99 und kein bisschen leise - Herbert Köfer - E-Book

99 und kein bisschen leise E-Book

Herbert Köfer

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Beschreibung

Herbert Köfers Laufbahn begann mit einer vor den Eltern verheimlichten Bewerbung des Sechzehnjährigen an der Schauspielschule; heute ist er der älteste aktive Schauspieler und als solcher im Guinnessbuch der Rekorde verzeichnet. Derart Publicity aber braucht er gar nicht, denn die Popularität des Theater- und Filmschauspielers, der auch als Kabarettist, Moderator, Quizmaster und (erster) Nachrichtensprecher des Fernsehens brillierte, ist ungebrochen. Wie kein anderer hat er sich den Ehrentitel eines Volksschauspielers verdient. In diesem Buch blickt er auf sein langes Schauspielerleben zurück und wählt die heitere Episode, um von großen und kleinen Rollen, Ereignissen hinter den Kulissen und amüsanten Begegnungen mit seinen Kollegen zu erzählen.

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Impressum:

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten.

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet,

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zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

Eulenspiegel Verlag – eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book 978-3-359-50092-6

ISBN Buch 978-3-359-01192-7

1. Auflage 2020

© Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Verlag, Karoline Grunske

unter Verwendung eines Fotos von picture alliance / zb

www.eulenspiegel.com

Herbert Köfer versteht es, einen ganz bestimmten Nerv bei seinem Publikum zu treffen. »Volkstümlichkeit« wäre eine zu pauschale Erklärung dafür, und da kommen einem längst vergangene Fernseherlebnisse wie »Rentner haben niemals Zeit«, »Geschichten übern Gartenzaun«, »Familie Neumann«, »Der Lumpenmann«, um nur einige zu nennen, in den Sinn. Aber dieser Begriff reicht nicht aus, um dem Phänomen beizukommen, dass der Schauspieler Köfer etwas zu sagen hat, selbst jenen, die über Schwänke und Kleine-Leute-Geschichten die Nase rümpfen. Filme wie »Fragen an einen alten Mann«, »Wolf unter Wölfen«, »Grenadier Wordelmann«, »Nackt unter Wölfen«, »Krupp und Krause« zeigen einen profilierten, einprägsamen Interpreten, dem die Bezeichnung »Charakterdarsteller« mit Fug und Recht gebührt. Und dann gibt es noch die Leute, die auf den charmanten Plauderer beim »Kessel Buntes« oder am »Blauen Fenster« schwören, die den singenden und Geige spielenden Köfer schätzen.

Er sortiert seine Arbeit nicht in Schubläden ein, hier Charakterfach und da Unterhaltungskunst. Dass Vielseitigkeit eine Grundvoraussetzung für den Beruf des Schauspielers ist, betrachtet er als Selbstverständlichkeit.

Inhalt

Blick zurück nach vorn 

Bretter, die die Welt bedeuten 

Mein Publikum ist baff

Fröhliche Weihnachten

Wenn Theater, dann aber richtig

Einfach großartig!

Irgendwas wird Ihnen schon einfallen!

Zu früh

Der müde Tod

Kritikerworte

Schräge Bühne, schräge Worte

Überlänge

Wenn der Intendant im Publikum sitzt

Was dann?

Abschied vom Deutschen Theater

Frühe Fernsehjahre

Fernsehstart

Einschaltquote

Coram publico

Zirkusdirektor

Der Vorhang fällt

Prominenz ist relativ

Da lacht der Bär

Aus dem Auge verloren

Prosit Neujahr!

Ost-West-Gespräch

Vor den Kameras von DEFA und DFF

Verhinderte Karriere

Kaiman in der Kiste

Hauptrolle

Ein Schaf geht in den Westen

Das größte Kompliment

Ausgetrickst

Erschossen

Der Meister-Reiter

So ein Schlitzohr!

Mitbringsel

Einmal und nie wieder

Haariges

Vertane Chance

Auf vielen Bühnen zu Hause

Anfang und Ende einer Karriere

Ruhm im Kerzenschein

So ein Lackaffe

Wenn die Gedanken wandern …

Nicht mehr erwünscht

»Distel«-Leute

Da stellen wir uns mal ganz dumm

Dankbarkeit

Vorschrift ist Vorschrift

Der Schmerz

Keine Kabarettnummer

Als ich unter die Reporter ging

Bondartschuks Waterloo

Clownsnummer, nicht jugendfrei

Pointenklau

Wer anderen eine Grube gräbt …

Probentermin

Ahrenshoop

Noch eine »Haus«-Geschichte

Tierparkgeschichten

Premiere in Cottbus

Herzklopfen

Eine berühmte Familie

Orchestermusiker?

Köfers Komödiantenbühne

Ein Traum rüttelt mich wach

Blutiger Auftritt

Freunde, Kollegen, Erinnerungen

Meine Film-Ehefrau

Freund Felinau

Eine Seefahrt, die ist lustig …

Wie ich fast einen guten Freund verlor

Curt Bois

Marianne Kiefer

Ursula Karusseit

Geburtstagsgeschenke

Ein Geschenk mit Folgen

Der Tausendsassa

Rollenträume

Rekorde

Schlussworte

Bilder

Blick zurück nach vorn

Bei der Geburt eines Kindes spricht man ja immer von einem »freudigen Ereignis«. Natürlich freute sich auch mein Vater, als ich am 17. Februar 1921, nachts um halb vier, mithilfe einer Hebamme entbunden wurde, aber sein Glück war wohl etwas getrübt, denn er hatte gerade seine recht gut bezahlte Stelle als Schlosser beim Flugzeugkonstrukteur Harlan auf dem Flughafen Johannisthal verloren. Als Gewerkschafter setzte sich Vater für die Rechte der Mitarbeiter ein und wurde daraufhin auf die Straße gesetzt.

Begrüßt habe ich meine Eltern mit dem Hinterteil. Steißlage. Irgendwie komisch! Eine dolle Nummer, und gerade erst geboren. Nur dass es eben keinen Applaus gab. So ungewöhnlich wie mein erster »Auftritt« war dann eigentlich auch mein ganzes Leben. Mal war ich Tollpatsch, mal war ich Held, mal mutig, mal feige, mal hatte ich Glück im Unglück, mal sah ich keinen Weg, und ein anderer war da und wies ihn mir. Mal gab es Freunde, die mich enttäuschten, mal Fremde, die mir unerwartet zur Seite standen. Ganz ungewöhnliche Dinge habe ich erlebt. Und wer weiß, vielleicht lag es daran, dass ich nicht zuerst mit dem Kopf, sondern eben mit dem Hinterteil auf die Welt kam. Das ist wissenschaftlich sicher keine untermauerte These, aber ich behaupte das einfach mal: Der Hintern – das ist der Bringer! Die Hebamme meinte: »Er wollte der Welt zeigen, was er von ihr denkt!«

Die Zeit meiner irdischen Premiere ist, wie ich zugeben muss, nun schon ein paar Tage her … Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich vor neunundvierzig Jahren meinen 50. Geburtstag gefeiert habe. Unser großartiger Wanderer und Lebensdichter Theodor Fontane hat einmal gesagt: »Es kommt alles auf die Beleuchtung an.« Möglicherweise dachte er dabei ja auch an das Alter. Im kommenden Jahr werde ich konsequenterweise meinen 100. Geburtstag feiern.

In einem Artikel las ich einmal, »Köfer – der Mann, der in vier Epochen lebte.« Ich rekapituliere: das Kaiserreich habe ich knapp verpasst, zur Zeit der Weimarer Republik geboren, die furchtbaren Jahre des Dritten Reiches überstanden, im ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden gelebt und gearbeitet, im wiedervereinten Deutschland angekommen. Angekommen? »Ich habe immer gesucht – manchmal sogar mich selbst.« Ich weiß nicht mehr, wann ich diesen Satz notierte – in einer Stunde euphorischer Beschwingtheit gewiss nicht. Ich stieß auf den vergilbten Zettel, als ich in alten Unterlagen kramte. Diesen Satz kann ich auch heute noch gelten lassen, dachte ich bei mir. Der schnodderige Berliner Witz, der mir zum Glück in die Wiege gelegt wurde, fuhr dazwischen: Wer sucht, der findet. Du hast den Beruf gefunden, der dir Erfüllung und Anerkennung brachte, hast Freunde und wunderbare Kollegen gefunden, hast das Glück erfahren, Familie und Kinder zu haben, hast die beste Frau der Welt an deiner Seite, und dein Publikum hält dir die Treue und vor allem, wie du selbst sagst: Es hält dich jung!

Bretter, die die Welt bedeuten

Mein Publikum ist baff

Der Wunsch, berühmt zu werden, ist wie Masern oder Mumps. Fast jeden erwischt es. Danach ist man geheilt. Und wird Schlosser, Bäcker oder Polizist.

Ich bekam meine musischen Masern, als sich meine Eltern einen Rundfunkempfänger kauften. Der musste der ganzen Verwandtschaft vorgeführt werden.

Vater hatte auch ein Mikrofon und einige Meter Kabel erworben. Man steckte den Draht hinten in die Holzkiste mit den Röhren und dem grünen »magischen Auge«, zog die Strippe ins Nebenzimmer und konnte Radio »spielen«.

Eines Tages also versammelte sich die familiäre Gemeinde zum kollektiven Staunen. Da fliegen die Wellen also durch die Luft, ach so, den Äther, und kriechen dann da in dieses Ding, und wir können das hören?

Ja, so ungefähr, erklärte der stolze Besitzer und knipste den Kasten an. Bitte Ruhe, sagte er, die Röhren brauchten einige Zeit, ehe sie warm würden. Dann gehe es auch schon los.

Die Verwandtschaft rührte in den Kaffeetassen und langte nach dem Selbstgebackenen.

»Guten Tag, meine Damen und Herren. Sie hören jetzt ein Violinkonzert von Joseph Haydn, gespielt von Herbert Köfer.«

Tanten und Opas, Onkel und Omas schauten sich entsetzt an und hielten mit Rühren inne.

Was war denn das?

Erst dieses neumodische Gerät, und dann – ja, dass der kleine Herbert Geigenunterricht bekam, das wussten sie, aber war Herbert ein Geigenvirtuose, ein Wunderkind, ein Mozart?

Vater, so ließ ich mir sagen, denn ich konnte es ja nicht sehen, weil ich im Nebenzimmer saß, hätte stolz wie ein Spanier geblickt.

»Carl, der Herbert ist im Radio. Hörst du!«

Er gab sich erstaunt.

Auf die Qualität meines Vortrags war gehustet. Ich fiedelte, was der Bogen hergab.

Nun, der Trick ließ sich nicht lange verheimlichen, und ich bestreite nicht, dass mich der anerkennende Applaus viel mehr berauschte als der Spaß, die Verwandtschaft an der Nase herumgeführt zu haben. Deshalb gab es schon bald eine Fortsetzung. Meine »Rundfunkkonzerte« erfreuten sich großer Beliebtheit – wie ich meinte. Ich war davon überzeugt, dass die Zuhörer nicht wegen Kaffee und Kuchen kamen, sondern um mich zu hören.

Fröhliche Weihnachten

Ich will eine Geschichte aus meiner Kindheit erzählen, die allerdings nichts mit meinem späteren Berufswunsch zu tun hat. Aber »theaterreif« war durchaus, was da geschah:

Weihnachten wurde bei uns immer groß gefeiert und darum musste der Baum auch groß sein. Immer so um die zwei Meter. Ich war so zwischen sechs und zehn Jahre alt. Einen Weihnachtsmann gab es auch. In jenem Jahr war es mein Onkel Ernst. Im Jahr zuvor Onkel Herrmann, beides Brüder meiner Mutter. Beide waren Kutscher (wenn es diese Berufsbezeichnung überhaupt gab) und als solche transportierten sie Bier und andere Alkoholika mit einem Pferdewagen in die verschiedensten Berliner Kneipen. Nachdem die beiden die zehnte Kneipe beliefert hatten war der »Einsatz« bei uns vergessen, und sie beschlossen, die Pferde in den Stall zu bringen. Das heißt, beschlossen haben sie gar nichts. Sie schliefen auf dem Kutschbock lediglich ein, was für die braven Gäule bedeutete: Der Wagen ist leer, die Kutscher sind voll, auf nach Hause. Sie kannten den Weg.

Im Stall angekommen waren Herrmann und Ernst fast nüchtern, nahmen ein Taxi und erschienen doch noch pünktlich zur Bescherung. Ich stand schon bereit, geschniegelt und gespornt.

Herrmann hatte sich versteckt, Ernst sah so böse aus, wie er nur konnte, und sagte: »Ich bin der Osterhase.« Danach lachte er.

Mich verwirrte dieser Humor ein wenig. Dann sagte er: »Ich bin der Weihnachtsengel.«

Das reichte meinem Vater. Er packte den nicht ganz nüchternen Ernst bei den Schultern und schob ihn in die Küche. Ernst ließ sich geduldig einen Krug Wasser über den Kopf gießen.

Vater kehrte ins Zimmer zurück und sagte, der Weihnachtsmann müsse dringend weg, und er sei beauftragt worden, die Geschenke zu verteilen.

Onkel Ernst wurde ins Bett verfrachtet, Onkel Herrmann kam aus seinem Versteck, und Mutter zündete die Kerzen an. Das Fest konnte beginnen.

Die Geschenke wurden aus einem großen Sack geholt – ich will nicht aufzählen, was da alles zutage kam, denn mich interessierte ein längliches Paket, das neben dem Sack an der Wand lehnte.

Ernst erschien, inzwischen ausgeschlafen. Mutter legte die Weihnachtsplatte auf. Der Sack war leer und das längliche Paket wurde mir von Onkel Ernst und Onkel Herrmann übergeben, denn es war ihr Geschenk an mich. Ein Luftgewehr.

Ehe ich mich freuen konnte, entriss mir Vater die Knarre und rief: »Mein Sohn bekommt kein Kriegswerkzeug geschenkt!«

Ernst erwiderte: »Das ist ein Sportgewehr, damit schießt man auf Scheiben.«

»Das ist genau wie unser Karabiner«, entgegnete mein Vater, »hier Kimme, da Korn.«

Er kniete nieder und begann, das Gewehr zu erklären. »Damit haben wir in Frankreich im Schützengraben gelegen und die Front jahrelang gehalten. Habt ihr auch Munition besorgt?«

Sie hatten: Bolzen und Kugeln.

Vater wurde immer wilder und legte an.

»Halt«, schrie Mutter, »nicht auf die Weihnachtskugeln. Habt ihr keine Scheiben?«

»Nein«, sagte Ernst, »aber wir können den halbmetergroßen Schoko-Osterhasen nehmen, den wir Herbert im vorigen Jahr geschenkt haben. Schokolade soll man sowieso nicht so lange aufheben.«

Er stellte den Hasen, der immer noch vor dem großen Spiegel stand, ans Ende unseres fünf Meter langen Korridors. Vater schmiegte sich auf den Fußboden wie Gary Cooper in die Prärie, drückte ab, peng. Kopf ab, großes Gejohle. Meine nach dem Gewehr ausgestreckte Hand wurde übersehen.

Ernst, Herrmann und Vater wechselten sich ab. Der Hase wurde immer kleiner. Nach etwa zwei Stunden reichte mir Vater das Gewehr. »Hier mein Sohn, nun du!«, dann gingen sie Skat spielen.

Da stand ich nun mit meinem Weihnachtsgeschenk. Vom Osterhasen war nur ein Häufchen Schokolade übrig. Und – die »Munition« war auch alle.

Wenn Theater, dann aber richtig

1937 hatte ich die Schule beendet und nahm, wie meine Eltern es für mich bestimmt hatten, eine kaufmännische Lehre auf. Eines Tages entdeckte ich in einer Zeitung eine Annonce. Ich gestehe: Ich hatte danach gesucht. Ich wollte Schauspieler und nicht Kaufmann werden. Doch die Schule nahm nur jene auf, die eine Eignungsprüfung bestanden hatten. In der Anzeige suchte man Mutige, die sich für talentiert hielten und ihre vermeintliche oder tatsächliche Eignung für den Schauspielberuf bestätigen lassen wollten.

Ich meldete mich heimlich, wie ich auch heimlich die Texte auswendig lernte, die ich sprechen sollte. Es waren längere Passagen aus Kleists »Prinz von Homburg« und Schillers »Räuber«. Die Generalprobe absolvierte ich am Telefon, indem ich als Carl Köfer in der Schule in Spandau meinen Sohn Herbert krank meldete.

Ich ging also nicht ins Büro, sondern zur Prüfung. Am Ende bekam ich es schwarz auf weiß: »Die Eignung zum Schauspielberuf scheint gegeben.« Offenkundig scheuten die Prüfer, dem Prüfling Talent zu attestieren. Es schien ihnen nur so, dass er vielleicht eines besäße. Egal, letztlich hatte es mit dem Anruf und dem Test doch wunderbar geklappt.

Ich war in Höchststimmung und meinte, mir einen freien Tag verdient zu haben. Also rief ich wieder als mein Vater in der Lokomotivfabrik Orenstein & Koppel an und meldete meinen Sohn Herbert Köfer krank. Mein Anruf war erneut überzeugend. Man wünschte meinem Sohn, also mir, beste Genesung.

Natürlich musste ich nun das Haus verlassen. Allerdings hatte ich morgens mein Frühstücksbrot liegen lassen. Meine um mein Wohl besorgte Mutter bemerkte dies wenig später, setzte sich in die S-Bahn nach Spandau und wollte mein Pausenbrot abgeben. In der Buchhaltung war man überrascht. »Der Herbert liegt doch mit hohem Fieber daheim im Bett.«

Nichtsahnend kam ich am Abend zur gewohnten Zeit nach Hause. Auf Mutters Frage, wo ich denn gewesen sei, antwortete ich: »Dumme Frage – im Betrieb.« Ihr Schlag mit der flachen Hand in mein Gesicht saß. Noch nie hatte sie mich geohrfeigt. Ich spürte erstmals: Die Kunst verlangt Opfer. Aber warum solche schmerzhaften?

Rettung nahte in Gestalt meines Vaters, und nachdem ich ein überzeugendes Plädoyer für die Schauspielkunst und gegen das profane kaufmännische Gewerbe gehalten habe, wird er fast weich und ist bereit, seine Entscheidung zu überdenken.

Alsbald traf Post von der Schauspielschule ein. Man wollte mich. Da ich noch keine achtzehn war, sollten meine Eltern mich zum Gespräch an die Schauspielschule begleiten.

Der Direktor der Schule war freundlich und sehr überzeugend. Auf dem Gang zur Tür sagte er wie beiläufig: »Ihr Sohn ist begabt, ohne Zweifel, aber er hat abstehende Ohren. Es wäre besser, wenn Sie diese operativ anlegen ließen.« Operieren? Nein, das kam auf keinen Fall in Frage!

Statt Skalpell wählte ich Mastix. Damit kann man sich falsche Bärte ankleben. Warum nicht auch Ohren? Allerdings hatte der Kleister eine Macke: Wenn er warm wird, lässt die Wirkung nach.

Eines Tages werde ich nach dem Unterricht zum Direktor bestellt. In seinem Zimmer ist es sehr warm. Ich merke, wie es hinter meinen Ohren zieht, und ahne Schlimmes. Der Direktor redet und redet, und plötzlich macht es »plopp« und das rechte Ohr steht ab. Der Direktor redet weiter. Wieder macht es »plopp«, das linke Ohr steht ab.

Der Direktor blickt mich fassungslos an, lange, sehr lange, dann fängt er schrecklich zu lachen an und sagt: »Köfer, Köfer, Sie werden bestimmt mal Komiker.«

Einfach großartig!

Ich war neunzehn, und es war Krieg seit dem 1. September 1939. Ich hatte eine dumpfe Ahnung, dass man auch mich bald holen könnte. Also weg aus Berlin, sagte ich mir, ganz weit weg. »Nach Brieg«, raunte ein Theater­agent, »da sucht die Landesbühne Schauspieler für ihr Tourneetheater. Heute hier und morgen da, du verstehst?«

»Brieg, wo liegt das? Nie gehört.«

»Tief in Schlesien, eine Stadt mit einigen Zehntausend Einwohnern, da findet dich die Wehrmacht nicht.«

Ich packte meine Koffer, quittierte die Ausbildung an der Schauspielschule ohne Abschluss, verabschiedete mich von den Eltern und stieg in die Bahn. Unterwegs träumte ich von Rollen als junger Held und draufgängerischer Liebhaber.

Der Intendant sagte zur Begrüßung nur: »180 Reichsmark im Monat. Sie spielen den Leutnant von Holtzendorf in ›Katte‹ von Hermann Burte.«

Hm, antwortete ich vage. Das Stück stammte aus dem Jahr 1914, doch Burte, ein aktiver Parteigänger der Nazis, wurde inzwischen auf allen Bühnen gespielt. Sein deutsch-völkisches Pathos, sein rassistischer und antisemitischer Gestus waren gefragt.

Wenn ich schon Burte spielen musste: Warum nicht den Kronprinzen? Diese tragische Freundschaft, die gewaltsam endet mit der Hinrichtung Kattes, der Friedrich beiwohnen sollte …

Ich biss mir jedoch auf die Zunge. Und tat gut daran. Am Tag vor der Premiere erkrankte Fried­rich. Der fahrige Inspizient drückte mir einen Zettel des Regisseurs in die Hand: »Übernahme Rolle Friedrich! Rolle lernen! Erster Auftritt morgen Abend!« Drei Ausrufezeichen.

In der Nacht studierte ich mir die Augen wund, am Morgen erklomm ich hundemüde den Bus. Neben mich setzte sich Ursula Braun, auch sie Jungschauspielerin. Sie fieberte gleich mir ihrem Auftritt als »Wilhelmine« entgegen. Im ruckelnden Gefährt studierten wir unsere Rollenbücher bis zum Gastspielort.

Der Vorhang öffnete sich zum ersten Bild. Auf der Bühne: wir beide. Meine Beine: wie Pudding. Der Hals: verstopft mit einem riesigen Kloß. Und der Kopf: leer wie die Magdeburger Halbkugeln.

Laut Drehbuch sollten wir sagen:

Friedrich: Wie steht es?

Wilhelmine: Schlecht!

Friedrich: Keine Hoffnung?