Moriz ein kleiner Roman - Schulz, Friedrich - kostenlos E-Book

Moriz ein kleiner Roman E-Book

Friedrich, Schulz

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The Project Gutenberg EBook of Moriz, by Friedrich SchulzThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Moriz       ein kleiner RomanAuthor: Friedrich SchulzRelease Date: January 15, 2015 [EBook #47977]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MORIZ ***Produced by The Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net (This work (Digital collectionWesterholt) produced by the University and City Libraryof Cologne was designated subject, no known copyrightrestrictions.)

Moriz,ein kleiner Roman

vonFriedrich Schulz

dritte verbesserte Ausgabe

Weimar 1892 in der Hoffmannischen Buchhandlung

Anden Herrn Hauptmannvon Blankenburgin Leipzig

Ohne Ihnen persönlich bekannt zu seyn, Hochwohlgebohrner Herr, ohne ein anderes Recht zu einer Annäherung an Sie zu haben, als dasjenige, welches Lernbegierde und Dankbarkeit dem Schüler an seinen Lehrer gewähren können, wage ich es, Ihnen dies kleine Werk zu widmen, das seine Existenz und das Gute, was es vielleicht haben könnte, ganz allein Ihrem vortreflichen Versuch über den Roman verdankt, und das ganz vollkommen hätte werden müssen, wenn es in seines Urhebers Kräften gestanden hätte, die Vorschriften, welche jener Codex der Romanendichtung mit so viel Scharfsinn, Deutlichkeit und Eleganz entwickelt, in ihrem ganzen Umfange zu befolgen.

Vielleicht bin ich bey einem zweyten Versuch in dieser Dichtungsart, die eine der schwersten ist, und doch eine der leichtesten scheinen muß, so glücklich, mich Ihren Regeln noch näher anzuschließen; und meine Bemühungen hierin werden desto ernstlicher seyn, je fester ich überzeugt bin, daß jedes Ihrer Gesetze, dessen Geist ich zu fassen und mir eigen zu machen vermag, eine Stuffe sey, auf welcher meine Arbeit zur Klarheit, Natur und Vollkommenheit emporsteigen werde.

Ich verharre mit unumschränkter Achtung

Ew. Hochwohlgebornen

Weimar, den 3. April 1787.

ergebenster Friedrich Schulz.

Moriz. Erstes Buch.

Erstes Kapitel.Mysterien.

»Er darf es noch nicht wissen, Martha,« sagte mein Papa zu seiner Haushälterin: »Du weißt, daß der Junge, so klein er ist, schon einen gewaltigen Nagel im Kopfe hat. Er gehorcht mir jetzt schon nicht mehr, wie er sollte, was würde daraus werden, wenn er erführe, daß ich nicht sein Vater bin? Laß Du nur noch einige Jahre hingehen. Es wird sich schon eine Gelegenheit finden, wo wir's ihm mit Manier beybringen können. Und vielleicht stirbt der Alte bald, dann erfährt er's auf einmal. Er hört's doch wohl nicht?« setzte er leise hinzu: »Geh hin, und sieh einmal zu, ob er noch schläft!«

Martha kam und sahe zu, ob ich noch schliefe. Ich hatte mich auf Papa's Bette hingestreckt. Mein rechter Arm trug den Kopf und der linke lag unbeweglich auf dem Deckbette. Meine Augen waren fest zu, der Mund halb offen, und der Athem flog mit Geräusch durch Mund und Nase aus und ein. Ich machte den Schlafenden so natürlich, daß Martha sogleich zum Papa zurückging und ihm versicherte: ich schliefe wie eine Ratze.

»Nun, es ist gut,« sagte Papa: »wenn ich zurückkomme, wollen wir weiter davon sprechen. Jetzt laß mir mein Pferd satteln, ich will fort!«

Martha ging und Papa zog sich an.

Mir war es sehr unangenehm, daß diese Unterredung, die mir so merkwürdig vorkam, aber höchst dunkel und geheimnißvoll war, so plötzlich abgebrochen wurde. Ich war so boshaft, zu wünschen, daß Papa's Brauner auf der Stelle lahm werden möchte, damit Papa gezwungen würde, zu Hause zu bleiben, und das Gespräch da wieder anzufangen, wo er es abgebrochen hatte. Aber mein Wünschen half nichts! Martha kam zurück und meldete, der Braune wäre gesattelt. Papa nahm seine Reitgerte, umarmte Marthen und gab ihr einen Abschiedskuß, daß die Stube wiederhallte. »Adje, Martchen!« rief er und ging zur Thür hinaus.

Martha trat ans Fenster, machte es auf, sah meinem Papa eine Weile nach, schlug darauf das Fenster zu, und kam langsam und auf den Zehen zu mir vor das Bette. Ich schlief immer noch so fest als vorher.

Zweytes Kapitel.Martha: ein Monolog.

»Morizchen, Morizchen,« rief sie leise und tippte mit ihrem eißkalten Finger mir auf den linken Backen: »schläfst du noch?«

Ich schlief dicht und fest.

»I, du lieber Goldjunge! (Sie bückte sich zu mir herunter und drückte ihre Lippen sanft auf die meinigen) Ach, wie warm die Lippen des kleinen Schlingels sind! – Noch einmal (sie küßte mich von neuem) Noch einmal! und – noch einmal!«

Ich schlief dicht und fest.

»Und, die kleinen rothen Bäckchen,« rief sie wie entzückt, »die kleinen rothen Bäckchen, so voll, so fest!«

Sie rückte leise einen Stuhl vors Bette, setzte sich darauf, und legte ihren rechten Backen auf meinen linken. Mein Backen brannte wie Feuer, und erhitzte nach und nach den ihrigen, der anfangs sehr kalt war. So blieb sie eine Weile liegen, ohne einen Laut von sich zu geben.

Mir ward diese Lage in die Länge beschwerlich, und ich war einigemal im Begrif, zu erwachen; aber die Besorgniß, daß ich ein plötzliches Erwachen nicht natürlich und unverdächtig würde machen können, hielt mir die Augen zu. Nach einigen Minuten richtete sie sich auf und krabbelte mir sanft und leise um Hals und Kinn.

»Alles so fein, so fleischigt, so glatt!« sagte sie mit leiser zitternder Stimme: »Ich möchte den Jungen aufessen vor Liebe! – Wenn ich meinen alten Ernst dagegen ansehe, der hat eine Haut wie Elefantenleder. Aber hier? Wie fein, wie glatt die Stirn ist? Wie prall und rund die Backen! Der alte Ernst hat hundert Millionen Runzeln vor dem Kopfe, und seine Backen sind so dick, so aufgedunsen und kirschbraun! Und das kleine Mäulchen hier – so frisch, so roth, so klein! – Warum kann ichs denn so lange ansehen?«

Sie bückte sich von neuem zu mir herunter, und gab mir einen Kuß. Diese kleinen Späße gefielen mir, und ich schlief mit jeder Minute fester ein.

»Der alte Ernst,« fuhr sie fort: »hat ein Maul wie ein Thorweg, und riecht immer nach Taback, daß mir möchte schlimm werden. Laß einmal sehen, Morizchen (sie bückte sich so weit herunter, daß ihre Lippen die meinigen berührten) nein, du riechst nicht nach Taback. – Ach! (sie schnupperte, als wenn man den Geruch einer Sache unterscheiden will) Ach, Schelm, warte, ich will dich kriegen. Du bist mir über den Malagga gewesen! (sie schnupperte wieder) Ja, der pure klare Wein! Warte, Schelm, warte!«

Ich fühlte, daß mir über und über warm ward. Ich war wirklich über ihrem Malagga gewesen.

»Darum war dir auch der Kopf so schwer,« fuhr sie fort: »darum warst du so schläfrig, so müde! – Ha, ha, Vogel, komme ich so darhinter? Aber warte, ich will ihn schon besser verstecken!«

Es ward mir immer wärmer und wärmer, und plötzlich stieg mir die Hitze ins Gesicht. Ich schlug die Augen auf und drehete mich um. Martha trat hurtig ein paar Schritte zurück und sagte ganz gleichgültig: »Nun, Moriz, hast du ausgeschlafen?«

Ja, Mamsell! sagte ich und sprang aus dem Bette. Ich hatte nicht das Herz, ihr ins Gesicht zu sehen, und in drey Sprüngen war ich an der Thür, riß sie auf und fort. Sie rief hinterdrein, aber ich fürchtete eine Untersuchung über den Wein und kam nicht.

Drittes Kapitel.Ernst – erste Schilderey.

Als ich im Freyen war, kam mir das geheimnißvolle Gespräch zwischen Papa und Marthen ins Gedächtniß zurück. Aber ich nahm es auf die leichte Achsel und überredete mich, daß es nicht mir gegolten habe, ob ich gleich deutlich genug gehört hatte, daß es auf keinen andern, als auf mich gehen konnte. »Wenn auch Papa nicht mein Vater ist, dachte ich, schadet nichts! Ich habe Essen und Trinken; Papa ist mir gut, Martha auch; und erfahren soll ichs ja mit der Zeit, wer mein Vater ist. Mag's seyn, wer's will! Heissa!«

Und hiermit drehete ich mich dreymal auf dem Absatz herum und suchte meine Spielkameraden.

Meinen Lesern ist es gleichgültig, ob ich Ball, oder sonst etwas gespielt habe; aber nicht so gleichgültig ist es ihnen, wer Papa und seine Wirthschafterin Martha wohl gewesen seyn möchten.

Mein Papa hieß Ernst. Es war ein kurzer, dicker Mann. Sein Gesicht glühete beständig wie ein Kohlfeuer. Er trug gewöhnlich eine Perücke von altfränkischem Stutze, die von der Scheitel bis auf die Schultern herab mit breitgedrückten Pferdehaarlocken übersäet war. Wenn er Gala machte, so zierte er sie mit einem Haarbeutel, der wenigstens achtzehn Quadratzoll lang und breit war; wenn er aber ausritt oder mit Marthen spazieren ging, so wackelte ein kleines, fingerlanges Zöpfchen auf dem breiten Rücken, das sich immer einige Zoll hob, wenn er sich bückte. Ein paar kleine graue Augen hatten sich unter dicken, buschigten Augenbraunen verkrochen, und warfen aus ihrem Verstecke ziemlich muntre Blicke über die vorstehenden Backen herüber. Wenn ihn Martha küßte, weg waren die Augen! Denn sie hatte die Gewohnheit, ihn dabey zärtlich unter das Kinn zu fassen, und da alles, was bey minder genährten Leuten Muskel ist, bey ihm aufgedunsenes, weiches Milchfleisch war, so schob sich dies hinauf und vergrub seine Augen. Seine Nase war klein, in der Mitte etwas eingedrückt, und über und über mit kleinen hochrothen Hügelchen bestreut, deren Spitzen, wenn er des Morgens aufstand, ins Blaue schattirten, sich aber, sobald er seine erste Flasche Malagga getrunken hatte, in weisse und hellrothe Tippchen verwandelten. Ein dünner, röthlicher Bart zog sich von den Ohren über Mund und Kinn, und einen Theil des kurzen Halses herüber. Er barbierte sich selbst, nicht aus Knauserey, sondern weil er in seiner Jugend die Ehre gehabt hatte, dem Kammerpräsidenten von Lemberg in aller Unterthänigkeit den Bart zu nehmen und sich dieses Geschäftes zu Höchstdesselben Zufriedenheit zu entledigen. Darum bildete er sich auch viel darauf ein, und wenn er jemand unumschränkt liebgewinnen sollte, so mußte er, außer dem Talente, daß er eine gute Hand schrieb, auch die Fähigkeit besitzen, sich selbst den Bart zu scheeren.

Sein Hals war, wie gesagt, ungemein kurz. Wenn er zu Hause war, so schlug er eine schmale, weisse Binde um selbigen; wenn er aber in die Kirche ging, oder nach der Stadt ritt, so zierte er ihn mit einer langen, blaugestärkten Halsschärpe, welche Martha sehr zierlich in Falten zu legen wußte. Unter dem Kinne ward sie leicht zugeschlungen, und die beyden Enden, die mit feinen Spitzen besetzt waren, flatterten auf der Brust.

Sein Leibrock war von blauem Plüsch, unter welchem er bald hellrothe, bald schwarze manchesterne Beinkleider und Weste trug. Er war nach einer uralten Mode geschnitten, hatte eine sehr kurze, aber erschrecklich breite Taille, ellenlange Aufschläge, und war über und über, hinten und vorne, von oben herab bis unten aus, mit langen, blinden Knopflöchern ausstaffirt. Die Weste reichte ihm bis auf die Kniee, und deckte mit ihren Flügeln die kurzen Beinkleider, auf welchen sich Falte an Falte drängte. Die Beingürtel daran waren entsetzlich lang und steif. Er zog sie durch eine schmale silberne Schnalle und steckte sie nicht unter, sondern ließ die Enden steif hintenweg stehen. Dazu trug er schwarzwollene Strümpfe, die er wie Kamaschen aufschlug. Seine Schuhe waren von Rauchleder und vorne aufgestülpt; die Riemen derselben waren überaus schmal und durch ein paar Schnallen gezogen, die von eben der Form, und nur ein wenig größer waren, als die Beingürtelschnallen.

Seine Füße waren hölzern und dünne und trugen mit Mühe einen Bauch, den zwey lange Männer kaum umspannt haben würden.

Bis hieher das leibliche Konterfey meines Papa, nun das geistige.

Sein erstes und vorzüglichstes geistiges Talent war: daß er eine Hand schrieb, wie in Kupfer gestochen. Dieser Fähigkeit hatte er alles, was er war und besaß, zu verdanken. Durch sie ward er Kammerdiener des Präsidenten von Lemberg; durch sie in der Folge Kammerkoncipist, und nicht lange darauf erster Kammersekretair, und als solcher kam er durch mancherley erlaubte Wege, immer die Feder in der Hand, zu einem Vermögen, wovon er sich ein Guth, fünf und zwanzig tausend Thaler an Werth, kaufen konnte, und noch übrig behielt. Aber er war auch nicht undankbar gegen die Feder, die ihn zum Manne gemacht hatte. Auf seinem Petschaft, das wohl anderthalb Zoll im Durchmesser hatte, lag eine Hand, die eine lange buschigte Feder hielt; über dieselbe ging die Sonne auf und warf ihre Strahlen auf sie herunter; rund um das Petschaft standen die Worte aus der Bibel:[1]Aus Machir sind Regenten kommen und von Sebulon sind Regierer worden durch die Schreibfeder.

[1]: Buch der Könige, Kap. 5, v. 14.

Leute, die nicht so gut schrieben, aber studiert hatten, machten ihn zwar dieses Wappens wegen, bey jeder Gelegenheit lächerlich, blieben aber doch nur Koncipisten, die sich mit höchstens zwey hundert Thalern jährlich durch die Welt schleppen mußten.

Der Neid bekam meinem Papa. Er ward von Tage zu Tage dicker und fetter und seine Zufriedenheit nahm mit jeder Flasche Wein, die mit Mißgunst eingesegnet war, wundersam zu.

Ueberhaupt war der Wein das Oel, welches seiner Verstandeslampe Nahrung gab. Wenn er des Morgens aufstand, so klagte er gewöhnlich, daß ihm der Kopf ausserordentlich leer sey, und das war für Marthen der Wink, in den Keller zu laufen und eine Flasche Malagga zu holen. Wenn er das erste Glas in die Hand nahm, zitterte er zum Erstaunen; beym zweyten nur halb so; beym dritten fast gar nicht, und das vierte zog er so fest und rasch zu Munde, daß auch nicht ein Tröpfchen auf die Erde fiel. Alsdann setzte Martha die Flasche weg und brachte Kaffee und Pfeife. Nun war er auf einmal wieder der muntre, beredte, tiefdenkende und witzige Papa, der gestern Abend zu Bette ging, und nun ließ er sich von mir erzählen, was ich gehört, gesehen und gelernt hatte. Wenn dies geschehen war, bestellte er das Mittagessen und dann mußte ich mein Schreibebuch hernehmen und schreiben. Vor allen meine bitterste, mühseligste Stunde! Bey dem ersten falschen Strich, den ich machte, schüttelte er den Kopf; beym zweyten legte er seine Pfeife hin, nahm die Feder und sagte: so mußt du es machen! Beym dritten stieß er mich ganz sanft mit der Nase auf die Vorschrift und sagte gelassen: Morizchen, sieh doch nur, wie es da gemacht ist! Beym vierten rief er: Sudeley und kein Ende! und dabey vergrub er mich in Tabacksdampf. Beym fünften: Junge, ich bitte dich, sieh auf die Vorschrift! und beym sechsten und letzten sprang er hitzig auf, zeigte nach der Thür und sagte: Moriz, aus dir wird nimmermehr 'was!

Das waren dann tröstliche Worte für mich! Ich ging und erholte mich bey meinen Spielkameraden.

Wenn ich fort war, hatte Mamsell Martha Audienz. Er besprach sich mit ihr über die vorigen Zeiten; über den Bestand des Weinkellers, der Räucherkammer etc. etc. ersann und schuf neue leckerhafte Gerichte; erzählte, wie er bey dem Präsidenten von Lemberg in Gnaden gestanden und noch stände; von diesem kam das Gespräch auf mich; auf meinen Leichtsinn und auf meine geringe Lust zum schreiben. Wenn mir dann die gute Martha in diesem Punkte das Wort reden wollte; so sprang er hurtig auf, zog seine goldene Uhr heraus, zeigte ihr sein Petschaft und sagte: Lies, lies, lies! – Dies war die letzte Instanz. Wenn sie ihn nicht böse machen wollte, so durfte sie von der Minute an kein Wort zu meiner Vertheidigung mehr sagen.

Sodann entfernte sich Martha und bestellte die Küche. Er nahm unterdessen die Zeitungen, und alle erdenkliche politische Blätter, die stoßweise auf seinem Tische lagen; las und überdachte; prophezeite und warnte, und ward bedenklich und schrieb andre Gesetze und Hülfsmittel vor, die er diesem oder jenem Staate als sehr heilsam dringendst anempfahl. Dabey hielt er sich so lange auf, bis seine Flasche rein ausgeleert war, und dann ging er zum Pastor und unterhielt sich mit ihm, bis ich ihn zu Tische rief.

Er aß wenig, aber gut. Wir beteten jedesmal alle drey zugleich und laut, selbst wenn wir Fremde hatten. Ein junger Accessist hatte sich einmal unterfangen, über den seltsamen Zusammenklang unsrer Stimmen zu lächeln – er bat ihn nie wieder zu Tische und konnte ihn von dem Augenblick an nicht mehr leiden.

Nach Tische legte er sich auf das Kanapee und schlief bis um zwey Uhr. Mit dem Schlage mußte ihn Martha wecken und mit Kaffee und Pfeife zur Stelle seyn. Während er schmauchte und trank, ward sein Pferd gesattelt, und sobald er fertig war, ritt er nach der Stadt. Hier wandte er eine Stunde an, um die Arbeiten seines Substituten durchzusehen, und sobald dies geschehen war, ritt er in den goldenen Hecht, wo sie den besten Wein hatten. Da blieb er bis gegen Abend; man half ihm aufs Pferd, und es schritt mit ihm langsam und wohlbedächtig zu Hause. Die Leute, die ihn tagtäglich vorbeyreiten sahen, nannten ihn nur immer Silen, und sein Pferd, Silen's Eselein. Zu Hause stieg, oder sank, oder fiel er, je nachdem ihm der Wein geschmeckt hatte, seiner Martha in die Arme, die ihn auszog und zu Bette brachte.

So lebte er einen wie alle Tage, Sommer und Winter hindurch, nur mit dem kleinen Unterschiede, daß er in der strengern Jahrszeit in einer Kutsche nach der Stadt fuhr.

Viertes Kapitel.Martha – zweyte Schilderey.

Martha war eine Jungfer von wenigstens acht und vierzig Sommern. Ihren Familiennamen habe ich nie erfahren, denn so lange ich sie kannte, hatte ich sie nie anders, als Mamsell Martha nennen hören. Es war eine lange, hagre Gestalt, von einem so dünnen, geschmeidigen Wuchse, daß sie einer Spinne um ein Haar ähnlich war, wenn sie, ihrer Gewohnheit nach, drey Röcke über einander gezogen hatte. Wenn sie neben Papa herging, so gab es den seltsamsten, lächerlichsten Kontrast: Er, roth, gemästet, vierschrötig und satt – Sie, blaß wie der Tod, dürr wie eine Schindel, dünne wie ein Windspiel, schnurgrade, wie auf Drath gezogen. Papa hing in seinen Kleidern, und sie war in die ihrigen mit Gewalt hineingepreßt.

So unähnlich sich ihr Aeußeres war, so ähnlich ihr Inneres. Sie sprach eben so gern von vergangenen Zeiten, wie er, trank eben so gern Wein, war eben die sorglose, unschuldige Haut, sie aß, wenn sie hungerte, trank, wenn sie dürstete, schlief gern und plauderte gern.

Ihr Lieblingsthema war das Kapitel vom Heirathen. Dies hatte sie, trotz ihrer Jungfrauschaft, so überdacht, geprüft und von allen Seiten beleuchtet, daß sie vier und zwanzig Stunden in einem Zuge davon schwatzen, und, soviel ich damals davon verstand, nicht uneben schwatzen konnte. Den Eingang dazu machte gewöhnlich eine genaue Schilderung aller der Freyer, die sich um sie beworben hatten. Jeder derselben hatte seinen Hauptfehler. Der eine war zu arm, der andre zu reich; der eine zu groß, der andre zu klein; dieser zu dick, jener zu dünne; jener zu höflich, dieser zu grob gewesen; ein andrer hatte ihr vor der Hochzeit Dinge zugemuthet, die sie nicht nannte, ohne sich vorher dreymal zu räuspern; ein andrer hatte sich nicht undeutlich vermerken lassen, er würde ihr im Ehebette nicht sehr beschwerlich fallen; und mit Einem war es schon bis zur Verlobung gekommen, aber, o Jammer! ein altes Weib, das ihn gerne für sich weggekapert hätte, that ihm 'was an, und er starb! Nie sprach sie von ihm, ohne die bittersten Thränen zu vergießen, wobey sie sich in einen Strom von Verwünschungen auf die alte neidische Hexe ergoß. Bey seinem Grabe hatte sie gelobt, nie zu heirathen, und sie hat dies feyerliche Gelübde unverbrüchlich gehalten, denn er war der letzte, der sich um sie bewarb.

Uebrigens war es die gutherzigste Seele unter der Sonne. Was sie meinem Papa und mir an den Augen absehen konnte, that sie mit unermüdeter Willigkeit. Wenn er unbaß war, wurden ihre Augen nicht trocken, und wenn ich zu einer Näscherey Appetit zeigte, so ruhete sie nicht eher, bis sie mir dieselbe verschafft hatte, und wenn es mir dann recht wohl schmeckte, so hielt sie sich für ihre Mühe hundertfach belohnt.

Sie war in allen erdenklichen Wirthschaftskünsten ausgelernt. Sie kochte gut, buck vortrefliches Brod, machte köstlichen Kaffee und noch köstlichere Schokolate. Wenn mein Papa ein neues leckeres Gericht ergrübelt hatte, so stand es in kurzer Zeit schmackhaft und appetitlich vor ihm. Niemand verstand besser, glühenden Wein zu machen, niemand herrlichere Torten. Kein Koch in der ganzen Christenheit spickte einen Hasen fertiger, künstlicher und geschmackvoller, und keiner wußte ihm seine neun Felle, so sauber, so behutsam abzuziehen – kurz, sie war die Krone aller Köche und Köchinnen, die auf Erden lebten und je leben werden.

Ihre hauptsächlichsten Geschäfte waren Küche und Wäsche, und nächst diesen lag ihr die große Pflicht ob, meinem Papa das Bette zu machen. Wie die Küssen unter ihren Händen aufschwollen! Wie geschmackvoll sie das weisse, glänzende, feine Bettuch in Falten, gleich breit, gleich abgemessen zu legen wußte! – Bis über die Ohren plumpte dann mein guter Papa in die Flaumfedern, und er pflegte sein Bette immer das irdische Paradies zu nennen.

Auf ihr eignes Bette wandte sie nicht so viel Fleiß. Woher das kam? Ich habe es mir immer aus dem Umstande erklärt, daß es manchmal acht Tage dastand, ohne eine Spur, daß jemand darin gelegen hätte.

Bey allen diesen belobten Gaben hatte Mamsell Martha ein paar kleine unbedeutende Fehler, die sich um so eher entschuldigen lassen, da sie beyde Naturfehler waren: sie putzte sich manchmal zu lange, und konnte die Buchstaben k. r. sch. und g. nicht aussprechen.

»Mohizchen,« sagte sie immer des Abends zu mir: »wilt du nicht zu Bette ehn?«

Fünftes Kapitel.Moriz – dritte Schilderey.

Ich war um die Zeit ein Junge von dreyzehn Jahren. So lange ich denken konnte, hatte ich mich unter den Augen meines Papa und Marthens befunden, und wußte nicht anders, als daß ich Papa's Sohn sey, meine Mutter aber in früher Kindheit verloren habe. Munter und lustig, wie man in diesen Jahren immer ist, war ich im höchsten Grade, und vielleicht manchmal zu lustig; denn alle Augenblicke lief Klage über mich ein. Bald traf ich mit der Schleuder so gut und geschickt in die Fenster unsers Nachbars, daß ihm die Scheiben auf die Nase sprangen; bald kletterte ich in seinen Garten und machte mich über seine Blumen, Aepfel, Birnen und Kirschen; bald hatte ich Pastors Wilhelmchen links und rechts geohrfeigt, und bald unsern Kantor einen Saufaus geheissen.

Alles das blieb freylich nicht verschwiegen, aber doch kam es selten bis vor meinen Papa. Niemand konnte zu ihm, wenn er sich nicht vorher bey Marthen gemeldet hatte, und diese war mir zu gut, als daß sie solche Hiobsbothen hätte vor ihn lassen sollen. Sie machte den Schaden entweder mit guten Worten, oder mit einem Glase Wein, oder mit Geld wieder gut, und ich trug höchstens ein: Fi häme dich, Mohizchen! davon.

Aber dies war der geradeste Weg, mich zum wildesten, unbändigsten Jungen zu machen. Alle vier Wochen brauchte ich ein Paar neue Schuh, und wenn neue Stiefeln an meine Füße kamen, so wadete ich in allen Pfützen umher, um herauszubringen, ob sie Wasser hielten. Wenn ich Beinkleider bekam, (sie waren gewöhnlich von Plüsch und schrieben sich aus Papa's Kleiderschrank her) so war es mir tödlich zuwider, daß sie so rauch waren, und ich rutschte und kroch so lange im Grase herum, bis sie kahl wurden und sich grün färbten. Ueberdies hatte ich einen unsäglichen Abscheu gegen alles, was weiß war. Wenn ich des Morgens ein Paar weisse baumwollene Strümpfe anziehen mußte, so konnte ich die Zeit nicht erwarten, bis ich damit zum Hause hinaus kam; dann ging es schnurstracks auf einen ziemlich breiten Graben zu, an welchem ich mich im Springen übte. Ich sprang so lange herüber und hinüber, bis ich hineinplumpte, und dann war es um die weissen Strümpfe gethan.

Kein Gebüsch war mir zu dicke, kein Baum zu hoch. Ich kroch und kletterte so lange, bis man Morizen stückweise auf den Hecken und Aesten hangen sah.

Mit allen Jungen aus der Nachbarschaft balgte ich mich herum, sagte aber kein Wort, wenn sie mich weidlich zerprügelt hatten, sondern trug mein Kreutz geduldig; aber, wenn ich den Sieg davontrug, so mußt' es alle Welt wissen. Je größer der Junge war, desto lieber schlug ich mich mit ihm. Die Kleinen konnten mich necken wie sie wollten, ich war zu stolz, um sie dafür abzubläuen.

Mein beständiger Gefährte war ein großer englischer Hund. Weil ich mit ihm aufgewachsen war, so hatte ich seine Freundschaft in dem Grade, daß sich niemand unterstehen durfte, mich anzugreifen, wenn er nicht mit zerrissenem Rocke nach Hause gehen wollte. Balgte ich mich mit einem meiner Spielkameraden und lachte dazu, so blieb er ruhig, entfuhr mir aber ein Laut, der weinerlich klang; so nahm er meinen Gegner beym Rockzipfel, oder war er groß, bey der Wade, und zerrte ihn unter Brummen und Murren einige Schritte rückwärts. Bis in mein zwölftes Jahr ritt ich auf ihm, aber nach der Zeit wurde ich ihm zu schwer, und wenn ich ihm einen Ritt zumuthen wollte, legte er sich nieder, und schlug mit allen Vieren um sich, aber nicht grimmig, sondern mit freundlichen Manieren. Von dieser Zeit an ging ich zu Fuße.

Um mein Wissen stand es damals nicht sonderlich. Ich konnte ein bischen lateinisch decliniren, ein bischen rechnen und ein paar Worte französisch. Mit der Feder wußte ich noch am besten umzuspringen, und das war, nach dem, was ich oben gesagt habe, kein Wunder. Mit dem Katechismus stand es so so! Das Vaterunser und die gewöhnlichen Tischgebete, konnte ich, wenn ich nicht gerade recht hungrig war, ohne Anstoß; aber die fünf Hauptstücke und was dazu gehört, konnte ich nicht so gut. Mamsell Martha nahm sich zwar dann und wann die Mühe, mich darin zu examiniren, aber was half es, da es blos auf mich ankam, ob ich mich wollte examiniren lassen oder nicht.

Dicht an unser Guth stieß ein andres, das einem Edelmanne gehörte, der als Husaren-Oberster seinen Abschied genommen hatte. Er hatte drey Kinder, zwey Töchter und einen Sohn, für die er einen Hofmeister hielt. Weil er mich meiner Munterkeit wegen lieb gewonnen hatte, so erlaubte er mir, die Stunden zu besuchen, die der Hofmeister seinen Kindern gab, räumte mir auch sonst noch vielerley Freyheiten ein, die mir ein andrer schon darum, weil ich schlechtweg Ernst hieß, nicht eingeräumt haben würde.

Der junge Herr, sein Sohn, war ein Pinsel, aber die beyden Fräulein waren desto munterer. Er war der ewige Gegenstand unsres Spottes und unsrer Neckereyen, lernte aber in einer Stunde mehr, als wir andre zusammen genommen, in acht Tagen. Dafür war er der Liebling unsres Hofmeisters: eine Ehre, um die wir nicht eine taube Nuß gaben. Sein Vater glaubte, daß meine natürliche Wildheit, seine Träumerseele ein wenig aufheitern sollte, und sah mir deshalb bey vielen Gelegenheiten durch die Finger; aber er blieb in seinem Seelenschlafe, und ging immer und ewig langsam, wenn wir andre uns ausser Athem liefen.

In den Stunden lernte ich, was ich wollte und konnte, und es war mir so wenig Ernst, als den beyden wilden Mädchen. Ich konnte sie nicht ohne Lachen ansehen, und sie mich nicht. Der Hofmeister durfte auch nicht viel sagen, denn die eine war das Schooßkind der Mama, die andre des Papa, und ich der Liebling beyder, und der Liebhaber von Malchen. So hing eins an dem andern wie Kletten, und der künftige Stammhalter der Familie durfte nicht mucksen.

So jung ich damals auch war, so viel Ehrgeitz hatte ich. Aber war es anders möglich? Papa und Martha trugen mich auf den Händen; Fräulein Malchen nannte mich beständig: lieber Moriz! Fräulein Louischen: Wildfang! Ihre Mama: kleiner Flachskopf! Der Papa: sappermentscher Springinsfeld. Dieses, und der Umstand, daß die ganze junge Mannschaft in unsrer Gegend, Respekt vor mir hatte, spornte meinen Ehrgeitz, und machte mich dreist und ausgelassen.

Zudem hatte man mich öfter, als es gut war, hören lassen: ich sey ein hübscher Junge. Dies schmeichelte mir nicht wenig, hatte aber den Nachtheil, daß ich früher anfing, mich bemerkbar zu machen, als andre Kinder. Sonderbar genug waren zuweilen die Mittel, wodurch ich diesen Endzweck erreichte. Wenn Fremde bey meinem Papa oder auf dem Schlosse waren, und sie bemerkten mich nicht auf dem ersten Blick, so packte ich den ersten den besten vorübergehenden Jungen oder Hund an und suchte Händel mit ihm; oder ich sprang über breite Graben und fiel hinein; oder kletterte auf Bäume, und warf die darunter weggingen, mit Aepfeln oder Birnen – wenn man mich nur bemerkte, das war mir genug.

Es war natürlich, daß ich über dem Ehrgeitz, bemerkt zu werden, selbst bemerkte. Daher kam es, daß der allgemeine, unverdringliche Trieb der Natur sich sehr früh in mir regte. Aber konnte dies ausbleiben, da ich so oft sehen mußte, daß Papa Marthen küßte; da mich die beyden wilden Fräulein täglich hundertmal beym Kopfe nahmen und abherzten, und da mir ihre Mama, statt der Hand, jedesmal den Mund reichte, wenn ich auf das Schloß kam?

Sechstes Kapitel.Die Geschichte geht zurück.

Ich war hoch erfreut, daß ich einer genauern Untersuchung über den Wein glücklich entgangen war, denn ich kam nicht auf die erlaubteste Art dazu. Martha hatte in ihrer Kammer ein Schränkchen, worein sie ihren Wein verschloß. Der Dunstkreis um dasselbe war unendlich süß, und auch einen größern und ältern würde die Neubegierde geplagt haben, zu wissen, was darin verborgen wäre. Ich besah es hinten und vorne, faßte es oben und unten an, rückte und schob, aber es war und blieb zu. Meine Neugier, oder genauer gesagt, mein Appetit auf den süßen Wein, ward mit jedem Hindernisse größer. Ich wußte, daß Martha ein Schlüsselchen dazu hatte, und daß sie es nicht immer bey sich trug, sondern es zu verstecken pflegte, wenn sie es gebraucht hatte. Ich rückte einen Stuhl herzu, suchte auf allen Gesimsen und Schränken, fand aber nichts. Trostlos, die Hände in einander geschlagen, den Hut auf einem Ohre, stellte ich mich mitten in die Stube und sah mit herzlicher Sehnsucht nach dem Schränkchen. Unter diesen Bewegungen blickte ich von ungefähr seitwärts, und auf einmal fiel mir einer von Marthens Unterröcken in die Augen. Ich springe hin, durchsuche die erste Tasche, finde nichts; rasch zur andern, hineingefahren, umgewandt, und siehe da! aus der einen Ecke fällt mir das Schlüsselchen entgegen. Ich sprang ellenhoch, nahm es, probirt' es, und es schloß den Schrank glücklich. Ohne mich zu bedenken, griff ich nach der ersten der besten Flasche – gluck! gluck! ging es, in Ermangelung eines Glases.

Der Wein ward mit jedem Schlucke süßer, und ich hätte mich sicher zu Boden genippt, wenn mir nicht noch zu rechter Zeit eingefallen wäre, daß Martha ein paar erschreckliche Augen machen würde, wenn sie eine von ihren Flaschen leer fände.

Jeder Dummkopf ist ein Genie, wenn er Wein getrunken hat, und jedes Genie kann in eben dem Fall ein Dummkopf werden. Mir wenigstens ging es jetzt so. Ich war sonst nicht der dümmste Junge, aber diesmal betrug ich mich unbeschreiblich albern; denn ich fing von ganzem Herzen an zu weinen, als ich die Flasche gegen den Tag hielt und fand, daß sie fast zur Hälfte leer war. Eine Thräne jagte die andre. Ich machte mir sonst sehr wenig aus einem Verweise, und diesmal stand mir gewiß kein außerordentlicher bevor, aber der Umstand, daß ich dies Verbrechen so heimlich und so diebisch begangen hatte, schlug mich völlig darnieder.

In der Angst hatte ich einen Einfall, der mir in meiner damaligen Bestürzung sehr glücklich schien, aber im Grunde nicht der glücklichste war: ich füllte die halbleere Flasche aus den übrigen wieder an, setzte sie an Ort und Stelle, und war nun fest überzeugt, daß Martha, um den Abgang zu bemerken, ein wenig allwissend seyn müßte; denn ich hatte längst vergessen, daß ich die andern Flaschen, um die eine anzufüllen, bis auf die Hälfte ihrer Hälse ausgeleert hatte.

Wie ruhig ich den kleinen Schlüssel wieder in Marthens Tasche steckte! Wie unbesorgt ich die Kammer verließ, um frische Luft zu schöpfen! Mit welcher Zuversicht ich Marthen ins Gesicht sah, als sie aus der Stadt zurückkam! Unmöglich, unmöglich kann sie etwas merken! rief ich laut und fiel längelang auf eine Rasenbank, die vor unserm Hause angebracht war. Martha kam dazu, und wollte wissen, was mir fehlte? Ich bin müde! sagte ich. Sie nahm mich bey dem Arm und führte mich zu Papa's Bette.

Ich schlief bald ein, und erwachte gerade, als jene dunkle Unterredung, die mich betraf, zu Ende ging. Und nun wäre der Leser wieder an dem Orte, von wo ich ihn wegführte, um ihm drey Schildereyen zu zeigen.

Siebentes Kapitel.Die Geschichte rückt fort.

Mit drey Sprüngen war ich auf dem Schlosse. Ich suchte Fräulein Malchen, und fand sie im Garten, wo sie Blumen pflückte und Kränze flocht. Ich stahl mich ganz leise hinzu. Sie hatte sich ins Gras gesetzt, pflückte alles, so weit sie mit der Hand erreichen konnte, um sich weg, und war so ämsig damit beschäftigt, daß ich mich ihr bis auf ein paar Schritte unbemerkt nähern konnte. Anfangs war ich Willens, ihr von hinten die Augen zuzuhalten, und sie rathen zu lassen, wer es wäre, aber ich hörte, daß sie etwas für sich sprach, und das wollte ich gerne wissen. Ich horchte und vernahm folgendes:

»Es ist bald um drey und er kömmt nicht! Wenn es drey geschlagen hat, muß ich in die Schule, und dann können wir nicht noch vorher ein bischen spielen. Wenn er nur wüßte, daß ich allein hier bin, er käme gewiß. Er spielt doch lieber mit mir, als mit Louisen. Wenn er dummes Zeug macht, und ich sage: lieber Moriz, laß doch das bleiben! so läßt ers; aber wenn es Louise haben will, thut ers nicht!«

Mir fing das Herz an zu schlagen, und ich weiß nicht, wie es kam, ich wünschte weit weg zu seyn, um nichts zu hören, und doch blieb ich.

»Den großen Kranz soll er haben,« fuhr sie fort: »aber wenn er ihn gleich zerreißt, werde ich böse und flechte ihm in meinem Leben keinen wieder. Er wird ihn aber wohl nicht zerreißen. Wenn wir zum Magister müssen, so kann er ihn so lange hinlegen, bis die Stunden aus sind, dann kann er ihn auf den Kopf setzen, und mit zu Hause nehmen.«

Ich fing merklich an zu zittern, und setzte den Fuß zurück, um zu gehen, blieb aber doch.

»Aber – – Herr Gott!« fuhr sie fort und legte den Zeigefinger der rechten Hand auf den Mund: »Ich muß den Kranz lieber zerreißen! Wenn ich ihm 'was schenke, will er mir immer ein Mäulchen dafür geben, und Mama sagt, davon bekäme ich einen langen, schwarzen Bart! Aber es ist doch so hübsch! Mama kriegt ja auch keinen schwarzen Bart, wenn sie der Papa küßt, und Papa hat doch einen rechten scharfen, schwarzen Bart! Er reibt Louisen immer die Backen damit, wenn sie wild ist. Aber Moriz hat doch keinen scharfen Bart. Er hat mir auch schon oft ein Küßchen gegeben, wenn Mama nicht da war, und ich habe doch keinen gekriegt!«

Es war mir, als wenn ich lachen sollte, konnte aber vor Angst und Zittern nicht dazu kommen. Mein sehnlichster Wunsch war, unvermerkt fortzuschleichen, und doch machte ich keine Anstalt dazu.

»Eins – zwey – drey – Viertel auf drey, und er kömmt nicht!« fuhr sie fort: »Das ist doch recht schlecht! Was wär' es denn mehr, wenn er einmal eine halbe Stunde früher vom Hause wegginge? Heute ist es gerade so hübsch! Louise ist nicht da, Fritze auch nicht, wir könnten recht hübsch mit einander spielen. Ach! (sie streute die Blumen umher) ich bin böse!«

Meine Angst stieg auf den höchsten Grad. Alle mein Leichtsinn, meine Dreistigkeit war fort. Ich stand da, wie ein armer Sünder. Und was hatte ich zu fürchten? Jetzt weiß ich wohl, weß Geistes Kind diese Erscheinung war, aber damals noch nicht. Wenn es Louise gewesen wäre, so wäre ich hervorgesprungen und hätte sie ausgelacht; aber bey Malchen fiel mir dies nicht ein. Jeden Augenblick fürchtete ich, daß sie aufspringen, mich sehen und erschrecken würde; aber es geschah nicht, sondern sie nahm ihre Blumen wieder zusammen und flocht an ihrem Kranze fleißig fort, indem sie zuweilen nickte, wenn sie eine Blume nach Wunsch angelegt hatte. Ich zog mich mit möglichster Behutsamkeit zurück, und als ich ungefähr hundert Schritte von ihr war, fing ich auf einmal an zu springen und zu jauchzen, und lief auf sie zu.

Achtes Kapitel.Schon Heuchlerin?