ABRAXAS - Tilman W. Birkenfeld - E-Book

ABRAXAS E-Book

Tilman W. Birkenfeld

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Abraxas – Zwischen Licht und Schatten ist eine philosophisch-essayistische Erkundung eines der rätselhaftesten Symbole der abendländischen Geistesgeschichte. Zwischen Gnosis und Tiefenpsychologie, antiken Amuletten und moderner Quantenphysik entfaltet Tilman W. Birkenfeld ein vielschichtiges Bild von Abraxas: nicht als Gott oder Dämon, sondern als Denkfigur für das Unvereinbare, das dennoch zusammengehört. Ein Buch für Leserinnen und Leser, die Ambivalenz nicht als Schwäche, sondern als Zugang zu einer tieferen Wirklichkeit begreifen – jenseits von Dogma, aber nicht jenseits von Bedeutung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tilman W. Birkenfeld

ABRAXAS

Du bist Gott!

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Kapitel 1: Der Klang der Gnosis

Kapitel 2: Die Zahl 365 – Der kosmische Code

Kapitel 3: Der Gott mit dem Hahnenkopf

Kapitel 4: Die Magie der Amulette

Kapitel 5: Abraxas und C. G. Jung

Kapitel 6: Zwischen Dämon und Gott

Kapitel 7: Der Ruf in der Literatur

Kapitel 8: Der Gott im Spiegel

Kapitel 9: Abraxas in der Esoterik

Kapitel 10: Ein Symbol für unsere Zeit

Kapitel 11: Wege zur Integration

Kapitel 12: Abraxas und die Quantenwirklichkeit

Epilog: Der unaussprechliche Name

Anhang

Impressum neobooks

Vorwort

Der Begriff Abraxas ist in der Geschichte weder zentral noch systematisch behandelt worden. Er gehört nicht zu den tragenden Säulen religiöser Systeme, sondern zu deren Randzonen. Dort, wo Konzepte, Begriffe und Symbole entstehen, die außerhalb der etablierten Kategorien liegen – uneindeutig, mehrdeutig oder widersprüchlich.

Dieses Buch untersucht Abraxas als historische, symbolische und kulturelle Figur, nicht als Glaubensobjekt oder mythologischen Archetypen. Der Fokus liegt auf der Rekonstruktion der Bedeutungsfelder, in denen dieser Begriff auftritt – von der Spätantike über die Neuzeit bis zur Gegenwart. Die Arbeit orientiert sich an gesicherten Quellen, berücksichtigt aber auch die Entwicklungen und Projektionen, die im Lauf der Zeit auf Abraxas übertragen wurden.

Abraxas ist nicht konstant definiert. In gnostischen Kontexten erscheint er als Macht jenseits der dualistischen Weltordnung. In der antiken Magie wird er auf Amuletten verwendet. In der Psychologie des 20. Jahrhunderts dient er als Projektionsfläche für die Einheit von Gegensätzen. In späteren esoterischen Strömungen verliert er oft jede historische Kontur und wird zu einem frei interpretierbaren Symbol. Dieses Buch analysiert alle diese Erscheinungsformen, ohne sie zu verschmelzen oder künstlich zu harmonisieren.

Die Herangehensweise ist interdisziplinär, aber ohne spekulative Synthese. Historische Quellen werden als solche behandelt. Psychologische Deutungen werden in ihren jeweiligen Theoriekontexten belassen. Literarische Verwendungen werden als Teil ihrer jeweiligen Texte analysiert, nicht als Hinweise auf eine verborgene „wahre“ Bedeutung.

Das Ziel ist nicht, Abraxas abschließend zu erklären. Es geht darum, ihn in seiner historischen Bewegung nachvollziehbar zu machen – als Beispiel für die Art und Weise, wie sich Begriffe entwickeln, verändern und mit Bedeutung aufgeladen werden. In diesem Sinne ist Abraxas nicht nur ein Objekt religiöser oder psychologischer Deutung, sondern ein Indikator für Denkbewegungen an der Grenze zwischen etabliertem Wissen und spekulativer Projektion.

Dieses Buch richtet sich an Leserinnen und Leser mit Interesse an religionsgeschichtlichen, kulturwissenschaftlichen und psychologischen Fragestellungen. Es setzt keine esoterischen oder spirituellen Voraussetzungen voraus. Der Text ist argumentativ aufgebaut, quellenkritisch und strukturiert. Er ist keine Anleitung zur Anwendung, keine Einführung in okkulte Systeme und keine persönliche Erfahrungsdokumentation.

Abraxas wird hier nicht als Wesen verstanden, sondern als Konzept, dessen Wandlungen sichtbar gemacht werden sollen. Es geht nicht um Glauben, sondern um Verstehen.

Kapitel 1: Der Klang der Gnosis

Grundlagen der gnostischen Weltauffassung

Die Gnosis ist kein einheitliches System, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene religiöse Bewegungen, die vor allem in den ersten Jahrhunderten nach Beginn der christlichen Zeitrechnung entstanden. Ihre Verbreitung war besonders im östlichen Mittelmeerraum aktiv, mit Zentren in Alexandria, Syrien und Kleinasien. Die Gnosis stellt keine Religion im institutionellen Sinn dar, sondern ein Erkenntnismodell, das sich in unterschiedlichen Formen mit bestehenden religiösen Vorstellungen verband – insbesondere mit dem frühen Christentum, dem Platonismus und orientalischen Mysterientraditionen.

Erkenntnis statt Glaube

Der zentrale Begriff der Gnosis ist das griechische Wort „gnōsis“, was „Erkenntnis“ bedeutet – gemeint ist jedoch keine rationale, philosophische Erkenntnis im modernen Sinn, sondern eine tiefgreifende, existentielle Einsicht in die wahre Struktur der Welt und des Selbst. Diese Erkenntnis hat heilende Funktion. Wer die verborgene Wahrheit erkennt, wird befreit – nicht durch Glauben oder Werke, sondern durch ein inneres Erwachen zur Wirklichkeit hinter der Erscheinung.

Kosmologischer Dualismus

Ein prägendes Element gnostischen Denkens ist der Dualismus. Im Unterschied zu den monistischen Welterklärungen klassischer Philosophie oder der jüdisch-christlichen Tradition geht die Gnosis davon aus, dass die Welt von zwei grundlegend verschiedenen Prinzipien geprägt ist: dem Licht und der Finsternis, dem Geist und der Materie, dem Wahren Gott und dem falschen Schöpfer.

Diese Unterscheidung durchzieht sowohl das kosmologische als auch das anthropologische Weltbild der Gnostiker. Die sichtbare Welt ist demnach nicht das Werk eines guten Gottes, sondern das Produkt eines irrenden oder bösen Schöpferwesens, des sogenannten Demiurgen. Dieser Demiurg hat die materielle Welt erschaffen – unvollkommen, leidvoll, vergänglich – und hält die menschliche Seele in der Gefangenschaft der Körperlichkeit und Unwissenheit.

Der Demiurg

Der Begriff Demiurg stammt aus der griechischen Philosophie, insbesondere aus Platons Timaios, wo er noch als wohlmeinender Schöpfer auftritt, der das Universum nach einem ewigen Urbild formt. In der gnostischen Tradition verändert sich diese Figur jedoch radikal: Der Demiurg wird zu einem unvollkommenen oder sogar böswilligen Wesen, das sich selbst an die Stelle des höchsten Gottes setzt. Er ist eine Art metaphysischer Usurpator, der vorgibt, die höchste Instanz zu sein, obwohl er in Wahrheit unterhalb der transzendenten göttlichen Ordnung steht.

In vielen gnostischen Texten trägt der Demiurg Namen wie Jaldabaoth, Saklas oder Samael. Ihm werden oft arrogante oder ignorante Eigenschaften zugeschrieben. Er erschafft die Welt ohne Wissen um die höhere Wirklichkeit und hält die Seelen durch die materielle Ordnung gefangen. Sein Wirken ist durchdrungen von Hybris: Er glaubt, alleiniger Gott zu sein, obwohl er lediglich ein untergeordnetes, fehlgeleitetes Wesen ist.

Die Rolle des Menschen

Der Mensch ist im gnostischen Verständnis ein zwiegespaltenes Wesen. Er besteht aus einem äußeren, materiellen Leib, der der Welt des Demiurgen zugehört, und einem inneren, geistigen Kern – einem „Lichtfunken“ –, der aus der höheren göttlichen Wirklichkeit stammt. Dieser Lichtfunke ist in die Welt gefallen und hat sein wahres Wesen vergessen. Die gnostische Lehre beschreibt den Menschen als ein gefangenes göttliches Prinzip, das seine Herkunft nicht mehr kennt. Ziel ist es, diese Herkunft durch Erkenntnis wieder zu erinnern und zur Quelle zurückzukehren.

Erlösung durch Erkenntnis

Die Erlösung (griechisch: „sōtēria“) erfolgt in der Gnosis nicht durch Gnade, nicht durch Opfer, nicht durch Gesetzestreue – sondern durch Erkenntnis. Wer erkennt, dass die Welt des Demiurgen eine Täuschung ist und dass der eigene innere Ursprung aus einer höheren Welt stammt, dem eröffnet sich der Weg zurück zur transzendenten Einheit. Diese Erlösung ist nicht kollektiv, sondern individuell. Sie ist kein Akt der göttlichen Intervention, sondern ein innerer Prozess des Erwachens.

Der gnostische Mensch ist dabei nicht aktiv-schöpferisch, sondern eher rezipierend-erkennend. Er muss sich von Illusionen befreien, nicht Systeme erschaffen. Viele gnostische Texte beschreiben diesen Weg der Erlösung als einen Abstieg und Wiederaufstieg der Seele durch verschiedene Sphären, begleitet von Wissen (Logoi), Symbolen und einem geheimen Wissen, das nur Eingeweihten zugänglich ist.

Die Figur Abraxas im Kontext gnostischer Dualismen

Vor dem Hintergrund der gnostischen Grundstruktur – dem Gegensatz zwischen geistigem Licht und materieller Dunkelheit, zwischen dem transzendenten Ursprung und der gefallenen Welt – wird deutlich, warum eine Figur wie Abraxas überhaupt entstehen oder eine spezifische Funktion erfüllen konnte. In vielen gnostischen Systemen spielt die Ambivalenz der Welt eine zentrale Rolle: Nicht alles ist eindeutig gut oder böse; nicht jeder Akteur lässt sich klar einer Seite zuordnen. Es gibt Zwischenbereiche, Zwischenmächte, Vermittler – und Abraxas gehört zu dieser Kategorie.

Abraxas als sprachliches und symbolisches Konstrukt

Der Name „Abraxas“ taucht in erster Linie in den sogenannten magischen Amuletten und Textfragmenten auf, die dem sogenannten „synkretistischen Gnostizismus“ der Spätantike zugeordnet werden. Die genaue Herkunft des Namens ist unklar. Es handelt sich weder um einen traditionellen theologisch fundierten Namen noch um einen eindeutig definierbaren Gott oder Dämon. Vielmehr scheint der Name – zumindest in frühen Texten – eine Art Chiffre gewesen zu sein, die symbolisch, numerologisch und rituell aufgeladen wurde.

In der Interpretation durch später gnostische Gruppen, besonders im Umkreis der Basilidianer (eine Richtung des Gnostizismus, benannt nach Basilides von Alexandria, ca. 2. Jh. n. Chr.), nimmt Abraxas eine besondere Stellung ein. Dort erscheint er nicht als einer von vielen Äonen oder Zwischenwesen, sondern als eine höchste oder übergeordnete Kraft, die die Sphären des Lichts und der Finsternis in sich vereint. Abraxas fungiert hier nicht als Gegner des Demiurgen, sondern als etwas, das über dem Dualismus selbst steht.

Über der Trennung von Gut und Böse

Damit markiert Abraxas eine kategoriale Verschiebung innerhalb der gnostischen Denkbewegung. Während der klassische gnostische Dualismus strikt zwischen der unreinen Welt des Demiurgen und der reinen Welt des göttlichen Lichts unterscheidet, tritt mit Abraxas eine Figur auf, die nicht dieser Trennung unterworfen ist. Abraxas erscheint nicht als Befreier oder Richter, sondern als eine übergeordnete Instanz, die Gegensätze integriert statt sie zu bekämpfen.

In der Praxis bedeutet das: Wenn der Demiurg als böser Schöpfer und der transzendente Gott als reines Licht gedacht wird, dann steht Abraxas nicht zwischen beiden, sondern über beiden. Er ist weder Licht noch Finsternis, sondern beides. Weder gut noch böse, sondern Ursprung beider Qualitäten. Diese Vorstellung durchbricht den gnostischen Dualismus, ohne ihn aufzulösen. Abraxas wirkt als eine Art metaphysischer Gesamtpunkt, an dem alle Gegensätze ihren Ursprung haben, aber auch ihre Bedeutung verlieren.

Abraxas als Strukturmodell, nicht als Person

Es wäre irreführend, Abraxas als Person oder als „Gott“ im herkömmlichen Sinn zu verstehen. In den wenigen überlieferten Texten, in denen sein Name auftaucht, tritt er nicht mit narrativer Tiefe oder mythologischer Biografie auf. Es gibt keine klaren Handlungen, keine familiären Verhältnisse zu anderen Wesen, keine persönlichen Eigenschaften im engeren Sinn. Vielmehr scheint Abraxas ein Konzept zu sein – eine symbolische Figur zur Darstellung eines übergeordneten Prinzips. Dass er in manchen Amuletten mit Attributen wie Hahnenkopf, Schlangenbeinen oder einem Schild dargestellt wird, spricht eher für seine Rolle als Chiffre, nicht als definierte Gottheit.

Im Gegensatz zum Demiurgen, der häufig sehr konkrete Eigenschaften besitzt – Schöpfer, Beherrscher, Täuscher –, ist Abraxas vage, offen und bedeutungstragend durch seine Struktur, nicht durch Handlung. Diese Offenheit ist ein Teil seiner Funktion: Er symbolisiert nicht die Lösung des Weltkonflikts, sondern die Idee, dass die Kategorie „Konflikt“ selbst relativ sein könnte, wenn sie aus einer höheren Perspektive betrachtet wird.

Der numinose Charakter

In den antiken Quellen hat Abraxas keinen festgelegten moralischen Charakter. Er wird weder als gütig noch als zerstörerisch beschrieben. Diese Ambiguität entspricht einem bestimmten Muster religiöser Symbolbildung: Figuren, die sich der eindeutigen moralischen Bewertung entziehen, erscheinen häufig als numinos – das heißt: als etwas, das sowohl anziehend als auch beunruhigend wirkt. Abraxas ist weder Dämon noch Retter, sondern Träger einer Wirklichkeit, die sich einfachen Deutungen entzieht.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Abraxas auch klar von biblisch-theologischen Figuren. Er ist nicht Teil einer Heilsgeschichte, sondern ein Element einer kosmologischen Struktur, die mit linearem Fortschritt und moralischer Entwicklung wenig zu tun hat. Er ist Ausdruck einer Weltauffassung, die das Chaotische, Vieldeutige und Widersprüchliche nicht als Fehler, sondern als notwendigen Bestandteil des Ganzen ansieht.

Abraxas in der nachgnostischen Rezeption – Symbol, Projektionsfläche, Grenzfigur

Mit dem allmählichen Verschwinden der historischen gnostischen Schulen zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert verliert sich auch die originäre Systematik, in der eine Figur wie Abraxas ursprünglich eingebettet war. Während der Begriff in kirchlichen Quellen nur als Beispiel „irriger Lehren“ auftaucht (etwa bei Irenäus von Lyon oder Hippolyt), beginnt in späteren Jahrhunderten eine fragmentarische, aber kontinuierliche Rezeption, in der Abraxas als Projektionsfläche verschiedenster Konzepte fungiert – meist außerhalb der offiziellen Religionen, oft in Grenzbereichen zwischen Philosophie, Mystik und spekulativer Psychologie.

Esoterische und magische Traditionslinien

Im Mittelalter verschwindet Abraxas weitgehend aus der theologischen Debatte, bleibt aber in der esoterischen Symboltradition erhalten. Besonders in Sammlungen von magischen Texten – wie dem Picatrix, den Zauberpapyri oder später der Renaissance-Hermetik – tauchen Begriffe wie „Abrasax“ oder verwandte Schreibweisen auf. Dabei werden sie oft nicht systematisch erklärt, sondern als Bestandteile ritueller Formeln und Zaubersprüche verwendet. Der Name dient hier in erster Linie als Klangformel, nicht als Träger einer klar definierten Funktion. Seine numerologische Struktur (der griechische Zahlenwert der Buchstaben ergibt 365) wird dabei ebenso betont wie seine Stellung als „Schlüsselname“, der symbolisch das Jahr, den Kosmos oder die Sphärenbewegung verkörpern soll.

Der Verlust systematischer Inhalte geht dabei mit einem Zuwachs an Projektionsmöglichkeit einher. Abraxas wird nicht mehr in kohärenten Mythen verankert, sondern als Teil eines offenen Symbolreservoirs genutzt. Diese Offenheit wird im 19. und 20. Jahrhundert von neuen Denkbewegungen aufgegriffen – unter anderem in der Theosophie, der frühen Psychoanalyse und der Literatur der Moderne.

C. G. Jung und die Rückkehr Abraxas’

Eine zentrale Station in der modernen Rezeption von Abraxas ist das Werk C. G. Jungs, insbesondere der Text „Die sieben Reden an die Toten“ (1916, später in Der Weg zum Selbst veröffentlicht). Dort erscheint Abraxas nicht als gnostisches Zitat, sondern als ein eigener Begriff im psychologischen Denkraum. Jung beschreibt Abraxas als eine Figur, die Gott und Teufel zugleich ist – nicht in einem moralischen Sinne, sondern im Sinne psychischer Ganzheit. Abraxas ist bei Jung ein Symbol für die Einheit des Bewusstseins und des Unbewussten, des Lichts und der Schattenaspekte der Psyche.

In dieser Deutung wird Abraxas zu einem Modell der psychischen Integration. Er steht nicht für Erlösung, sondern für die Annahme der Ambivalenz des Menschlichen. Die psychologische Relevanz liegt für Jung darin, dass die westliche Kultur lange Zeit versucht habe, das Böse auszusondern, anstatt es als Teil der inneren Realität anzuerkennen. Abraxas stellt das Gegenteil dieser Tendenz dar: ein Symbol für Ganzheit durch Integration – nicht durch moralische Selektion.

Wichtig ist dabei: Jung benutzt den Begriff nicht historisch, sondern funktional. Er nimmt den Namen aus der Gnosis, füllt ihn aber mit einer neuen Bedeutung im Rahmen seiner analytischen Psychologie. Dabei wird Abraxas nicht zur Kultfigur, sondern zum Begriff einer inneren Struktur, die dem Individuum ermöglicht, zwischen rationalem Ich und irrationalem Schatten zu vermitteln. Die gnostische Herkunft liefert dabei nur den sprachlichen Rahmen; der inhaltliche Bezug ist moderner, psychologisch geprägt.

Literarische Adaptionen: Hermann Hesse und die Symbolfigur

In der Literatur des 20. Jahrhunderts greift insbesondere Hermann Hesse in seinem Roman Demian (1919) das Abraxas-Motiv auf. Auch hier dient Abraxas als ein Symbol für die Überwindung dualistischer Weltsichten. Der Protagonist Emil Sinclair durchläuft eine Phase innerer Verwirrung, in der die Welt in Gut und Böse aufgespalten erscheint. Durch die Begegnung mit dem Namen Abraxas – zunächst als Inschrift auf einem geheimnisvollen Zettel – beginnt ein Prozess der Neuorientierung. Abraxas wird zum Symbol des Dazwischen, des Übergangs, des Werdens.

Hesse übernimmt dabei bewusst die Idee Abraxas’ als Gott, der Licht und Finsternis vereint. Wie bei Jung steht Abraxas nicht für eine konkrete religiöse Figur, sondern für einen inneren Transformationsprozess. Das Symbol ermöglicht es dem Protagonisten, sich jenseits moralischer Konventionen zu entwickeln, ohne ins Beliebige abzugleiten. Der Name fungiert als Impulsgeber, nicht als Endpunkt.

Interessant ist, dass Hesse weder mythologisch argumentiert noch religiöse Autorität beansprucht. Abraxas bleibt eine Chiffre, ein Bild für etwas, das sich sprachlich nicht vollständig fassen lässt. Gerade darin liegt seine Wirksamkeit: als Störung etablierter Deutungsmuster.

Abraxas als Gegenfigur zur Systematisierung

Insgesamt zeigt sich, dass Abraxas in späteren Rezeptionen nicht zur fixierten Lehre wird, sondern gerade durch seine Uneindeutigkeit an Bedeutung gewinnt. Ob in gnostischen Kontexten, psychologischen Modellen oder literarischen Texten – Abraxas fungiert stets als Störfaktor gegenüber binären Denkweisen. Er steht nicht für das Eine oder das Andere, sondern für das Sowohl-als-auch, das sich festen Kategorien entzieht.

Damit ist Abraxas nicht nur ein Symbol innerhalb der Gnosis, sondern ein Beispiel für eine bestimmte Strategie symbolischer Darstellung: Er zeigt, wie komplexe geistige Konzepte nicht durch begriffliche Klärung, sondern durch symbolische Verdichtung zugänglich gemacht werden können. In diesem Sinn steht Abraxas für Ambivalenz, Integration und Grenzüberschreitung – nicht als metaphysisches Wesen, sondern als Denkmodell, das bestimmte Widersprüche nicht auflöst, sondern produktiv macht.

Kapitel 2: Die Zahl 365 – Der kosmische Code

Der Zahlenwert von ABRAXAS im griechischen Alphabet

Die Verbindung zwischen dem Namen Abraxas und der Zahl 365