Cloverlane Farm - Waltraud Batz - E-Book

Cloverlane Farm E-Book

Waltraud Batz

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Beschreibung

Hannah steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Neben Überstunden im Büro und einer schwierigen Beziehung wird auch ihr Hobby, der Reitsport, immer zeitintensiver, anstrengender und nervenzehrender. Der spontane, zweiwöchige Reiturlaub in Westirland, zu dem eine Bekannte aus dem Reitstall sie überredet hat, wird jedoch schon kurz nach der Anreise zur reinen Nervensache. Hannah findet zwar keine Erholung in Irland – aber dafür zwei Iren, die sie gar nicht gesucht hat: Einen Zwei- und einen Vierbeiner. Ein Roman für Irland- und Tierfreunde

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Seitenzahl: 343

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

 

Über das Buch

Cloverlane Farm

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Tag 7

Tag 8

Tag 9

Tag 10

Tag 11

Tag 12

Tag 13

Tag 14

Nachwort und Danksagungen

Über das Buch

Hannah steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

Neben Überstunden im Büro und einer schwierigen Beziehung wird auch ihr Hobby, der Reitsport, immer zeitintensiver, anstrengender und nervenzehrender.

Der spontane, zweiwöchige Reiturlaub in Westirland, zu dem eine Bekannte aus dem Reitstall sie überredet hat, wird jedoch schon kurz nach der Anreise zur reinen Nervensache.

Hannah findet zwar keine Erholung in Irland, aber dafür zwei Iren, die sie gar nicht gesucht hat: Einen Zwei- und einen Vierbeiner.

 

Ein Roman für Irland- und Tierfreunde

 

 

Zeitliche Einordnung

Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2017.

 

 

Über die Autorin

1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.

Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gerne, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln.

Waltraud Batz

 

Cloverlane Farm

 

Roman

 

 

1. Auflage 2021

 

Texte und Umschlag

© 2021 Claudia Wissemann

 

Verantwortlich

Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel

 

Druck

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Tag 1

 

 

„Also so langsam hab ich ein ungutes Gefühl“, sagte Hannah und folgte ihrer Bekannten Nora durch den irischen Nieselregen die Straße entlang.

„Ach, warum? Wir kriegen dich schon unter. Komm, wir fahren noch mal in den Ort mit der Kirche zurück! Irgendeine Pension wird schon noch offen haben!“

Hannah seufzte innerlich und stapfte im Dunkeln weiter hinter Nora her in Richtung Auto. Hoffentlich würde sie recht behalten. Das war jetzt schon die fünfte Pension gewesen, bei der sie angefragt hatten. Alle waren aufgrund des Saisonendes schon geschlossen. Hannah schwankte zwischen Wut auf Nora, weil diese die Buchung der Reiturlaubunterkunft vergeigt hatte, und Verzweiflung darüber, wie sie es nun schaffen würde, Ende September hier an der Westküste Irlands noch eine Unterkunft zu finden. Vorzugsweise mit Halbpension, und zudem noch bezahlbar.

„Komm schon, steig ein!“ rief Nora Hannah zu. „Andere Seite!“ ergänzte sie überflüssigerweise und kicherte. Hannah war in Gedanken mal wieder auf die ‚falsche‘ Seite des Autos gegangen.

„Guten Abend, Ladies“, hörte Hannah eine ruhige Stimme neben sich und erschrak. Hatte der alte Mann eben auch schon auf dem Mäuerchen gelehnt?

„Oh, Hallo!“ grüßte Nora fröhlich zurück. Hannah war es unbegreiflich, wie Nora immer noch so gute Laune haben konnte. Nun gut, sie hatte ja ihr Bett für die nächsten zwei Wochen bereits sicher.

„Kann ich euch helfen? Ist etwas mit dem Auto nicht in Ordnung?“ fragte der Mann mit starkem, regionalem Dialekt.

„Nein, danke“, flötete Nora zuckersüß und öffnete die Fahrertür. Hannah hatte gar keine Zeit, sich darüber aufzuregen und außerdem hatte der Mann ja vielleicht eine Idee.

„Vielleicht können Sie uns wirklich helfen. Wissen Sie, welche Pension hier in der Nähe um diese Jahreszeit noch offen hat? Ich brauche ein Zimmer für vierzehn Tage.“

Der Mann sah Hannah hellwach an und überlegte. „Zimmer, hm?“ Er strich sich über die Bartstoppeln an seinem Kinn und überlegte. Er machte ein kleines Brummgeräusch. „Vielleicht ... nein, Pat hat auch schon zu ...“ Er kratzte sich im Nacken, die Stirn immer noch in Falten gelegt. „Was macht ihr beiden Hübschen eigentlich hier? Die Touristensaison ist vorbei.“

„Wir machen einen Reitkurs“, informierte Nora ihn knapp.

Seine Augen funkelten. „Ach. Oben, bei ...“

„Bei der Clovermore Riding Academy“, sagte Nora und ihre Stimme klang stolz.

Er grinste und nickte. Hannah kam es vor, als würde er sich über Nora amüsieren. „Und warum wohnt ihr da nicht?“ fragte er.

„Tun wir ja – ich zumindest. Leider gab es Probleme mit der Buchung. Wissen Sie noch eine Möglichkeit, wo meine Freundin unterkommen könnte, für zwei Wochen?“

Der alte Mann sah von Nora zu Hannah und musterte sie von oben bis unten. Er lächelte und sprach dann direkt zu Hannah. „Ja, ich glaube, ich weiß etwas. Dreht hier und fahrt zurück. Gleich auf der rechten Seite kommt die Cloverlane Farm, versucht es dort. Sag, Dan hat dich geschickt. Viel Erfolg und schönen Abend noch.“

„Danke, dann werden wir es dort mal versuchen“, sagte Hannah.

Dan nickte Hannah freundlich zu und tippte sich an seine Wollmütze. „Viel Erfolg und schönen Urlaub.“

„Danke.“ Hannah hoffte, ein Lächeln zustande gebracht zu haben und stieg zu Nora ins Auto.

„Na dann mal los. Woah, ich hab Hunger und mir ist kalt.“ Nora drehte die Heizung des gemieteten Kleinwagens hoch und startete den Motor. Sie wendete ohne Probleme auf der breiten Landstraße und fuhr wieder in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Es war weit und breit kein anderes Auto zu sehen.

 

„Meinst du, das da ist es schon?“ fragte Hannah, als auf der rechten Seite einige Gebäude in Sicht kamen.

„Nee, bestimmt nich. Außerdem haben die im Reitstall gesagt, da sollen wir nicht fragen.“ Nora gab Gas und rauschte an der Farm vorbei.

„Nora! Jetzt dreh bitte um! Der alte Mann hat gesagt, wir sollen da fragen. Mir egal, was die in dem Reitstall sagen! Ich will jetzt irgendwo ein Zimmer finden und noch was essen und dann ins Bett. Ich bin seit heute früh um vier wach und mir ist immer noch kotzübel von den sechs Stunden Landstraße!“

Nora schnaubte unwillig und hielt mit einem Ruck am Straßenrand an, sodass die Kieselsteinchen gegen die Radkästen wirbelten. „Meinst du echt? Was, wenn es da nicht gut ist? Die im Reitstall haben gesagt, fragt überall, nur nicht da!“

„Ach ja? Die im Reitstall haben uns auch zu diversen Pensionen geschickt, die schon zu hatten! Die hätten auch mal für uns da anrufen können, dann hätten wir hier nicht fast zwei Stunden rumkurven müssen. Und schlimmer als dein Zimmer im Reitstall kann es wohl nicht werden.“

Nora riss beide Augen auf. „Wie meinst du das denn jetzt?“

„Naja, dein Bett in dem Vierbettzimmer mit Klo auf dem Gang und Selbstversorgung ist jetzt auch nicht gerade das, was ich mir unter ‚gemütliche Unterkunft im alten Gutshaus’ vorstelle.“

Nora presste die Lippen aufeinander und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Na gut. Aber wehe, du beschwerst dich hinterher!“ Sie startete den Motor und würgte ihn gleich wieder ab. „Verdammte Dreckskarre!“ fluchte sie und schlug wütend auf das Lenkrad. Es ertönte ein kurzes Hupgeräusch, welches klang, als hätte man eine Ente überfahren. Nora lenkte das hoppelige, kleine Auto zurück auf die Straße und drehte ruppig.

„Nora, bitte. Beruhig dich wieder.“ Hannah war zum Heulen zumute. Dieser Urlaub war schon jetzt eine Katastrophe. Sie hätte nicht mitfahren sollen. Warum zum Teufel hatte sie sich von Nora dazu überreden lassen? Sie fuhren schweigend das kurze Stück wieder zurück, bis die Farm erneut ins Sichtfeld kam.

„Da steht Cloverlane Farm und B&B dran“, sagte Hannah.

„Ja, das seh ich auch“, zischte Nora. Sie verzichtete auf das Blinken und hielt vor dem mittleren der drei geschlossenen, hüfthohen Holztore. Hannah stieg aus, atmete durch und schlug die Autotür hinter sich zu, etwas fester, als es nötig gewesen wäre.

 

Hannah hatte ein Déjà-vu, als sie an der Tür klingelten und im Nieselregen auf eine Reaktion warteten. Auch bei den anderen Pensionen hatten sie wie begossene Pudel im Dunkeln vor der Tür gewartet, entweder völlig umsonst oder um kurz angebunden darüber informiert zu werden, dass es kein Zimmer für Hannah geben würde.

Die Lampe neben der Tür des Hauses ging an, man hörte einen Hund bellen und durch die dicken, braunen Glasscheiben neben der Eingangstür sah man nun auch das Licht im Flur angehen. Jemand näherte sich und die schwere Holztür öffnete sich nach innen. Ein großer, hellbrauner Hund quetschte sich durch den Türspalt nach draußen und schob die Schnauze unter Hannahs Jacke. Wie automatisch streichelte sie ihm über den Kopf. Nora wurde mit einem kurzen Knurren bedacht.

„Arrow, komm rein“, sagte eine Stimme aus dem Haus und der Hund verschwand wieder nach drinnen. Die Tür öffnete sich nun etwas weiter und eine nicht ganz so schlanke, ältere Frau mit grauen Locken kam zum Vorschein. „Ja, bitte?“ Sie klang ernst und skeptisch und war definitiv nicht zu Späßen aufgelegt.

„Wir, ähm, ich ... bräuchte ein Zimmer für zwei Wochen. Wir machen hier einen Reitkurs und hatten Probleme mit der Buchung, und jetzt habe ich kein Zimmer.“

Die Frau musterte Hannah und starrte sie an. „Das ist doch nicht mein Problem. Wir haben schon geschlossen, die Saison ist vorbei!“

„Dan hat gesagt, wir sollen hier nachfragen“, sagte Hannah leise.

Die Frau hatte die Tür schon fast wieder geschlossen, als sich nun der hinter ihr stehende Mann einmischte. Sie murmelten miteinander und die Tür öffnete sich wieder.

„Na gut. Kommen Sie rein, wir besprechen das“, sagte die Frau und bedachte den Mann mit einem tadelnden Blick.

„Danke“, sagte Hannah, trat in den steingefliesten Flur und machte Platz, damit Nora die Tür schließen konnte. Der Hund knurrte Nora erneut an und wurde von der Frau weggeschickt.

„Nur Sie?“ fragte die Frau. Nora setzte zu einer Antwort an, aber Hannah antwortete zuerst. „Nur ich, ja. Sie hat noch eine Unterkunft im Reitstall bekommen.“

„Kommen Sie mal hier rein“, sagte die Frau und schlug auf den Lichtschalter eines kleinen, fensterlosen Raumes auf der linken Flurseite. „Sie nicht“, fauchte sie Nora an, die sich auch noch in den Raum quetschten wollte. „Hier ist nicht genug Platz!“

Nora rollte mit den Augen und verschränkte die Arme, blieb aber im Flur stehen.

Hannah betrat den kleinen Raum, der fast vollständig von einem Schreibtisch und einigen vollgestopften Regalen ausgefüllt wurde. Von der Decke baumelte eine einzelne Glühbirne. Wohlfühlatmosphäre pur.

„Setzen!“ befahl die Frau und Hannah gehorchte. Der Mann, der vorhin schon mit an der Tür gewesen war, schob sich nun auch noch in den Raum. „Hallo, Guten Abend!“

Er klang etwas freundlicher als die Frau und streckte Hannah seine Hand hin. Sie ergriff sie. „Hallo.“

„Was sind das für Probleme, die du mit dem Reitstall hattest?“ fragte er, während die Frau den Computer startete. Der Mann war sehr groß und wirkte mit seinem wirren, rotblonden Vollbart auf Hannah etwas ungepflegt. Er hatte aber freundliche Augen und ein nettes Lächeln. Bevor Nora, die nun am Türrahmen lehnte, loslegen konnte, ergriff Hannah das Wort. „Wir ... äh ... meine Freundin hat den Reitkurs für uns gebucht, es gab aber Probleme bei der Buchung und für mich war dann doch kein Bett mehr frei.“

Eine senkrechte Falte bildete sich zwischen den Augen des Mannes. „Und im Hotel auch nicht? Oder war das zu teuer?“

„Hotel?“ fragte Hannah. „Welches Hotel?“

„Du weißt doch, sie haben nicht gerne Reitgäste im Hotel“, sagte die Frau. „Außerdem ist es viel zu teuer.“ Er nickte. Es gab ein Hotel? Hannah sah zu Nora, die ihrem Blick auswich.

„Wie lange wollen Sie genau bleiben?“ fragte die Frau, die mittlerweile eine Lesebrille auf der Nase hatte und konzentriert auf den Computermonitor schaute.

„Zwei Wochen.“ Hannah nannte ihr das Abreisedatum.

„Mit Frühstück?“

„Ja, bitte, das wäre prima.“

Die Frau nickte und tippte etwas ein.

„Besteht die Möglichkeit, ein Abendessen zu bekommen?“

„Heute noch?“ fragte die Frau und schaute alarmiert auf.

„Ja, nein, ich meine allgemein.“

„Nein, heute auf keinen Fall mehr. Es ist schon nach zehn! Das geht nicht!“

„Das ist schon in Ordnung. Wissen Sie, wo man hier in der Gegend heute noch ein Abendessen bekommen könnte?“ fragte Hannah vorsichtig.

„Moment bitte, erst mal das mit dem Zimmer!“ Die Frau tippte erneut etwas ein und zeigte darauf. Der Mann lehnte sich rüber und sie flüsterten aufgebracht miteinander. Dem Gesichtsausdruck der Frau nach zu urteilen hatte der Mann die Auseinandersetzung gewonnen.

 

Zehn Minuten später holte Hannah ihr Gepäck aus dem Auto. Ihre Unterkunft für die nächsten vierzehn Tage war gesichert, sogar mit Lunchpaket mittags und Abendessen nach Absprache.

„Mein Sohn zeigt dir dein Zimmer und dann schaut mal, ob ihr unten im Ort gegenüber der Bushaltestelle beim Dönerstand noch was zu essen bekommt, das sind die Einzigen, die jetzt noch offen haben.“ Die Frau schüttelte Hannah die Hand. „Dann ... Willkommen. Ich bin Mary Sullivan, mir gehört diese Pension.“

„Ich bin Hannah.“ Hannah kam es erzwungen vor, und außerdem kannte Mary ja schon ihren Namen, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie hatte eine Unterkunft und sogar mit Hund! Das Haus machte einen sehr gemütlichen Eindruck und war um Längen einladender und auch wärmer als die schuppenartige Betonbaracke, in der Nora nächtigen musste und das für mehr Geld, als Hannah hier mit Abendessen zahlte. Sie stieg hinter dem Mann die enge Treppe hoch in den ersten Stock.

„Warten Sie doch im Auto draußen“, hörte Hannah Mary noch zu Nora sagen und kurz darauf fiel die Haustür zu. Hannah hoffte, dass Nora wirklich im Auto warten und nicht wutentbrannt davonrauschen würde.

 

Der Sohn der Pensionsbesitzerin blieb im Flur des Obergeschosses stehen und öffnete einen Wäscheschrank. Er nahm drei Handtücher heraus und öffnete die nächstgelegene Zimmertür. „Du kannst hier wohnen“, sagte er und ging hinein. Hannah folgte ihm in den Raum.

Das Zimmer war recht groß und in freundlichen Farben eingerichtet. Die unaufdringliche, hellgrün-hellgelb gestreifte Tapete, der goldfarbene, flauschige Teppichboden sowie der große, cremefarbene, runde Teppich neben dem Bett machten das Zimmer sehr gemütlich und wohnlich. An der Wand stand ein breites Bett mit wunderschön gemustertem Patchworkbettüberwurf in Naturtönen. Es war kalt im Zimmer, die Luft roch frisch und nach Holz. Der Mann drehte die Heizung ein wenig hoch.

„Hier ist das Bad“, hörte Hannah ihn sagen und schaute in das kleine Zimmer. Wow, ein eigenes Badezimmer!

„Das hier ist deins. Draußen gegenüber der Treppe ist noch eins, aber bitte benutze das hier. Mom teilt ihr Bad nicht gerne.“ Er brachte ein schräges Grinsen zustande.

„Ok“, sagte Hannah. Das Badezimmer sah frisch renoviert aus und hatte sogar ein Fenster. Der Boden bestand aus schwarzen und weißen Fliesen und die auf Antik getrimmten Armaturen an den modernen Sanitärobjekten passten hervorragend dazu. Hier konnte man sich wirklich wohlfühlen, so einen Luxus hatte Hannah definitiv nicht erwartet.

„Das ist super schön hier, vielen Dank noch mal“, sagte Hannah. Der Mann nickte und ein dumpfes Hupen ließ sie beide aufschauen.

„Da wird jemand ungeduldig“, stellte er fest. „Übrigens, ich bin Colin.“ Sie schüttelten sich erneut die Hände. „Fahrt jetzt erst mal etwas essen, wir sind nachher noch unten im Kaminzimmer, die Tür neben dem Büro, falls du noch Fragen hast. Ach, und, guter Tipp: Iss keinen Burger bei der Imbissbude. Die Döner sind ganz okay.“ Er lächelte aufmunternd und hielt Hannah die Zimmertür auf.

 

„Warum hat das denn so ewig gedauert?“ fauchte Nora Hannah an, als diese sich neben ihr auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Ging halt nicht schneller“, entgegnete Hannah. Sie verzichtete darauf, Nora auch nur ein einziges Detail ihres fantastischen Zimmers zu verraten. Nora startete mit zusammengepressten Lippen das Auto und fuhr zügig los. Die Fahrt verlief in angespannter Stille.

 

Eine Viertelstunde später saßen sie in der von Neonröhren erhellten Imbissbude an einem klebrigen, dunkelbraunen Plastiktisch. An der Theke standen einige leicht verwahrlost wirkende Männer und schauten immer wieder zu den beiden Frauen herüber, wenn sie nicht gerade der Sportsendung auf dem winzigen, unter der Decke montierten Röhrenfernseher folgten oder sich gegenseitig mit ihren Pappbechern zuprosteten.

„Weißt du schon, was du nimmst?“ fragte Nora über den Rand der fleckigen Speisekarte hinweg.

„Döner wahrscheinlich“, sagte Hannah leise.

„Ich nehm einen Burger. Warum nimmst du keinen? Du magst doch Burger?“

„Ich mag auch Döner“, erwiderte Hannah.

 

Nachdem sie ihr Essen an der Theke bestellt und kurze Zeit später auch gebracht bekommen hatten, aßen beide schweigend einige Minuten lang.

„Na, haben wir‘s doch noch geschafft! Ich hab doch gesagt, es findet sich was!“ verkündete Nora fröhlich und biss in ihren Burger, der vor Fett nur so triefte. Hannah war kurz davor, sie anzuschreien, hielt sich aber zurück. „Ja, ich bin echt froh, dass die da noch ein Zimmer hatten. Wann geht’s denn morgen eigentlich los mit dem Kurs?“ fragte sie und war Colin sehr dankbar für den Tipp, Döner zu essen. Der war nämlich sehr lecker und um Längen fettärmer als das, was Nora da gerade verspeiste.

„Um zehn in der Reithalle. Ich freu mich schon. Wir können da auch einen richtigen Springkurs machen, Cross-Country oder wie die das hier nennen, sowas haste ja in Deutschland nich. Das will ich auf jeden Fall machen. Und Verkaufspferde haben die auch! Vielleicht find ich da eins und du auch. Du suchst doch schon so lange. Boah, du, ich bin gleich wieder da.“ Nora warf beim Aufstehen fast ihren Stuhl um und verschwand neben der Theke in einem kleinen Flur.

Hannah aß in Ruhe ihren Döner fertig, beobachtete nebenher das Fußballspiel auf dem Fernseher und konnte sich ein gewisses Gefühl der Genugtuung nicht verkneifen. Seit ihrer Ankunft in Dublin und der Mietwagenübernahme war Nora zwischen fast schon hyperaktiver Vorfreude auf den Reiturlaub und boshaftem Schikanieren von Hannah hin- und hergewechselt. Nichts hatte sie ernst genommen. Weder Hannahs Kartenlesekünste, noch die Hinweise, dass sie doch bitte etwas weniger ruckartig fahren solle. Und jetzt – Springkurs? Hätte Nora das vielleicht mal früher sagen können? Hannah gegenüber hatte sie es als netten, erholsamen Ausreiturlaub angepriesen. Und auch noch Verkaufspferde? Ja, sie suchte ein neues Pferd, als Nachfolger für ihren Wallach, der mit ihr fünfzehn Jahre lang durch Dick und Dünn gegangen war. Immer nur die Pferde ihres Freundes zu reiten, war auf Dauer nichts für sie. Aber genauso wenig wusste sie, ob sie seine Turnier- und Erfolgsbesessenheit weiterhin mitmachen wollte. Ja, ein junges Pferd mit einem gewissen Maß an Dressurtalent und Turniereignung hätte sie gerne, aber nicht um jeden Preis. Und dass sie das hier finden würde, erschien ihr unrealistisch. Hätte sie sich doch bloß nicht von Nora zu diesem Urlaub überreden lassen! Vor drei Tagen noch hatte sie nicht gewusst, was sie in den von ihrem Chef angeordneten zwei Wochen Urlaub machen sollte und heute saß sie hier am Ende von Irland in einer illustren Imbissbude im Nirgendwo.

Hannah fühlte sich alleine gelassen, verloren und auch unwohl. Sie kannte Nora nicht besonders gut, man sah sich zwar fast täglich im Reitstall, aber sie hätte sich das schon denken können, dass sie aneinander geraten würden. Sie waren über fünf Stunden in dem knarzenden Kleinwagen quer über die Insel hierher geschaukelt, im Regen, und hatten sich mehrfach verfahren, weil Nora ihr Navi zu Hause vergessen hatte und Hannahs Richtungsempfehlungen nicht hatte glauben wollen. Und dann noch die Katastrophe mit der fehlenden Unterbringungsbuchung. Nora hatte die Informationen auf der Internetseite des Reitstalls nicht richtig gelesen. Manchmal konnte man glauben, Noras Aufmerksamkeitsspanne entsprach der eines Goldfisches. Der Reitstall war für diesen Reitkurs ausgebucht und hatte nur noch ein Bett frei gehabt, das Nora natürlich sofort für sich beansprucht hatte. Und das Hannah auch gar nicht hätte haben wollen. Ein schmales Etagenbett in einem Vierbettzimmer, mit fleckiger Matratze und fragwürdig aussehender Leihbettwäsche in einem kargen, zugigen Betonbau, der im Flur schon verdächtig nach Schimmel roch. Da hatte sie es mit der Pension schon besser getroffen.

 

„Na, geht’s besser?“ fragte Hannah Nora, die gerade eben arg bleich zurück an den Tisch gekommen war und ihren Teller gleich von sich wegschob. „Bist du fertig? Mir is echt nich gut“, sagte sie und setzte ein leidendes Gesicht auf.

„Du bist auch ganz blass. Komm, wir gehen an die frische Luft.“ Die beiden brachten ihre Teller an die Theke zurück und standen dann wieder draußen in der kalten Nachtluft.

„Geht’s oder soll ich fahren?“ fragte Hannah.

„Nee, geht schon“, sagte Nora zerknirscht.

 

Hannah fand den Haustürschlüssel und schloss die Tür der Pension auf. Sie stellte ihre Schuhe zu den anderen neben die Haustür und hängte ihre Jacke auf. Kaminzimmer, hatte Colin gesagt, wo war das gewesen? Zweite Tür links?

Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Eine Hundeschnauze schob die Tür neben dem Büro auf und Hannah wurde herzlich mit Schwanzwedeln begrüßt.

„Ja, hallo, ist ja gut“, sagte sie zu dem fröhlichen Hund, der sich benahm, als sei er wochenlang nicht gekuschelt oder auch nur angefasst worden und als sei Hannah seine lang vermisste Freundin und die Einzige, die ihm jetzt noch helfen konnte.

Hannah schaute in das Zimmer hinein, aus dem der Hund gekommen war. Colin war nicht zu sehen, aber die Hausherrin saß in einem großen, geblümten Ohrensessel und strickte. Sie sah über den Rand ihrer schmalen Brille hinweg zur Tür und ließ das Strickzeug sinken. „Ach, du“, sagte sie, strickte einige Maschen weiter und schaute erneut zu Hannah. „Ja, bitte?“

„Ähm ... wann gibt es denn Frühstück morgen? Ich muss um zehn drüben beim Stall sein.“

„Um acht wäre es gut, gute Nacht“, sagte die Frau und strickte sehr konzentriert weiter.

„Danke, gleichfalls“, sagte Hannah und verabschiedete sich von Arrow, der ihr nachsah, als sie die Treppe hochstieg.

Im Zimmer angekommen ließ sie sich erst einmal auf das Bett fallen. Nachdem sie einige Minuten ohne zu denken dort gelegen hatte, machte sie sich bettfertig. Sie schlief sofort ein, der Tag war mehr als anstrengend gewesen.

Tag 2

 

 

Am nächsten Morgen war Hannah früh wach. Die erste Nacht in einem fremden Bett war immer seltsam. Sie kannte die Geräusche im Haus und in der Umgebung noch nicht, und meist wachte sie vor dem Wecker auf, so auch diesmal. Sie lag noch einen Moment still da und starrte an die Decke. Dann schwang sie mit einem Seufzen die Füße aus dem Bett.

 

Sie tappte angezogen, aber noch in Hausschuhen die Treppe hinunter und hörte schneller werdendes Pfotengetrappel und das Geräusch von Hundekrallen auf Steinboden. Der hellbraun-weiße, schlanke Hund wartete bereits am Fuß der Treppe auf Hannah und wedelte, was das Zeug hielt.

„Na du, guten Morgen, ja, ich komm ja, lass mich doch mal von der Treppe runter!“ begrüßte sie Arrow und streichelte ihn.

„Guten Morgen!“ sagte Colin aus der Tür neben der zum Kaminzimmer.

„Morgen!“ erwiderte Hannah und folgte dem Hund, der hinter Colin verschwunden war.

Als Hannah in den Raum trat, ging sie wie ferngesteuert zum Fenster. „Das ist wunderschön!“ sagte sie ein wenig zu laut.

„Wunderschön? Was? Die Gardinen?“ fragte es hinter ihr.

„Was?“ Hannah drehte sich um, in der Tür zur angrenzenden Küche stand Mary in einer hellblau-weiß karierten Schürze und hatte zwei Tomaten in der Hand.

„Nein, die Aussicht!“

„Ja“, sagte Mary nur und verschwand wieder in der Küche. Zwei Sekunden später erschien sie erneut im Türspalt. „Möchtest du Bacon und Rühreier?“

„Ja, gerne“, antwortete Hannah und schaute wieder aus dem Fenster. Man sah das Meer, einige Klippen und ein Stück Strand. Es war bewölkt und windig.

Sie setzte sich auf den ihr zugewiesenen Platz und Arrow legte ihr sofort seine Schnauze auf den Oberschenkel.

„Arrow, raus!“ herrschte Mary den Hund an, als sie einen Teller voller Baconstreifen und eine kleine Schüssel Rührei auf den Tisch stellte.

 

Die ersten Minuten des Frühstücks waren angespannt und geprägt von Höflichkeiten. Das Frühstück an sich war köstlich, neben den warmen Sachen gab es auch diverse, nach Marys Aussage selbstgemachte Marmeladen, sowie knusprig aussehendes Brot und eine kleine Auswahl Wurst und Käse. Mary schlitzte mit Hingabe an einer gebratenen, glibberigen Tomate herum.

„Reitest du zu Hause auch?“ fragte Colin in die Stille hinein.

„Ja, ich hatte fünfzehn Jahre lang ein eigenes Pferd, aber er musste vor drei Jahren eingeschläfert werden.“

„Oh, tut mir leid.“

„Schon gut.“

„Und wo kommst du her aus Deutschland?“ fragte Mary beiläufig.

„Aus der Nähe von Frankfurt.“

„Wo ist das? An der Küste?“ fragte Mary. Hannah wusste nicht, ob Mary ernsthaft an einer Antwort interessiert war oder ob sie nur aus reiner Höflichkeit gefragt hatte.

„Nein, es ist eher in der Mitte von Deutschland. Also nicht am Meer.“

Mary nickte. „Möchtest du noch etwas Tee?“

Hannah konnte die Konsequenzen einer Ablehnung nicht einschätzen und hielt Mary ihre Tasse hin.

„Was reitest du?“ fragte Colin weiter und nahm sich eine weitere Scheibe Brot, während Hannah ihre nun sehr volle Teetasse und das passend geblümte Untertellerchen zurückbalancierte.

„Dressur und bisschen raus. Springen ist nicht so meins.“

„Und wie kommst du dann zu einem Cross-Country-Kurs hier?“ fragte Colin und sah Hannah an.

„Das ... ist eine andere Geschichte.“ Hannah nahm sich noch zwei Streifen Bacon, die die Tischdecke volltropften.

„Warum? Dafür kommen die Leute von weit her dorthin“, sagte Mary laut und fügte „Warum auch immer ...“ sehr leise hinzu.

„Ich hatte noch so viel Urlaub übrig dieses Jahr und mein Chef hat mich quasi gezwungen, den jetzt zu nehmen. Und Nora, meine Freundin oder eher Bekannte aus dem Stall hat mich vor drei Tagen überredet, diesen Reiturlaub zu machen. Das war alles ziemlich kurzfristig. Mir hat sie es als Ausreiturlaub verkauft. Dass sie uns zu einem Springkurs angemeldet hat, hat sie mir verschwiegen“, erklärte Hannah wahrheitsgemäß. „Sie wollte wohl nicht alleine fahren.“

„Oh“, sagte Mary nur und aß weiter.

„Vielleicht wird es ja trotzdem ganz interessant für dich“, sagte Colin nach einigen Minuten Stille. „Sie haben eine eigene Springstrecke.“

„Du kannst ja auch mit Colin mal ausreiten“, fügte Mary entschlossen hinzu, stand auf und erklärte damit das Frühstück inoffiziell für beendet. Hannahs Rückfrage „Ach, ihr habt auch Pferde?“ ging im allgemeinen Stühlerücken unter. Sie half beim Abräumen, durfte aber offensichtlich die Küche nicht betreten. Alles, was sie in die Küche bringen wollte, wurde ihr von Mary oder Colin an der Küchentür abgenommen.

„Ach ... brauchst du ein Lunchpaket?“ fragte Mary, als sie Hannah die Zuckerdose aus der Hand nahm.

„Ich weiß nicht. Angeblich ist ein kleines Mittagessen beim Reitkurs dabei.“

Colin schob sich an Hannah vorbei zur Küchentür und machte ein abwertendes Geräusch.

„Na, dann viel Glück“, sagte Mary und gab die Zuckerdose an Colin weiter, der sie in die Küche mitnahm. „Aber Abendessen möchtest du? Oder gehst du wieder mit deiner Freundin essen?“

„Abendessen wäre echt prima, ja“, sagte Hannah und freute sich schon jetzt darauf.

 

„Wie meinst du das? Und wie soll ich jetzt zu euch kommen?“ fragte Hannah ins Telefon. Sie saß bereits in Reitkleidung auf ihrem Bett und legte die Stirn in Falten. Nora blökte ihr sehr abgehackt etwas ins Ohr von wegen zugeparkt und dass Hannah leider laufen müsse, es sei ja nicht so weit. Na danke auch.

Sie packte ihre Sachen zusammen und zog unten im Flur ihre Reitschuhe an. Sie bekam kaum die Schnürsenkel zu, weil Arrow jede Chance nutzte, ihr quer durchs Gesicht zu lecken.

„Kommt deine Freundin dich abholen?“ fragte es hinter ihr. Mary stand in dunkelgrün-karierten Pantoffeln hinter Hannah, in den Händen ein Geschirrhandtuch und ein Glasschüsselchen.

„Nein, ich muss laufen, sie will nicht“, antwortete Hannah und konnte ihre Wut darüber nicht verbergen.

„Oh“, sagte Mary nur und trocknete weiter das Glasschälchen ab. „Dann hab trotzdem einen schönen Tag.“

Colin kam aus der Bürotür in den Flur. „Wenn sie dir das verrückte, schwarze Pferd andrehen wollen, lehn ab“, sagte er noch, bevor er im Esszimmer verschwand. Hannah nickte, atmete durch und öffnete die Haustür.

 

Während des zwanzigminütigen Marsches leicht bergauf zum Reitstall hätte Hannah rein theoretisch alle Zeit der Welt gehabt, sich wieder zu beruhigen, es funktionierte nur leider nicht. Es nieselte, es war kalt und sie wurde fast von einem Transporter voller Schafe überfahren. Immerhin konnte sie manchmal zwischen den Häusern und Bäumen hindurch das Meer sehen und die Luft roch würzig und frisch.

Als ihr die Beine und Füße schon wehtaten, kam sie endlich über die Hügelkuppe und das große, graue, gutshausartige Haupthaus der Reitanlage kam in Sicht.

Als Hannah die Einfahrt erreicht hatte, bestätigte sich ihr Verdacht. Noras Mietwagen stand an einer Stelle, an der es unmöglich war, ihn zuzuparken. Hannah ging an dem großen Gebäude vorbei, über den Hof und in Richtung Reithalle. Es war schon viel los, mehrere Leute in Reitklamotten liefen hier herum.

 

Im Vorraum der Reithalle fand Hannah Nora, die mit einigen anderen Reitgästen zusammenstand und lautstark und gestenreich gerade etwas erzählte.

„Guten Morgen“, sagte Hannah und stellte sich zu der Gruppe.

Viel Zeit für eine Vorstellungsrunde war nicht, denn kurze Zeit später trat eine große, sehr schlanke Frau aus dem Büro, gefolgt von zwei kleineren Frauen, einer Schwarzhaarigen und einer Brünetten. Die große Frau hatte ihre glatten, langen Haare zu einem festen Pferdeschwanz gebunden und sah dadurch sehr streng aus. „Guten Morgen, hallo, bitte mal zuhören!“ Ihre Stimme hallte durch den hohen Raum und man hörte sofort, dass sie Erfahrung hatte im Herumkommandieren von Mensch und Tier. Die Gespräche verstummten sofort und alle sahen zu ihr. Hannah zählte durch, es waren vierzehn Frauen im Alter zwischen geschätzt sechzehn und sechzig, die hier versammelt waren.

Die Frau begrüßte zunächst alle, stellte sich als Jane vor und ging die Stallregeln sowie die allgemeinen Verbote durch. Die Reitgäste durften nicht ins Haupthaus, das war den Hotel- und Restaurantgästen vorbehalten. Jane verkündete, dass man heute erst auf dem Reitplatz die gemeldete Reiterfahrung der Teilnehmer überprüfen würde und verschwand in der Bürotür.

„Gemeldete Reiterfahrung?“ fragte Hannah in Richtung Nora.

„Ja, ich hab das für uns ausgefüllt.“

„Was hast du denn gemeldet?“

„Ich hab das Höchste angekreuzt, was ging. Immerhin hattest du jahrelang ein eigenes Pferd und ich wollte auf keinen Fall zu den Anfängern!“ sagte Nora. Sie sah sich suchend um und fing ein Gespräch mit einer derjenigen an, mit denen sie vorhin schon zusammengestanden hatte. Hannah kam sich vor wie im falschen Film, hatte aber keine Zeit, darüber nachzudenken, da Jane mit einem Blatt Papier in der Hand wieder in den Vorraum der Reithalle zurückkam. „Babette?“ fragte sie laut und eine rötlichgelockte, junge Frau mit unzähligen Sommersprossen und sehr spitzer Nase trat vor. Jane hatte einige Rückfragen an Babette, diese antwortete, so gut sie es auf Englisch schaffte. Ihr starker französischer Akzent machte die Verständigung etwas schwierig. Babette bekam den Namen eines Pferdes genannt und wurde angewiesen, sich draußen einen Platz zu suchen, um das Pferd reitfertig zu machen.

Jane ging ihre Liste weiter durch, bis nur noch eine ältere, sehr vornehm wirkende Dame, Nora und Hannah übrig waren. Die ältere Dame bekam nach einem kurzen Gespräch mit Jane ein Pferd zugeteilt und auch Nora ging mit ihrem Pferdenamen im Kopf zügig in Richtung der vergitterten Pferdeboxen, die direkt neben der Reithalle in zwei gegenüberliegenden Reihen angeordnet waren.

„So, du kommst bitte mit, bei deinem steht der Name nicht dran“, sagte Jane zu Hannah und ging schnellen Schrittes voran.

In der Stallgasse herrschte reges Treiben, Pferde wurden aus den Boxen geführt und es gab einiges an Geschrei und Verwirrung, wer denn nun wohin sollte. Die beiden Frauen, die während der Begrüßungsrede stumm neben Jane gestanden hatten, waren jetzt umso mitteilsamer und halfen, das Chaos zu lichten.

„Das hier ist deiner, das ist Leonardo“, sagte Jane und zeigte in die Box, neben der sie stehen geblieben war. Darin befand sich der Teufel persönlich, zumindest sah man außer Zähnen und Augen nicht viel. Natürlich war das Pferd schwarz, und Hannah hoffte inständig, dass das nicht genau das Pferd war, vor dem Colin sie vorhin hatte warnen wollen. Sie nahm sich das ausgeblichene, rote Halfter vom Haken an der Box und schob die Tür ein wenig auf. Das Pferd drehte ihr seinen Hintern zu und hob drohend ein Hinterbein an. Hannah machte geistesgegenwärtig einen Schritt nach hinten und der Tritt ging ins Leere. Sie entschied, hier ihr Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Sie schob die Tür wieder zu, hängte das Halfter zurück und fing Jane gerade noch ab, als diese schon fast wieder im Büro verschwunden war.

„Jane?“

„Ja?“ Jane drehte sich zu ihr um.

„Hast du ein anderes Pferd für mich? Sorry, aber der dreht mir jetzt schon den Hintern zu und tritt nach mir, da hab ich keinen Vertrag mit.“

Jane sah Hannah einen Moment lang an. „Der tut nur so. Der ist echt ok. Geh halt mit einer Gerte rein und mach ihm klar, wer der Chef ist.“

Hannah starrte Jane an. „Ist das dein Ernst? Ich soll mit einer Gerte ein wildfremdes Pferd schlagen? Und das in der Box? Ich wollte den Tag eigentlich gerne überleben.“

Janes Augenlider zuckten.

„Gibt es Probleme?“ fragte eine ernste, tiefe Männerstimme. Hannah drehte sich erschrocken um, sie hatte den Mann nicht kommen hören oder sehen. Was daran gelegen haben mochte, dass er genauso dürr war wie Jane und sich mit seiner grau-braun-grünen Kleidung kaum vom Hintergrund abhob.

„Ah, Dad. Nein, keine Probleme, aber sie will Leonardo nicht reiten“, sagte Jane.

„Ich will lediglich mein Leben nicht aufs Spiel setzen“, korrigierte Hannah.

Der Mann verzog einen Mundwinkel zu einem sanften, halbseitigen Lächeln. Er sah Jane an, aber Hannah konnte den Blick nicht deuten. „Sie darf Geronimo reiten, das ist ok.“

Jane nickte und sagte nur kühl „Bei der Tür vorne rechts.“

Hannah murmelte einen Dank und ging sich ihr Ersatzpferd anschauen. Als sie auf dem Weg dorthin an Leonardos Box vorbeilief, trat der gegen die Boxenwand und Hannah war wirklich froh und auch stolz auf sich, dass sie nach einem anderen Pferd gefragt hatte.

Geronimo erwies sich als genaues Gegenteil von Leonardo. Der große, sehr helle Fuchswallach stand halb schlafend in seiner Box, ein Hinterbein entspannt angewinkelt und die Ohren auf Halbmast. Als Hannah die Tür aufschob und ihn freundlich begrüßte, öffnete er immerhin das ihr zugewandte Auge.

Sie brachte ihn raus auf den Hof, wo die anderen Kursteilnehmer schon fleißig dabei waren, ihre Pferde zu putzen. Geronimo trottete brav, aber sehr langsam neben ihr her.

„Warum hast du denn so lange gebraucht?“ rief Nora zu Hannah rüber.

„Ich hab das Pferd noch mal getauscht, das, was sie mir zuerst geben wollten, hat nach mir getreten, sobald ich die Tür aufgemacht habe.“

„Man kann das Pferd tauschen? Echt? Da geh ich auch mal fragen, meins ist jetzt schon eine Schlaftablette.“ Sie zeigte mit der Bürste in der Hand auf die dunkelbraune Stute, die sie zugeteilt bekommen hatte.

Hannah band Geronimo an und holte seinen Putzkasten, der ganz oben auf dem Regal in der Sattelkammer stand und komplett verstaubt war. Während des Bürstens ging Geronimo wieder in den Standbymodus über, hob brav die Hufe auf Kommando und schien alles in allem ein Glücksgriff zu sein. Auch als Nora mit ihrem Tauschpferd auf den Hof kam und dieses kaum halten konnte, hob er nur kurz den Kopf, schaute was los war und döste dann weiter. Hannah grinste, als Nora Leonardo festband und eine der Stallhelferinnen das dicke, braune Pony wegbrachte.

„Ist der nicht toll? Hannah, schau doch mal!“ freute sich Nora über ihr neues Pferd.

 

Eine gute halbe Stunde später waren sie dann endlich soweit, die gesamte Truppe stand im leichten Nieselregen auf dem matschigen Reitplatz. Es war windig und wirklich kalt. Hannah war froh, sich warm angezogen zu haben, einige andere Kursteilnehmer sah sie schon morgen eine Lungenentzündung haben. Auch Nora war eher sommerlich-schick gekleidet und Reithandschuhe waren anscheinend unter ihrer Würde. Aber trotzdem sah es schnieke aus, wie sie sich abmühte, Leonardo zu bremsen und zu lenken. Warm war ihr sicherlich.

Geronimo erwies sich unter dem Sattel als aufmerksam, wollte aber schon genau gesagt bekommen, was zu tun war. Etwas, das Hannah so nicht gewohnt war. Die Pferde, die sie zu Hause ritt, musste man für gewöhnlich eher bremsen als anschieben.

 

Schon während der ersten halben Stunde fielen zwei der jüngeren Reitkursteilnehmerinnen von ihren Pferden und es brach eine Diskussion über deren Reitkenntnisse los. Jane duldete keine Widerrede und kündigte an, die Pferdeverteilung noch einmal anzupassen.

Aber zunächst stand eine kleine Springeinheit an. Die zwei Sprünge, die Jane und ihre zwei Helferinnen aufbauten, erschienen Hannah sehr hoch, waren aber auf Nachfragen hin angeblich nur sechzig und achtzig Zentimeter hoch.

Geronimo machte vor dem ersten Sprung eine Vollbremsung, aber Hannah konnte sich gerade noch auf seinem Hals abstützen. Nora lachte laut los, ihr eigener Versuch war aber auch nicht besser und hatte eher etwas von Zirkusakrobatik als von Springreiten. Der zweite Versuch endete damit, dass sie Leonardo nicht mehr bremsen konnte, dieser im vollen Galopp um den Reitplatz kreiste und sich immer mehr aufregte. Erst, als Jane sich ihm in den Weg stellte, konnte Nora ihn wieder unter ihre Kontrolle bringen, fiel aber trotzdem nach dem nächsten Sprung runter. Bis sie ihn wieder eingefangen hatten, dauerte es geschlagene zehn Minuten und Nora und Jane sahen hinterher aus wie nach einer Schlammschlacht. Hannahs weitere Sprünge klappten zwar gut und Geronimo sprang sehr manierlich und vorsichtig über die Hindernisse, aber sie wurde trotzdem hinterher gefragt, ob sie denn überhaupt schon mal gesprungen sei. Ihre ehrliche Antwort, nämlich nur einmal über einen umgestürzten Baumstamm, brachte Jane erneut zum Kochen, aber ihre Wut entlud sich diesmal auf Nora, denn immerhin hatte sie Hannahs Reitkenntnisse in das Anmeldeformular eingetragen.

Als noch zwei Pferde fast miteinander kollidierten, einer Frau der Reithelm in den Matsch fiel und es immer stärker regnete, brach Jane die Reitstunde ab und die Truppe brachte die Pferde in den Stall zurück. Schlammkönigin Nora verschwand fluchend in Richtung Dusche und Hannah folgte einigen anderen Kursteilnehmern in den Aufenthaltsraum.

 

Der Aufenthaltsraum war nur spärlich und lieblos eingerichtet, aber das große Sofa, über dem eine fleckige Decke lag, erschien Hannah jetzt wie der Himmel auf Erden. Die ältere, vornehm wirkende Dame, die ebenfalls am Kurs teilnahm, kochte erst mal in Seelenruhe eine größere Menge Tee in der kleinen Küchenzeile in der Ecke des Raumes und ließ sich dann seufzend in einen hohen Sessel fallen, der auch schon bessere Zeiten erlebt hatte. Drei weitere Teilnehmerinnen kamen hinzu und alle waren froh, ihre Finger um eine warme Tasse legen zu können. Sie unterhielten sich eine Weile, stellten sich einander vor und nach und nach begannen ihre Mägen zu knurren. Die beiden Praktikantinnen des Stalles, Gertrud aus Österreich und Maria aus Spanien, kamen nun dazu und begannen, Brote zu schmieren. Das war dann wohl das versprochene Mittagessen.

 

Mehr oder weniger gesättigt saßen sie noch eine Weile in dem kalten Aufenthaltsraum und dann ging Hannah nach Nora schauen. Sie fand sie im Stall vor Leonardos Box. Der tobte, lief ständig im Kreis, so gut das in der engen Box eben ging, und schnaubte nervös.

„Ach, er ist so toll!“ quietschte Nora, als sie Hannah kommen sah.

„Mir ist der zu hektisch.“

„Ach Quatsch, zu Hause, deine Zauberfee, die ist doch auch lebhaft.“

„Lebhaft ja, aber der ist gemeingefährlich.“

„Ich bin echt schon gespannt, wie er draußen so ist, im Gelände.“

Hannah konnte nichts mehr erwidern, da Jane und Babette, die sommersprossige Französin, wild miteinander diskutierend um die Ecke bogen.

 

Zwei Stunden später stand die nächste Reiteinheit an. Einige Kursteilnehmer hatten noch mal die Pferde tauschen müssen und Hannah saß nun auf einem kleineren, graubraun-weiß gescheckten Wallach. Es stand eine Einführungsrunde auf dem hofeigenen Geländeparcours an, der sich über mehrere Kilometer durch Wald, Wiesen und Felder erstreckte, alles auf dem Privatgelände des Stalles. Hier waren jede Menge feste Hindernisse installiert, unter anderem aus alten Baumstämmen, Holzfässern und –balken, aber es gab auch bunte Turnierhindernisse, Wassergräben oder Zäune.

Der Ritt hatte von Anfang an ein recht hohes Grundtempo und die Hindernisse machten Hannah schon jetzt Bedenken. Sie ritt, seit sie sieben Jahre alt war, immer nur dressurmäßig oder eben im Gelände, aber ohne Sprünge. Cappuccino, das Pferd, auf dem sie gerade saß, war ein verlässliches Springpferd, aber an dem ein oder anderen Hindernis merkte es doch Hannahs Unsicherheit und lief lieber gleich daran vorbei.

Es kam wie es kommen musste, im Wald bei einigen in Reihe zwischen zwei hohen Hecken aufgebauten Hindernissen fiel eine Reiterin vom Pferd und verursachte so eine Kettenreaktion, die noch zwei weitere Pferde zum Scheuen brachte. Eine Reiterin konnte sich gerade so noch an einem Baum festhalten und landete daher vergleichsweise weich. Die andere ging mitsamt Pferd in der Hecke zu Boden und hatte daraufhin sehr starke Schmerzen im Knie. Hannah bekam das nun reiterlose Pferd zu fassen und hatte somit eine Ausrede, nicht mehr springen zu müssen. Die Verletzte wurde mit dem Auto abgeholt und der Rest der Truppe ritt weiter. Hannah war doch ein wenig erstaunt darüber, dass sie nun alleine mit zwei Pferden zum Stall zurückgeschickt wurde, aber laut Maria war das vollkommen ok. Der Weg wäre ja eindeutig markiert und das Gebäude sei außerhalb des Waldes auch gut sichtbar. Sie würde den Weg schon finden.

Hannah schaffte es mit beiden Pferden ohne weitere Zwischenfälle zum Hof zurück, wo sie bereits von Jane in Empfang genommen wurde. Sie versorgten die Pferde und Hannah verabschiedete sich für den Tag.

 

Für den Rückweg brauchte sie länger als für den Hinweg und war wirklich froh, als die Pension endlich in Sicht kam. Hannah war enttäuscht über die schlechte Organisation des Reitkurses und vor allem über Nora, die sich doch sehr seltsam benahm. Ein wenig dominant war sie schon immer gewesen, aber dass sie sich jetzt so abweisend verhielt, das hatte Hannah nicht erwartet.

 

Als Hannah das schwere Holztor öffnete und über den Fußweg auf die Haustür zuging, sah sie, warum die Farm Cloverlane hieß. Der schmale, sorgfältig geharkte Kiesweg führte durch eine große Kleewiese. Mary und Colin standen an der Haustür und unterhielten sich, Mary schon wieder oder immer noch in Hausschuhen und ihrer Schürze von heute Morgen.

„Hallo, na, du siehst aber nicht gerade glücklich aus“, bemerkte Mary, als Hannah näher kam. Hannah wusste nicht, wo sie mit ihrer Erklärung anfangen sollte und sagte erst mal nichts.