After the Storm - Kaninchen in Cornwall - Waltraud Batz - E-Book

After the Storm - Kaninchen in Cornwall E-Book

Waltraud Batz

0,0

Beschreibung

Als Bettina während eines Londontrips Sam trifft, rechnet sie nicht damit, bereits wenige Wochen später auf der sehr britischen Geburtstagsfeier seiner Mutter seine Freundin spielen zu müssen. Kaum ist diese Herausforderung überstanden, verliert Bettina in Deutschland Job und Wohnung. Daraufhin lädt Sam sie zu sich nach New York ein, wo er gerade eine TV-Serie dreht. Sie kehren zwar als Paar aus New York zurück, doch die traute Zweisamkeit lässt noch auf sich warten. Ein Roman für Englandfreunde

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

After the Storm - Kaninchen in Cornwall

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44 / Epilog

Nachwort und Danksagungen

Weitere Bücher von Waltraud Batz

Leseprobe "Cloverlane Farm"

Über das Buch

Als Bettina während eines Londontrips Sam trifft, rechnet sie nicht damit, bereits wenige Wochen später auf der sehr britischen Geburtstagsfeier seiner Mutter seine Freundin spielen zu müssen.

Kaum ist diese Herausforderung überstanden, verliert Bettina in Deutschland Job und Wohnung. Daraufhin lädt Sam sie zu sich nach New York ein, wo er gerade eine TV-Serie dreht.

Sie kehren zwar als Paar aus New York zurück, doch die traute Zweisamkeit lässt noch auf sich warten.

 

Ein Roman für Englandfreunde

 

 

Zeitliche Einordnung

Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2018.

 

 

Über die Autorin

1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.

Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gern, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln.

 

 

Weitere Bücher von Waltraud Batz

Cloverlane Farm

ISBN 978-3-7541-0921-2 Taschenbuch

ISBN 978-3-7541-0922-9 E-Book

Waltraud Batz

 

 

After the Storm

 

– Kaninchen in Cornwall

 

 

Roman

 

 

 

1. Auflage 2021

 

Texte und Umschlag

© 2021 Claudia Wissemann

 

Verantwortlich

Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel

 

Druck

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Kapitel 1

 

 

War er es? Oder war er es nicht?

Bettina schaute noch einmal genauer hin, vorbei an der Touristengruppe, die nass und fröstelnd ihrem Reiseführer durch den Londoner Sprühregen ins nahgelegene Museum folgte.

Er konnte das doch nicht sein? Und hier einfach so herumstehen, an einem ungemütlichen, kalten Februarnachmittag. Oder doch? Bettina hielt einen ihr angemessen erscheinenden Sicherheitsabstand und schaute zur Ablenkung hinüber zum anderen Themseufer, das leicht vernebelt und grau in grau wenig einladend aussah. Aber imposant war es schon, das Gemisch aus alten und neuen Gebäuden, dahinter eine wirklich beeindruckende, dunkelgraue Wolkenwand, dazu das Schreien einiger Möwen. London im Februar.

Es hatte schon den ganzen Tag geregnet, mal mehr, mal weniger. Gestern und vorgestern war es nicht besser gewesen. Momentan war es erträglich, lediglich die Luft war immer noch nass. Etwas Sprühregen und Gischt, aber es regnete immerhin nicht in Strömen.

Bettina zog ihre Kamera aus der Fototasche und machte ein paar Bilder vom anderen Flussufer. Sie wagte erneut einen Blick hinüber zu … Sam. Sam Baker? Klar konnte er es sein, rein theoretisch, immerhin wohnte er hier in London, aber dass sie ihn in freier Wildbahn auf der Straße treffen würde, das hatte sie nun wirklich nicht vermutet. Sam war Schauspieler und Bettinas erklärter Liebling in der britischen TV-Serie ‚After the Storm’, die momentan hier, in vielen anderen Ländern und auch in Deutschland an Beliebtheit kaum zu übertreffen war.

Er hatte sich mittlerweile auf das Geländer gelehnt, den Kragen seiner Jacke hochgeklappt, und starrte auf den grauen Fluss. Als sich zwei Männer in Anzügen neben ihn stellten und ebenfalls einen Blick auf das Wasser warfen, nickte Sam ihnen zu und sie wechselten einige Worte.

Er war es, eindeutig. Der Blick, das Grinsen, seine ganze Mimik und Gestik. Bettinas Magen zog sich zusammen und ihr wurde warm, auch wenn es um sie herum so kalt war, wie es eben in London am Wasser kalt war um diese Jahreszeit. Die beiden Männer verschwanden schnellen Schrittes wieder, wohl, um dem nun erneut einsetzenden Nieselregen zu entgehen.

Bettina schaute den beiden kurz nach und wieder zu Sam hinüber, der sie nun direkt ansah. Sie wusste sofort, dass er wusste, dass sie es wusste. Dass sie ihn erkannt hatte. Das war eine der Eigenschaften, die Bettina an Sam so faszinierten. Er konnte mit dem Heben einer Augenbraue oder dem Zucken eines einzelnen Gesichtsmuskels mehr Botschaften übermitteln als andere Schauspieler mit minutenlangen Monologen. Momentan war es ein ganz leichtes Schließen seines rechten Auges, verbunden mit einem nur angedeuteten Stirnrunzeln. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken oder hätte sich in Luft aufgelöst, aber beides klappte nicht, so sehr sie sich auch anstrengte. Sie konnte aber auch nicht wegsehen. Die Situation war an Peinlichkeit kaum zu toppen und ihr wurde übel. Er musterte sie, ohne sich zu bewegen. Seine Mundwinkel zuckten, beide nacheinander, und dann sah er sie offen an, beide Augenbrauen angehoben. Bettina kam es vor wie die Aufforderung, oder eher die Erlaubnis, näher zu kommen.

Wollte sie das? ‚Ja, natürlich willst du das!’, schimpfte sie gedanklich mit sich selbst. Gleichzeitig war sie wie paralysiert und konnte sich so gar nicht vorstellen, diese enorme Strecke von geschätzt immerhin ungefähr fünf Metern zu überwinden. Ihr war immer noch viel zu warm. Ihre Hände waren feucht, sicher vom nassen Metallgeländer, und ihre Knie waren instabil, bestimmt, weil es so kalt war und sie den ganzen Weg von Westminster bis hierher gelaufen war. Oder weil sie sich gerade in der schlimmsten Stresssituation ihres bisherigen Lebens befand, zumindest gefühlt.

Nach einer weiteren, Bettina wie eine Ewigkeit vorkommenden Sekunde lächelte Sam kurz und schaute dann wieder aufs Wasser.

Bettina atmete durch und entschied, hinüberzugehen, Hallo zu sagen, und ihm vielleicht mitzuteilen, dass sie die Serie mochte. Falls sie das hinbekam. Sie bezweifelte es, aber die Situation war eh schon peinlich genug. Sie schaffte es ohne hinzufallen oder weitere Katastrophen bis zu ihm.

Er sah zu ihr herüber und lächelte. Gleichzeitig sah er aus, als wäre er sich nicht ganz sicher, was er von ihr zu halten hatte. „Hi.“

„Hi“, brachte sie ebenfalls heraus und versuchte, freundlich zu klingen.

Sam schaute sie an und sie fühlte sich, als könne er ihre Gedanken lesen und alles sehen, was sie sich so über ihn und mit ihm in letzter Zeit zusammengesponnen hatte, und das war jede Menge. Nichts davon hätte sie je irgendjemandem erzählt. Seine Augen erschienen ihr heller als im Fernsehen.

„Du sprichst nicht mit jedem, hm?“, fragte er.

„Was?“

„Ich bin das ja gewohnt, dass Leute mich erkennen und zu mir kommen, aber meist sprechen sie auch.“ Er hatte nun ein schelmisches Funkeln in den Augen.

„Äh. Entschuldige bitte. Ich bin nur … etwas erstaunt, dich hier zu treffen“, brachte Bettina auf Englisch heraus und hoffte, dass es passabel verständlich klang.

„Ich wohne hier“, sagte Sam und lachte. Er lehnte immer noch mit den Unterarmen auf dem Geländer und legte nun den Kopf schräg, die Wange fast an seine Schulter gepresst. „Also nicht genau hier … aber in London.“

Bettina lachte kurz mit und schüttelte den Kopf. „Ich …“

„Ist schon okay.“ Sam richtete sich auf und streckte ihr die rechte Hand hin. „Hi, schön, dich zu treffen, ich bin Sam.“

Sie ergriff seine Hand und schüttelte sie. Er hatte einen angenehmen Händedruck, trocken, warm, fest.

„Ich bin Bettina.“

Er steckte beide Hände in seine Jackentaschen. „Wo kommst du her?“

„Deutschland.“

„Ah.“ Es war ein neutral bis freundliches ‚Ah’, einfach eine Bestätigung, dass er sie verstanden hatte. „Und du machst hier Urlaub? Im Februar? Das ist die beste Reisezeit für London.“ Den letzten Satz hatte er mit einem Gesichtsausdruck untermalt, bei dem Bettina nur kurz die Schultern anhob und lachen musste. „Ich hatte noch Urlaub übrig und wollte zu Hause raus. Das Hotel und der Flug waren echt günstig.“

Sam nickte. „Ja. Ja … kann man machen.“ Er lachte erneut. Es war ein offenes Lachen, und sehr sympathisch. Dann wurde er wieder ernst. „Willst du ein Beweisbild, dass du mich getroffen hast? Oder ein Autogramm?“

„Hm. Ist es arg unhöflich, wenn ich sage, nein, ich finde das schrecklich?“

„Du findest mich schrecklich?“

„Nein … um Himmels Willen. Ich … mag dich sehr gern und ich liebe die Serie.“

„Aha?“, machte er, hob eine Augenbraue und sah ein wenig verwirrt aus.

„Ich meine diese Bilder. Ich finde das arg unhöflich. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich finde, diese Fanbilder sehen immer aus wie Jagdtrophäenbilder, auf denen Jäger mit dem erschossenen Tier posieren. Das ist irgendwie falsch.“

Sam hatte seine linke Augenbraue immer noch hochgezogen und kratzte sich an der Nase. Er schaute in die Luft, nickte leicht und sah Bettina mit erhobenem Kinn an. Er war ein Stückchen kleiner als sie. „Interessante Sichtweise. Und du hast vollkommen recht. So fühle ich mich auch meistens bei diesen Bildern.“

„Das tut mir leid.“

Er schloss kurz die Augen. „So ist das nun mal.“

Es begann, stärker zu nieseln. Er räusperte sich. „Ich gehe jetzt einen Kaffee trinken. Magst du mitkommen?“ Er schaute sie an.

„Klar, warum nicht“, murmelte sie. Hatte er das eben wirklich gefragt? Sam Baker hatte sie gefragt, ob sie mit ihm einen Kaffee trinken möchte? Das wurde ja immer absurder.

Als er sich in Bewegung setzte, lief sie wie automatisch mit ihm mit. Es war ein schönes, auf seltsame Art vertrautes Gefühl, neben ihm zu laufen, auch wenn ihr Hirn das Ganze noch nicht wirklich verarbeiten konnte.

Sie hatte diesem Mann so viel zu verdanken. Bettina hatte die Serie erst letztes Jahr entdeckt und die bis dahin erschienenen drei Staffeln regelrecht verschlungen. Und mittlerweile so oft gesehen, dass sie sie fast mitsprechen konnte. Sam und Joe, so hieß der Typ, den er in der Serie spielte, hatten sie durch einen Jobwechsel, den Tod ihrer Oma, die Streitereien mit und letztlich die Trennung von ihrem Freund sowie den Umzug in eine neue Wohnung begleitet. Die Serie, Fanseiten, Blogs und das ganze Drumherum im Internet hatte sie in diesen schwierigen Zeiten über Wasser gehalten und Sam war für sie mittlerweile so etwas wie ein enger Vertrauter und Ziel so manchen Tagtraumes. So kompromisslos, aggressiv und manchmal auch unüberlegt Joe war, Sam schien das Gegenteil zu sein. Sie hatte alles über ihn und mit ihm geschaut, was sie kriegen konnte. Seine anderen Serien und Filme, viele waren es leider nicht, Auftritte im britischen Fernsehen, Interviews … sie mochte ihn und er war ein fester Bestandteil ihres Lebens geworden, wenn auch nur auf dem Fernsehbildschirm oder dem Computermonitor. Und jetzt lief sie neben ihm durch den stärker werdenden Londoner Regen.

Sam stoppte und hielt ihr die Tür eines Cafés auf. „Leider können wir nicht draußen sitzen bei diesem herrlichen Wetter“, sagte er grinsend und wies mit dem Kopf in Richtung Gebäude. Bettina lachte. „Ja, schade.“

Er legte ihr ganz leicht die Hand auf den Rücken, als sie an ihm vorbeiging, und Sam öffnete ihr auch die nächste Tür.

Sie betrat den großen, hellen Raum und sah sich um. Viel war nicht los, es waren nur wenige der sehr ordentlich eingedeckten Tische besetzt.

„Da drüben?“, fragte Sam Bettina und grüßte die Bedienung, die ihn anscheinend kannte und freundlich zurückgrüßte. Bettina folgte Sam an einen Tisch am Fenster, beide zogen ihre Jacken aus und Bettina setzte sich ihm gegenüber. Seine Haare waren nass und sie mochte gar nicht daran denken, wie zerzaust sie selbst wohl gerade aussah.

Sam reichte ihr die Speisekarte über den Tisch. Als sie ihm die Karte abnahm, berührten sich ihre Finger kurz, was er mit einem Lächeln quittierte.

„Hallo, was darf ich euch bringen?“, fragte die Kellnerin, die soeben an den Tisch getreten war. „Wie immer?“

Bettina sah erstaunt auf, Sam nickte. „Ja, einen Minztee, bitte.“

„Ich nehme einen Kakao“, sagte Bettina und legte die Karte zur Seite.

„Mit Sahne?“

„Ja, bitte.“

Sam grinste. Die Bedienung entschwand in den Untiefen des Cafés.

„Hm?“, machte Bettina.

„Mit Sahne. Sehr gut.“ Er sah amüsiert aus.

„Was meinst du?“

„Och, nichts.“ Er stützte das Kinn auf seine Hände und lächelte. Neben seinen Augen bildeten sich kleine Lachfältchen und am liebsten hätte sie sich nach vorn gelehnt und ihn geknutscht, hielt sich aber zurück.

„Was ist denn?“, fragte sie etwas lauter, musste aber ebenfalls grinsen. Er setzte sich gerade hin, schaute ernst und sagte nur: „Ich finde das gut, dass du Sahne dazu nimmst.“

„Aha.“

„Ja.“

Ein Handyklingeln unterbrach die seltsame Situation. Sam zog ein iPhone aus seiner Jackentasche und schaute konzentriert darauf. Auf der Rückseite der Hülle des Telefons sah Bettina die Großaufnahme einer Kaninchennase. „Sorry, ich muss kurz antworten.“

„Klar, kein Thema. Ich muss auch kurz gucken“, sagte Bettina und zog nun ebenfalls ihr Telefon hervor.

Ihre Freundin Annette hatte geschrieben, die kurzentschlossen mitgekommen war nach London. <Wo bist du denn? Ich fahre jetzt noch zum Buckingham Palace und danach ins Hotel. Der Regen ist furchtbar!>. Die Nachricht war zwei Stunden alt. Bettina machte ein überraschtes Geräusch.

„Probleme?“, fragte Sam.

„Nein. Meine Freundin schreibt mir. Wir sind zusammen hier in London. Aber sie wollte heute was anderes machen als ich, also haben wir uns getrennt.“

„Ah.“

Bettina tippte zurück. <Bin noch an der Themse in einem Café. Ich komme nachher ins Hotel>.

Die Bedienung kam und brachte die Getränke. Sam und Bettina legten beide zeitgleich die Telefone weg und ihre Hände um die warmen Tassen.

„Tut gut, hm?“, fragte er.

„Ja.“

„Und, wie gefällt dir London?“, fragte Sam und bewegte seinen Teebeutel in der Tasse herum.

„Gut. Es ist schon beeindruckend.“

„Bist du das erste Mal hier?“

„Ja.“ Da er auf weitere Berichte und Meinungen zu warten schien, fasste sie kurz zusammen, was sie von London hielt. Es war eine vielschichtige, interessante Stadt, laut, voll, aber eben auch irre englisch.

„Irre englisch? Wie meinst du das?“, fragte er mit gerunzelter Stirn, hatte aber schon wieder ein amüsiertes Grinsen im Gesicht.

„Naja, britisch eben. Wie im Fernsehen. Die Menschen sind … anders als in Deutschland. Alles ist höflicher, gebildeter, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Ich mag die englische Sprache sehr gern, und ihr habt hier echt viel schönere Sachen als wir in Deutschland. Postkarten, Schreibsachen, Dekozeug und das ganze Design ist anders. Viele Blümchen.“

„Magst du Blümchen?“

„Nicht immer. Aber hier finde ich sie sehr passend.“

Er lachte. „Wie lange bist du noch hier?“

„Wir sind seit vorgestern hier und bleiben bis Freitag.“

„Also habt ihr noch zwei volle Tage?“

„Ja.“

„M-hm“, machte Sam und hob den Teebeutel aus seiner Tasse. Er legte die Stirn in Falten und sah von seinem Teebeutel zu Bettina. „Weißt du, was lustig ist?“ Er grinste und überführte vier Stück Würfelzucker aus der Zuckerschale auf dem Tisch in seine Tasse. Während er umrührte, schaute er auf Bettinas Kakao und dann sie an.

Sie überlegte kurz und musste ebenfalls grinsen. „Dass wir Kaffee trinken wollten und jetzt hat jeder was anderes?“

„Genau.“ Er lachte kurz und herzlich. „Genau das.“ Er sah sie an.

„Was?“

Er schloss kurz die Augen. „Vergiss es.“ Sam atmete laut aus. „Und, was habt ihr bisher angeschaut?“

Bettina rührte den Rest Sahne in ihren Kakao. „Vorgestern waren wir in der Innenstadt bei Harrods und haben eine Stadtrundfahrt gemacht, gestern war ich bei der Harry Potter Studio Tour und heute war eigentlich der Spaziergang geplant, den ich jetzt allein gemacht habe. Aber Annette wollte nicht, weil ihr das Wetter zu schlecht war und sie wollte lieber ein Museum besuchen. Also haben wir uns nach dem Frühstück getrennt.“

„Ist sie nicht wasserfest?“, fragte Sam. Bettina hatte gerade ihre Tasse zum Trinken angesetzt und konnte gerade noch so vermeiden, in den Kakao zu prusten.

„Sorry“, sagte Sam.

„Nein, sie ist nicht wasserfest. Seit wir in Heathrow gelandet sind, schimpft sie auf das Wetter.“

„Lass mich raten, sie fährt sonst lieber in südliche Länder.“

„Meistens ja.“

Sam sagte ‚Hab ich’s doch gewusst’, ohne es laut auszusprechen. Kopfhaltung, Mimik und Augenbrauen übernahmen das in perfekter und vollendeter Form für ihn.

Beide tranken in Ruhe ihre Getränke weiter und es wurde ruhig am Tisch. „Und du magst die Serie?“, fragte Sam schließlich.

„Ja. Auf jeden Fall. Wirklich gut.“

„Wen magst du am liebsten?“

‚Dich’, hätte sie am liebsten gesagt, aber traute sich nicht. „Joe“, sagte sie, was der erstgeplanten Variante sehr nah kam.

„Oh“, machte Sam nur. „Freut mich. Schön. Warum?“

„Äh …“

„Ich meine nur … sonst sind es immer Jerry und Noah. Sogar Stan ist beliebter als Joe. Stan! Unser Sonderling! Joe ist ein Arsch.“ Er grinste.

„Nein, er ist kein Arsch. Er hat seine Prinzipien.“

„Ja, das schon. Aber die sind schon etwas verschoben von dem, was man als normal bezeichnen würde.“

„Ist ja auch keine normale Situation.“

Sam sah sie an. „Da muss ich dir recht geben. Trotzdem ist Joe kein angenehmer Zeitgenosse. Hitzköpfig, unüberlegt, mit Hang zur Gewalt. Aber du hast recht. Ich wollte in so einer Zeit nicht leben.“

„Ich auch nicht. Aber es ist wirklich toll gemacht und ich finde es auch sehr realistisch. Es könnte so sein oder kommen oder wie auch immer.“ ‚After the Storm’ war eine erschreckend realistische, etwas düstere Serie mit apokalyptischen Zügen, in der der Fokus auf verschiedene Personen gelegt wurde, die versuchten, mit der Situation zurechtzukommen. Sie spielte ein paar Jahre in der Zukunft.

Sam trank einen Schluck Tee und stellte seine Tasse wieder ab. „Ja. Dass die Wirtschaft zusammenbricht, die Politik versagt und es Chaos und Tumulte gibt, das durchaus. Die Energiekrise auch. Ob es wirklich so endzeitmäßig mit einem Touch von Wild West wird, bleibt abzuwarten. Aber allein der politische Aspekt … das hat Terry schon genial gezeichnet.“

„Auf jeden Fall. Ist es schwierig, mit ihm zu arbeiten?“, fragte Bettina.

„Mit wem? Mit Terry?“

„Ja.“

Terry Bosworth war der Produzent und das Genie hinter dieser und auch zwei anderen britischen Serien, die weltweit großen Anklang gefunden hatten. Er war als etwas despotisch verschrien, aber der Erfolg gab ihm recht. Nicht jeder konnte oder wollte mit ihm arbeiten und es flogen oft die Fetzen zwischen ihm, den Fernsehsendern und den Schauspielern oder anderen Beteiligten, aber in der Regel, so reimte Bettina sich das aus den Internetmeldungen zusammen, blieb er seinen Prinzipien treu und war fair zu den Beteiligten. Aber er diskutierte seine Meinung auch aus, wobei eher die Gegenseite den Kürzeren zog.

„Hm.“ Sam dachte nach und schaute nach schräg oben. „Nein. Er weiß, was er will und wie er es will und er ist richtig gut in dem, was er tut. Ich habe keine Probleme mit ihm. Ich mag ihn, wir kommen auch privat gut miteinander aus. Er ist der Chef, es ist seine Serie. Man macht, was er sagt. Aber wenn man mal ein Problem hat oder etwas anders sieht, hört er sich das an und entscheidet dann. Seine Entscheidungen muss ich als Schauspieler akzeptieren.“

Ein anderer Klingelton als vorhin ertönte und Sams Handy fing an zu leuchten. Er schaute auf das Display. „Wenn man vom Teufel spricht.“

Die nächsten Minuten hatte Bettina das Vergnügen, dem Gespräch zwischen Terry und Sam zuzuhören und ihn dabei zu beobachten. Sie mochte ihn. Verliebt klang so teeniemäßig, und aus diesem Alter war sie mit vierunddreißig definitiv raus. Wahrscheinlich war es einfach die Gesamtsituation, die ihr Gefühle vorgaukelte, wo rein faktisch gar keine sein konnten. Ja, sie war verschossen in ihn, aber das schrieb sie dem ganzen Stress zu, den sie in den letzten Monaten gehabt hatte. Er war ihr Ruhepol gewesen, ein normaler, netter Typ und als Joe einfach herrlich unkonventionell. Sam entsprach so gar nicht ihrem Typ Mann. All ihre Ex-Freunde bisher waren größer gewesen als sie, dunkelhaarig, sportlich, schlank bis dünn und gutaussehend. Sam war knapp über einssiebzig, kompakt, muskulös, aber nicht wirklich der Inbegriff eines Athleten. Und hatte hellbraune Haare. Mit seinen zweiundvierzig Jahren war er zwar natürlich noch nicht alt, aber eben doch ein Stück älter als sie. Und gutaussehend, nun ja, darüber konnte man streiten. Sie mochte ihn. Er hatte einen sinnlichen Mund und wunderschöne, ausdrucksvolle Augen. Er hatte auch schöne Hände, wie sie gerade mal wieder feststellte.

Er sah zu ihr herüber und lächelte. Zwar nur mit einem Mundwinkel, aber es erreichte auch seine Augen. Kurzum, er war ein ganz normaler Kerl, bodenständig, witzig und ja, verdammt noch mal, sie mochte ihn. Ihr wurde erneut viel zu warm und es zog ihr durch den Bauch. Ihre Hand, die sie um ihre mittlerweile leere Tasse gelegt hatte, zitterte leicht. Bettina starrte entsetzt darauf, und verfiel fast in Panik, als sich Sams Hand auf ihre legte. Das Zittern hörte augenblicklich auf. Er beendete sein Gespräch. „Ist dir kalt?“

„Ich weiß nicht.“

Er lächelte mitfühlend und zog seine Hand zurück. „Das war Terry. Ich muss jetzt leider weg. Wir haben morgen einen Außendreh eine Stunde entfernt von hier. Terry schickt mir das Skript rüber und damit werde ich wohl den Abend verbringen. Ah, Moment noch.“ Er tippte etwas in sein Handy und deutete der Kellnerin an, dass er zahlen wollte. „Lass stecken“, sagte er, als Bettina ihre Geldbörse herausholte. „Geht auf mich.“

„Danke.“

„Ah.“ Er schaute auf sein Handy und dann wieder zu Bettina. „Hast du morgen schon etwas vor?“

Sie überlegte. „Annette wollte ins British Museum.“

„Und, gehst du mit?“

„Warum?“

„Willst du statt ins Museum lieber mit zu unserem Außendreh?“, fragte Sam beiläufig, während er seine immer noch leicht feuchte Jacke anzog.

„Was?“

„Viel werde ich mich nicht um dich kümmern können, aber vielleicht magst du mal sehen, wie deine Serie gedreht wird. Es wird nass und ungemütlich werden, aber mittags gibt’s was zu essen.“

„Ist das dein Ernst?“ Bettina hatte mittlerweile ebenfalls ihre Jacke an und Sam war um den Tisch herumgekommen und steuerte auf die Tür zu, die er ihr aufhielt. Sie verabschiedeten sich noch bei der Kellnerin und traten wieder auf die Straße.

„Wir haben oft Besucher am Set. Ist nur ein Angebot. Aber das British Museum ist auch wirklich interessant.“ Er schob die Unterlippe vor und nickte begeistert.

Bettina musste lachen und als der Groschen endlich gefallen war, antwortete sie. „Das wäre echt der Hammer.“

„Gut. Warte.“ Er tippte wieder etwas in sein Handy und wartete auf die Antwort, die prompt kam. Er nickte. „Gib mir bitte Deine Handynummer, dann kann ich Dir heute Abend noch den Treffpunkt nennen. Und die Uhrzeit. Du kannst mit Nancy fahren, das ist unsere zweite Produktionsassistentin. Ich muss schon um sechs morgens dort sein, das will ich dir nicht zumuten. Ist ja Urlaub, hm?“ Er lachte. Bettina tippte mit zitternden Fingern ihre Nummer in sein Handy. Er steckte es wieder weg. „Ich muss da rüber zur U-Bahn, wo musst du lang?“

„U-Bahn klingt gut.“

„Wo ist euer Hotel?“

„Nähe King’s Cross.“

Er nickte und lief los. Wie vorhin auch ging Bettina neben ihm her und genoss dieses seltsame Gefühl der Vertrautheit, so, als ob sie ihn seit Ewigkeiten kennen würde. Sie sprachen nichts weiter, sondern liefen einfach nur still nebeneinander her. Bettinas Hirn war leer und sie konnte sich beim besten Willen kein unverfängliches Thema ausdenken, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Sam ging zügig voran, achtete aber darauf, dass sie mitkam. Es waren nicht viele Menschen hier unterwegs, und die, die es waren, waren eher darauf bedacht, nicht von Fahrradfahrern überfahren zu werden oder in Pfützen zu treten. Nach der sehr zugigen Brückenüberquerung und einem weiteren kleinen Fußmarsch entlang einiger Bürogebäude erreichten sie den Zugang zur U-Bahn und dann war der Moment der Verabschiedung da.

Sam zeigte zu einer Reihe von Drehkreuzen. „Du musst da lang. Ich fahre von der Station aus, an der wir eben vorbeigelaufen sind, ich muss in die andere Richtung. Ich wünsche dir einen schönen Abend und bis morgen. War nett, dich getroffen zu haben.“

„Das wünsche ich dir auch. Und viel Erfolg beim Textlernen. Und vielen Dank. Für alles.“

Er lachte. „Ja, danke. Ich bin gespannt, was Terry mit Joe vorhat. Also …“ Er streckte ihr seine rechte Hand hin und sie verabschiedeten sich.

Bettina war heilfroh, dass sie um eine Umarmung herumgekommen war. Auch wenn das sicherlich schön gewesen wäre, aber es wäre wohl etwas zu viel des Guten gewesen. Sam hob noch kurz die Hand zum Abschied und verschwand wieder nach draußen. Bettina ging durch die Drehkreuze der U-Bahnstation und kam zwanzig Minuten später im Hotel an. Sie hatte keinerlei Erinnerungen mehr, wie sie es bis dorthin geschafft hatte.

Kapitel 2

 

 

Am nächsten Morgen stand Bettina zur verabredeten Zeit an der verabredeten Straßenecke und wartete. Ihre Freundin Annette war stocksauer, weil sie das British Museum nun allein besichtigen musste, aber das war Bettina gerade herzlich egal. Sam hatte ihr gestern Abend noch per WhatsApp den Treffpunkt und die Uhrzeit durchgegeben und viel mehr hatten sie nicht geschrieben. Bettina hatte den gestrigen Tag immer noch nicht ganz überwunden und sah mit gemischten Gefühlen dem heutigen entgegen. Aber die Vorfreude überwog eindeutig. Sie würde den Dreharbeiten zu Ihrer Lieblingsserie zuschauen dürfen und wahrscheinlich auch die anderen Schauspieler treffen oder zumindest sehen, was genauso unglaublich war, wie gestern mit Sam in einem Café zu sitzen.

Ein großer, schwarzer Land Rover hielt neben ihr und die Fensterscheibe fuhr herunter. Drinnen saß eine blonde Frau mit Pferdeschwanz, die sehr englisch und sehr streng aussah. „Bist du Bettina?“, rief sie über den Beifahrersitz hinweg.

„Ja, guten Morgen.“

„Guten Morgen, steig ein.“

Bettina öffnete die Autotür, kletterte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an.

„Hi, ich bin Nancy, Terrys Assistentin.“ Sie schüttelten sich kurz die Hände und Nancy lenkte den Geländewagen wieder in den fließenden Verkehr. Bettina fühlte sich nicht wirklich willkommen.

 

Sie fuhren noch eine Weile durch London und kamen dann über einige Landstraßen auf eine Autobahn. Unterwegs telefonierte Nancy fast ununterbrochen mit Terry und einem anderen Mann und klärte den Tagesablauf sowie diverse Sachen, die Bettina nicht zuordnen konnte. Erst als sie London schon weit hinter sich gelassen hatten, war das Telefon einen Moment lang ruhig.

„Sorry, aber das mussten wir jetzt klären. Außendrehs sind immer etwas Besonderes. Besonders aufwendig, besonders nervig und besonders teuer. Und heute wird es echt ungemütlich. Das Wetter am Drehort ist nicht das Beste, aber das passt gut zu unseren Szenen. Leider hat der Golfclub um die Ecke zu, sonst hätten wir dort wenigstens die Sanitärräume und ein paar andere Räume mitnutzen können. So müssen wir alles rankarren und noch das Catering … oh Mist, da muss ich noch mal anrufen.“ Sie wählte eine Nummer und diskutierte mit einer genervt klingenden Frau, die einen für Bettina fast völlig unverständlichen englischen Dialekt sprach, wann, wo, wieviel und was an Essen herbeigeschafft werden sollte.

„Woher kennst du Sam eigentlich? Ist für ihn recht untypisch, dass er Leute mit zum Set bringt“, sagte Nancy, nachdem sie das Telefonat beendet hatte.

Bettina sah zu ihr hinüber. „Ich kenne ihn erst seit gestern. Ich bin aus Deutschland und hier im Urlaub. Wir haben uns zufällig an der Themse getroffen und er hat mich eingeladen, weil ich die Serie sehr mag.“

Nancy machte ein überraschtes Geräusch. „Einfach so?“

„Ja.“

„Du bist also Fan der Serie?“

„Ja.“

„Oh.“

„Ist das ein Problem?“

Nancy zuckte mit den Schultern. „Nein, ich denke nicht. Nein. Aber es wundert mich eben.“

„Ich finde es auch seltsam.“

Nancy lachte, aber es klang etwas aufgesetzt. Der nächste Anrufer klingelte nun durch, es war erneut Terry, der ziemlich sauer klang, weil etwas mit einem Zelt nicht funktionierte. Nancy telefonierte daraufhin mit zwei Leuten, beide Verbindungen waren wirklich schlecht und sie schrie das halbe Auto zusammen.

 

Nach einer weiteren Stunde auf sich durch eine Hügellandschaft voller Schafe windenden Landstraßen kamen sie am Drehort an. Nancy wurde von einem Sicherheitsposten durchgewunken und bekam von einem Mann in Regenkleidung und Signalweste einen Parkplatz zugewiesen. Bettina war froh, sich so wettertauglich wie möglich angezogen zu haben, aber Nancy schob sie trotzdem erst einmal zu einem LKW, bei dem sie von einer kleinen, runden Frau eine richtig feste Regenjacke und auch eine Regenhose zugeteilt bekam.

„So, dann komm mal mit“, sagte Nancy und Bettina folgte ihr über einen Trampelpfad zu einer Ansammlung von raumhohen Zelten inmitten einer großen Wiese. Nancy selbst erschien viel zu ordentlich angezogen für eine Umgebung wie diese.

„Was ein verdammtes Mistwetter für den Dreh“, fluchte sie laut, als sie sich unter dem großen, schmutzigweißen Zelt die Kapuze vom Kopf schob.

„Allerdings“, sagte ein großer, breiter Mann mit schwindender Haarpracht, der an einem Klapptisch saß und mit drei anderen Männern diskutiert hatte, die um ihn herum standen.

„Hi, ich bin Terry“, stellte er sich vor und schüttelte Bettina die Hand über seinen Laptop hinweg.

„Bettina.“

Terry zog die Stirn in Falten und betrachtete Bettina von oben nach unten. „Aha. Ja, schön. Moment. Nancy? Nancy!“ Seine Stimme wurde lauter und klang fordernd. Die Angesprochene reagierte nicht, sie war mit dem Aufbau eines Campingstuhls und eines Klapptisches in der gegenüberliegenden Zeltecke beschäftigt. Terry stöhnte genervt, wühlte in einem großen Pilotenkoffer und gab Bettina einen eng bedruckten Zettel und einen Kugelschreiber. „Lies das und unterschreibe es. Das ist eine Verschwiegenheitserklärung. Das ist wichtig.“

Bettina nahm beides entgegen und begann, es im Stehen durchzulesen.

„Hi“, hörte sie plötzlich von links und schaute hinüber. Sam kam unter das Zelt, in der Hand einen dampfenden Plastikbecher. Sam hatte einen fürchterlich aussehenden, nassen, mehrere Nummern zu großen Parka undefinierbarer Farbe an, darunter dunkelbraune Cargohosen und ein halboffenes Jeanshemd, an seinem Gürtel hing Munition und eine Waffe steckte in einem Holster an seinem Oberschenkel. Es war eher Joe als Sam.

„Ich würde dich ja zur Begrüßung umarmen, aber das ist gerade ungünstig“, sagte er und zeigte an sich hoch und runter. Stattdessen schüttelte er Bettina freundlich die Hand. „Hat also geklappt, prima.“ Er lächelte und Bettina hatte den Eindruck, dass er sich wirklich darüber freute, sie zu sehen.

„Ja.“

„Sam, wir brauchen dich gleich unten“, schrie ein großer Mann mit schwarzem Vollbart unter das Zelt, sprach etwas in ein Funkgerät und verschwand gleich wieder.

„Ich muss weg, viel Spaß“, sagte Sam und folgte dem Mann.

Bettina las die Verschwiegenheitserklärung weiter durch. Sie gab Terry das unterschriebene Dokument wieder zurück. Er schaute sie irritiert und nicht gerade freundlich an. „Was?“, fragte er gereizt.

„Die Verschwiegenheitserklärung. Die sollte ich unterschreiben.“

„Ja, und? Was soll ich jetzt hier damit?“, fragte er und funkelte sie böse an. Seine drei Beisitzer hielten die Luft an.

„Du hast sie mir gegeben, also dachte ich, du willst sie auch zurück haben.“

Terry schnaubte und sah Bettina durchdringend an. Sie schaute zurück. Und verstand, warum einige nicht mit ihm arbeiten konnten oder wollten. Wenn Blicke töten könnten, wäre sie jetzt schon längst im Jenseits. Aber sie hielt seinem Blick stand. Er legte seinen Kopf schräg, unterbrach den Blickkontakt und nickte. „Nancy!“

Er griff nach dem Zettel und hielt ihn in Richtung Nancy, die herbeigeeilt kam und ihn wegtrug zu ihrem Tisch, an dem sie sich gerade häuslich einrichtet hatte.

„Was denn jetzt noch?“, fragte Terry Bettina und sah sie herausfordernd an.

„Sorry, ich bin das erste Mal an einem Drehort. Gibt es noch irgendwas, das ich beachten muss?“

„Steh nicht im Weg rum und sei leise. Nebenan gibt’s Kaffee und später Catering. Die Klos sind hinter dem Nachbarzelt. Und jetzt lass uns hier bitte weitermachen.“

„Danke.“

Terry nickte abschließend und konzentrierte sich wieder auf seinen Monitor. Bettina wusste zwar immer noch nicht, wohin sie nun gehen sollte, ohne zu stören, oder wo gerade etwas Interessantes passierte, aber dieses Problem löste sich von allein.

„Hey, bist du unser Besuch?“, fragte eine sehr große, dünne Gestalt mit quietschgelben Regenklamotten und bis über die Knöchel verdreckten Armeestiefeln.

„Ja, ich bin Bettina, hallo.“

Der Mann schob seine Kapuze zurück und Bettina erkannte ihn. Es war Robert, der in der Serie Stanley, den Sonderling, spielte. Robert war Ire, sehr groß und dürr, hatte wirr gelockte, fast orangene Haare und schiefe Zähne. Er sah aus wie eine Mischung aus E.T. und Sid, dem Faultier aus Ice Age. Robert kugelte Bettina beim Begrüßen fast den Arm aus, aber er schien über ihren Besuch hier wirklich erfreut zu sein. „Ich bin Robbie. Kennst du die Serie?“

„Ja, ich mag die Serie echt gern.“

„Das ist schön, ich auch! Und warum bist du hier?“

„Sam hat mich eingeladen.“

„Oh, oh, schön! Ja, das hat er schon gesagt.“

„Robbie, könntet ihr bitte draußen weiterdiskutieren?“, rief Terry herüber.

„Ja, Boss, klar, Boss. Na, komm mit.“ Robbie zog sich die Kapuze wieder ins Gesicht und trat nach draußen in den Regen. Bettina tat es ihm gleich und folgte ihm.

„Da drüben haben Sam, Neal und Jake grad eine Szene zusammen, wollen wir zuschauen gehen?“

„Klar, gern. Das ist echt aufregend hier.“

Robbie lachte. „Ja, Außendrehs sind schon spannend. Haben wir ja oft, aber eher auf Studiogelände oder nicht ganz so schwierig wie hier. Aber das wird echt toll. Gut, dass wir Regenklamotten haben.“

Sie liefen einen schmalen, matschigen Pfad entlang in Richtung eines kleinen Abhangs. In einer Senke stand eine halbverfallene Holzhütte, daneben einige Leute in Outdoor- und Regenkleidung. Bettina und Robbie kamen näher heran und blieben zwischen den anderen Zuschauern stehen, die den Dreh hier aus einigen Metern Entfernung beobachteten.

Sam, Jake und Neal oder eher gesagt Joe, Jerry und Noah, standen umringt von einigen Drehteammitgliedern neben der Hütte, ohne Regenkleidung oder Jacken, und alle drei waren ziemlich verdreckt. Einige Leute schoben an ihren Haaren oder ihrer Kleindung herum. Bettina sah sich um, es war für sie wirklich faszinierend, die Dreharbeiten zu ihrer Lieblingsserie zu sehen. Und auch das ganze Drumherum.

„So, dann mal los! Phil, Howie, ist alles klar bei euch?“ schrie Terry von hinten. Eigentlich schrie er gar nicht, er sprach einfach nur laut. Aber er hatte wirklich Reichweite in der Stimme und kam nun auch den Pfad herunter. Ein Mann löste sich aus der Gruppe der Wartenden und kam ihm entgegen. Gemeinsam gingen sie den Rest des Pfades nach unten zu den drei Schauspielern und diskutierten einiges aus. Terry gestikulierte herum, zwei andere kamen noch dazu und nach einigen Minuten und einigen Übungsdurchläufen ließ er die Szene drehen.

 

Alles in allem dauerte es ewig. Soweit Bettina es verstanden hatte, kam Sam alias Joe hinter der Hütte herum zu den anderen beiden, dann stritten sie sich, diskutierten irgendetwas, das Bettina von ihrem Platz aus nicht richtig verstehen konnte, und dann verschwand Joe in der Hütte und die anderen beiden rannten links über die Wiese von der Hütte weg.

Bettina war fasziniert, das alles live mitzuerleben, aber ihr wurde auch kalt. Und als es wieder zu regnen begann, wurde es allgemein noch ungemütlicher, als es eh schon war. Zumal Terry immer lauter und die Stimmung immer genervter wurde, zumindest bei Neal und Jake, Sams Schauspielkollegen. Sam selbst lieferte, soweit Bettina das beurteilen konnte, eine solide Leistung ab und befolgte die Anweisungen, die er bekam. Er machte auch den einen oder anderen Fehler, aber sie hatte das Gefühl, dass zwischen den anderen beiden und Terry das weit höhere Konfliktpotential bestand. Hier gab es Diskussionen über die Dialoginhalte und den Ablauf der Szene. Als Jake dann noch beim Wegrennen auf der nassen Wiese hinfiel und das Gras so wegschob, dass eine matschige Spur entstand, beendete Terry die Dreharbeiten und schickte nach einem Blick auf die Uhr alle in die Mittagspause.

Neal und Jake stapften ohne hochzuschauen oder etwas zu sagen mit dem gesamten Tross des Drehteams an Bettina und Robbie vorbei in Richtung der Zelte. Terry, ein anderer Mann und Sam standen noch eine Weile diskutierend um das zerstörte Rasenstück herum. Der Mann versuchte, zu retten, was zu retten war und die Grasbrocken wieder aufrecht zu stellen, aber es klappte nicht richtig. Terry schüttelte den Kopf und sie kamen dann ebenfalls nach oben. Terry fluchte, als sie vorbeiliefen.

Robbie klopfte Sam auf den Rücken. „Hey, Kumpel, super gemacht“, sagte er fröhlich. Sam atmete lautstark aus, sah zwischen Bettina und Robbie hin und her und stapfte los, als Terry nicht mehr in Hörweite war. „Das war echt anstrengend. Ich hab kein gutes Gefühl dabei.“

„Wobei?“, fragte Robbie und lief neben Sam her, ein lustiges Bild, da Robbie fast zwei Köpfe größer war als Sam. „Was ist denn mit dem Gras? Kaputt?“, fragte Robbie aufgeregt und schaute noch einmal zurück.

„Ja, das hat das Fass jetzt noch zum Überlaufen gebracht. Jake hätte das nicht tun sollen. Terry hofft, dass man die Aufnahmen irgendwie so schneiden kann, dass man den Boden nicht sieht. Wir werden das definitiv noch mal nachdrehen müssen. Vielleicht auch alles noch mal neu.“

„Aber jetzt erst mal was essen“, sagte Robbie versöhnlich.

„Ja.“

„Hast du heute auch noch Szenen?“, fragte Bettina zu Robbie hoch.

„Ich? Ja, heute Abend aber erst. Geht schnell.“

Sie waren nun beim Cateringzelt angekommen. Es saßen schon einige Leute an langen Campingtischen, andere holten sich gerade etwas zu essen.

 

Nach einigen Minuten hatte jeder etwas Passendes gefunden und einen Sitzplatz im Trockenen. Bettina klemmte am Ende einer Sitzbank neben Robbie, Sam saß ihr gegenüber. „Und wie findest du es?“, fragte Sam und stopfte eine Gabel voll Pommes in seinen Mund. Bettina war kurz abgelenkt, weil Robbie irgendetwas neben ihr murmelte, es klang wie ein Tischgebet.

„Er ist Ire und streng katholisch“, flüsterte Sam über den Tisch. Robbie machte ein kicherndes Geräusch.

„Ich finde es super hier. Bisschen widrige Umstände, aber es ist echt aufregend.“

„Aufregend, so so“, tönte es von schräg über ihr. „Rückt mal bitte, ich möchte hier sitzen“, sagte Terry und gestikulierte die Bank entlang. Alle rückten brav auf, sodass Terry sich noch neben Bettina quetschen konnte. Er begann mit Sam eine Diskussion darüber, wie die weiteren Szenen heute aussehen könnten. Der große Mann mit schwarzem Vollbart, der vorhin schon kurz am Zelt und auch beim Drehen dabei gewesen war, saß nun Bettina gegenüber und verwickelte sie in ein Gespräch. Er hieß Howard oder eben Howie und war zuständig für die technischen Dinge am Set. Da Bettina auch gern fotografierte und vor kurzem ihr Fernstudium in Mediengestaltung abgeschlossen hatte, hatten die beiden ausreichend Gesprächsstoff. Robbie diskutierte fröhlich mit und so ging die Pause sehr schnell herum.

 

Die nächsten Stunden vergingen erneut unten bei der Hütte, es wurden mehrere Varianten der Szene vom Vormittag gedreht und nach einer kurzen, heftigen Diskussion unter allen Beteiligten stapften Neal und Jake stocksauer zurück nach oben zu den Zelten und kamen auch nicht wieder.

„Sind die für heute fertig oder haben die sich jetzt endgültig zerstritten?“, fragte Bettina Robbie.

„Wahrscheinlich beides. Jetzt kommt eigentlich noch eine Szene.“

„Robbie, komm mal hier runter, bitte!“, schrie Terry zu Robbie hoch. „Und bring Betsy mit!“

„Oho“, sagte Robbie. „Na, dann komm, bin mal gespannt! Heißt du nicht irgendwie anders?“

„Bettina.“

„Ah, ja. Wusste ich’s doch.“

Sie gingen hinunter zu der Hütte. Einige Helfer kamen dazu und rollten einen Gartenschlauch aus, andere montierten Lampen auf dem Dach der Hütte. Terry erklärte Sam, dass er von der kleinen Anhöhe hinunterspringen sollte in einen schlammigen Teich schräg hinter der Hütte, dort sollte er im hüfthohen Wasser stehenbleiben und mit Jake, der auf dem Dach der Hütte stehen würde, kurz diskutieren und dann nach vorn wegrennen. Da Jake aber nun nicht mehr da war, würde Robbie seinen Text übernehmen. Jake würde seinen Teil der Szene dann morgen nachdrehen. Terry drückte Robbie einen Zettel in die Hand und einer der Helfer lehnte eine Leiter an die Hütte. Robbie machte sich an den Aufstieg.

Terry sah sich suchend um. „So, du…“, sagte er und deutete auf Bettina und dann auf den Gartenschlauch, der am Boden lag. „Dich brauche ich zum Saubermachen.“ Bettina sagte nur „Ähä“ und Terry rang sich ein Lächeln ab. „Probier mal, bitte.“ Er ging einen Schritt zurück.

Bettina nahm den Gartenschlauch hoch. Am Schlauchende war eine passende Brause montiert. Bettina kannte diese Dinger aus dem Garten ihrer Eltern. Hier war allerdings kein Wasser herauszubekommen, egal wie.

„Wasser, ihr Stümper!“, schrie Terry nach oben und nach ein paar Sekunden kam ein gedämpftes „Okay“ zurück.

Bettina probierte erneut, diesmal funktionierte es. Terry schien zufrieden mit den Tests und zeigte auf einen Punkt einige Meter entfernt. „Stell dich bitte da an die Hecke, am besten halb rein, die Kamera muss vor dir vorbei. Und pass auf den Schlauch auf, den wollen wir nicht im Bild haben. Wenn Sam mit seiner Szene durch ist, läuft er hier vor.“ Terry zeigte an sich vorbei zur Vorderseite der Hütte. „Da wir definitiv mehrere Takes brauchen, aus verschiedenen Sichtwinkeln, muss er mehrfach von da oben runter. Was es einfacher macht, er kommt wegen des Regens schon klatschnass da oben an, also ist deine Aufgabe nur, den Schlamm wegzuspritzen. Wir probieren das mal. Sam, hierher.“

Sam seufzte und kam näher.

„Gib mir das bitte kurz“, sagte Terry und nahm Bettina den Wasserschlauch ab. Sam konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Terry ihn vollends nassgespritzt hatte, von oben bis unten.

Er öffnete die Augen und funkelte Terry böse an. „Du Arsch! Das ist verdammt kalt!“

Terry lachte und nach einem kurzen Anstarrduell lachte Sam mit. Bettina ging sicherheitshalber ein paar Schritte zurück, da jetzt Howie mit einer Handkamera vorbeikam und Sam zuzwinkerte.

„Terry, ich liebe dich“, sagte Sam sehr überzeugend und umarmte Terry fest. Der quietschte los und wand sich, schaffte es aber nicht, Sam loszuwerden. Erst als er nachgab und Sam ebenfalls umarmte, ließ dieser los. Terry war nun fast genauso nass wie Sam. Alles lachte. Howie wich Terry aus, der nach ihm treten wollte, drückte seine Kamera an sich und flüchtete sich vor die Hütte.

„Ihr Säcke, ihr!“, fluchte Terry. Bettina musste auch lachen und bekam einen todbringenden Blick vom tropfenden Terry zugeworfen. „Auf deine Position!“, brüllte er sie an. „Und du auch, du Drecksack!“, scheuchte er Sam in Richtung Hügel. „Und alle anderen auch! Keine Testläufe, sofort filmen, dann haben wir mehr Material.“

Alle gingen in Position und Bettina tat ihren Job, so gut sie konnte. Sobald Sam vorbeigerannt war und Terry „Schnitt!“ gerufen hatte, kam Sam zu Bettina zurückgetrabt und ließ sich brav abduschen. Dann joggte er wieder zurück zu dem kleinen Grasüberhang und wartete auf Terrys Kommando. Robbie brüllte Jakes Text von der Hütte und Sam hatte keinen einzigen Textpatzer. Einmal variierte er seine Worte ein wenig, aber niemand sagte etwas.

Nach einer gefühlten Ewigkeit rief Terry: „Letztes Mal! Und los!“ Die Szene lief gut, wie die vorherigen auch und nach dem finalen „Schnitt!“ gab es Applaus von allen Umstehenden, viele waren es nicht mehr. Robbie kletterte von der Hütte, das Drehteam packte die Technik zusammen und die Zuschauer stapften zurück in Richtung der Zelte. Sam wurde noch einmal gründlich geduscht. Unter wacher Aufsicht der Requisiten- und Garderobenverantwortlichen wurden auch die Munitionsattrappen und die Airsoftwaffe gut abgespült.

Oben bei den Zelten bekamen Robbie und Bettina von Terry einige Handtücher zugeworfen, bevor er und Sam in Richtung der Wohnmobile verschwanden.

„Wie geht’s jetzt weiter?“, fragte Bettina.

Robbie trocknete sich die Haare ab und legte das Handtuch in einen bereitstehenden Wäschekorb. Bettina legte ihres dazu.

„Für heute ist, denke ich, Schluss, zumindest für Sam. Wir machen jetzt Kaffeepause, dann hab ich noch meine Szene, die ist aber in einem Auto, das steht da hinten irgendwo. Ich denke mal, ihr fahrt dann jetzt nach London zurück.“

 

Bei einem Kaffee warteten sie zusammen mit Howie und Phil und nach einer gefühlten Ewigkeit kamen Terry und Sam zurück. Terry versammelte sofort seine Leute um den Laptoptisch. Sam hatte zwar noch nasse Haare, war aber mit Jeans und Pulli wieder von Joe zu Sam geworden.

„So, dann mal gute Rückfahrt, schön, dass du da warst“, sagte Robbie herzlich und umarmte Bettina kurz und heftig. Sie klopfte ihm auf den Rücken. „Ja, war schön. Echt spannend hier.“

„Ja“, strahlte er.

Sam lachte. „Na, dann los.“ Er legte Bettina eine Hand um die Schulter und drehte sie in Richtung Zeltausgang. Dann ließ er sofort wieder los. „Terry, du meldest dich? Morgen geht’s weiter? Oder übermorgen?“

„Ich melde mich. Morgen, wenn überhaupt, erst nachmittags. Für dich eher erst übermorgen. Wir sind gut vorangekommen. Danke.“ Und an Bettina gewandt sagte er: „Tschüss dann, gute Arbeit.“ Er schüttelte ihr kurz die Hand, bevor er sich wieder auf seinen Laptop konzentrierte. Sam sah erstaunt aus, beide Augenbrauen hochgezogen. „Na dann, ab nach Hause“, sagte er und sie gingen zusammen am Requisitenlaster vorbei, wo Bettina ihr Regenzeug abgab.