Adenauer. Eine deutsche Legende - Wilhelm von Sternburg - E-Book

Adenauer. Eine deutsche Legende E-Book

Wilhelm von Sternburg

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Konrad Adenauer – Visionär, Machtmensch, Architekt eines neuen Staates und Symbol einer ganzen Epoche. Hinter dem Denkmal verbirgt sich ein Mensch voller Widersprüche: ehrgeizig, machtbewusst, visionär – und zugleich geprägt von Zweifeln und Konflikten.

Der renommierte Publizist Wilhelm von Sternburg erzählt Adenauers Geschichte mit erzählerischer Kraft und analytischer Tiefe. Spannend und lebendig zeigt er politische Erfolge ebenso wie menschliche Schwächen und erklärt, wie aus dem rheinischen Patriarchen ein Staatsmann von weltpolitischem Format wurde.

Ein fesselndes Porträt über Mut, Verantwortung und die Anfänge der deutschen Demokratie – klug, unterhaltsam und überraschend aktuell. Ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte für alle, die verstehen wollen, wie Deutschlands Weg in die Moderne begann.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 284

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover for EPUB

Über das Buch

Konrad Adenauer – Visionär, Machtmensch, Architekt eines neuen Staates und Symbol einer ganzen Epoche. Hinter dem Denkmal verbirgt sich ein Mensch voller Widersprüche: ehrgeizig, machtbewusst, visionär – und zugleich geprägt von Zweifeln und Konflikten.

Der renommierte Publizist Wilhelm von Sternburg erzählt Adenauers Geschichte mit erzählerischer Kraft und analytischer Tiefe. Spannend und lebendig zeigt er politische Erfolge ebenso wie menschliche Schwächen und erklärt, wie aus dem rheinischen Patriarchen ein Staatsmann von weltpolitischem Format wurde.

Ein fesselndes Porträt über Mut, Verantwortung und die Anfänge der deutschen Demokratie – klug, unterhaltsam und überraschend aktuell. Ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte für alle, die verstehen wollen, wie Deutschlands Weg in die Moderne begann.

Über Wilhelm von Sternburg

Wilhelm von Sternburg, Jahrgang 1939, war über dreißig Jahre als Journalist für Presse, Rundfunk und Fernsehen tätig. Seit 1993 freier Autor. Sternburg drehte mehrere Filme für die ARD (u. a. über Lion Feuchtwanger, Erich Maria Remarque, Anna Seghers und Arnold Zweig), veröffentlichte Bücher zu historischen Themen "Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie" (1999) "Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Deutschlands langer Weg in die Moderne" (2003) und u.a. Biographien von Adenauer, Lessing, Ossietzky, Remarque, Joseph Roth, Anna Seghers, Arnold Zweig. Wilhelm von Sternburg, Jahrgang 1939, war über dreißig Jahre lang Journalist für verschiedene Zeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen, u. a. Chefredakteur beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks, seit 1993 freier Schriftsteller und Publizist. Sternburg hat u. a. Biographien über Konrad Adenauer, Lion Feuchtwanger, Carl von Ossietzky, Arnold Zweig und Erich Maria Remarque veröffentlicht sowie weitere Titel zu historischen und kulturellen Themen. Letzte Buchveröffentlichungen: Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie (1999), Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne (2003), Die Geschichte der Deutschen (2005). Wilhelm von Sternburg, Jahrgang 1939, war über dreißig Jahre lang Journalist für verschiedene Zeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen, u. a. Chefredakteur beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks, seit 1993 freier Schriftsteller und Publizist. Sternburg hat u. a. Biographien über Konrad Adenauer, Lion Feuchtwanger, Carl von Ossietzky, Arnold Zweig und Erich Maria Remarque veröffentlicht sowie weitere Titel zu historischen und kulturellen Themen. Letzte Buchveröffentlichungen: Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie (1999), Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne (2003), Die Geschichte der Deutschen (2005). Wilhelm von Sternburg, Jahrgang 1939, war über dreißig Jahre lang Journalist für verschiedene Zeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen, u. a. Chefredakteur beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks, seit 1993 freier Schriftsteller und Publizist. Sternburg hat u. a. Biographien über Konrad Adenauer, Lion Feuchtwanger, Carl von Ossietzky, Arnold Zweig und Erich Maria Remarque veröffentlicht sowie weitere Titel zu historischen und kulturellen Themen. Letzte Buchveröffentlichungen: Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie (1999), Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne (2003), Die Geschichte der Deutschen (2005). Wilhelm von Sternburg, Jahrgang 1939, war über dreißig Jahre lang Journalist für verschiedene Zeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen, u. a. Chefredakteur beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks, seit 1993 freier Schriftsteller und Publizist. Sternburg hat u. a. Biographien über Konrad Adenauer, Lion Feuchtwanger, Carl von Ossietzky, Arnold Zweig und Erich Maria Remarque veröffentlicht sowie weitere Titel zu historischen und kulturellen Themen. Letzte Buchveröffentlichungen: Deutsche Republiken. Scheitern und Triumph der Demokratie (1999), Als Metternich die Zeit anhalten wollte. Unser langer Weg in die Moderne (2003), Die Geschichte der Deutschen (2005).

ABONNIEREN SIE DEN NEWSLETTERDER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

https://www.aufbau-verlage.de/newsletter-uebersicht

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Wilhelm von Sternburg

Adenauer Eine deutsche Legende

Biographie

Übersicht

Cover

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Cover

Informationen zum Buch

Newsletter

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Personenregister

Impressum

5

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

66

67

68

69

70

71

72

73

74

75

76

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

95

96

97

98

99

100

101

102

103

104

105

106

107

108

109

110

111

112

113

114

115

116

117

118

119

120

121

122

123

124

125

126

127

128

129

130

131

132

133

134

135

136

137

138

139

140

141

142

143

144

145

146

147

148

149

150

151

152

153

154

155

156

157

158

159

160

161

162

163

164

165

166

167

168

169

170

171

172

173

174

175

176

177

178

179

180

181

182

183

184

185

186

187

188

189

190

191

192

193

194

195

196

197

198

199

200

201

202

203

204

205

206

207

208

209

210

211

212

213

214

215

216

217

218

219

220

221

222

223

224

225

226

227

229

230

231

232

Für Judith, Dodo und Maxi

»Gehen Sie mir mit dem ›Schicksal‹!

Die Politik ist das Schicksal.«

Napoleon

Vorwort

Die Gründerjahre der alten Bundesrepublik und die Politik ihres ersten Kanzlers sind mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 endgültig Geschichte geworden. Erst mit der Wiedervereinigung endete der Zweite Weltkrieg – nicht in seiner moralischen, aber in seiner politischen Dimension – für die Deutschen wirklich. Der Streit um die Deutschland-Politik und die leidenschaftliche Debatte über die Rolle des Gründungskanzlers erscheinen den Jüngeren heute ungefähr so fern wie ihren Großeltern und Eltern die Bismarck-Jahre, der Wilhelminismus, die Weimarer Republik oder die Hitler-Diktatur. Über Adenauer und seine Zeit nachzudenken, bleibt aber deswegen nicht weniger faszinierend. Und das nicht nur, weil vieles, was damals entschieden wurde, von den Heutigen noch miterlebt und miterlitten wurde. Adenauer ist eine geschichtswirkende Figur gewesen. In seiner 1994 erschienenen, umfangreichen und erfrischend kritischen Biographie schreibt der Historiker Henning Köhler: »Eine Persönlichkeit vom historischen Range Konrad Adenauers kommt nicht aus der Mode.« So ist es.

Dieser biographische Essay über einen bedeutenden Staatsmann erschien erstmals 1987, also in einer Zeit, in der Deutschland noch geteilt war und das sowjetische Imperium noch bestand. Es gab zu diesem Zeitpunkt kaum jemanden in Ost oder West, der geahnt hat, vor welchen dramatischen politischen Veränderungen die Welt nur zwei Jahre später stehen sollte. Das Bild Adenauers war damals im Urteil der Deutschen doppelgesichtig: In der Bundesrepublik erschienen mehr oder weniger apologetische Darstellungen seines Lebens und seines politischen Werkes, in der DDR blieb es bei der Verteufelung, die Adenauer dort schon zu Lebzeiten erfahren hatte. Beide Betrachtungsweisen gingen an der Wirklichkeit vorbei. Weder Engel noch Teufel war er, sondern ein Machtpolitiker, der mit Glück und Tüchtigkeit ein beachtliches Werk schuf. Adenauer irrte sich vielfach, und seine Politik beruhte sehr häufig nicht auf rationalen Entscheidungen oder langfristig angelegten Konzeptionen, wie es seine bewundernden Biographen darzustellen bemüht sind, sondern auf Improvisation und Anpassungsbereitschaft. Vor allem aber war das Handeln Adenauers vom Willen zur persönlichen Machterhaltung bestimmt. Aber er war im Gegensatz zur östlichen Propaganda während seiner Kanzlerzeit kein »Kriegshetzer«, »Revanchist« oder »Erfüllungsgehilfe des internationalen Kapitalismus«. Beide Sichtweisen bleiben auch nach der Wiedervereinigung und nach dem Ende der Bonner Republik eindimensional und ideologisch fixiert.

Die Neuauflage dieses Buches ist vom Verfasser nur leicht überarbeitet worden. Korrigiert wurden sachliche Fehler, auf die ihn Kritiker oder neue Arbeiten über Adenauer und die Frühgeschichte der Bundesrepublik aufmerksam gemacht haben. Auch einige analytische Anmerkungen, die von der Aktualität überholt worden sind, wurden ergänzt, geändert oder gestrichen.

Wilhelm von Sternburg

Wiesbaden, September 2000

Kapitel 1

Risse an einem Kanzlerdenkmal

Das Außergewöhnliche läßt sich schon am Lebensalter ablesen. Als Konrad Adenauer am 15. September 1949 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird, ist er 73 Jahre alt. Der Mann, der am 15. Oktober 1963 in kerzengerader Haltung der vierzigminütigen Dankesrede des Parlamentspräsidenten stehend lauscht und Abschied von der so geliebten Macht nehmen muß, ist ein Greis von 87 Jahren. Der andere Gründungskanzler der Deutschen, Otto von Bismarck, war 75, als sich die Gnadensonne der Hohenzollern, an deren Geschlecht er seine schwindelerregende Karriere unauflöslich gebunden hatte, endgültig über ihm verdunkelte. Keiner von Adenauers 22 Vorgängern, mit Ausnahme des »Eisernen Kanzlers«, hat sich über einen Zeitraum von 14 Jahren im Amt halten können. Nur zwei – Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst und Georg von Hertling – waren ebenfalls über 70, als sie ins Kanzleramt berufen wurden. Berufen, nicht gewählt. Helmut Kohl schaffte es mit 16 Kanzlerjahren bislang als einziger von allen Adenauer-Nachfolgern, länger an der Macht zu bleiben.

Das Alter wurde für Adenauer erst ganz spät zur Bürde. Er benutzte bis zum Tod keine Brille, über den 80jährigen sollen die Ärzte mit Bemerkungen wie »er hat das Herz eines Pferdes« und »das Arteriensystem eines jungen Mannes« ins Schwärmen geraten sein. Viele Jahre nutzte es dieser so vollständig der Politik verfallene Mann als erfolgreiche Waffe. Die jüngeren unter seinen Konkurrenten nahmen ihn lange nicht ernst genug, sahen in seinem zähen, von Intrigen und Kämpfen begleiteten Aufstieg nur einen durch die Natur zeitlich begrenzten Übergang – eine Einschätzung, zu der er selbst in entscheidenden Ämter-Diskussionen durch kokette und scharf kalkulierte Hinweise beizutragen wußte. Als der Erfolg sich dann einstellte, als es den Bürgern im westlichen Rumpfstaat des Bismarck-Nachlasses allmählich bewußt wurde, daß sie noch einmal davongekommen waren, der Schuldschein der Geschichte bei den »Brüdern und Schwestern« im Osten, aber nicht bei ihnen mit letzter Konsequenz eingelöst werden mußte, war es zu spät. Da hatten sie schon die »Kanzlerdemokratie«, die mehr und mehr von der Gestalt des alten Mannes am Rhein überragt wurde.

Schon bald nach seinem Tod ist er ein Denkmal geworden. Zumindest in diesem Punkt zeigen sich Ähnlichkeiten mit dem Bismarck-Bild, das in den Jahren zwischen dem Sturz des Kanzlers und dem schmachvollen Verschwinden der Hohenzollern in den Schulbüchern und der Mehrzahl der historischen Schriften dieser Zeit gezeichnet wurde. Verschwunden scheint im Bewußtsein der meisten Deutschen die leidenschaftliche Auseinandersetzung um Adenauers Politik, der Streit etwa um den Weg in das westliche Bündnis, um die Bewahrung der Chance einer absehbaren Rückgewinnung der deutschen Einheit, um die Wiederbewaffnung, um die gesellschaftspolitischen Grundlagen der zweiten, demokratisch organisierten Republik auf deutschem Boden. Seine Biographen stehen bis auf wenige Ausnahmen mehr oder weniger im Bann eines politischen Lebenswerkes, das im Rückblick tatsächlich reichlich Anlaß zu fast kritikloser Bewunderung bietet. In den dickleibigen Werken zur Geschichte der Bundesrepublik, die in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlicht wurden, verkürzen sich die Alternativen zu Adenauers Entscheidungen häufig zu zeitgeschichtlichen Randnotizen, überstrahlt der christdemokratische Parteiführer, Kanzler und Staatsmann seine Gegner und Weggefährten, wird aus dem Flickwerk, das Politik nun einmal immer nur sein kann, ein in weiser Voraussicht entworfenes, in sich stimmiges politisches Konzept. Was teilweise nicht einmal ganz falsch ist, denn Adenauers Denken basierte auf einigen wenigen Grundsätzen, die sich früh herausgebildet hatten und an denen er bis zum Ende starr festhielt.

Aber manche Detailstudie über Entscheidungen und Stationen dieser Karriere gibt tiefere Einblicke in Charakter und Politik Adenauers, als viele Globalbetrachtungen es bislang vermocht haben. Und es bleibt lohnend, die publizistischen Auseinandersetzungen der ersten 20 Jahre der Nachkriegszeit wieder nachzulesen, etwas von dem Geist der Zeit aufzuspüren, in der der »Übermensch« Adenauer noch nicht stilisiert worden war. Denn im Abstand der Jahre sind auch seine journalistischen Kritiker von einst, soweit sie ihn überlebt haben, milder geworden in ihrem Urteil über den Mann und sein Werk.

Die 91 Jahre dieses Politikerlebens überspannen einen historischen Zeitraum, der weit mehr an Veränderungen brachte, als die nackte Zahlenangabe dies auch nur andeuten kann. Konrad Adenauer wurde in einer Welt geboren, in der die großen, verändernden Bewegungen unserer Zeit zwar von manchem Denker und Deuter vorausschauend erkannt wurden, in der Bürger und Aristokraten, Kirchenmänner und Verbandsfunktionäre sich aber noch ganz dem Traum von abendländischer Größe und Einzigartigkeit, vom grenzenlosen persönlichen und nationalen Aufstieg hingaben.

Im Geburtsjahr Adenauers, 1876, war das Reich erst fünf Jahre alt, Bismarcks Koalitions-Alpträume begannen mit der gerade überwundenen »Krieg-in-Sicht«-Krise endgültig in den Mittelpunkt seines politischen Denkens zu rücken. Die Großstädte wuchsen in rasender Geschwindigkeit, die Dampfmaschine revolutionierte die industrielle Produktion, der kurzlebige Gründerboom war bereits von der ersten schweren Konjunkturkrise abgelöst worden. Es sollte nicht die einzige bleiben. Der Aufstieg der Arbeiterbewegung hatte begonnen, die auch in ihren langfristigen Folgen für das Denken der Deutschen verheerend wirkenden Sozialistengesetze kündigten sich schon an, die Mitgliederzahl der Freien Gewerkschaften erreichte die 50 000-Marke. Ferdinand Lassalle war schon zwölf Jahre tot. Aber Oben und Unten blieben noch deutlich getrennt, der gesellschaftliche Sprung innerhalb der festgelegten Klassenstruktur gelang, wenn überhaupt, nur durch die Anpassung an die herrschenden bürgerlichen Ideologien.

Als Adenauer am 19. April 1967 starb, war Deutschland zerstückelt, das britische und französische Weltreich zusammengebrochen, Europa durch zwei selbstmörderische Kriege weltpolitisch an den Rand gedrängt, wuchsen in Asien und Afrika schon längst neue Nationen heran, das Erbe des Kolonialismus als schwere Hypothek in das neue Zeitalter ihrer Geschichte übernehmend. Die Welt wurde beherrscht von zwei Mächten, deren Arsenale sich mit Waffen von unvorstellbarer Zerstörungskraft gefüllt hatten. Auf dem Boden des Landes, das er 14 Jahre regiert hatte, waren bald mehr Nuklearwaffen auf engstem Raum angehäuft als in jeder anderen Weltregion. Das christlich-abendländische Denken, das der Politiker und Katholik Adenauer in den Jahren nach 1945 immer wieder in Wahl- und Parteitagsreden beschwor, es sah sich zudem konfrontiert mit den millionenfachen Morden der Hitler-Jahre.

Das entscheidende politische Erlebnis des Bürgertums jedoch war die russische Oktoberrevolution von 1917. Bis zum Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums verarbeiteten Europas Konservative diesen Alptraum nicht. Was damals geschah und bis fast zum Ende des 20. Jahrhunderts wie ein drohendes Menetekel an der Wand geschrieben stand, löste bei vielen von ihnen weit tiefer wirkende Ängste aus, als es der Faschismus je getan hatte. Adenauer machte hier keine Ausnahme. Auf der letzten Auslandsreise, nur wenige Wochen vor seinem Tod, traf er in Spanien mit Franco zusammen. Der General, so zitiert eine Mitreisende Adenauer, habe auf ihn »einen sehr klugen, überlegten Eindruck gemacht«. Der so Bewunderte hatte einen der blutigsten europäischen Bürgerkriege im vergangenen Jahrhundert ausgelöst und eine faschistische Diktatur errichtet. Als Adenauer ihn besuchte, starben in dem Land dieses treuen Sohnes der katholischen Kirche immer noch Menschen qualvoll durch die Garrotte.

Andererseits ist der Kommunismus, das »materialistische Denken«, in Adenauers Weltverständnis das Urübel seiner Zeit. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Gedanke durch zahllose Reden, Briefe oder die Erinnerungsbücher dieses Politikers. Er hat denn auch, verstärkt durch die weltpolitischen Konstellationen des für die Geschichte der Deutschen so entscheidenden ersten Nachkriegsjahrzehnts, die Politik Adenauers nachdrücklicher beeinflußt als jede andere politische Idee. Dieser bedeutende Staatsmann, der der Natur ein Schnippchen schlagen konnte, da er scheinbar alterslos und mit ungeheurer Schaffenskraft durch seine Greisenjahre schritt, blieb in diesem Punkt ganz in den Traditionen des Bürgertums verhaftet, wurde Opfer seines eindimensionalen Denkens.

So ist er schließlich nicht nur der Gründungskanzler der Bundesrepublik geworden, sondern blieb auch der Teilungskanzler der Deutschen. Wie sich nämlich zeigen sollte, schloß das Eine, der wieder souveräne Staat, fest verankert in einem westlichen Militärbündnis, das Andere, die Rettung der Einheit der Deutschen, solange aus, bis das kommunistische Imperium ökonomisch und damit machtpolitisch zusammenbrach.

Kurt Schumacher und Jakob Kaiser sahen dies mit großer Klarheit. Ob ihnen, hätten sie im Machtkampf mit Adenauer den Sieg davongetragen, die Bildung eines freien und geeinten Deutschland damals gelungen wäre, erscheint dagegen sehr fraglich. Denn die Furcht vor der Wiederherstellung eines gesamtdeutschen Staates, der seine Nachbarn bereits zweimal in lange, blutige Auseinandersetzungen gestürzt hatte, beeinflußte nicht nur das Denken Stalins. Daß der rote Diktator von einer unersättlichen Landgier besessen war, kam noch hinzu. Aber auch in den Hauptstädten des Westens fanden die Deutschen kaum entschiedene Vorkämpfer für ihre Einigungswünsche. Es gehört zu den Illusionen der Adenauer-Jahre, daß die in den Westverträgen den Verbündeten abgerungenen Wiedervereinigungsbekenntnisse mehr bedeuteten als diplomatische Floskeln, mit denen dem bundesdeutschen Wähler die Zustimmung zur einseitigen Westorientierung schmackhafter gemacht werden sollte. Noch 1990 reagierten Frankreichs Präsident François Mitterand und die britische Premierministerin Maggie Thatcher überaus irritiert, als die Deutschen sich aufmachten, wieder gemeinsam in einem Staat zu leben.

Ob Adenauer selbst ernsthaft daran geglaubt hat, ein wiederhergestelltes Gesamtdeutschland gehöre zu den Zielen der Westalliierten, scheint bei der Klugheit dieses Politikers wenig wahrscheinlich. Auch wenn er häufig einem Wunschdenken erlegen war – in dieser zentralen Frage der Nachkriegspolitik kann er im Grunde nur mit beträchtlichen Realitätsverdrängungen Opfer eines Selbstbetrugs geworden sein. Es sei denn, die Politik des Rheinländers hätte ohnehin ganz andere Perspektiven gehabt als die dem Wähler dargelegte Doppelstrategie, Freiheit und Einheit durch Stärke und Westallianz. Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg stellte Walther Rathenau lapidar fest: »Zieht Preußen von Deutschland ab, was bleibt? Ein verlängertes Österreich, eine klerikale Republik? Der Rheinbund.« Rheinbund-Gedanken aber trieben bereits den Kölner Oberbürgermeister der Weimarer Jahre recht heftig um. Adenauer lehnte die Wiedervereinigung in den Jahren seiner Kanzlerschaft natürlich nicht ab, aber seit den zwanziger Jahren besaß der Rheinstaat für ihn politische Priorität. Das blieb auch nach 1949 so.

Nun war es in den Jahrzehnten nach Adenauers Tod üblich geworden, Kritiker seiner Deutschlandpolitik unter der Rubrik »verkappte deutschnationale Staatsanwälte« (Hans-Peter Schwarz) abzulegen. Ein seltsames Wissenschaftsverständnis offenbarte sich da, und es zeigt sich gerade in diesem Punkt, wie empfindlich die geistigen Hüter des Erbes reagierten, wenn Risse am Kanzlerdenkmal auch nur angedeutet wurden.

Wer aber Schein und Wirklichkeit der Adenauerschen Politik zu beschreiben versuchte, die Widersprüchlichkeiten aufzeigte, die sich bei der Beurteilung von Wort und Tat offenbarten, mußte damit keineswegs ein großdeutsches Plädoyer ablegen. Es gab im Rückblick auf die europäische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr gute Gründe, einem starken deutschen »Reich der Mitte« mit Skepsis gegenüberzustehen, als etwa seine Wiedererrichtung zu befürworten.

Das Bismarck-Reich erlebte schon 47 Jahre nach seiner Gründung die ersten territorialen Beschädigungen, nach 75 Jahren war es wieder von der europäischen Landkarte verschwunden. In der tausendjährigen deutschen Geschichte blieb es also lediglich ein Zwischenspiel, dazu noch das dunkelste, das Europa je erlebt hat. Bevor Bismarck und Moltke in drei Kriegen ihr Reich zusammenschweißten, lebten die Deutschen mit zahllosen Grenzen, die ihre Länder voneinander trennten. Die Landschaft, die Konrad Adenauer hervorgebracht hat, gehörte zum frühen »Beutegut« Preußens. In diesen Regionen war die Erinnerung an die Zeit davor, an die eigenen, in Jahrhunderten gewachsenen Traditionen keineswegs erloschen. Nach dem kurzen wilhelminischen Rausch, der auch die Rheinländer und die Bayern nicht kalt gelassen hatte, tauchten sie wieder mit neuer Macht empor. Weniger vielleicht bei den Volksmassen, die nach beiden Kriegen ganz andere Sorgen hatten, ums nackte Überleben kämpfen mußten. Aber die wirtschaftlichen und politischen Eliten liebäugelten im Westen und Süden stärker mit Autonomieideen und Rumpfstaatgedanken, als sie es später öffentlich eingestehen wollten.

Schließlich bleibt auch mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte immer noch nachdenkenswert, was Jürgen Habermas in einer Betrachtung über die deutsche Zeitgeschichtsschreibung formuliert hat. »Die vorbehaltlose Öffnung der Bundesrepublik gegenüber der politischen Kultur des Westens«, so schrieb er in den achtziger Jahren, »ist die große intellektuelle Leistung unserer Nachkriegszeit, auf die gerade meine Generation stolz sein könnte.«

Das politische Gebilde, in dessen Gründungsphase Konrad Adenauer an entscheidender Stelle mitwirkte, wurde der erste deutsche Staat, in dem sich die große Mehrheit der Bürger uneingeschränkt zur parlamentarischen Demokratie angelsächsisch-französischer Prägung bekannt hat. Selbstverständlich war dies nicht, wie die Jahre der Weimarer Republik nachdrücklich gezeigt haben.

Und doch kann nicht übersehen werden, daß der Preis dieser Westorientierung von den 17 Millionen Deutschen östlich der Elbe entrichtet werden mußte. Ob er mit einer anderen Politik hätte gesenkt werden können, ob die Neutralisierung eines geeinten Deutschlands, eine deutsche Österreich-Lösung, je im Bereich des Möglichen gelegen hat, läßt sich wohl nie schlüssig beweisen. Aber daß Adenauer es in den entscheidenden Jahren nachdrücklich abgelehnt hat, auch nur ernsthaft zu prüfen, ob Chancen für einen solchen Weg gegeben waren, das läßt sich schon aus den Dokumenten erfahren, zu denen der Zugang niemandem mehr verwehrt wird.

Daß jeder Schritt zur Westintegration die Grenzpfähle zwischen beiden Teilen Deutschlands fester einrammte, haben viele Zeitgenossen dieses Kanzlers mit aller Deutlichkeit gesehen und gesagt. Und wie starr er an seinem unter den gegebenen politischen Konstellationen damals uneinlösbaren Stufenplan – erst Westbündnis, dann Wiedervereinigung – festhielt, schreibt er am Lebensende nicht nur selbst, sondern das zeigt auch sein jahrelanger Kampf gegen jedes Entspannungssignal aus Washington, London oder Paris. Als er dann, die drohende außenpolitische Isolierung erkennend, mit »Burgfrieden«-Vorschlägen und der Forderung nach Erleichterungen für die Bürger der DDR an Moskau herantrat, waren die Karten längst gemischt. Wie tief er das Scheitern seiner Deutschlandpolitik – sollte sie denn ernsthaft auf eine Wiedervereinigung angelegt gewesen sein – empfunden hat, darauf deutet seine Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer im August 1961 hin. Der Kanzler verstummte. Er, der große Taktiker und Massenpsychologe, weigerte sich nach Berlin zu fliegen, versuchte Wahlkampf zu betreiben, als sei die Mauer ein Zwischenfall von vielen. Was hätte er auch sagen sollen, dämmerte es doch spätestens jetzt immer mehr Deutschen, welchen deutschlandpolitischen Leerformeln sie aufgesessen waren.

Bis in die letzten Lebensmonate hinein hat Adenauer versucht, an der Legende seiner Wiedervereinigungs-Strategie zu stricken. Die »Erinnerungen«, nach dem Abschied aus dem Amt geschrieben und unvollendet geblieben, sind durchzogen von Bekenntnissen zur »Politik der Stärke«, die allein die Sowjetunion zur Umkehr in der Deutschlandfrage bewegen könne. Die verzweifelten Wiederholungen dieser These nehmen schon beinahe pathologische Züge an. Er hat vielleicht gespürt, daß das Urteil der Geschichte über seine Kanzlerschaft gerade in diesem Punkt wenig schmeichelhaft ausfallen würde. Denn wer die öffentlichen Reden Adenauers durchblättert, sich die Wahlkampfparolen seiner Partei in den fünfziger Jahren in Erinnerung ruft, dem wird deutlich, welch tiefe Unwahrhaftigkeit die politische Auseinandersetzung der Adenauer-Zeit um die Einheit beherrscht hat. Daß sie dann ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod doch Wirklichkeit wurde, hatte weniger mit deutscher Politik als vielmehr mit innersowjetischen Entwicklungen zu tun.

Kapitel 2

Annäherung an einen Charakter

Konrad Adenauer war Rheinländer. Die Landschaft seiner Geburt hat ihn über ein weitgespanntes Leben hinweg nicht losgelassen. Hier wuchs er auf, hier baute er seine Häuser, von hier stammten seine beiden Frauen, hier wurden seine Kinder geboren, hier erfüllten sich seine zwei politischen Karrieren. Mit Ausnahme einiger Studiensemester, dem kurzen, erzwungenen Aufenthalt während der Nazi-Zeit in Berlin und den Kanzler- und Urlaubsreisen ins Ausland, hat er das Rheintal kaum verlassen. Die Sprache, die Kultur, die Konfession dieser Region haben sein Denken, seine Sicht der Welt entscheidend geformt. Schließlich gründete er am Rhein das neue politische Zentrum Westdeutschlands.

Das politische Rheinland blickte – wenn auch mit sehr wechselhaften Gefühlen – seit jeher nach Westen. Das Geschehen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, der Handel mit dem britischen Weltreich berührte es häufig stärker als die Vorgänge im Osten. Berlin lag vom Rhein her gesehen oft ferner als Paris. Der Eroberer Napoleon fand in den Rheinstaaten seine engsten Verbündeten unter den Deutschen, Bismarck in den Jahren des Kulturkampfes seine stärksten Widersacher. Die separatistischen Auflösungstendenzen, die in den Weimarer Jahren mehrfach aufflammten, belebten die Rheinbund-Träume mancher rheinischer Industrieller und Politiker.

Im benachbarten Ruhrgebiet entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Deutschlands mächtigste Industrieregion. In Köln, lange Zeit aus seiner bis in die Tage der Römer hineinreichenden Mittelpunktsrolle verdrängt, entstand ein bedeutendes Banken- und Gewerbezentrum. Als von 1917 an der Oberbürgermeister Konrad Adenauer hieß, stieg die Stadt wieder zur wirtschaftlichen und politischen Vormacht des Rheinlandes auf.

Preußische Provinz wurde es, als die »Heilige Allianz« in Wien das europäische Erbe Napoleons unter sich aufteilte. Gewöhnt hatten sich die Rheinländer nur schwer an die neuen protestantischen Herren aus dem Osten. Die Liberalen empörte die konservative Staatsideologie der Preußen, der wachsende Druck der Restaurationspolitik, der auf die Napoleon-Ära folgte. Die Katholiken litten unter der Entmachtung, die auch in der Besetzung führender Verwaltungspositionen durch Protestanten ihren Niederschlag fand. Die Kölner blickten neidisch nach Koblenz, das Preußen nicht ohne machtpolitischen Hintersinn zur »Hauptstadt« seiner neuen Provinz gemacht hatte.

Abgeschwächt wurden die anti-preußischen Affekte erst ganz allmählich: Als 1870 die vaterländische Begeisterung die Deutschen nach Sedan und Paris blicken ließ, Bismarck den Kulturkampf beendete, der wilhelminische Imperialismus das Bürgertum in der Bülow-Ära endgültig überwältigte, glanzvolle Kaiserbesuche versöhnliche Akzente setzten. Die besitzende Klasse arrangierte sich ohnehin rasch, als sie merkte, daß die Zollunion und dann die Reichsgründung neue ökonomische Perspektiven eröffneten.

Wer sich dem Charakter und dem politischen Weltbild Adenauers zu nähern versucht, der wird den hohen Stellenwert seiner Eingebundenheit in diese deutsche Landschaft kaum überschätzen können. Als ihn die Vaterstadt 1951 zum Ehrenbürger macht, dankt er mit einem persönlichen Bekenntnis: »Sie wissen, daß ich hier geboren bin, daß ich meine Jugend hier verbracht habe, daß dieser Stadt die Kraft meiner Mannesjahre gegolten hat. Aber was ich dieser Stadt gegeben habe, das hat mir dieser Boden und diese Stadt hundertfach wiedergegeben. Denn was ich bin – im Guten und im Schlechten –, das ist gewachsen auf diesem Boden und geformt worden von dieser Umgebung und in dieser Atmosphäre.«

Dieses Köln, seine Weltoffenheit, der liberale Pragmatismus, der es so auszeichnete, die sprichwörtliche »Klüngelei«, mit der im Schatten des Doms Geschäfte betrieben und wichtige Posten vergeben wurden, hat Adenauer bis in die Sprache hinein geformt. Seine Härte, die Skrupellosigkeit bei der Wahl der Mittel, mit denen er ehrgeizig seine Karriere vorantrieb oder seine Politik durchsetzte, sein ausgeprägter Zynismus, mit dem er Menschen behandelte, sie nutzte oder fallen ließ, je nach Bedarf und Situation, dies alles wurde für die Umwelt (und die Wähler) häufig abgemildert durch die weichen, verharmlosenden Klänge des von ihm so gern genutzten rheinischen Dialektes.

Da ihm zudem die Gabe der Schlagfertigkeit in hohem Maß gegeben war, gelang es Adenauer in schwierigen Verhandlungen immer wieder, mit seinem »rheinischen Humor« dramatische Situationen zu entkrampfen, unangenehmen Fragen auf Pressekonferenzen durch recht nichtssagende humorige Antworten auszuweichen, überschäumende Emotionen auf Parteitagen oder politischen Konferenzen souverän zu glätten. Das Kalkül, das hinter dieser Haltung stand, haben viele, die mit ihm oder gegen ihn arbeiteten, erst durchschaut, als die Entwicklung längst über sie hinweggegangen war, Adenauer seine persönlichen oder politischen Ziele durchgesetzt hatte.

Eine vielleicht noch bedeutendere Mitgift aus dem rheinländischen Erbe war Adenauers nie verlorengegangene Fähigkeit, pragmatisch zu operieren. Politik war für ihn ein durch und durch praktisches Geschäft, im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunst, das Mögliche zu erreichen. Von theoretischen Disputen hielt er wenig, der Haltung von Menschen, die aus einer inneren Überzeugung heraus kompromißunfähig waren, stand er fremd gegenüber. Grundsätze gab er zwar nicht immer auf, aber er wußte kühl abzuwägen, wo – aus seiner Sicht – weniger wichtiges für wichtigeres geopfert werden mußte. Beim Streit im Parlamentarischen Rat um Einzelformulierungen des Grundgesetzes stand er beispielsweise weitgehend abseits. Er interessierte ihn nur wenig. Die Verfassung war für ihn ein politisches Instrument und keine Glaubensfrage. Der Anti-Militarist Adenauer wurde zum sehr frühen und auf deutscher Seite entscheidenden Antreiber der Wiederbewaffnung, weil sie für ihn gegenüber den Westalliierten der Schlüssel zur Rückgewinnung der staatlichen Souveränität war. Die Gewerkschaftsführung gewann er für die Unterstützung seiner Außenpolitik, indem er ihr die keineswegs auf der Linie seiner Unternehmerfreunde liegende Montanmitbestimmung zugestand.

Ein Blick auf die Rheinlanddebatte von 1923 unterstreicht die Kontinuität dieser Haltung: Als Adenauer damals erkannte, daß die Briten seine Pläne nicht unterstützten, es ablehnten, Druck auf die Regierung in Paris auszuüben, bot er sich bedenkenlos den Franzosen an. In den Diskussionen dieser Wochen mit den Kanzlern Stresemann und Marx spielte er mit viel Überzeugungskraft den treuen Reichsdeutschen, dagegen bei Paul Tirard, dem Contrôleur Général der besetzten Gebiete, gleichzeitig nicht weniger leidenschaftlich den Rheinstaat-Befürworter.

Dieser ausgeprägte Hang zum Pragmatismus fehlte den meisten seiner politischen Gegner. Kurt Schumacher, dem großen Widerpart der ersten Nachkriegsjahre, ging eine solche Haltung völlig ab. Seine harschen Formulierungen, sein Beharren auf Grundsatzpositionen, seine Unversöhnlichkeit, wenn es um die Sache ging, ließen ihn gegenüber Adenauers Geschmeidigkeit vielfach abstoßend wirken, trugen nicht wenig dazu bei, den Parteiführer der Christdemokraten als sympathischere Personalalternative erscheinen zu lassen.

Schumachers Haltung sollte für die Sozialdemokraten im übrigen bald ganz handfeste machtpolitische Folgen haben. Auf dem Weg von der Bi-Zone zur Bundesrepublik begab sich die SPD in einigen, für die Zukunftsgestaltung der heraufdämmernden Republik ganz entscheidenden Gremien freiwillig in die Opposition, weil sie zum Beispiel in personellen Fragen nur ein Entweder – Oder kannte. Am verhängnisvollsten sollte sich die Entscheidung auswirken, die der SPD-Fraktionsvorsitzende im Wirtschaftsrat, Erwin Schoettle, am 24. Juni 1947 verkündete. Seine Partei lehne jede Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Mehrheit ab, erklärte er, da diese einen sozialdemokratischen Leiter des Wirtschaftsressorts nicht akzeptiere. Auf dem Felde der Wirtschaftspolitik aber fiel dann 1953 die endgültige Entscheidung der westdeutschen Wähler, denn das sich anbahnende »Wirtschaftswunder« und nicht Adenauers noch lange umstrittene und gefährdete Außenpolitik führten zu seinen Wahltriumphen.

Einem Mann wie Adenauer wäre es im Gegensatz zu Schumacher nicht im Traum eingefallen, kampflos, ohne Suche nach der zweitbesten Lösung für sich und seine Partei irgendeinen Platz zu räumen. Ihm war kaum ein Winkelzug zu abwegig, kein Umweg zu mühsam, kein Feilschen zu aufwendig, wenn es galt, Macht zu halten oder zu erobern.

Aber auch die eigenen Parteifreunde hatten nicht selten Mühe, den Pragmatismus ihres Vorsitzenden richtig einzuschätzen. Die verschlungenen Wege, die Adenauer einschlug, um seine Partei vom »sozialistischen« Ahlener Programm zur weitgehend »kapitalistischen« Marktwirtschaft zu führen, bieten dafür ein recht anschauliches Lehrstück. Die Korrespondenz mit Heinrich von Brentano weist zudem eine Fülle von Beispielen auf, wie schwer es die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag mit »ihrem« Kanzler hatte. Adenauer ließ sich, zumindest solange seine Stellung innerparteilich unangreifbar war, von den Unions-Abgeordneten in seinen Handlungen nicht einengen. Die Parlamentarier hatten abzustimmen, der Kanzler (und unter seiner, wie er es gerade für notwendig hielt, einfühlsamen oder autoritären Lenkung, das Kabinett) zu entscheiden, in welche Richtung ihr Votum fallen sollte.

Ein Brief in der Korrespondenz des damaligen Fraktionsvorsitzenden Heinrich von Brentano an Adenauer illustriert dies recht anschaulich. Als der Kanzler eine geplante parlamentarische Mitbestimmungsinitiative der Union öffentlich scharf kritisiert hatte, schrieb der sich hintergangen fühlende Brentano am 25. Mai 1950: »Meine Freunde in der Fraktion und ich hatten eigentlich angenommen, daß der Verlauf der Fraktionssitzung, in der wir Ihnen auch die Gründe für unser Vorgehen in der Frage der Mitbestimmung zu erklären versuchten, Sie überzeugt hatte. Zahlreiche Mitteilungen, die ich in den letzten Wochen in der Presse finde, scheinen mir allerdings dafür zu sprechen, daß noch tiefgehende Mißverständnisse und Meinungsunterschiede offen geblieben sind.« Eine ebenso richtige wie folgenlose Feststellung, denn Adenauer dachte gar nicht daran, auf den Kurs der Fraktion einzuschwenken.

So wenig, wie er sich von Programmen oder Parteitagsbeschlüssen festlegen ließ, irritierten ihn Einwände oder Beschwörungen der frustrierten Fraktionsspitze. Zumal der wachsende Erfolg des Kanzlers die CDU mehr und mehr zu einem gutfunktionierenden Organisationsapparat für die Durchführung von Wahlen verkommen ließ, und dem Parteivorsitzenden weder in Heinrich von Brentano noch einem anderen führenden Unionspolitiker auch nur eine annähernd ebenbürtige Persönlichkeit gegenüberstand.

Politik läßt sich nicht durchsetzen, wenn der Akteur auf der Weltbühne nur die moralischen Forderungen der Bergpredigt zum Maßstab seines Handelns nimmt. Der Politiker Adenauer hat häufig in seinem Leben die Wahrheit umgebogen, um zum Ziel zu gelangen. Er halte es je nach Lage mit der »einfachen«, der »reinen« oder der »lauteren« Wahrheit, soll er – in seiner bekannt verharmlosenden Art – zu diesem Thema geäußert haben. Weniger milde ausgedrückt, läßt sich an vielen Briefäußerungen oder öffentlichen Reden nachweisen, daß er, wenn es nicht zu umgehen war, mit handfesten Lügen seinen Standpunkt durchzusetzen versuchte. Ob er dabei im Vergleich zu anderen Politikern über dem statistischen Durchschnitt lag, mag dahingestellt sein. Aber was die ihn bewundernden Zeitgenossen oder die verehrenden Biographen mit einem Einverständnis signalisierenden Augenzwinkern als Taten eines »schlauen Fuchses« em pfanden, verdeckt dunkle Charakterzüge eines Machtmenschen, der im Umgang mit der Wahrheit ganz und gar nicht pingelig war. Immer auch machte Adenauer sehr schnell andere für Fehlentscheidungen verantwortlich, die er selbst getroffen hatte. Wobei er die Wahrheit stets meisterhaft zu verdrängen verstand.

Allerdings ist unübersehbar, daß Adenauers pragmatische Grundhaltung ihn befähigte, über dem Weg nicht die Ziele seiner Politik aus den Augen zu verlieren. So wurde sie zu einem entscheidenden Fundament seines politischen Erfolges. Dies gilt für die Kölner Oberbürgermeisterjahre nicht weniger als für seine Überlebensstrategien während der Nazi-Zeit und die Kanzlerjahre in Bonn. Eine Fülle von Handlungen und Reaktionen Adenauers zeigt dies.

Um die von ihm ziemlich allein geforderte Mühlheimer Hängebrücke 1926 gegen den heftigen Widerstand der Kölner Stadtverordneten, die eine Bogenbrücke der Firma Krupp favorisierten, durchzusetzen, paktierte er mit den Kommunisten. Ihnen pries er die Hängebrücke -Konstruktion mit Hinweis auf Leningrad als technische Leistung der fortschrittlichen Sowjetunion. Die Kölner Kommunisten gaben dann den Ausschlag für Adenauers Sieg bei der entscheidenden Abstimmung. Die Kölner Bürgerparteien und die SPD vergaßen ihm diese Taktik nicht. Als wenig später seine Wiederwahl anstand, erreichte er die zweite Amtszeit als Oberbürgermeister nur noch mit der Mehrheit von einer Stimme.