Engelchen... - Irene Dorfner - E-Book
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Irene Dorfner

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Beschreibung

Maja wird gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingeliefert. Von dort kann sie fliehen und eilt nach Hause. Noch bevor sie mit ihrem Mann sprechen kann, beobachtet sie, wie er das Kindermädchen Elena umarmt und küsst. War er für die Einweisung verantwortlich? Will er, dass sie verschwindet? Wo sind ihre Kinder? Sie spürt, dass irgendetwas geschieht, das sie nicht beeinflussen kann. In ihrer Not sucht sie Hilfe bei Kriminalhauptkommissar Hans Hiebler, der Maja von klein auf kennt. Er lässt sich überreden, ihr zu helfen. Dann wird Majas Mann ermordet. Aber das war erst der Anfang…

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Seitenzahl: 351

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Irene Dorfner

Engelchen...

Leo Schwartz ... und Vater Tod

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

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17.

18.

19.

20.

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24.

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28.

29.

30.

31.

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33.

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37.

38.

39.

40.

41.

42.

43.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2016 Irene Dorfner

Copyright überarbeitete 2. Auflage 2021 –

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

www.irene-dorfner.com

All rights reserved.

Lektorat: FTD-Script Altötting

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

VORWORT

„Das Schlimmste, das man der Wahrheit antun kann, ist,

sie zu kennen und

dennoch zu ignorieren.“

Jacques Benigne Bossuet (1627 – 1704)

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des 18. Falles mit Leo Schwartz & Co.!!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

Dienstag, 30. August – 14.30 Uhr

„Guten Abend, gut‘ Nacht, mit Rosen bedacht,…“ sang Maja Ettl leise und streichelte ihrer Tochter Lina dabei über den Kopf. Ihr 4-jähriger Sohn Marco schlief tief und fest und hörte sie nicht. Seinen Teddybären hielt er fest im Arm. Er hatte das Schlafmittel ohne Widerspruch geschluckt, aber die 7-jährige hatte sich gewehrt und eine große Menge wieder ausgespuckt. Wie lange würde es brauchen, bis auch sie endlich schlief? Solange Lina wach war, konnte sie das Feuerzeug nicht zünden. Ihre Tochter hatte sie angefleht, das Feuerzeug wegzulegen. Ahnte sie, was sie vorhatte? Lina war für ihr Alter sehr klug. Sie wollte schon immer alles ganz genau wissen und beobachtete alles um sich herum. Noch bevor sie im letzten Jahr eingeschult wurde, kannte sie alle Buchstaben auswendig, ohne dass sie jemand dazu drängte. Auch Zahlen und Farben waren ihr vertraut. Wie sehr hätte sie ihrer Tochter gewünscht, dass sie ihren Weg ginge und alles erreichen würde, was sie sich vornahm. Aber nicht in dieser schlechten, herzlosen Welt, die sich einen Dreck um ihre Tochter, geschweige denn um ihren Sohn scherte. Marco war Autist, aber das hatte sie nie gestört. Ihr Sohn lebte nun mal in seiner eigenen Welt und das hatte jeder zu akzeptieren. Marcos Betreuung traute sie niemandem zu. Niemand würde sich um die Pflege und Förderung kümmern, die er brauchte. Vor allem würde niemals jemand ihre Kinder so sehr lieben, wie sie es tat. Sie war die Mutter der beiden und das wollte man ihr wegnehmen. Sie fühlte sich dazu verpflichtet, sie vor der grausamen Welt zu schützen.

„Weißt du wieviel Sternlein stehen,…“ schloss sie das nächste Schlaflied nahtlos an, denn Lina wollte immer noch nicht schlafen. Das Mädchen hatte einen starken Willen und wehrte sich vehement gegen den Schlaf. Aber das würde ihr nichts nützen. Irgendwann schlief sie ein und so lange musste Maja warten. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter die Explosion mitbekam, das wollte sie ihr nicht zumuten. Vielleicht brauchte sie das Feuerzeug nicht und das ausströmende Gas würde alle drei still und leise töten. Das wäre die einfachste Lösung, aber das war ihr sicher nicht vergönnt. Die Küche war offen gestaltet und die angrenzenden Räume waren riesig. Bis sich das hier mit Gas füllte, brauchte es sehr lange. Zu lange! Draußen stand der Feind und es war nur eine Frage der Zeit, wann man sich gewaltsam Zugang verschaffen würde. Die Zeit drängte, aber das durfte sie sich nicht anmerken lassen. Je ruhiger sie blieb, desto schneller schlief ihre Lina ein.

Alle drei saßen auf dem Küchenboden des schmucken Einfamilienhauses in Mühldorf am Inn, das sie und ihr Mann zur Hochzeit vor sieben Jahren von ihren Schwiegereltern geschenkt bekamen. Alles sah nach außen hin rosig aus und die kleine Familie führte ein Bilderbuchleben, um das sie viele beneideten. Aber niemand kannte die Wahrheit. Alle hatten ihnen die Komödie abgenommen. Seit ihr Schwiegervater tot war, war es ruhig geworden. Trotz seines Todes war sie erleichtert und hatte wieder zuversichtlich in die Zukunft geblickt. Anfangs war sie skeptisch, ob die Fassade trotz des Todes des tyrannischen Familienoberhauptes aufrechterhalten werden konnte oder ob nicht doch ein Funken Wahrheit an die Oberfläche gespült wurde. Aber nichts geschah. Alles lief einfach weiter. Und sie fing an, ihr Leben zu genießen und die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Vor drei Wochen begann der Alptraum und ihr Leben fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Maja hatte keine Kraft mehr und musste dem allen ein Ende setzen. Sie konnte nicht mehr kämpfen. Vor allem nicht gegen einen scheinbar übermächtigen Feind, von dem sie nicht einmal wusste, wer es war. Egal. Wer auch immer sie vernichten wollte, hatte gewonnen. Sie gab auf. Aber ihre Kinder hatte sie bei sich und sie beschloss, sie mit sich zu nehmen.

Endlich wurde Lina ruhiger und Maja griff langsam zum Feuerzeug, wobei sie darauf achtete, dass ihre Tochter nichts davon mitbekam.

Nur noch wenige Augenblicke, und sie hatte endlich Ruhe.

2.

Vor dem Haus in der Ahornstraße war viel los. Neben Polizei, Krankenwagen und vielen Schaulustigen hatten sich auch die Beamten der Kriminalpolizei Mühldorf eingefunden. Während Polizei und Feuerwehr hauptsächlich damit beschäftigt waren, die Straße zu räumen und die Anwohner und Schaulustigen zum Weggehen zu bewegen, suchten die Kriminalbeamten verzweifelt nach einem Weg, irgendwie ins Haus zu kommen. Der Strom wurde längst abgedreht, aber die Gasleitung war immer noch nicht gekappt worden.

„Wie lange dauert das denn noch,“ sagte Leo Schwartz verärgert. Der 51-jährige, gebürtige Schwabe stach auch heute wieder nicht nur durch seine Größe von 1,90 m hervor, sondern durch ein schwarzes T-Shirt, auf dem ein neofarbener Kopf eines unbekannten Freiheitskämpfers prangte. Vor allem die sonnenverbrannte Haut, die sich inzwischen von Kopf und Armen ablöste, sowie die Badelatschen, zogen alle Blicke auf sich. Aber das war alles nebensächlich und interessierte Leo nicht.

Es war heiß, sehr heiß. Für Ende Juni nicht ungewöhnlich, aber die Hitze erschwerte die Arbeit.

„Die Gaswerke sind dran,“ sagte Werner Grössert äußerlich gefasst, aber innerlich brodelte es. Dem 40-Jährigen schien die Hitze nichts auszumachen, denn auch heute sah er wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Er trug wieder einen sündhaft teuren, modernen Anzug, dessen Stoff in der Sonne glänzte. Werner machte sich große Sorgen, denn er kannte Maja persönlich. Für ihn stellte sich nicht die Frage, warum sie ihrem Leben ein Ende setzen und ihre Kinder mitnehmen wollte, er konnte sie irgendwie verstehen. Man hatte ihr übel mitgespielt und das war das Resultat. Erneut ging er die Pläne des Hauses durch und suchte mit Hochdruck nach einem Weg, irgendwie doch noch ins Haus zu gelangen. Hans Hiebler stand ihm zur Seite. Den 55-jährigen Junggesellen umgab wieder ein betörender Herrenduft. Außerdem war er braungebrannt und trug zu seinem weißen Leinenhemd Jeans und Slipper, alles farblich aufeinander abgestimmt. Hans machte sich von allen die größten Sorgen, denn Maja hatte bei ihm Hilfe gesucht und er hatte in seinen Augen kläglich versagt. Er kannte die 41-jährige Frau von klein auf. Sie wuchs auf einem der Nachbarbauernhöfe auf, die an seinen grenzten. Ihn und Maja trennten zwar viele Jahre, aber trotzdem lief man sich immer wieder über den Weg.

„Das Haus ist wie eine Festung gebaut,“ sagte Werner verzweifelt. „Die Fenster können wir vergessen, die sind alle vergittert. Die Haustür ist so solide, dass man sie sprengen müsste. Und der Keller ist von außen nur durch die Garage zu erreichen.“

„Was ist mit dem Garagentor?“

„Das ist verschlossen und müsste aufgeschweißt oder ebenfalls gesprengt werden. Das ist doch nicht zum Aushalten! Wir kommen nicht ins Haus!“

„Wo bleibt Susanne Ettl? Sie müsste doch schon längst hier sein!“, rief Leo verärgert. Seit die Mühldorfer Kripo den Abschiedsbrief gefunden hatte, suchten sie mit Hochdruck nach der Schwägerin, die sich offensichtlich in der Schweiz aufhielt. Aber wo? Nur sie hatte einen Hausschlüssel. Und nur sie konnte vielleicht zu ihrer Schwägerin durchdringen und sie zur Aufgabe überreden. Die Polizei hatte alle möglichen Freunde aufgetrieben, die vergeblich versucht hatten, Maja von ihrem Vorhaben abzuhalten. Eigene Familienangehörige hatte Maja nicht. Außer ihrer Schwägerin Susanne war niemand übriggeblieben.

Keiner zweifelte daran, dass Maja ihr Vorhaben durchziehen wollte.

Maja interessierte nicht, was vor ihrem Haus ablief. Sie wartete nur darauf, dass ihre Tochter endlich einschlief. Vorher konnte sie das Feuerzeug nicht betätigen. Sie spürte das Gas, das sich immer mehr ausbreitete. Ein einziger Funke würde genügen. Nur ein einziger Funke und dann war endlich alles vorbei.

Linas Augen wurden schwerer und schwerer. Maja sang unvermittelt weiter. Seltsam. Gerade jetzt fielen ihr alle Schlaflieder ein, die sie jemals gehört hatte. Dabei war es ihr gleichgültig, ob sie die Liedtexte richtig wiedergab. Es war nur wichtig, dass sie weitersang und ihre Tochter endlich einschlief.

3.

Vier Wochen vorher.

Mittwoch 3. August

„Ich brauche keinen Arzt, mir geht es gut,“ wehrte sich Maja gegen die festen Griffe der beiden Sanitäter, die sie sanft, aber bestimmt aus dem Bett zogen. Sie hatte keine Chance gegen die beiden und musste sich geschlagen geben. Schon seit Tagen fühlte sie sich schlapp und hatte keinen Appetit. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie ihren Mann, der neben der Tür stand.

„Sandro, hilf mir,“ flehte sie ihren Mann an. Aber der schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf.

„Es ist besser so Liebes, glaub mir,“ flüsterte er.

„Lina und Marco,“ bäumte sie sich von der Trage auf und wurde sofort unsanft wieder zurückgedrückt.

„Ich kümmere mich um die beiden, mach dir keine Sorgen,“ sagte Sandro Ettl. Seine Frau so zu sehen, schnürte ihm die Kehle zu. Maja war immer stark gewesen und darum hatte er sie immer bewundert. Er war nie so stark wie sie. Er hielt sich lieber im Hintergrund und ließ andere vorpreschen. Außerdem hasste er Probleme. Er ging allem Unangenehmen aus dem Weg. Dafür hatte er seine Maja, die wie ein Fels in der Brandung immer parat stand, wenn es Schwierigkeiten gab. Aber seit Tagen erkannte er seine Frau nicht wieder. Sie lag nur noch im Bett, aß und trank nichts und faselte nur dummes Zeug. Es war richtig gewesen, Hilfe zu holen.

Der Arzt entschied, Maja zu fixieren, woraufhin sie ihn anstarrte.

„Das ist zu Ihrem Besten,“ sagte er nur. Dr. Salzberger konnte nicht riskieren, dass die an sich körperlich kräftige Frau durch eine Unachtsamkeit von der Trage fiel. Die Folgen wären für ihn katastrophal. Er hatte versprochen, sich um die Patientin zu kümmern, wofür er fürstlich belohnt wurde. Zur Sicherheit gab Dr. Salzberger der Patientin, die er bis dato persönlich nicht kannte, eine Beruhigungsspritze. Sie wirkte schnell und er konnte sie endlich abtransportieren lassen.

Sandro Ettl sah dem Krankenwagen hinterher. Er fragte nicht, wohin seine Frau gebracht wurde, es war ihm im Moment auch egal. Geschockt von dem Zustand seiner Frau und dem, was er die letzten Tage beobachten musste, stand er einfach nur da und beantwortete die Fragen Dr. Salzbergers.

„Wer hat den Notarzt alarmiert?“

„Unser Kindermädchen Elena fand meine Frau in diesem Zustand. Sie bekam es mit der Angst zu tun und hat mich im Büro angerufen. Meine Mutter hat alles weitere in die Wege geleitet.“

Dr. Salzberger machte eifrig Notizen.

„Was ist mit meiner Frau?“

„Das finden wir heraus, machen Sie sich keine Sorgen. Nimmt Ihre Frau Medikamente?“

„Keine Ahnung. Müsste ich nachsehen,“ murmelte Sandro Ettl, ohne Anstalten zu machen, sich zu bewegen.

„Wenn Sie das bitte tun würden?“ Als sich Sandro Ettl immer noch nicht rührte, fügte er hinzu: „Es ist sehr wichtig.“

Wie ferngesteuert setzte er sich in Bewegung und ging ins Bad. Die Hausapotheke war übersichtlich und bestand aus den üblichen Medikamenten eines Durchschnittsbürgers. Und aus einigen Naturheilmitteln, die keine Gefahr darstellten.

„Vielleicht im Schlafzimmer?“, bohrte Dr. Salzberger nach. Er hatte kein Mitleid mit Herrn Ettl, dafür hatte er schon viel zu viel Elend gesehen.

Sandro ging ins Schlafzimmer und öffnete die Schublade des Nachttisches seiner Frau. Erschrocken starrte er auf den Inhalt. Das alles soll seine Frau eingenommen haben?

„Was ist das für Zeugs?“

„Schlafmittel, Psychopharmaka, Schmerzmittel,“ sagte Dr. Salzberger und machte sich eifrig Notizen. „Leidet Ihre Frau an Angstzuständen? War sie in Behandlung?“

„Nein!“, rief Sandro viel zu laut. „Meine Frau war bis vor zwei Wochen kerngesund. Das hier passt nicht zu ihr. Maja hasste Medikamente und würde dieses Teufelszeugs niemals anrühren. Woher hat sie das?“

„Beruhigen Sie sich,“ sagte Dr. Salzberger. „Nur noch eine Frage, dann bin ich weg. Wer ist der Hausarzt Ihrer Frau?“

„Sie vertraut Ärzten nicht. Sie gibt ihnen die Schuld am Tod ihrer Eltern. Ihrer Meinung nach wurden sie falsch behandelt und sind deshalb gestorben. Seit ich Maja kenne, geht sie zu einem Heilpraktiker. Auch unsere Kinder vertraut sie keinem Arzt an, weshalb es immer wieder Streit in der Familie gab.“

„Welcher Heilpraktiker?“

„Sein Name ist Philipp Zach. Er hat seine Praxis in Ampfing in der Bahnhofstraße. Was ist los mit Maja?“ Sandro sah Dr. Salzberger flehend an. Wartete er wirklich auf eine Antwort? Sollte er eine Diagnose aus dem Handgelenk schütteln? Er hatte keine Antwort für den Mann seiner Patientin. Stattdessen hielt er ihm das Klemmbrett vor.

„Unterschreiben Sie bitte hier und hier. Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Frau ist bei mir in den besten Händen. Ich werde mich persönlich um sie kümmern. Sobald ich eine Diagnose habe, melde ich mich bei Ihnen. Bis dahin bitte ich Sie, Geduld zu haben.“

Sandro nahm seine Jacke und machte Anstalten, den Arzt zu begleiten.

„Sie bleiben hier. Kümmern Sie sich um die Kinder. Soll ich Ihnen etwas zur Beruhigung hierlassen?“

Sandro schüttelte den Kopf und Dr. Salzberger verabschiedete sich und verschwand, so schnell er konnte.

Dr. Salzberger wählte die eingespeicherte Nummer, die ganz oben auf seiner Liste stand.

„Die Patientin ist auf dem Weg in meine Klinik.“

„Sehr gut. Wie ist ihr Zustand?“

„Augenscheinlich schlecht, sie stand unter starken Beruhigungsmitteln. Physisch ist sie in sehr gutem Zustand, sie wird sich schnell erholen.“

„Dann sehen Sie zu, dass das nicht geschieht. Ich brauche ein Gutachten, das jeder Prüfung standhält.“

„Ich kümmere mich darum.“

„Gut. Die vereinbarte Zahlung habe ich angewiesen.“

4.

Maja Ettl verstand kein Wort von dem, was die Menschen an ihrem Bett miteinander sprachen. Wo war sie? Und was war hier los? Sie versuchte, sich zu bewegen, aber das gelang ihr nicht. Reiß dich zusammen! Sie konzentrierte sich nur auf ein Gesicht, das sich dicht über sie beugte. Wer war das? Ein Mann. War er es? Panik stieg in ihr auf. Dann spürte sie einen Schmerz an ihrem Arm. Sie kämpfte gegen den Schlaf an und musste sich ihm geschlagen gegeben.

Sie kam wieder zu sich und sah sich um. Die Sonne schien und wenn sie sich konzentrierte, konnte sie die Vögel singen hören. Wo war sie?

Reiß dich zusammen!

Sie saß in einem Rollstuhl in einem Garten, den sie nicht kannte. Neben ihr saß eine Frau und las in einem Buch. War das ein Buch? Nein, sie tippte in ein Handy! Maja bemühte sich zu sprechen, was ihr nicht gelang. Ihre Kieferknochen gehorchten ihr nicht und ihre Zunge war so dick angeschwollen, dass sie den ganzen Mundraum ausfüllte. Sie versuchte, ihre Hände zu bewegen, die reglos in ihrem Schoß lagen. Nur der Zeigefinger der rechten Hand gehorchte ihr, alle anderen Glieder waren bleischwer und sie war nicht in der Lage, sie zu bewegen. Die Frau blickte von ihrem Handy auf und lächelte sie an. Maja bemühte sich, mit ihren Augen zu sprechen. Ob die Frau sie verstand? Offensichtlich nicht, denn sie widmete sich wieder ihrem Handy. Unter größter Anstrengung versuchte Maja, ihre Glieder zu bewegen, bis sie schließlich erschöpft aufgab.

„Gehen wir rein, Sie sehen müde aus,“ sagte die Frau, stand auf und schob sie in ein ihr unbekanntes, großes Haus. Wo war sie hier? War das die Realität oder träumte sie nur? Maja versuchte, die Umgebung wahrzunehmen. Je länger sie durch die Gänge geschoben wurde, desto mehr war sie davon überzeugt: Das war ein Krankenhaus! Was zum Teufel machte sie in einem Krankenhaus? Sie war noch nie in ihrem Leben krank gewesen und hatte es sogar bei den Entbindungen ihrer Kinder strikt abgelehnt, in ein Krankenhaus zu gehen. Ihre Kinder! Wo waren sie? Ging es ihnen gut? Sie wurde unruhig, was die Frau, die sie nun in ein Bett legte, zu bemerken schien.

„Bleiben Sie ruhig, Frau Ettl. Alles ist in Ordnung. Ich gebe Ihnen eine Spritze und dann können Sie sich ausruhen.“

Hilflos musste Maja mit ansehen, wie die Frau eine Injektion in die Kanüle in ihrem Handrücken spritzte. Sie wollte sich wehren, hatte aber keine Kraft. Sie spürte, dass sie langsam müde wurde. Nein, sie durfte nicht schlafen! Sie wollte wach bleiben und versuchen, hier irgendwie wegzukommen.

„Sehen Sie Frau Ettl, alles wird gut. Schlafen Sie! Ich sehe ab und zu nach Ihnen. Hier bei uns sind Sie in besten Händen. Dr. Salzberger kommt morgen und kümmert sich um Sie. Nicht mehr lange, und es wird Ihnen bessergehen.“

Maja hörte die letzten Worte der Fremden nicht mehr und fiel in einen traumlosen Schlaf.

5.

„Wo ist meine Frau?“, rief Sandro Ettl ins Telefon. „Ich möchte sie sehen!“

„Das kann ich leider nicht erlauben. Besuche sind in dem momentanen Zustand Ihrer Frau nicht angeraten.“

„Ich bin der Ehemann und ich bestehe darauf, meine Frau besuchen zu dürfen.“ Sandro war außer sich. Maja war seit drei Tagen weg und er vermisste sie. Die Kinder fragten ständig nach ihr und er wusste nicht mehr, was er ihnen sagen sollte. Gestern früh erfuhr er von seiner Mutter, wo Maja hingebracht wurde. Er war überrascht, dass sie in einer Privatklinik am Chiemsee war. Eine vernünftige Erklärung bekam er von seiner Mutter nicht. Sie betonte immer nur, dass Maja dort in besten Händen sei. Seine Mutter gab sich fürsorglich und das machte ihn misstrauisch. Vor allem, weil sie und Maja sich noch nie verstanden haben. Hatte er seine Mutter falsch eingeschätzt? Sorgte sie sich mehr um Maja, als er es erwartet hatte? Nachdem Sandro mehrmals vergeblich versucht hatte, Dr. Salzberger telefonisch zu erreichen, war er heute früh zum Chiemsee gefahren, der nur knapp eine Stunde entfernt war. Man hatte ihn nicht zu seiner Frau gelassen. Ging es ihr so schlecht? Was zum Teufel war mit ihr los? Wütend und voller Sorge fuhr er unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Dabei nahm er sich fest vor, sich nicht mehr abwimmeln zu lassen. Er bestand darauf, mit Dr. Salzberger zu sprechen, was ihm nach mehreren Anläufen endlich gelang.

„Ich verstehe Ihre Sorgen, Herr Ettl. Aber in erster Linie muss ich an Ihre Frau denken. Sie braucht absolute Ruhe, die wir ihr zugestehen sollten. Besuche kann ich noch nicht erlauben. Ich melde mich bei Ihnen.“

„Wenn ich bis morgen früh keine Informationen von Ihnen bekomme, hetze ich die Polizei und die Presse auf Sie.“ Noch während Sandro sprach, wusste er bereits, dass er das niemals tun würde. Am Telefon war er stark, aber der Mut verließ ihn schnell wieder.

Dr. Salzberger legte auf und atmete tief durch. Wie lange würde sich Sandro Ettl noch hinhalten lassen? Er konnte den Aufenthalt der Patientin in seiner Klinik ohne schlechtes Gewissen verantworten, obwohl die Medikation an der Grenze war. Was sollte er tun? Ihm waren die Hände gebunden.

„Der Ehemann macht Schwierigkeiten,“ sagte Dr. Salzberger, nachdem er die vertraute Nummer gewählt hatte. „Er drängt auf einen Besuch und droht mit Polizei und Presse.“

„Sandro? Nie im Leben! Der spielt sich nur auf. Machen Sie Ihre Arbeit und belästigen Sie mich nicht mit Kleinigkeiten.“

„Polizei und Presse sind für mich keine Kleinigkeiten. Mein guter Ruf und der meiner Klinik steht auf dem Spiel.“

„Wenn Sandro zur Polizei gehen will, was ich bezweifle, dann soll er das tun. Was kann er schon ausrichten? Sie sind der Arzt und entscheiden, ob die Patientin Besuch empfangen kann, oder nicht. Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Und die Presse hat ganz sicher kein Interesse an einem Krankheitsfall. Was macht das Gutachten?“

„Der Termin ist am 10. August. Ich habe einen der renommiertesten Fachärzte gewinnen können: Dr. Aicher. Seine Gutachten wurden vor Gericht noch nie angezweifelt.“

„DER Dr. Aicher aus Trier?“

„Genau der,“ sagte Dr. Salzberger nicht ohne Stolz. „Jetzt gilt es, die Patientin darauf vorzubereiten, dass Dr. Aicher das attestiert, was wir uns wünschen.“

„Das ist Ihre Aufgabe und dafür werden Sie fürstlich belohnt. Der Termin am 10. August ist perfekt.“

„Sie können sich nicht vorstellen, was ich unternommen habe, um Dr. Aicher für unsere Sache zu gewinnen.“

„Auch dafür werden Sie bezahlt.“

„Ihnen ist klar, dass die Patientin nach dem Gutachten und dem zu erwartenden Gerichtsentscheid die nächsten Jahre ihres Lebens in geschlossenen Anstalten verbringen wird?“

„Ja, das wird wohl so sein. Armes Ding! Aber das ist nicht mein Problem. Ich brauche dieses Gutachten und dafür müssen Opfer gebracht werden.“

Dr. Salzberger hatte einen Anflug von Skrupel. Seit Dr. Aicher zugesagt hatte, bekam er nach anfänglicher Euphorie Bauchschmerzen. Was, wenn der Spezialist den Schwindel durchschaute? Dann wäre er ruiniert und würde nie wieder seinen Beruf ausüben können. Welche andere Wahl hätte er denn?

Die Schadensersatzansprüche aus einem Behandlungsfehler, den er aus seiner Sicht nicht zu verantworten hatte, brachen ihm das Genick. Er hatte alles beleihen müssen, was in seinem Besitz war, um die horrende Summe begleichen zu können. Und dann war die Heizung seiner kleinen Privatklinik kaputtgegangen. Wie hätte er die Reparatur, geschweige denn eine neue Heizung bezahlen sollen? Die Bank gab ihm keinen Cent mehr und Freunde hatte er keine, die er um Geld bitten konnte. Das würde er auch nie wagen, dafür schämte er sich zu sehr. Er hatte sich in den Jahren einen sehr guten Ruf erarbeitet, den er durch einen finanziellen Engpass nicht aufs Spiel setzen wollte. Aber die Geldsorgen lasteten schwer auf ihm und er würde nicht mehr lange durchhalten können. Als er schon aufgeben wollte, bekam er dieses verlockende Angebot, dem er nicht widerstehen konnte. Mit der Summe könnte er eine Heizung und sogar einen kleinen Urlaub finanzieren, den er sich redlich verdient hatte. Hoffentlich lief alles so, wie er es sich vorstellte. Er nahm die Akte Maja Ettl und besah sich die Medikamentenliste, die Dr. Aicher natürlich niemals zu Gesicht bekam. Für ihn lag bereits eine Akte für die Patientin bereit, an der er lange gearbeitet hatte. Dr. Salzberger schüttelte langsam den Kopf. Die Medikation musste bis zum Eintreffen Dr. Aichers zurückgeschraubt werden, um sie dann kurzfristig wieder zu erhöhen. Nur so konnte gewährleistet werden, dass die Patientin so reagierte, wie sie sollte. Er gab sofort eine entsprechende Anweisung an die Pflegekraft Silke.

6.

Wie viel Zeit war vergangen? Maja war erstaunt, dass ihre Gedanken immer klarer wurden, und dass sie ihren Körper mehr und mehr unter Kontrolle bekam. Sie achtete darauf, dass die Frau, die sich um sie kümmerte, ihre Veränderung nicht bemerkte. Sie hatte aus dem letzten Vorfall gelernt und musste sich davor hüten, sich irgendwie auffällig zu benehmen. Sie wusste, dass sie dann wieder ruhiggestellt wurde, und das durfte sie nicht riskieren. Sie musste jetzt taktisch klug vorgehen und durfte nicht unüberlegt handeln. Die Pflege ließ sie über sich ergehen. Auch, dass sie gefüttert wurde, nahm sie hin. Sie achtete darauf, sich so zu benehmen, als sei sie nicht ganz bei sich, obwohl sie klarer und klarer wurde. Sie benahm sich wie eine hilflose Patientin, und diese Schwester nahm ihr das ab. Die Stunden vergingen und ihr ging es langsam immer besser.

Schwester Silke wunderte sich zwar darüber, dass sich die Patientin trotz der Herabsetzung der Medikamente sehr ruhig verhielt, schob das dann aber auf ihre Erkrankung. Frau Ettl war nach den wenigen Tagen ihres Aufenthalts zu einer ihrer Lieblingspatienten geworden. Schwester Silke hatte mitbekommen, dass morgen Dr. Aicher erwartet wurde, der ein Gutachten über die Patientin Ettl erstellen wollte. Warum diese Eile? Normalerweise würde die Patientin lange behandelt, bevor ein Gutachten erstellt wurde. Sie besah sich die Akte genauer. Bis jetzt wurden bei der Patientin nur wenige Untersuchungen vorgenommen, wobei nichts herauskam. Das war ungewöhnlich. Bis Samstag wurden zu den Medikamenten, die sie der Patientin gab, von Dr. Salzberger persönlich weitere Medikamente verabreicht. Was war nur mit der Frau? Warum wurde sie mit so vielen, starken Medikamenten ruhiggestellt? Bisher hatte sie nicht den Eindruck, dass das nötig war. Aber sie war nur Krankenschwester und keine Ärztin. Seit Sonntag wurden die Medikamente auf ein Minimum reduziert, aber trotzdem änderte sich der Zustand der Patientin nicht. Sie schlief und war apathisch wie die Tage zuvor. Schwester Silke hoffte auf das Gutachten von Dr. Aicher. Sobald er die Patientin untersucht hatte, ging es mit ihr sicher schnell wieder bergauf. Sie sah sich die schlafende Patientin lange an. Dann wurde sie zu einem Notfall gerufen.

Maja war wach und tat nur so, als würde sie schlafen. Wann ging die Frau endlich? Nicht mehr lange, und sie würde sich verraten. Sie fühlte sich immer besser. Letzte Nacht ging sie einige Schritte im Zimmer auf und ab, was sehr anstrengend war. Aber sie biss die Zähne zusammen und zwang sich dazu, denn der Kreislauf hatte durch das ständige Liegen sehr gelitten. Sie musste wieder zu Kräften kommen, bevor sie an eine Flucht denken konnte. Sie wollte nach Hause zu ihren Kindern.

Schwester Silke war weg. Endlich! Maja setzte sich auf und streckte ihre Glieder. War das ihre Akte, die auf ihrem Nachttisch lag? Mit zitternden Händen nahm sie die Mappe an sich. Ja, das war ihre Akte, in der sie nur als Patientin bezeichnet wurde. Sie hatte keine medizinischen Vorkenntnisse und verstand nicht viel von dem, was drinstand. Die Medikamentenliste erschreckte sie. Sie zählte die vielen Positionen und hörte bei der Hälfe auf. Das brachte nichts, das kostete nur unnötig viel Zeit. Sie nahm das Blatt aus den Unterlagen und steckte es in ihre Socke. Hektisch blätterte sie in den Unterlagen und suchte nach dem Namen ihres Mannes, der aber nirgends auftauchte. Hatte sie von ihm keinen Besuch bekommen? Wusste er, wo sie war? War er für ihre Einweisung verantwortlich? Endlich fand sie eine Seite, mit der sie etwas anfangen konnte: Sie wurde am 3. August hier eingeliefert. Welcher Tag war heute? Sie hatte das Gefühl, schon eine Ewigkeit hier zu sein. Wie viele Tage, Wochen oder gar Monate war sie bereits hier? Sie blätterte bis zum letzten Eintrag, den Schwester Silke offensichtlich heute vorgenommen hatte: Heute war der 9. August!

Schwester Silke bemerkte nach dem Notfall sehr schnell, dass sie die Patientenakte Ettl in deren Zimmer vergessen hatte. Das war strengstens verboten und der Chef konnte sehr ungehalten sein, wenn er davon erfuhr. Rasch ging sie zu Frau Ettl, die ruhig in ihrem Bett lag. Gott sei Dank! Die Akte lag genau dort, wo sie sie liegengelassen hatte. Instinktiv fasste Schwester Silke an die Stirn der Patientin und wunderte sich. Sie war viel zu warm. Dann maß sie ihren Blutdruck. Der war viel zu hoch.

Maja wurde nervös. Was, wenn Schwester Silke wieder mit Medikamenten reagierte, wenn ihr ihr Zustand nicht gefiel? Sie musste umgehend reagieren und öffnete die Augen.

„Besuch…? Mein Mann…? Kinder…?“, stammelte Maja und sah Schwester Silke dabei flehend an.

„Sie dürfen noch keinen Besuch empfangen,“ sagte Schwester Silke und nahm ihr Handy. „Dr. Salzberger? Die Patientin Ettl ist aufgewacht und verlangt nach Besuch. Ihre Stirn ist heiß, der Blutdruck ist bei 150:100. Soll ich ihr etwas zur Beruhigung geben?“

Bitte nicht! Maja schloss die Augen und zwang sich, ganz ruhig zu bleiben, vielleicht gab sich die Frau damit zufrieden.

Dr. Salzberger saß im Restaurant des Golfclubs. Hier, zwischen all den Bekannten konnte er nicht frei sprechen. Er musste jedes einzelne gesprochene Wort sorgsam auswählen.

„Wie ist ihr Allgemeinzustand?“

„Sie ist ruhig. Es sieht so aus, als wäre sie wieder eingeschlafen.“

„Dann brauchen Sie ihr nichts geben,“ sagte Dr. Salzberger und war beruhigt. Scheinbar wirkten die bisherigen Medikamente noch nach. Zwar hatte er so eine Reaktion bisher noch nie erlebt, schob das aber auf die Tatsache, dass die Patientin keine Medikamente gewohnt war.

Dr. Salzberger nahm das Gespräch mit seinem Gegenüber wieder auf. Diese Schwester Silke war zwar fleißig und zuverlässig, nahm ihren Job aber manchmal viel zu genau. Er konnte es nicht riskieren, der Patientin am Tag vor dem Gutachten nochmals Medikamente zu geben. Die Dosen der ersten Tage waren schon viel zu hoch gewesen und er konnte keinen Kreislaufzusammenbruch riskieren. Er musste auch damit rechnen, dass Dr. Aicher eine Blutprobe von der Patientin verlangte, was ihm Kopfschmerzen bereitete. Das musste er unbedingt verhindern. Den Medikamenten-Cocktail, den er bei besonders schwierigen Patienten gerne einsetzte, hatte er selbst kreiert. Er hatte bisher sehr gute Erfolge damit erzielt. Niemand hatte ihn bislang dahingehend kontrolliert, was ein großes Glück war, denn die Zusammenstellung war grenzwertig. Warum wohl saß er immer wieder mit Leuten zusammen, die für solche Überwachungen zuständig waren? Entsprechende Medikamentenrechnungen ließ er verschwinden, einige Präparate wurden ihm von den Pharmareferenten kostenlos überlassen. Seine Unterlagen waren sauber. Niemand käme auf die Idee, ihn kontrollieren zu wollen oder ihm zu misstrauen. Und wenn, dann konnte man ihm nichts nachweisen.

Bis morgen früh durften der Patientin keine Medikamente verabreicht werden. Erst dann bekam Frau Ettl kurz vor Dr. Aichers Eintreffen ein starkes Beruhigungsmittel. Er brauchte ihm die hohe Dosierung ja nicht auf die Nase binden. Dr. Salzberger war sich sicher, dass die Patientin genauso reagieren würde, wie er sich das wünschte. Er war schon immer ein glühender Fan der Pharmaindustrie gewesen und nutzte jedes Präparat, das neu entwickelt wurde. Für ihn war es erstaunlich, welche Neuerungen immer wieder für den Markt entwickelt wurden.

Er war euphorisch und bestellte sich ein weiteres Glas Champagner, das er sich eigentlich nicht leisten konnte.

Schwester Silke ging. Sie ging tatsächlich! Maja konnte ihr Glück kaum fassen. Sie musste hier weg, und zwar so schnell wie möglich. Länger wollte und konnte sie nicht mehr warten. War sie für eine Flucht fit genug? Das musste sie riskieren.

Sie wartete bis nach der Essensausgabe. Dann machten die Pflegekräfte ganz sicher auch eine Mittagspause. Schwester Elke fütterte ihr geduldig die gewürzarme Kost, die optisch nicht zu identifizieren war. Geduldig ließ sie die Prozedur über sich ergehen. Dann ging Schwester Elke und Maja tat so, als würde sie schlafen.

Als die Tür geschlossen wurde, stand sie auf und öffnete den Schrank, in dem aber leider keine Kleidungsstücke verstaut waren. Was hatte sie angehabt, als sie eingeliefert wurde? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Es blieb ihr keine andere Wahl, sie musste mit dem Nachthemd und auf Socken flüchten.

Maja war sehr wacklig auf den Beinen, als sie vorsichtig und umsichtig durch die sterilen, fast leeren Gänge des Krankenhauses schlich. Nur ab und zu begegnete sie Patienten, die aber keine Notiz von ihr nahmen. Zielgerichtet ging sie weiter, wobei sie sich an den Hinweisschildern orientierte. Der Ausgang war nicht mehr weit, sie konnte ihn bereits sehen. Am liebsten wäre sie sofort losgelaufen, aber das wäre viel zu auffällig gewesen. Am Empfang neben der Eingangstür saß eine ältere Frau. Mist! Maja musste warten und einen günstigen Moment abwarten. Dann klingelte das Telefon am Empfang. Die Frau stand auf und verschwand im angrenzenden Zimmer. Das war die Gelegenheit! Maja lief los so schnell sie konnte. Dass sie gerade noch einer Pflegerin entkam, wusste sie nicht. Unerkannt lief sie über den Parkplatz, wobei sie mehrmals stolperte und drohte, hinzufallen. Ihre Beine wurden schwerer und schwerer, ihre Schritte wurden kleiner. Aber sie riss sich zusammen, sie dachte nur an ihre Kinder. Mehrmals musste sie stehenbleiben und durchatmen. Am liebsten hätte sie sich hingelegt und würde sich ausruhen, aber das durfte sie nicht. Sie musste weg hier, und zwar so schnell und so weit wie möglich.

Maja hatte großes Glück und wurde mitgenommen. Natürlich wunderte man sich über ihr Aussehen. Maja erfand eine Geschichte, dass sie vor einem gewalttätigen Mann davongelaufen wäre, was ihr alle abnahmen und wofür sie sich schämte. Sandro war ihr gegenüber niemals grob geworden. In der Hinsicht war er harmlos. Aber wie sonst hätte sie ihr Aussehen erklären sollen? Sie wollte nur nach Hause und ihre Kinder in die Arme schließen. Und dafür war ihr jede Ausrede recht.

Schwester Silke starrte fassungslos auf das leere Bett. Frau Ettl war weg! Hektisch suchte sie im Bad und krempelte dann das ganze Haus um. Von der Patientin war nicht die geringste Spur zu finden. Es war nach 16.00 Uhr. Wie lange war sie weg? Egal. Sie musste das dem Chef beichten und fürchtete seine Reaktion.

Als Dr. Salzberger hörte, dass Frau Ettl verschwunden war, war er außer sich. Er schimpfte und fluchte, dazu schrie er Schwester Silke fortwährend an und machte ihr Vorwürfe. Er gab Schwester Silke nicht den Hauch einer Chance, sich zu rechtfertigen. Schon vor Monaten wurde dringend benötigtes Personal aus Kostengründen entlassen. Sie und ihre Kolleginnen mussten sehr viele Überstunden machen, wofür alle aufgrund der drohenden Arbeitslosigkeit gerne bereit waren. Aber sie konnten nicht rund um die Uhr überall sein.

Dr. Salzberger wusste um die Situation, aber er war trotzdem wütend. Das hätte nicht passieren dürfen. Die Patientin hätte nicht einfach verschwinden dürfen.

„Die Patientin Ettl ist abgehauen,“ musste Dr. Salzberger am Telefon zugeben.

„Sie ist weg? Wie konnte das geschehen?“

„Wir sind personell unterbesetzt…“ versuchte sich Dr. Salzberger zu rechtfertigen.

„Das ist mir doch völlig egal! Ich habe mich auf Sie verlassen.“

„Ich kann mich nur dafür entschuldigen. Frau Ettl hat kein Geld und keine Papiere bei sich. Außerdem ist sie im Nachthemd ohne Schuhe unterwegs. Ich gehe davon aus, dass sie nicht weit kommt. Die Polizei ist bereits informiert.“

„Unterschätzen Sie die Frau nicht. Ich bin mir sicher, dass sie es schafft, nach Hause zu kommen. Ich kümmere mich darum. Wenn ich sie finde, melde ich mich bei Ihnen. Halten Sie sich bereit. Sollte sie tatsächlich nach Hause gelangen, müssen wir schnell handeln.“

Maja musste warten, bis es dunkel wurde. In Mühldorf kannte sie jeder und sie zog es vor, in diesem Aufzug nicht durch ihre Heimatstadt zu spazieren. Nach 22.00 Uhr konnte sie nicht mehr warten, die Sehnsucht nach ihren Kindern wurde übermächtig. Sie ging los und gelangte endlich auf das Grundstück ihres Hauses. Sie ging durch den Garten, den sie liebevoll angelegt hatte und stets selbst pflegte. Alles hier war ihr vertraut. Obwohl ihre Glieder schmerzten und sie großen Hunger und vor allem Durst hatte, war ihre Euphorie groß. Die Nacht war warm. Wie lange war es schon warm? Die Tage gingen an ihr vorbei, ohne dass sie Notiz davon genommen hatte.

Das Fenster des Esszimmers stand offen und sie erkannte ihren Mann. Er war hier! Gleich konnte er ihr erklären, was passiert war und warum sie in dieser schrecklichen Klinik war. Nur noch wenige Augenblicke und sie konnte endlich ihre Kinder in die Arme nehmen.

Sie trat näher ans offene Fenster. Mit wem sprach ihr Mann? Telefonierte er? Nein, er hatte Besuch. Sie vernahm eine Stimme, die ihr sehr vertraut war: Ihre Schwiegermutter war hier! Elfriede kam nie zu Besuch. Was wollte sie von ihrem Sohn? Die beiden sahen sich jeden Tag im Büro. Was gab es so Wichtiges zu besprechen, was nicht im Büro geklärt werden könnte? Hier stimmte etwas nicht. Maja bekam Angst und trat näher ans Fenster.

„Maja ist verrückt geworden, sieh das endlich ein!“, sagte Elfriede Ettl viel zu laut.

„Sie ist nicht verrückt. Vielleicht ist sie überarbeitet oder gestresst. Morgen werde ich sie besuchen. Wenn es nötig ist, nehme ich die Polizei mit.“

„Sei doch vernünftig Sandro. Maja ist krank und braucht Hilfe, das hat Dr. Salzberger bestätigt. Gib ihr noch ein paar Tage. Gib ihr die Chance, in Ruhe gesund zu werden.“

„Trotzdem möchte ich meine Frau sehen.“

„Das wirst du, sobald sie sich erholt hat,“ sprach Elfriede Ettl jetzt sanfter und strich ihrem Sohn dabei über den Kopf. Seit wann war ihre Schwiegermutter so fürsorglich? Maja hatte bei der herzlosen, kalten Frau nie punkten können. In ihren Augen war Maja die falsche Partie, sie hatte sich für ihren Sohn eine bessere gewünscht. Von Anfang an waren die beiden aneinandergeraten. Immer mischte sie sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Dann hatte sie ihr nach einem heftigen Streit die Wahrheit gesagt. Für einen Moment hatte Elfriede die Fassung verloren und hatte geweint. Nur ganz kurz. Und dann war sie gegangen. Sie und ihre Schwiegermutter gingen sich seitdem aus dem Weg. Wenn sie ihre Enkel sehen wollte, was nicht sehr oft vorkam, fuhr Sandro mit den beiden allein zu ihr. Zu Familienfesten wurde Elfriede zwar eingeladen, hatte aber immer eine passende Ausrede parat. Und jetzt war sie hier. In ihrem Haus. Was wollte sie hier?

„Wer ist dieser Dr. Salzberger? Woher kennst du ihn?“

„Dein Vater nahm vor seinem Tod dessen Hilfe in Anspruch. Du wirst dich daran erinnern, dass es deinem Vater psychisch nicht gutging und er in eine Klinik musste?“

„Ja, ich erinnere mich.“

„Dr. Salzberger hat deinem Vater helfen können. Obwohl ich den Mann nicht mag, scheint er sehr gut zu sein. Bei Majas Zustand war ein Facharzt die bessere Wahl als ein normaler Arzt, deshalb rief ich Dr. Salzberger an. Außerdem ist es auch für die Firma besser, wenn Maja nicht in Mühldorf oder in unmittelbarer Nähe behandelt wird. Einen Skandal oder Gerede können wir uns nicht leisten. Die Wogen nach dem Tod deines Vaters haben sich geglättet. Der Unfall hat der Firma nicht so sehr geschadet, wie wir befürchtet haben. Die Firma hat sich gerade erst erholt. Weiteres Gerede wäre Gift für uns.“ Elfriede Ettl sprach mit Engelszungen auf ihren Sohn ein. Sie musste ihn davon abhalten, eine Dummheit zu begehen. Maja war am Chiemsee sehr gut aufgehoben. Elfriede hatte die Kinder zu sich genommen und sorgte dafür, dass es ihnen gut ging, Sandro war dazu nicht in der Lage. Es machten bereits Gerüchte die Runde, die aber nicht so schlimm waren. Sollte Sandro jetzt überreagieren, goss er damit Öl ins Feuer. Und wenn Maja hier auftauchte, war die Katastrophe komplett. Sie musste ihren Sohn beruhigen. Es war jetzt wichtig, dass er sich zurückhielt. Sandro war schon immer ein Sorgenkind gewesen. Seine labile, unterwürfige Art war nicht gut fürs Geschäft. Ja, sie hatte sich für ihn eine passendere Partie gewünscht. Aber Maja hatte ganz im Gegensatz zu ihrem Sohn eine starke Persönlichkeit. Sie wusste genau, was sie wollte und widersetzte sich ihr, wo sie nur konnte. So wie sie war ihre Schwiegertochter ein Alpha-Tier, das konnte auf Dauer nicht gutgehen. Sie stritten über jede Kleinigkeit, was ihr sogar Vergnügen bereitete. Es gab nicht viele Menschen in ihrem Umfeld, die ihr die Stirn boten. Vor drei Jahren hatte sie dann die schreckliche Wahrheit erfahren und Maja tat ihr unendlich leid. Schockiert hatte sie sich zurückgezogen. Hätte sie sich anders verhalten sollen? Hätte sie auf Maja zugehen und mit ihr sprechen sollen? Das schaffte sie nicht. Sie war ja selbst völlig am Ende und musste sich darum kümmern, das Problem aus der Welt zu schaffen, und das hatte sie getan. In den letzten drei Jahren war alles gut. Die Firma lief hervorragend und man sprach nicht mehr über den Unfall. Warum gab es jetzt schon wieder Schwierigkeiten? Es war ihre Pflicht, alles dafür zu tun, um Sandro zurückzuhalten.

„Maja ist krank und braucht professionelle Hilfe,“ sprach Elfriede Ettl weiter auf ihren Sohn ein. „Ich flehe dich an meine Junge: Lass sie in Ruhe gesund werden.“

„Gut, ich gebe ihr noch ein paar Tage,“ sagte Sandro schließlich und schenkte sich ein Glas Wein ein.

„Es gibt ein Problem,“ sagte Elfriede. Jetzt musste sie ihm die Wahrheit sagen. Wie wird ihr Sohn reagieren? Am liebsten wäre sie davongelaufen, aber sie musste stark bleiben. Irgendjemand musste stark bleiben, ihr Sohn war dazu nicht in der Lage. Sie holte tief Luft und stützte sich an der Tischplatte ab. „Ich bekam einen Anruf aus der Klinik. Maja ist verschwunden. Die Polizei ist bereits informiert und sucht nach ihr. Es könnte sein, dass sie hierherkommt. Sollte sie hier auftauchen, müssen wir sofort Dr. Salzberger anrufen. Er kümmert sich darum, dass sie wieder in die Klinik gebracht wird.“

„Maja ist abgehauen?“

„Ja, bitte beruhige dich. Niemand kann sich erklären, wie sie das geschafft hat. Zuhause ist sie nicht gut aufgehoben. Hier bekommt sie nicht die Pflege, die sie braucht. Dr. Salzberger befürchtet sogar, dass sie eine Gefahr für die Kinder darstellt. Es war richtig gewesen, dass ich die Kinder zu mir genommen habe. Bei mir kommen sie zur Ruhe und sind sicher.“

Sandro Ettl schloss plötzlich das Fenster und Maja erschrak. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre erwischt worden. Ihre Kinder waren nicht hier! Warum? Warum kümmerte sich Sandro nicht um sie? Ihre Schwiegermutter war für die Einweisung in die Klinik verantwortlich, das hätte sie sich denken können. Diese Schlange! Sandro hatte nichts damit zu tun. Gott sei Dank! Sie musste jetzt dringend mit ihm sprechen und mit ihm gemeinsam die Kinder zurückholen. Mit Sandro an ihrer Seite konnte sie rasch aufklären, dass sie nicht krank war und dass ein Klinikaufenthalt nicht nötig war. Wann verschwand Elfriede endlich? Sie musste endlich gehen, damit sie mit Sandro sprechen konnte. Sie musste ihm begreiflich machen, dass sie nicht krank war. Auch ihre Kinder gehörten nicht zur Schwiegermutter, sondern hierher. Sandro würde ihr glauben und sie nicht wieder wegschicken.

Endlich ging ihre Schwiegermutter und fuhr mit ihrem dicken Wagen davon. Jetzt war die Luft rein und sie konnte sich endlich zeigen.