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Endlich knallt es mal in Bärbels Leben, als sie an einem regnerischen Februartag in einem Parkhaus den Sänger einer überaus beliebten finnischen Musikgruppe umrennt. Da man sich aber im Leben immer zweimal trifft, hat die beziehungsschwierige Fastvierzigerin mit dem seltsamen Humor den verletzten Finnen kurze Zeit später auf ihrem Sofa sitzen. Als wäre das nicht absurd genug, muss sie auch noch einen vorübergehend wohnungslosen Mops aufnehmen. Beide sind niedlich und beide muss Bärbel wieder zurückgeben – für immer?
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Inhaltsverzeichnis
Über das Buch
Der Parkhausfinne Band 1
Kapitel 1 – Auf zum Flughafen!
Kapitel 2 – Alles muss man selbst machen!
Kapitel 3 – Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!
Kapitel 4 – Tannenduft oder Sprühsahne?
Kapitel 5 – Busgeflüster
Kapitel 6 – Emotionsstau
Kapitel 7 – Meine Freundin, die Gravitation
Kapitel 8 – Wo versteckt man am besten einen Finnen?
Kapitel 9 – Pflegeleichte Finnen? Fehlanzeige!
Kapitel 10 – Der kleine Prinz ist jetzt sauber
Kapitel 11 – Nachts am Fenster
Kapitel 12 – Möpse, Männer, Mittagsschlaf
Kapitel 13 – Aussprache und Schwedenschnulze
Kapitel 14 – Give it a try, whispered the heart
Kapitel 15 – Schnell! Schnell!
Kapitel 16 – Doppelter Abschied
Kapitel 17 – Operation Finnland angelaufen
Kapitel 18 – Finnisch für Anfänger Teil 1 oder: Hoffnung in Sicht?
Nachwort und Danksagungen
Weitere Bücher von Waltraud Batz
Über das Buch
Endlich knallt es mal in Bärbels Leben, als sie an einem regnerischen Februartag in einem Parkhaus den Sänger einer überaus beliebten finnischen Musikgruppe umrennt.
Da man sich aber im Leben immer zweimal trifft, hat die beziehungsschwierige Fastvierzigerin mit dem seltsamen Humor den verletzten Finnen kurze Zeit später auf ihrem Sofa sitzen.
Als wäre das nicht absurd genug, muss sie auch noch einen vorübergehend wohnungslosen Mops aufnehmen.
Beide sind niedlich und beide muss Bärbel wieder zurückgeben – für immer?
Ein humorvoller Roman für Finnland- und Tierfreunde
Band 1 der Reihe „Der Parkhausfinne“
Zeitliche Einordnung
Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2015.
Über die Autorin
1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.
Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gern, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln. Und Rentier.
Weitere Bücher von Waltraud Batz
Cloverlane Farm
ISBN 978-3-7541-0921-2 Taschenbuch
ISBN 978-3-7541-0922-9 E-Book
After the Storm
ISBN 978-3-754921-80-7 Taschenbuch
ISBN 978-3-754921-83-8 E-Book
Waltraud Batz
Der Parkhausfinne
Band 1
Roman
1. Auflage 2022
Texte und Umschlag
© 2022 Claudia Wissemann
Sendeformat „Koch und weg”
© 2015 Claudia Wissemann
Verantwortlich
Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel
Druck
epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Kapitel 1 – Auf zum Flughafen!
Bärbel schüttelte sich den Frankfurter Nieselregen aus den Haaren. Das Februarwetter und die Feierabendbetriebsamkeit in der soeben betretenen Ladengalerie trugen nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu verbessern. Bärbel versuchte, sich nicht mehr über den Streit mit ihren Eltern zu ärgern, darüber, ob man Tante Lisbeth zum 65. Geburtstag nun eine französische Pfeffermühle oder eine handgeklöppelte Tischdecke schenken würde. Ähnliche Dramatik war heute im Büro entstanden, als zwischen ihrer netten, aber manchmal doch recht einfältigen Kollegin und dem Abteilungsleiter eine Diskussion über die Farbe der zu bestellenden Heftstreifen entbrannt war.
Wenigstens war jetzt Feierabend. Ein Tablet oder ein schickes Notebook würde sich super anbieten, so als Impulskauf. Zur Not auch ein Nasenhaarschneider. Bei dem Gedanken musste Bärbel in sich hineingrinsen und ihre Laune besserte sich schlagartig. Bloß nicht zu übermütig werden. Aber gucken konnte man ja mal!
Wie immer irrte sie gefühlt mehrere Stunden umher und suchte die Rolltreppe, die nach oben zum Elektronikmarkt führte. Und es kam ihr vor, als sei ihr jeder im Weg. Am schlimmsten waren die Leute mit den Doppelkinderwagen. Konnten die nicht wenigstens aufpassen, keine Passanten anzufahren?
Sie umschiffte erfolgreich die ganzen anderen Feierabendeinkäufer und fuhr nach oben, in der Hoffnung, nicht allzu viel Geld auszugeben.
Oben angekommen wurde Bärbel vom unerbittlichen Rolltreppenmechanismus in eine Menschenmenge geschoben. Was war denn hier los? Sie bahnte sich erst einmal einen Weg zur Seite, um Platz zu machen für die Leute, die hinter ihr die Rolltreppe hochkamen.
Vor den geschlossenen Glastüren des Elektronikmarktes stand eine aufgeregte Menge an Teenagermädchen, jungen und älteren Frauen. Bärbel erkannte weder warum die Türen geschlossen waren noch warum diese Menschenmenge hier wartete und fragte daher nach.
„Polarfrost kommen zur Autogrammstunde!“, quietschte eine der befragten Teenie-Schönheiten.
Na, das war doch mal was. Teemu, den Sänger und Gitarristen der finnischen Musikgruppe, fand Bärbel toll. Über die Band an sich wusste sie nicht viel. Sie mochte das aktuelle Album gern, eine opulente Mischung aus Metal, Elektro-Pop und düster-melancholischen Balladen. So, als hätte man The Cure mit Depeche Mode, Metallica und Nightwish durch einen Mixer gedreht, aber auf liebevolle Art. Das meiste von dem, was die Band davor an selbst geschriebenen Liedern veröffentlicht hatte, fiel bärbelintern eher unter die Bezeichnung ‚Krach’.
Nun gingen die Türen des Elektronikmarktes auf und die Horde hormongesteuerter Weiblichkeit ergoss sich in den Laden. Die Mitarbeiter, die die Türen aufgeschlossen hatten, retteten sich gerade so noch zur Seite. Es war ein spannend anzusehendes Drücken, Schieben und Drängeln, jede wollte die Erste sein. Bärbel war irritiert von der Vehemenz und auch der Aggressivität, mit der die Fans vorgingen. Einige rissen Staubsauger- oder Mikrowellenkartons von den Angebotsstapeln im Eingangsbereich des Ladens und warfen sie ihren Kontrahentinnen in den Weg, sodass diese stolperten und hinfielen. Die Mitarbeiter des Marktes mussten sogar zwei sich prügelnde Frauen trennen.
Nach kürzester Zeit war der Spuk auch schon wieder vorbei. Die letzten Autogrammjägerinnen waren quiekend in den Tiefen des Ladens verschwunden und nur die am Boden liegenden Kisten zeugten noch von dem soeben stattgefundenen Tumult.
Bärbel schüttelte den Kopf und betrat zusammen mit einigen anderen Normalbesuchern den Laden. Sie schaute bei den Tablets und Notebooks vorbei, entschied sich aber sparsamerweise gegen einen Kauf und folgte der Schneise der Verwüstung in die obere Etage des Marktes. Vielleicht würde sie ja einen Blick auf die Finnen erhaschen können.
Finnisch! Das war auch so etwas. Sie hatte einige Interviews mit Teemu auf Finnisch gesehen, die Sprache war absolut faszinierend und das Land interessierte sie auch sehr. Mit Sommer, Sonne und Strandurlaub konnte man Bärbel jagen. Ihre Devise war, lieber festfrieren als schwitzen. Vielleicht würde sie mal hinfliegen, nach Finnland, irgendwann.
Die finnische Autogrammstunde zu finden, war nicht sonderlich schwierig. Wenn sich die Betreiber des Marktes da mal nicht übernommen hatten. Die Sicherheitskräfte schafften es kaum, die aufgeregten Fans in geregelte Bahnen zu lenken. Bärbel verzichtete darauf, sich anzustellen, das war ihr zu gefährlich und das Verhalten der Fans schien ihr unberechenbar. Sie wollte nicht enden wie die Mikrowellenkartons im Erdgeschoss. Immerhin musste sie nur noch morgen arbeiten und hatte danach Urlaub. Und den wollte sie nicht im Krankenhaus verbringen.
Gemeinsam mit einigen anderen Kunden sah Bärbel sich das Spektakel daher aus sicherer Entfernung an. Über einen riesigen, überdimensional großen Fernseher hinweg, der am Boden stand, hatte man schräg an der Fensterfront entlang einen guten Blick auf das Geschehen.
Alle fünf Mitglieder von Polarfrost saßen nebeneinander. Von dreien kannte Bärbel die Namen, die anderen beiden, ja, die gehörten auch zur Band, aber wer da jetzt wer war wusste sie nicht.
Ein Security-Mensch rief immer wieder in die Menge, dass Bilder mit Blitz und Fotos zusammen mit den Bandmitgliedern verboten waren. Trotzdem blitzte es ab und an und es gab vereinzelt immer wieder Fans, die das Fotoverbot nicht akzeptierten oder auch versuchten, über die Tische zu klettern, um das Bandmitglied ihrer Wahl wenigstens einmal kurz anzufassen. Das Geschrei der langsam an ihre nervlichen Grenzen stoßenden Aufpasser konnte man durch den ganzen Laden hören.
Die Autogrammschlange schob sich zäh vorwärts. Als Erstes saßen die beiden Männer, die Bärbel namentlich nicht zuordnen konnte. Danach kam Diego, der halb mexikanische, immer gut gelaunte Schlagzeuger der Band. Neben ihm saß Juha, der Leadgitarrist und am Ende des Tisches Teemu. Die Mädels waren allesamt irre aufgeregt und hibbelten nervös herum.
Bärbel fand, dass Teemu gestresst aussah, ansonsten konnte sie sich nicht beklagen. Dunkle Jeans, T-Shirt, darüber ein offenes Jeanshemd, bei dem er nur den linken Ärmel hochgekrempelt hatte, wie das in letzter Zeit für ihn typisch war. Am rechten Handgelenk trug er zwei Armbänder, an den Füßen Turnschuhe und über seinem Stuhl hing eine schwarze Jacke.
Teemu gefiel Bärbel eigentlich sehr gut, aber so, wie er momentan aussah, hätte sie ihn am liebsten zum nächsten Frisör gezerrt. Sie bevorzugte ihn richtig blond und halbwegs ordentlich frisiert. Da es aber Anfang Februar war und die deutsche Fernsehsendung, in der er regelmäßig auftrat, Winterpause hatte, war Teemu zurzeit nur in Sachen Musik unterwegs. Daher waren seine Haare zweifarbig und sein zotteliger, herausgewachsener Kurzhaarschnitt war mit einigen dunklen Strähnen durchsetzt. Ein hellblonder Sänger machte sich eben nicht so gut, wenn man als Band eine düstere, geheimnisvolle Aura ausstrahlen wollte.
Bärbel gefiel der Alltags-Teemu, so wie er hier saß, viel besser als der Bühnen-Teemu. Auf der Bühne wirkte er allein schon durch seine fast ausschließlich schwarze oder weiße, oft unkonventionelle Kleidung unnahbarer als mit Jeanshemd und Turnschuhen.
Seit zwei Jahren war er außerdem fester Bestandteil der sehr beliebten, deutschen Samstagabendsendung Koch und weg, moderiert von Heribert Koch. Die Show war eine spritzige Mischung aus Kochen, Unterhaltung, Reise, Musik, Comedy und Außenreportagen, pro Sendung wurde ein Land vorgestellt. Nach Teemus Auftritt in der Finnlandsendung hatte es dermaßen viele positive Reaktionen seitens der Zuschauer gegeben, dass er als fester Bestandteil in die Sendung integriert wurde. Er fungierte als gespielt trotteliger Koch, Interviewpartner und Außenreporter und war beim Publikum mehr als beliebt, vor allem bei den Frauen, quer durch alle Altersstufen. Er war immer für einen Lacher gut, zog alles und jeden durch den Kakao und seine Antworten auf die Frage ‚Und was sagt Finnland dazu?’ hatten seit einiger Zeit Kultstatus. Mittlerweile sprach Teemu sogar sehr gut Deutsch, situationsbedingt mit mehr oder weniger starkem finnischem Akzent.
Seiner Band Polarfrost hatten Teemus Auftritte zum endgültigen Durchbruch im deutschsprachigen Raum verholfen. Ihre Konzerte spielten sie mittlerweile in den größeren Konzerthallen des Landes und nicht mehr nur in düsteren finnischen Spelunken vor einer Handvoll betrunkener Gäste. Der Gedanke war schon irgendwie lustig, dass Teenies, die seine Kinder sein könnten, Schilder hochhielten mit ‚Teemu, ich will ein Kind von dir’. Weniger lustig hingegen waren diverse Zwischenfälle bei Konzerten und Fantreffen, bei denen sogar zwei Mädchen schwer verletzt worden waren. Die Band hatte daher beschlossen, aus Sicherheitsgründen demnächst keine Autogrammstunden mehr zu geben.
Da hatte Bärbel wohl eine dieser letzten Autogrammstunden erwischt.
Allein Teemu eine Weile zu beobachten, rettete Bärbel den Tag. Der große Finne war lieb zu den Fans, schaute jeder in die Augen und unterschrieb auch auf den absurdesten Körperteilen. Fanattacken wich er aus so gut es eben ging, die eine oder andere unfreiwillige Umarmung konnte er allerdings nicht mehr rechtzeitig abblocken.
Je weiter die Autogrammstunde fortschritt, desto nervöser wurde er. Er lächelte trotzdem jeden Fan zunächst freundlich an und stellte auch die ein oder andere Frage. Bärbel stand nicht in Hörweite, hatte aber den Eindruck, als ob kaum jemand antwortete. Oder antworten konnte. Die, die ihre Autogramme bereits hatten, wurden von den Sicherheitsleuten weitergescheucht. Sobald die Mädchen ein paar Meter weg waren, hörte man sie quietschen und kichern.
Mit einem Mal tat Teemu Bärbel nur noch leid. Er war für die Mädels kein Mensch, sondern … Ihr fiel kein passendes Wort ein. Spielzeug? Nein. Wäre er eine Frau und die Mädels Jungs, hätte sie sogar ein Wort dafür gehabt, nämlich Wichsvorlage.
Bärbel sah dem munteren Treiben noch eine Weile zu und verließ dann den Elektronikmarkt. Heute Abend würde sie mal wieder eine Konzert-DVD der Band schauen und dazu eine Pizza essen. Ein guter Plan. Und vielleicht würde sie noch einen schnulzigen Film hinterherschieben. Mal wieder so richtig im Selbstmitleid baden. Bärbel war jetzt seit mehreren Jahren Single, nachdem ihre letzte Beziehung nicht gerade friedlich auseinandergegangen war. Konnte sich nicht mal im richtigen Leben jemand wie Teemu in sie verknallen? Nur in ‚normal’ und ohne den Popstar-Faktor?
Auf dem Weg ins Parkhaus wurde sie noch in die Buchhandlung gesaugt und stand dann vor der allseits beliebten Frage: Wo lang? Schon wieder hatte sie sich nicht gemerkt, auf welcher Seite des Parkdecks ihr Auto stand. Die Ebene stimmte, da war sie sicher. So ein Mist.
Hier ungefähr hatte es gestanden. Da war es aber nicht, also musste es auf der anderen Seite stehen. Sie wollte gerade an den Kassenautomaten vorbei die Seite wechseln, als sie heftig mit jemandem zusammenstieß, der um die Ecke geschossen kam.
Beide machten ein kleines, überraschtes Geräusch. Die Reisetasche, die ihr Gegner in der Hand gehabt hatte, klatschte auf den Boden und Bärbels Buchhandlungstüte auch. Bärbel ging kurzfristig zu Boden, rappelte sich aber gleich wieder auf. Beide hoben ihr Gepäck auf und sie sah zu dem Mann hoch.
Es traf sie fast der Schlag. Sie starrte in zwei blau-graue Augen, die sie nur allzu gut kannte. Allerdings eher aus dem Fernsehen oder von ihrem Computermonitor.
„Sorry“, sagte Teemu und rang sich ein Lächeln ab. „Hast du dich verletzt?“, fragte er, nun auf Deutsch, mit ein bisschen Akzent. Er klang wie im Fernsehen.
„Ich werde es überleben.“ Sie musste grinsen. „Bist du auf der Flucht?“
Er lächelte schief, zuckte mit den Schultern und sah sich nervös um. „Ja, so ungefähr.“
Bärbel nickte ihm freundlich zu und wandte sich zum Gehen. „Na dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten. Schönen Tag noch und viel Erfolg.“
Er war bestimmt froh, wenn er in Ruhe gelassen würde, nach all seinen schlechten Erfahrungen mit übergriffigen Fans. Bärbel sortierte ihren Schal zurück in ihre Jacke und ging in die Richtung, in der sie ihr Auto vermutete.
Da vorn war es, sie konnte schon die hintere Stoßstange sehen. Ein großer SUV stand nun daneben, kein Wunder, dass sie es nicht auf Anhieb gefunden hatte. Sie hörte Schritte hinter sich.
„Warte bitte!“
Bärbel drehte sich um und wartete, bis Teemu bei ihr war. Er atmete gestresst aus und fuhr sich hektisch durch die Haare. Ihn aus der Nähe zu sehen war interessant. Im Fernsehen sah er immer so jungenhaft und wie geleckt aus, aber jetzt hier, ohne dass die Visagisten ihn bearbeitet hatten, sah man doch einige Fältchen und die Narbe in seiner linken Augenbraue war deutlich zu erkennen. Immerhin war der Kerl auch schon fast vierzig und kein Kind von Traurigkeit, wenn man den Medien glauben durfte.
„Ja, klar. Was gibts denn?“ Sie hoffte, dass sie ihn nicht allzu auffällig anstarrte.
„Ich habe Problem“, sagte er auf Deutsch. Das Weglassen des Artikels war typisch für ihn, immerhin gab es im Finnischen keine. Das hatte er mal in einem Interview erzählt. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und sah sich immer wieder nervös um.
„Oh. Was denn?“, fragte Bärbel.
„Die … anderen haben mich vergessen hier. Ich muss am Flughafen sein in fünfundvierzig Minuten. Kannst du mir sagen, wo ich Taxi bekomme? Bitte.“
„Ähm … ja, klar. Vorn an der Hauptstraße stehen immer welche. Aber das schaffst du nicht mehr. Die Mädchen da draußen reißen dich in Stücke. Bis du es zum Taxistand geschafft hast, ist es morgen früh. Und wenn du ein Taxi anrufen würdest, braucht das auch eine Weile, bis es hier ist. Und warten müsstest du auch draußen. Ich glaub nicht, dass Taxis hier runter ins Parkhaus kommen.“
Teemu griff sich an den Nacken, kniff die Augen zusammen und fluchte auf Finnisch. Es klang allerdings nicht besonders empört, sondern eher lustig.
„Soll ich dich fahren?“
Der Finne sah ihr in die Augen. Bärbel fühlte sich, als ob er ihre Gedanken lesen konnte und ihr wurde ganz anders.
„Ähh …“ Er zog ein Gesicht, als sei Bärbels Vorschlag gänzlich außerhalb des Akzeptierbaren einzustufen. Er kämpfte einige Sekunden mit sich und nickte dann. „Ja, okay. Danke.“
„Kein Problem, dann mal los.“ Sie hoffte, dass es so aufmunternd bei ihm angekommen war, wie sie es gemeint hatte und lief weiter in Richtung ihres Autos.
Teemu holte zu ihr auf. „Sorry, dass ich mache Mühe und danke noch mal. You are my …“ Er suchte nach einem Wort.
„Last Hope?“ Sie musste lachen und er ließ sich davon sogar anstecken. „Ja.“ Der Liedtitel von Polarfrost passte hier perfekt. Bärbel nickte, drückte auf die Türentriegelung ihrer Funkfernbedienung und die Lampen des dunkelblauen Ford Mustang GTs blinkten kurz. Teemu riss die Augen auf. „Das ist dein Auto?“
„Ja, Herr Perhonen, da guckense, ne?“ Ups, hatte sie das laut gesagt? Naja, auch egal.
Teemu sah sie nun erneut skeptisch an und kämpfte sichtlich mit sich, ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich überlegte er jetzt, wer gefährlicher war: Die Frau mit dem aufgemotzten amerikanischen Sportwagen, oder die Horde Fans, die bestimmt noch im Orbit des Einkaufszentrums kreiste und ihm die Klamotten vom Leib reißen würde, sobald sie ihn sah.
Bärbel öffnete den Kofferraum und sie räumten ihr Gepäck hinein. „Sorry. Ich wollte sagen, ja, das ist mein Auto.“
Sie fuhren aus dem Parkhaus und auf die Autobahn in Richtung Flughafen. Es war nicht viel los und den Mustang zu fahren machte wie immer einen Heidenspaß. Teemu tat Bärbel immer noch leid, so angespannt wie er war. Vielleicht schaffte sie es ja doch noch, ihm klarzumachen, dass sie keine Gefahr für ihn darstellte.
„Du hast gesagt, die anderen haben dich im Parkhaus vergessen. Wie kann man denn seinen Sänger einfach so vergessen?“, fragte sie in die Stille hinein.
Er seufzte. „Sie dachten, ich fahre zusammen mit unserem Manager. Aber er ist allein gefahren. Ich habe nur noch gesehen Auto von hinten.“ Teemus tiefe, warme Stimme erfüllte den Innenraum des Mustangs und in Bärbels Bauch wölkten Schmetterlinge auf. Teemu war wirklich hier in ihrem Auto! Das war surreal und fantastisch zugleich.
„Warum hast du ihn nicht gleich angerufen, damit er zurückkommt?“
„Akku leer.“ Er klang leicht genervt. Das Wort ‚Akku’ sprach er auf die finnische Art aus – mit einer Mikropause zwischen den beiden k.
„Oh.“ Sie griff in ihre Jackentasche und hielt ihm ihr Handy hin. „Willst du jetzt telefonieren?“
Teemu sah sie verschreckt an, so, als ob sie ihm gerade ein tiefgefrorenes Brathähnchen hinhielt und kein iPhone. Vielleicht überlegte er ja, ob er ein Telefonat wagen könne, immerhin hätte sie dann die Telefonnummer von dem, den er anrufen würde. Juha vielleicht oder einen der beiden Namenlosen. Vielleicht auch seinen Manager Kristian, den Unsympathen, der immer so einen arroganten Eindruck machte.
Teemu fand sein Lächeln wieder. Sein Fremde-Leute-Lächeln. „Nein, danke, ich habe Ticket und treffe die anderen am Gate. Alles gut.“
„Okay.“ Sie steckte das Telefon wieder weg. „Ich wollte dir nur helfen. Ich habs nicht böse gemeint.“
Er atmete hörbar aus und kratzte sich am Kopf. Wehe, du verteilst mir finnische Schuppen auf den Ledersitzen, mein Freund!
„Nein, nein, alles gut. Ich … wollte nicht unfreundlich sein. Ich bin nur … bisschen gestresst. Danke, dass du mich zum Flughafen bringst.“
„Kein Problem, gern.“
„Schönes Auto.“
„Ja, ich liebe es.“
Er lächelte und sah weiter aus dem Fenster.
Sie kamen jetzt in die Nähe des Flughafens. „Welches Terminal?“, fragte Bärbel.
„Eins.“
Sie fuhr den Schildern nach und hielt vor dem Flughafengebäude an. Einige der dort stehenden Leute starrten zu ihnen herüber, aber der Mustang war eben kein silberner Golf. Da starrte immer irgendjemand.
Teemu nickte erleichtert. Er sah Bärbel an und lächelte. Na also, geht doch.
„Vielen Dank, ähm … wie ist dein Name?“
„Bärbel.“
„Bör-bell?“ Nein, Bärbel, du Witzbold. Sie lächelte und sagte nichts.
„Danke für Rettung.“ Er überlegte kurz und streckte ihr dann seine rechte Hand hin.
Er hatte einen angenehmen Händedruck, nicht zu fest und nicht zu schlaff. Teemu öffnete die Tür und faltete sich aus dem tiefen Auto nach draußen. Er kruschelte im Kofferraum herum und knallte die Klappe ein wenig zu fest zu. Hey, lass mir mein Auto ganz!
Er klopfte zweimal aufs Dach und war einige Sekunden später durch die automatische Glastür im Flughafen verschwunden. Bärbel fuhr wieder auf die Autobahn und weiter nach Hause, der Tag heute war mehr als gerettet. Sie drehte die Countrymusik lauter und zog auf die linke Spur.
Kapitel 2 – Alles muss man selbst machen!
Nach einem Zwischenstopp bei ihrer Lieblingspizzeria fuhr Bärbel nach Hause und sah liebevoll zu dem Essensstapel auf dem Beifahrersitz. Sie musste wieder an Teemu denken und grinsen. Doch was war das da neben dem Pizzakarton? Sie hob ein Haar hoch und betrachtete es im letzten Licht der untergehenden Sonne. Blond, aha. Die Finnen warfen also bereits ihr Winterfell ab. Und das im Februar! Musste ein heißer Sommer werden.
Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht legte sie das finnische Premiumhaar zurück an die Vorderkante des Beifahrersitzes und schob es mit dem Finger immer weiter, bis es hinunterfiel. Teemu hin oder her, ein Haar hatte auf den schwarzen Ledersitzen nichts verloren!
Vorsichtig trug Bärbel ihr Essen nach oben in ihre Wohnung. Die Pizza schmeckte fantastisch, wie immer. Diese Pizzeria war ein Phänomen. Die Einrichtung entsprach der Kombination Operationssaal-Schlachthaus mit einem Schlag Eisdiele, die Bedienung war schwer von Begriff und langsam, unfreundlich noch dazu und das Liefern dauerte meist über eine Stunde, obwohl Bärbel nur zwei Autominuten entfernt wohnte. Aber die Pizza war einfach unschlagbar und es gab in der Nähe keine nennenswerten anderen Restaurants, also hielt sich die Pizzeria dort seit Jahren.
Es ging doch nichts über eine gesunde Ernährung! Während auf dem Fernseher das Polarfrost-Konzert lief, blätterte Bärbel in dem Finnland-Reiseführer, den sie spontan vorhin in der Buchhandlung gekauft hatte. Allein die finnischen Eigennamen waren schon eine Klasse für sich und klangen teilweise wirklich niedlich. Warum so viele Doppelbuchstaben und so viele ‚i’? Was Wales an Vokalen zu wenig hatte, hatten die Finnen zu viel.
Später am Abend erinnerten ein herzhaftes, immer wiederkehrendes Gähnen und ein Blick auf die Uhr Bärbel daran, dass es nun an der Zeit war, sich so langsam in Richtung Bett zu bewegen. Auf dem Weg dorthin sah sie noch am Computer nach neuen E-Mails und wurde überrascht.
Corinna hatte ihr geschrieben. Was wollte die denn? Bärbels Neugier war geweckt. Früher hatte Corinna zu ihren besten Freundinnen gezählt, aber seit mehreren Jahren war der Kontakt zwischen ihnen eingeschlafen. Corinna hatte sich nach ihrem Zahnmedizinstudium zielgerichtet ein Leben in den oberen Gesellschaftsschichten aufgebaut. Ihr Mann war passenderweise Kieferchirurg und beide lebten mittlerweile in einer der teuersten Vortaunus-Wohnlagen. Im Frankfurter Westend hatten sie zwar mal eben ein saniertes Penthouse im Stilaltbau gekauft, aber auf der Straße war einfach kein Platz für den wachsenden Fuhrpark an Luxuslimousinen. Und immer im Nachbarstadtteil parken zu müssen hatten beide unschön gefunden.
Bärbel dagegen hatte sich nach zwei Semestern BWL-Studium dann doch für eine Ausbildung entschieden und war damit in Corinnas Gunst augenblicklich stark gesunken. Dass Bärbels damaliger Freund Jörg lediglich Maler gewesen war, hatte sie in Corinnas Augen endgültig ins gesellschaftliche Aus befördert. Bärbel trug es mit Fassung. Ihr derzeitiger Job in der Auftragsabwicklung einer großen, internationalen Autospedition machte ihr grundsätzlich Spaß und brachte gutes Geld ein. Er dürfte ruhig ein wenig herausfordernder sein, aber irgendwas war ja immer. Ihre Wohnung lag zwar im elften Stock eines Hochhauses, war aber günstig, ruhig und gefiel ihr gut. Und vom Balkon aus konnte sie die Frankfurter Skyline sehen und fast sogar das Mittelmeer, wenn die Alpen nicht wären.
Bärbel starrte immer noch feindselig auf die Mail von Corinna, nahm aber ihren Finger von der Entfernen-Taste und las. Madame Wichtig wollte mal wieder mit alten Freunden essen gehen, aha. Wie kam das denn? Nostalgische Gefühle? Aber warum eigentlich nicht? Es waren einige Leute eingeladen, die sie seit längerem aus den Augen verloren hatte, das würde sicherlich interessant werden. Bärbel sagte zu.
Am nächsten Morgen musste Bärbel sich beeilen, um rechtzeitig im Büro zu sein. Sie brauchte für die Strecke zur Arbeit fast doppelt so lange wie sonst, alle Ampeln waren rot und es schienen nur Fahranfänger unterwegs zu sein.
Bärbel bekam so einige missbilligende Blicke zugeworfen, als sie um fünf nach neun die Tür des Gemeinschaftsbüros aufriss. Aufgrund des Durchzuges, den eine ihrer Kolleginnen morgens immer veranstaltete, fiel die Tür mit einem lauten Schlag hinter Bärbel zu und diverse Ausdrucke und Faxe wehten durch das Zimmer. Hui, hier war was los! Stimmung! Aber wenigstens waren jetzt alle wach.
Bärbel sammelte auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch die heruntergefallenen Papiere wieder ein und setzte sich. Irgendein Witzbold hatte ihren Stuhl verstellt, ihr Lieblingskollege kicherte schon. Da brauchte man echt keine Feinde mehr, wenn man solche Kollegen hatte. Bärbel hatte ein gutes Verhältnis zu ihren Kollegen, außer zu den zwei älteren Herren am hintersten Tisch des Büros. Die sprachen nicht mehr mit ihr, seit sie einen Kollegen eines anderen Unternehmensbereiches gefragt hatte, wie das wäre, wenn sie gern einen Mustang aus den USA hätte. Sie hatte wirklich nur Infos haben wollen. Das Ganze war ein absurdes Hirngespinst gewesen, aber er hatte ihr sofort begeistert angeboten, ihr auf einem der nächsten Transporte einen mitzubringen, zu Spitzenkonditionen.
Die Arbeit ging heute gut von der Hand, es war Freitag und ab nächster Woche hatte Bärbel Urlaub. Und, sie hatte gestern den finnischen Kerl im Auto gehabt!
„Alles klar bei dir?“, fragte Hilde, die Kollegin, die Bärbel gegenüber saß.
„Japp, alles gut.“
„Du hast doch irgendwas. Du bist so gut gelaunt!“ Um diese Aussage zu unterstreichen, klatschte sie in die Hände. Sie war eben eine Frohnatur.
„Ja, bin ich. Ich hatte gestern Teemu Perhonen im Auto.“
Hilde runzelte die Stirn. „Hä? Was ist das?“
Sie war manchmal ein bisschen schwer von Begriff, aber alles in allem sehr nett. Es gab Schlimmere, mit denen man hätte am Tisch sitzen können. Hilde stand kurz vor der Rente, galt als gute Seele der Abteilung und hütete hingebungsvoll das Telefon des Abteilungsleiters, die Kaffeevorräte, das Büromaterial und die Abteilungspost.
„Kennst du Koch und weg?“, fragte Bärbel.
„Schon mal gehört, ja. Was ist das noch mal genau?“
„Das ist eine Fernsehsendung.“
„Ach da, wo die so kochen? Und mit draußen und so?“ Hilde hatte mit wenigen Worten das Sendekonzept von Koch und weg präzise zusammengefasst.
„Ja, genau.“
„Und was hattest du davon jetzt im Auto?“
„Den lustigen Finnen, der in der Sendung mitmacht.“
Hilde schaute Bärbel interessiert über die obere Kante ihres Computermonitors hinweg an. „Ich glaube, ich erinnere mich, aber ich bin nicht sicher.“
„Sagt dir Polarfrost was?“
„Ist das nicht ein Tiefkühlessenlieferdienst?“
„Nee, Polarfrost ist eine Musikgruppe. Was du meinst, ist bofrost.“
„Och, ich bestell da ganz gern, die haben tolle Sachen.“
„Ja.“ Manchmal hatte Bärbel das Gefühl, dass Hilde schwerhörig war oder irgendwann mal gegen eine Wand gelaufen. Vielleicht auch beides.
Hilde nickte abschließend. „Heute ist Schnitzeltag in der Kantine, ich freu mich schon so!“
Sie war so leicht glücklich zu machen. Und heute gab es sogar Cordon Bleu, quasi den König der Schnitzel.
„Ja, ich mich auch“, murmelte Bärbel.
Kurz nach zwölf war es in der Kantine rappelvoll, wie immer am Schnitzeltag, der firmenintern auch liebevoll Schnipotag genannt wurde. Bärbel und ihre Kollegen fanden gerade so noch Plätze an einem der längsten Tische des großen Raumes, eingequetscht zwischen der riesigen Pflanze mit den pieksigen Blättern, die einem immer halb im Essen hingen auf der einen und der heute mal wieder extrem aufgedrehten Azubimannschaft der Firma auf der anderen Seite.
Bärbel ging gerade gedankenverloren noch einmal die Geschehnisse von gestern durch, als Hildes Stimme sie in die Realität zurückholte. „So, Bärbel, jetzt erzähl noch mal in Ruhe, was war jetzt dieses Tehmuhuperon, das du im Auto hattest? Was mit Musik? Ich hoffe, es hat dir dein tolles Auto nicht dreckig gemacht.“
„Nur ein Haar verloren“, murmelte Bärbel.
„Oh je, meine Katzen haaren auch gerade so, ganz schlimm.“ Hilde schüttelte den Kopf und bedachte Bärbel mit einem mitleidigen Blick, um dann nach speziellen, nur ihr selbst bekannten Kriterien ein Pommes auszuwählen und zu essen.
„Nein, Hilde, nur ein Haar, ein einzelnes, nicht schlimm. Vergiss es einfach.“
Hilde zog die Augenbrauen hoch. „Und warum hattest du das im Auto? Das Temuhperhonn?“
Jetzt, nachdem der Name das zweite Mal gefallen war, dieses Mal verständlicher, schauten einige der Azubimädels zu ihnen herüber. Bärbel hoffte inständig, dass Hilde nicht noch verraten würde, was Bärbel für ein Auto fuhr, sonst sah sie schon eine Traube schreiender Mädchen ihr Auto aufbrechen, am Beifahrersitz riechen und das güldene Haar wie den Heiligen Gral nach oben recken.
„Das ist keine Sache, Hilde, sondern eine Person. Und ich bin mit dem im Parkhaus zusammengestoßen, weil wir es beide eilig hatten. Und dann hab ich ihn zum Flughafen gefahren, damit er sein Flugzeug nicht verpasst.“
„Ach. Das ist aber nett von dir.“ Hilde hatte die faszinierende Eigenschaft, ohne Zwischenstufe zwischen grenzdebiler Idiotie und entwaffnender Normalität hin- und herzuwechseln.
„Ja, ich bin halt total nett“, murmelte Bärbel und versuchte weiterhin, den Zahnstocher aus ihrem Cordon Bleu zu pulen, ohne die umsitzenden Leute zu verletzen.
Ihre Tischnachbarinnen starrten immer noch. Bärbel schaute rüber und hob zweimal schnell hintereinander beide Augenbrauen.
„Echt?“, hauchte eins der Mädels.
„Ja.“
„Und, wie war er?“, flüsterte die Auszubildende ehrfürchtig.
Wie er war? Bärbel fand die Situation langsam total amüsant, zumal noch eine andere Kollegin nun aufmerksam zuhörte, eine, die Bärbel gegenüber fast schon mütterliches Verhalten an den Tag legte und ihr nur zu gern Tipps gab, was ihre Lebensgestaltung anbelangte.
„Hm, naja, er hat nicht viel gesagt.“ Bärbel zuckte mit den Schultern.
„Und dann?“, fragte eine andere Auszubildende mit zitternder Stimme. Und dann? Und dann? Bärbel witterte ihre Chance und wartete, bis ihre Welterklärungshilfe gerade das Glas zum Trinken ansetzte.
„Dann hatten wir wilden, hemmungslosen Sex bis zur totalen Ekstase.“
Alle lachten. Bärbel beobachtete zufrieden aus dem Augenwinkel heraus, wie ihre Ersatzmutter in spe versuchte, sich die Fairtradeökobionade aus ihrer bunt geblümten Bluse zu tupfen.
„Echt?“, fragte Hilde schockiert.
„Nein, natürlich nicht!“, sagte Bärbel etwas zu laut. Das wäre ja was gewesen. Da hätte Musikheld Perhonen bestimmt mehr als nur ein Haar verloren. Hilde brauchte einen Moment, den Witz zu erfassen, aß dann aber weiter.
„Ist der in echt auch so toll wie im Fernsehen?“, fragte es erneut von der Seite.
„Japp, noch viel toller.“
„Ui. Wow. Krass.“ Die Azubis erhoben sich und brachten ihre Tabletts weg. Bärbel wartete auf die ehrfürchtigen Verbeugungen, wurde aber bitterlich enttäuscht.
Das Telefon war endlich still. Wahrscheinlich war es Königin Corinna gewesen, die ihr Ausgehgefolge zusammenstellen wollte. Bärbel hatte sich dagegen entschieden aufzustehen, allein bei dem Versuch hätte sie sich bestimmt böse verletzt, immerhin war sie gerade in ihre Sofadecke gewickelt. Corinna würde schon eine E-Mail schreiben.
Der Bollywoodfilm im Fernsehen war jetzt wichtiger. Diese Filme waren ja sowas von kitschig, aber auch das musste manchmal sein. Viel Handlung gab es meist nicht, und woher immer plötzlich diese Scharen an Tänzern kamen, konnte auch niemand beantworten, aber es war alles schön bunt und gleichzeitig traurig und Liebe und ach.
Bärbel seufzte und verlor sich erneut ein bisschen in Selbstmitleid. Konnte sie nicht einfach mal beim Einkaufen oder einem ihrer Hobbys einen netten Kerl treffen? Vom Aussehen her in Richtung Teemu, tierlieb, Nichtraucher, mit Humor bitte und noch 317 anderen Eigenschaften, die alle unabdingbar waren. Sie war wahrscheinlich dann doch zu anspruchsvoll.
Vor dem Zubettgehen schaute Bärbel nach neuen Mails und es traf sie fast der Schlag. Siebzehn Mails wegen des geplanten Essengehens. Siebzehn! Warum einfach, wenn es auch umständlich ging. Sie erstellte eine Onlineumfrage, trug ein, wann sie konnte und verschickte den Link an alle. Als sie nach dem Zähneputzen noch mal nachschaute, hatten schon sieben Leute die Terminumfrage ausgefüllt. Na also, ging doch!
Kapitel 3 – Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!
Am darauffolgenden Montag war es schon so weit, das Essengehen stand an. Corinna hatte Bärbels Umfrage ignoriert und Termin und Ort selbst festgelegt, auf Restaurantvorschläge war sie gar nicht erst eingegangen. Aber so war Corinna nun mal.
Trotz Corinnas Termindespotismus’ freute Bärbel sich auf den Abend und hatte sich auch im Internet schon mal das Restaurant angeschaut. Es war eines der teuersten in Frankfurt, damit hatte sie gerechnet.
Sie zog sich um und betrachtete sich im Spiegel ihres Kleiderschrankes. Ja, das würde so gehen. Sie fand sich mit dunkelbrauner Jeans, farblich passender Bluse, Stiefeletten und einem Kurzmantel nobel genug eingekleidet. Sportlich, aber trotzdem schick.
Das Universum war ihr wohlgestimmt und sie bekam einen Parkplatz genau vor dem Restaurant. An dem geschmackvoll eingedeckten Fenstertisch saßen schon zwei alte Schulfreunde von Bärbel und begrüßten sie herzlich. Kurz darauf trafen zwei weitere Schulfreundinnen ein. Mehr Leute hatten leider so kurzfristig keine Zeit gehabt. Es war ein großes Hallo, schließlich sah man sich ja nicht oft, obwohl alle immer noch im Umkreis wohnten.
Mit einer halben Stunde Verspätung hatte dann auch Corinna ihren Auftritt. Sehr selbstbewusst und wie die Erbin eines weltweiten Großkonzerns betrat sie erhobenen Hauptes das Restaurant. Sie hatte ihren Mann Clemens mitgebracht, der im Vergleich zu ihr farblos und unscheinbar wirkte. Er trug einen formellen, dunklen Anzug und sie ein elegantes Abendkleid.
Schon vom ersten Augenblick an ließ Corinna das Personal des Restaurants merken, dass sie sich für etwas Besonderes hielt, und das allein durch die Art, wie sie nach ihrer Reservierung fragte. Der Kellner wies in Richtung des reservierten Tisches, wo ihr bereits alle entgegengrinsten.
„Wisst ihr schon, was ihr nehmt?“, fragte Bärbel nach ein paar Minuten des Speisekartenstudiums. Allgemeines Gemurmel wurde laut. Pia fragte in die Runde, was denn eigentlich in Bouillabaisse genau drin sei.
Corinnas Kopf ruckte sofort nach oben. „Du weißt echt nicht, was das ist? Das ist total lecker! Wobei die deutschen Restaurants sie kaum hinbekommen. Clemens, weißt du noch …“
Sein genuscheltes „Hm?“, reichte Corinna als Aufforderung, weiterzusprechen. „Weißt du noch, die Bourride in Cannes? Zusammen mit diesem vorzüglichen Château Val D’Arenc … das war ein Gedicht!“ Corinna seufzte theatralisch.
„Und was ist da jetzt genau drin?“, fragte Bärbel nach und blätterte ohne aufzuschauen schon mal zu den Desserts. Wenn sich Corinna schon so gut auskannte in der kulinarischen Welt, konnte sie ja sicherlich auch Pias Frage beantworten, wenigstens aus Höflichkeit. Corinna jedoch schwieg. Pia lief knallrot an und entschied sich für einen Salat. Bärbel bestellte ein Rinderfilet, medium. Das war zwar teuer, aber da hatte sie jetzt so richtig Lust drauf.
Der restliche Abend war noch sehr unterhaltsam. Sie erzählten sich Anekdoten aus der Schulzeit und lachten, bis ihnen die Tränen kamen. Auch Clemens schien seinen Spaß zu haben.
Mit steigendem Alkoholpegel wurde Corinna jedoch immer biestiger. Als sie begann, sich über die Anwesenden und deren Unzulänglichkeiten aufzuregen, wurde es immer unangenehmer. Bärbel kam noch recht gut weg, sie war immerhin nur hässlich wie die Nacht und die straßenköterblonden, halblangen Haare gehörten mal ordentlich geschnitten und gestylt. Pia kam nicht so gut weg, gerade in Bezug auf ihre Essgewohnheiten, und eine Kulturbanausin war sie auch noch. Clemens versuchte, Corinna zu beruhigen und lenkte auf ein anderes Thema um.
Nach einem kurzen, heftigen Streit der beiden untereinander, ob man übermorgen mit dem Bentley oder dem Jaguar zum Flughafen fahren würde, breitete sich am Tisch eine unangenehme Stille aus. Diese Angelegenheit würde sich wohl erst bei einem Showdown vor Ort klären lassen.
„Wo fliegt ihr denn hin?“, fragte Marie in Richtung Corinna.
„Wir halten Vorträge auf einem internationalen zahnmedizinischen Kongress in Berlin“, antwortete Clemens anstelle von Corinna.
„Ihr beide?“, fragte Marie nach.
„Ja!“, sagte Corinna laut. „Mein Vortrag wird die Fachwelt sicherlich in Erstaunen versetzen. Und danach noch ein bisschen die Lufffft der Hauptstadt schnuppern! Nicht wahr?“
„Ja, nach dem Kongress bleiben wir noch zwei Tage da“, sagte Clemens.
Einen Moment lang herrschte Ruhe am Tisch. „Duuhuuu, Cleeemensh?“, fragte Corinna ihren Mann.
„Ja, was denn, Mauseherz?“
Hatte sie das wirklich gesagt? Mauseherz? Das ging ja gar nicht. Bärbel verdrehte die Augen.
Corinna reckte den Hals, sodass sie aus dem Fenster schauen konnte. „Clleemenssh, isch will auch so ein bla…bl…bl…blaues Auto! Jaaaa?“ Ihr Tonfall schwankte zwischen Forderung und flehender Bitte.
Clemens folgte Corinnas Blick und legte dann seinen Arm um sie. Sein Daumen massierte ihre Schulter. „Schatz, nein, so einen kaufen wir nicht. Den gibts nur als V6, sowas kommt mir nicht ins Haus.“ Clemens’ Stimme war weich und einschmeichelnd.
Bärbel schrie innerlich auf. Das würde sie nicht auf sich sitzen lassen. „Den gibts auch als V8“, sagte sie mit fester Stimme und orderte eine heiße Schokolade beim Kellner, der gerade vorbeigekommen war, um die Nachtischbestellungen aufzunehmen.
„Nein, da liegst du falsch.“ Clemens zog kurz die Mundwinkel hoch, verlangte nach einem Backpflaumendessert und faltete die Hände vor sich.
„Isch hätt aber so … so gern so eins!“ Corinna stülpte die Unterlippe vor.
„Das da draußen ist ein Mustang GT V8“, sagte Bärbel und faltete ebenfalls ihre Hände vor sich, worauf Clemens ein abwertendes Schnaubgeräusch produzierte und seine Handhaltung änderte. „Nein, den GT gibt es nicht als V8. Nur den Shelby. Das da draußen ist ein älterer, von vorletztem Jahr. Und den normalen GT und den GT premium von 2013 gibt es nur mit einem ziemlich lahmen V6. Glaub mir ruhig, ich kenne mich mit Autos aus.“ Er lächelte künstlich.
„Wollen wir nachgucken?“, fragte Bärbel und griff nach ihrem Handy.
„Nein. Du verstehst es nicht. Das ist wie mit euch Frauen und Abseits. Das werdet ihr auch nie verstehen.“ Er schob noch ein halbherziges „Sorry“ hinterher.
Der Tonfall in Clemens’ Stimme gefiel Bärbel überhaupt nicht. Sie überlegte, ob sie ihm anbieten sollte, rauszugehen, sodass er nachschauen konnte. Als er ihr dann auch noch zuzwinkerte, hatte sie eine andere Idee. Na warte.
„Wetten?“, fragte sie.
Clemens setzte sich aufrecht hin. „Was, wetten?“, entgegnete er.
Die Gespräche am Tisch verstummten. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel darüber, dass er es nicht besonders schätzte, dass Bärbel immer noch keine Ruhe gab.
„Wetten, dass das da draußen ein V8 ist und kein V6?“
„Babette … ich habe dir doch gerade erklärt, dass es den eben nicht als V8 gibt. Das kannst du mir schon glauben! Ich kenne mich aus!“ Er schaute um sich, als ob er Applaus erwartete. Clemens’ herablassende Art und Weise brachte Bärbel innerlich zum Kochen.
Er wich ihrem Blick aus und setzte an, ein Gespräch mit seinem Sitznachbarn zu beginnen, aber diese Rechnung hatte er ohne Bärbel gemacht.
„Ich heiße Bärbel. Nicht Babette. Klingt komisch, ist aber so. Und den Mustang GT von 2013 gibt es als V8. Um was wetten wir?“ Komm schon Clemens, komm schon.
Clemens schaute kurz erneut zum Mustang und dann lehnte er sich mit verschränkten Armen zurück. „Um was willst du denn wetten?“, fragte er.
Falsche Frage Clemens, falsche Frage. Bärbel überlegte kurz. „Wie wäre es, wenn ihr mich mitnehmt nach Berlin? Flug und Hotel gehen auf euch. Ich habe gerade Urlaub und Berlin wollte ich mir schon immer mal anschauen. Und nachdem eure Zahnarztmesse rum ist, gucken wir zwei Tage lang die Stadt zusammen an.“