Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter Band - Gerstäcker, Friedrich - kostenlos E-Book

Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter Band E-Book

Friedrich, Gerstäcker

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The Project Gutenberg EBook of Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter Band, by Friedrich GerstäckerThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter BandAuthor: Friedrich GerstäckerRelease Date: June 23, 2014 [EBook #46083]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI ***Produced by richyfourtytwo and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net

Tahiti.

Roman aus der SüdseevonFriedrich Gerstäcker.

Zweite unveränderte Auflage.

Vierter Band.

Der Verfasser behält sich die Uebersetzung dieses Werkes vor.

Leipzig,Hermann Costenoble. 1857.

Inhalt des vierten Bandes.

Seite

Cap.

1.

Die Schlacht von Mahaena

1

"

2.

Alte Abrechnungen

55

"

3.

Das Lager der Insulaner

103

"

4.

Die Flucht

142

"

5.

Lefévre und Aumama

170

"

6.

Der Angriff auf Papetee

218

"

7.

René und Susanna

248

"

8.

Schluß

302

Capitel 1.Die Schlacht von Mahaena.

»Joranna!« – und die Palmen rauschten dazu ihre leise wehmüthige Weise, und wie grollend, zürnend tönte der dumpfe Donner der Brandung ihm in's Ohr – »Joranna!« – »Und doch ja auch nur für wenige Tage!« rief er dann plötzlich sich abwendend und mit der Hand die Stirne streichend, als ob er da alle die trüben traurigen Ideen fortwischen wolle. »Unsinn, sich das Herz da schwer zu machen mit Sorge und Noth und tollen, trüben Ideen; wie rasch verfliegt die Stunde, und Wochen schwinden, daß man sie kaum zählen kann. Nein, nicht muthwillig mag ich mir das Leben schwer machen, ein tückisches Schicksal quält und neckt uns überdies schon genug, wirft Wermuth in den süßesten Becher, oder giebt der Frucht Stacheln nach der unsere Lippe sich sehnt. Fort; in der Stadt vergeß ich die Grillen und mein Haus mag heute sehen wie es allein fertig wird.«

Und den Hut fest in die Stirn drückend, die Arme über der Brust zusammengeschlagen und den Kopf gesenkt, ging er mit raschen Schritten nach der Stadt zurück und betrat, seine Grillen wie er sie nannte, mit einer Flasche Wein niederzuschwemmen, das erst seit kurzer Zeit etablirte Haus eines Franzosen, Viktor, ließ sich eine Flasche Claret geben, und setzte sich, ein paar Gläser rasch hintereinander hinunterstürzend, den Kopf in die Hand gestützt, allein an einen Tisch, in die entfernteste Ecke der Stube – gedankenvoll auf das vor ihm ausbreitende Meer hinausschauend.

Wohl eine Stunde mochte er so gesessen haben, die Flasche stand geleert vor ihm, und noch immer starrte er düster vor sich hin, als eine Hand ihm derb auf die Schulter klopfte und eine fröhliche Stimme seinen Namen rief:

»René!«

René schaute langsam auf, sprang aber im nächsten Augenblick von seinem Sitz empor und rief, dem Freund beide Arme entgegenstreckend und ihn an's Herz drückend:

»Adolphe! mein lieber, lieber Freund, wo kommst Du her? zehntausendmal willkommen auf Tahiti.«

»Und Dir geht es gut?« frug Adolphe, die ersten herzlichen Begrüßungen vorüber – »es gefällt Dir hier, und Du bereust Dein Weglaufen nicht?«

»Bereuen?« lächelte René, »ich habe Alles hier, was das Menschenherz nur fordern oder verlangen könnte und sollte bereuen? – Doch« – unterbrach er sich plötzlich, den Freund erstaunt betrachtend – »spielst Du Maskerade oder ist es jetzt Sitte hier geworden, französische Uniformen anzulegen? was thut der Wallfischfänger in der Officiersuniform?«

»Peste!« lachte Adolphe, »ich hatte das Leben ebenfalls satt, und da uns gute Kräfte hier fehlen, hielt ich den Zeitpunkt für geeignet, meine alte Carrière wieder aufzunehmen. Hol der Teufel die Freiheit am Bord eines Wallfischfängers; durch Du Petit Thouars selber, von dem ich die Ehre habe schon seit frühern Zeiten gekannt – vielleicht überschätzt zu sein, sind mir die Epauletten wieder auf die Schultern gedrückt, mit denen ich seit langer Zeit fertig zu sein glaubte.«

»Und seit wann bist Du hier?« frug René erstaunt.

»Seit drei Tagen etwa; aber wie mir gesagt wurde, wärst Du zurück nach Atiu gegangen, wo wir Dich damals ließen.«

»Ich habe die Erlaubniß noch nicht erhalten, einer langweiligen Untersuchung wegen.«

»Ich weiß, ich weiß, wegen einer Französischen Schildwache, man hielt das aber für abgemacht – nun desto besser, so hab' ich Dich doch hier noch getroffen, ich wäre aber später jedenfalls einmal hinübergekommen, Dich zu besuchen. Mensch ist es möglich – Du hier verheirathet und Familienvater? – nun die Sache klingt gefährlicher, wie sie ist.«

»Ich fühle mich glücklich darin,« sagte René. –

»Und was willst Du jetzt auf Atiu?«

»Dort bleiben.«

»Bah, Unsinn –«

»Unsinn? – weshalb?«

»Du willst Dich, mit acht und zwanzig Jahren in einem Cocospalmenwald vergraben und mit der Welt fertig sein? – Mensch bist Du denn wahnsinnig oder hast Du die Lektionen am Bord des Delaware noch nicht vergessen? und ein indianisches Mädchen – René, René, ich fürchte fast, Du hast da Dir selber einen recht bösen Streich gespielt, und ich habe Dir am Ende gar keinen so besonderen Dienst geleistet, als ich die Bande durchschnitt die Dich hielten. Das Schlimmste gereicht uns oft zum Glück, und das gerade, was wir armen kurzsichtigen Sterblichen im Anfang für die Krönung unserer Wünsche halten, ist nicht selten der Beginn von – gerade dem Gegentheil.«

»Du kennst Sadie nicht,« lächelte René – »sie ist nur Indianerin von Geburt, sonst aber fast ganz in europäischen Sitten und Gebräuchen auferzogen.«

»Desto schlimmer für sie,« brummte Adolphe kopfschüttelnd. »Ich habe auch darüber schon Manches munkeln hören. Aber was zum Teufel bleibst Du da nicht wenigstens in Papetee? – hier hast Du doch einen Wirkungskreis für irgend eine Thätigkeit; auf Atiu versauerst Du ja doch, und zehn Jahre dort, machen Dich untüchtig für irgend einen menschlichen Beruf.«

»Verhältnisse, lieber Adolphe, bestimmen den Menschen,« lächelte der Freund, wenn auch nicht mehr so ganz unbefangen. »Sadie fühlte sich hier nicht glücklich zwischen den Europäerinnen und –«

»Aber ich denke sie hat eine ganz europäische Erziehung bekommen – wie stimmt das?«

»Ich – ich selber fühlte auch daß wir dort drüben würden viel freier, ungehinderter leben können« entgegnete René ausweichend.

»Ungehinderter? das glaub der Teufel,« lachte Adolphe, »wer sollte Euch dort stören? wenn da nicht einmal zufällig ein vereinzelter Wallfischfänger anlangte – aber apropos René – weißt Du denn, daß Capitain Lewis Tochter hier auf Tahiti und sogar in Papetee ist?«

René fühlte, daß ihm das Blut in die Schläfe stieg und drehte sich rasch ab, nach einer frischen Flasche Wein zu rufen.

»Ich weiß es,« sagte er gleichgültig – »ich habe sie hier auf einem Ball kennen lernen, sie wohnt jetzt bei Belards; aber Adolphe –« rief er, rascher sich dem Freund wieder zudrehend, der ihn aufmerksam betrachtete – »Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, was Ihr damals mit dem ehrwürdigen Manne gemacht habt, den Ihr statt meiner an Bord nahmt. Was sagte er denn, als er wieder zu sich selber kam?«

»Was er sagte?« lachte Adolphe in der Erinnerung an jenen Abend laut auf, »er war Feuer und Flamme, und wollte augenblicklich an Land gesetzt sein. Mein Glück übrigens wars, daß er behauptete Einer der Bootsleute habe ihn zu Boden geschlagen und gebunden und geknebelt, und unser alter Seehund von Harpunier wußte recht gut, daß ich nicht lange genug oben gewesen war, das möglicher Weise zu Stande zu bringen, wenn er mir's auch zutraute, während keiner der Anderen das Boot verlassen haben wollte, und auch in der That verlassen hatte. So ärgerlich der Alte übrigens auch war, daß wir Dich nicht, trotz aller gemachten Auslagen, wie des Aufenthalts und bösen Beispiels wegen, wiederbrachten, so sehr freute er sich doch jedenfalls heimlich, daß es gerade der Schwarzrock gewesen, der darunter leiden mußte, noch dazu, da er einen Matrosen verrathen, und wir Alle kamen so, wenigstens für den Augenblick, mit einem blauen Auge davon. Nichtsdestoweniger hatten sie gegründete Ursache auf mich den stärksten Verdacht einer Mitwissenschaft zu werfen, und wenn ich mir auch nicht gerade besonders viel daraus machte, wurde doch das Leben an Bord für mich dadurch nach und nach so fatal, daß ich mich zuletzt in Honolulu, als wir von oben wieder herunter kamen, auszahlen ließ und nicht einmal mit dem Schiff zu Hause ging. Ich bin übrigens dem geistlichen Herrn eben heute Morgen hier in der Straße begegnet – und ob er mich nicht wieder erkannte? Wie er nur einen Blick auf mich warf, blieb er im ersten Moment überrascht stehen, – er wußte wahrscheinlich nicht gleich wo er mich hinthun sollte; als ich aber ein, vielleicht etwas malitiöses Lächeln doch nicht verbeißen konnte, und ihm auch wahrscheinlich dabei einfiel bei welcher, für ihn so fatalen Gelegenheit wir uns zum letzten Mal gesehen, quoll ihm das Blut wie eine Springfluth in's Gesicht und er ging rasch, und ohne mich weiter eines Blicks zu würdigen, an mir vorüber, die Straße hinab.«

»Ja, er hat hier seine Mission« sagte René noch in der Erinnerung an heut Morgen, mit zusammengezogenen Brauen, »mir aber ist er bis heute ausgewichen wie dem bösen Feind, und wirklich heute Morgen zum ersten Mal hat er meine Schwelle, in meiner Anwesenheit überschritten, um Abschied von meiner Frau zu nehmen.«

»Will er fort?«

»Nein, meine Frau hab' ich hinüber nach Atiu, mit einem der anderen protestantischen Missionaire geschickt, um später nachzukommen.«

»So so?« sagte Adolphe gedehnt, »Du bleibst jetzt noch allein in Papetee – und wo wirst Du wohnen?«

»Ich wollte eigentlich gern in meinem Haus draußen bleiben, aber ich fürchte es wird nicht gehen – heute Morgen wenigstens kreuzten schon dumpfe Gerüchte von einem wirklichen Aufstand, und was ich hier darüber gehört, bestätigt das nur. Als einzelner Franzose setzte ich mich da draußen doch am Ende Unannehmlichkeiten aus.«

»Nein, Gott bewahre« rief Adolphe rasch – »diese Indianer sind seelensgute Menschen wenn in Frieden gelassen, aber treib' sie erst einmal dazu daß Blut fließt, und sie sind wie die Tiger, unersättlich. – Ich fürchte auch wir bekommen hier noch einen verwünscht schweren Stand, denn die zwei Schiffe sollen, wie ich höre, an allen Inseln zugleich anklopfen, und wenn sie da in Papetee nicht eine recht tüchtige Besatzung zurücklassen, so weht einmal eines Morgens die Tahitische Flagge statt der Französischen, und für unsere Leben, alle mitsammen, möcht' ich dann keinen Franc geben. Die Missionaire thun außerdem was sie können, die Eingeborenen gegen uns aufzuhetzen.«

»Verdenken kann ich's ihnen nicht« entgegnete René, die geleerten Gläser wieder vollschenkend, »haben sie doch meine Landsleute hier vollständig aus dem Sattel gehoben, und jeder wehrt sich seines Brodes so gut er kann.«

»Peste, René, Du vertheidigst die Schwarzröcke wohl gar?« lachte Adolphe. »Wetter mein Bursche, hast Du Dich geändert. Die Luft hier muß anstecken.«

»'Bist im Irrthum, Adolphe, nur den Stand selber vertheidige ich, der hier ein Recht hat zu existiren, sobald wir nur den Schatten eines solchen beanspruchen wollten. Stände ihnen die eigene Bibel nicht dabei im Wege, wären sie gerade die Leute die sich zu Herren des Landes erklären dürften, insoweit sie zuerst hier ihren Wohnsitz, und damit nach dem Rechte der Entdecker, Besitz von dem Lande nahmen. Doch es fällt mir nicht ein ihre Parthei zu ergreifen« setzte er rasch hinzu, »und Gott weiß es, sie haben mir das Leben hier schon manchmal recht verbittert, ja – hätten es mir verleiden können.«

»Haben Sie Dich nicht auch bekehren wollen?« lachte Adolphe.

»Nun ja, im Anfang wohl dann und wann, das gaben sie aber doch bald auf – die Besseren unter ihnen sind auch tüchtige wackere Leute, Menschen die, wenn auch nicht immer den Kopf, doch jedenfalls das Herz auf der rechten Stelle haben, die Mehrzahl aber, mit ihrem ewigen Beten und Psalmensingen, könnte einen Heiligen zu Verzweiflung bringen. Ich glaube wenn ich noch ein Jahr hier in Papetee geblieben wäre, hätten sie mir mein Weib entweder abtrünnig, oder da das nicht ging, verrückt gemacht.«

»Hat Dir der Ehrwürdige Mr. Rowe noch Nichts weiter in den Weg gelegt?« frug Adolphe.

»Er hat noch nichts Anderes gethan fast, als gesucht einen Anhaltepunkt zu finden. Es hieß einmal, er sollte mit einem speciellen Auftrag an die Tafel der Missionaire abgeschickt werden, den hat aber wahrscheinlich Mr. Pritchard mitbekommen, den sie hier fortschicken mußten, wenn sie je hoffen wollten, sich mit den Eingeborenen wieder anders als mit den Waffen in der Hand zu verständigen. Ich wollte übrigens dieser Rowe wäre fort von hier, mir verbittert sein kaltes scheinheiliges Gesicht jedesmal den ganzen Tag, wenn er mir einmal zufällig über den Weg läuft, und ich kann mich des Gedankens kaum erwehren, daß er mir noch irgend einmal feindlich in's Leben greift. Seine Schuld wird's auch in der That nicht sein, wenn er eine, sich ihm vielleicht einmal bietende Gelegenheit unbenutzt vorübergehen ließe. Doch fort mit dem Schleicher, wir haben wahrlich Besseres zu thun, als an ihn zu denken. Und Du bleibst jetzt hier auf den Inseln, Adolphe?«

»Eine Zeitlang wenigstens, und so lange es etwas zu thun giebt,« erwiederte der Freund.

»Wenn Du nur einmal eine kurze Zeit hier bist, wird es Dir auch schon besser gefallen« lächelte René, »vielleicht sogar machst Du mir's nach, und wir werden noch am Ende Nachbarn – Adolphe, diese Inseln sind ein wirkliches Paradies.«

Adolphe schüttelte mit dem Kopf.

»Und doch möchte ich es nicht auf die Länge der Zeit mit Dir theilen« sagte er ernster – »ja, nach einem langen und vielleicht langweiligen Kreuzzug durch die Meere, nach Eis und Schneegestöber da oben in jenen unwirthlichen Regionen, nach Entbehrungen und Strapatzen, wie sie der verweichlichte Landbewohner kaum für möglich halten würde – und in der That auch kaum für möglich hält – thut es Einem wohl, wieder einmal eine kurze Zeit unter Palmen auszuruhn, – und die freundlichen Gesichter der Eingeborenen, wenn erst einmal diese unglücklichen Conflikte vorüber sind, bilden keine unangenehme Zugabe solcher Rast –; aber da bleiben, wohnen, heirathen, und seine Existenz hier beschließen? nein, ich glaube ich hielte das gar nicht aus, ja ich bin fest davon überzeugt daß ich nicht einmal den Versuch machen möchte.«

»Und was könnte das Herz mehr verlangen als es hier findet?« rief René – »was bietet Dir Gottes Welt Schöneres, wohin Dich der unstete Fuß auch trägt, als diese Küsten, wenn Du ein Wesen hier findest, das dieses Glück mit Dir theilt? was würde Dir in diesem Paradiese fehlen?«

»Der Nerv es zu genießen, es zu schätzen« rief Adolphe rasch, »Thätigkeit – Entbehrungen, Leben mit einem Wort, wie es der alte Herr da oben für uns erschaffen, und gar erstaunlich weise eingerichtet hat – ich verginge in dem Müßiggang. Nein René, nein, und tausendmal nein, wenn Du Dir selber vorlügen willst daß Du Dich glücklich darin fühlst. Ich glaube es nicht, weil ich überhaupt nicht an Unmöglichkeiten glauben mag, und Dir noch obendrein so etwas gar nicht wünschen wollte. Du mit Deinem leichten lebensfrischen Herzen, der Abgott Deiner Kreise einst in Paris, der eben nur übermüthig und übersättigt wurde durch das Glück, das überall auf ihn einstürmte. Du, dem noch bis jetzt kein Welttheil vermögend war in seinen Grenzen zu halten, Du solltest jetzt Deine Heimath in einer Bambushütte gefunden haben und mit Deinen Lebensbedürfnissen auf einen Brodfruchtbaum und eine Angel angewiesen sein? – Unsinn René! – hahaha komisch ist's aber doch, wenn ich mir das so denke, und komischer noch daß ich ernstlich dagegen anstreite. Bah! geh Du einfach wieder nach Atiu hinüber, aber mit dem was Dir jetzt durch Herz und Seele zieht, was Dir schon, Du magst es verleugnen wie Du willst, in den Augen mit unvertilgbaren Zügen geschrieben steht, lebst Du noch ein Jahr drüben und springst nachher wieder selbst an Bord eines Wallfischfängers, wenn Du auf keine andere Weise fortkommen kannst, oder – Du bist elend und unglücklich.«

»Nein nein Adolphe, Du hast Unrecht« rief René, aber er war aufgesprungen, und ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab. »Du hast Unrecht, und ich werde es Dir beweisen; habe ich Dir doch schon früher gezeigt was ich durchsetzen kann, und auch damals hieltest Du es für unmöglich.«

»Armer René« sagte Adolphe – »schon mit den Worten gestehst Du mir Alles ein, ohne es selber vielleicht zu wissen; und doch irrst Du Dich. In tollkühnem Muth, einer Gefahr trotzend, die sich Dir noch so wild und furchtbar entgegenstellt, ja; im kecken Wurfe bist Du im Stande und setzest Dein Leben ein und gewinnst. Ich glaube nicht daß Du Dich durch irgend eine Schwierigkeit oder Gefahr von irgend einem gefaßten Vorsatz, wär er noch so wahnsinnig, zurückschrecken ließest. Du hast mir das mehrfach bewiesen und am schlagendsten durch Deinen Ein- wie Austritt an Bord des Wallfischfängers; hier aber, wo es darauf ankommt durch zähes geduldiges Ausharren ein Ziel zu erreichen, gäbe es keinen unpassenderen Gesellen dazu wie Dich, und zwingst Du Dich hinein, so gehst Du darüber zu Grunde – denk' an mich.«

Wilder Lärm draußen unterbrach sie hier; die Leute sprangen durch einander und verworrene Rufe wurden laut. Die beiden jungen Leute waren der Thür zugeeilt, zu sehn was es gäbe, als draußen die scharfen Schläge einer Trommel ertönten.

»Alle Wetter!« rief Adolphe, »es scheint Ernst zu werden, die Trommel ruft uns auf unsere Sammelplätze. Und wo sehen wir uns wieder, René?«

»Heute Abend hier.«

»Gut denn, und ade so lange!« und mit herzlichem Kuß und Handdruck trennten sich die Freunde, Adolphe seinem neuen Beruf mit all dem lebendigen Feuereifer obliegend, eben in dem Neuen der Sache den Reiz findend der ihn auch für manche Last und Unannehmlichkeit entschädigen mußte, während René in der Thür stehen blieb und ihm die Straße hinab nachschaute, bis ihn eine Biegung derselben seinen Blicken entzog. Tief aufseufzend drehte er sich dann um und wandte sich, theils in das Haus zurück zu gehen und seinen Hut zu holen, theils zu sehen was es gebe, als er seinen Namen gerufen hörte und sich umschauend Lefévre erkannte, der mit ausgestreckter Hand auf ihn zu kam.

Der früher so muntere und leichtherzige Nachbar sah aber gar verändert und angegriffen aus. Er trug den linken Arm in der Binde und war bleich und abgemagert, auch der Blick seines Auges hatte etwas Feindliches, Stieres gewonnen, das er sonst nicht gehabt.

»Hallo Lefévre, wie sehn Sie aus?« rief René erstaunt – »wo wurden Sie denn verwundet, und sind denn unsere Truppen schon mit den Eingeborenen zusammengetroffen?«

»Hier noch nicht« sagte Lefévre, mit einem eignen Lächeln in den scharf ausgeprägten und keineswegs angenehmen Zügen, »wenigstens bis heute Morgen nicht, aber jetzt gerade gehts los, und ich will mir nur eben meinen Säbel und meine Pistolen holen, als Freiwilliger den Spaß mit zu machen.«

»Mit dem Arm in der Binde?« sagte René kopfschüttelnd. »Sie sollten froh sein daß Sie eine Entschuldigung haben nicht gegen die Eingeborenen fechten zu müssen, weshalb das muthwillig herbeiziehen. Gehören wir Beiden nicht zu ihnen?«

»Zu den rothen Hallunken?« rief Lefévre mit einem wilden Fluch – »hol sie der Teufel alle, denn nicht Frieden giebts, bis wir die eine Hälfte von ihnen todtgeschlagen, und die andere in ihre Bergschluchten hineingejagt haben, dort von Feis und wilden Ziegen ihr Mahl zu halten. Daß die Pest zwischen sie fahre!«

»Lefévre?« rief René erstaunt – »was ist denn mit Ihnen vorgegangen? – wo ist Aumama?«

Lefévre lachte höhnisch und rief, den Kopf zurückwerfend:

»Zu ihrem Gesindel zurückgekehrt, aus dem ich ein Thor war sie heraus zu ziehen – nun, ich habe wenigstens meinen Spaß mit ihr gehabt – Sie haben Sadie auch wieder nach Atiu zurückgeschickt, wie ich höre. Gescheut, die Dirnen sind recht gut für eine kurze Zeit, so etwas muß aber nicht zu lange dauern, sonst wird es langweilig.«

»Ich habe sie hinübergeschickt um selber nachzugehn« erwiederte René ernst, »und haben Sie sich so leicht von Ihrer Frau trennen können?«

»Frau trennen können« lachte Lefévre – »wenn es ihr nicht mehr Thränen gekostet hat wie mir, sind wir alle Beide ungemein leicht davon gekommen. Aber wissen Sie daß der Teufel losgegangen ist? die Burschen machen Ernst.«

»Doch nicht hier in Papetee?« sagte René.

»Nicht gerade in der Stadt, aber in Mahaena haben sie sich verbarrikadirt und einen Trupp Soldaten, der sie von dort vertreiben wollte, mit blutigen Köpfen zurückgejagt. Eben ist die Nachricht hier hergekommen, und es soll jetzt gleich ein Bataillon dorthin aufbrechen, den Empörern zu zeigen mit wem sie eigentlich in ihrer Verblendung den Krieg begonnen. Durch diese protestantischen Missionaire aufgehetzt, glauben und hoffen sie immer noch auf die Unterstützung gar nicht vorhandener englischer Schiffe, es wäre ja sonst doch nicht möglich, daß sie nur einen Augenblick daran denken könnten, ernsthaften Widerstand zu leisten. Aber dort rückt schon das Militair heran, kommen Sie mit, René, wir machen uns einen kleinen Spaziergang dahinunter, und helfen die Burschen mit in die Berge jagen.«

René schüttelte mit dem Kopf.

»Ich habe Nichts in dem Kampf zu thun« sagte er ernster, »meine Landsleute mögen das unter sich ausmachen.«

»Bah, Sie werden doch nicht zusehn wollen wie wir uns schlagen?«

»Warum nicht? – so lange ich kein Interesse dabei habe.«

»Und wenn sie uns hier in der Stadt angreifen?«

»Sie schienen ja eben noch nicht einmal zu glauben daß sie einem einzelnen Bataillon Stand halten könnten.«

»Ei, der Teufel traue den Schuften, manchmal sind sie zäh und werfen sich mit ihren nackten Leibern ganz tollkühn und einer besseren Sache werth in die Bayonnette, wie bei Tairabu.«

»Sie vertheidigen ihr Vaterland« sagte René ernst – »das ist die beste Sache, die sie vertheidigen können.«

»Meinetwegen« lachte der Franzose, »ich aber habe nun einmal meine ganz besondere Malice auf sie – also adieu, wenn Sie denn durchaus nicht mitwollen und auf Wiedersehn!« und rasch seinen Säbel umschnallend, den er indeß aus der Ecke geholt, und wobei ihm Einer der hier zur Bedienung gehaltenen indianischen Burschen, da er die linke Hand nicht gebrauchen konnte, helfen mußte, verließ er das Haus mit schnellen Schritten sich dem indeß schon voraus marschirten Trupp anzuschließen.

Die Sonne von Tahiti beschien, zum ersten Mal wieder, seit ihre Feudal- und Religionskriege bei Seite geworfen waren, ein wildes und kriegerisches Bild.

Kaum mehr als etwa zwölf englische Meilen von Papetee entfernt, wo die friedlichen leicht gebauten Bambushütten von Mahaena standen, hinter denen sich die gewaltigen Bergesmassen in steilen kurzen Hängen erheben, hatten sich die Bewohner der benachbarten Distrikte, nach dem Angriff auf Tairabu, zu kurzem Kriegsrath gesammelt, und mit zornig blitzenden Augen und geschwungenen Speeren Rache verlangt für das vergossene Blut der Brüder. Ein Schrei der Entrüstung zuckte durch das ganze Land, und was an waffenfähiger Mannschaft in der Nähe war eilte herbei, seinen Arm der Sache des Vaterlandes anzutragen.

Die am meisten fanatisirten Häuptlinge der Eingeborenen hatten sich hier gesammelt, Aonui und Potowai, Taaniri, Kahuahu und selbst Teraitane, und Boten wurden an Paofai, Tati, Utami, Hitoti und Paraita abgeschickt, diese ebenfalls der vaterländischen Sache zuzuwenden. Einzelne von diesen aber, wie Paofai und Hitoti hatten sich direkt geweigert Pomares Sache zu der ihrigen zu machen, während Paraita, Krankheit vorschützend, ebenfalls in Papetee blieb und nur Tati und Utami, der eine sich nach Papara, der andere nach Papeneeo zurückzog, dabei jedenfalls ihren Rücktritt von den französischen Interessen erklärend.

Nicht müßig aber beriethen nur die Häuptlinge in Mahaena, sondern zu gleicher Zeit wurden an dem einen passendsten Hügelhang, auf den Vorschlag und unter der Anleitung mehrer englischer und irischer Matrosen, Befestigungen aufgeworfen, einem etwaigen Angriff auch die Spitze bieten und abwarten zu können, bis die ganze Insel gemeinschaftlich gegen die Unterdrücker aufstehn würde. Ueberhaupt hatten sich eine ganze Zahl Fremder, die sich früher hier nieder gelassen und den Einfluß der Franzosen fürchteten, den Eingeborenen gleich von allem Anfang angeschlossen, von denen sie, wenigstens von den meisten, gar sehr willkommen geheißen wurden. Es war diesen schon gewissermaßen eine Beruhigung Weiße mit sich gegen Weiße zu wissen und in der Führung der Feuerwaffe, die sie hier zum ersten Mal in die Hände bekamen, brauchten sie auch noch Leute die sie mit den Geheimnissen derselben betraut machten. Die meisten dieser Weißen waren früher entlaufene Matrosen von Wallfischfängern, ja hie und da aber auch sogar von den französischen Kriegsschiffen selber, die sich in den steilen unwirthbaren Bergen nicht halten konnten, und jetzt wohl genöthigt wurden die Waffen aufzugreifen, ihre eigene Freiheit zu vertheidigen.

Unter ihnen befand sich Jack sowohl, wie Jim O'Flannagan, dem der Aufenthalt in Papetee nach seinem letzten Zusammentreffen mit dem Lieutenant der Jeanne d'Arc doch zu heiß geworden war, und der doch auch kein Schiff finden konnte die Insel jetzt gerade, was er mit Vergnügen gethan haben würde, zu verlassen. Auch der Neger war dort, eine herkulische Gestalt, der vor einigen Abenden erst einen Zank mit mehren französischen Soldaten bekommen und vier davon so zugerichtet hatte, daß er sich nur durch die Flucht der blutigen Rache der übrigen entzog. Manche Andere waren durch die Franzosen selber zu diesem letzten verzweifelten Schritt getrieben, die unkluger Weise in jedem Engländer oder Amerikaner einen Verräther ihrer Sache sahen und diese auf Schiffe packen wollten, um sie von Tahiti wenigstens zu entfernen, oder auch möglicher Weise unter Aufsicht zu halten, bis der Conflikt erst entschieden und das tahitische Volk selber vollständig unterworfen gewesen wäre.

Mit dieser Beihülfe war Mahaena, oder vielmehr das Fort von Mahaena, wie man die rohe Verschanzung nannte, gar nicht so schlecht befestigt worden. Ein etwa fünf Fuß hoher und ungemein starker Erdwall sollte sie vor allen Dingen gegen die Kugeln der Kriegsschiffe schützen, die man jedenfalls bei einem Angriff der Franzosen erwarten mußte, während sich das Rücktheil der kleinen Veste an den steilen Hügel selber lehnte und die Zerrissenheit der Schluchten nur einen einzelnen, den Eingeborenen allein bekannten Pfad dort hinaufließ, den wenige Mann hätten gegen eine gewaltige Ueberzahl vertheidigen können. Auf dem Wall aber schützte ein starkes Pallisadenwerk, von den starren zackigen Aesten der Guiaven aufgeschichtet, das kleine Fort fast vollständig gegen einen Bayonnetangriff, und Boten waren indeß schon nach allen Richtungen abgesandt, die Krieger der verschiedenen Stämme herbei zu ziehen und hier zu sammeln und dann einen vereinten Angriff auf Papetee zu wagen.

Die Franzosen wollten ihnen aber da keineswegs so lange Zeit gönnen, weil sie schon des bösen Beispiels wegen suchen mußten die Eingeborenen von jedem Fleck wo sie sich befestigen konnten, zu vertreiben, ihnen vor allen Dingen das Vertrauen zu nehmen, daß sie sich überhaupt einem ihrer ernstlichen Angriffe mit Erfolg entgegenstellen könnten. Die Scharte von Tairabu mußte sobald als möglich wieder ausgewetzt werden.

Am frühen Morgen hatten deshalb auch die beiden dorthin beorderten Schiffe, die Uranie wie der Dampfer Phaeton ihre Truppen gelandet, aber noch keinen wirklichen Angriff unternommen, weil man erst die Ankunft der aus der Stadt herbeigezogenen Truppen erwarten wollte, und es war Mittag geworden bis diese eintrafen; dann aber eröffneten beide Kriegsschiffe auch ihr Feuer auf das kleine Fort. Der Schlag gegen die Empörer sollte mit einem Mal geführt und alle die Frevler vernichtet oder zerstreut werden.

Oben im Fort selber herrschte indessen ein reges Leben. Die Frauen und Kinder hatten sich schon bei Ankunft der Schiffe in die Berge geflüchtet, und nur ein Theil derselben, meist lauter junge kräftige Weiber, waren ihren Männern oder Vätern gefolgt, das Pittoreske der Scene dadurch nur noch erhöhend. Ueberall auf dem weiten geräumigen Plateau kauerten sie über den dampfenden Kochgruben, das Mittagsmahl für die Krieger zu bereiten; mit dem schmalen Holzspaten warfen sie die Erde herab und lüfteten die über saftige Ferkel oder Brodfrucht gedeckten Blätter, zu sehn ob sie bräunen und gahr werden wollten, und breiteten dann die glatten Blätter der Banane oder des Tutuibaumes auf ebene Stellen aus, als Tisch dem leckeren Mahle. Indianer und Europäer saßen dabei wild durcheinander gestreut, und wenn irgend Jemand überhaupt bei der Gasterei ausgezeichnet wurde, bei der nur die Häuptlinge für sich einen etwas erhöhten Platz gewählt hatten, so war es der Neger Pompey, dem die Frauen und Mädchen, vielleicht seiner brillant schwarz glänzenden Farbe wegen, die besten Stücke aussuchten und zuerst die Cocosnuß zum Trinken reichten. »Pompey« ließ sich das auch ganz ruhig, und wie ein Mann, der an etwas derartiges gewöhnt ist, gefallen, und that der Mahlzeit alle Ehre an, während er mit den Männern selber lachte und Geschichten erzählte, und der Ausgelassenste von Allen schien. Dann, in einem förmlichen Paroxismus von Fröhlichkeit, warf er sich nicht selten hintenüber, zwei Reihen der glänzendsten Zähne dabei zeigend, und die Eingeborenen schrieen und jubelten um ihn herum.

Ein gar verschiedenes Bild hiervon zeigte eine andere Gruppe, an einem der entferntesten Theile der Verschanzung, denn dort hatte der ehrwürdige Bruder Dennis, jeder Gefahr von Außen her trotzend und recht gut wissend daß die Franzosen einen Angriff beabsichtigten, eine kleine Schaar seiner Gemeinde um sich versammelt, die in den wunderlichsten und oft nicht immer ehrerbietigsten Stellungen der Predigt lauschten. Die meisten saßen allerdings auf Steinen oder ausgebreiteten Matten, jeder seiner eigenen Bequemlichkeit folgend, ruhig und aufmerksam vor ihm, andere hatten sich aber auch, von den Schanzarbeiten ermüdet, der Länge lang ausgestreckt, und lauschten mit halbgeschlossenen Augen der Predigt, mit leiser Stimme die dann und wann gesungenen Hymnen nachbrummend, während noch Andere emsig dabei beschäftigt waren ihr indeß gahr gewordenes Mittagsbrod mit ihren Holzspaten zu Tag zu fördern, das sie dann auch augenblicklich an Ort und Stelle, und zu gleicher Zeit der körperlichen wie geistigen Nahrung hingegeben, verzehrten.

Ueberall aufgestellte Waffen, Musketen mit und ohne Bayonnette, Speere, ja hie und da sogar noch Bogen und Pfeile, Keulen, Wurfspeere, Cavallerie- und Infanteriesäbel, Aexte und Beile, gaben dabei dem ganzen Bilde ein kriegerisches Aussehn, und wild dazwischen herumtanzende Mädchen, sich weder um die Predigt noch die Essenden kümmernd, vollendeten die Scene. Unordentlich durch einander gewürfelt lag und stand Alles, Niemand schien da, der einen Oberbefehl über das Ganze habe, oder irgend einen Einfluß darauf ausüben könne, und ohne Dach und Fach, nur hie und da mit ein paar rasch und unregelmäßig aufgesetzten Pandanus oder Bananenblatt-Dächern, machte auch das ganze Lager weit eher den Eindruck einer wandernden bewaffneten Caravane, die sich hier zur Mittagszeit eine kurze Rast gegönnt und in der nächsten Stunde wieder aufbrechen würde, als einer wirklichen Befestigung, die bestimmt war einem mächtigen Feinde auf längere Zeit Trotz zu bieten und Widerstand zu leisten.

Und diese Waffen – rostige Musketen und hölzerne Speere, Keulen und Beile, die sich dem furchtbaren Geschütz der Feinde entgegenstellen sollten; wie Spott und grimmer Hohn lehnten die dünnen Lanzen an den Erdwällen und kauerten oder standen die halbnackten Männer daneben, ihrem Geschick verfallen wie es schien, wenn die geschlossenen Colonnen der Feinde anrücken und ihre donnernden Geschütze die Todesboten in die kleine Veste schmettern würden. Und hatten sie keine Ahnung der furchtbaren Gefahr die ihnen drohe? – noch war es Zeit, noch konnten sie, durch Guiaven-Dickichte versteckt die sicheren Berge erreichen, wohin ihnen der schwerfälligere Feind nicht zu folgen vermochte. Auch der finstere Priester dort in der Ecke weckte mit donnernder Stimme die Unglücklichen zu Buße und Reue »in der elften Stunde.« Die offene Bibel im linken Arm, die rechte gegen sie ausgestreckt und das bleiche ausdrucksvolle Gesicht zum blauen Himmel flehend, zitternd emporgewandt, stand er da, ein mahnendes Bild dem Sünder, ein Wegweiser zu dem Thron des Höchsten.

Horch – ein leiser Trommelwirbel vom andern Ende des Lagers – die Betenden wandten den Kopf halb danach um – fürchten sie den anrückenden Feind? – Noch einmal, lauter als vorher und ein gellender Jubelruf der den Ton begleitet –

»Horch!« schrie eine jauchzende Mädchenstimme, fortwerfend was sie gerade in Händen hielt und in der Erregung des Augenblicks, von dem Feind bedroht, selbst die Nähe des sonst so gefürchteten Missionairs nicht achtend.

»Horch
Horch wie der Trommel Schlag
Wirbelt der Brandung nach
Horch
Lauert der Feind auch schon,
Herzchen ich komme schon
Horch!«

Es war Maire, trotz dem noch lange nicht wieder gewachsenen Haar die tollste der Schaar, die den Zwang erst einmal abgeschüttelt dem sie unwillkürlich das Knie gebeugt, jetzt fast gar nicht wußte wie sie die versäumte Zeit am raschesten und wildesten wieder nachholen könne.

»Maire! Maire!« riefen einzelne Stimmen warnend, aber die Trommel wirbelte weit verlockender darein und die tolle Dirne war schon lange, von fünf oder sechs andern jetzt gefolgt, zum Nationaltanz angesprungen, dem sie in seinen wildesten Formen und Stellungen folgte.

Aonui, der fromme Häuptling, und Potowai waren aufgesprungen und schauten mit gerunzelten Brauen auf den Unfug, der selbst im Angesicht des frommen Missionairs verübt wurde, und dieser sprach einige ernste drohende Worte zu den Männern. Aber die Männer waren nicht allein Christen, sie waren auch Häuptlinge, und fühlten recht gut wie sie jetzt gerade, im Begriff einen gefährlichen Kampf zu bestehen, dem jungen Volk nicht den tollen Muth wehren durften, der wohl die Grenzen der Schicklichkeit übertritt, dann aber auch wieder im ernsten Kampf, dem stärkern Feind gegenüber, ihm die starre und kecke Todesverachtung gab, in dem aufgeregten fröhlichen Blut.

»Maire! Maire!« rief Aonui endlich, aber mehr ermahnend als strafend von seinem erhöhten Platze nieder, »wahre Dich Mädchen und denke an Deinen Gott – wer weiß ob Du nicht in der nächsten Stunde schon vor seinem Richterstuhl stehst –«

»Ich?« schrie das tolle Mädchen in jubelnder Lust zurück, während sie das Oberkleid von den Schultern riß und von sich schleuderte »ich? –

Bah!
Heut ist ein Jubeltag
Hörst Du der Trommel Schlag?
Da!
Hei, wie der Wirbel rollt
Betet so viel Ihr wollt.
Da!«

Und jubelnd und jauchzend fiel der Chor ein, Männer und Frauen, denn viele von diesen freute es, daß sich dem sonst so gefürchteten Missionair eines der Mädchen keck entgegengestellt hatte, und die einzelne Trommel, ein altes englisches Instrument, und in früherer Zeit einmal von irgend einem Kriegsschiff gegen wer weiß was für werthvolle Sachen eingetauscht, schlug rasselnd ein in den tobenden Chor, den das zürnende Gebet des Missionairs nicht übertäuben konnte.

Der fromme Aonui kam aber auf einen anderen Ausweg, und mit den um ihn geschaarten Seinen, denen er rasch ein Zeichen gegeben, begann er jetzt ohne Weiteres eines ihrer gewöhnlichen und von allen gekannten Kirchenlieder, das sie im Chor so gern sangen und dem sich auch augenblicklich die Nächsten anschlossen. Weiter und weiter drängte die fromme Melodie hinein in die Masse, den Tanz und Sang der Einzelnen schon halb übertönend, mehr und mehr schwollen die Töne im vollen rauschenden Chor, ein Preis dem Herrn in der Höhe und ein Gebet um seinen Schutz, seine Hülfe in Drangsal und Noth.

Die Tänzer standen still und horchten den Tönen – selbst der Trommler, der im Anfang wie in Schadenfreude nur ärger auf das gespannte Fell losgeschlagen, schwieg mit dem wilden Tanz und folgte leise dem Takte der Hymne mit den Schlägeln – wunderliche Begleitung dem frommen Lied:

Dein sei Lob, Ehre, Preis und Ruhm
Der Liebe höchstes Eigenthum –
Erbarm Dich uns'rer Sünden
Und laß uns, oh Herr Zebaoth
In Leid und Graus in Noth und Tod
Vor Dir Herr, Gnade finden.
Und wenn das letzte Strafgericht
Im Sturm der Erde Vesten bricht
Mit Deinen starken Armen,

»Der Feind – der Feind!« dröhnte da plötzlich ein gellender Schrei selbst über das jetzt zum vollen Chor angewachsene Lied hinaus, das die Landbrise weit weit hin über das Wasser trug, aber die Sänger störte es nicht. Einzelne flüsterten das Schreckenswort nach, »der Feind – der Feind!« und zwei oder drei sprangen auf die Brüstungen nach den erwarteten Colonnen auszuschauen, aber Aonui mit voller kräftiger Stimme, die Arme, wie Hülfe suchend zum Himmel aufgestreckt, erhob seine Stimme nun um so lauter, und donnernd überschallte den Ruf der Schluß des Verses:

»Dann führe uns durch Nacht und Graus
Zu Dir hinein, in's Vaterhaus –
Erbarmen Herr – Erbarmen!«

»Der Feind! der Feind!« schallte es jetzt aber dringender, gellender als vorher – von unten herauf tönten die scharfen schmetternden Töne der Trompeten, und dumpfer Trommelschlag wirbelte d'rein, während die ausgesandten Laufer und Wächter athemlos aus dem, die Umschanzungen begränzenden Holz brachen und die Nachricht brachten, daß der Feind in zwei starken Colonnen anrücke, und sich, wie es schien, zum Sturm rüste auf das Fort.

Oben wirbelte aber auch schon die Trommel den Schlachtenruf, während die Männer nach ihren Waffen sprangen, und noch drängte und trieb Alles durcheinander, in ungeordneten Haufen dem allerdings schon früher durch Teraitane für jeden bestimmten Platze zuzueilen, als der erste Gruß von den Schiffen herüber schmetterte, und die Uranie wie der Dampfer in voller Flankensalve ihre Kugeln theils in dem Wall begruben, theils vor oder hinter ihnen die Guiavenstämme krachend zusammenschlugen.

Einen Augenblick stand die Schaar wie erschreckt; es war bei fast allen das erste Mal, daß sie die furchtbare Wirkung einer solchen Kugel beobachten konnten; Jim O'Flannagan aber, der seine Zeit bis dahin benutzt und während die andern getanzt oder gesungen, auf eine Matte ausgestreckt ein ganz tüchtiges Mittagsschläfchen gehalten hatte, sprang bei dem, ihm gut genug bekannten Lauten empor, und den Hut um den Kopf schwingend, rief er ein donnerndes dröhnendes Hurrah den feindlichen Kugeln keck und furchtlos entgegen.

Die Salve aber, die vollkommen erfolglos gewesen, wie der herausfordernde Ton des Iren, dem sich Pompey jetzt zugesellte und sein zweites Hip hip hip hurra ertönen ließ, fand Anklang in den kecken und muthigen Herzen der Krieger, und der tahitische Schlachtenschrei, der das Echo in diesen Thälern seit langen Jahren nicht geweckt hatte, brach in wilder jubelnder Lust von ihren Lippen.

Es war ein stilles, friedliches Volk, das den Krieg fast ängstlich so lange vermieden hatte, wie es nur irgend eine Aussicht auf gütliche Beilegung seiner Zwistigkeiten sah, das aber jetzt auch, da es die Fremden zu arg getrieben, rücksichtslos auf irgend eine größere Macht die noch vielleicht an ihre Küste geworfen werden könnte, die Waffen aufgriff, und nun mit eben dem kecken, vielleicht unbewußten Muth der Gefahr entgegenging, wie es früher in seine Kirche oder zu seinem Tanz gegangen war.

Nur dieser erste Augenblick der Erwartung war peinlich – die Ungewißheit von welcher Seite der Angriff zuerst geschehen würde, und ob sie es überhaupt wagen würden die Eingebornen in ihrer festen Stellung anzugreifen. Von diesen, mit vielleicht zwanzig oder dreißig Europäern und vierzig oder fünfzig Frauen, waren etwa 1000 Krieger dort versammelt; die Hälfte aber kaum mit ordentlichem Feuergewehr bewaffnet, führten die Anderen noch ihre alten hölzernen Speere von Oros Zeit, und Viele Schleudern und Wurfspeere. Hier aber zeigte sich jetzt ein gewaltiger Nachtheil gegen frühere Zeit, wo eben diese unscheinbaren Waffen selbst in den Händen der nackten Wilden zu furchtbarer Wehr durch die Geschicklichkeit geworden waren, mit der sie sich derselben zu bedienen wußten. Die Zeit war vorbei, denn die Missionaire hatten ihnen ernstlich jede Art solcher »heidnischer« Waffenspiele untersagt gehabt, weil diese ihre Gedanken nur wieder zu dem alten viel zu sehr geliebten Kriegsgott Oro zurückführen mußte, und sie Alles zu vermeiden suchten, was die Erinnerung an jene Zeit ihrem Gedächtniß erhalten konnte. Die wenigen Eingeborenen, die sich noch im Gebrauch der Schleuder – früher eine ihrer gefährlichsten Waffen – tüchtig geübt gehalten, hatten sich nie dem Einfluß der Missionaire unterworfen gehabt, oder es heimlich gethan, und Wurfspeer sowohl, wie Bogen und Pfeil die Hälfte ihrer Gefahr für die Angreifer verloren. Nichtsdestoweniger gab ihnen ihre feste Stellung dafür wieder andere Vortheile, und mit trotzigem, jetzt fast ungeduldigem Muth erwarteten sie den immer noch hinausgezögerten Angriff.

Eine Gefahr existirt nur so lange sie droht, und hat gewöhnlich all ihre Furchtbarkeit verloren, so bald sie erst wirklich einmal in's Leben tritt; das Leben kämpft dann dagegen an, und in dem Ringen gerade liegt die Vergessenheit derselben.

Schmetternder Trompetenschall tönte herauf; von den Schiffen drüben blitzte es wieder in langer zuckender Reihe, und prasselnd hagelte auf's Neue ein eiserner Kugelgruß von da herüber gegen die kleine Veste, von wo sie mit trotzigem Jubelruf begrüßt und beantwortet wurde.

»Dort kommen sie, meine Burschen!« schrie da Pompey, der an der einen Flanke, seiner riesigen Kräfte und vielleicht auch seiner schwarzen Farbe wegen, mit einem Anführerposten betraut war – »da kommen sie, nun hurrah und wahrt Euer Feuer, bis sie aus den Büschen heraustreten und vollkommen draußen im Freien sind – keinen Schuß eher, und keinen Speerwurf, wenn Ihr nicht den Mann schon fast mit der Spitze erreichen könnt – verdamme die hölzernen Dinger« murmelte er dann leise vor sich hin – »s'ist doch nur so, als wenn man sich nach Tisch mit Zahnstochern wirft.«

»Für die Bibel! für die Bibel!« schrie Aonui auf der anderen Seite, wirklich seine Bibel im linken Arm, die er fest an die Brust gedrückt hielt, indeß er mit der rechten Hand seine Muskete schwenkte – »für die Bibel Ihr Streiter Gottes, der Herr ist mit uns und wird die Feinde zerstreuen, wie Spreu vor dem Winde!«

Jim, der nicht weit von ihm stand, brummte etwas in den Bart und sah nach seiner Muskete, während der ehrwürdige Mr. Dennis die meisten der Frauen um sich gesammelt hatte und mit ihnen im brünstigen Gebet auf den Knieen lag, vom Herrn der Heerscharen die Abwendung so schweren Leides zu erflehen, »wenn das noch eben irgend möglich sei, und mit seinen himmlischen Rathschlüssen übereinstimme.«