Hilferuf aus Griechenland - Irene Dorfner - E-Book

Hilferuf aus Griechenland E-Book

Irene Dorfner

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Während seines Urlaubs bekommt Leo Schwartz einen Hilferuf seiner Exfrau Kerstin aus Kos: ihr Sohn ist spurlos verschwunden. Leo macht sich sofort auf den Weg, um den Jungen zu suchen. Seine frühere Ulmer Kollegin Ursula Kußmaul erklärt sich sofort bereit, ihn zu begleiten. Gemeinsam mit der griechischen Polizei suchen sie mit Hochdruck nach dem Kind. Aber die Suche bleibt erfolglos. Dann nehmen sich die Polizisten das Umfeld der Familie vor. Je tiefer sie graben, desto seltsamer verhält sich Leos Exfrau. Und wo ist Kerstins Mann? Ein Zeuge wird ermordet, bevor er der Polizei wertvolle Hinweise geben kann. Dann merken die Polizisten, dass sie verfolgt werden...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 273

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irene Dorfner

Hilferuf aus Griechenland

Leo Schwartz ... und die Entführung auf Kos

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2014 Irene Dorfner

All rights reserved.

3. überarbeitete Auflage 2021 Copyright

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

Lektorat: Felicitas Bernhart, D-84549 Engelsberg

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

VORWORT

Wer die Wahrheit nicht weiß,

der ist bloß ein Dummkopf.

Aber wer sie weiß und

sie eine Lüge nennt,

der ist ein Verbrecher.

Berthold Brecht

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen!

Viele Grüße aus Altötting,

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

Die Koffer waren gepackt, der Rucksack nebst Wanderschuhen war längst im Wagen verstaut. Endlich konnte es losgehen. Der Frühling ließ dieses Jahr lange auf sich warten, Ostern war letzte Woche. Drei langersehnte Urlaubswochen lagen vor Leo Schwartz. Leo befand, dass er sich den Urlaub redlich verdient hatte. Seit seiner Versetzung zur Kriminalpolizei Mühldorf am Inn hatte er erst zwei Mal Urlaub gehabt. Er war am Ende und brauchte dringend Ruhe. Drei Wochen ohne Verbrechen und Mördern – Klasse! Zuerst zog es ihn zu seinen ehemaligen Kollegen und Freunden nach Ulm, auf die er sich sehr freute und die ihn bereits erwarteten. Dann wollte er nach Pfullingen fahren und dort ein paar Tage verbringen. In Pfullingen besaß er seit einem Jahr ein Haus, das er von einer alten Dame geschenkt bekam. Er hatte Frieda Votteler während eines Falles kennen und schätzen gelernt, auch wenn sie ihn oft zur Weißglut brachte. Anfangs wollte er dieses üppige Geschenk natürlich nicht annehmen und sprach mit seinem Vorgesetzten. Der wollte damit nichts zu tun haben und überließ Leo die Entscheidung. Er beriet sich mit seiner besten Freundin, der Ulmer Pathologin Christine Künstle, die ihm dazu riet: Sei nicht blöd, quatsch nicht lang rum und häng das nicht an die große Glocke. Behalt das Haus für deine Altersvorsorge. Das waren ihre genauen Worte, die Leo beherzigte und das Haus annahm. Seitdem war er weder in dem Haus in Pfullingen gewesen, noch hatte er sich darum gekümmert. Es war noch in dem Zustand, in dem Frieda Votteler das Haus verlassen hatte. Immer wieder schob er die lästige Aufgabe vor sich her. Nun wollte er das Haus räumen und herrichten, um es dann vermieten zu können. Davor grauste ihm, denn das Haus war bis unters Dach vollgestopft.

So sahen seine Pläne für den bevorstehenden Urlaub aus.

Noch wusste er nicht, dass nichts daraus werden würde.

2.

Mit den Gedanken an das Pfullinger Haus und Frieda Votteler fuhr Leo los. Er ließ seine neue Heimat Altötting hinter sich. Als er durch Mühldorf am Inn fuhr, war er keine Sekunde wehmütig. Er wusste, dass er die neuen Kollegen nicht sonderlich vermissen würde. Bis auf seine Vorgesetzte Viktoria Untermaier. Gerne hätte er sie mitgenommen, war aber zu feige, sie zu fragen. Die Beziehung zwischen ihnen war nicht einfach. Er wäre zu einer festen Bindung sofort bereit gewesen, aber Viktoria zögerte. Sie hatte eine schlimme Ehe und eine unangenehme Scheidung hinter sich. Klar war sie misstrauisch. Leo hatte Geduld, irgendwann würde Viktoria offen für eine Beziehung sein.

Leo war schon seit über einem halben Jahr bei der Kriminalpolizei Mühldorf und hatte sich sehr gut eingelebt. Nach einem unschönen Vorfall in Ulm war er hierher versetzt worden. Trotzdem vermisste er nicht nur seine Freunde und ehemaligen Kollegen in Ulm, sondern auch die dortige liebgewordene Umgebung. Vor allem aber die Schwäbische Alb.

Je weiter er sich entfernte, desto mehr verblassten die Erinnerungen an Pfullingen und Frau Votteler, an Mühldorf und die Umstände seiner Versetzung. Er passierte München und sang fröhlich die Lieder auf dem Oldie-Sender mit, die er zu seinem Erstaunen alle kannte. Dieses Jahr stand sein fünfzigster Geburtstag bevor und er hatte doch Bammel vor der magischen Zahl, was er natürlich niemals zugegeben hätte. Früher hielt er alle Menschen über fünfzig für alt. Nicht mehr lange, und er gehörte selbst dazu. Leo fand, dass er sich für sein Alter sehr gut gehalten hatte. Für ihn schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Mit seinen 1,90 Meter, der schlanken Figur und den in seinen Augen sehr hippen Klamotten (blaue Jeans, alte Lederjacke, Hemd oder T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband und Lederstiefel) wirkte er für seine Begriffe sehr jung, obwohl ihn die mittlerweile grauen Haare störten, die er immer ziemlich kurz hielt. Aber Leo blieb dabei: Er war mit Abstand jünger als die gleichaltrigen Männer, die er kannte.

Er fuhr nun auf der A8 an Augsburg vorbei und mehr und mehr stieg die Vorfreude auf seine Freunde und ehemaligen Kollegen.

Stau!

Deutschland war das Land mit den besten Autobahnen. Trotzdem gab es hier die meisten Staus. Leo schüttelte den Kopf über die Unvernunft anderer Fahrer, die versuchten, sich ein paar Meter vorzudrängeln. Wie konnte man sich nur so chaotisch und rücksichtlos verhalten? Nur, um schneller voranzukommen, als alle anderen? Wenn sich der Verkehr staute, konnte man dem Stillstand sowieso nicht entkommen.

Leo war erstaunt über das hohe Verkehrsaufkommen. Er war am heutigen Sonntag extra zeitig losgefahren, damit er sich mit den vielen Lkws nicht herumschlagen musste. Woher zum Geier kamen die ganzen Fahrzeuge um die Zeit? Und woher kamen die vielen Lkws? So viele Ausnahmegenehmigungen konnte es doch nicht geben! Bislang ging es langsam, beinahe im Schneckentempo vorwärts. Plötzlich ging nichts mehr, absoluter Stillstand. Leo suchte einen Sender mit einer Verkehrsdurchsage, um wenigstens den Grund für diesen plötzlichen Stopp zu erfahren. Er hatte keinen Erfolg damit. Er gab auf und schob eine CD ein, denn seit geraumer Zeit wurde die gute Musik von unendlich langweiligem Gequatsche mit einem Promi, den er überhaupt nicht kannte, unterbrochen. Das nervte ihn tierisch. Er reckte und streckte sich, nahm einen Schluck Wasser und wartete. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde er immer ungeduldiger. Sein Ziel war nicht mehr weit, nur noch knapp dreißig Kilometer. Leo beobachtete die anderen Verkehrsteilnehmer vor ihm, die sich die Beine vertraten, telefonierten und sich unterhielten. Ob er auch aussteigen sollte?

Dann ging es endlich weiter. Zwar langsam, aber immerhin. Nach einigen Kilometern sah Leo schließlich den Grund des Staus: Eine Baustelle! Ein riesiges Schild informierte die Bürger über den Umfang und die Notwendigkeit, sowie über den Fertigstellungstermin, an dem Leo seine Zweifel hatte. Man brauchte doch nur an den neuen Flughafen in Berlin denken! Leo war sauer. Natürlich ging es bei diesem Stau um eine Baustelle, Deutschland war schließlich ein Land der Autobahn-Baustellen! Irgendwann passierte er die Baustelle und konnte es nicht glauben: Die wenigen Arbeiter standen nur rum und kein Fahrzeug bewegte sich. Typisch! Natürlich war heute Sonntag, aber das Hinweisschild machte deutlich, dass die Arbeiten rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche durchgeführt wurden. Alles zum Wohle der Bürger und für einen reibungslosen, fließenden Verkehrsfluss. Lächerlich! Es war jetzt kurz vor halb zwölf – schon Mittagszeit? Leo ärgerte sich und fluchte, denn schon oft kam er an solche Autobahnbaustellen vorbei, auf denen er wenige oder überhaupt keine Arbeiten feststellen konnte.

Nun erreichte er endlich seine Autobahnausfahrt, hatte nur noch wenige Kilometer vor sich und ärgerte sich jetzt über seine Ungeduld auf der Autobahn. Er hatte schließlich Urlaub und jede Menge Zeit. War er schon zu so einem Grantler geworden, der sich über alles und jeden ärgerte? Leo nahm sich fest vor, an seiner Geduld und Einstellung zu arbeiten! Seine Laune besserte sich merklich und er pfiff und sang die Lieder auf seiner CD mit. Die Umgebung kam ihm sehr vertraut vor und sofort fühlte er sich zuhause. Als er das Ortsschild Ulm passierte, musste er unwillkürlich hupen. Endlich zuhause! Er fuhr in die Einfeldstraße und sah seine Freundin Christine Künstle schon von weitem. Sie schien ungeduldig zu warten, denn sie lief hektisch hin und her und hatte die Arme in die fülligen Hüften gestemmt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich Sorgen machte. Als sie Leos Wagen erkannte, winkte die zweiundsechzigjährige Frau mit den kurzen braunen Haaren hektisch, wobei sich ihre Gesichtszüge entspannten. Nun strahlte sie übers ganze Gesicht. Leo parkte, stieg aus und rannte zu Christine, nahm sie in die Arme und wirbelte sie übermütig durch die Luft. Sie schrie und lachte.

„Lass mich sofort runter, du verrückter Kerl. Was fällt dir ein? Wo bleibst du denn so lange? Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Diese blöde Baustelle hat mich fast eine Stunde gekostet. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich über die Bundesstraße gefahren.“

„Schwamm drüber, jetzt bist du ja da. Komm rein, ich habe Essen gemacht, dein Gepäck kannst du später holen.“

Sie zog Leo mit sich, der gerade noch seinen Wagen mit der Fernbedienung zusperren konnte. Es gab Maultaschen und Kartoffelsalat, was Leo als gebürtiger Schwabe nicht nur sehr liebte, sondern auch seit Monaten nicht mehr gegessen hatte. Er langte kräftig zu. Während sie aßen, berichtete Christine über Neuigkeiten bei der Ulmer Polizei und den vertrauten Kollegen, die Leo heute Abend zu sehen bekam, denn Christine hatte sie alle eingeladen: Die hübsche, schlagfertige und sehr intelligente Anna Ravelli, mit der Leo sehr gerne zusammengearbeitet hatte. Dann Stefan Feldmann, Leiter der Spurensicherung Ulm, ein wahres Genie in seinem Job. Er war mit Anna liiert, die beiden gaben ein wunderschönes Paar ab. Und natürlich Ursula Kußmaul. Die dreißigjährige, kleine, untersetzte Frau mit der dicken Hornbrille war völlig durchgeknallt und strotzte vor Selbstbewusstsein. Ihre Schlagfertigkeit und ihr loses Mundwerk waren legendär. Sie musste aufgrund eines Unfalls unförmige Gesundheitsschuhe tragen, was ihr aber nichts ausmachte. Ihre Kleidung war kunterbunt und sehr auffällig. Wegen ihrer vielen Narben am Kopf, die sie immer an viele Operationen erinnerten, trug sie täglich die verrücktesten Kopfbedeckungen, die nie zum Rest der Kleidung passten. Leo hatte Ursula Kußmaul bei seinem letzten Fall in Ulm kennen- und schätzen gelernt. Sie war wegen seiner Versetzung fest ins Team aufgenommen worden.

Nachdem Leo seine Sachen geholt und in dem extra für ihn hergerichteten Gästezimmer eingeräumt hatte, machten die beiden einen ausgedehnten Spaziergang durch Ulm. Sie tranken Kaffee und besuchten liebgewonnene Plätze der Vergangenheit. Leo fühlte sich sehr wohl. Wollte er jemals wieder zurück? Hier war er zuhause und hier gehörte er hin.

„Wir müssen zurück, es ist schon kurz nach fünf, in einer Stunde kommen die anderen.“

Leo und Christine richteten den Tisch im Wohnzimmer her. Christine hatte Häppchen und Schnittchen, sowie reichlich Getränke besorgt. Endlich klingelte es. Die Gäste kamen gemeinsam, vorsorglich mit einem Taxi.

Sie begrüßten sich alle herzlich. Sie lachten, schwatzten und Leo fühlte sich pudelwohl. Erst weit nach Mitternacht und reichlichem Alkoholkonsum verabschiedeten sie sich. Es war klar, dass sie sich alle in den nächsten Tagen noch sehen würden, und zwar mehrfach.

Leo hatte sich mit dem Alkohol zurückgehalten. Er wollte auf jeden Fall am nächsten Tag ganz früh raus, um dann über seine geliebte Schwäbische Alb zu wandern. Natürlich nur, wenn das Wetter auch mitspielte, denn die Vorhersagen waren nicht sehr berauschend. Er stellte seinen Wecker auf fünf Uhr.

Er war schon vor dem Klingeln wach. Beschwingt sprang er aus dem Bett, zog sich an, nahm den gepackten Rucksack und verließ das Haus. Es war zwar stark bewölkt, aber es regnete nicht, was Leo vollauf genügte. Er fuhr los. Unterwegs holte er sich einen Kaffee und ein Croissant bei einem Bäcker, bei dem er sich schon früher mit Frühstück eingedeckt hatte und wo er auch sofort wiedererkannt und freundlich begrüßt wurde. Sie hatten ihn nicht vergessen. Mit einem guten Gefühl fuhr er schließlich über die Schwäbische Alb, öffnete trotz der Kälte das Fenster und sog die frische Luft tief ein. Ja, diese Luft gab es nur hier. Zielsicher steuerte er einen ganz bestimmten Parkplatz an, den er kurz nach sechs Uhr erreichte. Er sprang aus dem Wagen und sog die Luft nochmals tief ein. Endlich war er wieder hier!

Es war noch nicht richtig hell, nur langsam erwachte die Natur. Außer ihm war niemand auf dem Parkplatz. Nachdem er sich die Wanderschuhe und die Jacke angezogen hatte, nahm er seinen Rucksack, schaltete sein Handy aus und lief los.

Nach einer guten Stunde begann es zu nieseln, nach einer weiteren Stunde regnete es richtig, was aber Leos Laune keineswegs beeinflusste. Er setzte sich unter eine dichte Tanne, machte Brotzeit und schloss die Augen. Das Geräusch der Regentropfen, die Vögel, die trotzdem munter pfiffen, und natürlich die absolute Stille und Ruhe taten ihm unendlich gut. Dann hörte es auf zu regnen. Anstatt umzukehren, lief er weiter, das Wetter konnte ihm nichts anhaben.

Erst am späten Nachmittag war er erschöpft, klatschnass und unendlich zufrieden wieder an seinem Wagen. Er wechselte die Kleidung und Schuhe, legte eine Led-Zeppelin-CD ein und fuhr zurück.

Beim Einbiegen in die Einfeldstraße sah er Christine auf der Straße, die abermals ungeduldig zu warten schien. Er parkte und stieg aus.

„Endlich. Was ist mit deinem Handy los? Seit Stunden versuchen wir, dich zu erreichen.“ Christine war stinksauer.

„Das Handy schalte ich immer aus, wenn ich wandern gehe. Ist etwas passiert?“

„Seit heute Mittag ruft immer wieder eine Frau auf dem Präsidium an, die dich unbedingt sprechen muss. Ursula sagt, es ist sehr dringend.“

„Welche Frau? Wer will mich sprechen?“ Leo dachte an Viktoria und lächelte. Dann wurde er misstrauisch. Christine kannte alle Frauen in seinem Umfeld und hätte längst den Namen genannt, offensichtlich war es eine Fremde.

„Jetzt steh nicht blöd da, ruf Ursula sofort an.“

Leo wählte die Nummer seiner früheren Kollegin, die sich nach dem ersten Klingeln meldete.

„Kußmaul!“, brüllte sie ins Telefon.

„Hier ist Leo. Ich soll mich bei dir melden.“

„Endlich! Deine Frau ruft seit Stunden an, sie muss dich dringend sprechen, sie klang verzweifelt. Sie hat mir eine Nummer gegeben, unter der sie zu erreichen ist. Nach der Vorwahl zu urteilen, ist sie im Ausland. Hast du was zu schreiben?“

Seine Frau? Leo hatte sich bestimmt verhört.

„Hast du gesagt, meine Frau möchte mich sprechen?“

„Ja. Sie sagte, sie sei deine Frau. Ihr Name ist Kerstin.“

Leo war sprachlos, denn seine geschiedene Frau hieß tatsächlich Kerstin. Was war hier los? Was wollte sie von ihm? Seit über sieben Jahren waren sie geschieden und er hatte seither nichts mehr von ihr gehört.

„Bist du noch dran? Hast du etwas zu schreiben?“

Ursula Kußmaul wurde ungeduldig. Se hatte noch eine Vernehmung vor sich, die sich bis weit in die Nacht ziehen würde.

Leo ging ins Haus, Christine folgte ihm. Aus seiner Jackentasche nahm er einen Kugelschreiber und ein Stück Papier. Das war sein Kontoauszug, aber das war jetzt gleichgültig.

„Gib mir die Nummer.“

Leo notierte sich die Nummer und war sich nicht ganz sicher, ob er auch richtig verstand. Er fragte mehrfach nach, aber Ursula bestätigte. Er bedankte sich, starrte lange auf den Zettel und sah dann Christine an, die neben ihm stand.

„Sieh dir die Nummer an. Die Vorwahl 0030 – das ist in Griechenland. Wenn das wirklich meine Exfrau ist, was zum Teufel will sie von mir?“

„Vielleicht braucht sie deine Hilfe. Worauf wartest du? Ruf an, dann wirst du es erfahren.“

Christine machte keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen, als Leo die Nummer wählte. Es brauchte lange, bis sich endlich eine Frau meldete. Leo erkannte sie sofort an der Stimme: Das war Kerstin, die ihm vor über sieben Jahren das Herz gebrochen hatte. Sie war auch der Grund, warum er sich von Karlsruhe nach Ulm versetzen ließ, denn er wollte ihr und ihrem neuen Partner auf keinen Fall über den Weg laufen.

„Ich bin es, Leo.“

Er wartete ab, überließ es ihr, zu sprechen.

„Endlich! Ich habe so sehr auf deinen Anruf gewartet. Ich brauche dringend deine Hilfe, Leo.“

Sie klang sehr verzweifelt und Leos Magen zog sich zusammen.

„Was ist passiert?“

„Mein Sohn Marcel ist verschwunden und ich weiß nicht, was ich machen soll.“

Leo konnte sie sehr schlecht verstehen, denn sie sprach sehr leise, schluchzte und weinte. Die Tatsache, dass sie einen Sohn hatte, war für ihn neu und schockierte ihn. Warum, wusste er selbst nicht.

„Bitte beruhige dich und erzähl ausführlich. Fang von vorn an.“

„Wir sind mehrmals im Jahr in Griechenland auf der Insel Kos, mein Mann Anton hat hier schon seit vielen Jahren ein Haus und ein Boot. Seit gestern Vormittag ist mein Sohn verschwunden. Er spielte am Strand mit anderen Kindern, während ich ein Buch las und ihn immer im Auge hatte. Auf einmal war er weg, spurlos verschwunden. Die anderen Kinder sagten, er wollte die Frisbeescheibe holen – und kam nicht mehr wieder. Natürlich habe ich sofort die Polizei informiert, aber ich habe nicht das Gefühl, dass die wirklich etwas unternehmen. Sie haben mich nur vertröstet, nicht einmal Daten notiert.“

Leo verstand nicht, wie er dabei helfen könnte und was sie von ihm wollte.

„Hier stimmt was nicht, Leo. Ich habe ein sehr ungutes Gefühl. Meinen Mann kann ich nicht erreichen. Er fuhr gestern mit dem Boot geschäftlich in die Türkei. Bitte hilf mir, Leo. Du bist doch Polizist und weißt, was man in so einem Fall macht. Ich möchte meinen Sohn zurück und bitte dich inständig, ich flehe dich an, mir zu helfen.“

„Kerstin hör mir zu. Es tut mir sehr leid, dass dein Sohn verschwunden ist und was du durchmachen musst. Ich würde dir wirklich gerne helfen. Ich habe in Griechenland keinerlei Befugnisse und wüsste nicht, wie ich dir helfen könnte. Vor allem verstehe ich nicht, warum du gerade mich um Hilfe bittest.“

„Weil Marcel dein Sohn ist, Leo.“

3.

Die Worte seiner Exfrau hallten in seinem Kopf. Er hatte einen Sohn, von dem er nichts wusste? So grausam konnte seine Exfrau doch nicht sein. Warum hatte sie ihm das Kind die ganzen Jahre vorenthalten? Wusste ihr Mann davon? Wo war das Kind? War es in Gefahr?

Die Fragen schwirrten durch seinen Kopf. Er hatte sich die Adresse auf Kos notiert und für ihn stand fest: Er musste mit dem nächsten Flugzeug nach Kos und seinen Sohn suchen.

„Komm erst mal zu dir, Leo, du bist ja völlig durcheinander.“

Christine hatte sofort verstanden, was Leo eben gehört und zu verarbeiten hatte. Und natürlich unterstützte sie ihn in seinem Vorhaben, umgehend nach seinem Sohn zu suchen. Aber sie musste ihn bremsen, damit er besonnen und nicht völlig planlos vorging. Sie schenkte ihm einen Schnaps ein, den sie ihm beinahe einflößen musste. Auch sie musste Zeit gewinnen, um zu überlegen, wie sie Leo helfen konnte und was das Klügste wäre. Langsam bekam Leo wieder Farbe im Gesicht.

„Ich habe einen Sohn, Christine. Kannst du dir das vorstellen?“ schrie er beinahe. Er hatte sich immer Kinder gewünscht, aber nicht so.

„Natürlich kann ich mir das vorstellen, warum auch nicht? Wobei die Umstände sehr ungewöhnlich sind und ich nicht verstehen kann, warum deine Exfrau darüber geschwiegen hat. Normalerweise stehen Mütter wegen des Unterhaltes beim Kindsvater sofort auf der Matte. Schwamm drüber, sie wird schon ihre Gründe gehabt haben und du wirst sie direkt von ihr erfahren. Wir dürfen jetzt nichts überstürzen und müssen Schritt für Schritt vorgehen. Du gehst duschen, du stinkst fürchterlich. Und ich kümmere mich inzwischen um einen Flug und ein Hotel, denn bei deiner Exfrau und ihrem Mann kannst du ja schlecht übernachten.“

Wie ferngesteuert nickte Leo und ging ins Bad. Er war immer noch völlig durcheinander. Die Dusche tat ihm gut. Nachdem er das heiße Wasser auf kalt eingestellt hatte, konnte er wieder einigermaßen klar denken. Er zog sich an und ging zu Christine ins Wohnzimmer, die eben ein Telefongespräch beendet hatte.

Die Frau war wirklich ein Schatz, er konnte sich in allen Lebenslagen voll und ganz auf sie verlassen.

„Heute geht kein Flug mehr nach Kos. Ich habe dir für morgen früh ein Ticket hinterlegen lassen, der Flug ist um 5.50 Uhr. Ein Hotelzimmer habe ich ebenfalls gebucht, hier ist die Adresse.“

Dass nur noch in einem der teuersten Hotels Zimmer frei waren, verschwieg sie ihm lieber, denn sonst hätte er sich noch mehr aufgeregt. Schließlich kannte sie die schwäbische Sparsamkeit. Das Geld war jetzt zweitrangig.

Sie reichte Leo einen Zettel, den er ohne zu lesen in seine Brieftasche schob. Er ärgerte sich, dass er bis morgen früh warten musste und lief nervös im Zimmer auf und ab. Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen.

„Setz dich bitte, heute kannst du nichts mehr erreichen. Du machst mich wahnsinnig mit deiner Nervosität.“

Christine fühlte mit Leo. Sie konnte sich vorstellen, wie es in ihm aussah. Diese Kerstin würde sie am liebsten schütteln und ihr eine scheuern, denn so durfte man mit einem Kindsvater nicht umgehen. Vor allem nicht mit Leo. So verworren und schwierig manche Situationen auch sein mochten, war sie immer für klare Verhältnisse gewesen, auch wenn diese noch so unangenehm waren. Für sie gab es nur absolute Offenheit. Lügen, Intrigen und Geheimnisse waren ihr fremd. Sie konnte kaum zusehen, wie Leo litt. Warum hatte ihm die Exfrau das angetan? Christine kannte Leo sehr gut, er hätte alles für sein Kind getan.

„Wie alt ist dein Sohn? Wie heißt er?“ Die Fragen sprudelten aus Christine heraus, worauf Leo kaum eine Antwort hatte. Er kannte nur den Namen: Marcel. Was für ein wunderschöner Name. Wie er wohl aussah? Sah er ihm ähnlich?

„Ich rufe Kerstin nochmal an, ich muss mit ihr sprechen. Zu viele Fragen sind unbeantwortet und belasten mich. Ich kann nicht bis morgen auf Antworten warten.“

Christine wollte ihn davon abhalten, denn solche Dinge gehörten ihrer Meinung nach persönlich besprochen, nicht am Telefon. Aber sie kannte Leo so gut, er würde sich nicht davon abhalten lassen. Er wählte, aber es meldete sich niemand. Beinahe alle zwei Minuten versuchte er, seine Exfrau zu erreichen. Ohne Erfolg.

„Das ist doch nicht normal. Was ist da los?“

„Dafür gibt es sicher eine ganz einfache Erklärung. Erwartest du von ihr, dass sie rund um die Uhr am Telefon sitzt? Warte bis morgen, dann wirst du alles erfahren. Du musst lernen, geduldiger zu sein.“

Christine verstand ihn. An seiner Stelle würde sie auch nicht warten wollen. Aber irgendwie musste sie Leo beruhigen, den sie noch niemals in so einem Zustand erlebt hatte. Sie war darüber sehr erschrocken, wollte sich das aber nicht anmerken lassen. Sie ging in die Küche und machte etwas zu Essen, wodurch sie sich ablenken konnte.

Sie saßen schweigend zusammen und aßen, wobei Leo nur in seinem Teller rumstocherte. Christine wollte ihn aufheitern, wusste aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Ein Blick in seine Augen und sie bekam eine Gänsehaut.

„Iss! Du musst bei Kräften bleiben. Wer weiß, was dich auf Kos erwartet.“

Leo wusste, dass Christine Recht hatte und zwang sich, einige Bissen zu essen. Nach zweiundzwanzig Uhr klingelte es an der Haustür.

„Erwartest du Besuch?“

Christine ging zur Tür und öffnete, sie schien nicht überrascht. Die Unterbrechung kam ihr sehr gelegen, denn sie hatten stundenlang immer und immer wieder alle Möglichkeiten durchgesprochen, ihr rauchte der Kopf.

Es war Ursula Kußmaul, die heute in den unterschiedlichsten Lilatönen gekleidet war. Der gelbe Hut und die grüne Tasche stachen sofort ins Auge. Ursula grüßte knapp und setzte sich Leo gegenüber. Er war überrascht und sah erst sie und dann Christine an.

„Was machst du hier um diese Uhrzeit?“

Natürlich hatte Leo bemerkt, dass Christine den Besuch zu erwarten schien. Was war hier los?

„Ich bin die Feuerwehr und möchte helfen“, rief Ursula lachend aus und zog ihren Hut vom Kopf. Sie war eine Frohnatur, die so leicht nichts aus der Bahn werfen konnte. Als sie Leos Gesichtsausdruck bemerkte, ruderte sie einen Gang zurück. Ihre Scherze waren hier wohl nicht gewünscht. „Was werde ich hier wohl machen? Christine hat mich angerufen und mich um Hilfe gebeten. Und voilà, da bin ich. Die Vernehmung, die ich bis eben noch hatte, war sehr erfolgreich, der Typ hat gesungen wie ein Vögelchen. Dabei dachte ich eigentlich, dass das eine ganz harte Nuss ist. Aber jetzt bin ich hier.“

Leo war irritiert und verstand kein Wort.

„Ich habe Ursula angerufen, ich kann dich auf keinen Fall alleine nach Kos schicken. So, wie du dich verhältst, kannst du nicht klar denken. Ich bin zu alt für solche Geschichten und wäre dir nur ein Klotz am Bein. Meine Knie spielen nicht mehr mit und die Hitze auf Kos würde mich an den Rand eines Herzinfarktes bringen. Ich werde eben alt.“ Sie machte eine kleine Pause. Sie kannte Leo und ihr war klar, dass ihm ihr Alleingang überhaupt nicht schmeckte. Aber es war jetzt nun mal so, wie es ist. Sie hatte eigenmächtig hinter seinem Rücken gehandelt und stand auch dazu. „Ich habe mich daran erinnert, dass Ursula einige Zeit in Griechenland verbracht hat und daher die Sprache ziemlich gut spricht. Sie hat Urlaub genommen und wird dich begleiten.“

„Wie bitte?“ schrie Leo.

„Ich spreche nicht nur Griechisch, sondern bin auch mit der Mentalität der Menschen dort vertraut. Außerdem kenne ich mich auf Kos sehr gut aus. Ach, war das eine schöne Zeit, ich könnte euch Geschichten erzählen. Die sind nicht ganz jugendfrei. Da gab es einen kleinen Griechen, einige Jahre älter als ich, …“

Leo unterbrach Ursula. Er interessierte sich nicht für ihre Geschichten und ihr Geplapper. Das war das einzige, das er an Ursula Kußmaul nicht mochte. Er war verärgert über Christines Vorstoß, das hätte sie vorab mit ihm besprechen müssen. Er war kein Kleinkind und hasste es, wenn über seinen Kopf entschieden wurde. Außerdem wollte er die Angelegenheit alleine in die Hand nehmen.

„Das ist zwar lieb gemeint, aber das kann ich nicht annehmen. Das ist eine reine Privatsache und ich will dich auf keinen Fall da hineinziehen. Wer weiß, was dort alles auf mich zukommt. Nein, vielen Dank, aber ich muss dein Angebot ablehnen, so verlockend es auch klingt. Ich fliege alleine und werde schon irgendwie klarkommen.“

Christine schien bereits mit einer solchen Reaktion gerechnet zu haben, stand auf und stemmte die Arme in die Hüften.

„Jetzt hör mir mal gut zu, Leo. Du fliegst auf jeden Fall mit Ursula, keine Widerrede! Wenn du sie nicht mitnimmst, dann werde ich ihren Platz einnehmen. Und das wird kein Vergnügen werden, das kann ich dir versprechen. Wie dumm bist du eigentlich? Hier ist eine junge, sehr fähige Polizistin, die nicht nur die Sprache auf Kos spricht, sondern auch noch Land und Leute kennt. Du müsstest ihr eigentlich auf Knien dafür danken. Und was machst du? Bejammerst dich selber und willst den Helden spielen. Du kannst auf Kos jede Hilfe brauchen und lehnst sie dennoch ab? Bist du total verblödet? Dass dir deine Exfrau deinen Sohn verschwiegen hat, ist tragisch und das tut mir sehr leid. Dass der Junge verschwunden ist, ist doppelt schlimm. Du kannst nicht klar denken. Reiß dich gefälligst zusammen und denke klar und vernünftig.“

Sie sprach ruhig, aber bestimmt, sogar sehr bestimmt. Leo hörte ihr mit offenem Mund zu. Es war still geworden. Christines Standpauke hatte Ursula sehr amüsiert. Sie musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen.

„Wage es ja nicht, eine Begleitung abzulehnen. Wenn du Ursula nicht willst, komme ich mit,“ setzte Christine nach.

Leo lehnte sich zurück und dachte nach.

„Du hast ja Recht, Christine. Ich danke dir, dass du dich um mich kümmerst.“ Er stand auf und nahm seine Freundin in die Arme, was ihr sehr gut tat.

Er wandte sich nun Ursula zu und nahm ihre Hand in die seine.

„Vielen Dank Ursula, ich nehme deine Hilfe sehr gerne an. Deine Sprach- und Ortskenntnisse kann ich sehr gut gebrauchen. Ich weiß nicht, wie ich dir das danken soll.“

„Keine Sorge, da wird mir schon etwas Passendes einfallen. Schluss mit der Gefühlsduselei. Ich habe eine Karte von Kos mitgebracht“, sagte sie, kramte in ihrer riesigen, plüschigen grünen Tasche, rückte den Sessel näher an den Couchtisch und breitete die Karte auf dem Tisch aus. „Hier ist die Adresse, die dir deine Exfrau genannt hat,“ sie malte mit einem Leuchtstift ein dickes Kreuz auf die Karte. „Christine war so schlau, uns in dieses Hotel einzuquartieren. Das ist keinen Kilometer entfernt. Ich habe uns einen Leihwagen reserviert, der für uns morgen am Hotel bereitsteht. Ich würde vorschlagen, dass wir nach der Landung mit dem Taxi ins Hotel fahren, unsere Koffer abstellen und dann sofort zu deiner Exfrau fahren. Wenn dein Sohn seit gestern verschwunden ist, dürfen wir keine Zeit verlieren. Das wäre mein Vorschlag. Ist das für dich in Ordnung?“

Leo war begeistert. Er hatte tatsächlich nicht an einen Leihwagen und einen Zeitplan gedacht. Ursula war nicht nur gut vorbereitet, sondern war bereits aktiv. Außerdem kannte sie auch schon die Adresse seiner Exfrau und die des Hotels, worum er sich bislang noch nicht gekümmert hatte. Wie lange hatten die beiden Frauen miteinander telefoniert?

„Selbstverständlich bin ich einverstanden.“

„Dann würde ich jetzt gerne etwas über deine Frau erfahren. Du kennst das ja, erzähl einfach drauf los.“

„Sie ist ein disziplinierter, intelligenter, gebildeter Mensch. Außerdem ist sie kontaktfreudig, sehr zielstrebig, fleißig und hatte schon immer den Drang, mehr aus ihrem Leben zu machen. Sie interessiert sich für Kunst und Musik, vor allem italienische Musiker haben es ihr angetan. Kerstin achtete früher sehr auf ihre Figur, ging regelmäßig ins Fitnessstudio und in ihre Yoga-Stunden. Vor über sieben Jahren haben wir uns scheiden lassen. Der Grund war ein Mann, den sie in ihrem Fitnessstudio kennengelernt hatte.“

„Was weißt du über den Mann?“

„Nicht viel. Er ist ein Geschäftsmann aus Karlsruhe. Was er genau macht, weiß ich nicht und hat mich auch nicht interessiert.“

„Wie weit traust du deiner Exfrau?“

„Nicht mal von hier bis zur Tür. Aber wenn Kerstin verzweifelt ist und um Hilfe bittet, dann muss sie tief in der Klemme stecken. Sie ist eine taffe Frau und kann sich sehr gut selber helfen.“

„Dann habe ich jetzt schon ein ungefähres Bild von ihr. Wobei wir nicht die Tatsache außer Acht lassen dürfen, dass sie dir deinen Sohn verschwiegen hat, was nicht gerade für sie und ihren Charakter spricht. Wir wissen nicht, ob ihr Mann weiß, dass er nicht der leibliche Vater ist. Ich fahre jetzt nach Hause, ich bin hundemüde und würde mich gerne nach dem anstrengenden Tag noch ein paar Stunden hinlegen. Morgen erzähle ich dir von dem interessanten Fall, den ich heute abschließen konnte. Wir haben während des Fluges jede Menge Zeit. Ich werde auch noch packen müssen. Wann holst du mich ab?“

„Der Flug startet um 5.50 Uhr, ich hole dich um halb drei ab. Dann haben wir genug Zeit, um zum Flughafen zu fahren und dort noch etwas zu frühstücken.“

„Das käme mir sehr entgegen, denn von dem Fraß im Flugzeug wird mir schlecht. Wenn ich schon von weitem die lappigen Brötchen sehe, werde ich immer an Styropor erinnert und bekomme sofort Zahnschmerzen. Also gut, bis später. Leg dich hin und versuche zu schlafen, du siehst echt beschissen aus, Leo.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Geplapper lange ertrage. Ursula quasselt ohne Punkt und Komma. Allerdings muss ich zugeben, dass ihre gute Laune ansteckend ist.“

„Sei froh, dass sie dich begleitet.“

Leo packte einige wenige Kleidungsstücke und Waschartikel ein. Sein Koffer war nur halb voll. Er konnte nicht schlafen, wartete ungeduldig und lief im Wohnzimmer auf und ab, bis es endlich zwei Uhr war.

Christine war durch Leos Lärm aufgewacht. Sie hatte erstaunlicherweise gut geschlafen, denn sie wusste Leo in guten Händen. Natürlich wollte sie es sich nicht nehmen lassen, sich von Leo zu verabschieden. Sie drückte ihn fest an sich und ärgerte sich, dass sie nicht einige Jahre jünger war und ihn begleiten konnte. Jetzt konnte sie nur hier sitzen und warten.

„Ich wünsche dir alles Gute und viel Glück. Keine Sorge, du findest deinen Sohn im Handumdrehen, und zwar gesund und munter. Melde dich ab und zu, damit ich mir keine Sorgen machen muss.“