Pfarre und Schule. Dritter Band. Eine Dorfgeschichte. - Gerstäcker, Friedrich - kostenlos E-Book

Pfarre und Schule. Dritter Band. Eine Dorfgeschichte. E-Book

Friedrich, Gerstäcker

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Project Gutenberg's Pfarre und Schule. Dritter Band., by Friedrich GerstäckerThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org/licenseTitle: Pfarre und Schule. Dritter Band.       Eine Dorfgeschichte.Author: Friedrich GerstäckerRelease Date: July 29, 2014 [EBook #46442]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PFARRE UND SCHULE. DRITTER BAND. ***Produced by The Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net (This book was produced from scannedimages of public domain material from the Google Printproject.)

Pfarre und Schule.

Eine DorfgeschichtevonFriedrich Gerstäcker.

Dritter Band.

Leipzig,Georg Wigand's Verlag. 1849.

Inhalt des dritten Bandes.

Seite

Erstes Kapitel.

Die Treibjagd

1

Zweites Kapitel.

Der Oberpostdirector

32

Drittes Kapitel.

Fritz Holkes Flucht

51

Viertes Kapitel.

Pastor und Schulmeister

59

Fünftes Kapitel.

Die Zeichnenstunde

80

Sechstes Kapitel.

Der heilige Abend

91

Siebentes Kapitel.

Sylvesternacht

114

Achtes Kapitel.

Pollers Rache

139

Neuntes Kapitel.

Der Brandstifter

158

Zehntes Kapitel.

Der Letzte der Strohwische

180

Elftes Kapitel.

Des alten Schulmeisters Lohn

205

Zwölftes Kapitel.

Schluß

223

Erstes Kapitel.Die Treibjagd.

Eben hatte der alte Holke angefangen, zu einem neuen Treiben ablaufen zu lassen; die »Herrschaften« standen in kleinen Gruppen, etwas abgesondert von den übrigen Schützen und Treibern, zusammen, und die Bauern und Jäger, Verwalter, Controleure etc. etc., die den großen Pulk der mit Gewehren Versehenen bildeten, mußten von Anfang an wieder den weiten Bogen um den ganz abzujagenden Plan umlaufen.

Da übrigens wohl der größte Theil der Leser, möglicher Weise nicht eine einzige der Leserinnen, einen richtigen Begriff von einem Treiben und besonders von einem sogenannten »Kesseltreiben« (ja nicht zu verwechseln mit »Schüsseltreiben«, das Frühstück oder Nachtessen) hat, so wäre es vielleicht gut, wenn ich, zu besserem Verständniß des Ganzen, eine kurze Beschreibung hier vorangehen ließe.

Die Treibjagd wird im Spätherbst und Winter, und zwar zu einer Zeit veranstaltet, wo der Hase nicht mehr hält – das heißt, vor dem nahenden Jäger über Schußweite aufgeht, und man deshalb nun das ganze Revier abtreiben, oder mit anderen Worten: das Wild darin den Jägern zutreiben muß. Die gewöhnlichen Anlegetreiben sind die einfachsten; die Jäger werden dabei auf zwei Seiten gewöhnlich vorgelegt, und die Treiber kommen nun in einer Linie von der Grenze des beabsichtigten Treibens langsam auf diese zu. Die nachher zwischen Treibern und Schützen aufgehenden Hasen laufen meistens, durch den Lärm der ersteren erschreckt, auf die letzteren zu, und fallen hier den ruhig in Anschlag Liegenden zur ziemlich sicheren Beute.

Interessanter sind dagegen die sogenannten Kesseltreiben, wo gewisse Felder, die man mit seinen Leuten gerade umzingeln zu können glaubt, von diesen vollkommen eingekesselt werden. Dies Einkesseln geschieht folgendergestalt: Der Jäger oder Jagdliebhaber läßt von irgend einem Punkte an der Grenze des beabsichtigten Treibens abgehn. Er schickt erst zwei Männer rechts und links aus, die mit den Grenzen genau bekannt sein und auch wissen müssen, welche Richtung sie zu nehmen haben, um auf den ihnen angegebenen Punkt wieder zusammen zu kommen, und dadurch den Ring den ihnen nachfolgenden Jägern zu schließen.

War das ein Schütze, so kommt nach diesem in etwa siebzig bis achtzig Schritt Entfernung, je nachdem man viel oder wenig Leute hat, ein Treiber, dann wieder in eben der Entfernung ein Schütze, und so fort. Diese folgen genau in derselben Bahn, wie die ersten, und beschreiben also einen ziemlich bedeutenden Bogen, dem ihnen gerade gegenüber liegenden Theile zu. Treffen die beiden Ersten, die zu gleicher Zeit links und rechts abgingen, zusammen, so wird ein Zeichen gegeben, der »Kessel« ist geschlossen, und Alles rückt nun so rasch als möglich nach dem Mittelpunkte zu, um die aufgehenden Hasen vorerst dorthin zu treiben, und zugleich gegenseitig so nahe zusammen zu kommen, daß kein Hase durchgehen kann, ohne wenigstens einem Schützen in richtige Schußnähe zu kommen. Hat man das erreicht, so rückt der Kessel etwas langsamer weiter vor, und Jeder schießt, was ihm am nächsten kommt, nur nicht nach anderen Schützen zu, damit kein Unglück geschieht. Ist man endlich ziemlich zusammengekommen, so deutet ein anderes Zeichen, gewöhnlich mit dem Horn, an, daß nicht mehr in's Treiben, sondern nur auf die Hasen, die schon durch die Schützen gegangen sind und jetzt dem freien Felde entgegen laufen, geschossen werden darf.

Es war an diesem Tage das sechste Treiben und die Leute natürlich etwas ermüdet; so sehr sich die Schützen daher auch sonst im Anfang, und besonders bei recht kaltem Wetter, herandrängen, die Ersten beim Ablaufen zu sein, so sehr hielten sie sich jetzt zurück, und Einer drückte sich hier, ein Anderer da, hundert oder zweihundert Schritte vom Ablaufplatze entfernt, an Rain oder Wegweiser an, um nicht gleich wieder mit unter den Ersten fortgeschickt zu werden und dann auch den weitesten Bogen beschreiben zu müssen.

Der alte Holke hatte alle Hände voll zu thun und war noch dazu in der übelsten Laune von der Welt, er fluchte und wetterte die Treiber an, daß ihm Keiner auf zehn Schritte zu nahe kommen mochte, und sah aus, als ob er den ersten Besten mit Haut und Haare hätte verschlingen können.

»Treiber da! Donnerwetter, hört und seht Ihr nicht, Ihr verdammtes, faules, hundsföttisches Lumpenpack, Ihr – müßt Ihr's denn immer so machen wie andere Leute – halt da, zur Schock-Schwerenoth, jetzt laufen wieder viere auf einmal – daß Euch ein Gewitter verschlage. – Hier ein Schütze – ach –« (und mit ganz verändertem Ton aber nur mühsam unterdrückten Aerger, wandte er sich rasch an einen der Officiere, der sich eben bei einem anderen eine Cigarre anzündete) »dürfte ich Sie wohl bitten, Herr Lieutnant – wenn's gefällig wäre.«

»Ach bitte, Holke, lassen Sie mich noch einen Augenblick warten, ich bin beinah immer der Erste gewesen« – es war ihm nämlich nicht eingefallen – »ich möchte auch gern nachher hier unten herein abgehn.«

»Zu Befehl – daß Dich ein heiliges Donnerwetter in den Erdboden 'neindrücken möge, Du verdammter, milchbärtiger – näsiger Hallunke Du,« murmelte er dabei hinter her, und wandte sich an einen der Nebenstehenden:

»Wenn's gefällig wäre, Herr Baron.«

»Ja wohl, Holke, ja wohl – ach, der Rittmeister ist noch nicht da – ach, lieber Holke, wir möchten gern zusammen gehn – lassen Sie mich noch ein paar Minuten hin.«

»Zu Befehl, Herr Baron« – er biß die Pfeifenspitze, die er im Munde hielt, kurz und klein, und frug noch, mit einem wachsenden, aber auch immer verhaltenen Grimm vier oder fünf andere, bis er endlich einen Gutwilligen fand, der mit einem:

»Herr Gott, ich muß auch immer der Erste sein,« der Aufforderung Folge leistete.

»S'ist ein Glück, daß die Jagd nun bald ganz beim Teufel ist,« brummte der Alte endlich halblaut vor sich hin und schnitt sich dabei den oberen Theil des zerkauten Horns an der Pfeife ab – »mit solchen Schützen, und nachher auch noch keine Hasen, nu da kann Einer Freude erleben – wenn er eben Geduld hat und nicht vorher zu Grunde geht – Jetzt seh Einer, was der Mensch für ein Loch macht – geht, als ob er alle Augenblicke einschlafen wollte, und bleibt dann auch noch alle hundert Schritte stehen und – ei so schlag doch ein Himmelsackerment in das Kesseltreiben. Zurücken da hinten – zum Donnerwetter zurücken!«

Das Zeichen war gegeben, und von allen Seiten drückten Schützen und Treiber, wie sich das auch gehörte, herein, wie aber hier und da ein Hase aufging, und seine Richtung nach einer oder der anderen Fronte nahm, blieben die immer stehen, um Lampen nicht irre zu machen, und hier und da drückte sich auch wohl noch ein Schütze, ganz gegen Jägersitte und sehr zum Aerger seiner Nachbarn, auf die Erde nieder, und glaubte dadurch Hasemann jedenfalls zu bethören, bedachte aber nicht, daß seine beiden nächsten Treiber in der Zeit die Arme ruhig hin und her schlenkerten, und alle seine Bemühungen dadurch vollständig annullirten.

Dabei wurde noch schmählich geschossen, überall gingen die Hasen durch, und hier und da, wo irgend ein armer Lampe mit zerschossenem Hinter- oder wüthend schlenkernden Vorderlauf seinen »Quälern« zu entkommen suchte, brachen überall aus heimlichen Verstecken und Hinterhalte Gesindel, das in den Dörfern herumlungerte, ja selbst Bauern vor, und suchten die kranken Geschöpfe selbst hinter der Fronte und vor den Hunden wegzustehlen.

Holke war außer sich.

»Ei Du blutiger Herrgott!« schrie er und schleuderte dabei die grüne, mit weißem Pelz gefütterte Mütze auf den Sturzacker nieder, als wenn sie dort für ewige Zeiten liegen bleiben sollte, »jetzt wird's erst hübsch hier draußen. Erst dämmeln sie Einem in dem Treiben herum, machen die Hasen rebellisch und jagen hinaus, was nicht ganz niet- und nagelfest liegt und sich auf den Kopf treten läßt und nachher mausen sie auch noch am hellen lichten Tag die paar angekrepelten Kreaturen – und da darf man nicht hineinschießen in die Hunde – Gott verdamm mich, Hektor, nimm's nicht übel, daß ich das Gesindel Hunde genannt habe – die Aasjäger die!«

Das Treiben war beendet, hier und da knallte noch, meist ohne Erfolg, ein Schuß hinter einem bis dahin liegen gebliebenen und nun plötzlich und unerwartet herausprellenden Hasen her, die paar Geschossenen – funfzehn Stück im Ganzen, wurden an den nächsten Weg gelegt, wo sie der nachfahrende Wagen leicht abholen konnte, und der Ruf:

»Letztes Treiben, letztes Treiben, Schützen vor!« ging von Mund zu Mund.

»Das war nun ein Treiben, in dem wir voriges Jahr neun und sechszig schossen, und heuer funfzehn,« sagte Holke, als sein Sohn die Erlegten eben gezählt und in sein Taschenbuch eingetragen hatte, »und dabei soll man noch einen grünen Rock auf dem Leibe tragen. – Und kein Huhn – nicht ein einziges – und was waren für schöne Hühner drinne! Die Kerle schießen aber wie die Schulbuben, immer eine halbe Meile zu kurz – und wie haben Sie mir die Hasen zerlästert – hol sie der Teufel!«

»Jetzt kummt das Schkorditzer Treiben?« frug ein Bauer, der mit einer alten langen einläufigen Entenflinte auf dem Rücken, die Hände in der Tasche, und das eine Bein rechts, das andere links hinauswerfend, als ob er hinter dem Pfluge her die Erde von den Stiefeln schlenkern wolle, auf den Jäger zukam.

»Ja,« sagte dieser mürrisch, die antiwaidmännische Gestalt mit finsteren Blicken musternd – »'s wird das große nicht drin sitzen.«

»Ne,« lachte der Bauer und zog das Maul von einem Ohr bis zum andern, daß es ordentlich aussah, als ob sich die beiden Mundwinkel die Flinte hinten auf dem Rücken betrachten wollten – »ne – sehre nich – die Schkorditzer sin Luderkerle, die han's faustdicke hinger den Uahren. Vurgestern han se ooch schunst getriaben.«

»Die Skorditzer?« frug der Jäger, erstaunt stehen bleibend, »hier auf den Feldern?«

»Ne, hinger dem Dorfe driben, uff dem Polswitzer Revier!« meinte der Bauer.

»So? – recht schön das, und was haben die Herrn geschossen?«

»Nu 's mächtige niche,« sagte der Bauer und die Mundwinkel gingen wieder hinter – »zwee Hasen un en Schneider un ene zahme Gans, der so en Racker von en Karnickel zwischen de Beene durch wulle – der Schmidt uffem Dorfe hat se geschossen – das Karnickel hot er aber gefählt.«

»Na, gebe nur Gott, daß sich die Hälfte von jeder Gemeinde erst einmal todtgeschossen hat,« seufzte der Jäger seinen frommen Wunsch, »nachher werden sie die Jagd ja wohl satt bekommen.«

»Vater,« unterbrach da Fritz, zum alten Jäger tretend, das Gespräch, »komm einmal her!«

»Nun was giebts wieder – sind die Hasen fort?«

»Ja – alle, hör einmal,« und er ergriff ihn am Arm und zog ihn ein Stück bei Seite – »Dahlens Karl sagte mir eben, daß in Skorditz die Bauern schon alle mit Flinten, Flegeln, Sensen und Mistgabeln bereit stehen, und so wie wir auf die Skorditzer Fluren kommen, soll Generalmarsch geblasen werden.«

»Unsinn!« brummte der Alte – »die Jagd ist noch nicht frei, und wenn sie in Frankfurt zehnmal dem Bauer das auch noch in den Hals geschoben haben; wer sich auf dem Felde von den Canaillen mit einer Flinte blicken läßt, dem wird sie weggenommen, und er kann nachher auch noch Strafe obendrein zahlen.«

»Aber wenn sie nun Alle miteinander kommen, Vater, man darf ja doch nicht zwischen sie hinein schießen. Es wäre vielleicht besser, wir riefen die Treiber zurück, und zeigten die Sache lieber erst an. Der Herr von Gaulitz ist zwar schon auf's Gut hinein gegangen, der Rittmeister wird das aber auch abmachen können, und dann haben wir keine Verantwortung.«

»Ah was!« rief der Alte, »daß die Lumpe nachher prahlen und sagen, ›hoho, wir brauchen uns nur hier im Dorfe aufzustellen, dann wissen sie schon, was die Glocke geschlagen hat‹, nein, das geht nicht – lassen wir's dem Einen zu, dann können wir schon morgen lieber ganz zu Hause bleiben, oder dürfen uns wenigstens nur auf den gottsleeren Rittergutsfeldern herumtreiben, denn das machen sie augenblicklich in Horneck und all' den übrigen Nestern ebenfalls nach. – Na, was steht Ihr da, und habt Maulaffen feil, he?« fuhr er ein paar lange Treiberjungen an, die neugierig und mit ziemlich albernen Gesichtern den ärgerlichen Worten des Försters lauschten – »macht, daß Ihr fort kommt, oder ich will Euch Beine machen.«

»Wenn Du nur einmal mit dem Rittmeister sprächst,« meinte der Sohn nach kurzer Pause – »vielleicht will der selbst nicht, daß –«

»Laß mich zufrieden,« erwiederte ihm mürrisch der Alte – »wir stehen jetzt schon mit der Nase vor'm Skorditzer Revier, ich werde doch wahrhaftig nicht noch umlenken sollen? Lauf Du nur gleich mit Peter rechts ab, Du kennst ja die Grenze, und die Saatspitze, die nach dem Birnbaum hinunter geht, läßt Du liegen, da sitzt doch nichts darauf, und sie bringt uns sonst das Treiben nur in Unordnung.«

»Herr Förster – Herr Förster!« kam in dem Augenblick ein Treiber angekeucht –

»Nun, was giebt's – was ist?«

»Sie sollen emal glaich zun gnädigen Härrn Rittmeester kummen,« sagte der Mann, »en paar Schkorditzer Bauern sprechen mit emm.«

»Na, da haben wir die Geschichte,« sagte Fritz.

»Die wollen wir heim schicken,« knurrte der Alte, »die kommen mir g'rade recht.«

Er schritt rasch auf die Gruppe zu, um die sich schon die meisten Schützen gesammelt hatten, und das Gespräch, das im Anfang ziemlich ruhiger Natur gewesen, artete bald in eine etwas hitzigere Unterredung, ja endlich in förmlichen Zank aus. Das Endresultat blieb denn auch natürlich, daß die beiden Bauern, die von ihrer Gemeinde abgeschickt waren, den Jägern zu sagen, daß sie auf ihren Feldern nicht schießen dürften, keine Vernunft annehmen, von publicirten oder nicht publicirten Gesetzen nicht das mindeste Wort hören, und selber keinen Vorschlägen Raum geben wollten, sondern immer nur erklärten, sie möchten weiter Nichts wissen, als das: ob die Herren auf ihren Feldern zu schießen beabsichtigten oder nicht. Als dieß nach einem kurzen Wortwechsel endlich bejaht worden, zeigten sie sich soweit zufrieden, daß sie die Unterhaltung augenblicklich abbrachen, und nun querfeldein, direct auf ihr Dorf wieder zusteuerten.

»Ablaufen!« rief der Rittmeister von Gaulitz dem Jäger zu –

»Fritz – Peter – geht ab!« sagte dieser. »Du, Wendler – geh Du einmal links herum – Du kennst ja auch die Grenze – Du brauchst auch nicht bis dicht an's Dorf zu gehen – wo der Fuhrweg herüberläuft, schneidest Du ab!«

Die Schützen folgten diesen, und etwa zwölf von ihnen hatten auf jeder Seite das Skorditzer Revier betreten, als plötzlich im Dorfe drinn die Allarmhörner tönten, und eine große schauerliche Trommel ihre dumpfen Wirbel hören ließ.

»Bei Gott, die machen Ernst,« sagte der Herr Baron, der gerade ebenfalls ablaufen wollte, zum Lieutnant von Ebersfeld, und blieb stehen – »das wollen wir hier lieber erst abwarten, man kann sich doch nicht mit der Canaille herumprügeln.«

»Auf Ehre, nein,« meinte Herr von Ebersfeld und strich sich den Schnurrbart – »das ist doch impertinentes Volk!«

»Bauer bleibt Bauer!« versicherte der Baron.

»Nun, darin haben Sie recht!« rief der Jäger, ganz den sonstigen Respect vergessend, und im ingrimmigsten Zorn dazwischen hinein, »und der Bauer ist ein niederträchtig, halsstörrisches, harthirniges Lumpenpack, mit dem man in größter Leichtigkeit die Wände einrennen, aber kein vernünftiges Wort reden kann. Ueberzeuge einmal Einer so einen Bauer, daß er in irgend etwas unrecht gehabt oder habe – da möcht' ich dabei sein. Doch die kriegen auch noch ihren Lohn, und dann – dann möcht' ich auch dabei sein – straf mich Gott!«

Das Treiben war durch das Lärmblasen im Dorfe in's Stocken gerathen; die Schützen, die noch nicht abgelaufen waren, wollten nicht weiter vor, und die im Feld draußen blieben ebenfalls stehen, aus dem Dorfe aber kam ein bunter Schwarm von Bauern und Tagelöhnern mit allem möglichen sonst friedlichen, jetzt aber zu grausen Waffen erhobenen Handwerkszeug quer über die Felder, gerade nach rechts und links in zwei ziemlich gleiche Haufen auszweigend, auf die vorgerückten Colonnen der Schützen zu. Auch von diesen zogen sich einige auf den Jägertrupp, wo sie sich wahrscheinlich gesicherter fühlten, zurück, die meisten aber behaupteten ihre Plätze, und erwarteten ruhig das Kommen der Herren der Fluren.

Die Ansprache lautete kurz und bündig, »short and sweet« wie der Engländer sagt:

»Wullt er machen, daß er vun die fremmen Fälder kummt, Ihr Himmelsackerloter?« schrie der Führer der einen Schaar, und legte den fragenden Accent wunderbarer Weise mit besonderem und pathetischen Nachdruck auf die erste Sylbe »Wullt«.

»Auf den Feldern hier hat der Oberpostdirector von Gaulitz die Jagd gepachtet,« erwiederte hier aber Fritz, ohne die drohende Stellung der Gegner zu erwiedern, und mit der Flinte auf dem Rücken, »noch ist das Gesetz, das jedem verstattet auf eigenem Grund und Boden zu jagen, nicht heraus, und bis dahin, wenigstens bis zu Ablauf der Jagdzeit, hat der Herr Oberpostdirector sein Recht mit gutem Gelde bezahlt.«

»Papperlapp, Mosje,« fiel ihm aber hier der Sprecher der Schaar, und zwar ein alter Bekannter von uns, Krautsch aus Skorditz, in die Rede – »Ihar macht jetzt daß Ihar mit Eiren olen Schießpriegeln heeme kommt, oder mer schlagen se Eich im de Keppe, daß die Schlesser drinn herim flegen. Das hier sin unse Fälder, un wär da druffen en Hasen schießt, den sperren mer in, un bringen en in de Residenz als en Wilddieb – verstanden?«

»Ich habe Euch gesagt, was Ihr zu wissen braucht,« entgegnete ihm Fritz, ohne von dem frechen Burschen weitere Notiz zu nehmen, entschlossen, »mit Euch hab' ich überdieß Nichts zu schaffen, denn Ihr seid gerade Einer von denen, die Jagd auf fremder Leute Eigenthum am stärksten treiben, zu gleicher Zeit am unverdrossensten dagegen schrein, und dann nicht einmal einen Fuß breit Land im Vermögen haben, um ein Schwein darauf zu halten. Treiber vorwärts – wenn die Herren im Kessel bleiben wollen, dürfen sie sich auch nicht nachher beklagen, wenn sie vielleicht ein paar Schrote in die Beine kriegen – vorwärts, Treiber!«

Die Treiber gingen schon, die hatten, wie sie recht gut wußten, ohne Flinten Nichts zu fürchten, die Schützen aber glaubten es, allem Anschein nach, ihrer eigenen Haut schuldig zu sein, sich in die Streitigkeiten zwischen Oberpostdirector und Bauern nicht zu mischen, und blieben entweder stehn, oder hingen auch ihre Flinten, mit niedergelassenen Hähnen über die Schultern und schritten langsam und pfeifend, als ob sie diese retrograde Bewegung nicht etwa der Drohungen der Bauern wegen, sondern einzig und allein aus freiem Antrieb machten, langsam zurück und der Stelle zu, wo der Rittmeister von Gaulitz noch immer, des Resultats harrend, stand.

Fritz that sein möglichstes, um das Treiben in Ordnung zu halten, er bat und schimpfte und suchte die Schützen für jetzt nur wenigstens auf ihrem Stand zu behaupten, damit er sich erst einmal beim Rittmeister eine Ordre holen könne, dem förmlichen Angriff dann auch wieder mit Gewalt zu begegnen, aber umsonst.

»Ich werde mich hier doch nicht prügeln sollen« lautete die stete und fast allgemeine Antwort und die Schützen hatten sich damit, besonders ihrer eignen Meinung nach, vollkommen gerechtfertigt. Die Bauern sahen aber auch ihrerseits bald, wie sie mehr und mehr Terrain gewannen, und schöpften, je feiger sich die Gegenpartei bewies, desto mehr Muth aus dem überaus günstigen Erfolg ihres Auftretens.

»Siaht' ersch, se han kain gut Gewissen – se kneifen aus!« riefen sie sich Einer dem Andern ermuthigend zu, und es dauerte nicht lange so kamen sie im vollen Laufe heran, schnitten einen Theil der früher Ausgeschickten ab, und erklärten hier nun unverschämt genug der ihnen, wenn auch nicht an Zahl, doch an Waffen weit überlegenen Jagdgesellschaft, die jetzt schon wieder größtentheils auf Hornecks Felder zurückgekehrt war, augenblicks sich »heeme zu schären« und es sich nicht etwa einfallen zu lassen, je im Leben wieder auf Skorditzer Fluren zu kommen, wenn sie nicht »das Blaue vom Himmel 'runger besähn wullten.«

Der Rittmeister suchte den Leuten den jetzt noch existirenden Rechtsstand vernünftig auseinander zu setzen, ja aber Du lieber Gott – »ein Bauer und Vernunft annehmen,« wie Holke verächtlich meinte – das blieb fruchtlos. Die Burschen behaupteten, es wäre gar kein Recht weiter, als daß sie in Frankfurt ausgemacht hätten, von jetzt an könne jeder auf seinen Feldern jagen, und wie sie früher nicht auf der Herrschaft Fluren mit der Flinte gedurft, so solle die Herrschaft auch, in Wechselwirkung, nicht auf ihre mit der Flinte kommen dürfen. Das war einfach genug, und wenn die »eenlitzigen Härren,« die da noch »hingen 'rumstiefelten« nicht bald machten, daß sie fortkämen, so sollten sie einmal sehn, was die Skorditzer Flegel für hartes Holz hätten.

Der Rittmeister schien jetzt übrigens – so sehr er sich bis dahin auch selbst gehütet hatte auf das, als feindlich bezeichnete Revier hinüber zu treten – selber etwas wärmeres Blut zu bekommen. Der hartnäckige und von gar keinen Gründen, sondern nur von der rohen Gewalt unterstützte Widerstand, erweckte den alten soldatischen Geist in ihm und das:

»Meine Herrn, wollen Sie gefälligst abgehn – Holke lassen Sie doch ablaufen«, zeigte, wie er wenigstens gesonnen sei, es einmal auf rohe Gewalt auch ankommen zu lassen.

»Aber die Leute, die aus dem Dorf da noch alle herüber kommen, sind ja mitten im Treiben d'rin –« demonstrirte ein etwas ängstlich umschauender Aktuar aus der Residenz.

»Wenn sie im Treiben bleiben wollen,« sagte der Rittmeister achselzuckend, »so können wir's ihnen nicht verwehren – es ist Geschmackssache und ihre eigene Schuld, daß ihnen vielleicht die Beine vollgeschossen werden.«

Die Bauern, die hier auf einmal hörten, daß die Jagd doch, trotz ihres Ausrückens beginnen solle, und wirklich lief auch Fritz schon wieder zum zweiten Mal mit seinen Treibern ab, rotteten sich dicht auf einen Haufen zusammen und Krautsch und Müllers Friede, die beiden vorragenden Charaktere der Gruppe, die sich gegen das Jagen auf fremdem Gebiet aussprachen, reizten zum vollen Aufruhr an.

Hätten die Schützen Alle so gedacht wie der Rittmeister von Gaulitz und der alte Holke, es wäre vielleicht hier schon zu einer recht bösen Scene gekommen, so aber war die Mehrzahl doch gegen einen wirklichen Zusammenstoß, bei dem sie keine Ehre, sondern höchstens nur Beulen erndten konnten. Die Meisten erklärten dem Rittmeister, sie würden das Treiben, unter solchen Umständen, nicht mitmachen, und dieser sah sich endlich genöthigt, die Jagd für heute aufzuheben, erklärte übrigens, daß er sich an das Ministerium wenden werde, um diese Sache und ihre Anstifter genau untersuchen und bestrafen zu lassen. Er wünsche, wie er versicherte, kein Blutvergießen, aber so viel sei doch bestimmt, daß dieser Zustand nicht länger fortdauern könne, ohne ernste Folgen nach sich zu ziehn.

Die rohe Schaar höhnte, pfiff und lachte; unter ihrem Spott und Jauchzen verließ die Jagdgesellschaft die Skorditzer Grenze und schritt, denn der Abend war ebenfalls nicht mehr fern, Horneck oder doch wenigstens dem oberen Theil der Felder zu, um dort die Straße zu erreichen und auf ihr bequemeren Weg zu haben.

Die Bauern blieben noch lange zurück und fingen endlich, da viele von ihnen Flinten mitgebracht hatten, gerade selber ein wenig an zu treiben, als oben aus dem jetzt schon fast nicht mehr sichtbaren Schützentrupp, ein Schuß fiel. Ein Hase, der sich irgendwo in ein kleines, schmales Rapsstück, dicht hinter einem Feldstein, hineingedrückt gehabt, war durch einen, ihm doch etwas zu nahe gekommenen Jäger aufgescheucht, und dieser dadurch so überrascht worden, daß er nur schnell die Flinte noch von der Schulter reißen konnte, aufzog und hinter dem nicht schlecht Haken werfenden Lampe herhielt.

Beim Schuß knickte das arme Thier zusammen, floh aber dann wieder rasch, mit zerschossenem rechten Hinterlauf gerade auf den noch ziemlich dicht stehenden Knäul der Skorditzer Bauern zu.

Fritz löste rasch seinen Hund und dieser würde den »Angeflickten« auch bald genug eingeholt haben, wäre er nicht durch das wilde Brüllen der Treiber und Schützen »hab Acht, hab Acht!« gleich im Anfang irre gemacht worden. – Wie er den Hasen endlich sah, hatte der schon einen tüchtigen Vorsprung gewonnen und es ließ sich kaum anders erwarten, als daß er ehe ihn der Hund fassen konnte, die Bauern erreicht haben müßte. Fritz suchte den Hektor abzupfeifen, die Entfernung war aber schon zu groß, und der sonst ungemein folgsame Hund hörte nicht im Geringsten auf das so wohlbekannte Zeichen.

Mehr aus Besorgniß um diesen als um den Hasen, den er den Bauern gern gelassen hätte, knüpfte jetzt Fritz rasch seine Leine vom Ring der Jagdtasche los, und folgte so schnell er konnte dem Hund; die übrigen Jäger gingen aber indessen ruhig ihren Schritt weiter, nur ein paar blieben stehn, um zu sehn, ob Hektor den Hasen, dem einige der Bauerburschen schon den Weg abzuschneiden suchten, wirklich bringen werde oder nicht, und wandten sich dann auch, als sich die Sache in die Länge zu ziehn schien, ab von dem so oft gesehenen Schauspiel.

Fritz war der Einzige, der von der ganzen Jagdgesellschaft mit seinem Hund zwischen den Skorditzer Bauern zurückblieb.

Hektor hatte sich indessen durch all das Schreien und Rennen der Skorditzer, unter denen es sogar der Schulze des Dorfe für passend gehalten, als Hasendieb aufzutreten, keineswegs abschrecken lassen und ruhig und unverdrossen den armen flüchtigen Lampe im Auge behalten, der seiner Seits durch Hakenschlagen den Dauerlauf in die Länge zu ziehn und seinen, ihm an Kräften so weit überlegnen Feind zu ermüden suchte. Hektor war jedoch nicht der Hund, sich durch einen Hasen ein x für ein u machen zu lassen, er paßte mit unverwüstlicher Geduld auf, in welcher Richtung Lampe die Absicht hatte auszustreichen, ließ sich nie durch eine plötzlich fingirte Richtung beirren, rannte nicht toll und blind in's Zeug hinein, sondern hielt lieber seine Distance, wo ihm die Beute doch über kurz oder lang werden mußte, und überzeugte bald den armen gehetzten Hasen, daß er in seinem ganzen Leben noch nie einen schlimmeren Feind hinter sich gehabt, und auch wohl nie einen anderen wieder hinter sich haben werde. Seine Laufbahn war beendet, und an einem schmalen Streifen hochgeackerten Sturzlandes, den er mit dem kranken Lauf nicht so schnell überspringen konnte, faßte ihn Hektor, endete mit einem Biß seine Leiden, und hob ihn dann, mit dem Schwanze freundlich dazu wedelnd, stolz aus, seinem Herrn das so mühsam errungene Stück zu überbringen.

Hektor sollte sich aber in seinen, doch wahrlich nur gerechten Erwartungen, getäuscht sehn – die Bauernschaar, die durch den Anblick des angeschossenen Lampe zu voller Erwartung auch auf den Braten selber gebracht und dadurch erst recht hitzig geworden war, hatte den Hund jetzt umzingelt und warf sie von allen Seiten auf den überrascht und erstaunt stehen bleibenden.

So unerwartet Hektor aber auch ein solcher Angriff, der ihm in seiner ganzen Praxis noch gar nicht vorgekommen war, sein mochte, dachte er doch gar nicht daran, seine Beute auch nur einen Augenblick aufzugeben und als Einer der Bauerburschen endlich, seiner Meinung nach so »glücklich« war, den Hasen an einem Lauf zu erwischen und ihn nun den Hund aus den Fängen reißen wollte, ließ dieser, der wohl fühlen mochte, daß er dem vollen Gewicht des Angreifers nicht ganz gewachsen sei, plötzlich los, fuhr dem erschreckt Aufschreienden mit kräftigem Biß in die Wade, griff dann den Hasen wieder auf und wollte seinen Weg ruhig fortsetzen.

Wie aber einem alten Sprichwort nach, »viele Hunde des Hasen Tod« sind, so waren hier viele Bauern des Hasen, nicht gerade Retter, aber doch Rächer an seinem Sieger.

»Luderkriate, willst de baißen?« schrie ein vierschrötiger Knecht und schlug nach dem armen Thiere mit einer Mistgabel und zwar so gut gemeint, daß, hätte er ihn so getroffen, wie seine Absicht gewesen, Hektor wohl sein ganzes übriges Leben hindurch kreuzlahm geblieben wäre.

»Laßt den Hund gehn,« schrie da der herbeieilende junge Jäger und riß in allem Eifer und in Besorgniß um seinen armen Hektor, die Doppelflinte von der Schulter, »laßt den Hund gehen, sag' ich – verdammte Canaillen Ihr.«