Sie haben mich verkauft - Oxana Kalemi - E-Book
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Oxana Kalemi

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Beschreibung

Es sollte ein Job für drei Monate sein, als Kellnerin in einem Club in Rumänien. Sie braucht das Geld für die Zukunft ihrer drei kleinen Kinder. Doch was sie dort in Wirklichkeit erwartet, ist ein wahrer Albtraum, kaum vorstellbar im 21. Jahrhundert: Der Club ist ein Bordell, ihre neuen Arbeitgeber entpuppen sich als europaweit agierende Menschenhändler. Eine schreckliche Zeit voller Angst und Gewalt beginnt, Oxana wird immer wieder verkauft, nach Italien, Deutschland, England verschleppt. Doch ihr gelingt das Unglaubliche, sie gibt niemals die Hoffnung auf und schafft es sich zu befreien. Ein erschütternder Bericht über die dunkelste Seite unserer Gegenwart.

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Seitenzahl: 454

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Weitere Informationen

Über die Autorin

Oxana Kalemi wurde in der Ukraine geboren und hat drei Kinder, die noch heute dort leben. Sie wurde von Menschenhändlern entführt und mehrfach quer durch Europa weiter-verkauft, bis sie schließlich nach England kam und es ihr gelang, sich zu befreien. Heute kämpft sie vor Gericht um die Aufenthaltsgenehmigung für ihre Kinder in England.

Oxana Kalemi

SIE HABEN MICHVERKAUFT

Eine wahre Geschichte

Aus dem Englischen übersetzt vonIsabell Lorenz

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2008 by Oxana Kalemi and Megan Lloyd Davies

Oxana Kalemi asserts the moral right to be identified as the author of this work.

Titel der englischen Originalausgabe:

»Mummy Come Home«

Originalverlag: Harper Element, an imprint of HarperCollinsPublishers, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2009 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Angela Kuepper, München

Titelbild: © getty-images/esthAlto/Matthieu Spohn

Umschlaggestaltung: Bettina Reubelt

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-8387-0662-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

PROLOG

Einmal ziemlich spät am Abend kam ein junger Mann in den Massagesalon auf der Caledonian Road in Tottenham, London, wo ich arbeitete. Er hatte zwei Freunde dabei. Sie waren alle betrunken, aber er wirkte ruhig. Er war klein, hatte hellbraunes Haar und war stämmig. Er war Anfang zwanzig und Engländer.

Ich saß am Empfang, wie üblich. Die Kunden kommen rein, mustern die Mädchen, die noch nicht mit einem Freier beschäftigt sind, und suchen dann eines aus, mit dem sie mitgehen wollen.

Mit nur mäßigem Interesse betrachtete ich den Jungen. Für mich waren sie alle gleich, diese Männer, die sich hier ein Stück Fleisch zum Ficken aussuchten. Aber die Nacht war bisher ziemlich ruhig gewesen für mich, und wenn ich nicht bald einen Kunden abbekam, würde ich Ärger kriegen. Mein Zuhälter Ardy wartete auf mich, wie er das immer tat. Er würde mir das Geld abnehmen, das ich im Lauf des Abends womöglich verdiente, aber auch um aufzupassen, dass ich nicht abhaute. Wenn ich ihm weglief, würde seine Einkommensquelle mit mir verschwinden, und er hatte in aller Deutlichkeit erklärt, er würde mich jagen und mich umbringen, falls das passierte. So wie die Dinge lagen, konnte aber schon eine ruhige Nacht bedeuten, dass ich bestraft wurde, weil ich es nicht geschafft hatte, Ardys Taschen in angemessener Weise zu füllen.

Der Junge starrte mich an. Er hatte den glasigen Blick eines Betrunkenen, aber er war jung, also würde er sich vielleicht mit Handentspannung oder Französisch zufriedengeben. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er mir zu.

»Kommst du?«, fragte er.

»Klar. Wieso nicht?«, antwortete ich.

»Du bist keine Engländerin«, stellte er fest. »Wo kommst du her?«

»Aus der Türkei«, log ich. Die Geschichte erzählte ich jedem. Es war irgendwie einfacher. Wie sollte ich auch einem die Wahrheit sagen über das, was mir passiert war?

Als wir in die kleine Massagekabine gingen, versuchte er, mir an den Hintern zu fassen.

»Lass das«, sagte ich entschieden.

»Ja, klar. Das magst du nicht.«

»Genau.«

Ich schloss die Tür. »Eine halbe Stunde kostet fünfundvierzig Pfund.«

Er fischte in seinen Taschen und reichte mir ein paar zerknitterte Geldscheine. Ich nahm sie. »Ich muss das Geld am Empfang abgeben, aber ich bin gleich wieder da.« Ich ging raus, und als ich ein paar Minuten später wiederkam, saß der Junge auf dem Stuhl neben dem Massagetisch. »Also, willst du eine Massage?«, fragte ich ihn.

»Nein. Ich will dich einfach ficken.«

Ich musterte ihn. Es war deutlich zu sehen, dass er betrunken war. Ich hatte gelernt, bei solchen Männern vorsichtig zu sein – die waren für so manche Überraschung gut, konnten sich übel benehmen –, aber trotzdem war ich einigermaßen schockiert. Er sah noch so jung aus.

»Willst du nicht lieber eine schöne, sanfte Massage?«, fragte ich gedehnt. Es war besser für mich, damit anzufangen.

»Nein. Zieh dich einfach aus.«

Ich wollte ja tun, was er verlangte, aber ruhig und ernsthaft, um es sachte anzugehen. »Na schön. Willst du dich nicht auch ausziehen?«

»Nein. Zieh du dich zuerst aus.«

Ich knöpfte mein Kleid auf. Als ich es auf den Boden fallen ließ und nur noch in Unterwäsche dastand, bekam ich auf einmal Angst. Er war zu kalt und zu dominierend für meinen Geschmack. Wieso wollte er sich nicht ausziehen? Hatte er etwas in seinen Taschen versteckt? Er nickte zufrieden, als ich halbnackt vor ihm stand.

»Leck mich«, sagte er.

Ich nahm ein Kondom aus der Schachtel neben der Liege.

»Nein. Kein Kondom.«

»Das ist die Regel.«

»Aber ich gebe dir einen Hunderter.«

»Das ist mir egal. Entweder mit Kondom oder gar nicht.«

»Ach, komm schon. Ich bin sauber.«

»Nein. Wenn du nicht willst, dann such dir ein anderes Mädchen.«

Der Junge schwieg, als ich mich vor ihn hinkniete. Ich hatte Mühe, ihm das Kondom überzuziehen, weil er noch nicht so weit war, also versuchte ich, mit der Hand nachzuhelfen.

»Hast du viel getrunken heute?«, fragte ich.

»Nicht so viel. Wieso, wo ist das Problem?«

»Na ja, du wirst nicht richtig steif.«

»Ach Scheiße, du bist doch eine Nutte. Das ist immerhin dein Job.«

Sein Ton gefiel mir nicht. Instinktiv spürte ich, dass ich ihn ablenken musste, also gab ich mir Mühe, vernünftig zu klingen. »Ich weiß, aber wenn du viel getrunken oder Drogen genommen hast, geht es nicht.«

Er schob mich weg. »Ich weiß schon, wie ich das hinkriege«, nuschelte er. Er streifte sich das Kondom über den halbsteifen Penis. Dann stand er auf, und ehe ich mich versah, hatte er mich umgedreht, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Auf einmal war er ganz energisch und drückte mich nach unten, während ich über dem Massagetisch lehnte und mein Hintern sich ihm entgegenreckte. Mit der einen Hand hielt er mir den Kopf fest, so dass sich meine Wange gegen den billigen Baumwollbezug auf dem Tisch presste. Dann griff er mir in die Haare und packte mit der anderen Hand meine Hüfte. Er presste sich an mich, und ich spürte, dass sich jetzt was bei ihm regte – er hatte einen Ständer. Wieder und wieder stieß er gegen mich, und schließlich gelang es ihm, in mich einzudringen.

Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mich zu wehren – ich wusste, es wäre sinnlos. Er war stark und entschlossen. Gegen ihn hatte ich keine Chance.

Er fing an, sich hin und her zu bewegen, sein Unterleib klatschte gegen meinen Hintern.

»Sag mir, dass du gefickt werden willst«, forderte er plötzlich. »Sag mir, dass du eine Schlampe bist, eine Nutte.«

Ich schwieg. Reichte es nicht, dass ich das hier ertragen musste?

»Sag es.«

»Nein.«

»Doch.«

Er zog mich an den Haaren und fing an, mir auf den Hintern zu schlagen. »Sag es, oder ich mache immer weiter. Na los. Sag es. Du bist ein Dreckstück, eine Schlampe, eine Scheißnutte.«

Das wollte ich nicht sagen, das konnte ich nicht sagen.

»Nein«, flüsterte ich, als er fester und immer fester in mich stieß.

»Sag es«, sagte er, und ich spürte einen dumpfen Schmerz im Magen.

»Nein.«

»Du bist eine Nutte.«

Er packte meinen Kopf, als er seinen Penis immer härter in mich hineinrammte.

»Sag es.«

Wut stieg in mir hoch.

»Sag es.«

»Nein.«

»Sag es einfach!«, brüllte er.

Er tat mir so weh. Mit dem Unterleib stieß ich immer wieder gegen die Kante des Massagetischs. Ich wollte nur noch, dass er aufhörte – wollte nur noch, dass das Geschrei aufhörte. Meine Wut verflog.

»Ich bin eine Nutte«, sagte ich.

»Noch mal!«, rief er.

»Ich bin eine Schlampe.« Meine Stimme war vollkommen ausdruckslos.

Mit einem Aufstöhnen hörte er auf, sich über mir zu bewegen, und ich griff nach unten, um das Kondom zu nehmen, ihn wegzuschieben und mein Kleid aufzuheben. Der Junge sah mich nicht an, als er unter die Dusche ging. Später, als er rauskam und sich angezogen hatte, drehte er sich zu mir um und hielt mir fünf Pfund hin.

»Tut mir leid«, sagte er und konnte mir dabei nicht in die Augen sehen.

»Geh einfach«, sagte ich. »Ich will dein Geld nicht.«

Der Junge sagte nichts, als er ging. Schnell setzte ich mich; ich spürte, dass meine Beine ganz kraftlos wurden.

»Ich ertrage das nicht«, flüsterte ich, den Kopf in die Hände gestützt. »Ich ertrage dieses Leben einfach nicht mehr. Lieber wäre ich tot, als das hier zu ertragen.« In meiner Vorstellung sah ich Blut, tief im Herzen spürte ich Aggressionen, und zum ersten Mal hatte ich Angst, dass ich nicht unter Kontrolle halten könnte, was da aus mir herausbrechen wollte. Ich hatte keine Ahnung, wozu ich fähig wäre, sollte ich den Jungen wiedersehen. Schweigend saß ich da, starrte die Wand an und versuchte, das Tier wegzuschieben, das da von innen an mir nagte.

Ich wusste, ich würde diesen Kampf gewinnen müssen. Mein Überlebenswille war immer noch stark. Es ging einfach nicht anders. Ich musste nach Hause zu meinen Kindern. Sie waren das Einzige, was mir durch dieses furchtbare Elend und diese ganze Gewalt hindurchhalf. Ich hatte gelitten. Ich hatte ihnen gesagt, Mami würde nach Hause kommen, und ich wusste, ich musste überleben, wenn ich mein Versprechen halten wollte.

KAPITEL 1

Ich glaube, die Geburt ist wie das Leben, man wird entweder mit Glück oder mit Pech geboren, und das folgt einem überallhin. Ich wog gerade mal zwei Pfund, als ich drei Monate zu früh auf die Welt kam, und keiner hielt es für möglich, dass ich am Leben bleiben würde. Aber ich habe gekämpft, habe mich ans Leben geklammert und habe überlebt, so wie später immer wieder.

Ich kam in der Ukraine zur Welt, am 16. Januar 1976, um sechs Uhr abends, als meine Mutter Alexandra auf einer vereisten Straße ausrutschte, weil sie dem Bus hinterhergelaufen war. Die Fruchtblase platzte, und als mein Vater Pantelej im Krankenhaus eintraf, war ich schon auf der Welt. Die Ärzte erklärten meinen Eltern vorsorglich, dass ich keine Überlebenschance hätte, doch mein Vater ließ mich in ein anderes Krankenhaus bringen, in dem ich drei Monate blieb, bis es mir gut genug ging und meine Eltern mich nach Hause holen konnten. Sie nannten mich Oxana.

Wir wohnten in einer Stadt namens Simferopol in der Ukraine, die damals noch Teil der Sowjetunion war, und im Vergleich zu vielen anderen in dem kommunistischen Land waren meine Eltern reich. Mein Vater war Lastwagenfahrer, und meine Mutter arbeitete in einem Kinderhort. Sie hatten sich während der Ausbildung kennengelernt, und meine Mutter war gerade siebzehn geworden, als sie heirateten und mein Bruder Vitalik zur Welt kam. Sechs Jahre später wurde ich dann geboren, und wir wohnten zusammen in einem riesigen Wohnblock mit über sechshundert Wohnungen. Wir hatten Glück, denn wir hatten drei Zimmer und einen großen Balkon und konnten es uns leisten, jeden Tag Fleisch zu essen. Meine Mutter war zierlich und wunderschön, und sie roch nach einem Parfüm namens Rotes Moskau. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, und sonntags war es am schönsten, weil wir da Geflügelleber oder Lamm mit heller Soße und Zwiebeln bekamen und hinterher Plätzchen oder Kuchen. Für mich war es der schönste Tag in der Woche, denn wir lachten viel zusammen, und meine Eltern mussten nicht arbeiten.

Aber all das änderte sich, als mein Vater seine Stelle aufgab und eine eigene Autowerkstatt eröffnete. Auf einmal war meine Welt nicht mehr so sorglos. Ich weiß nicht, was zuerst kam – die Eifersucht meines Vaters oder die Nächte, in denen meine Mutter allein ausging –, aber kurz danach begann es jedenfalls mit den Schlägen. Ich lag im Bett, hörte zu und betete, Gott möge mich beschützen. Papa war wie ein wilder Stier, der sich nicht beherrschen konnte, und Mama mochte einfach nicht den Mund halten. Ich horchte auf den furchtbaren Lärm ihrer Streitereien und wünschte, sie würden aufhören, und dabei hatte ich Angst, es sei womöglich meine Schuld, dass sie nicht mehr glücklich waren.

Der Lärm aus unserer Wohnung muss schrecklich gewesen sein, aber es hat sich nie einer in die Streitereien meiner Eltern eingemischt, denn alles, was zwischen einem Mann und seiner Frau ablief, wurde als Privatsache angesehen. Außerdem gab es in unserem Wohnblock etliche Familien wie meine, und wenn eine Frau verheiratet war, ging es keinen etwas an, was der Mann mit ihr machte. Schließlich waren es ja die Frauen, die die Männer provozierten – wenn sie Widerworte gaben, bekamen sie Prügel, wenn sie kurze Röcke trugen, waren sie ein Flittchen, das verdiente, was es bekam. Eines Tages klingelte ein Polizist und setzte sich mit meinem Vater in die Küche. Als er ging, hatte Papa ein Dokument unterzeichnet, in dem er sich verpflichtete, meine Mutter nicht mehr anzurühren, aber was ist schon ein Stück Papier, verglichen mit einer kräftigen Faust? Nichts konnte den Riss zwischen meinen Eltern kitten.

»Er ist ein Mistkerl«, sagte meine Mutter oft zu mir, wenn wir in dem Schlafzimmer lagen, das wir uns teilten. Vitalik hatte das andere Schlafzimmer, während mein Vater im Wohnzimmer schlief. »Ich werde ihn verlassen. Du kannst mit mir kommen, Oxana, wir beide werden zusammen glücklich sein.«

Ich wollte, dass wir glücklich waren, aber ich wollte auch, dass wir alle zusammenblieben. Ich liebte meinen Papa, obwohl er die ganze Zeit so wütend auf meine Mutter war. Außerdem hatte ich Angst vor meiner Mutter, denn sie war auch manchmal betrunken und bekam Wutanfälle, und von einem Moment auf den anderen konnte sie dann auf mich losgehen. Wenn Papa sie verprügelt hatte, schrie sie mich manchmal an, weil sie meinte, ich hätte sie nicht beschützt, und dann schlug sie mich. Einmal drosch sie mit einem Strauß Rosen auf mich ein; ich war voller Kratzer und Schürfwunden und konnte eine ganze Woche lang nicht zur Schule gehen.

Vielleicht hat sich ja deswegen mein Bruder Vitalik so verändert. Als Kinder waren wir immer gute Freunde gewesen, aber als er ins Teenageralter kam, verlor er das Interesse an mir, und bald machte er bei den Streitereien zwischen meinen Eltern mit. Er fing an zu rauchen, schwänzte die Schule und trieb sich mit einigen üblen Leuten herum, was meinem Vater Sorgen machte. Als ich neun war, stahl Vitalik meinen Eltern die Eheringe und eine goldene Kette. Papa war fuchsteufelswild, und zum ersten Mal merkte ich, dass er nicht nur meine Mutter verprügeln konnte.

»Wieso tust du das?«, schrie mein Vater. »Ich arbeite wer weiß wie hart, damit ihr zwei, deine Schwester und du, es einmal besser habt, und dann tust du mir so was an.«

Dann kam eines Tages die Polizei zu uns. Ein Auto war gestohlen worden, und es hatte einen Unfall gegeben. Danach haben meine Eltern mir gesagt, Vitalik wohne jetzt in einem Ort namens Gefängnis. Da war er gerade fünfzehn.

Nachdem mein Bruder fort war, kam ich mir beinahe unsichtbar vor. Ich war ein braves Mädchen und machte meinen Eltern nie Kummer, aber ich war auch sehr empfindsam. Jeden Tag schrieb ich in mein Tagebuch, was für böse Sachen meine Mutter und meine Lehrer zu mir gesagt hatten, und es machte mich traurig, dass niemand mich mochte, weil ich die Schlaue in der Klasse war. Und es wurde alles noch schlimmer, als Vitalik ins Gefängnis kam.

»Das ist die Schwester von dem Dieb«, kicherten meine Klassenkameraden, wenn ich vorbeiging.

Leute wandten sich von mir ab, wenn ich auf den Spielplatz kam, und Lehrer gaben mir für meine Hausarbeit eine schlechtere Note. Damals gehörte die Ukraine zu Russland beziehungsweise zur Sowjetunion, wo Vieles – und nicht nur ein Bruder im Gefängnis – nicht akzeptabel war. Dazu gehörte auch die Religion. Lenin war unser Gott, und Leute, die etwas anderes glaubten, konnten in Schwierigkeiten geraten. Ich weiß noch, dass eines Tages ein Mädchen in die Schule kam und ein Kruzifix trug, was die Direktorin bemerkte. Ein ganzes Jahr lang haben wir sie dann nicht mehr gesehen. Natürlich gab es Kirchen, und ich bin griechisch-orthodox getauft, aber meine Familie praktizierte ihren Glauben nie offen. Wir begingen christliche Feiertage, aber wir hatten keine Bibel zu Hause und besuchten auch nie einen Gottesdienst.

In der Ukraine misstraute man dem Anderssein. Kinder wurden dazu erzogen, Homosexualität, schwarze Hautfarbe und alles Ausländische zu verabscheuen. Es gab nur einen großen Supermarkt, in dem alle einkauften, und Luxusgüter oder Lebensmittel aus dem Ausland bekam man dort nicht; Dinge wie Tampons oder Wegwerfwindeln waren völlig unbekannt. Stattdessen aßen wir einfaches Fleisch und einfaches Gemüse, Frauen benutzten Wattebäusche, wenn sie ihre Monatsblutung hatten, und Kinder tranken Milch. Als die Coca-Cola in die Ukraine kam, gab es Viele, die meinten, Cola würde sie krank machen, und ich trank erst mit dreizehn meinen ersten Schluck Cola – am selben Tag, als ich ein Kaugummi probierte.

Mein Land war auch in anderer Hinsicht hart – es war ein armes Land, und alle mussten arbeiten. Gerade mal ein Dollar am Tag konnte den Unterschied zwischen Essen und Verhungern ausmachen, und mir war schon früh bewusst, dass es manchen Leuten weitaus schlechter ging als meiner Familie.

Mehr als alles auf der Welt liebte ich Bollywood-Filme. Der Gesang, die Tänze, die Farben, die Kostüme – alles war so wunderschön, und ich war überzeugt, Indien müsse der Himmel auf Erden sein. Mein Lieblingsfilm hieß Disco Dancer mit Mithun Chakraborty in der Hauptrolle. Er war so groß und so attraktiv, und ich sah den Film dreiundzwanzigmal und konnte nicht aufhören zu weinen, als er schließlich abgesetzt wurde. An den Bollywood-Filmen gefiel mir besonders, dass es immer ein Happy End voller Liebe gab. Ich war schließlich überzeugt, dass mein Traumprinz mich eines Tages finden würde, und dann würden wir glücklich leben bis ans Ende unserer Tage. Ich musste einfach nur Geduld haben und auf diesen Tag warten.

Dann geschah etwas, das all die Farben in meinen Träumen in Grau verwandelte.

KAPITEL 2

Es war im Jahr 1990. Es war Sommer, ich war vierzehn und war heimlich mit zwei Freundinnen, Natascha und Sweta, an den Strand gefahren. Ich wusste, ich würde Ärger bekommen, wenn Papa das herausfinden sollte, aber Sonnenbaden und mit meinen Freundinnen zu quatschen war so schön gewesen. Jetzt wollten wir uns etwas zu essen kaufen und dann zum Bahnhof gehen; wir hatten eine Stunde Heimfahrt vor uns.

Wir reihten uns ein, um uns Pasteten zu kaufen. Ein attraktiver Junge stand hinter uns. Er sah aus wie achtzehn, und er trug Shorts, aber kein Hemd, und eine teure Sonnenbrille.

»Entschuldigung, kannst du uns vielleicht sagen, wie spät es ist?«, fragte Natascha, die sich zu ihm umgedreht hatte.

Er sah auf die Uhr. »Gleich sechs«, antwortete er.

Da machte ich mir auf einmal Sorgen. Es war viel später, als ich gedacht hatte. »Wir müssen los«, drängte ich. »Sonst verpassen wir den Zug und sind nie im Leben rechtzeitig zu Hause. Ich muss zurück sein, ehe Mama von der Arbeit kommt.«

»Nur keine Sorge, Oxana«, sagte Natascha forsch-fröhlich. »Wir haben noch jede Menge Zeit.«

Sie schien sich überhaupt keine Gedanken zu machen, als sie anfing, mit dem älteren Jungen zu reden und zu lachen. Mir gefiel das nicht – sie schien so frei und offen ihm gegenüber, das war nicht das Benehmen, zu dem man mich erzogen hatte.

»Habt ihr nicht Lust, mitzukommen und meine Freunde kennenzulernen?«, fragte er, als wir unsere Pasteten gekauft hatten.

»Klar«, antwortete Natascha und ging schon mit unserem neuen Freund mit.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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