte nicht nur den gestrigen Tag über, sondern auch am Abend nichts mehr gegessen und war völlig ausgehungert. Durch die ganze Aufregung hatte er nicht mehr an Essen gedacht. Frieda kam fertig angezogen mit Schuhen, Jacke und Tasche in die Küche und die beiden räumten den Tisch ab.

„Ich würde vorschlagen, wir fangen mit den Arbeitsstellen von Melanie und Giuseppe an. Zuerst gehen wir zum Supermarkt, der öffnet um sieben Uhr. Danach gehen wir zu den Stadtwerken.“

„Darf ich vorher noch kurz ins Bad?“

Frieda nickte enttäuscht, sie wollte unbedingt sofort los. Mario versprach, sich zu beeilen. Er amüsierte sich über den wachen Geist und das Temperament seiner neuen Freundin und hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Das war gut so, denn das lenkte ihn von seinen Sorgen ab.

Der Supermarkt befand sich nur zwei Straßen entfernt und Frieda Votteler war hier offensichtlich bekannt wie ein bunter Hund. Es gab kaum eine Person, die sie nicht begrüßte. Auf Nachfragen bezüglich ihrer Begleitung gab sie freimütig Auskunft darüber, dass es sich um einen Verwandten der Familie Pini handelte.

Im Supermarkt trommelte Frieda Melanies ehemalige Arbeitskolleginnen zusammen und stellte Mario vor.

„Von einem Tag auf den anderen war Melanie nicht mehr hier und wir bekamen von der Geschäftsleitung die Information, dass sie das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen gekündigt hat.“ Diese und ähnliche Informationen bekamen sie von jeder Kollegin zu hören. Mario war schnell klar, dass Frieda alle bereits diesbezüglich befragt hatte, denn die ehemaligen Kolleginnen seiner Tante waren von den erneuten Fragen genervt.

Niedergeschlagen verließen die beiden den Supermarkt, vor allem Mario hatte sich mehr von der Befragung versprochen. Er hatte deutlich gespürt, dass seine Tante Melanie und die übrige Familie Pini hier sehr beliebt waren und keiner verstehen konnte, dass sie so Hals über Kopf gekündigt hatte. Das streute erneut Salz in seine Wunde und bestärkte ihn in seiner Annahme: Das Verschwinden seiner Familie war nicht normal.

Bei den Stadtwerken war man weniger kooperativ, sie wurden bereits am Empfang abgewiesen. „Über ehemalige Mitarbeiter geben wir keine Auskunft,“ war die knappe Antwort des Pförtners.

„Das hätte ich mir ja denken können, dass Sie uns keine große Hilfe sind. Aber unser Geld nehmen Sie natürlich. Wenn man aber mal eine kleine Frage hat, wird man abgewimmelt.“ Frieda war außer sich von der rohen Art des Mannes, der sich aber durch Friedas Schimpftirade nicht aus der Ruhe bringen ließ. Er bat sie, das Gelände zu verlassen und bezüglich dieses Anliegens nicht mehr vorstellig zu werden.

Natürlich wusste Frieda, welche Schule die beiden Mädchen besuchten, denn stolz sagte sie: „Die beiden gehen auf das Albert-Einstein-Gymnasium in Reutlingen.“

Mario musste schmunzeln, da er früher die gleiche Schule besuchte.

Sie nahmen den Bus nach Reutlingen und Mario beschloss, dass er sich dringend einen Wagen besorgen musste, um flexibler und mobiler zu sein.

Im Gebäude des Gymnasiums, das sie kurz vor halb zehn betraten, nahm Mario sofort diesen typischen Geruch der Schule wahr. Er wurde fast etwas wehmütig, denn er hatte seine Schulzeit in sehr guter Erinnerung. Er war beileibe nicht der beste Schüler, aber bis auf wenige Ausnahmen hatte er riesiges Glück mit den Lehrern und Klassenkameraden. Vor allem Mathematik, Geschichte und Deutsch waren seine Lieblingsfächer, während er auf Englisch, Physik, Chemie und vor allem auf Sport gerne verzichten konnte. Mario sah sich um. Es hatte sich in den Jahren sehr viel verändert, trotzdem erkannte er das eine oder andere Detail.

Frieda war fasziniert von dem hellen, sauberen Gebäude und kam aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Sie erzählte Mario in allen Einzelheiten, bei welchen Gelegenheiten sie bereits hier gewesen war. Sie wurde von der Familie Pini zu Schulfesten, Theateraufführungen und auch zu Konzerten eingeladen, was sie immer gerne annahm. Sie hatte keine Familie und somit keine Enkel. Die Mädchen waren ihr sehr ans Herz gewachsen und sie fühlte sich in den letzten Jahren wie deren Großmutter.

Das Sekretariat fanden sie ohne Probleme, denn das kannte Mario noch von früher. Mittlerweile war es viel größer und natürlich moderner. Auch die Sekretärinnen waren hübscher.

„Mein Name ist Mario Pini und ich bin auf der Suche nach meinen Cousinen Laura und Maria Pini, die bis vor Kurzem hier zur Schule gingen. Ich war viele Jahre im Ausland und bin auf der Suche nach meiner Familie. Wäre es möglich, in Ihren Schulakten nachzusehen, ob irgendetwas über den neuen Wohnort zu erfahren ist?“ Mario setzte sein charmantestes Lächeln auf und die Sekretärin war seinem Charme nicht abgeneigt. Sie lächelte ebenfalls und setzte sich sofort an ihren Computer. Ihre Miene versteinerte sich, sie sah verstohlen zu Mario, murmelte ein kurzes Moment bitte und kam dann mit dem Rektor zurück. Der warf einen Blick auf ihren Bildschirm und wandte sich dann an Mario.

„Leider können wir zu den beiden Schülerinnen nichts sagen. Tut mir leid, wir haben keinen Vermerk darüber, dass wir Ihnen gegenüber Auskunft geben dürfen.“

Mario und Frieda starrten den Mann an.

„Wie sollen wir das verstehen? Heißt das, Sie wissen etwas und können uns nichts sagen? Oder dürfen Sie nichts sagen?“ Mario verstand die Welt nicht mehr. Was war hier los?

„Wie gesagt, von uns bekommen Sie keine Auskunft, es tut mir leid. Bitte verlassen Sie das Schulgelände.“

„Sie werfen uns raus?“

„Bitte verlassen Sie das Schulgelände,“ wiederholte der Rektor, dem das alles hier sichtlich unangenehm war, zumal fünf weitere Personen anwesend waren, die jetzt mucksmäuschenstill dem Geschehen lauschten. Frieda startete abermals eine Schimpftirade, die aber nichts brachte.

„Wenn Sie sich weigern, das Schulgelände zu verlassen, müssen wir die Polizei rufen.“ Das war deutlich. Mario nahm Frieda an die Hand und zog sie, immer noch schimpfend, aus dem Gebäude. Sie gingen drei Straßen weiter Richtung Marktplatz und setzten sich auf eine Bank, Frieda hatte sich etwas beruhigt.

„Was nun?“ Frieda hatte einen hochroten Kopf und war sehr erschöpft.

„Wie sieht es aus mit Freunden oder Melanies Familie?“

„Die habe ich alle schon angerufen oder angesprochen. Die wissen genauso viel wie wir, glaub mir.“

„Dann gehen wir jetzt zur Polizei.“

„Zu diesen Pfeifen?“ Frieda schrie so laut, dass einige Passanten verstohlen zu den beiden rüber sahen. „Das hab ich doch versucht, die machen doch nichts, denen ist das ziemlich egal.“

„Vielleicht nicht, wenn ich als Verwandter nachfrage. Einen Versuch ist es wert. Kommst du trotzdem mit?“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“

Schweigend gingen die beiden zur Polizei, die nur wenige Straßen entfernt war. Man konnte Frieda Votteler die Anspannung ansehen, denn ihr Atem wurde schneller und ihr Gesicht war immer noch knallrot. Sie hatte die Polizei noch nie gemocht und hatte, seit sie denken konnte, nur schlechte Erfahrungen gemacht. Einige Male hätte sie deren Hilfe brauchen können, aber die hatte man ihr verweigert. Damals war sie noch jung gewesen und wurde von ihrem damaligen Freund mehrmals misshandelt. Als sie Hilfe bei der Polizei suchte, wimmelte man sie ab. Man wollte sich nicht in Privatangelegenheiten einmischen. Seit damals hatte sie die Polizei gemieden. Erst vor wenigen Wochen nahm sie all ihren Mut zusammen und ging zur Polizei. Aber wieder wurde sie abgewimmelt. Man spürte Friedas Anspannung, als sie das Gebäude betraten. Sie war jetzt nicht mehr so vorlaut und forsch, sondern hielt sich zurück.

Wider Erwarten wurden sie freundlich begrüßt, doch Frieda blieb angespannt.

„Mein Name ist Mario Pini,“ sagte er und legte seinen Personalausweis auf den Tresen. „Ich bin auf der Suche nach meinen Verwandten Giuseppe und Melanie Pini, sowie deren Kinder Laura und Maria. Sie haben bis vor Kurzem in Pfullingen gewohnt.“ Mario beschloss, keine weiteren Details zu nennen und erst einmal abzuwarten, wie der Polizist reagieren würde.

„Und was können wir da tun? Wir sind die Polizei und nicht das Einwohnermeldeamt. Wenden Sie sich bitte an die Stadt Pfullingen, denn solange gegen Ihre Familie nichts vorliegt, sind wir nicht zuständig.“

„Das Problem ist, dass meine Familie offensichtlich über Nacht weggezogen ist, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Ich bin davon überzeugt, dass hier etwas nicht stimmt.“

„Setzten Sie sich an Ihren Computer und sehen Sie nach.“ Frieda war sehr ungehalten und konnte sich nicht mehr beherrschen. „Ich war wegen der Familie Pini bereits hier und Sie haben mich weggeschickt, ja das waren genau Sie, junger Mann. Hier ist ein Familienmitglied, das nach seiner Familie sucht und jetzt unternehmen Sie sofort etwas.“

Mario konnte Frieda kaum bremsen und ihm wurde flau im Magen. Wenn man so pampig der Polizei gegenüber war, zog das meist nichts Gutes nach sich. Zu seiner Überraschung ging der Polizist tatsächlich zu seinem Bildschirm, tippte in die Tastatur. Offensichtlich hatte er etwas entdeckt, denn er las interessiert. Er sah zu den beiden hinüber und ging dann auf sie zu.

„Tut mir leid, da können wir nicht helfen, gegen Ihre Familie liegt nichts vor. Auf Wiedersehen.“

„Aber Sie haben doch gerade etwas gefunden und wissen etwas. Was haben Sie auf Ihrem Bildschirm gelesen?“ Frieda hatte den Polizeibeamten genau beobachtet und war sich sicher, dass er Informationen über die Familie Pini hatte, die er nicht weitergeben wollte.

„Nichts, was Sie interessieren dürfte. Und jetzt möchte ich Sie bitten zu gehen, wir können nichts für Sie tun. Ich wiederhole mich zwar, aber gegen die Familie Pini liegt nichts vor und es ist kein Verbrechen, umzuziehen, das steht jedem Bürger frei. Hier ist Ihr Personalausweis. Einen schönen Tag noch, auf Wiedersehen.“

Mario und Frieda standen verstört auf der Straße.

„Ich habe gewusst, dass man uns nicht helfen möchte. Es ist immer dasselbe!“, machte sich Frieda Luft.

„Was machen wir jetzt?“ Mario sah die Verzweiflung in Friedas Augen, die sich nun noch mehr Sorgen machte.

„Ich habe keine Ahnung.“

Leo Schwartz war seit den frühen Morgenstunden in Pfullingen. Er hatte vor dem Haus der Familie Pini Stellung bezogen und wartete. Wer war in dem Haus der Familie gewesen? Er hatte drei unscharfe Aufnahmen übermittelt bekommen, die einen Mann und eine alte Frau zeigten. Wer waren die beiden? Als Frieda und Mario aus dem Nachbarhaus kamen, erkannte er die beiden sofort. Wer waren sie und was wollten die beiden gestern Abend im Pini-Haus? Er folgte ihnen. Als die beiden den Supermarkt verließen, dachte er sich noch nichts dabei. Aber bei den Stadtwerken wurde er hellhörig. Er wusste aus den Unterlagen, dass Giuseppe Pini hier gearbeitet hatte. Als die beiden dann auch noch das Albert-Einstein-Gymnasium betraten, war er überzeugt: Die beiden waren auf der Suche nach der Familie Pini. Aber warum? Er hatte schnell herausgefunden, dass es sich bei der alten Frau um Frieda Votteler handelte, die Nachbarin der Pinis. Sie hatte bereits ohne Erfolg nach der Familie gesucht und hatte aufgegeben, als sie keine Informationen bekam. Wer war der Mann? Leo war für einen Moment versucht, im Gymnasium nachzufragen, was die beiden hier suchten, verwarf das dann aber schnell wieder, denn die beiden gingen weiter. Wohin wollten sie jetzt? Zur Polizei! Die beiden gingen zielgerichtet zur Polizei, er konnte sein Glück kaum fassen. Er wartete wenige Minuten, bis die beiden das Polizeigebäude verließen, und ging dann selbst hinein. Er zeigte seinen Ausweis vor.

„Eine Frieda Votteler war eben in Begleitung hier. Ich habe zwei Fragen: Wer war der Mann und was wollten die beiden?“

„Der Mann ist ein gewisser Mario Pini. Er gab an, ein Verwandter der Familie Pini zu sein, die kürzlich umgezogen ist. Ich konnte den beiden keine Auskunft geben, da ein entsprechender Vermerk im Computer hinterlegt ist.“

„Ich weiß, den habe ich selbst veranlasst. Kann ich Ihren Computer benutzen?“

„Bitte.“

Leo brauchte eine knappe Stunde, um alle Informationen über Mario Pini herauszufinden. Mario war der Neffe von Giuseppe und Melanie Pini und befand sich noch bis vor drei Tagen in Venezuela. Warum war er hier? Was wollte er hier? Leo hoffte, dass der Mann keine Schwierigkeiten machte.

Leo stieg in seinen Wagen. War er hier auf der richtigen Spur nach Jürgen Knoblich? Der Entflohene hatte einen persönlichen Bezug zur Familie Pini, den er noch vor wenigen Wochen als sehr weit hergeholt einstufte. Aber er hatte außer einigen zwielichtigen Kumpanen Knoblichs keine andere Spur. Er war vor drei Monaten selbst überrascht darüber, dass die Familie Pini bei Nacht und Nebel einfach umgezogen war. Natürlich hatte er versucht, herauszufinden, wo die Familie abgeblieben war. Leider erfolglos. War er hier auf der richtigen Spur oder lag er völlig falsch?

Leo beschloss, Mario Pini und Frieda Votteler auf den Fersen zu bleiben. Mal sehen, was die beiden über die Familie Pini herausfanden.

4.

Mario wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf, er hatte einen schrecklichen Alptraum. Es war erst halb zwei und er versuchte lange erfolglos, wieder einzuschlafen. Er warf sich von einer Seite auf die andere, zupfte an der Decke, schüttelte mehrmals sein Kissen auf. Es half nichts, er fand keinen Schlaf mehr. Er stand auf und ging in die Küche, um einen Schluck Wasser zu trinken. Zu seinem Erstaunen saß Frieda in Nachthemd und Strickjacke am Tisch und strahlte ihn an.

„Raus damit, was willst du mir sagen?“

„Das Haus, Mario. Es gehört doch bestimmt immer noch den Pinis.“

Mario verstand sofort. Natürlich! Das Haus! Es musste doch einen Grundbucheintrag geben, und somit vielleicht auch eine neue Anschrift.

„Frieda, du bist ein Schatz. Gleich morgen gehen wir aufs Grundbuchamt. Und nun sieh zu, dass du ins Bett kommst.“

Ihre Lage schien nun nicht mehr ganz so verzweifelt.

Natürlich wusste Frieda, dass das Grundbuchamt in Pfullingen vom Notariat verwaltet wurde und das öffnete um acht Uhr.

„Meinst du, dass wir so ohne weiteres Auskunft bekommen?“ Mario war sich nun nicht mehr so sicher, dass das so eine gute Idee war. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie an die erforderliche Information kommen könnten.

„Natürlich bekommen wir die Information nicht einfach so, du Dummerle. Es könnte ja Hinz und Kunz kommen und mir nichts, dir nichts Einblick ins Grundbuch nehmen. Du musst schon einen triftigen Grund dafür haben. Als Eigentümer hast du natürlich allen Grund dazu, und natürlich als Gläubiger. Ich hatte heute Nacht so eine Idee. Wenn du dich als Eigentümer ausgibst, haben wir wahrscheinlich keine Chance. In dem Fall müsstest du deinen Ausweis vorlegen und weder dein Vorname, noch dein Geburtsdatum stimmen mit den Angaben deines Onkels im Grundbuch überein. Nein, das können wir vergessen, das würde überhaupt nichts bringen. Ich habe deshalb überlegt, ob ich nicht einen fingierten Schuldschein vorlege und behaupte, dass ich von den Pinis noch Geld bekomme und deshalb auf der Suche nach ihnen bin. Heute Nacht habe ich einen Schuldschein handschriftlich verfasst, es fehlt nur noch eine glaubhafte Unterschrift. Die kann ich nicht nachmachen, das würde man sofort sehen, darin bin ich völlig unbegabt.“

Mario war platt. Frieda war ein ausgebuffter, schlauer Fuchs und mit allen Wassern gewaschen. Er las den fingierten Schuldschein über 25.000 Euro, nahm den ihm gereichten Stift und unterzeichnete mit Giuseppe Pini. Diese Unterschrift müsste der seines Onkels ähnlich sein. Er hatte sie früher sehr oft gesehen und sich darüber lustig gemacht, denn Giuseppe vertrat die Meinung, dass man eine Unterschrift auch lesen können sollte, und unterschrieb daher fast in Schreibschrift, ähnlich wie ein Viertklässler.

Frieda nahm das Schriftstück entgegen, sah sich die Unterschrift an und schien zufrieden.

„Woher weißt du das alles?“ Mario war erstaunt über Friedas Kenntnisse, was das Prozedere von Grundbucheinträgen betrifft.

„Ich lebe schon lange genug, um mir ein bisschen Wissen angeeignet zu haben und ganz doof bin ich auch nicht.“

„Die Idee ist super. Aber hast du nicht nur Anspruch auf Einsicht, wenn du auch im Grundbuch eingetragen bist?“

„Wahrscheinlich schon. Aber es wäre eine Möglichkeit, zumindest in die Nähe der Unterlagen zu kommen. Vielleicht haben wir Glück, wir werden sehen. Auf jeden Fall haben wir einen Grund, warum wir die Familie Pini suchen. Du hältst besser den Mund und lässt mich reden. Und kein Wort darüber, dass du mit den Pinis verwandt bist. Du bist mein Sohn und damit basta. Und jetzt hopp-hopp, wir haben keine Zeit.“

Frieda und Mario wurden freundlich begrüßt und die beiden brachten ihr Anliegen vor. Die Empfangsdame verstand, bat um Friedas Personalausweis.

„Bitte nehmen Sie im Wartezimmer Platz.“

Schweigend und sehr nervös mussten sie warten. Nach knapp zwanzig Minuten kam der Notarangestellte, begrüßte die beiden höflich und gab Frieda ihren Personalausweis zurück. Marios wollten sie nicht sehen, da es Friedas Anliegen war. Er bat die beiden in sein Büro.

„Zum Glück hat der Notar selbst keine Zeit. Ich kenne den Mann, er ist korrekt und ein harter Brocken. Mit dem jungen Mann könnten wir Glück haben,“ sagte Frieda zu Mario, als sie dem Mann folgten. Sie hatte darauf gehofft, dem Notar selbst nicht über den Weg zu laufen, denn die beiden kannten sich seit vielen Jahren. Der Notar hatte die Angewohnheit, nicht vor halb neun im Büro zu sein, und deshalb wollte Frieda vor ihm eintreffen. Nur so hatte sie eine Chance, nicht ihn, sondern seinen Mitarbeiter sprechen zu können. Sie setzten sich in dem schlichten, sauberen Büro.

„Meine Kollegin hat Ihr Anliegen geschildert und ich kann Sie verstehen. Ich vermute, dass Sie die Familie Pini privat finanziell unterstützt haben?“

„Sie hatten einen Engpass und ich half gerne. Ich brauchte das Geld nicht und habe es der Familie Pini gerne geliehen. Warum auch nicht? Ich kenne die Familie schon lange und habe ihnen vertraut. Aber jetzt ist die Familie Hals über Kopf weggezogen und ich habe bis heute kein Geld zurückbekommen. Das geht doch nicht, dass man einfach abhaut und seine Schulden nicht bezahlt. Ich suche seit Wochen nach einer Möglichkeit, die neue Adresse der Pinis herauszubekommen. Niemand kann mir sagen, wo die Familie Pini jetzt lebt. Mein Sohn hat mich auf die Idee gebracht, eventuell beim Grundbuchamt nachzufragen. Können Sie mir sagen, wo die Familie Pini aufzufinden ist? Ich habe nur eine schmale Rente und kann natürlich nicht auf dieses Geld verzichten, denn 25.000 Euro sind schließlich 50.000 Mark. Das ist für mich sehr viel Geld. Ich wollte nur helfen und wurde nur ausgenutzt.“ Frieda log, dass sich die Balken bogen, und sprach mit jämmerlicher Stimme. Weinte sie sogar? Mario saß daneben und konnte nicht glauben, wie gut Frieda war.

„Leider ist im Grundbuch kein Eintrag über dieses private Darlehen vermerkt worden. Ihr Schuldschein besagt nicht, dass das Haus als Pfand zur Verfügung steht. Sie haben einfach zu gutmütig gehandelt und ich hoffe, dass das für die Zukunft eine Lehre für Sie ist.“

Der Notarangestellte ärgerte sich über den Vorfall. Offensichtlich hatte er Mitleid mit Frieda. Er blätterte in den Unterlagen und rang sehr mit sich.

„Sie verstehen sicher, dass ich Ihnen keine genaueren Informationen geben darf.“ Er lehnte sich zurück und überlegte. Frieda und Mario konnten sehen, dass der Mann eine Information hatte und tatsächlich daran dachte, sie weiterzugeben. „Die Familie Pini hat die Anschrift eines Maklerbüros in Reutlingen hinterlassen, über die sie zu erreichen ist. Mehr darf ich Ihnen aber wirklich nicht sagen, eigentlich war das schon zu viel.“

Frieda bedankte sich überschwänglich und versicherte dem freundlichen Mann, dass sie in Zukunft vorsichtiger mit ihrem Geld sein würde. Gerade noch rechtzeitig ging sie durch die Tür, bevor sie dem Notar in die Arme lief. Er würde nur dumme Fragen stellen und darauf konnte sie gerne verzichten. Der Notar Diegel hatte Frieda bemerkt. Was wollte sie hier? Eine Angestellte lenkte ihn ab. Danach hatte er die Begegnung vergessen.

„Du bist ein raffiniertes Luder. Die Lügen kommen dir so leicht über die Lippen, dass ich nur staunen kann. Ich an deiner Stelle hätte vor Aufregung nicht einen vollständigen Satz rausbekommen.“

Mario bewunderte Frieda für ihr Temperament, ihren Mut und ihre Schlagfertigkeit, nahm sie in den Arm und bemerkte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Nur langsam beruhigte sie sich wieder, die ganze Sache ging ihr ziemlich nahe. Zum Glück war sie äußerlich ruhig geblieben.

„Wir wollen ja schließlich was erreichen, oder? Und da kommen wir mit zögerlichem Verhalten und falscher Scham nicht weiter. Und jetzt heißt es: Makler abklappern und versuchen, den richtigen zu finden und an die Adresse der Pinis zu kommen.“

Von zu Hause aus telefonierte Mario mit mehreren Maklern, was ihm leichter fiel als von Angesicht zu Angesicht. Am Telefon war er so selbstsicher und geschickt, dass Frieda nur staunen konnte. Er gab sich als Interessent für ein Haus in der Münsinger Straße in Pfullingen aus, natürlich unter dem Namen Votteler, denn den Namen Pini wollte er in diesem Zusammenhang nicht ins Spiel bringen. Schlussendlich hatte er nach endlosen Anläufen endlich den richtigen Makler gefunden.

„Herr Baumüller, Sie sind mein Mann. Ich suche dringend eine Immobilie in der Nähe meiner Mutter und habe erfahren, dass hier in Pfullingen in der Münsinger Straße ein Haus verkauft wird.“