Leichenschau - Irene Dorfner - E-Book

Leichenschau E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Spielende Kinder entdecken am Busparkplatz Altötting die Leiche einer jungen Frau. Der Notarzt Dr. Leichnahm ruft die Mordkommission Mühldorf, da die Leiche so geschminkt wurde, als würde die Frau noch Leben. Leo Schwartz und seine Kollegen finden heraus, dass die Tote schon viele Stunden am Busparkplatz saß und Passanten achtlos an ihr vorbei gingen. Niemandem fiel auf, dass die Frau tot war. Dann wird mitten auf dem Kapellplatz Altötting eine weitere Leiche entdeckt...

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Irene Dorfner

Leichenschau

Leo Schwartz ... und das Experiment

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

3. Auflage 2021 – Copyright © Irene Dorfner

All rights reserved

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

Cover-Design: Vanja Zaric, 84503 Altötting

Lektorat: FTD-Script Altötting

Earl und Marlies Heidmann, Spalt

VORWORT

„Man müsste es dahin bringen, dass sich alle Menschen dem Fanatismus und der Intoleranz schämen.“

Friedrich II, der Große (1712-1786), preußischer König

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des achten Falles mit

Leo Schwartz & Co.!!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

Schon seit den frühen Morgenstunden des ungemütlichen Junitages saß die Frau bewegungslos auf der Bank am Busbahnhof Altötting. Menschenmengen, darunter viele Pendler, Schüler, Mütter mit kleinen Kindern und später auch viele alte Frauen und Männer, gingen achtlos an ihr vorüber. Vor allem früh morgens und in der Mittagszeit war viel los. Je später es wurde, desto geringer wurde die Anzahl der Passanten. Bereits zum dritten Mal hatte der unfreundliche Busfahrer der Linien 50/51 der Frau zugerufen: „Was ist jetzt? Einsteigen oder nicht?“, um dann genervt die Tür zu schließen und davonzufahren, denn eine Antwort bekam er nicht.

Am Nachmittag spielten Kinder Fußball auf dem nun fast verwaisten Busparkplatz, denn nach siebzehn Uhr war hier nicht mehr viel los. Busse fuhren nur noch selten. Und wenn, dann auf den unteren Spuren in direkter Bahnhofsnähe. Hier am letzten Bussteig war seit Stunden kein Betrieb mehr. Auch auf den Parkplätzen, wo vor Kurzem noch dichtes Gedränge herrschte und sich die Fahrer beinahe um die freien Plätze stritten, war nur noch gähnende Leere. Die Kinder hatten jetzt einen riesigen freien Platz zum Spielen und nutzten diesen auch aus. Der Fußball flog weit und die Kinder rannten und lachten, ohne auf irgendeine Gefahr Acht geben zu müssen, was alle nach einem anstrengenden Schultag sichtlich genossen. Das Wetter war ihnen völlig egal, auch der einsetzende Nieselregen hielt sie von ihrem Spiel nicht ab. Natürlich hatten die Kinder die Frau auf der Bank bemerkt, beachteten sie aber nicht weiter. Der kleine Thorsten war mit seinen neun Jahren ein begeisterter und sehr geschickter Fußballspieler und hatte bereits einen kräftigen Schuss drauf. Es kam, wie es kommen musste: Er holte mit dem rechten Fuß aus, traf den Ball seitlich und schoss der Frau direkt ins Gesicht.

„Entschuldigung,“ rief Thorsten und rannte schuldbewusst zu der Frau. „Es tut mir sehr, sehr leid. Das wollte ich echt nicht. Habe ich Ihnen wehgetan?“ Er konnte sich die Predigt der Frau und vor allem die seiner Mutter bereits vorstellen und spürte Panik in sich aufsteigen. Thorsten stand nun direkt vor der Frau, die wider Erwarten kein einziges Wort von sich gab, keine Miene verzog, ihn nicht einmal ansah.

„Hallo? Geht es Ihnen nicht gut?“

Der Blick der Frau ging ins Leere. Natürlich hatten Thorstens Freunde den verunglückten Schuss mitbekommen und waren hinzugeeilt, um ihm beizustehen.

„Was ist mit ihr?“, durchbrach Daniel die Stille, denn alle standen jetzt im Halbkreis um die Frau und starrten sie an.

„Keine Ahnung.“

„Schläft sie?“

„Mit offenen Augen?“

„Ich hab‘ gesehen, dass du sie direkt im Gesicht getroffen hast. Aber sie beschwert sich nicht. So, wie ich das sehe, hat sie nichts abbekommen. Kommt, lasst uns weiterspielen, es macht gerade so viel Spaß.“

„Nein, wir können sie doch nicht einfach so sitzen lassen. Vielleicht ist sie so schwer verletzt, dass sie sich nicht mehr bewegen kann.“ Thorsten hatte ein schlechtes Gewissen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Frau sich im Nachhinein bei seiner Mutter hierüber beschwerte. Es kam leider oft vor, dass ihm ein Missgeschick mit dem Fußball passierte. Er hatte seiner Mutter versprechen müssen, nicht davonzulaufen, sondern sich um den angerichteten Schaden zu kümmern. Er startete noch einen Versuch: „Hallo?“, sprach er sie erneut an, während er sie an der Schulter anfasste und zuerst zaghaft, dann kräftig schüttelte.

„Ist die krank? Die gibt ja keinen Mucks von sich.“

„Oder sie ist blöd. Mein alter Onkel Erwin reagiert auch auf gar nichts, er liegt nur im Bett.“

Einer der Jungs trat der Frau nun mehrfach gegen das Schienbein, zuerst leicht, dann immer kräftiger. Schließlich schüttelte er die Frau, und zwar so lange, bis sie schließlich zur Seite kippte, von der Bank fiel und auf dem Boden lag.

2.

Leo Schwartz stand als Erster vor der Leiche der jungen Frau. Er wohnte in Altötting und hatte den kürzesten Anfahrtsweg. Er sah sich die Leiche an und war erstaunt, denn augenscheinlich schien sie in Ordnung zu sein.

„Leo Schwartz mein Name, Kripo Mühldorf. Sie haben uns gerufen?“ Er sah den 38-jährigen, kleinen, fülligen Notarzt mit der Glatze fragend an.

„Dr. Leichnahm mein Name, Dr. Richard Leichnahm. Diese Kinder dort haben die Frau gefunden und die 110 gewählt. Leider konnte ich nur den Tod der Frau feststellen. Ich habe die Kriminalpolizei gerufen, weil mit der Toten etwas nicht stimmt.“

Leo versuchte, sein Schmunzeln zu unterdrücken und nicht auf den Namen des Notarztes zu reagieren, aber der hatte seine Reaktion offensichtlich bereits erwartet.

„Leichnahm mit einem h. Und ja, ich habe in meiner beruflichen Laufbahn schon die eine oder andere blöde Bemerkung bezüglich meines Namens gehört und auch jeden nur denkbaren Witz darüber ertragen müssen. Man muss auch die positive Seite sehen: Keiner vergisst meinen Namen. Außerdem,“ fügte er hinzu, „sind Sie auch nicht schwarz und heißen doch so.“

„Sie haben völlig recht. Es tut mir leid, entschuldigen Sie bitte. Was ist mit der Frau?“

„Die Frau ist ca. 30 – 35 Jahre alt. Keine äußeren Verletzungen. Nach meiner Einschätzung ist der Tod schon vor längerer Zeit eingetreten, die Leichenstarre ist bereits weit fortgeschritten.“

„Sind Sie sich sicher? Die Leiche sieht nicht danach aus.“

Leo war skeptisch. Er hatte bereits mehrere Leichen gesehen, bei denen die Leichenstarre eingesetzt hatte, und die sahen bei Weitem schlimmer aus.

„Ich zeige Ihnen etwas,“ sagte Dr. Leichnahm, nahm ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und fuhr der Toten damit über die Wange und dann über den Handrücken. Er hielt Leo das Tuch vors Gesicht.

„Alle sichtbaren Körperstellen wurden mit einer dicken Schicht Schminke überzogen. Die Leichenflecke wurden gänzlich unkenntlich gemacht. Sehen Sie sich das an. Es wurden sogar Adern fein säuberlich nachgezeichnet. Eine perfekte Arbeit, würde ich sagen.“

„Sie meinen, jemand hat sich die Mühe gemacht und die Leiche geschminkt, damit sie so aussieht, als würde sie noch leben?“

„Warum sie geschminkt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Das herauszubekommen ist Ihr Job. Ich kann Ihnen nur sagen, dass nach meiner vorsichtigen Einschätzung nach der Tod mindestens vor zwei Tagen eingetreten ist und dass die Frau nicht hier verstarb.“

„Warum sind Sie sich so sicher, was den Ort betrifft?“

„Meine Schwester ist Kosmetikerin. Daher weiß ich, dass es nicht nur eine Ewigkeit dauert, sondern jede Menge Utensilien dafür benötigt werden, bis ein Gesicht auch nur annähernd so hergerichtet ist. Dazu kommen die Hände, das Gesicht und der Hals. Alles wurde mit lebensechten Adern und Schatten versehen. Sehen sie sich die Fingernägel an. Dass die bearbeitet wurden, sieht man nur bei genauer Betrachtung. Und diese Lippen! Alles in allem eine phantastische Arbeit, so etwas habe ich bislang noch nicht gesehen.“ Dr. Leichnahm war fasziniert. Die Leiche war perfekt geschminkt worden. Er hatte beinahe Hochachtung vor der aufwändigen Arbeit. „Bezüglich der Todesursache kann ich absolut nichts sagen, das müssen Spezialisten abklären. Wie bereits gesagt, gibt es keine äußeren Verletzungen oder sonstige Hinweise, mit denen ich dienen könnte.“

Viktoria Untermaier, Leos Vorgesetzte und mittlerweile auch seine heimliche Lebensgefährtin, war nun ebenfalls eingetroffen und hörte erstaunt den Ausführungen des Dr. Leichnahm zu. Der Arzt hatte einen österreichischen Akzent, was Leo bislang nicht aufgefallen war. Für ihn als Schwaben, der vor zehn Monaten von Ulm nach Mühldorf versetzt wurde, klang bayrisch und österreichisch absolut gleich. Als er das einmal in einer geselligen Runde bemerkte, schlug ihm sofort heftiger Widerspruch entgegen. Die Bayern beharrten vehement darauf, dass ihr Dialekt absolut nichts mit dem der Österreicher zu tun hätte, und sie wollten sich mit den direkten Nachbarn der nahen Grenze auf keinen Fall vergleichen lassen. Was wahrscheinlich umgekehrt ähnlich war.

„Die Frau geht sofort in die Gerichtsmedizin,“ wies Viktoria Untermaier an, was Leo bereits veranlasst hatte. Viktoria war heute offensichtlich schlecht gelaunt, denn sie ging mit energischen Schritten auf die Gruppe der Kinder zu, zu denen sich bereits einige Elternteile und darüber hinaus viele Schaulustige versammelt hatten. Leo sah seiner Viktoria hinterher, die heute wieder besonders hübsch aussah. Erst seit wenigen Wochen war er mit der 47-jährigen, 1,65 Meter großen Viktoria liiert. Er war sehr glücklich darüber, denn sie war lange für eine neue Beziehung wegen ihrer gescheiterten Ehe und der unschönen Scheidung noch nicht bereit gewesen. Leo hatte sogar Verständnis für ihr Zögern, denn er hatte das Vergnügen, diesen Kotzbrocken von Exmann kennenzulernen.

Seit der gemeinsamen Urlaubswoche, die sie auf Kos in Griechenland verbracht hatten, waren erst wenige Wochen vergangen. War das eine schöne Zeit gewesen, die er nach einem schrecklichen Fall mit seiner Exfrau auch dringend gebraucht und zusammen mit Viktoria auch sehr genossen hatte. Sie hatten sich nach der Rückkehr darauf geeinigt, dass sie noch niemandem davon erzählen wollten, dass sie zusammen waren, vor allem nicht den Kollegen. Viktoria hatte ihn davon überzeugt, dass sie sich als Paar zuerst ausprobieren mussten, obwohl Leo am liebsten allen, die ihm über den Weg liefen, von seiner Viktoria erzählen wollte. Eigentlich hatten sie vorgehabt, es sich heute bei Leo zuhause vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Wein und Knabberzeug standen bereit, Viktoria wollte Pizza mitbringen. War das der Grund für ihre üble Laune?

„Ihre Freundin?“, unterbrach Dr. Leichnahm Leos Gedanken.

„Wie bitte?“

„Na so, wie sie die Frau ansehen, liegt das auf der Hand, mir können Sie nichts vormachen. Haben Sie noch Fragen bezüglich der Toten oder kann ich mich verabschieden?“

„Hatte die Frau irgendwelche Papiere ohne Persönliches bei sich?“

„Nein, nichts dergleichen. Keine Handtasche. Die Hosen- und Jackentaschen sind vollkommen leer. Wenn Sie mich fragen, sind die Kleidungsstücke alle nagelneu. Und wenn ich noch anmerken darf, sind die Schuhe etwas zu groß. Aber ich möchte der Gerichtsmedizin nicht vorgreifen.“

„Eine Frage hätte ich noch: Ich hatte schon oft mit Notärzten und Ersthelfern zu tun. Sie waren doch nicht immer Notarzt, dafür achten sie zu sehr auf Kleinigkeiten.“

„Sie haben mich erwischt, Herr Schwartz. Ich war Pathologe bei der Medizinischen Universität Wien. Aus privaten Gründen bin ich seit einiger Zeit hier in Altötting als Notarzt tätig. Sind wir hier jetzt fertig? Die Pflicht ruft.“

Dr. Leichnahm wurde bereits mehrfach angefunkt. Leo sah dem Arzt nach. Es würde ihn sehr interessieren, warum er hier in Altötting gelandet ist. Viktorias Rufe rissen ihn aus seinen Gedanken. Sie brauchte bei den Befragungen der Kinder, Eltern und Passanten seine Unterstützung.

Inzwischen waren auch die Kollegen Werner Grössert und Hans Hiebler vor Ort, die sichtlich Mühe hatten, mit den aufgebrachten Eltern zu sprechen, da diese mit allen Mitteln versuchten, ihre Kinder zu schützen. Alle sprachen und riefen wild durcheinander und erschwerten dadurch die Arbeit der Polizei erheblich. Nach einer gefühlten Ewigkeit waren die Befragungen endlich beendet. Die Kriminalbeamten fuhren genervt ins Präsidium Mühldorf am Inn, der Feierabend war gestrichen. Natürlich war keiner begeistert davon. Es war nach einundzwanzig Uhr und jeder einzelne von ihnen hatte sich den Abend anders vorgestellt. Werner Grössert wurde während des Abendessens mit seiner Frau gerufen. Hans Hiebler hatte sich fertiggemacht, um auszugehen, warum er auch einen betörenden Herrenduft hinter sich herzog und dazu auch noch blendend aussah. Werner trug zur Überraschung aller nicht einen seiner teuren Anzüge, sondern nur Jeans und T-Shirt. Trotzdem sah er auch mit der Freizeitkleidung sehr aufgeräumt aus.

„Werner, du machst die Busfahrer ausfindig. Irgendjemand muss doch diese Frau bemerkt haben. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass die Tote völlig unbemerkt über einen längeren Zeitraum dort auf der Bank gesessen hat.“

Der 38-jährige, 1,75 m große Werner nickte und machte sich umgehend an die Arbeit. Werner war direkt in Mühldorf geboren und aufgewachsen und stammte aus einer angesehenen Anwaltsfamilie, die über den Werdegang ihres Sprösslings bei der Polizei nicht begeistert war. Er hätte eigentlich als einziger Sohn später einmal die Anwaltskanzlei übernehmen sollen, so zumindest war die Planung. Stattdessen hatte er gegen ihren Willen die Ausbildung bei der Polizei begonnen und ließ sich trotz vieler Diskussionen, Drohungen und auch verlockende Angebote nicht davon abbringen. Während der wenigen Familientreffen wurde vermieden, über Werners Beruf zu sprechen. Trotzdem ließen die Eltern keine Gelegenheit aus, ihren Unmut mit kleinen, spitzen Bemerkungen darüber Ausdruck zu verleihen. Als wäre das nicht genug, waren sie mit der Wahl der Schwiegertochter ebenfalls nicht einverstanden. Werners Frau stammt nicht nur aus sehr einfachen Verhältnissen, sondern war mit einer Hautkrankheit geplagt, die sie immer wieder zu längeren Krankenhaus- und Kuraufenthalten zwang.

„Hans, du suchst die Vermisstenmeldungen durch.“

Hans Hiebler war mit seinen 53 Jahren der Älteste, hatte aber keine Ambitionen, großartig Karriere zu machen. Er war ein sehr guter Polizist, stammte gebürtig von einem Bauernhof vor den Toren Mühldorfs, war 1,80 m groß, sportlich und war das, was man einen Frauenhelden nannte. Er war nie verheiratet, konnte nicht allein sein und liebte alle Frauen, wobei er keinen besonderen Typ bevorzugte. Er konnte nur die zickigen, falschen und verlogenen Frauen nicht leiden.

„Hast du die Pizza schon besorgt?“, flüsterte Leo Viktoria zu, als sie an der Kaffeemaschine standen. Leo war 49 Jahre alt. In wenigen Wochen hatte er seinen 50. Geburtstag, vor dem er etwas Bammel hatte. Für ihn waren Menschen über 50 immer alt gewesen und dazu würde er nun auch bald gehören. Mit seiner Körpergröße von 1,90 Meter und der schlanken Figur fiel er schon auf, aber noch auffallender war sein Kleidungsstil, über den sich schon viele amüsiert hatten. Er trug immer Jeans, eine alte Lederjacke, Cowboystiefel und entweder ein einfarbiges Hemd oder ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband, die außer ihm niemand zu kennen schien. Leo fand sich selbst absolut hip und chic. Nicht nur wegen seines Äußeren, sondern vor allem wegen seines schwäbischen Dialekts war er hier in Oberbayern ein Exot. Er hatte sich in Mühldorf gut eingelebt, inzwischen gehörte er dazu.

„Natürlich habe ich die Pizza besorgt, sie liegt im Auto und gammelt vor sich hin. Ich habe mich so sehr auf einen schönen Abend gefreut.“

Leo lächelte nur, strich ihr kaum merklich über den Arm und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er ging die Aussagen der Kinder und deren Eltern durch, die fast alle wertlos waren. Danach machte er sich an die Aussagen der Passanten, von denen einige sehr interessant waren.

„Hört mal her,“ rief Leo in den Raum, „ich habe hier drei Aussagen vorliegen. Demnach müsste die Tote mindestens seit dem Vormittag dort gesessen haben. Könnt ihr euch das vorstellen?“

„Kaum zu glauben,“ sagte Viktoria und schüttelte den Kopf. „Ist unsere Gesellschaft schon so sehr abgestumpft, dass man sich nicht mehr füreinander interessiert? Man kann an einem stark frequentierten Ort eine Leiche setzen und keinen schert das?“

„Jetzt seid mal nicht so ungerecht,“ mischte sich Werner entgegen seiner sonstigen Art in die inzwischen eingetretene heftige Diskussion ein. „Wir haben alle die Leiche gesehen, sie wirkte absolut lebendig. Warum um alles in der Welt sollte ich eine Frau ansprechen, die an der Bushaltestelle sitzt, während ich auf den Bus warte?“

„Was ist mit den Busfahrern und den Anwohnern? Möchtest du die etwa auch in Schutz nehmen?“ Viktoria war sehr aufgebracht.

„Ich möchte niemand in Schutz nehmen. Natürlich hätten die Busfahrer genauer nachsehen können, genauso wie die Anwohner. Aber wie gesagt: Die Tote sah absolut lebendig aus und saß am Bussteig. Warum sollte sie dort nicht sitzen?“

Viktoria, Leo und Hans diskutierten mit Werner. Sie waren sich darüber einig, dass sie anders gehandelt hätten, und waren von den Passanten, Busfahrern und Anwohnern enttäuscht. Werner ließ sich nicht beirren. Er hatte Verständnis und sagte nichts mehr dazu. Er hatte seine Meinung deutlich gemacht und machte sich wieder an die Arbeit. Trotz großer Bemühungen seinerseits konnte er keinen zuständigen Sachbearbeiter bezüglich der Busfahrer ermitteln, es war einfach schon zu spät. Busse fuhren schon seit Stunden nicht mehr, nachts überhaupt nicht.

Hans Hiebler hingegen konnte drei vermisste Frauen ausfindig machen, die der Toten sehr ähnlich sahen. Aber ohne den ausführlichen Bericht der Pathologie München konnten sie sich nicht sicher sein, sie mussten bis morgen warten.

Es war mittlerweile fast elf Uhr und Viktoria entschied, dass es für heute genug war.

„Machen wir Schluss für heute. Morgen früh um 8.00 Uhr treffen wir uns in alter Frische im Besprechungszimmer. Der Chef hat von dem neuen Fall gehört. Er ist äußerst gespannt darauf, was wir zu berichten haben.“

Dass Rudolf Krohmer, der Leiter der Polizei Mühldorf, stärker in den Fall involviert sein würde, konnte bis dato noch niemand ahnen.

3.

Rudolf Krohmer saß bereits ungeduldig im Besprechungszimmer und wartete auf seine Kriminalbeamten. Der 52-Jährige liebte seine Arbeit, war korrekt und sehr warmherzig. Er hatte für alle immer ein offenes Ohr und wusste stets Rat, weshalb ihn die Kollegen besonders mochten. Er drückte gerne das eine oder andere Auge zu, was nicht immer bei allen gut ankam. Krohmer machte das nur, wenn es vertretbar war, denn dadurch waren ihm Personen Gefallen schuldig, die er zur gegebenen Zeit auch einforderte. Vor allem durch den Fall Mollenkopf, bei dem auch einige angesehene Personen aus der Mühldorfer Gesellschaft nicht sehr gut aussahen, ließ er einiges auf bayrische Art unter den Tisch fallen und hatte einige Pluspunkte gesammelt.

„Käffchen?“, säuselte ihn seine Sekretärin Hilde Gutbrod an. Beim Anblick der 60-jährigen, sehr schlanken und sehr geschwätzigen und neugierigen Frau brannten Krohmers Augen. Sie trug heute ein neongelbes, viel zu kurzes Kleid und schwarze, hochhackige Stiefel aus schwarzem Lackleder. Frau Gutbrod verleugnete ihr Alter und kleidete sich wie ein Teenager. Auch die Frisur war alles andere als altersgerecht: schwarz gefärbt, hochtoupiert und seit zwei Tagen mit pinkfarbenen Strähnen durchzogen.

„Ja bitte,“ antwortete Krohmer knapp und bemerkte dabei die bunten, langen Fingernägel, die Frau Gutbrod demonstrativ zur Schau stellte. Als Frau Gutbrod einschenkte, sah er sie genauer an. Was hatte sie mit ihrem Gesicht gemacht? Vollkommen glattgebügelt und kaum eine Mimik, dazu waren die Lippen überdimensional angeschwollen, als hätten sie mehrere Bienen gleichzeitig gestochen. Krohmer konnte den Blick nicht von ihr abwenden, was seine Sekretärin erfreut zur Kenntnis nahm und als Kompliment auffasste. Er hatte es also bemerkt, dass sie sich kosmetisch hatte behandeln lassen.

Zum Glück kamen Viktoria Untermaier, Leo Schwartz, Hans Hiebler und Werner Grössert nun nacheinander in das Besprechungszimmer, wodurch Krohmer endlich den Blick von seiner Sekretärin abwenden konnte. Er hatte bei ihrem Anblick tatsächlich eine Gänsehaut bekommen.

„Käffchen?“, rief Frau Gutbrod laut durch den Raum. Jetzt starrten sie alle an, was ihre Absicht gewesen war. Wofür hätte sie sich verschönen lassen, wenn es nicht alle bewundern konnten?

„Alle Achtung, Frau Gutbrod!“, sagte Hans mit einem Lächeln und pfiff dabei durch die Zähne. „Sie sehen heute ja wieder besonders hübsch aus. Haben Sie eine neue Frisur?“

Natürlich hatte auch er, wie die anderen auch, bemerkt, dass sie sich hatte aufspritzen lassen.

Statt einer Antwort kicherte sie nur, schenkte reihum Kaffee ein und setzte sich einfach dazu, was sie in letzter Zeit öfters machte, obwohl sie niemand dazu aufgefordert hatte. Aber hier erfuhr sie alles aus erster Hand und musste sich nicht mühsam durch die Protokolle und Berichte lesen. Rudolf Krohmer ließ sie gewähren, denn sie war zwar neugierig und mischte sich überall ein, war darüber hinaus aber auch sehr fleißig und hatte einen scharfen Verstand, der gepaart mit ihrer Phantasie manchmal allerdings mit ihr durchging.

„Was haben wir?“, begann Krohmer.

„Gestern Abend wurde am Busparkplatz Altötting die Leiche einer Frau gefunden. Hier sind die Fotos,“ sagte Viktoria und schob die Bilder über den Tisch. „Wir wissen noch nicht, um wen es sich handelt. Sie hatte keinerlei Papiere oder Privates bei sich.“

Krohmer besah sich die Fotos. Frau Gutbrod war aufgestanden und sah ihrem Chef über die Schulter. Krohmer stutzte.

„Weiß man ungefähr, wie alt die Frau ist?“ Rudolf Krohmer war kreidebleich geworden, was niemandem aufgefallen war.

„Der Notarzt schätzt sie auf ca. Anfang/Mitte dreißig.“

„Und er meint, dass die Kleidung, die sie trug, nagelneu war. Die Schuhe waren übrigens ebenfalls nagelneu und etwas zu groß.“

„Das heißt, das ist nicht ihre Kleidung?“

„Offensichtlich nicht. Der Notarzt schätzt, dass die Frau seit mindestens zwei Tagen tot ist. Nachdem man die Leiche lebensecht geschminkt hatte, wurde sie am Busparkplatz abgesetzt. Das ist die Aussage von Dr. Leichnahm, die von der Pathologie bestätigt werden muss.“

„Sie ist bereits seit zwei Tagen tot? Seit Montag?“ Nun begann Krohmer zu zittern und wurde kreidebleich.

„Was ist mit Ihnen, Chef? Geht es Ihnen nicht gut?“ Hilde Gutbrod machte sich Sorgen. Auch die anderen starrten Krohmer nun an, den sie noch nie so gesehen hatten.

„Gehen Sie an Ihre Arbeit Frau Gutbrod, die Akte Bender mit den entsprechenden Anweisungen liegt auf Ihrem Tisch,“ sagte Krohmer leise, aber bestimmt. Frau Gutbrod wollte protestieren, fügte sich dennoch, denn der Blick ihres Chefs ließ sie für einen Moment erschaudern. „Und wagen Sie es ja nicht, an der Tür zu lauschen, verstanden?“, fügte Krohmer hinzu.

Frau Gutbrod wurde knallrot, denn es war tatsächlich so, dass ihr Chef sie schon mit dem Ohr an der Tür erwischt hatte. Was war heute los mit ihm? Warum schickte er sie weg? Kannte er die tote Frau etwa? Während sie zu ihrem Büro ging, machte sie sich die wildesten Gedanken über das, was sie eben erlebt hatte. Und als sie an ihrem Schreibtisch saß, war sie sich sicher, dass sie die Lösung gefunden hatte: Die Tote war die heimliche Geliebte ihres Chefs! Es konnte nicht anders sein, denn warum sonst hatte er so heftig reagiert. Ihr wurde speiübel. Schon seit Längerem war sie davon überzeugt, dass es in der Ehe der Krohmers kriselte! Sie stand auf, warf einen prüfenden Blick auf den Gang, schloss die Tür und rief ihre Nichte Karin an, um sie über die Neuigkeit zu unterrichten.

Als Frau Gutbrod das Besprechungszimmer verlassen hatte, beschloss Krohmer, offen und ehrlich mit seinen Kollegen zu sprechen.

„Das, was ich Ihnen jetzt sage, bleibt unter uns. Haben wir uns verstanden?“

Die Kollegen nickten und ahnten nichts Gutes. Krohmer hatte große Mühe zu sprechen. Ständig knetete er seine Hände und starrte darauf, er musste sich sehr zu dieser Aussage überwinden.

„Wir, also meine Frau und ich, haben ein Patenkind, ihr Name ist Silke Deser. Sie ist neunundzwanzig Jahre alt und wir haben sie nach dem Tod ihrer Eltern bei uns aufgenommen. Damals war sie sechzehn Jahre alt. Während eines Schulausfluges wurde sie in Berlin von Mitgliedern einer Sekte angesprochen. Von welcher, kann ich Ihnen nicht sagen, obwohl ich sehr viel recherchiert habe. Aber dass es sich dabei um die Mitglieder einer Sekte gehandelt hat, haben Schulfreudinnen einstimmig ausgesagt. Silke stand offenbar seitdem in Kontakt mit dieser Sekte und ist dann, nachdem sie volljährig geworden war, nach Berlin abgehauen und lebte fortan dort. Natürlich haben wir versucht, sie davon abzuhalten und sie wieder zurückzuholen, aber sie hat jeglichen Kontakt zu uns abgebrochen und sich nie wieder bei uns gemeldet. Am letzten Sonntag bekamen wir überraschend einen Anruf von ihr. Sie bat uns unter Tränen um Verzeihung, was natürlich vollkommen überflüssig war. Selbstverständlich waren wir nicht böse auf sie. Wir freuten uns, dass sie gesund war und sich meldete. Wir haben uns sofort mit ihr verabredet, sie wollte uns am Montag besuchen. Sie hatte uns etwas Wichtiges mitzuteilen, was sie uns aber nicht am Telefon, sondern persönlich sagen wollte. Um was es dabei ging, kann ich Ihnen daher nicht sagen. Sie erinnern sich, dass ich Montag frei hatte. Meine Frau und ich haben den ganzen Tag gewartet, aber Silke ist nicht aufgetaucht. Natürlich haben wir uns Sorgen gemacht und waren enttäuscht, aber wir wollten sie nicht drängen und waren uns sicher, dass sie sich wieder melden würde.“

„Und Sie meinen, die Tote könnte Ihr Patenkind sein?“

„Ich bin mir nicht sicher, ich habe sie schließlich über zehn Jahre nicht mehr gesehen. Eine Ähnlichkeit ist vorhanden.“

„Nehmen Sie es mir nicht übel, Chef. Warum haben Sie keine Vermisstenmeldung rausgegeben, wenn sich Ihre Nichte seit Montag nicht mehr gemeldet hat? Heute ist bereits Donnerstag.“ Leo konnte diese Nachlässigkeit nicht nachvollziehen. Er an seiner Stelle hätte längst alles in seiner Macht stehende in die Wege geleitet, um das Mädchen zu finden.

„Mit welcher Begründung denn? Sie wissen doch genau, wie die Richtlinien und Vorgaben für eine Vermisstenanzeige sind. Silke war früher ein sprunghafter Mensch und hasste es, wenn man ihr nachspionierte. Wir wollten es uns nicht mit ihr verscherzen und haben uns darauf geeinigt, einfach nur abzuwarten. Ich hätte doch niemals damit gerechnet, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Wir sind davon ausgegangen, dass ihr etwas dazwischenkam oder sie es sich anders überlegt hatte. Junge Menschen darf man nicht drängen, irgendwann kommen sie dann von selbst wieder zurück.“

In welchem Psychoblatt hatte er das denn gelesen? Viktoria und Leo waren peinlich berührt von dieser Aussage und hätten ihrem Chef am liebsten heftig widersprochen. Hans war derselben Meinung wie der Chef, Werner hielt sich zurück.

„Handelt es sich bei der Toten um eine Blutsverwandte?“, fragte Werner und wandte sich damit wieder den Fakten zu. Jetzt im Nachhinein konnte man eh nichts mehr an der Situation ändern.

„Ja, sie ist die Tochter meiner Schwester. Wir können also jederzeit einen DNA-Abgleich machen.“

„Dann reden wir hier nicht lange rum, sondern werden das umgehend veranlassen, dann wissen wir Bescheid.“ Viktoria nahm das Handy und telefonierte mit der Gerichtsmedizin München.

„Wann können wir mit einem Bericht rechnen?“, fragte sie die hörbar gestresste Frau am Telefon.

„Das wird noch dauern. Wir haben momentan sehr viel Arbeit, am Wochenende haben wir acht Todesfälle reinbekommen. Außerdem haben wir krankheitsbedingten Personalmangel. Heute wird das leider nichts mehr. Ich hoffe, dass wir es bis morgen Mittag schaffen, aber versprechen kann ich nichts.“

Viktoria war sauer. Sie konnte nachvollziehen, dass Krohmer Höllenqualen ausstehen musste. Die Nachricht kam deshalb besonders bei ihm nicht sehr gut an.

„Bis Morgen? Kann man das nicht irgendwie beschleunigen?“, rief er aufgebracht.

„Wenn wir Druck machen und herauskommt, dass es sich bei der Toten um eine Verwandte handelt, könnten Sie mächtig Ärger bekommen,“ beschwichtigte Leo seinen Chef. „Allerdings hätte ich eine Idee.“

„Und die wäre? Ich bin für alles offen.“

„Wenn wir den Notarzt von Altötting bitten, uns diesbezüglich zu helfen? Natürlich müssten Sie Ihre Beziehungen spielen lassen und den Schriftkram erledigen.“

Krohmer war begeistert.

„Das kriege ich hin. Sprechen Sie mit dem Mann und überzeugen Sie ihn.“

„Geht in Ordnung.“

„Wo ist der Bericht der Spurensicherung?“ Krohmer setzte seine Hoffnung auch in diese Richtung.

„Das kann ebenfalls dauern. Fuchs ist im Urlaub.“ Obwohl vor allem Viktoria den Leiter der Spurensicherung nicht besonders gut leiden konnte und bei jeder Gelegenheit mit ihm in Streit geriet, vermisste sie ihn jetzt besonders. Fuchs war nicht nur sehr gut in seinem Job und äußerst pingelig, sondern arbeitete bei einem Fall wie ein Besessener rund um die Uhr. Dabei waren ihm die Arbeitszeit, das Wetter und auch die äußeren Umstände völlig egal. Krohmer ärgerte sich insgeheim. Er selbst hatte Fuchs dazu gedrängt, endlich Urlaub zu nehmen, da der schon seit über einem Jahr keinen freien Tag mehr hatte und Krohmer deshalb mit München Probleme bekam.

„Machen Sie Druck, Frau Untermaier. Ich schlage vor, wir sehen uns nach dem Mittagessen wieder hier, vielleicht wissen wir dann schon mehr. Das hier bleibt unter uns, verstanden? Kein Wort zu irgendjemand, besonders nicht zu Frau Gutbrod. Ich möchte, dass der Fall bei uns bleibt. Wenn herauskommt, dass die Tote meine Verwandte ist, dann kümmern sich Kollegen darum. Und die sind vielleicht nicht so gründlich wie wir.“

„Das will ich jetzt nicht gehört haben Chef,“ sagte Viktoria. „Die Kollegen machen auch gute Arbeit. Aber ich kann Sie verstehen. Außerdem würde ich den Fall nur sehr ungerne abgeben wollen.“

Leo hatte herausbekommen, wo er Dr. Richard Leichnahm finden konnte: im Kreiskrankenhaus Altötting. Dort angekommen, fragte er sich durch, bis er ihn schließlich fand.

„Herr Schwartz? Was sucht die Kripo hier? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Leo war überrascht, dass er sich an seinen Namen erinnerte.

„Das können Sie durchaus. Haben Sie einen Moment für mich?“

„Setzen wir uns in die Cafeteria. Ich habe Feierabend und wollte eben nach Hause. Auf mich wartet niemand.“

Nachdem sie vor dampfendem Kaffee in der frisch renovierten Cafeteria saßen, legte Leo sofort los.

„Wir bräuchten bezüglich der gestern aufgefundenen Leiche Ihre Hilfe. Wären Sie eventuell bereit, eine pathologische Untersuchung vorzunehmen? Den Schriftkram übernehmen wir.“

„Personalmangel?“

Leo nickte.

„Ich würde sehr gerne wieder in der Pathologie arbeiten, denn das ist mein Steckenpferd. Ich würde spontan zusagen, aber das wird nicht funktionieren. Ich bin in Deutschland als Pathologe nicht zugelassen und darf offiziell diesbezüglich nicht tätig werden.“

Leo war enttäuscht, damit hatte er nicht gerechnet.

„Wenn Sie allerdings einen Pathologen haben, der offiziell eingetragen ist, dann kann ich wiederum offiziell assistieren. Damit wäre das Problem umgangen. Ich bezweifle allerdings, dass Sie jemanden finden, der seinen Kopf für mich hinhält. Denn wenn ich Mist baue, ist derjenige dran, nicht ich.“

Leo musste schmunzeln. Er wüsste tatsächlich jemanden, der dafür in Frage kam: Seine Freundin und frühere Kollegin Christine Künstle, Pathologin in Ulm. Die 62-Jährige ist immer für so etwas zu haben und fackelt nicht lange.

„Ich habe eine Idee. Warten Sie bitte hier, ich muss kurz telefonieren und komme sofort zurück.“

Vor dem Krankenhaus nahm Leo sein Handy, setzte sich auf eine Bank und wartete auf die vertraute Stimme seiner Freundin Christine.

„Wer stört mich?“, meldete sie sich unfreundlich. Leo musste lachen. Er wusste, dass sie es hasste, wenn sie bei der Arbeit gestört wurde.

„Nicht ganz so unfreundlich, junge Frau.“

„Leo?“, rief sie erfreut, als sie seine Stimme erkannte. „Wie schön, dass du dich meldest. Was kann ich für dich tun?“

Er schilderte ihr in knappen Sätzen, um was es ging.

„Würdest du dich bereiterklären, dich als Pathologin einzutragen, damit der österreichische Kollege tätig werden kann?“

Sie fragte bezüglich des österreichischen Pathologen nicht lange nach, denn sie vertraute Leo voll und ganz. Wenn er von diesem Mann überzeugt war, war sie es auch.

„Selbstverständlich bin ich dazu bereit, du kennst mich doch. Du kannst mich in München anmelden. Welchen Tag haben wir heute?“

„Donnerstag. Warum?“

„Was? Schon wieder Donnerstag? Wie schnell die Zeit vergeht. Das Wochenende steht vor der Tür und ich habe noch nichts vor, das kommt mir sehr gelegen. Ich brauche hier noch ungefähr eine Stunde, dann packe ich und bin unterwegs.“

„Du hast mich falsch verstanden, Christine. Ich habe einen Pathologen, du musst nicht persönlich erscheinen. Ich brauche nur deinen Namen und natürlich dein Einverständnis, dass Dr. Leichnahm als dein Assistent in dem vorliegenden Fall arbeiten kann.“

„Denkst du, ich bin blöd? Das habe ich verstanden. Dein Dr. Leichnahm kann meinetwegen in meinem Namen arbeiten. Gegen ein bisschen Hilfe und Unterstützung durch einen fachlichen Rat oder einen Blick in die Unterlagen wirst du doch nichts einzuwenden haben, oder? Es sei denn, du willst mich nicht sehen?“

Sie schien beinahe beleidigt.

„Natürlich will ich dich sehen, keine Frage, aber…“

„Dann verschwende nicht länger meine Zeit. Ich muss meine Arbeit hier noch beenden und die erfordert meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Wir sehen uns später.“

Bevor Leo noch etwas erwidern konnte, hatte sie aufgelegt. Leo war sich sicher, dass sie auf einen weiteren Anruf nicht mehr reagieren würde. Außerdem war er sich sicher, dass es bei einem Blick in die Unterlagen und einem fachlichen Rat von ihrer Seite nicht bleiben würde. Wenn sie erst mal hier war, würde sie sich nicht nur in den ganzen Fall reinknien, sondern ihn gleich an sich reißen. Perfekter könnte es nicht laufen.

„Und? Haben Sie etwas erreichen können?“, fragte Dr. Leichnahm, als Leo wieder zu ihm in die Cafeteria kam.

„Ich habe eine Pathologin gefunden, die

einverstanden ist. Frau Dr. Christine Künstle wird sich für Sie eintragen.“

„Sie scherzen! Frau Dr. Christine Künstle aus Ulm?“ Leo nickte. „Das glaube ich ja nicht! Ich habe viele ihrer Vorträge genossen und habe natürlich in den verschiedenen Fachliteraturen von ihr und über sie gelesen. Das ist ja der Wahnsinn! Schade, dass ich sie nicht persönlich kennenlerne.“

„Das werden Sie. Sie kommt nach Mühldorf und ich fürchte, ich kann sie nicht davon abhalten, Sie in Ihrer Arbeit wie auch immer zu unterstützen.“

„Heute muss mein Glückstag sein! Nicht nur, dass ich das Vergnügen habe, Frau Dr. Künstle persönlich zu treffen, sondern ich habe auch noch das Glück, mit ihr zu arbeiten. Und zu allem Überfluss habe ich erst wieder am nächsten Dienstag Dienst. Das heißt, ich habe jede Menge Zeit. Ich fahre jetzt nach Hause, ziehe mich um, und fahre auf direktem Weg in die Gerichtsmedizin. Hier ist meine Handynummer, halten Sie mich bezüglich Frau Dr. Künstle auf dem Laufenden.“

Dr. Leichnahm grinste von einem Ohr zum anderen und hatte vor Freude knallrote Bäckchen bekommen.

„Was gibt es Neues?“, legte Rudolf Krohmer sofort los, als sie sich um 14.00 Uhr im

Besprechungszimmer trafen. Er hatte darauf verzichtet, seiner Sekretärin Hilde Gutbrod Bescheid zu geben, und alle hatten sich aus dem Automaten vor der Tür Kaffee geholt.

„Ich habe mit den Busfahrern sprechen können,“ begann Werner. „Es ist tatsächlich so, dass sie die Frau gesehen und sie offenbar mehrfach angesprochen haben. Alle nur von ihrem Fahrersitz aus. Somit waren sie mehrere Meter von der Toten entfernt.“

„Keiner hat sich gewundert, dass die Frau den ganzen Tag dort unverändert saß?“

„Nein, offenbar nicht. Vier der Busfahrer kamen mir sehr desinteressiert, beinahe kühl vor. Auch nachdem ich sie davon unterrichtet hatte, dass es sich bei der Frau um eine Tote handelte. Zumindest zeigten sich die anderen bestürzt.“ Dass er die Busfahrer allesamt zusammengestaucht und mit einer Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung gedroht hatte, behielt Werner lieber für sich.

„Wenigstens etwas. Haben Sie mit diesem Österreicher bezüglich der Pathologie sprechen können, Herr Schwartz?“ Besonders diese Angelegenheit brannte ihm unter den Nägeln.

„Selbstverständlich. Dr. Leichnahm war sofort bereit, einzuspringen. Allerdings gab es ein Problem. Er ist in Deutschland offiziell nicht als Pathologe zugelassen und darf daher nicht aktiv werden.“ Krohmer war enttäuscht, rieb sich die Augen und stöhnte enttäuscht auf.

„Ich habe eine zugelassene Pathologin gefunden, die für diesen Fall als Verantwortliche unterzeichnet und deshalb ist Dr. Leichnahm bereits unterwegs in die Pathologie, um als deren Mitarbeiter zu arbeiten. Ich hoffe, die erforderlichen Unterlagen liegen in München bereit?“

Krohmer war sehr erleichtert über diese Nachricht. Er dachte nicht einmal daran, nachzufragen, um welche Pathologin es sich dabei handelte. Es war ihm nur wichtig, dass endlich mit der Arbeit begonnen werden konnte.

„Selbstverständlich ist alles vorbereitet. Es hat mich zwar einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, aber schlussendlich war mir der zuständige Staatsanwalt noch einen Gefallen schuldig und hat zähneknirschend zugestimmt.“

„Ich habe nochmals mit den Anwohnern gesprochen,“ sagte Hans, der heute schon eine wahre Tortur hinter sich hatte. Er hatte mit geschätzten tausend Menschen gesprochen und war wie ein Kaninchen zwischen den Befragungen und den eintreffenden Bussen hin- und hergesprungen. „Dazu konnte ich auch mit einigen Fahrgästen der betreffenden Buslinien sprechen. Allerdings nur mit einigen von denen, die regelmäßig und immer zur gleichen Zeit damit fahren. Leider sind mir viele Fahrgäste durch die Lappen gegangen, die Menge war einfach zu groß und die Busfahrer drängten darauf, ihre Fahrpläne einzuhalten. Ich bin auch nur bis zur 13.01 Uhr-Fahrt gekommen. Wir sollten uns alle Fahrten nochmals genauer vornehmen, aber alleine ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Wir sollten die Befragungen mit vielen Kollegen durchführen. Darüber hinaus wären Plakate sinnvoll, die wir an den Haltestellen anbringen sollten.“

„Das habe ich notiert. War irgendetwas Brauchbares dabei?“

„Im Großen und Ganzen überschnitten sich die Aussagen dahingehend, dass die Frau zwar gesehen wurde, sich aber niemand darum gekümmert hatte.“

„Sind die Menschen tatsächlich schon so abgestumpft?“ Krohmer wollte einfach nicht daran glauben. „Was haben Sie, Frau Untermaier?“

„Ich habe mich inzwischen über Sekten und Glaubensgemeinschaften informiert, vorrangig im Berliner Raum. Mit einem Mitarbeiter der Sekten- und Psychogruppe Berlin habe ich ein ausführliches Telefongespräch geführt. Es gibt offenbar in Berlin eine unüberschaubare Menge an den verschiedensten Gruppierungen, die religiös, lebenshelfend und therapeutisch geprägt sind. Oft sind die Grundlagen nur eine eigene Weltanschauung. Der Mitarbeiter hat mir versprochen, nach dem Namen Silke Deser zu suchen, ob sie schon einmal in Erscheinung getreten oder irgendwie sonst in diesem Zusammenhang aufgefallen ist.“

Die Kollegen waren über die Ausführungen sehr überrascht. Es war keinem bislang bewusst, wie viele solcher Gruppierungen es gibt. Außer natürlich Rudolf Krohmer, der sich lange Zeit nach dem Verschwinden seiner Nichte damit beschäftigt hatte.

„Bleiben Sie an diesem Thema unbedingt dran. Sprechen Sie mit allen möglichen Einrichtungen, die irgendwie weiterhelfen könnten. Und Sie beide,“ sprach er Hiebler und Grössert an, „kümmern sich bitte gemeinsam um die Befragungen der Bus-Passagiere. Nehmen Sie sich die Verstärkung mit, die Sie brauchen. Es wird sich doch in Gottes Namen ein einziger finden lassen, der etwas gesehen hat! In welcher Welt leben wir eigentlich!“

Rudolf Krohmer rannte nach draußen. Er hatte seine Frau für 15.00 Uhr herbestellt, die noch nichts von all dem hier mitbekommen hatte. Jetzt befand er es an der Zeit, sie einzuweihen und miteinzubeziehen, schließlich war auch sie persönlich betroffen. Er wollte sie an seiner Seite wissen, wenn die Nachricht aus der Pathologie München eintraf. Er selbst war fest davon überzeugt, dass es sich bei der Toten um seine Nichte Silke handelte, die Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Schwester war einfach zu groß.

Frau Gutbrod, die an der Tür gelauscht hatte, konnte gerade noch einen Schritt zur Seite gehen und somit hinter die Tür huschen, bekam aber trotzdem noch die Tür gegen die Nase, die sie sich nun vor Schmerzen mit beiden Händen hielt. Sie musste einen Aufschrei krampfhaft unterdrücken, denn die anderen kamen nun nacheinander ebenfalls aus dem Besprechungszimmer. Inständig hoffte sie darauf, dass sie niemand entdecken würde, was sehr peinlich für sie wäre. Warum ging Frau Untermaier nicht weiter? Auf wen wartete sie denn? Sie trennte nur die Tür und Frau Gutbrod fühlte Panik in sich aufsteigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frau Untermaier jeden Moment die Tür schließen und sie dann entdecken würde, war zum Greifen nah. - Aha, auf den Kollegen Schwartz hatte sie also gewartet. Der Schmerz wurde leichter, was auch an der Ablenkung lag.

„Wie hast du das mit der Pathologin angestellt?“, fragte Viktoria.

„Das war eine Kleinigkeit. Ich habe Christine angerufen und sie war sofort einverstanden. Allerdings konnte ich sie nicht davon abhalten, sich an dem Fall zu beteiligen. Ich gehe davon aus, dass sie Dr. Leichnahm unterstützend zur Seite steht. Hoffentlich vergrault sie ihn nicht.“

Viktoria musste laut lachen, damit hatte sie nicht gerechnet.

„Christine kommt? Ach wie schön, ich freue mich. Auch Krohmer wird sich sehr über ihren Besuch freuen. Bleibt es bei heute Abend?“

Leo nickte nur und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Natürlich erst, nachdem er sich umgesehen hatte und sicher war, dass sie niemand dabei beobachtete. Die beiden gingen zum Glück, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Jetzt konnte Hilde Gutbrod endlich aus ihrem Versteck und zur Toilette gehen, denn sie blutete leicht aus der Nase und musste die Spuren so schnell wie möglich beseitigen. Diese schreckliche Christine Künstle kommt also hierher? Warum nur? Wollte sie jetzt den Platz der verstorbenen Geliebten einnehmen? Und was hatten die Untermaier und Leo Schwartz miteinander, hatte sie da etwas nicht mitbekommen? Sie hatte jede Menge Arbeit vor sich, natürlich musste sie auch dieser Spur nachgehen. Sie wurde unvorsichtig, gab der Tür einen Stoß – und stand direkt vor Hans Hiebler!

„Wen haben wir denn da? Frau Gutbrod! Wir haben doch nicht etwa verbotenerweise gelauscht? Wenn ich mir Ihre Nase so ansehe, sind sichtbare Beweise zurückgeblieben, sogar auf der Tür. Ich denke, ich sollte die Spurensicherung holen und einen Bericht schreiben.“ Er hob den Finger. „Das wird Herrn Krohmer aber überhaupt nicht gefallen.“

„Unterstehen Sie sich Herr Hiebler! Was fällt Ihnen überhaupt ein? Das war ein Unfall. Ich bin eben zufällig vorbeigekommen und bekam die Tür auf die Nase,“ rief sie aufgeregt und rieb mit der Hand über die Tür.

„Wollen Sie Spuren beseitigen? Sie wissen doch, dass Blut trotz dieser oberflächlichen Reinigung noch lange, ach was sage ich, noch ewig

nachweisbar ist.“

Hans genoss diese Situation mit allen Fasern seines Körpers. Bereits mehrfach war er mit Frau Gutbrod zusammengestoßen oder hatte ihretwegen Ärger bekommen.

„Lassen Sie mich doch in Ruhe,“ rief Frau Gutbrod und ging schnurstracks zur Toilette, wo sie zum Glück alleine war. Sie betrachtete sich im Spiegel, wischte das wenige Blut weg und kühlte die Stelle mit einem getränkten Papiertuch. Nur noch ein wenig Puder und man würde überhaupt nichts mehr sehen.

Auf dem Weg in ihr Büro dachte sie nochmals über das nach, was passiert war. Herr Hiebler hatte sie jetzt in der Hand. Es würde einen Riesenärger geben, wenn ihr Chef davon erfahren würde, dass sie wieder gelauscht hatte. Und das alles, wo sie doch nur Bruchstücke und absolut nichts Interessantes gehört hatte. Das, was sie verstanden hatte, war sehr verworren. Es ging um eine Tote, deren Name sie nicht verstanden hatte. Und es ging um Busfahrer, deren Passagiere und um Sekten in Berlin. Was sollte daran so interessant und geheim sein? Warum machen die Kollegen so ein Geheimnis um diesen Fall? Es war ihr jetzt egal, wenn Herr Hiebler sie beim Chef anschwärzte. Sie konnte sich immer noch damit rausreden, dass das ein Unfall war und sie rein zufällig vorbeikam. Sie musste jetzt unbedingt herausbekommen, was es mit der Toten und vor allem mit den Kollegen Untermaier und Schwartz auf sich hatte. Und bei all dem durfte sie auch das Privatleben ihres Chefs nicht aus den Augen verlieren. Sie musste unweigerlich laut aufstöhnen, es kam eine Menge Arbeit auf sie zu.

An ihrem Schreibtisch kühlte sie die Stelle an ihrer Nase nochmal mit einem Löffel, was aber nun nicht mehr nötig war, man sah tatsächlich nichts mehr. Mit einer Portion Puder und einer Lage Lippenstift sah sie wieder aus wie neu. Diese Kosmetikerin hatte wahre Wunder bewirkt. Keiner hatte gesehen, dass sie etwas an sich hatte machen lassen, sie sah um Jahre jünger aus. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Tür zum Büro des Chefs geschlossen war und er mit jemandem sprach. Ein Blick aufs Telefon verriet ihr, dass er nicht telefonierte. Mit wem sprach er? Lange überlegte sie, was sie machen sollte, beschloss aber, ihn vorerst in Ruhe zu lassen, denn offenbar musste er momentan sehr viel durchmachen.

Christine Künstle lenkte ihren grasgrünen Kleinwagen Richtung München. Sie kam flott voran. Wann war sie das letzte Mal in der Pathologie München gewesen? Das war noch keine drei Wochen her. Sie kannte den österreichischen Kollegen Dr. Leichnahm nicht persönlich. Oder doch? Irgendwie hatte sie das Gefühl, den Namen schon einmal gehört zu haben, noch bevor sie Erkundigungen über ihn eingezogen hatte.

Sie sah auf die Uhr und fluchte leise. Sie hatte mit der Leiche auf ihrem Tisch länger gebraucht, als ursprünglich geplant. Hoffentlich war der Kollege Leichnahm noch nicht fertig mit den Untersuchungen. Sie gab Gas. Wenn sie schon ihren Namen und damit ihren guten Ruf hergab, dann wollte sie auch persönlich anwesend sein, dem Österreicher über die Schulter sehen und, falls erforderlich, eigene Untersuchungen vornehmen.

Hatte sie Leo richtig verstanden? War die Tote die Nichte von Rudolf Krohmer? Sie kannte und mochte sowohl ihn als auch dessen Frau. Der Tod war für die beiden sicher nicht leicht. Christine war sehr gespannt, was sie erwartete und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Endlich war sie an ihrem Ziel angekommen.